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Die Bergers waren gerade zwei Wochen in England, als Hilda ihre Stellung verlor. Sie war auf eine Trittleiter gestiegen, um die Nippessachen auf Mrs. Manfreds Bücherschrank abzustauben, und da war der Bücherschrank umgekippt und hatte sie unter sich begraben. Es war der einzige im Haus, da Mrs. Manfred vom Lesen nicht viel hielt, aber er hatte Glastüren, und ein Splitter hatte den Hund getroffen.

Keinen wunderte es, und keiner machte Mrs. Manfred einen Vorwurf, aber Hilda nahm die Sache schwer und blieb im Bett. Mit Zinkpflaster bedeckt, schrieb sie Briefe an die Verwaltungsbehörde von Betschuanaland und erkundigte sich nach den Mi-Mi, aber sie schickte die Briefe nicht ab, weil sie kein Geld für Briefmarken hatte, und Leonie aussah, als würde sie umfallen, wenn man auch nur die kleinste Kleinigkeit von ihr verlangte.

Onkel Mishak machte es sich, als die Tage vergingen und Ruth nicht kam, zur Gewohnheit, bei Tagesanbruch aufzustehen und durch die Stadt zu wandern. Im bedächtigen Schritt des Landmanns legte er weite Strecken zurück, und er wußte, daß es leichtsinnig war, denn in ein, zwei Monaten würden die Sohlen seiner Schuhe durchgelaufen sein; aber er mußte einfach ins Freie hinaus.

Er fürchtete um Ruth. Undenkbares konnte ihr in dieser Schrekkenswelt widerfahren, zu der seine Heimat geworden war. Mishak hatte eigentlich nicht in die Rauhensteingasse ziehen wollen, als Marianne gestorben war. Er hatte in dem Haus bleiben wollen, das er seiner Frau an den Hängen des Wienerwalds gebaut hatte. Er war nur in die Rauhensteingasse gekommen, um Leonie für ihr freundliches Angebot zu danken und abzulehnen. Aber Leonie war nicht zu Hause gewesen. Die sechsjährige, gerade frisch gebadete Ruth hatte ihn empfangen, ihm die Arme um den Hals geschlungen und gerufen: «Ich freue mich ja so, daß du zu uns ziehst! Wirst du mit mir in den Prater gehen? Ich meine, in den Wurstelprater, nicht den andern, wo die gesunde frische Luft ist. Und fahren wir auch nach Schönbrunn und schauen uns die Lamas an? Inge hat gesagt, sie spucken und machen einen ganz naß. Und wenn wir auf den Kahlenberg fahren, dann erlaubst du mir doch, daß ich mich aus dem Fenster lehne, und hältst mich nicht an den Beinen fest?»

Dieser gesunde Egoismus eines sorglosen Kindes, das die Welt als aufregendes Abenteuer sah, bewegte ihn tief. Ruths Freude über sein Kommen hatte mit Mitleid nichts zu tun; sie wollte ihn für ihre eigenen Zwecke dahaben. Mishak hatte sich umstimmen lassen und war in die Rauhensteingasse gezogen. Sie hatten sich zusammen die Lamas angesehen und vieles mehr ...

Hier jetzt, auf einer Bank in Kensington Gardens, wo er den Kindern beim Spielen zusah, wurde sich dieser stille alte Mann, der um jeden Maulwurfshügel herumging, um nicht etwa einen der kleinen Bewohner zu treten, bewußt, daß er bedenkenlos jeden töten würde, der seiner Nichte etwas zuleide tat.

Kurt Berger sprach kaum über seine vermißte Tochter. Er ging jeden Morgen zum Bloomsbury House, er arbeitete jeden Nachmittag in der Bibliothek, aber niemand hätte ihn jetzt mehr für einen Mann von 58 Jahren gehalten. Eines Morgens schließlich nahm er einen Bus zur Halrey Street, wo sein Bürge, Dr. Friedlander, seine Praxis hatte.

«Ich gehe nach Wien zurück», sagte er. «Ich muß Ruth finden. Aber du mußt mir das Reisegeld leihen.»

Keiner wußte, was es ihn kostete, um Geld zu bitten. Seit ihrer Ankunft in England hatten die Bergers trotz häufiger Hilfsangebote keinen Penny von ihrem Bürgen angenommen.

«Das Geld kannst du jederzeit haben», sagte Friedlander. «Ich leihe es dir oder ich schenke es dir, ganz wie du willst. Die armen Engländer sind so froh und dankbar, wenn man ihnen nicht gleich sämtliche Zähne zieht, sobald sie sich hier auf den Stuhl setzen, daß ich mich über Patientenmangel nicht beklagen kann. Aber du bist verrückt, Kurt. Die werden dich nicht wieder hinauslassen, und was soll dann aus Leonie werden? Glaubst du denn, Ruth wäre mit dem, was du vorhast, einverstanden?»

