SANSA

Der Thronsaal war ein Meer aus Edelsteinen, Pelzen und edlen Stoffen. Lords und Ladys füllten den hinteren Teil der Halle, standen neben den hohen Fenstern und schwatzten wie Fischweiber am Hafen.

Joffreys Höflinge hatten alles getan, um sich gegenseitig auszustechen. Jalabhar Xho trug bunte Federn, ein Gefieder von solcher Extravaganz, dass er aussah, als würde er sich jeden Moment in die Lüfte erheben. Die Kristallkrone des Hohen Septons schoss Regenbögen durch den Raum, sobald er den Kopf bewegte. Am Ratstisch glänzte Königin Cersei in einem Kleid aus Goldtuch, das mit burgunderrotem Samt unterlegt war, während Varys, der sich neben ihr spreizte, in violetten Brokat gehüllt war. Mondbub und Ser Dontos trugen neue Narrenkostüme, sauber wie ein Frühlingsmorgen. Sogar Lady Tanda und ihre Töchter sahen hübsch aus in ihren zueinanderpassenden Kleidern aus türkisfarbener Seide, und Lord Gil hüstelte in ein rotes Seidentuch mit goldenem Saum. König Joffrey saß über allen Anwesenden auf den Klingen und Spitzen des Eisernen Throns. Er trug scharlachroten Samt, und sein schwarzer Mantel war mit Rubinen besetzt. Auf seinem Kopf saß die schwere goldene Krone.

Sansa drängte sich durch die Ritter, Knappen und reichen Bürger auf der Galerie nach vorn, als Trompeten die Ankunft von Lord Tywin Lennister verkündeten.

Er ritt auf seinem Streitross durch die ganze Halle und stieg erst vor dem Eisernen Thron ab. Sansa hatte noch nie eine solche Rüstung gesehen; polierter roter Stahl, in den goldene Schneckenverzierungen eingelegt waren. Seine Schnallen waren wie Sonnenaufgänge, der brüllende Löwe, der seinen Helm krönte, hatte Augen aus Rubinen, und auf jeder Schulter hielt eine Löwin den Mantel aus Goldtuch, der so lang und schwer war, dass er sogar die Kruppe des Pferdes bedeckte. Auch die Panzerung des Tieres war vergoldet, und seine Schabracke war aus scharlachroter Seide und zeigte den Löwen der Lennisters.

Der Lord von Casterlystein bot einen so imposanten Eindruck, dass es ein Schock war, als sein Pferd genau am Fuße des Throns eine Ladung Äpfel fallen ließ. Joffrey musste dem Haufen ausweichen, als er hinunterging, seinen Großvater umarmte und ihn zum Retter der Stadt ernannte. Sansa bedeckte den Mund und verbarg ein nervöses Lächeln.

Joff bat seinen Großvater unter großem Aufheben, die Regierungsgewalt über das Reich zu übernehmen, und Lord Tywin übernahm Amt und Verantwortung feierlich, »bis Euer Gnaden das rechte Alter erreicht haben«. Dann nahmen ihm Knappen die Rüstung ab, und Joff legte ihm die Amtskette der Hand um den Hals. Lord Tywin nahm am Ratstisch neben der Königin Platz. Nachdem das Schlachtross hinausgeführt und seine Hinterlassenschaften entfernt worden war, nickte Cersei, und die Zeremonie nahm ihren Fortgang.

Ein Fanfarenstoß begrüßte jeden Helden, der durch die großen Eichentüren eintrat. Herolde verkündeten Namen und Großtaten der Eintretenden, damit jeder sie hörte, und die edlen Ritter und hochgeborenen Damen jubelten so ausgelassen wie Tagediebe bei einem Hahnenkampf. Der Ehrenplatz wurde Maes Tyrell zugestanden, dem Lord von Rosengarten, einem einst kräftigen Mann, der mittlerweile dick geworden war, jedoch trotzdem noch einen stattlichen Anblick bot. Ihm folgten seine Söhne; Ser Loras und sein älterer Bruder Ser Garlan der Kavalier. Alle drei hatten sich in grünen Samt gekleidet, der mit Zobel abgesetzt war.

