DAVOS

Die Schwarzwasser-Bucht war rau und aufgewühlt, überall sah man weiße Wellenkämme. Die Schwarze Betha ritt auf der Flut heran, ihre Segel knatterten und knallten bei jedem noch so leisen Drehen des Windes. Die Gespenst und die Lady Marya segelten neben ihr, kaum zwanzig Meter entfernt. Seine Söhne verstanden ihr Handwerk. Das erfüllte Davos mit Stolz.

Über das Meer hinweg dröhnten Schlachthörner, ein tiefes, kehliges Stöhnen wie von einer Riesenschlange, das auf jedem Schiff wiederholt wurde. »Holt die Segel ein«, befahl Davos. »Legt den Mast um. Die Ruderer auf ihre Plätze.« Sein Sohn Matthos gab die Befehle weiter. Auf dem Deck der Schwarzen Betha herrschte ein ungewöhnliches Durcheinander, während die Mannschaft ihre Arbeit tat und sich zwischen den Soldaten hindurchdrängeln musste, die immer im Weg standen, ganz gleich, wo sie Platz gefunden hatten. Ser Imry hatte entschieden, dass sie nur mit den Ruderern in den Fluss einfahren würden, damit sie die Segel nicht den Skorpionen und Feuerspuckern auf den Mauern von Königsmund aussetzen mussten.

Davos erblickte die Zorn im Südosten. Ihre Segel glänzten golden, während sie eingeholt wurden, und der gekrönte Hirsch der Baratheons leuchtete auf der Leinwand. Von ihrem Deck aus hatte Stannis Baratheon vor sechzehn Jahren den Angriff auf Drachenstein befehligt; diesmal jedoch hatte er sich entschieden, bei seiner Armee zu bleiben und die Zorn und damit den Befehl über seine Flotte in die Hände seines Schwagers Ser Imry zu legen, der zusammen mit Lord Alester und den anderen Florents bei Sturmkap zu Stannis übergelaufen war.

Davos kannte die Zorn ebenso gut wie sein eigenes Schiff. Über ihren dreihundert Rudern befand sich ein Zwischendeck, das nur für Skorpione gedacht war, und auf dem Oberdeck standen an Heck und Bug Katapulte, die ganze Fässer mit brennendem Pech verschießen konnten. Es war ein prächtiges Schiff und sehr schnell dazu, obwohl Ser Imry es vom Bug bis zum Heck mit gepanzerten Rittern und Bewaffneten vollgestopft hatte, was zu Lasten der Geschwindigkeit ging.

Die Schlachthörner ertönten abermals, und wieder kamen Befehle von der Zorn. Davos spürte, wie seine fehlenden Fingerspitzen kribbelten. »Die Ruder raus«, schrie er. »Bildet eine Reihe.« Hundert Ruder tauchten ins Wasser, als die Trommel zu dröhnen begann. Ihr Klang erinnerte an einen langsamen Herzschlag, und die hundert Ruder bewegten sich bei jedem Schlag wie von einem einzigen Mann gezogen.

Hölzerne Flügel waren auch der Zorn und der Lady Marya gewachsen. Die drei Galeeren behielten ihre Geschwindigkeit bei, während die Ruder das Wasser aufwühlten. »Langsamer«, rief Davos. Lord Velaryons Stolz von Driftmark mit dem silbernen Rumpf hatte sich auf der Backbordseite der Zorn in Position gebracht, und die Lautes Lachen kam rasch heran, wohingegen die Schreckschraube gerade erst die Ruder ausbrachte und die Seepferdchen noch mit dem Mast kämpfte. Davos blickte nach achtern. Ja, dort, weit im Süden, das konnte nur die Schwertfisch sein, die wie immer hinterhertrödelte. Zweihundert Ruder wurden von ihr ins Wasser getaucht und trieben die größte Ramme der ganzen Flotte an, obwohl Davos an den Fähigkeiten ihres Kapitäns zweifelte.

Die Soldaten riefen sich übers Wasser Ermutigungen zu. Seit Sturmkap waren sie hauptsächlich Ballast gewesen, und jetzt warteten sie ungeduldig und siegesgewiss darauf, dem Feind entgegenzutreten. In dieser Hinsicht stimmten sie mit ihrem Admiral überein, dem Lord Hoch-Kapitän Ser Imry Florent.

Vor drei Tagen hatte er seine Kapitäne zum Kriegsrat an Bord der Zorn geholt, als die Flotte an der Mündung des Wendwassers vor Anker lag, um sie mit seinen Plänen vertraut zu machen. Davos und seinen Söhnen war ein Platz in der zweiten Schlachtreihe zugewiesen worden, weit draußen auf dem gefährlichen Steuerbordflügel. »Ein Ehrenplatz«, hatte Allard verkündet und war sehr zufrieden damit, dass er seinen Mut beweisen konnte. »Ein gefährlicher Platz«, hatte sein Vater erwidert. Seine Söhne hatten ihn nur mitleidig angeblickt, sogar der junge Maric. Der Zwiebelritter ist ein altes Weib geworden, hörte er ihre Gedanken geradezu, und im Herzen ist er noch immer ein Schmuggler.

Nun, das stimmte durchaus, und er würde sich dafür nicht entschuldigen. Seewert hatte sicherlich einen herrschaftlichen Klang, doch tief im Innersten war er noch immer Davos aus Flohloch, der in seine Stadt auf den drei hohen Hügeln heimkehrte. Er wusste über Schiffe und Segel und Küsten so viel wie jeder andere in den Sieben Königslanden, und er hatte oft genug verzweifelte Zweikämpfe mit dem Schwert auf feuchten Decks ausgetragen. In diese Art von Schlacht jedoch zog er wie eine Jungfrau, nervös und ängstlich. Schmuggler lassen keine Schlachthörner erschallen und hissen keine Banner. Wenn sie Gefahr wittern, setzen sie die Segel und fliehen vor dem Wind.