«Ich kann es nicht ändern. Ich kann einfach nicht länger untätig hier herumsitzen und warten», entgegnete Berger.

«Hast du Leonie schon gesagt, daß du zurück willst?»

«Nein. Am Donnerstag kommt ein großer Studententransport. Den will ich noch abwarten ...»

Leonie bemühte sich derweilen weiterhin um Güte und Langmut. Sie bot der Psychoanalytikerin aus Breslau, einer finsteren, dunkelhaarigen Person, an, ihr beim Kochen zu helfen, weil sie hoffte, so die Geruchsentwicklung der angefaulten Gemüse, von denen Fräulein Lutzenholler sich ernährte, in annehmbaren Grenzen halten zu können. Sie holte bei Paul Ziller, der drei Häuser weiter wohnte, seine Hemden ab, um sie ihm zu waschen und zu bügeln. Sie besuchte Emigranten in den weiter außerhalb liegenden Vororten. Aber am Ende der zweiten Woche erhob ihr Körper ersten Protest. Sie bekam Schwindelanfälle; sie wurde so dünn, daß ihr der Rock über die Hüften zu rutschen drohte. Und – was weit erschreckender war – es fiel ihr immer schwerer, gut zu sein. Soundsooft hatte sie gute Lust, den Leuten eins überzuziehen, und Miss Bates hätte sie am liebsten mit ihrer ewig tropfenden Unterwäsche erdrosselt. Doch wenn sie es nicht mehr schaffen sollte, gut zu sein, würde die fragile Verbindung zu einer gütigen Vorsehung reißen, und ihre Tochter würde in den Abgrund stürzen.


Mrs. Burtt, die in der Spülküche des Tea-Rooms Willow Geschirr trocknete, war schlechter Laune. Sie hatte für Juden, Zigeuner und Zeugen Jehovas an und für sich nicht viel übrig, und Kommunisten waren in ihren Augen sowieso nichts wert. Aber die Zeitungen hatten an diesem Morgen von noch mehr Gemeinheit und Scheußlichkeit als sonst zu berichten gewußt – daß man in Berlin und Wien die Menschen wie Vieh zusammentrieb; daß altgediente Professoren die Straßen mit Zahnbürsten schrubben mußten –, und obwohl sie keine Ahnung hatte, wo der Polnische Korridor war, und sich nicht sonderlich für das Schicksal der Menschen im Sudetenland interessierte, schien ihr, daß man nun doch etwas gegen diesen Hitler würde unternehmen müssen. Ein schrecklicher Gedanke, weil zu denen, die an einem solchen Unternehmen mitwirken würden, ihr neunzehnjähriger Sohn Trevor gehörte, der erst heute morgen erklärt hatte, er wolle am liebsten zur Air Force.

Auch die Gäste waren niedergeschlagen. Sie brauchte gar nicht nach vorn zu gehen, um das zu spüren. Sie unterhielten sich nicht wie sonst, sondern blätterten statt dessen stumm in den Zeitschriften, die Miss Maud und Miss Violet seit neuestem im Café auslegten.

Nun, vielleicht würden sie sich über den Guglhupf freuen, den Miss Maud gestern abend gebacken hatte. Er war wirklich eine Pracht geworden. Sobald Mrs. Berger kam, wollte Miss Violet ihn auftischen. Mrs. Berger sollte ihn anschneiden und das erste Stück probieren; das war das mindeste, was man für die arme Frau, die sich so um ihre Tochter sorgte, tun konnte.

Aber Mrs. Berger hatte sich an diesem Morgen verspätet.


Mrs. Burtt hatte recht. Es lag eine neue Hoffnungslosigkeit in der Luft. Alle wußten, daß Ruth auch mit dem neusten Studententransport nicht gekommen war und Professor Berger vorhatte, nach Wien zurückzukehren. Jetzt stand ihnen das gefürchtete lange Wochenende bevor, jene zwei Tage, in denen all die Organisationen und Einrichtungen, die ihnen helfen konnten, geschlossen waren, in denen selbst die Türen der Bibliotheken und Cafés, in denen sie während der Woche Zuflucht fanden, ihnen verschlossen blieben.