Der König kam abermals von seinem Thron herunter und begrüßte sie, was eine große Ehre darstellte. Jedem legte er eine Rosenkette um, die aus weichem gelbem Gold gearbeitet war und an der jeweils eine goldene Scheibe hing, auf der der Lennister-Löwe mit Rubinen dargestellt war. »Die Rosen halten den Löwen, so wie Rosengarten das Reich erhält«, verkündete Joffrey. »Falls Ihr mich um eine Gunst bitten mögt, so sagt es nur, und ich will sie Euch gewähren.«

Und jetzt kommt’s, dachte Sansa.

»Euer Gnaden«, sagte Ser Loras, »ich erbitte mir die Ehre, in Eurer Königsgarde zu dienen und Euch gegen Eure Feinde zu verteidigen.«

Joffrey zog den Ritter der Blumen auf die Füße und küsste ihn auf die Wange. »Gewährt, Bruder.«

Lord Tyrell neigte den Kopf. »Es gibt kein größeres Vergnügen, als dem König zu dienen. Wenn Ihr mich für würdig erachtet, Mitglied in Eurem königlichen Rate zu werden, so werdet Ihr keinen treueren und rechtschaffeneren Mann finden.«

Joff legte Lord Tyrell die Hand auf die Schulter und küsste ihn, nachdem er sich erhoben hatte. »Euer Wunsch sei gewährt. «

Ser Garlan Tyrell, der fünf Jahre älter war als Ser Loras, war das größere und bärtige Abbild seines berühmteren jüngeren Bruders. Seine Brust war breiter, und er war kräftiger in den Schultern, und doch war sein Gesicht ansehnlich genug, wenngleich ihm Ser Loras’ außerordentliche Schönheit fehlte. »Euer Gnaden«, sagte Garlan, als der König nun auf ihn zutrat, »ich habe eine jungfräuliche Schwester, Margaery, der Glanz unseres Hauses. Einst war sie mit Renly Baratheon vermählt, wie Ihr wisst, doch Lord Renly brach in den Krieg auf, bevor die Ehe vollzogen werden konnte, und deshalb ist meine Schwester noch unschuldig. Margaery hat Geschichten von Eurer Weisheit, Eurem Mut und Eurer Ritterlichkeit gehört, und so hat sie aus der Ferne begonnen, Euch zu lieben. Ich ersuche Euch daher, lasst sie holen und vermählt Euch mit ihr, um Euer Haus und das meine auf alle Zeiten zu verbinden.«

König Joffrey tat, als sei er überrascht. »Ser Garlan, die Schönheit Eurer Schwester ist in den Sieben Königslanden weithin bekannt, doch ich bin einer anderen versprochen. Ein König muss sein Wort halten.«

Königin Cersei erhob sich mit raschelnden Röcken. »Euer Gnaden, nach Ansicht Eures Kleinen Rats wäre es weder angemessen noch weise, die Tochter eines Mannes zu heiraten, der wegen Hochverrats hingerichtet wurde, ein Mädchen, dessen Bruder sich zur offenen Rebellion gegen Euch erhoben hat. Herr, Eure Berater bitten Euch zum Wohle des Reiches, lasst von Sansa Stark ab. Lady Margaery wäre eine weitaus passendere Königin an Eurer Seite.«

Wie ein Rudel abgerichteter Hunde brachten die Lords und Ladys in der Halle ihre Vorliebe zum Ausdruck. »Margaery! «, riefen sie. »Wir wollen Margaery!« und »Keine Verräterkönigin! Tyrell! Tyrell!«

Joffrey hob die Hand. »Ich würde die Wünsche meines Volkes gern erfüllen, Mutter, aber ich habe ein heiliges Versprechen gegeben.«

Der Hohe Septon trat vor. »Euer Gnaden, den Göttern sind Verlöbnisse heilig, doch Euer Vater, der selige König Robert, hat dieses Bündnis geschlossen, ehe die Starks von Winterfell ihre Falschheit offenbart haben. Ihre Verbrechen gegen das Reich befreien Euch von jedem Versprechen, das Ihr gegeben habt. Soweit es den Glauben betrifft, besteht zwischen Euch und Sansa Stark kein gültiger Heiratsvertrag.«

Lauter Jubel brach im Thronsaal aus, und erneut wurde »Margaery, Margaery!« gerufen. Sansa beugte sich vor und umklammerte das Geländer der Galerie. Was als Nächstes folgte, wusste sie, trotzdem fürchtete sie sich vor dem, was Joffrey sagen würde, fürchtete, dass er sie selbst jetzt nicht freigeben würde, wo doch sein ganzes Königreich davon abhing. Sie fühlte sich wie damals auf den Marmorstufen der Großen Septe von Baelor, als sie auf den Gnadenspruch des Prinzen für ihren Vater gewartet und stattdessen seinen Befehl an Ilyn Payn gehört hatte, ihm den Kopf abzuschlagen. Bitte, betete sie fieberhaft, lasst es ihn sagen, lasst es ihn sagen.

