CATELYN

Zwei Tagesritte vor Schnellwasser entdeckte sie einen Kundschafter, während sie die Pferde an einem schlammigen Bach tränkten. Catelyn war noch nie zuvor so froh gewesen, das Wappen mit den Zwillingstürmen des Hauses Frey zu sehen.

Auf ihre Bitte hin, sie zu ihrem Onkel zu führen, sagte der Mann: »Der Schwarzfisch ist mit dem König nach Westen gezogen, Mylady. Martyn Strom hat an seiner Stelle den Befehl über die Späher.«

»Ich verstehe.« Sie hatte Strom auf den Zwillingen kennengelernt; er war ein Abkömmling von Lord Walder Frey und der Halbbruder von Ser Perwyn. Dass Robb das Herz der Macht der Lennisters angegriffen hatte, überraschte sie nicht; darüber hatte er vermutlich gerade nachgedacht, als er sie zu den Verhandlungen mit Renly geschickt hatte. »Wo hält sich Strom im Augenblick auf?«

»Sein Lager ist zwei Stunden entfernt, Mylady.«

»Bringt uns zu ihm«, befahl sie. Brienne half ihr in den Sattel, und der Ritt ging weiter.

»Kommt Ihr von Bitterbrück, Mylady?«, fragte der Kundschafter.

»Nein.« Sie hatte nicht gewagt, dorthin zurückzukehren. Jetzt, wo Renly tot war, hatte sie nicht gewusst, was für einen Empfang ihr die junge Witwe und deren Beschützer bereiten würden. Stattdessen waren sie mitten durch das Herz des Krieges geritten, durch die fruchtbaren Flusslande, die sich nach dem Wüten der Lennisters in eine schwarze Wüste verwandelt hatten, und jede Nacht kehrte ihre Vorhut mit Berichten zurück, bei denen sich ihr der Magen umdrehte. »Lord Renly ist ermordet worden«, fügte sie hinzu.

»Wir hatten gehofft, diese Geschichte wäre eine Lüge der Lennisters, oder …«

»Ich wollte, es wäre so. Hat mein Bruder den Befehl in Schnellwasser?«

»Ja, Mylady. Seine Gnaden hat Ser Edmure zurückgelassen, damit er Schnellwasser hält und ihm den Rücken deckt.«

Mögen ihm die Götter die nötige Kraft schenken, dachte Catelyn. Und auch die entsprechende Weisheit. »Gibt es Nachrichten aus dem Westen von Robb?«

»Habt Ihr es noch nicht gehört?« Der Mann schien überrascht. »Seine Gnaden haben einen großen Sieg bei Ochsenfurt errungen. Ser Steffert Lennister ist tot, sein Heer niedergeworfen. «

Ser Wendel Manderly jubelte vor Freude, doch Catelyn nickte nur. Die künftigen Prüfungen interessierten sie mehr als die Triumphe der Vergangenheit.

Martyn Strom hatte sein Lager in den Ruinen eines Bergfrieds errichtet, neben einem Stall ohne Dach und hundert frischen Gräbern. Als Catelyn abstieg, sank er auf ein Knie nieder. »Gut getroffen, Mylady. Euer Bruder hat uns aufgetragen, nach Euch Ausschau zu halten und Euch in aller Eile nach Schnellwasser zu geleiten, falls wir auf Euch stoßen.«

Catelyn durchfuhr ein Stich bei diesen Worten. »Wegen meines Vaters?«

»Nein, Mylady. Lord Hosters Zustand hat sich nicht verändert. « Strom hatte ein rosiges Gesicht, er ähnelte seinen Halbbrüdern nur wenig. »Wir haben lediglich gefürchtet, Ihr könntet womöglich von Vorreitern der Lennisters überrascht werden. Lord Tywin hat Harrenhal verlassen und marschiert mit seinem ganzen Heer nach Westen.«

»Erhebt Euch«, sagte sie zu Strom und runzelte die Stirn. Stannis Baratheon würde auch bald unterwegs sein, mochten die Götter ihnen allen helfen. »Wie viel Zeit bleibt uns, bis Lord Tywin eintrifft?«

»Drei Tage, vielleicht vier, schwer zu sagen. Wir haben überall entlang den Straßen Augen und Ohren postiert, aber es wäre besser, nicht zu verweilen.«

Das taten sie auch nicht. Strom brach rasch das Lager ab und sattelte sein Pferd, und bald ging es weiter, nun fast fünfzig Mann, die unter dem Schattenwolf, der springenden Forelle und den Zwillingstürmen ritten.

Ihre Männer wollten mehr über Robbs Sieg bei Ochsenfurt erfahren, und Strom erfüllte ihnen ihren Wunsch. »Nach Schnellwasser ist ein Sänger gekommen, Rymund der Reimer, und er hat ein Lied über die Schlacht verfasst. Heute Abend werdet Ihr es gewiss hören, Mylady. ›Wolf in der Nacht‹ nennt Rymund es.« Er fuhr fort zu berichten, wie der Rest von Ser Stefferts Heer sich nach Lennishort zurückgezogen hatte. Ohne Belagerungsmaschinen war es unmöglich, Casterlystein zu stürmen, und der Junge Wolf zahlte den Lennisters nun die Verwüstung der Flusslande heim. Die Lords Karstark und Glauer plünderten die Küste, Lady Mormont hatte tausende Rinder erbeutet und trieb sie nun nach Schnellwasser, derweil der Großjon die Goldminen in Castamaer, Nunns Tiefen und Pendrikhügel besetzt hatte. Ser Wendel lachte. »Nichts ist für einen Lennister ein größerer Schlag, als wenn man sein Gold bedroht.«