Paul Ziller, der vergeblich versuchte, sich in einen Artikel über das Schmieren von Feldgeschützen zu vertiefen, hatte wieder einmal von seinem zweiten Geiger geträumt, dem rundlichen, kraushaarigen Karl Biberstein, dessen fürchterliche Witze dem Quartett ständiger Anlaß zu stöhnendem Protest gewesen waren, der immerfort und immer erfolglos irgendeiner langbeinigen Blondine nachgestiegen war – und der nur seine Amati unters Kinn zu schieben brauchte, um zum Gott zu werden. Ziller trauerte seinem Cellisten nach, der jetzt bei einer Tanzkapelle in New York spielte; er trauerte seinem Bratschisten nach, der, rein arischer Abstammung, in Wien geblieben war; die Trauer um Biberstein jedoch war ganz anderer Art, denn Biberstein war tot. Als er die SS-Männer auf der Treppe zu seiner Wohnung im vierten Stockwerk gehört hatte, hatte er den Passanten unten auf der Straße zugerufen, sie sollten den Bürgersteig freimachen, und war gesprungen.

Dr. Levy spielte mit dem blonden Schauspieler vom Burgtheater Schach, doch es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren; er wußte jetzt mit Gewißheit, daß er seine medizinischen Prüfungen nicht noch einmal ablegen würde. Mit 42 war er zu alt, um noch einmal von vorn anzufangen – und selbst wenn er die Examen bestehen sollte, würde man zweifellos irgendeine andere Vorschrift finden, um ihn an der Ausübung seines Berufs zu hindern. Er konnte es den Ärzten hier nicht einmal zum Vorwurf machen. In Wien waren die Ärzte genauso repressiv gewesen, wenn es darum gegangen war, Emigranten aus dem Osten zuzulassen.

«Ich nehme Ihnen Ihren Springer», sagte er zu von Hofmann, der bisher weder «Schweinehund», noch sonst etwas in einem Film über den Weltkrieg hatte sagen dürfen. Die Schauspielergewerkschaft hatte ihr Veto eingelegt, und da es ganz danach aussah, als stünde ein neuer Krieg bevor, wollte sowieso kein Mensch Soldatenfilme sehen. Die Leute wollten Fred Astaire und Rita Hayworth und Deanna Durbin sehen; Ozeandampfer und schicke Wohnungen in Manhattan, die ganz in Weiß ausstaffiert waren – und wer sagte in so einer Umgebung schon «Schweinehund»?

Die Dame mit dem Pudel trat ein, und Mrs. Weiss mit ihrer dicken Börse aus Roßhaar war enttäuscht. Sie hatte gehofft, es käme jemand, den sie zu einem Stück Kuchen einladen und über ihre Schwiegertochter aufklären könnte, die sie heute morgen gezwungen hatte, ihr Schlafzimmerfenster zu öffnen, angeblich, weil das Zimmer dringend gelüftet werden müßte. Nie hatte Mrs. Weiss feuchte Luft in ein Zimmer gelassen, in dem sie schlief, das hatte sie Moira klipp und klar gesagt, und Georg (der jetzt George hieß), der die Partei seiner Mutter hätte ergreifen müssen, hatte sich klammheimlich davongemacht und war ins Büro gefahren.

An dem Tisch beim Garderobenständer saßen der Hamburger Bankier und seine Frau, schweigend, jeder in eine Zeitschrift vertieft. In Deutschland hatten sie gemeinsam mit Lisas Liebhaber eine glänzend funktionierende ménage à trois gebildet, aber der Liebhaber, ein Autohändler mit rein arischem Stammbaum, war in Deutschland geblieben, und so sehr der Bankier sich bemühte, ihn zu ersetzen, er wußte, daß sein Bemühen zum Scheitern verurteilt war. Die Wände ihres kleinen Zimmers waren dünn, das Bett war schmal – und hinterher seufzte sie jedesmal.

Da kam endlich Leonie Berger, und die Traurigkeit, die in ihnen allen war, richtete sich auf einen Brennpunkt. Es war gar nicht nötig zu fragen, ob es Neues gäbe. Diese Frau war eine Demeter, die alle Hoffnung, ihre Tochter aus der Unterwelt zu retten, aufgegeben hatte. Ruth war verloren wie Persephone, und in die Straßen Nord-West-Londons war der Winter eingefallen.

Begleitet von ihrem Mann und ihrem Onkel, ging Leonie zu ihrem Tisch und setzte sich. Niemand im Raum wagte heute mehr als ein Nicken zur Begrüßung. Selbst ein Lächeln schien aufdringlich.

In der Küche holte Miss Violet das Kuchenmesser, Miss Maud schnitt den jungfräulichen Guglhupf an, Mrs. Burtt holte einen Teller – und die Prozession setzte sich in Marsch.

