25

Sie bemühte sich, nicht zu laufen, sondern ruhigen, gemessenen Schrittes zu gehen, aber das war unmöglich. Sie mußte sich beeilen. Sie mußte Quins Wohnung erreichen, solange ihre Entschlossenheit noch hielt. Sie ging am Fluß entlang, auf einem Weg zwischen der Themse und der Straße. Die Lampen waren gerade angezündet worden, ihr Licht spiegelte sich im Wasser.

«O Gott, mach, daß er da ist», betete sie. «Mach, daß er da ist und daß er allein ist.»

Aber welches Recht hatte sie überhaupt zu beten? Sie war nicht einmal eine richtige Sünderin, die verlangen konnte, vom Allmächtigen gehört zu werden; sie war eine Versagerin, kalt und gefühllos. Gott haßte die kleinen Seelen, dessen war sie sicher. Oder würde er sie vielleicht einfach als eine Kranke ansehen und doch auf ihre Gebete hören?

Es regnete, seit sie aus der Untergrundbahn gekommen war; ein feiner, schräg fallender Regen, der ihr Lodencape durchnäßte. Leonie hatte die Kapuze abgenommen, weil sie sie neu füttern wollte; der Umhang war schäbig, auch ihr Haar war durchnäßt. Aber das machte gar nichts – vielleicht würde der Regen sie reinwaschen.

Auf einem Straßenschild auf der anderen Seite las sie «Cheyne Walk» und sah die in sachtem Bogen angeordneten RegencyHäuser und die schönen alten Bäume in den Gärten.

«Heinrich VIII. hatte dort einen Palast», hatte Quin ihr in Wien erzählt, als er über sein Londoner Zuhause gesprochen hatte. «Von meinem Fenster aus kann man einen Maulbeerbaum sehen, der angeblich von Elisabeth I. gepflanzt wurde. Wahrscheinlich stimmt das nicht, aber die Vorstellung ist hübsch.»

Alle Bäume in den Gärten der großen Häuser sahen aus, als seien sie von einer Königin gepflanzt worden. Im Westen leuchtete der Himmel noch von der untergehenden Sonne, und als sie den Kopf drehte, konnte sie die Kette der Lichter auf der Albert-Brücke sehen. Es war eine wunderschöne kleine Straße. Aber natürlich, Quin war ja reich, er konnte wohnen, wo es ihm gefiel, während sie und Heini mit Janets Wohnung hatten vorliebnehmen müssen. Vielleicht war das der Grund, weshalb alles so schiefgegangen war.

Aber es hatte keinen Sinn, irgend jemand die Schuld zu geben. Die Schuld lag bei ihr. Wenn auch vielleicht nicht ganz allein. Wenn nur Quin tun würde, warum sie ihn bitten wollte, dann würde vielleicht doch noch alles gut werden.

Sie ging jetzt an den schmiedeeisernen Toren der Häuser vorüber; an eleganten Laternen und fächerförmigen Lünetten, die lichtene Halbkreise auf die Treppen warfen. Sie brauchte nicht nach den Hausnummern zu sehen. Sie hatte den Crossley, der vor der Tür stand, sofort entdeckt. Entschlossen eilte sie zur Haustür und läutete. Je schneller sie es hinter sich brachte, desto besser.

Quin legte stirnrunzelnd seinen Füller aus der Hand. Er hatte vor dem Abendessen noch zwei Stunden in Ruhe arbeiten wollen. Lockwood hatte das Wochenende frei; er hatte das Telefon ausgehängt, um den Artikel für das Museumsblatt, an dem er gerade arbeitete, ungestört fertigmachen zu können.

«Du meine Güte, Ruth!» Und als er ihr Gesicht sah: «Was ist los? Sind Sie in Schwierigkeiten?»

Sie schüttelte ihr Haar aus wie ein Hund und folgte ihm nach oben. «Ja. Ich bin in ganz schrecklichen Schwierigkeiten.» Sie sprach Deutsch, und ihre Worte gewannen dadurch zusätzlich an Gewicht.

«Kommen Sie erst einmal herein und wärmen Sie sich auf.»