»Wie konnte der König am Zahn vorbeikommen?«, fragte Ser Perwyn Frey seinen Bastardbruder. »Die Festung ist stark und sichert die Bergstraße.«

»Er hat diese Straße gar nicht genommen. In der Nacht ist er um den Zahn herumgeschlichen. Der Schattenwolf, dieser Grauwind, hat ihm den Weg gezeigt. Das Tier hat einen Ziegenpfad entdeckt, der sich durch einen Hohlweg und über einen Bergkamm schlängelt, ein enger und steiniger Weg, gerade breit genug, um in Kolonne einzeln hintereinander herzureiten. Die Lennisters in ihren Wachtürmen haben Seine Gnaden überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.« Strom senkte die Stimme. »Manche behaupten, nach der Schlacht habe der König Steffert Lennister das Herz herausgeschnitten und an den Wolf verfüttert.«

»Solche Geschichten würde ich nicht glauben«, erwiderte Catelyn scharf. »Mein Sohn ist kein Barbar.«

»Wie Ihr meint, Mylady. Immerhin hätte es das Tier verdient gehabt. Das ist kein gewöhnlicher Wolf, bestimmt nicht. Vom Großjon hat man gehört, dass die alten Götter des Nordens Euren Kindern diese Schattenwölfe geschickt haben.«

Catelyn erinnerte sich an den Tag, an dem ihre Jungen die Welpen im Schnee des Spätsommers gefunden hatten. Es waren fünf gewesen, drei Rüden und zwei Hündinnen, für die ehelichen Kinder des Hauses Stark … und ein sechster mit weißem Pelz und roten Augen, für Neds Bastardsohn Jon. Keine gewöhnlichen Wölfe, dachte sie. Nein, bestimmt nicht.

Nachdem sie an diesem Abend das Lager aufgeschlagen hatten, suchte Brienne sie in ihrem Zelt auf. »Mylady, Ihr seid sicher wieder bei den Euren angelangt, einen Tagesritt vor der Burg Eures Bruders. Gebt mir die Erlaubnis, Euch zu verlassen.«

Catelyn hätte eigentlich nicht überrascht sein sollen. Die keineswegs hübsch zu nennende junge Frau hatte sich im Verlauf der Reise sehr zurückgezogen und sich meist mit den Pferden beschäftigt, sie gestriegelt und ihnen Steine aus den Hufen gekratzt. Sie hatte Shadd beim Kochen geholfen und auch Wild ausgenommen und sich zudem bald als gute Jägerin erwiesen. Jede Aufgabe, die Catelyn Brienne anvertraute, erledigte sie ordentlich und ohne zu murren, und sprach man sie an, antwortete sie höflich, doch niemals unterhielt sie sich, niemals weinte oder lachte sie. Tagsüber war sie mit ihnen geritten und hatte nachts bei ihnen geschlafen, dennoch war sie keine von ihnen geworden.

Genauso ist es ihr ergangen, als sie noch bei Renly war, schoss es Catelyn durch den Kopf. Beim Fest, beim Turnier, sogar in Renlys Pavillon mit ihren Brüdern von der Regenbogengarde. Die Mauern um sie herum sind höher als die von Winterfell.

»Wenn Ihr uns verlasst, wohin werdet Ihr gehen?«, fragte Catelyn sie.

»Zurück«, antwortete Brienne. »Nach Sturmkap.«

»Allein.« Das war keine Frage.

Das breite Gesicht war wie ein stilles Wasser, es gab mit keiner Miene preis, was in den Tiefen dahinter vor sich gehen mochte. »Ja.«

»Ihr beabsichtigt, Stannis zu töten.«

Brienne schloss die dicken schwieligen Finger um das Heft ihres Schwertes. Die Waffe hatte einst ihrem König gehört. »Ich habe einen Eid geschworen. Drei Mal. Ihr habt ihn bezeugt. «

»Ja«, räumte Catelyn ein. Das Mädchen hatte den Regenbogenmantel behalten, als sie den Rest ihrer blutbefleckten Kleider fortgeworfen hatte. Briennes Habseligkeiten waren bei der Flucht zurückgeblieben, und sie war gezwungen gewesen, sich mit Stücken aus Ser Wendels nicht eben umfangreicher Garderobe zu behelfen, da sonst niemand aus der Gesellschaft so große Kleidung trug wie sie. »Einen Eid muss man halten, dem stimme ich zu, aber Stannis hat ein großes Heer um sich versammelt, und eine eigene Leibwache, die geschworen hat, ihn zu beschützen.«

»Ich fürchte mich nicht vor seiner Leibwache. Ich bin so gut wie jeder von ihnen. Wäre ich nur nie geflohen!«

»Bekümmert es Euch, dass irgendein Narr Euch einen Feigling nennen könnte?« Sie seufzte. »Renlys Tod war nicht Eure Schuld. Ihr habt ihm tapfer gedient, doch damit, ihm ins Grab zu folgen, dient Ihr niemandem.« Sie streckte die Hand aus, um dem Mädchen so viel Trost zu geben, wie eine Berührung geben konnte. »Ich weiß, wie schwer es ist …«

Brienne schüttelte ihre Hand ab. »Das weiß niemand.«

»Ihr irrt Euch«, erwiderte Catelyn scharf. »Jeden Morgen, wenn ich erwache, erinnere ich mich daran, dass Ned nicht mehr da ist. Ich kann nicht mit einem Schwert umgehen, aber deshalb träume ich trotzdem davon, nach Königsmund zu reiten, meine Hände um Cersei Lennisters weißen Hals zu legen und zuzudrücken, bis ihr Gesicht blau wird.«

›Die Schöne‹ hob den Blick, und die Augen waren das Einzige an ihr, das tatsächlich schön war. »Wenn Ihr solche Träume habt, warum wollt Ihr mich dann zurückhalten? Wegen dem, was Stannis bei der Unterredung gesagt hat?«