Wäre er Admiral gewesen, hätte er vermutlich alles anders gemacht. Zum Beispiel hätte er ein paar der schnellsten Schiffe flussaufwärts vorausgesandt, um herauszufinden, was sie dort erwartete, anstatt blindlings vorzupreschen. Als er dies Ser Imry vorgeschlagen hatte, hatte ihm der Lord Hoch-Kapitän höflich gedankt, sein Blick hingegen war gar nicht freundlich gewesen. Wer ist dieser Feigling von niederer Geburt?, schienen seine Augen zu fragen. Ist das der Kerl, der sich seinen Ritterschlag mit einer Zwiebel erkauft hat?

Bei einer vierfachen Übermacht gegenüber den Schiffen des Knabenkönigs sah Ser Imry keinerlei Veranlassung zur Vorsicht oder zu Täuschungsmanövern. Er hatte die Flotte in zehn Schlachtreihen aufgeteilt, von denen jede aus zwanzig Schiffen bestand. Die ersten beiden Reihen würden den Fluss hinauffahren und Joffreys kleine Flotte, »die Spielzeuge des Knaben«, wie Ser Imry sie zur Heiterkeit seiner Kapitäne bezeichnete, versenken. Die darauffolgenden Schiffe würden anlanden, vor den Stadtmauern Bogenschützen und Speerwerfer absetzen und sich erst dann in den Kampf auf dem Fluss einmischen. Die kleineren und langsameren Schiffe der hinteren Reihen würden als Fähren für den Hauptteil von Stannis’ Heer am Südufer dienen und von Salladhor Saan und seinen Lyseni beschützt werden, die draußen in der Bucht für den Fall Wache hielten, dass die Lennisters entlang der Küste noch weitere Schiffe verborgen hatten, um ihnen in den Rücken zu fallen.

Der Gerechtigkeit halber musste Davos eingestehen, dass es Gründe für Ser Imrys Eile gab. Die Winde auf der Reise von Sturmkap hierher waren ihnen nicht günstig gewesen. Sie hatten zwei Koggen an die Felsen der Sturmbucht verloren, gleich an dem Tag, an dem sie in See stachen, ein schlechter Start also. Eine der Galeeren aus Myr war in der Straße von Tarth untergegangen, und als sie in die Gurgel einfuhren, hatte sie ein Sturm überrascht und die Flotte über die gesamte Meerenge verstreut. Außer zwölf Schiffen hatten sich schließlich alle hinter der schützenden Halbinsel von Massies Haken in den ruhigeren Gewässern der Schwarzwasser-Bucht neu formiert, trotzdem hatten sie wertvolle Zeit verloren.

Stannis musste den Fluss bereits vor Tagen erreicht haben. Der Königsweg führte von Sturmkap geradewegs nach Königsmund und war wesentlich kürzer als die Route übers Meer, und das Heer war zum größten Teil beritten: fast zwanzigtausend Ritter, leichte Reiterei und freie Ritter, die Armee, die Renly seinem Bruder unfreiwillig hinterlassen hatte. Sie würden den Weg rasch hinter sich gebracht haben, doch Lanzen und gepanzerte Pferde würden ihnen wenig nützen, wenn sie das tiefe Wasser des Schwarzwassers und im Anschluss daran die hohen Steinmauern der Stadt überwinden mussten. Stannis würde mit seinen Lords am Südufer des Flusses lagern und zweifelsohne ungeduldig warten und sich fragen, was Ser Imry mit seiner Flotte gemacht hatte.

Vor zwei Tagen hatten sie vor dem Meerjungfrauenfelsen ein halbes Dutzend Fischerboote gesichtet. Die Fischer waren vor ihnen geflohen, doch einen nach dem anderen hatten sie sie eingeholt und geentert. »Ein winziger Sieg ist genau das Richtige, um den Bauch vor der Schlacht zu beruhigen«, hatte Ser Imry fröhlich erklärt. »Das macht den Männern Appetit auf den Hauptgang.« Davos interessierte sich hingegen mehr dafür, was die Gefangenen über die Verteidigungsanlagen von Königsmund zu berichten hatten. Der Zwerg hatte eifrig an einer Art Schlagbaum gebaut, mit der er die Mündung des Flusses versperren wollte, allerdings waren die Fischer sich nicht einig, ob die Arbeit beendet worden war oder nicht. Seltsamerweise wünschte sich Davos, sie sei zu Ende gebracht worden. Denn wenn der Fluss versperrt war, bliebe Ser Imry nichts anderes übrig, als Anker zu werfen und abzuwarten.

Die See war voller Lärm: Rufe und Schreie, Schlachthörner und Trommeln und schrille Flöten, das Klatschen von Holz auf Wasser, als sich Tausende von Rudern hoben und senkten. »Kurs halten«, rief Davos. Eine Bö zerrte an seinem alten grünen Mantel. Ein Wams aus gehärtetem Leder und ein Helm, der im Moment zu seinen Füßen lag, waren alles, was er an Rüstung trug. Auf dem Meer konnte schwerer Stahl einen Mann eher das Leben kosten, als es bewahren, glaubte er. Ser Imry und die anderen hochgeborenen Kapitäne teilten seine Ansicht nicht; glitzernd schritten sie auf ihren Decks hin und her.

Die Schreckschraube und die Seepferdchen hatten ihre Plätze eingenommen, und Lord Celtigars Rote Kralle näherte sich hinter ihnen. Steuerbord von Allards Lady Marya befanden sich die drei Galeeren, die Stannis dem unglücklichen Lord Sonnglas abgenommen hatte, die Fromme, die Betende und die Geweihte, auf deren Decks es nur so von Bogenschützen wimmelte. Sogar die Schwertfisch näherte sich und schwankte und rollte unter Rudern und Segeln durch die raue See. Ein Schiff mit so vielen Rudern sollte schneller sein, dachte Davos missbilligend. Die Ramme ist einfach zu schwer, deshalb liegt sie so schlecht im Wasser.