Er nahm ihr das durchnäßte Cape ab und führte sie ins Wohnzimmer. Obwohl die Vorhänge offen waren, ging sie nicht zum Fenster; und sie ging auch nicht zum offenen Kamin, in dem ein Feuer brannte. Sie blieb mitten im Zimmer stehen und streckte ihm in flehentlicher Geste die offenen Hände entgegen.

«Ich kann nicht bleiben. Ich möchte Sie nur bitten, etwas für mich zu tun. Es ist unheimlich wichtig.»

«Was ist es denn, Ruth? Sagen Sie es mir nur.»

Sie hob den Kopf. «Sie müssen sich von mir trennen. Gänzlich und unwiderruflich. Jetzt gleich. Auf der Stelle.»

Einen Moment blieb es still. Dann sagte Quin mit einem Gesicht, in dem nichts zu lesen war: «Ich will natürlich gern alles tun, um Ihnen zu helfen. Aber ich weiß nicht recht, wie ich mich jetzt, auf der Stelle, von Ihnen trennen kann. Dick Proudfoot tut sein Bestes ...»

«Nein!» unterbrach sie ihn. «Das hat mit Mr. Proudfoot und allen möglichen amtlichen Dokumenten nichts zu tun. Es ist etwas viel Fundamentaleres. Es geht darum, einen Fluch aufzuheben.»

«Wie bitte?»

«Entschuldigen Sie. Ich wollte damit nicht sagen, daß unsere Heirat ein Fluch war. Aber ich wußte schon damals, als wir uns vor Zeugen dieses Versprechen gaben ... ich meine, solche Gelübde zählen. Man muß sie ernst nehmen. Und deshalb müssen Sie mich von meinem Gelübde befreien, und ich weiß auch, wie Sie es tun können, ich habe nämlich extra Mrs. Weiss gefragt. Mit dem Channukka-Fest hat sie sich ja nicht besonders gut ausgekannt, aber über Scheidung wußte sie Bescheid, und Paul Ziller auch, aber ich wußte es auch vorher schon. Sie brauchen nur dreimal zu sagen: Und dabei müssen Sie mir, glaube ich, die Hand auf die Schulter legen, aber da bin ich nicht so sicher. Es ist auf jeden Fall ein uraltes jüdisches Gesetz, und durch diese Worte wird eine Ehe auf der Stelle aufgelöst. Eigentlich sollte man sie vor einem Rabbiner sagen, aber es reicht auch, wenn man sie einfach so sagt; die Hauptsache ist, man meint es ernst. Daß man den anderen verstößt und frei sein will. Aber sagen müssen Sie es – der Mann –, weil das bei den alten Juden so war; da zählten nur die Männer. Und ich weiß genau, wenn Sie es tun, wird alles gleich besser werden. Vielleicht wird sogar alles wieder gut.»

Außer Atem hielt sie inne, und als Quin nichts sagte, fragte sie ängstlich: «Sie werden es doch tun, nicht wahr? Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sagen würden: Das klänge biblischer.» Als Quin noch immer nichts sagte, sondern zur Tür ging, rief sie erschrocken: «Wohin gehen Sie?»

Quin antwortete nicht. Sie hörte ihn durch den Flur gehen; gleich darauf kam er mit einem großen weißen Frottiertuch zurück.

«Kommen Sie erst mal her», befahl er ihr. «Setzen Sie sich aufs Sofa. Neben das Feuer.»

Sie kam, verwundert, aber gehorsam und setzte sich.

«Was wollen Sie tun?»

«Senken Sie den Kopf.»

«Aber ...»

«Sie sind zu Ihrer Hochzeit mit nassem Haar gekommen. Dann können Sie wenigstens zu Ihrer Scheidung mit trockenem Haar kommen.»

Während er sprach, begann er ihr Haar zu trocknen – aber das war nicht das, was sie wollte. Das war nicht recht so. Im Alten Testament stand nichts davon, daß einem der Ehemann, der die Absicht hatte, einen zu verstoßen, vorher das Haar trocknete, und sie wollte sich ihm entziehen, aber es war so friedlich, hier zu sitzen, seine Hände taten ihr so wohl ...