Ist es wirklich deswegen? Catelyn ließ den Blick über das Lager schweifen. Zwei Wachen patrouillierten mit Speeren in der Hand. »Man hat mich gelehrt, dass gute Menschen das Böse in dieser Welt bekämpfen müssen, und Renlys Tod war zweifellos etwas Böses. Doch man brachte mir ebenfalls bei, dass die Götter Könige machen und nicht die Schwerter der Menschen. Falls Stannis unser rechtmäßiger König ist …«

»Das ist er nicht. Robert selbst war nicht der rechtmäßige König, das hat sogar Renly immer gesagt. Jaime Lennister hat den rechtmäßigen König ermordet, nachdem Robert seinen rechtmäßigen Erben am Trident erschlagen hatte. Wo waren die Götter damals? Die Götter scheren sich nicht um die Menschen, genauso wenig wie Könige um ihre Untertanen. «

»Ein guter König doch.«

»Lord Renly … Seine Gnaden, er … er wäre der beste König geworden, Mylady, er war so gut, er …«

»Er ist tot, Brienne«, sagte sie, so sanft es ihr möglich war. »Stannis und Joffrey sind noch am Leben … und auch mein Sohn.«

»Er würde doch nie … Ihr würdet doch nie Frieden mit Stannis schließen, nicht wahr? Das Knie beugen? Ihr würdet nicht …«

»Ich will Euch die Wahrheit sagen, Brienne. Ich weiß es nicht. Mein Sohn mag ein König sein, aber ich bin keine Königin … nur eine Mutter, die um die Sicherheit ihrer Kinder besorgt ist.«

»Zur Mutter bin ich nicht geschaffen. Ich muss kämpfen. «

»Dann kämpft … für die Lebenden, nicht für die Toten. Renlys Feinde sind auch Robbs Feinde.«

Brienne starrte auf den Boden und scharrte mit den Füßen. »Ich kenne Euren Sohn nicht, Mylady.« Sie blickte auf. »Euch könnte ich dienen. Wenn Ihr mich nehmen würdet.«

Catelyn erschrak. »Warum ich?«

Die Frage schien Brienne Unbehagen zu bereiten. »Ihr habt mir geholfen. In dem Pavillon … als sie glaubten, ich hätte … ich hätte …«

»Ihr wart unschuldig.«

»Trotzdem hättet Ihr das nicht zu tun brauchen. Ihr hättet zusehen können, wie sie mich töten. Was habe ich Euch schon bedeutet?«

Vielleicht wollte ich nur nicht die Einzige sein, die das dunkle Geheimnis dessen kennt, was dort geschehen ist, dachte Catelyn. »Brienne, ich habe im Laufe der Jahre viele hochgeborene Damen in meinen Diensten gehabt, jedoch nie jemanden wie Euch. Ich bin keine Heerführerin.«

»Nein, aber dennoch besitzt Ihr Mut. Wenn auch nicht den Mut, den die Schlacht erfordert … ich weiß nicht … eher eine Art weiblichen Mut. Und ich glaube, wenn die Zeit gekommen ist, werdet Ihr mich nicht zurückhalten. Versprecht mir das. Dass Ihr mich nicht von Stannis zurückhalten werdet.«

Noch immer hatte Catelyn Stannis’ Worte im Ohr, auch Robb würde eines Tages an die Reihe kommen. Sie waren wie ein kalter Atemhauch in ihrem Nacken. »Wenn die Zeit kommt, werde ich Euch nicht zurückhalten.«

Das hochgewachsene Mädchen kniete unbeholfen nieder, zog Renlys Langschwert aus der Scheide und legte es Catelyn zu Füßen. »Dann gehöre ich Euch, Mylady. Ich bin Euer Gefolgsmann … oder was immer Ihr wünscht. Ich schütze Euren Rücken und beherzige Euren Rat und werde mein Leben für das Eure geben, wenn es erforderlich sein wird. Das schwöre ich bei den alten und den neuen Göttern.«

»Und ich schwöre, dass ich Euch stets einen Platz an meinem Feuer und Fleisch und Met an meinem Tisch gewähren werde, und ich verspreche Euch, keine Dienste von Euch zu verlangen, die für Euch unehrenhaft wären. Ich schwöre es bei den alten und den neuen Göttern. Erhebt Euch.« Während sie die Hände der anderen Frau mit den eigenen umfasste, musste Catelyn lächeln. Wie oft habe ich Ned zugeschaut, wenn er den Diensteid eines Lehnsmannes entgegennahm? Was er wohl sagen würde, wenn er sie jetzt sehen könnte?

Am nächsten Tag fanden sie eine Furt durch den Roten Arm, oberhalb von Schnellwasser, wo der Fluss eine große Schleife machte und das Wasser schlammig und seicht wurde. Der Übergang wurde von einer Truppe Bogenschützen und Pikenträgern bewacht, die das Adlerwappen der Mallisters trugen. Als sie Catelyns Banner erkannten, kamen sie hinter ihren Palisaden hervor und schickten einen Mann hinüber, der sie auf die andere Seite führte. »Langsam und vorsichtig, bitte, Mylady«, warnte er, während er ihr Pferd am Zaum nahm. »Wir haben Eisenspitzen unter Wasser angebracht und auch Fußangeln da drüben bei den Felsen verteilt. Auf Befehl Eures Bruders wurde an allen Furten so verfahren. «

Edmure hat vor, hier zu kämpfen. Bei dieser Erkenntnis wurde ihr flau im Magen, doch sie schwieg.