Der Wind wehte von Süden, doch beim Rudern machte das keinen Unterschied. Sie würden mit der Flut fahren, die Lennisters hatten dafür die Strömung des Flusses auf ihrer Seite, und die war in der Mündung des Schwarzwassers kräftig und schnell. Der erste Angriff würde vermutlich zu Gunsten des Feindes ausgehen. Wir sind Narren, auf dem Schwarzwasser gegen sie zu kämpfen, dachte Davos. In jedem Gefecht auf offener See würden ihre Schlachtreihen die feindliche Flotte auf beiden Flanken umzingeln und zerstören. Auf dem Fluss jedoch zählte die Zahl und die Größe von Ser Imrys Schiffen weniger. Sie konnten nicht mehr als zwanzig nebeneinander fahren lassen, sonst gerieten die Ruder ineinander und sie würden miteinander kollidieren.

Über die Kriegsschiffe hinweg sah Davos den Roten Bergfried auf Aegons Hohem Hügel, der sich dunkel vor einem gelblichen Himmel erhob. Die Mündung des Schwarzwasser breitete sich darunter aus. Das Südufer des Flusses war schwarz von Männern und Pferden, die umherwimmelten wie ein Ameisenhaufen, als sie die herannahenden Schiffe entdeckten. Stannis hatte sie gewiss damit beschäftigt, Flöße zu bauen und Pfeile zu machen, trotzdem musste das Warten für sie nur schwer zu ertragen gewesen sein. Trompeten wurden geblasen, deren blecherner Schall bald vom Brüllen Tausender Stimmen verschluckt wurde. Davos schloss seine verstümmelte Hand um den Beutel, in dem er seine Knochen aufbewahrte, und bat mit einem stillen Gebet um Glück.

Die Zorn selbst würde die Mitte der ersten Schlachtreihe bilden, zwischen der Lord Steffon und der Seehirsch, beide jeweils mit zweihundert Rudern. An Steuerbord und Backbord kamen die Hunderter: Lady Harra, Leuchtfisch, Lachender Lord, Seedämon, Gehörnte Ehre, Zerlumpte Jenna, Trident Drei, Schnelles Schwert, Prinzessin Rhaenys, Hundenase, Zepter, Treue, Roter Rabe, Königin Alysanne, Katze, Mut und die Drachentod. An jedem Heck flatterte das flammende Herz des Herrn des Lichts in Rot, Gelb und Orange. Hinter Davos und seinen Söhnen folgte eine weitere Reihe Hunderter, die von Rittern und adeligen Kapitänen kommandiert wurden, und dann das kleinere Kontingent aus Myr, von denen kein Schiff mehr als achtzig Ruder hatte. Weiter hinten kamen die Segelschiffe, die Galleonen und die breiten Koggen, zuletzt Salladhor Saan in seiner stolzen Valyria, einer hochbordigen Dreihunderter, die vom Rest seiner Galeeren mit dem ihnen eigenen gestreiften Rumpf begleitet wurde. Dem großspurigen Fürsten aus Lys gefiel es nicht, die Nachhut zu bilden, doch natürlich trauten ihm weder Ser Imry noch Stannis wirklich. Zu viele Beschwerden und zu viel Gerede über das Gold, das man ihm schuldet. Trotzdem tat er Davos leid. Salladhor Saan war ein listiger alter Pirat, und seine Mannschaft bestand aus geborenen Seeleuten, die sich vor keinem Kampf fürchteten. Jetzt wurden sie auf einer nutzlosen Position eingesetzt.

Ahuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu. Das Signal hallte über die Schaumkronen und die Ruder hinweg. Es kam von der Zorn: Ser Imry gab das Zeichen zum Angriff. Ahuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu, ahuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu.

Die Schwertfisch hatte die Reihe endlich auch erreicht, hatte allerdings noch immer die Segel gesetzt. »Doppelte Geschwindigkeit«, brüllte Davos. Der Trommelschlag beschleunigte sich, und die Ruder schnitten rascher durchs Wasser. Auf Deck schlugen die Soldaten mit den Schwertern gegen die Schilde, während Bogenschützen in aller Ruhe die Sehnen ihrer Bogen spannten und die ersten Pfeile aus den Köchern an ihren Gürteln zogen. Die Galeeren der ersten Schlachtreihe versperrten Davos den Blick, daher schritt er hin und her, um eine Lücke zu finden. Von einer Sperre über den Fluss war nichts zu sehen; die Mündung war offen, als wollte sie sie alle verschlucken. Außer …

In seiner Schmugglerzeit hatte Davos oft gescherzt, er kenne das Ufer von Königsmund besser als die Rückseite seiner Hand, da er nicht ständig in seine Hand hinein- und herausgeschlüpft sei. Die beiden gedrungenen Türme aus rauem neuem Stein, die einander an der Mündung gegenüberstanden, mochten für Ser Imry Florent nichts bedeuten, für ihn jedoch waren sie wie zwei zusätzliche Finger, die aus den Knöcheln seiner Hand gewachsen waren.

Er beschattete die Augen und blickte nach Westen, um diese Türme genauer zu betrachten. Sie waren zu klein, um darin viele Soldaten unterzubringen. Der am Nordufer war an die Steilküste gebaut, und über ihm ragte der Rote Bergfried auf; sein Gegenstück im Süden stand im Wasser. Sie haben einen Graben durch das Ufer gezogen, fiel ihm sofort auf. Dadurch würde der Turm nur schwer einzunehmen sein; die Angreifer würden durch das Wasser waten oder eine Brücke über den kleinen Kanal bauen müssen. Stannis hatte am Fuß des Turms Bogenschützen postiert, die auf jeden Verteidiger schossen, der es wagte, den Kopf hervorzustrecken. Das war aber auch alles.

Dort, wo das dunkle Wasser den Turm umspülte, blitzte etwas. Sonnenlicht glänzte auf Stahl und verriet Davos Seewert alles, was er wissen wollte. Eine Sperrkette … aber sie haben den Fluss noch offen gelassen. Warum?