Lord Tywin sah seinen Enkel an. Joff erwiderte den Blick mürrisch, trat von einem Fuß auf den anderen und half Ser Garlan Tyrell auf. »Die Götter sind gut. Ich bin frei, meinem Herzen zu folgen. Ich werde Eure Schwester ehelichen und das mit Freuden, Ser.« Er küsste Ser Garlan auf die bärtige Wange, und erneut wurde Jubel laut.

Sansa verspürte eine eigentümliche Benommenheit. Ich bin frei. Sie fühlte die Blicke auf sich ruhen. Aber ich darf nicht lächeln, erinnerte sie sich. Die Königin hatte sie gewarnt; gleichgültig, wie ihr im Innersten zu Mute wäre, müsste sie der Welt ein betrübtes Gesicht zeigen. »Ich wünsche keine Demütigung für meinen Sohn«, hatte Cersei gesagt, »hast du verstanden?«

»Ja. Aber wenn ich nicht Königin werde, was wird dann aus mir?«

»Darüber werden wir noch nachdenken. Fürs Erste bleibst du als Mündel an unserem Hof.«

»Ich will nach Hause.«

Das ärgerte die Königin. »Inzwischen solltest du begriffen haben, dass keiner von uns bekommt, was er will.«

Außer mir, dachte Sansa. Ich bin frei von Joffrey. Ich muss ihn nicht küssen, ihm nicht meine Jungfräulichkeit schenken, ihm keine Kinder gebären. Mag Margaery Tyrell das alles tun, die Arme.

Als der Lärm abgeklungen war, hatte sich der Lord von Rosengarten an den Ratstisch gesetzt, und seine Söhne hatten sich zu den anderen Rittern und kleinen Lords am Fenster gesellt. Sansa gab sich alle Mühe, verlassen und verzweifelt auszusehen, während die übrigen Helden der Schlacht am Schwarzwasser vor den Thron gerufen und belohnt wurden.

Paxter Rothweyn, Lord des Arbor, wurde von seinen beiden Zwillingssöhnen Horror und Schlabber durch die Halle begleitet, von denen der erste hinkte, da er in der Schlacht verwundet worden war. Ihnen folgte Lord Mathis Esch in einem schneeweißen Wams, auf dessen Brust mit Goldfäden ein großer Baum gestickt war; Lord Randyll Tarly, schlank und kahl, trug ein Großschwert in juwelenbesetzter Scheide auf dem Rücken; dann kamen Ser Kevan Lennister, ein dicklicher Glatzkopf mit kurzgeschorenem Bart; Ser Addam Marbrand, dessen kupferrotes Haar ihm auf die Schultern fiel und die großen Lords des Westens Lydden, Rallenhall und Brax.

Daraufhin traten vier von niederer Geburt ein, die sich während der Kämpfe hervorgetan hatten: der einäugige Ritter Ser Philip Fuhs, der Lord Bryk Caron im Zweikampf erschlagen hatte; Lothor Brunn, ein freier Reiter, der sich durch ein halbes Hundert Fossowey-Soldaten gekämpft hatte, um Ser Jon von den Grünäpfeln gefangen zu nehmen und Ser Bryan und Ser Edwyd von den Roten zu töten, und der sich dadurch den Namen Apfelesser verdient hatte; Willit, ein ergrauter Mann in Diensten von Ser Harys Swyft, der seinen Herrn unter einem sterbenden Pferd hervorgezogen und ihn gegen ein Dutzend Angreifer verteidigt hatte; und ein Knappe mit Flaum auf der Wange namens Josmyn Peckelden, der zwei Ritter getötet, einen dritten verwundet und zwei weitere gefangen genommen hatte, obwohl er noch keine vierzehn Jahre alt war. Willit wurde auf einer Bahre hereingetragen, so schwer waren seine Verletzungen.