Zwischen dem Roten Arm und dem Trommelstein stießen sie auf einen Strom von Menschen, die nach Schnellwasser unterwegs waren, um sich in Sicherheit zu bringen. Manche trieben Tiere vor sich her, andere zogen Karren, doch alle machten den Weg frei, wenn Catelyn vorbeiritt, und jubelten ihr mit lauten Rufen wie »Tully!« oder »Stark!« zu. Eine halbe Meile vor der Burg durchquerten sie ein großes Heerlager, wo das scharlachrote Banner der Schwarzhains über dem Zelt des Lords wehte. Lucas verabschiedete sich hier und begab sich auf die Suche nach seinem Vater, Lord Tytos. Der Rest ritt weiter.

Catelyn entdeckte am Nordufer des Trommelsteins ein zweites Lager, wo ebenfalls vertraute Banner im Winde knatterten – Marq Peipers tanzende Jungfrau, Darrys Pflüger, die verschlungenen rot-weißen Schlangen der Paeges. Sie alle waren Gefolgsleute ihres Vaters, Lords vom Trident. Die meisten hatten Schnellwasser vor ihr verlassen, um ihre eigenen Ländereien zu verteidigen. Wenn sie nun wieder hier waren, konnte dies nur bedeuten, dass Edmure sie gerufen hatte. Mögen die Götter uns schützen, es stimmt, er will gegen Lord Tywin in die Schlacht ziehen.

Etwas Dunkles baumelte von den Mauern der Burg. Als Catelyn näher kam, erkannte sie tote Männer, die an Hanfseilen um den Hals und mit geschwollenen blauen Gesichtern von den Zinnen hingen. Die Krähen waren über sie hergefallen, doch ihre roten Umhänge hoben sich noch leuchtend vom Sandstein ab.

»Sie haben ein paar Lennisters aufgeknüpft«, merkte Hal Mollen an.

»Ein hübscher Anblick«, sagte Ser Wendel Manderly fröhlich.

»Unsere Freunde haben ohne uns angefangen«, scherzte Perwyn Frey. Die anderen lachten, nur Brienne nicht, die zu den aufgereihten Leichen hinaufschaute und keine Miene verzog, nicht lächelte und nichts sagte.

Wenn sie den Königsmörder umgebracht haben, sind meine Töchter auch bereits tot. Catelyn trieb ihr Pferd zum Galopp an. Hal Mollen und Robin Flint jagten an ihr vorbei und riefen den Wachen im Torhaus Grüße zu. Die Männer auf den Mauern hatten ihre Banner zweifellos bereits vor einiger Zeit erspäht, denn das Fallgitter war hochgezogen.

Edmure ritt ihr aus der Burg entgegen und wurde von drei Lehnsmännern seines Vaters begleitet – von Waffenmeister Ser Desmond Grell mit dem dicken Bauch, Haushofmeister Utherydes Wayn und Ser Robin Ryger, dem kahlen Hauptmann der Wache. Alle drei waren im gleichen Alter wie Lord Hoster, und alle drei hatten ihr Leben dem Dienst für ihren Vater gewidmet. Alte Männer, schoss es Catelyn durch den Sinn.

Edmure trug einen blauroten Mantel über seinem Gewand, das mit einem silbernen Fisch bestickt war. Anscheinend hatte er sich nicht mehr rasiert, seit sie nach Süden aufgebrochen war; sein buschiger Bart leuchtete lodernd rot. »Cat, wie schön, dass du sicher heimgekehrt bist. Als wir von Renlys Tod hörten, haben wir um dein Leben gefürchtet. Und Lord Tywin hat sich ebenfalls in Marsch gesetzt.«

»Das wurde mir berichtet. Wie geht es unserem Vater?«

»Mal scheint er an Kraft zu gewinnen, am nächsten Tag …« Er schüttelte den Kopf. »Doch er hat nach dir gefragt. Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte.«

»Ich werde ihn bald besuchen«, versprach sie. »Sind seit Renlys Tod Nachrichten aus Sturmkap eingetroffen? Oder aus Bitterbrück?« Wenn man auf der Straße unterwegs war, erreichten einen keine Raben, und Catelyn wollte unbedingt wissen, was sich hinter ihr ereignet hatte.

»Aus Bitterbrück keine. Aber drei Vögel vom Kastellan Ser Cortnay Fünfrosen aus Sturmkap, alle mit der gleichen Bitte. Stannis hat ihn zu Lande und zu See umzingelt. Er bietet jedem König, der die Belagerung beendet, die Treue an, weil er um das Leben des Jungen fürchtet. Welchen Jungen könnte er meinen?«

»Edric Sturm«, erklärte Brienne. »Roberts Bastardsohn.«

Edmure blickte sie neugierig an. »Stannis hat der Besatzung der Burg freies Geleit zugesichert, falls sie die Festung innerhalb von zwei Wochen übergeben und ihm den Jungen aushändigen, aber Ser Cortnay lässt sich nicht darauf ein.«

Er riskiert alles für einen unehelichen Jungen, der noch nicht einmal von seinem Blut ist. »Hast du ihm eine Antwort geschickt? «

Daraufhin schüttelte Edmure den Kopf. »Warum auch? Wir können ihm weder Hilfe zusagen noch Hoffnung machen. Und Stannis ist nicht unser Feind.«

Ser Robin Ryger ergriff das Wort. »Mylady, könnt Ihr uns über die Umstände von Renlys Tod aufklären? Die Geschichten klangen höchst eigentümlich.«

»Cat«, sagte ihr Bruder, »mancher behauptet, du hättest Renly umgebracht. Andere meinen, es sei die Frau aus dem Süden gewesen.« Sein Blick blieb auf Brienne haften.