Er hätte auch darüber Vermutungen anstellen können, doch ihm blieb jetzt keine Zeit mehr dazu. Ein Ruf ertönte auf einem der Schiffe vor ihm, und daraufhin wurden die Schlachthörner erneut geblasen: Der Feind befand sich vor ihnen.

Zwischen den Rudern der Zepter und der Treue hindurch sah Davos eine lockere Reihe von Galeeren, die sich quer über den Fluss erstreckte; die Sonne leuchtete auf der Goldfarbe ihrer Rümpfe. Er kannte diese Schiffe so gut wie sein eigenes. Als er noch Schmuggler gewesen war, hatte er sich stets wohler gefühlt, wenn er wusste, ob ein bestimmtes Segel am Horizont ein schnelles oder ein langsames Schiff verhieß, und ob der Kapitän ein junger Mann war, der dem Ruhm nachjagte, oder ein alter Kämpe, der nur das Ende seiner Dienstzeit erwartete.

Ahuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu, riefen die Schlachthörner. »Angriffsgeschwindigkeit«, brüllte Davos. Backbord und steuerbord hörte er die gleichen Befehle von Dael und Allard. Die Trommeln schlugen wild, die Ruder hoben und senkten sich, und die Schwarze Betha schoss vorwärts. Als Davos einen Blick zur Gespenst warf, salutierte Dael ihm. Die Schwertfisch hinkte wieder hinterher und schaukelte im Kielwasser der kleineren Schiffe; ansonsten stand die Reihe wie ein Schildwall.

Der Fluss war aus der Ferne so schmal erschienen, doch jetzt war er breit wie ein See, und auch die Stadt war riesig geworden. Der Rote Bergfried blickte finster von Aegons Hohem Hügel herab. Seine eisengekrönten Wehrgänge, die massiven Türme und die dicken roten Mauern ließen ihn wie ein wütendes Tier erscheinen, das über Fluss und Straßen hockte. Das hohe Ufer, auf dem er stand, war felsig und steil und mit Flechten und knorrigen, dornigen Bäumen bewachsen. Die Flotte würde unterhalb der Burg vorbeifahren müssen, um den Hafen und die Stadt dahinter zu erreichen.

Die erste Schlachtreihe war inzwischen in den Fluss eingefahren, doch die Galeeren des Feindes wichen zurück. Sie wollen uns hineinlocken, damit wir hier dicht gedrängt festsitzen und nicht um ihre Flanken herum können … und diese Sperre hinter uns haben. Er schritt auf Deck hin und her und reckte den Hals, um einen besseren Blick auf Joffreys Flotte zu bekommen. Zu den Spielzeugen des Knaben gehörten die schwerfällige Göttergnade, die langsame alte Prinz Aemon, die Lady Seide und ihr Schwesterschiff Lady Schande, die Wildwind, Königsländer, Weißer Hirsch, Lanze und Seeblume. Wo war die Löwenstern? Und wo die wunderschöne Lady Lyanna, die König Robert zu Ehren der Jungfrau benannt hatte, die er geliebt und verloren hatte? Und wo war die König Roberts Hammer? Sie war die größte Galeere der königlichen Flotte, vierhundert Ruder, das einzige Kriegsschiff des Knabenkönigs, das es mit der Zorn aufnehmen konnte. Eigentlich hätte sie den Mittelpunkt der Verteidigungslinie bilden müssen.

Davos ahnte eine Falle, doch er konnte kein Anzeichen dafür entdecken, dass der Feind hinter ihnen lauerte, nur Stannis Baratheons große Flotte in ordentlichen Reihen, die sich über den gesamten Horizont erstreckte. Werden sie die Kette hochziehen und unsere Flotte in zwei Teile spalten? Er hatte keine Ahnung, welchem Zweck das dienen sollte. Die Schiffe draußen in der Bucht könnten trotzdem Männer übersetzen, die dann im Norden der Stadt anlanden würden; das ginge zwar langsamer, wäre gleichzeitig jedoch auch sicherer.

Ein Schwarm grell orangefarbener Vögel stieg von der Burg in die Luft, zwanzig oder dreißig; Töpfe mit brennendem Pech, die in hohen Bogen auf den Fluss zuflogen und einen flammenden Schwanz hinter sich herzogen. Das Wasser verschluckte die meisten von ihnen, doch einige landeten auf den Decks der Galeeren in der ersten Schlachtreihe und versprühten Feuer, als sie zerplatzten. Auf der Königin Alysanne liefen die Männer aufgeregt umher, und er konnte Rauch an drei verschiedenen Stellen der Drachentod sehen, die dem Ufer am nächsten war. Inzwischen war ein zweiter Schwarm unterwegs, und auch Pfeile hagelten herab, zischten aus den Schießscharten in den Türmen über ihnen. Ein Soldat fiel über die Reling der Katze, krachte auf die Ruder und versank. Der erste Mann, der heute stirbt, dachte Davos, aber er wird nicht der Letzte sein.

Auf den Wehrgängen des Roten Bergfrieds wehten die Banner des Knabenkönigs: der gekrönte Hirsch der Baratheons in seinem goldenen Feld, der Löwe der Lennisters auf scharlachrotem Grund. Weitere Gefäße mit Pech wurden abgefeuert. Davos hörte Männer schreien, als sich Flammen auf der Mut ausbreiteten. Die Ruderer unten wurden von den halben Decks über ihnen geschützt, doch die Soldaten hatten weniger Glück. Die Steuerbordflanke musste den ganzen Beschuss auf sich nehmen, genau wie er befürchtet hatte. Bald sind wir dran, erkannte er mit Unbehagen. Die Schwarze Betha befand sich durchaus in Reichweite der Geschosse, da sie das sechste Schiff vom Nordufer aus war. Steuerbord kamen nur noch Allards Lady Marya, die unbeholfene Schwertfisch – die so weit zurücklag, dass sie der dritten Reihe näher war als der zweiten – und die Fromme, die Betende und die Geweihte, die allen göttlichen Segen gebrauchen konnten, so ausgeliefert, wie sie den Angriffen des Feindes in ihrer Position waren.