Doch als er von ihrem Kopf zum lose herabhängenden Haar auf ihren Schultern hinunterwanderte, wurde sie zornig. Denn jetzt konnte sie seine Hände sehen, und seine Hände hatten sie von Anfang an beunruhigt. Schön wie die Hände Johannes des Täufers von Donatello. Während Quin jetzt ihr Haar frottierte, ging es ihr wieder so wie in Wien im Museum, als er ihr geholfen hatte, das Skelett des Höhlenbären zu ordnen; wie im Orientexpreß, als er ihr eine Nuß geknackt und auf den Teller gelegt hatte ... wie immer, wenn sie ihn mit seiner Pfeife hantieren sah, die er fast niemals anzündete.

«Nein, bitte, hören Sie jetzt auf!» Sie hob einen Arm, um ihn am Handgelenk festzuhalten, aber das war ein ganz großer Fehler. Quin faltete das Handtuch, trug es aus dem Zimmer und kehrte mit einem kleinen Glas zurück, das eine bernsteinfarbene Flüssigkeit enthielt.

«Hier», sagte er. «Trinken Sie das. Das macht Ihnen warm. Und dann erzählen Sie mir in aller Ruhe, worum es eigentlich geht.»

Ruth nahm das Glas, schnupperte einmal daran und trank den Grand Armagnac bis auf den letzten Tropfen. Ein leises «Oh!» der Anerkennung entfuhr ihr. Sie schluckte es hinunter. «Ich kann Ihnen sagen, worum es geht», erklärte sie entschlossen und hob beinahe trotzig den Kopf. «Es geht um – Frigidität.»

Quins Gesicht veränderte sich nicht. Er zog nur die Brauen ein klein wenig in die Höhe, während er wartete.

«Um Frigidität im richtigen, medizinischen Sinn, wie sie im Buch steht. Zum Beispiel in den Büchern von Havelock Ellis und Krafft-Ebing und Eugene Feuermann, die ich am Grundlsee gelesen hab. Ich muß eine Vorahnung gehabt haben, weshalb sonst hätte ich ausgerechnet darüber gelesen, wo ich doch ebensogut Heidi oder Andersens Märchen hätte lesen können?»

«Ja, das fragt man sich», murmelte Quin.

«Ich glaube, das habe ich immer am allermeisten gefürchtet. Kalt zu sein. Empfindungslos. Dazuliegen wie ein Holzklotz.»

«War es denn so?»

Jetzt hatte sich sein Gesichtsausdruck doch verändert; aber Ruth, die zu Boden blickte, sah es nicht.

«Nein, nicht direkt, weil ich gar nicht gelegen habe. Aber im Endeffekt war es das gleiche.»

«Es handelt sich um Heini, nehme ich an? Wir sprechen von Ihrer Beziehung zu Heini, nicht wahr?»

Ruth nickte. «Ich sagte Ihnen ja, daß Heini sich das mit Chopin und seinen Etüden doch anders überlegt hatte. Jetzt bereitet er sich gerade auf einen unheimlich wichtigen Wettbewerb vor, und er will Liszts Dante-Sonate vorspielen, in der es vor allen Dingen um das Ewigweibliche geht, und er wollte – nun ja, er wollte endlich die Liebe erfahren. Er sagte es mir am Heiligen Abend, und es war sehr ergreifend. Als ich dann die Papiere für die Nichtigkeitserklärung im Bus liegengelassen hatte, fand ich, es wäre eine Zumutung für ihn, warten zu müssen, bis wir heiraten können, deshalb habe ich alles arrangiert. Janet hat uns sehr geholfen, sie stellte uns ihre Wohnung zur Verfügung, und außerdem schenkte sie mir eine Flasche Wein – es war Liebfrauenmilch aus der Coop –, aber er schmeckte ganz anders als der Wein, den wir im Orientexpreß getrunken haben.»

«Natürlich», sagte Quin, ohne eine Miene zu verziehen. «Das ist ganz klar, Liebfrauenmilch aus der Coop würde wahrscheinlich jeden frigide machen.»

Aber es kostete ihn große Anstrengung, den Erheiterten zu spielen. Viel lieber hätte er Heini langsam und mit bloßen Händen erwürgt.