»Mein König wurde ermordet«, antwortete das Mädchen leise, »und nicht von Lady Catelyn. Das schwöre ich bei meinem Schwert und bei den alten und neuen Göttern.«

»Dies ist Brienne von Tarth, die Tochter von Lord Selwyn dem Abendstern, die in Renlys Regenbogengarde gedient hat«, stellte Catelyn die junge Frau vor. »Brienne, ich habe die Ehre, Euch mit meinem Bruder Ser Edmure Tully, dem Erben von Schnellwasser, bekannt zu machen. Sein Haushofmeister Utherydes Wayn. Ser Robin Ryger und Ser Desmond Grell.«

»Die Ehre ist ganz meinerseits«, sagte Ser Desmond. Die anderen antworteten das Gleiche. Schon bei dieser gewöhnlichen Höflichkeit errötete das Mädchen vor Verlegenheit. Falls Edmure sie für eine eigenartige Art von Dame hielt, so hatte er immerhin den Anstand, dies nicht auszusprechen.

»Brienne war bei Renly, als er getötet wurde, und ich ebenso«, sagte Catelyn, »aber wir waren nicht an seinem Tod beteiligt. « Sie wagte nicht, von dem Schatten zu erzählen, hier vor all den Männern, daher zeigte sie auf die Leichen. »Wer sind diese Leute?«

Edmure blickte verdrießlich nach oben. »Sie sind mit Ser Cleos gekommen, als er die Antwort auf unser Friedensangebot an die Königin überbrachte.«

Catelyn war schockiert. »Ihr habt Gesandte getötet?«

»Falsche Gesandte«, erklärte Edmure. »Sie haben gelobt, den Frieden zu halten und übergaben uns ihre Waffen, also habe ich ihnen Zutritt zur Burg gewährt, und drei Abende lang haben sie mein Fleisch gegessen und meinen Met getrunken, während ich mich mit Ser Cleos besprochen habe. Am vierten Abend versuchten sie, den Königsmörder zu befreien. « Er zeigte hinauf. »Der Große da hat zwei Wachen mit seinen bloßen Pranken umgebracht, sie an der Kehle gepackt und ihre Köpfe zusammengeschlagen, während der magere Kerl neben ihm Lennisters Zelle mit einem Stück Draht öffnete, mögen die Götter ihn verdammen. Der da am Ende war ein verfluchter Schauspieler. Er hat seine Stimme verstellt, sodass sie wie meine klang, und befohlen, das Flusstor zu öffnen. Die Wachen beschwören es, Enger und Delp und der Lange Leo, alle drei. Wenn du mich fragst, hat sich der Mann überhaupt nicht angehört wie ich, und trotzdem haben die drei Dummköpfe das Fallgitter hochgezogen.«

Das war das Werk des Gnoms, vermutete Catelyn; es roch nach genau jener Art von Hinterlist, die er bereits auf der Ehr an den Tag gelegt hatte. Einst hätte sie Tyrion als das am wenigsten gefährliche Familienmitglied der Lennisters bezeichnet. Heute war sie sich dessen nicht mehr so sicher. »Wie hast du sie dann erwischt?«

»Ach, zufällig befand ich mich gerade nicht in der Burg. Ich hatte den Trommelstein überquert, um … äh …«

»Entweder warst du bei einer Hure oder einer Magd. Fahr fort.«

Edmures Wangen flammten auf und nahmen das Rot seines Bartes an. »Es war ungefähr eine Stunde vor dem Morgengrauen, und ich kam gerade zurück. Als der Lange Leo mein Boot sah und mich erkannte, kam er schließlich doch noch auf die Idee, sich zu fragen, wer denn wohl da unten im Hof stand und Befehle brüllte. Daraufhin hat er Alarm geschlagen.«

»Sag mir, dass der Königsmörder wieder gefangen wurde.«

»Ja, und das war nicht ganz so einfach. Jaime hat ein Schwert in die Hand bekommen und Paul Pimfurt und Ser Desmonds Knappen Myl erschlagen, und Delp so schwer verwundet, dass Maester Vyman um sein Leben fürchtet. Es war eine ziemlich blutige Angelegenheit. Als sie das Klirren des Stahls gehört haben, gesellten sich ein paar der anderen Rotröcke zu ihm, wenn auch ohne Waffen. Die habe ich neben die vier gehängt, die ihn befreit haben, und den Rest in den Kerker geworfen. Jaime ebenfalls. Der wird jedenfalls nicht noch einmal fliehen. Diesmal sitzt er im tiefsten Verlies und ist mit Händen und Füßen an die Wand gekettet.«

»Und Cleos Frey?«

»Er schwört, von dem Komplott nichts gewusst zu haben. Wer weiß? Der Mann ist ein halber Lennister, ein halber Frey und ein ganzer Lügner. Ich habe ihm Jaimes alte Zelle im Turm gegeben.«

»Du hast gesagt, er habe Bedingungen für einen Frieden gebracht?«

»Falls man es so nennen darf. Dir werden sie nicht besser gefallen als mir, das verspreche ich dir.«

»Können wir auf Hilfe aus dem Süden hoffen, Lady Stark?«, fragte Utherydes Wayn, der Haushofmeister ihres Vaters. »Dieser Vorwurf des Inzests … Lord Tywin nimmt solche Herabsetzungen nicht auf die leichte Schulter. Er wird alles tun, um den Namen seiner Tochter von diesem Makel reinzuwaschen, und zwar mit dem Blut des Anklägers. Lord Stannis muss das begreifen. Er hat keine andere Wahl, als sich mit uns zu verbünden.«