Während die zweite Reihe an den Zwillingstürmen vorbeifuhr, nahm Davos sie näher in Augenschein. Drei Glieder der riesigen Kette hingen aus einem Loch, das nicht größer war als der Kopf eines Mannes, dann verschwand sie unter Wasser. Die Türme hatten jeweils nur eine einzige Tür, die sich gute sieben Meter über dem Boden befand. Bogenschützen auf dem Dach des nördlichen Turmes schossen auf die Betende und die Geweihte. Die Schützen der Geweihten erwiderten das Feuer, und Davos hörte einen Mann schreien, den ein Pfeil getroffen hatte.

»Kapitän Ser.« Sein Sohn Matthos stand neben ihm. »Euer Helm.« Davos nahm ihn mit beiden Händen und setzte ihn auf. Er hasste es, wenn seine Sicht eingeschränkt war, deshalb hatte das gute Stück kein Visier.

Inzwischen gingen die Pechgefäße auch um sie herum nieder. Eins zerplatzte auf dem Deck der Lady Marya, doch Allards Mannschaft schlug das Feuer rasch aus. An Backbord ertönten die Hörner auf der Stolz von Driftmark. Bei jedem Schlag warfen die Ruder spritzend Wasserfontänen auf. Das meterlange Geschoss eines Skorpions landete keinen Meter neben Matthos und bohrte sich krachend ins Holz des Decks. Vor ihnen war die erste Reihe auf Schussweite an die feindlichen Schiffe herangekommen; Pfeilschwärme flogen hin und her und zischten wie wütende Schlangen.

Südlich des Schwarzwassers sah Davos Männer, die grobgezimmerte Flöße zum Wasser zogen, während sich unter tausend flatternden Bannern Reihen und Kolonnen formierten. Das flammende Herz war überall, der schwarze Hirsch, der von ihm eingeschlossen wurde, war jedoch zu klein, um ihn zu erkennen. Wir hätten unter dem gekrönten Hirsch kämpfen sollen. Der Hirsch war König Roberts Wappen, und die Stadt würde sich freuen, ihn zu sehen. Dieses Banner eines Fremden bringt die Männer nur gegen uns auf.

Er konnte das flammende Herz nicht ansehen, ohne an den Schatten zu denken, den Melisandre unter Sturmkap geboren hatte. Zumindest tragen wir diese Schlacht im Licht aus und mit den Waffen ehrbarer Männer. Die Rote Frau und ihre dunklen Kinder hatten keinen Anteil daran. Stannis hatte sie mit seinem unehelichen Neffen Edric Sturm nach Drachenstein zurückgeschickt. Seine Kapitäne und Vasallen hatten darauf bestanden, dass auf dem Schlachtfeld kein Platz für eine Frau war. Nur die Männer der Königin hatten widersprochen, wenn auch nicht sehr laut. Trotzdem hatte der König ihr Ansinnen zurückgewiesen, bis Lord Bryk Caron sagte: »Euer Gnaden, wenn die Zauberin dabei ist, wird man hinterher behaupten, es sei ihr Sieg gewesen und nicht der Eure.

Sie werden sagen, Ihr hättet Eure Krone ihren Zaubersprüchen zu verdanken.« Das hatte den Ausschlag gegeben. Davos selbst hatte sich aus diesem Streit herausgehalten, allerdings war er nicht traurig, sie davonfahren zu sehen. Er hatte wenig für Melisandre und ihren Gott übrig.

An Steuerbord fuhr die Geweihte auf das Ufer zu und ließ die Planke herunter. Bogenschützen sprangen ins flache Wasser und hielten ihre Waffen hoch über die Köpfe, damit die Sehnen trocken blieben. Spritzend stürmten sie auf den schmalen Landstreifen unter der Steilwand. Steine und Speere wurden von oben auf sie abgeworfen, dazu wurden Pfeile abgeschossen, doch der Winkel war sehr steil, und die Geschosse schienen wenig Schaden anzurichten.

Die Betende landete zwei Dutzend Meter weiter flussaufwärts, und die Fromme hielt auf das Ufer zu, als die Verteidiger auf ihren Streitrössern heranstürmten, und die Hufe ihrer Pferde das Wasser am Ufer aufwühlten. Die Ritter fielen über die Bogenschützen her wie Wölfe über Hühner, trieben sie zurück zu den Schiffen und in den Fluss, ehe die meisten überhaupt einen Pfeil auflegen konnten. Soldaten rannten hinzu, um sie mit Speer und Axt zu verteidigen, und nach wenigen Herzschlägen hatte sich die Szene in ein blutiges Gewühl verwandelt. Davos erkannte den hundeköpfigen Helm des Bluthunds. Ein weißer Mantel hing von seinen Schultern und wehte hinter ihm her, während er über die Planke auf das Deck der Betende ritt und jeden niedermetzelte, der in seine Reichweite geriet.

Jenseits der Burg erhob sich Königsmund auf seinen Hügeln hinter der Mauer. Das Flussufer war eine schwarze Ödnis; die Lennisters hatten hier alles niedergebrannt und sich hinter das Schlammtor zurückgezogen. Im flachen Wasser hatten sie die verkohlten Wracks verbrannter Schiffe versenkt, sodass man die langen Steinkais nicht erreichen konnte. Dort werden wir nicht anlegen können. Davos sah die Spitzen von drei riesigen Katapulten hinter dem Schlammtor. Oben auf Visenyas Hügel blitzten die sieben Kristalltürme der Großen Septe von Baelor in der Sonne.

Davos konnte zwar nicht sehen, wie die Schlacht auf dem Wasser begann, doch er hörte es; mit unglaublichem Krachen stießen zwei Galeeren zusammen. Er wusste nicht, welche. Augenblicke später krachte es erneut, und dann ein drittes Mal. Durch das Kreischen des splitternden Holzes hörte er das tiefe Dröhnen des Bugkatapults der Zorn. Die Seehirsch spaltete eine von Joffreys Galeeren in zwei Teile, doch die Hundenase brannte, und die Königin Alysanne war zwischen der Lady Seide und der Lady Schande eingeklemmt, und ihre Mannschaft kämpfte an der Reling gegen die Gegner, die sie entern wollten.