«Bitte, das ist doch nicht komisch! Es ist ein ganz entsetzlicher Zustand. Krafft-Ebing schreibt, daß die Ursachen häufig psychologischer Natur sind, aber wie soll ich je dahinterkommen, was meine Eltern Schreckliches getan haben, daß ich ... und Fräulein Lutzenholler ist eine fürchterliche Person. Sie soll eine erfahrene Psychoanalytikerin sein, aber sie sitzt nur da und trinkt Kakao mit Haut und quasselt etwas von Liebe. Und wenn es etwas Körperliches ist, dann ist es noch schlimmer, denn Sie wissen ja, wie kompliziert das Nervensystem ist, und ich möchte mich nicht operieren lassen.»

Quin hatte sich wieder in der Hand. «Hören Sie, Ruth, wenn zwei Menschen das erste Mal miteinander schlafen, wird es oft eine Katastrophe. Das ist etwas, das man lernen muß und ...»

«Ja gut, aber wie soll das möglich sein? Wie kann es von jemand gelernt werden, der so frigide ist, daß es überhaupt kein erstes Mal gibt? Der seinen Pullover auszieht und dann wieder anzieht und dann über die Feuertreppe davonläuft? Wie soll so jemand die Liebe lernen, wenn er es doch nicht einmal probiert?»

Quin stand auf und ging zum Fenster. Der Blick, so wollte ihm scheinen, war der schönste auf der ganzen Welt, und er hatte Mühe, nicht zu lächeln. «Soll das heißen, daß gar nichts stattgefunden hat?»

«Ja. Und es ist darum so besonders schlimm, weil Heini solche Schwierigkeiten hatte, diese Verhütungsdinger aus dem Automaten zu holen. Erst zog er statt dessen Cremeschokolade, und dann laufe ich auch noch davon wie ein aufgescheuchtes Huhn. Er hat seitdem kaum ein Wort mit mir gesprochen, und man kann es ihm wirklich nicht übelnehmen.»

Quin kam zurück und setzte sich neben sie aufs Sofa. «Und wieso glauben Sie, daß es etwas ändern würde, wenn ich dreimal hintereinander sage?»

Ruth starrte in ihr leeres Glas. «Es ist so, ich möchte emanzipiert sein und großzügig, ich möchte geben können, und natürlich liebe ich Heini. Aber meine Eltern ... es ist schwierig, die Erziehung hinter sich zu lassen, die man genossen hat, und sie sind so altmodisch, und die Ehe war immer – nun ja, eben die Ehe. Sogar solche Ehen wie die unsere, die eigentlich gar keine richtigen Ehen sind. Und ich dachte mir, vielleicht liegt es gar nicht an irgendeiner körperlichen Ursache oder daran, daß ich in einem Heuschober am Grundlsee irgend etwas Traumatisches gesehen habe. Vielleicht muß ich einfach immer wieder davonlaufen, bis ich entheiratet bin. Und das ist der Grund, warum ich Sie bitte, jetzt diese Worte zu sagen. Es wirkt bestimmt.» Sie sah sich um, und ihr Blick fiel auf zwei silberne Leuchter auf dem Kaminsims. «Wir könnten ja ein paar Kerzen anbrennen», sagte sie. «Das würde es feierlicher machen.»

«Ja, das könnten wir», stimmte er zu. Er stand auf, trug die Leuchter zum Couchtisch und zündete ein Streichholz an. «Jetzt», sagte er.

Sie wandte sich ihm zu. «Jetzt tun Sie es?» fragte sie atemlos. «Nein», antwortete er entschuldigend. «Ich werde jetzt etwas ganz anderes tun. Ich werde dich küssen.»


«Nein! Geh nicht! Ich sterbe auf der Stelle, wenn du mich verläßt.»

Sie lag neben ihm auf dem Kissen. Durch das Fenster sah er den Nachthimmel und die Sternbilder, die nach den Heldinnen der Sage benannt waren: Andromeda, die Plejaden ... sie gehörte jetzt zu ihnen, diese mutige junge Frau, die ihre erste Reise in die Liebe gewagt hatte.

«Ich wollte uns nur etwas zu essen holen», sagte er. «Es ist fast Mitternacht. Du mußt doch völlig ausgehungert sein.» Er zeichnete mit einem Finger den Bogen ihrer Wange nach, den Schwung ihres Halses, schob seine Hand in ihr Haar. «

«Das hat mir aber Miss Kenmore nicht beigebracht», sagte Ruth, nicht erfreut über diese Bildungslücke.