Ser Kevan hatte neben seinem Bruder Lord Tywin Platz genommen. Nachdem die Herolde von allen Heldentaten berichtet hatten, stand er auf. »Es ist der Wunsch Seiner Gnaden, dass diese guten Männer für ihre Tapferkeit belohnt werden. Auf seine Verfügung hin soll Ser Philip von nun an Lord Philip aus dem Hause Fuß sein, und an ihn gehen alle Ländereien, Rechte und Einkünfte des Hauses Caron. Lothor Brunn wird in den Stand der Ritterschaft erhoben und erhält am Ende des Krieges Ländereien und einen Bergfried in den Flusslanden. Josmyn Peckelden erhält ein Schwert und eine Rüstung, dazu ein Schlachtross nach eigener Wahl aus den königlichen Ställen, und außerdem den Ritterschlag, sobald er das Mannesalter erreicht hat. Und der Soldat Willit bekommt einen Speer mit silbergefasstem Schaft, eine Halsberge aus frisch geschmiedetem Stahl und einen Helm mit Visier. Weiterhin sollen Willits Söhne auf Casterlystein in die Dienste des Hauses Lennister gestellt werden, der ältere als Knappe und der jüngere als Page, wobei ihnen in Aussicht gestellt wird, die Ritterschaft zu erwerben, wenn sie treu und redlich dienen. All diesem stimmen die Hand des Königs und der Kleine Rat zu.«

Die Kapitäne der königlichen Kriegsschiffe Wildwind, Prinz Aemon und Flusspfeil wurden nun geehrt, zusammen mit einigen Unteroffizieren von der Göttergnade, der Lanze und der Lady Seide. Soweit Sansa es mitbekam, bestanden ihre Großtaten vor allem darin, die Schlacht auf dem Fluss überlebt zu haben, womit sich nur wenige brüsten konnten. Auch Hallyn dem Pyromantiker und den Meistern der Alchimistengilde wurde der Dank des Königs zuteil, und Hallyn wurde zum Lord erhoben, obwohl der Titel, wie Sansa bemerkte, weder Ländereien noch eine Burg beinhaltete, was den Alchimisten ebenso wenig zu einem echten Lord machte, wie Varys es war. Ein echter Lordtitel von größerer Bedeutung wurde Ser Lancel Lennister gewährt. Joffrey belohnte ihn mit Land, Burg und den Rechten des Hauses Darry, dessen letzter Lord, ein neunjähriger Junge, während der Kämpfe in den Flusslanden gestorben war »und keine rechtmäßigen Erben mit dem Blute der Darrys hinterlassen hat, sondern nur einen Bastardvetter«.

Ser Lancel erschien nicht, um den Titel entgegenzunehmen; dem Gerede nach könnten seine Wunden ihn den Arm oder gar das Leben kosten. Auch von dem Gnom hieß es, er liege nach einem fürchterlichen Hieb auf den Kopf im Sterben.

Dann rief der Herold: »Lord Petyr Baelish«, und er betrat den Saal, von Kopf bis Fuß in Rosa- und Pflaumenblau-Töne gekleidet, sein Mantel war mit Nachtigallen gemustert. Sie sah ihn lächeln, ehe er vor dem Eisernen Thron kniete. Er sieht höchst zufrieden aus. Sansa hatte von keiner besonderen Heldentat Kleinfingers während der Kämpfe gehört, trotzdem sollte er offensichtlich belohnt werden.

Erneut erhob sich Ser Kevan. »Es ist der Wunsch des Königs, dass sein ergebener Berater Petyr Baelish für seine treuen Dienste an Krone und Reich belohnt werde. Verkündet daher, dass Lord Baelish die Burg Harrenhal mit allen anliegenden Ländereien und Einkünften verliehen wird, um sie zu seinem Sitz zu nehmen, und er soll fortan von dort aus die Flusslande als Landesherr des Tridents regieren. Petyr Baelish, seine Söhne und seine Enkel sollen diese Ehre behalten und sich daran erfreuen bis ans Ende der Zeit, und alle Lords der Flusslande sollen ihm, ihrem rechtmäßigen Lehnsherrn, den Vasalleneid schwören. All diesem haben die Hand des Königs und der Kleine Rat zugestimmt.«