Genau vor sich sah Davos, wie sich die feindliche Königsländer zwischen die Treue und die Zepter drängte. Erstere zog die Ruder vor dem Zusammenprall ein, während die Ruder der Zepter wie Kienspäne brachen, als sich die Königsländer an ihrer Seite vorbeischob. »Schießt«, befahl Davos, und seine Bogenschützen schickten einen vernichtenden Pfeilhagel über das Wasser. Davos sah den Kapitän der Königsländer fallen und versuchte, sich den Namen des Mannes in Erinnerung zu rufen.

An Land hoben sich die Arme der großen Katapulte, eins, zwei, drei, und hundert Steine stiegen in den gelben Himmel auf. Jeder war so groß wie der Kopf eines Mannes; wenn sie niedergingen, spritzten riesige Wassermassen auf, wurden Planken aus Eichenholz durchlöchert und lebendige Männer in einen Brei aus Blut und Knochen verwandelt. Quer über den Fluss war die ganze erste Schlachtreihe nun in Gefechte verwickelt. Enterhaken wurden geworfen, eiserne Rammen krachten in hölzerne Rümpfe, Enterer schwärmten aus, Schwärme von Pfeilen flogen durch die dahintreibenden Rauchwolken, und Männer starben … doch bislang war Davos selbst noch nicht daran beteiligt.

Die Schwarze Betha fuhr weiter den Fluss hinauf, und der Trommelschlag des Rudermeisters donnerte ihrem Kapitän im Kopf, während er nach einem Opfer für ihre Ramme Ausschau hielt. Die belagerte Königin Alysanne war zwischen zwei Lennister-Schiffen gefangen, und die drei hingen mit Haken und Leinen aneinander fest.

»Rammgeschwindigkeit!«, brüllte Davos.

Der Trommelschlag verschmolz zu einem langen, fiebrigen Hämmern, und die Schwarze Betha flog dahin, sodass das Wasser unter ihrem Bug weiß wie Milch wurde. Allard hatte die gleiche Chance gesehen; die Lady Marya blieb an ihrer Seite. Die erste Reihe hatte sich im Gewühl der Schlacht aufgelöst, und die Schiffe waren jetzt in Einzelkämpfe verwickelt. Die drei ineinander verkeilten Schiffe drehten sich langsam, auf ihren Decks machte sich rotes Chaos breit, während Männer mit Schwertern und Äxten aufeinander einschlugen. Noch ein bisschen, beschwor Davos Seewert den Krieger, dreh sie nur noch ein bisschen herum. Zeig mir ihre Breitseite.

Der Krieger hatte offensichtlich zugehört. Die Schwarze Betha und die Lady Marya krachten fast im gleichen Augenblick in die Lady Schande, rammten sie an Bug und Heck mit solcher Wucht, dass selbst Männer auf der Lady Seide drei Schiffe entfernt über Bord geworfen wurden. Davos biss sich beinahe die Zunge ab, als seine Zähne zusammenklappten. Er spuckte Blut. Nächstes Mal machst du den Mund vorher zu, du Dummkopf. Vierzig Jahre auf See, und jetzt hatte er zum ersten Mal ein anderes Schiff gerammt. Seine Bogenschützen schossen nach eigenem Gutdünken.

»Zurück«, befahl er. Nachdem die Schwarze Betha ein Stück zurückgesetzt hatte, strömte Wasser in das zersplitterte Loch, das sie hinterlassen hatte, und die Lady Schande zerfiel vor seinen Augen in ihre Einzelteile und riss Dutzende von Männern mit in den Fluss. Manche der Überlebenden schwammen; manche der Toten trieben auf dem Wasser; nur die in schwerer Rüstung sanken auf den Grund, Tote und Lebende ohne Unterschied. Das Flehen der Ertrinkenden hallte in seinen Ohren wider.

Aus den Augenwinkeln sah er etwas Grünes aufblitzen, Backbord voraus, und ein Nest sich windender smaragdgrüner Schlangen erhob sich brennend und zischend vom Heck der Königin Alysanne. Kurz darauf hörte Davos einen entsetzten Schrei: »Seefeuer!«

Er schnitt eine Grimasse. Brennendes Pech war eine Sache, Seefeuer eine ganz andere. Das war ein übles Zeug und nahezu unlöschbar. Versuchte man es mit einem Mantel zu ersticken, fing der Mantel Feuer; schlug man einen kleinen Brandherd mit der Hand aus, stand die Hand in Flammen. »Piss auf Seefeuer, und dir brennt der Schwanz ab«, sagten alte Seeleute gern. Immerhin hatte Ser Imry sie davor gewarnt, dass sie mit der verwerflichen Substanz der Alchimisten zu rechnen hatten. Glücklicherweise gab es nur noch wenige echte Pyromantiker. Aber es wird ihnen rasch ausgehen, hatte der Lord Hoch-Kapitän versichert.

Davos stieß Befehle hervor; eine Ruderseite ruderte vorwärts, während die andere nach achtern eintauchte, und die Galeere wendete. Auch die Lady Marya hatte sich glücklicherweise befreit, denn das Seefeuer breitete sich schneller auf der Königin Alysanne und ihren Gegnern aus, als man für möglich gehalten hätte. Männer waren in grüne Flammen gehüllt und sprangen über Bord, wobei sie Schreie ausstießen, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Auf den Mauern von Königsmund versprühten Feuerspucker ihren schrecklichen Tod, und die großen Katapulte hinter dem Schlammtor schleuderten Felssteine über die Mauern. Einer von der Größe eines Ochsen ging zwischen der Schwarzen Betha und der Gespenst nieder, ließ beide Schiffe heftig schaukeln und durchnässte alle an Bord. Ein anderer, der nicht viel kleiner war, traf die Lautes Lachen. Die Galeere von Lord Velaryon zersprang wie das Spielzeug eines Kindes, das von einem hohen Turm fällt, und armgroße Splitter flogen durch die Luft.