«Mit den besten Empfehlungen der Geschäftsleitung», sagte Miss Maud und stellte den Teller vor Leonie auf den Tisch.

Leonie sah den Kuchen und verstand. Sie verstand das Opfer an Prinzipien, die Ehre, die man ihr zuteil werden ließ. Sie holte einmal tief Atem, wie eine Schwimmerin, bevor sie untertaucht. Ihr Gesicht verzog sich, ihre Schultern fielen schlaff herab – und sie brach in herzzerreißendes Schluchzen aus. Es war wie der Inbegriff alles Weinens, ein Ausbruch von Schmerz und Tränen, der, einmal erfolgt, nicht mehr zu stoppen war. Ihr Mann nahm ihre Hand, doch zum erstenmal in ihrem gemeinsamen Leben stieß sie ihn von sich. Sie wollte ihre Tränen loswerden und sterben.

Niemand im Café rührte sich. Dr. Levy bot keine ärztliche Hilfe an; von Hofmann, sonst der Kavalier in Person, ließ sein Taschentuch in der Hosentasche. Miss Maud und Miss Violet sahen einander nur stumm an, entsetzt über das, was sie angerichtet hatten.

Aber da stieß plötzlich Paul Ziller, der am Fenster saß, seinen Stuhl zurück.


«Ach, du meine Güte!» sagte Miss Maud, ein milder Ausdruck aus dem Mund einer Generalstochter angesichts des Schadens, der beträchtlich war. Die Kaffeekanne auf dem Tisch der Bergers war umgestürzt, der Kaffee auf das Tischtuch gelaufen, drei Porzellanteller waren zerbrochen ... Leonie Bergers Stuhl war, als sie aufgesprungen war, auf Dr. Levys Rührei gefallen, und der Pudel hatte es natürlich nicht geschafft, sich aus dem Chaos herauszuhalten. Unter wildem Gekläff hatte er den Garderobenständer attackiert, der prompt umstürzte, um Haaresbreite die Keramikkatze auf dem Fensterbrett verfehlte, nicht aber die Schale mit der duftenden Mischung von Blütenblättern und auch nicht die beiden hübschen weißblauen Aschenbecher, die die Damen aus Gloucestershire mitgebracht hatten.

Mitten in diesem Tohuwabohu stand Leonie und hielt ihre Tochter umschlungen. Nein, es war mehr als eine Umschlingung, es war eine Verschmelzung. Ihre Tränen vermischten sich mit denen Ruths; kein Mensch hätte die beiden voneinander trennen können. Selbst für ihren Mann mochte Leonie ihre Tochter nicht loslassen – konnte ihn nur mit flüchtig freier Hand näher ziehen. Sie hatte in ihrem Leben viele glückliche Momente erlebt, nie aber ein Glück von solcher Tiefe und Reinheit.

Onkel Mishak war der erste aus der Familie, der auf die Verwüstung aufmerksam wurde, der das Lokal anheimgefallen war: Da war Miss Violet dabei, die Tische zu säubern, Miss Maud sammelte Scherben vom Boden auf, Mrs. Burtt lag auf den Knien und wischte. Um das Maß des Chaos vollzumachen, war Tante Hilda, die aus ihrem Bett gesprungen war, um Ruth den Weg zum TeaRoom zu zeigen, auch noch über den Spüleimer gefallen.

«Ach, das tut mir aber schrecklich leid», sagte Leonie, als sie aus den Tiefen ihres Glücks emportauchte, und bemühte sich ehrlich, Bedauern zu empfinden und den Schaden auszurechnen.

Jetzt hatte endlich Mrs. Weiss ihren großen Augenblick. Ihr runzliges Gesicht zeigte einen Ausdruck ungewohnter Würde, und ihre Stimme war fest und entschieden.

«Das bezahle ich», verkündete sie. «Ich bezahle den gesamten Schaden.»

Die Damen Harper nahmen ihr Angebot an; alle begriffen, daß die alte Frau an dem, was hier geschah, Anteil haben mußte. Pfundnoten und Münzen ergossen sich aus der scheußlichen Börse, die aus dem Haar ostpreußischer Pferde gemacht war. Sie bezahlte nicht für eine Kaffeekanne, sondern für zwei; nicht für drei Kuchenteller, sondern für sechs. Zum erstenmal seit Mrs. Weiss' Ankunft in England war die sonst stets prall gefüllte Börse leer und ließ sich ohne Schwierigkeiten schließen. Es war Mrs. Weiss' größte Stunde, und niemand im Tea-Room Willow neidete sie ihr.