Stannis hat sich mit einer größeren und dunkleren Macht als uns verbündet. »Besprechen wir diese Angelegenheit später. « Catelyn trieb ihr Pferd im Trab über die Zugbrücke und ließ die grausige Reihe der toten Lennisters hinter sich. Ihr Bruder blieb an ihrer Seite. Als sie in den oberen Hof von Schnellwasser einritten, rannte ihr ein nacktes Kleinkind vors Pferd. Catelyn riss an den Zügeln, um ihm auszuweichen, und blickte sich bestürzt um. Hunderten von Bauern und Pächtern war Zutritt zur Burg gewährt worden, und sie hatten einfache Hütten entlang der Mauer errichtet. Die Kinder liefen überall herum, und der Hof war voller Kühe, Schafe und Hühner. »Was ist das für Volk?«

»Mein Volk«, antwortete Edmure. »Sie haben Angst.«

Nur mein süßer Bruder würde all diese nutzlosen Mäuler in einer Burg unterbringen, die in Kürze unter Belagerung stehen könnte. Catelyn wusste, dass Edmure ein weiches Herz hatte; manchmal jedoch hatte sie den Eindruck, sein Kopf sei noch weicher. Dafür liebte sie ihn zwar, nichtsdestotrotz …

»Kann man Robb durch einen Raben erreichen?«

»Er ist im Felde, Mylady«, antwortete Ser Desmond. »Der Vogel würde ihn nicht finden.«

Utherydes hüstelte. »Ehe er aufbrach, hat der junge König uns aufgetragen, Euch bei Eurer Rückkehr zu den Zwillingen zu schicken, Lady Stark. Er lässt Euch bitten, mehr über Lord Walders Töchter in Erfahrung zu bringen, damit Ihr ihm bei der Wahl seiner Braut helfen könnt, wenn die Zeit gekommen ist.«

»Wir werden dir natürlich frische Pferde und Proviant geben«, versprach ihr Bruder. »Und gewiss willst du dich zuvor erfrischen.«

»Ich werde hierbleiben«, sagte Catelyn und stieg ab. Sie trug sich nicht mit der Absicht, Schnellwasser und ihren sterbenden Vater zu verlassen, um für Robb eine Braut zu suchen. Robb will mich in Sicherheit wissen, das kann ich ihm nicht verdenken, aber sein Vorwand wird langsam ein wenig fadenscheinig. »Bursche«, rief sie, und ein Bediensteter aus dem Stall lief herbei und nahm ihr die Zügel ihres Pferdes ab.

Edmure schwang sich aus dem Sattel. Er war einen Kopf größer als sie, trotzdem würde er stets ihr kleiner Bruder sein. »Cat«, sagte er unglücklich. »Lord Tywin ist im Anmarsch …«

»Er ist auf dem Weg nach Westen, wo er sein eigenes Land verteidigen will. Wenn wir die Tore schließen und uns hinter diesen Mauern verschanzen, können wir ihm beim Vorbeiziehen zuschauen.«

»Dieses Land gehört den Tullys«, erklärte Edmure. »Falls Tywin Lennister glaubt, es ohne Blutvergießen durchqueren zu können, so beabsichtige ich, ihm eine Lektion zu erteilen.«

Die gleiche Lektion, die du seinem Sohn erteilt hast? Ihr Bruder konnte so stur sein wie ein Felsen im Fluss, wenn es um seinen Stolz ging, doch keiner von beiden hatte vergessen, wie Ser Jaime damals Edmures Heer in blutige Stücke gerissen hatte, als sie das letzte Mal in der Schlacht aufeinandergestoßen waren. »Wir haben nichts zu gewinnen und alles zu verlieren, wenn wir gegen Lord Tywin in die Schlacht ziehen«, sagte Catelyn taktvoll.

»Der Hof ist nicht der rechte Ort, meine Kriegspläne zu besprechen.«

»Wie du wünschst. Wohin sollen wir also gehen?«

Die Miene ihres Bruders verdüsterte sich. Einen Augenblick lang fürchtete sie, er würde die Beherrschung verlieren, doch schließlich knurrte er nur: »In den Götterhain. Wenn du darauf bestehst.«

Sie folgte ihm über die Galerie zum Tor des Götterhains. Edmure hatte schon immer gern geschmollt. Catelyn tat es leid, dass sie ihn verletzt hatte, aber die Angelegenheit war zu wichtig, um dabei Rücksicht auf seinen Stolz zu nehmen. Dann waren sie unter den Bäumen allein, und Edmure wandte sich ihr zu.

»Du hast nicht genug Männer, um gegen die Lennisters zu ziehen«, sagte sie frei heraus.

»Wenn ich alle meine Soldaten zusammenziehe, werden es achttausend Fußsoldaten und dreitausend Reiter sein«, entgegnete Edmure.

»Somit hätte Lord Tywin fast die doppelte Anzahl.«

»Robb hat seine Schlachten schon gegen eine größere Übermacht gewonnen«, gab Edmure zurück. »Und ich habe einen Plan. Du hast Roose Bolton vergessen. Lord Tywin hat ihn am Grünen Arm besiegt, ihn jedoch nicht weiter verfolgt. Als Lord Tywin nach Harrenhal gegangen ist, hat Bolton die Furt durch den Roten Arm genommen und ist bis zur Kreuzung gezogen. Er hat zehntausend Mann. Ich habe Helman Tallhart benachrichtigt, dass er sich mit der Truppe bei ihm einfinden soll, die Robb bei den Zwillingen zurückgelassen hat …«

»Edmure, Robb hat diese Männer bei den Zwillingen gelassen, damit sie die Stellung halten und dafür sorgen, dass Lord Walder uns nicht im Stich lässt.«

»Das hat er nicht getan«, sagte Edmure stur. »Die Freys haben tapfer im Wisperwald gekämpft, und der alte Ser Stevron ist bei Ochsenfurt gefallen, wie wir hörten. Ser Ryman und der Schwarze Walder und der Rest sind mit Robb nach Westen gezogen, Martyn hat gute Dienste als Kundschafter geleistet, und Ser Perwyn hat dich sicher zu Renly begleitet. Bei den guten Göttern, wie viel mehr können wir noch von ihnen verlangen? Robb ist mit einer der Töchter von Lord Walder verlobt, und Roose Bolton hat eine weitere geheiratet, erzählt man sich. Und hast du nicht zwei seiner Enkel als Mündel nach Winterfell geholt?«

»Ein Mündel wird leicht zur Geisel.« Von Ser Stevrons Tod und Boltons Heirat hatte sie noch nichts gewusst.