Durch schwarzen Rauch und grüne Flammen erhaschte Davos einen Blick auf eine Flotte kleinerer Boote, die flussabwärts fuhren, ein Gewirr von Fähren und Lastkähnen, Barken und Ruderbooten, Wracks, von denen manche so verrottet aussahen, als würden sie jeden Augenblick sinken. Das roch nach Verzweiflung, denn solches Treibholz konnte das Blatt in einer Schlacht nicht wenden, sondern nur im Weg sein. Die verfeindeten Schiffsreihen hatten sich jetzt hoffnungslos ineinander verkeilt. Drüben an Backbord waren die Lord Steffon, die Zerlumpte Jenna und die Schnelles Schwert durchgebrochen und zogen weiter flussaufwärts. An Steuerbord wurde noch heftig gekämpft, und das Zentrum war unter dem Beschuss der Katapulte auseinandergetrieben worden. Manche der Kapitäne wandten sich flussabwärts, andere nach Backbord, um dem tödlichen Hagel zu entgehen. Die Zorn hatte ihr Heckkatapult herumgeschwenkt und schoss auf die Stadt, allerdings hatte sie nicht genug Reichweite; ihre Fässer mit Pech zerbarsten unterhalb der Mauern. Die Zepter hatte die meisten ihrer Ruder eingebüßt, und die Treue war gerammt worden und bekam Schlagseite. Davos steuerte die Schwarze Betha zwischen sie und rammte Königin Cerseis mit Schnitzereien und Gold verzierte Lustbarke, die jetzt statt mit Adligen mit Soldaten vollgestopft war. Bei dem Zusammenprall wurde ein Dutzend von ihnen über Bord geworfen, und die Bogenschützen auf der Betha erledigten die Übrigen einen nach dem anderen.

Matthos’ Ruf warnte ihn vor einer Gefahr von Backbord; eine der Lennister-Galeeren kam geradewegs auf ihn zu. »Hart steuerbord«, brüllte Davos. Seine Männer benutzten die Ruder, um sich von der Barke abzustoßen, während andere die Galeere wendeten, bis ihr Bug in Richtung der Weißer Hirsch stand. Einen Augenblick lang fürchtete er, die Geschwindigkeit könne nicht reichen und er würde versenkt werden, doch die Strömung kam der Schwarze Betha zu Hilfe, und beim Zusammenprall streiften sich die Schiffe nur, die beiden Rümpfe scharrten aneinander vorbei, und beiden Schiffen wurden die Ruder abgerissen. Ein Holzstück, spitz wie ein Speer, flog an seinem Kopf vorbei. Davos duckte sich. »Entern!«, rief er. Die Leinen wurden hinübergeworfen. Er zog das Schwert und führte selbst den Angriff über die Reling an.

Die Mannschaft der Weißer Hirsch warf sich ihnen entgegen, doch die Soldaten der Schwarze Betha fielen wie eine kreischende Flut aus Stahl über sie her. Davos kämpfte sich durch das Gewühl und hielt nach dem anderen Kapitän Ausschau, doch der Mann war bereits tot, als er ihn erreichte. Während er vor der Leiche stand, traf ihn von hinten ein Axthieb, der jedoch von seinem Helm abprallte, sodass sein Kopf lediglich dröhnte, statt gespalten zu werden. Benommen konnte er sich nur noch zur Seite rollen. Sein Gegner griff schreiend erneut an. Davos packte sein Schwert mit beiden Händen und trieb dem Kerl die Spitze in den Bauch.

Einer seiner Leute zog ihn auf die Beine. »Kapitän Ser, die Hirsch gehört uns.« Das stimmte, wie Davos nun selbst sah. Die meisten Gegner waren tot, lagen im Sterben oder hatten sich ergeben. Er nahm den Helm ab, wischte sich das Blut vom Gesicht und machte sich auf den Weg zu seinem eigenen Schiff, wobei er sorgsam darauf achtete, auf den von menschlichen Eingeweiden glitschigen Planken nicht auszurutschen. Matthos reichte ihm die Hand und half ihm über die Reling.

Für kurze Zeit waren die Schwarze Betha und die Weißer Hirsch das ruhende Auge inmitten des Wirbelsturms. Die Königin Alysanne und die Lady Seide, die noch immer aneinanderhingen, trieben in einem Inferno aus grünen Flammen flussabwärts und zogen Teile der Lady Schande hinter sich her. Eine der Galeeren aus Myr war in sie hineingefahren und hatte ebenfalls Feuer gefangen. Die Katze nahm Männer von der rasch sinkenden Mut an Bord. Der Kapitän der Drachentod hatte sein Schiff zwischen zwei Kais gesteuert und ihm dabei den Rumpf aufgerissen; die Mannschaft strömte mit den Bogenschützen und Soldaten ans Ufer und beteiligte sich am Angriff auf die Mauer. Die Roter Rabe war gerammt worden und bekam langsam Schlagseite. Die Seehirsch kämpfte gleichzeitig gegen Feuer und Enterer an, doch über Joffreys Treuer Mann wehte bereits das flammende Herz. Die Zorn, deren Bug von einem Felsen zermalmt worden war, hatte die Göttergnade angegriffen. Lord Velaryons Stolz von Driftmark krachte zwischen zwei Lennister-Schiffe, die durchgebrochen waren, brachte eins zum Kentern und setzte das andere mit flammenden Pfeilen in Brand. Am Südufer führten Ritter ihre Pferde an Bord der Koggen, und einige der kleineren Galeeren waren bereits mit Soldaten beladen und überquerten den Fluss. Zwischen den sinkenden Schiffen und den schwimmenden Inseln aus Seefeuer mussten sie vorsichtig manövrieren. Nun war König Stannis’ gesamte Flotte auf dem Fluss, außer Salladhor Saans Lyseni. Bald würden sie den Schwarzwasser beherrschen. Ser Imry wird seinen Sieg bekommen, dachte Davos, und Stannis wird sein Heer hinüberbringen, aber bei den guten Göttern, um welchen Preis …

»Kapitän, Ser!« Matthos berührte ihn an der Schulter.