Auf den Knien richtete Kleinfinger den Blick auf König Joffrey. »Ich danke Euch demütigst, Euer Gnaden. Ich nehme an, ich muss mich jetzt darum kümmern, Söhne und Enkel zu bekommen.«

Joffrey lachte und mit ihm der ganze Hof. Landesherr des Tridents, dachte Sansa, und außerdem Lord von Harrenhal. Sie verstand nicht, was ihn daran so sehr beglückte; die Ehrung war ebenso leer wie der Titel, den man Hallyn dem Pyromantiker verliehen hatte. Harrenhal war verflucht, das wusste jeder, und im Augenblick befand es sich nicht einmal im Besitz der Lennisters. Außerdem waren die Lords vom Trident Schnellwasser und dem Hause Tully verschworen, und so natürlich auch dem König des Nordens; Kleinfinger würden sie niemals als Lehnsherrn anerkennen. Solange sie nicht dazu gezwungen werden. Solange mein Bruder und mein Onkel und mein Großvater nicht besiegt und getötet wurden. Der Gedanke ängstigte sie, aber sie schalt sich, nicht so dumm zu sein. Robb hat sie bislang immer geschlagen. Und auch Lord Baelish wird er besiegen, wenn er es muss.

An diesem Tag wurden mehr als sechshundert Mann zum Ritter geschlagen. Sie hatten in der Großen Septe von Baelor die Nachtwache gehalten und die Stadt am nächsten Morgen mit bloßen Füßen durchquert, um die Demut in ihren Herzen zu beweisen. Jetzt traten sie in Umhängen aus ungefärbter Wolle vor und nahmen ihre Ritterschaft aus den Händen der Königsgarde in Empfang. Es dauerte lange, da nur drei der Brüder vom Weißen Schwert anwesend waren, um die Ritterschläge vorzunehmen. Mandon Moor war in der Schlacht verschollen, der Bluthund war verschwunden, Arys Eichenherz war in Dorne bei Prinzessin Myrcella, und Jaime Lennister war Robbs Gefangener; somit blieben von der Königsgarde nur Balon Swann, Meryn Trant und Osmund Schwarzkessel. Nachdem die Männer den Ritterschlag erhalten hatten, standen sie auf, schnallten sich den Schwertgurt um und stellten sich ans Fenster. Einige hatten sich die Füße beim Gang durch die Stadt blutig gelaufen, trotzdem standen sie aufrecht und stolz neben den anderen.

Nachdem alle neuen Ritter ihre Sers bekommen hatten, machte sich wachsende Unruhe in der Halle breit, insbesondere bei Joffrey. Manche der Gäste auf der Galerie hatten sich heimlich hinausgeschlichen, die Adligen unten dagegen saßen jedoch in der Falle und durften sich ohne die Erlaubnis des Königs nicht zurückziehen. So wie dieser auf dem Eisernen Thron hin und her rutschte, hätte Joff sie ihnen nur zu gern erteilt, doch die Pflichten des Tages waren noch lange nicht erfüllt. Denn nun wurden die Gefangenen hereingeführt.

Auch unter ihnen befanden sich große Lords und edle Ritter: der säuerliche alte Lord Celtigar, der Rote Krebs; Ser Bonifer der Gute; Lord Estermont, der Celtigar an Jahren noch übertraf; Lord Varner, der mit einem zerschmetterten Knie durch den Saal humpeln musste, doch keine Hilfe akzeptierte; der graugesichtige Ser Mark Mullendor, der seinen linken Arm bis zum Ellbogen verloren hatte; der furchterregende Rote Ronnet vom Greifenhorst; Ser Dermot aus dem Regenwald; Lord Willum und seine Söhne Josua und Elyas; Ser Jon Fossowey; Ser Timon der Schwertschleifer; Aurane, der Bastard von Driftmark; Lord Staedmon, genannt der Pfennigfuchser, und Hunderte anderer.