»Wenn wir zwei Geiseln haben, wird Lord Walder erst recht nicht wagen, ein falsches Spiel mit uns zu treiben. Bolton braucht die Männer der Freys und Ser Helmans ebenfalls. Ich habe ihm befohlen, Harrenhal zurückzuerobern.«

»Das wird eine blutige Unternehmung werden.«

»Ja, aber nachdem die Burg gefallen ist, wird Lord Tywin keine sichere Zuflucht mehr haben. Meine eigenen Truppen werden die Furten des Roten Arms gegen ihn verteidigen und ihm so das Überqueren unmöglich machen. Falls er über den Fluss hinweg angreifen will, wird er so enden wie Rhaegar, als er den Trident überqueren wollte. Hält er sich jedoch zurück, sitzt er zwischen Schnellwasser und Harrenhal fest, und wenn Robb aus dem Westen zurückkommt, können wir ihn ein für alle Mal besiegen.«

Ihr Bruder steckte so erschreckend voller Zuversicht, doch Catelyn wünschte plötzlich, Robb hätte ihren Onkel Brynden nicht mit nach Westen genommen. Der Schwarzfisch war ein Veteran, der bereits ein halbes Hundert Schlachten hinter sich hatte; Edmure hingegen hatte erst eine erlebt, und die hatte er verloren.

»Der Plan ist gut«, schloss er. »Lord Tytos meint das ebenfalls und Lord Jonos auch. Und wann haben Schwarzhain und Bracken einander je zugestimmt, frage ich dich?«

»Sei es, wie es will.« Mit einem Mal fühlte sie sich sehr müde. Vielleicht hatte sie nicht das Recht, ihm zu widersprechen. Möglicherweise war es ein hervorragender Plan, und ihre Bedenken lediglich weibliche Furcht. Wenn doch nur Ned hier wäre oder ihr Onkel Brynden oder … »Hast du Vater nach seiner Meinung gefragt?«

»Vaters Zustand erlaubt es ihm nicht, Strategien zu beurteilen. Vor zwei Tagen hat er beschlossen, dich mit Brandon Stark zu vermählen! Besuch ihn selbst, wenn du mir nicht glaubst. Mein Plan wird trotzdem gelingen, Cat, du wirst es schon sehen.«

»Das hoffe ich, Edmure. Ganz bestimmt hoffe ich das.« Sie küsste ihn auf die Wange, damit er wusste, dass sie es auch meinte, dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Vater.

Lord Hoster Tully befand sich noch immer in dem gleichen Zimmer, in dem sie ihn beim letzten Mal verlassen hatte – hager, bleich und mit schweißfeuchter Haut lag er im Bett. Es roch nach Krankheit, ein schwerer Geruch nach abgestandenem Schweiß und Medizin. Als sie die Vorhänge zurückzog, stöhnte ihr Vater leise und schlug die Augen auf. Seine Lider flatterten. Er starrte sie an und schien nicht zu begreifen, wer sie war oder was sie wollte.

»Vater.« Sie küsste ihn. »Ich bin zurück.«

Jetzt erkannte er sie offenbar. »Du bist gekommen«, flüsterte er schwach, und seine Lippen bewegten sich kaum.

»Ja«, antwortete sie. »Robb hat mich nach Süden geschickt, aber ich bin so schnell wie möglich zurückgekehrt.«

»Nach Süden … wo … Liegt die Ehr im Süden, Liebes? Ich erinnere mich nicht … oh, teures Kind, ich hatte Angst … Hast du mir vergeben, Kind?« Tränen rannen ihm über die Wangen.

»Ihr habt nichts getan, was ich Euch vergeben müsste, Vater. « Sie strich ihm über das schlaffe weiße Haar und fühlte seine Stirn. Trotz der Tränke des Maesters glühte er immer noch vom Fieber.

»Es war das Beste«, flüsterte ihr Vater. »Jon ist ein guter Mann, gut … stark, freundlich … Er wird für dich sorgen … das wird er … und hochgeboren, hör auf mich, das musst du, ich bin dein Vater … dein Vater … Du wirst ihn ehelichen, wenn sich Cat ebenfalls vermählt, ja, das wirst du …«

Er hält mich für Lysa, erkannte Catelyn. Bei den guten Göttern, er redet, als wären wir beide noch nicht verheiratet.

Ihr Vater umklammerte mit zitternden Händen die ihren. »Dieses Jüngelchen … elender Bursche … sprich seinen Namen nicht in meiner Gegenwart aus … deine Pflicht … deine Mutter, sie würde …« Lord Hoster schrie, während er sich vor Schmerz wand. »Oh, Götter, vergebt mir, vergebt mir, vergebt mir. Meine Medizin …«

Und dann war Maester Vyman da und hielt ihm einen Becher an die Lippen. Lord Hoster sog an dem dicken weißen Trunk wie ein Säugling an der Mutterbrust, und danach breitete sich wieder Frieden auf seinen Zügen aus. »Er wird jetzt schlafen, Mylady«, sagte der Maester, nachdem der Becher geleert war. Der Mohnblumensaft hatte einen weißen Film um den Mund ihres Vaters hinterlassen. Maester Vyman wischte ihn mit dem Ärmel ab.