Es ging um die Schwertfisch, deren Ruder sich hoben und senkten. Die Segel hatten sie gar nicht erst eingeholt, und brennendes Pech hatte die Takelage getroffen. Die Flammen breiteten sich aus, während Davos noch zusah, und krochen über Taue und Segel voran. Ihre schwere Eisenramme, die dem Kopf des Fisches ähnelte, nach dem sie benannt war, teilte das Wasser vor ihr. Direkt voraus trieb eines der Lennister-Wracks auf sie zu. Es lag niedrig im Wasser und drehte sich langsam um sich selbst, ein schwerfälliges, einfaches Ziel. Langsam leckte grünes Blut zwischen seinen Planken hervor.

Als er das sah, blieb Davos Seewert das Herz stehen.

»Nein«, sagte er, »nein, NEIIIN!« Im Toben und Krachen der Schlacht hörte ihn niemand außer Matthos. Bestimmt hörte der Kapitän der Schwertfisch ihn nicht, der mit seinem großen, ungeschlachten Schwert endlich etwas aufspießen wollte. Die Schwertfisch beschleunigte auf Gefechtsgeschwindigkeit. Davos hob die verstümmelte Hand und umklammerte den Lederbeutel mit seinen Fingerknochen.

Mit einem knirschenden, splitternden, reißenden Krachen spaltete die Schwertfisch den verrotteten Schiffsrumpf. Er zerplatzte wie eine überreife Frucht, doch keine Frucht hatte je dieses Kreischen von brechendem Holz von sich gegeben. Und Davos sah, wie in ihrem Bauch tausend Gefäße barsten und sich grüne Flüssigkeit ins Wasser ergoss, Gift aus den Eingeweiden einer sterbenden Bestie, das sich glänzend und glitzernd auf dem ganzen Fluss verteilte …

»Zurück«, brüllte er. »Weg hier. Bringt uns hier weg, zurück, zurück!« Die Enterleinen wurden gekappt und Davos spürte, wie sich das Deck unter seinen Füßen bewegte, während sich die Schwarze Betha von der Weißer Hirsch befreite. Ihre Ruder glitten ins Wasser.

Dann hörte er ein scharfes Zischen, als hätte ihm jemand ins Ohr gepustet. Einen halben Augenblick später folgte der Knall. Das Deck verschwand unter ihm, schwarzes Wasser schlug ihm ins Gesicht und füllte ihm Mund und Nase. Er würgte, ging unter. Ohne zu wissen, wo oben und unten war, kämpfte Davos in blinder Panik gegen den Fluss, bis er plötzlich wieder an der Oberfläche war. Er spuckte Wasser, saugte Luft in sich hinein, packte die nächste Planke, die er sah, und hielt sich daran fest.

Die Schwertfisch und das Wrack waren verschwunden, neben ihm trieben verkohlte Leichen flussabwärts, und nach Luft schnappende Männer klammerten sich an rauchende Holzstücke. Zwanzig Meter entfernt tanzte ein Dämon aus grünem Feuer auf dem Wasser. Er hatte ein Dutzend Hände und in jeder eine Peitsche, und was immer er berührte, ging in Flammen auf. Davos sah die Schwarze Betha brennen, und die Weißer Hirsch und die Treuer Mann auf der anderen Seite ebenfalls. Die Fromme, die Katze, die Mut, die Zepter, die Roter Rabe, die Schreckschraube, die Treue, die Zorn, sie alle standen in Flammen, die Königsländer und die Göttergnade ebenso, denn der Dämon fraß auch seine eigenen Kinder. Lord Velaryons glänzende Stolz von Driftmark versuchte zu wenden, doch der Dämon streckte träge einen grünen Finger nach ihr aus, und die silbernen Ruder flammten auf wie Kienspäne. Einen Augenblick lang schien sie mit langen, leuchtenden Fackeln zu rudern.

Inzwischen hatte ihn die Strömung gepackt, drehte ihn herum und wieder herum. Er trat Wasser, um nicht in einen Teppich aus Seefeuer zu geraten. Meine Söhne, dachte Davos, doch es gab keine Möglichkeit, in diesem Chaos nach ihnen zu suchen. Ein zweites mit Seefeuer beladenes Wrack explodierte hinter ihm. Der Schwarzwasser schien in seinem Bett zu sieden, und brennende Spieren und brennende Männer und Teile zerbrochener Schiffe flogen durch die Luft.

Ich werde hinaus in die Bucht getrieben. Das wäre nicht einmal das Schlechteste; von dort aus müsste er das Ufer erreichen können, denn er war ein guter Schwimmer. Salladhor Saans Galeeren waren auch dort draußen in der Bucht, Ser Imry hatte ihnen befohlen, sich in einiger Entfernung zu halten …

Dann erfasste ihn die Strömung abermals und drehte ihn, und Davos sah, was ihn stromabwärts erwartete.

Die Kette. Die Götter mögen uns retten, sie haben die Kette hochgezogen.

Wo der Fluss zur Schwarzwasser-Bucht hin breiter wurde, war der Schlagbaum nun straff gespannt, vielleicht zwei oder drei Fuß über dem Wasser. Ein Dutzend Galeeren waren bereits dagegengefahren, und die Strömung schob weitere in sie hinein. Fast alle brannten, der Rest würde ebenfalls bald in Flammen stehen. Davos konnte die gestreiften Rümpfe von Salladhor Saans Schiffen dahinter erkennen, doch er wusste, er würde sie niemals erreichen. Eine Mauer aus rot glühendem Stahl, brennendem Holz und wirbelnden grünen Flammen erstreckte sich vor ihm. Die Mündung des Schwarzwassers hatte sich in den Schlund der Hölle verwandelt.

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