«So!» sagte Leonie vielleicht zwanzig Minuten später. «Jetzt erzähl! Wie bist du hergekommen?»

Die Tische waren gesäubert und neu gedeckt, und die Damen Harper hatten frischen Kaffee serviert. Jetzt endlich hatte Leonie sich genügend beruhigt, daß sie zuhören konnte. Sie mußte dabei allerdings so sitzen, daß ihre Schulter mit der Ruths in Berührung war.

Ruth hatte ihre Geschichte auswendig gelernt. Während sie jetzt zwischen ihren Eltern saß und Mishak und die Freunde aus Wien strahlend anlächelte, sagte sie: «Ein Engländer hat mich herausgebracht, ein Mann, der Leuten hilft, die flüchten wollen.»

«Wie in Die scharlachrote Blume?» fragte Paul Ziller beeindruckt.

«So ähnlich, ja. Aber ich darf nie wieder mit ihm Kontakt aufnehmen. Keiner von uns darf mit ihm in Verbindung treten. Das war die Bedingung für seine Hilfe.»

«Es war doch nichts Ungesetzliches im Spiel?» fragte ihr Vater trotz aller glücklichen Erleichterung streng. «Keine gefälschten Papiere oder Ähnliches?»

«Nein, nein. Es war alles ganz legal, das schwöre ich. Bei Mozarts Kopf», sagte Ruth, und ihr Vater war beruhigt, da er wußte, welchen Rang der Komponist im Leben seiner Tochter einnahm.

Leonie jedoch war gar nicht beruhigt. «Aber das ist doch unmöglich! Wie sollen wir ihm denn danken?» rief sie erregt. Unzähliges – vom selbstgebackenen Kuchen bis zu ekstatischen Dankschreiben – fiel ihr ein, was sie diesem Mann hätte zum Dank tun können. Sie wäre am liebsten hinausgelaufen, um diesem unbekannten Wohltäter die Füße zu küssen.

«Es geht nicht anders, Mutter», erklärte Ruth. «Sonst bringen wir womöglich andere Leute in Gefahr, die er retten könnte. Ich muß mich an die Vereinbarung halten.» Erst jetzt wagte es Ruth, die sich in den ersten Momenten des Wiedersehens ganz ihren Eltern hatte widmen wollen, die Frage zu stellen, die sie die ganze Zeit bedrängt hatte. «Was ist mit Heini?» fragte sie.

Unwillkürlich hatte sie in der jahrhundertealten Geste furchtsamer Beunruhigung die Hände auf ihr Herz gedrückt. Als sie ihren Vater lächeln sah, atmete sie auf.

«Es ist alles in Ordnung, Kind», sagte Kurt Berger. «Er ist noch in Budapest, aber wir haben einen Brief von ihm. Er kommt bald.»


Es war sehr still im Willow, nachdem die Bergers gegangen waren. Einer nach dem anderen standen die Gäste auf und gingen, doch die drei Männer, die die Familie aus Wien kannten, blieben noch eine Weile sitzen.

«Persephone ist also zurückgekehrt», sagte der Schauspieler.

Dr. Levy nickte, aber sein Gesicht war traurig, und die beiden anderen tauschten einen Blick. Dr. Levy hatte eine Persephone eigener Art: ein flachsblondes, blauäugiges, dummes junges Ding, das er trotz allem liebte. Hennie hatte dem prominenten Spezialisten, den sie als Lernschwester angehimmelt hatte, mit Freuden ihr Jawort gegeben; nun aber schien sie es gar nicht eilig zu haben, das Exil mit ihm zu teilen.

«Wollen wir nicht zur Feier des Tages etwas unternehmen?» meinte Ziller, dem es nicht gut erschien, Dr. Levy jetzt einsam und allein zurückzulassen.

«Wir können ja mal sehen, was läuft», schlug von Hofmann vor.

Es lief, wie sie feststellten, als sie den Platz überquert und den Weg den Hügel hinauf zum Odeon genommen hatten, ein Film mit Fred Astaire und Ginger Rogers – und ohne weitere Beratung traten die drei distinguierten Herren, obwohl keiner von ihnen es sich leisten konnte, in den Kinosaal – und ins Paradies – ein.

Während drüben in der Küche des Willow Miss Maud und Miss Violet ihre Bewertungen abgaben.

«Ein sehr wohlerzogenes junges Mädchen», sagte Miss Maud. «Sie hätte Vater gefallen», sagte Miss Violet.

Höheres Lob gab es nicht, doch das letzte Wort hatte, wie so oft, Mrs. Burtt.

«Und zum Anbeißen hübsch.»

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