Catelyn konnte nicht länger zuschauen. Hoster Tully war ein starker Mann gewesen, ein stolzer Mann. Es schmerzte sie, ihn nun so zu sehen. Sie ging hinaus auf die Terrasse. Der Hof unten war von Flüchtlingen bevölkert, Lärm schallte herauf, doch jenseits der Mauern flossen die Flüsse still und rein und endlos dahin. Dies sind seine Flüsse, und bald wird er zur letzten Reise zu ihnen zurückkehren.

Maester Vyman war ihr nach draußen gefolgt. »Mylady«, sagte er leise, »ich kann das Ende nicht viel länger hinauszögern. Wir sollten einen Reiter zu seinem Bruder schicken. Ser Brynden würde bestimmt gern hier sein.«

»Ja«, erwiderte Catelyn mit belegter Stimme.

»Und Lady Lysa möglicherweise auch.«

»Lysa wird nicht kommen.«

»Wenn Ihr vielleicht persönlich schreiben würdet …«

»Wenn Ihr wollt, werde ich ihr ein paar Zeilen schreiben, gewiss.« Sie fragte sich, wer wohl Lysas »elendes Jüngelchen« gewesen war. Ein junger Knappe oder ein Ritter von niederem Stand … obwohl, bei der Vehemenz, die Lord Hosters Worte ausgedrückt hatten, konnte es sich auch um den Sohn eine Kaufmanns oder einen Handwerkslehrling handeln, vielleicht sogar um einen Sänger. Lysa hat stets eine Vorliebe für Sänger gehabt. Da kann ich ihr keinen Vorwurf machen. Jon Arryn war zwanzig Jahre älter als unser Vater, ganz gleich, von welch edler Geburt er war.

Der Turm, den ihr Bruder ihr als Quartier überlassen hatte, war der gleiche, in dem sie und Lysa als Mädchen gewohnt hatten. Es würde ihr gut tun, wieder unter einem Federbett zu schlafen, wieder ein warmes Feuer im Kamin zu haben; nachdem sie sich ausgeruht hätte, würde ihr die Welt auch nicht mehr so trostlos erscheinen.

Doch vor ihren Gemächern wartete Utherydes Wayn mit zwei Frauen in grauen Gewändern, deren Gesichter bis auf die Augen verhüllt waren. Catelyn wusste sofort, aus welchem Grund sie hier waren. »Ned?«

Die Schwestern senkten den Blick. Utherydes sagte: »Ser Cleos hat ihn von Königsmund mitgebracht, Mylady.«

»Führt mich zu ihm«, befahl sie.

Sie hatten ihn auf einem Tisch aufgebahrt und mit einem Banner bedeckt, dem weißen Banner des Hauses Stark mit seinem grauen Schattenwolf. »Ich möchte ihn sehen«, verlangte Catelyn.

»Es sind nur die Gebeine geblieben, Mylady.«

»Ich möchte ihn trotzdem sehen«, wiederholte sie.

Eine der Schweigenden Schwestern zog das Banner herunter.

Knochen, dachte Catelyn. Das ist nicht Ned, das ist nicht der Mann, den ich geliebt habe, der Vater meiner Kinder. Die Hände waren über der Brust gefaltet, die Knochenfinger um den Griff eines Langschwerts geschlungen, doch es waren nicht Neds Hände, die so stark und voller Leben gewesen waren. Sie hatten das Skelett in Neds Überwurf gehüllt, in den feinen weißen Samt mit dem Schattenwolf über dem Herzen, doch von dem warmen Fleisch, auf dem ihr Kopf so oft geruht hatte, von den Armen, die sie gehalten hatten, war nichts geblieben. Der Kopf war mit einem feinen Silberdraht wieder am Hals befestigt worden, doch ein Schädel sah aus wie der andere, und in den leeren Höhlen fand sie keine Spur mehr von den dunkelgrauen Augen ihres Lords, diesen Augen, die weich wie Nebel und hart wie Stein sein konnten. Die Augen haben sie den Krähen gegeben, erinnerte sie sich.

Catelyn wandte sich ab. »Das ist nicht sein Schwert.«

»Eis wurde uns nicht übergeben, Mylady«, sagte Utherydes. »Nur Lord Eddards Gebeine.«

»Ich nehme an, selbst dafür muss ich der Königin dankbar sein.«

»Dankt dem Gnom, Mylady. Es war sein Werk.«

Eines Tages werde ich ihnen allen danken. »Ich bin dankbar für Eure Dienste, Schwestern«, sagte Catelyn, »leider jedoch muss ich Euch eine weitere Aufgabe auferlegen. Lord Eddard war ein Stark, und seine Gebeine müssen unter Winterfell bestattet werden.« Sie werden eine Statue von ihm anfertigen, ein steinernes Abbild, das mit einem Schattenwolf zu Füßen und einem Schwert über den Knien in der Dunkelheit sitzen wird. »Utherydes, beschafft den Schwestern frische Pferde und alles Weitere, was sie für die Reise brauchen«, trug sie dem Haushofmeister auf. »Hal Mollen wird sie nach Winterfell geleiten. Das ist seine Aufgabe als Hauptmann der Wache.« Sie warf einen Blick auf die Knochen, die alles waren, was von ihrem Lord und ihrer Liebe geblieben war. »Jetzt verlasst mich bitte. Ich möchte heute Nacht mit Ned allein sein.«

Die Frauen in Grau neigten die Köpfe. Die Schweigenden Schwestern sprechen nicht mit den Lebenden, erinnerte sich Catelyn dumpf, aber mancher behauptet, sie könnten mit den Toten reden. Wie sie die Schwestern darum beneidete …

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