«Nein. Ich glaube, über Miss Kenmore sind wir hinaus.»

Weit. Er hatte sich anscheinend dagegen entschieden, sie zu töten, indem er aus dem Bett stieg, und sie schmiegte sich glücklich an ihn. Dann jedoch rückte sie plötzlich von ihm ab.

«Quin! Ich verstehe das nicht! Die Tristesse ist bei mir völlig ausgeblieben.» Sie starrte ihn an. «Du weißt schon, das was hinterher kommt. Diese tiefe Traurigkeit nach der Liebe. Das steht doch in allen Büchern. Es ist der Moment, in dem einen bewußt wird, daß jeder Mensch trotz allem hoffnungslos allein ist, und ich spüre nichts davon; ich fühle mich absolut fabelhaft. Ich hab dir ja gesagt, ich bin nicht wie andere.»

«Nein», bestätigte er mit einem leisen Lachen. «Du bist nicht im geringsten wie andere. Wenn alle so wären wie du, würden die Götter vom Olymp herabsteigen und das Paradies auf Erden ausrufen.» Dann fügte er hinzu: «Wir essen später.»

Aber später schlief er ganz plötzlich ein, und sie gelobte sich, wachzubleiben, weil sie von dieser Nacht nicht einen Augenblick versäumen wollte ... aber dann schlief sie doch ein, wenn auch nur kurz, und erwachte voll Erstaunen, weil sie jetzt verstand, was die Leute meinten, wenn sie sagten, sie hat mit ihm geschlafen. Es war ein Teil des Liebesakts, dieses gemeinsame Versinken ins Vergessen.

Als auch er erwachte, war er voller Reue und Bedauern. «Jetzt sollst du endlich was zu essen bekommen, mein armer Schatz», sagte er, und sie gingen Hand in Hand in die Küche, weil sie sich keinen Moment von ihm trennen wollte. Sie aßen Brot und Käse und tranken einen Wein dazu, der mit Janets Liebfrauenmilch nichts gemein hatte.

«Gott, hab ich einen Hunger», sagte Ruth, ein großes Stück Emmentaler in der Hand. Dann hielt sie plötzlich im Essen inne und fragte: «Glaubst du, sie kommt später, diese Tristesse? Diese schreckliche, tragische Hoffnungslosigkeit – das Gefühl, daß jeder im Grunde allein ist?»

«Ich bin nicht allein», sagte Quin und trat hinter sie, um sie in die Arme zu nehmen. «Und du auch nicht. Wir werden nie wieder allein sein.»

Als sie fertig gegessen hatten, öffneten sie die Balkontür und schauten auf die schlafende Stadt hinunter und auf den Fluß, der niemals schlief. In Quins Morgenrock gehüllt, in der Wärme seines Arms, atmete sie die Nachtluft in tiefen Zügen.

«Ich liebe diesen Fluß», sagte sie.

«Ich auch», antwortete Quin. «Er eignet sich auch gut, um eine Flaschenpost zu schicken. Morgen früh geh ich los und kaufe tausend Limonadenflaschen, stecke in jede ein Briefchen und werfe sie alle von der Brücke in den Fluß.»

«Und was schreibst du in den Briefen?»

Er drehte den Kopf, erstaunt über ihre Ahnungslosigkeit. «Deinen Namen natürlich. Was sonst?»

Immer noch Hand in Hand gingen sie ins Schlafzimmer zurück. «Es ist merkwürdig», sagte Ruth. «Ich dachte immer, die Liebe würde so sein wie der langsame Satz von Mozarts Sinfonia Concertante ... oder wie eines dieser Barockgemälde, die meine Mutter mir im Museum immer gezeigt hat, mit Putten und lichten Wolken und goldenen Strahlen ... oder vielleicht auch wie das Meer. Aber so ist sie nicht, nicht wahr?»

«Nein. Die Liebe ist nur sie selbst.»

«Ja.» Sie seufzte, drängte sich warm und entspannt und glücklich an ihn.

Er nahm sie in die Arme und sagte leise, aber klar in die Dunkelheit: «Meine Frau.»

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