Jene, die während der Schlacht die Seiten gewechselt hatten, brauchten jetzt Joffrey lediglich den Treueid abzulegen, jene hingegen, die bis zum bitteren Ende für Stannis gekämpft hatten, wurden gezwungen, sich zu äußern. Ihre Worte entschieden über ihr Schicksal. Baten sie um Vergebung für ihren Hochverrat und versprachen, von nun an treu zu dienen, gewährte Joffrey ihnen den Frieden des Königs und gab ihnen ihre Ländereien und Rechte zurück. Eine Hand voll Männer blieb jedoch unbeugsam. »Glaubt nur nicht, diese Sache sei schon ausgefochten, Knabe«, warnte einer von ihnen, der Bastardsohn eines Florents, wie Sansa annahm. »Der Herr des Lichts beschützt König Stannis, jetzt und immerdar. All Eure Schwerter und all Eure Ränke werden Euch nicht retten, wenn seine Stunde gekommen ist.«

»Eure Stunde ist tatsächlich gerade gekommen.« Joffrey winkte Ser Ilyn Payn, den Verräter hinauszubringen und ihm den Kopf abzuschlagen. Doch sobald er hinausgezerrt war, rief einer der Ritter, auf dessen Brust das flammende Herz prangte, mit feierlicher Miene: »Stannis ist der wahre König! Auf dem Eisernen Thron sitzt ein Ungeheuer, eine Ausgeburt des Inzests!«

»Schweigt!«, brüllte Ser Kevan Lennister.

Stattdessen schrie der Ritter noch lauter: »Joffrey ist der schwarze Wurm, der am Herzen des Reiches nagt! Finsternis war sein Vater und Tod seine Mutter! Vernichtet ihn, ehe er Euch alle verdirbt! Vernichtet sie alle, die Hurenkönigin und den Wurmkönig, den abscheulichen Zwerg und die flüsternde Spinne, die falschen Blumen. Rettet Euch!« Einer der Goldröcke schlug den Mann zu Boden, trotzdem schrie er weiter: »Das reinigende Feuer wird kommen! König Stannis wird zurückkehren!«

Joffrey sprang auf. »Ich bin der König! Tötet ihn! Tötet ihn sofort. Ich befehle es.« Er vollführte mit der Hand eine wütende, hackende Geste … und schrie vor Schmerz auf, als sein Arm einen der scharfen Metallzähne streifte, die ihn umgaben. Der helle scharlachrote Samt seines Ärmels wurde an der Stelle, wo er vom Blut getränkt wurde, eine Spur dunkler. »Mutter!«, jammerte der Junge.

Da sich nun alle Blicke auf den König richteten, konnte der Mann auf dem Boden einem der Goldröcke irgendwie einen Speer entwinden, mit dessen Hilfe er sich auf die Beine erhob. »Der Thron versagt sich ihm!«, rief er. »Er ist nicht der rechte König!«

Cersei stürzte auf den Thron zu, doch Lord Tywin blieb still wie ein Stein. Er hob nur einen Finger, und Ser Meryn Trant trat mit gezogenem Schwert vor. Das Ende kam schnell und erbarmungslos. Die Goldröcke packten den Mann an den Armen. »Nicht der rechte König!«, brüllte er noch einmal, während Ser Meryn ihm die Spitze seines Langschwerts durch die Brust bohrte.

Joff fiel seiner Mutter in die Arme. Drei Maester eilten herbei und führten ihn zur Tür des Königs hinaus. Dann redeten plötzlich alle durcheinander. Als die Goldröcke die Leiche nach draußen schleppten, hinterließ sie eine leuchtend rote Blutspur auf dem Steinboden. Lord Baelish strich sich über den Bart, derweil Varys ihm etwas ins Ohr flüsterte. Werden sie uns nun endlich entlassen?, fragte sich Sansa. Zwanzig Gefangene warteten immer noch, um entweder Treue zu schwören oder den König zu verfluchen.

Lord Tywin erhob sich. »Wir fahren fort«, sagte er mit klarer lauter Stimme, die den Aufruhr zum Verstummen brachte. »Alle, die für ihren Hochverrat um Vergebung bitten möchten, sollen dies tun. Wir werden uns keine weiteren Torheiten bieten lassen.« Er trat vor den Eisernen Thron und setzte sich auf eine Stufe, knapp einen Meter über dem Boden.

Draußen schwand das Tageslicht bereits, als die Sitzung zu Ende war. Sansa fühlte sich ganz taub vor Erschöpfung, während sie die Galerie verließ. Sie fragte sich, wie schlimm Joffrey sich wohl geschnitten hatte. Es heißt, der Eiserne Thron kann sehr grausam zu denen sein, die kein Recht haben, darauf zu sitzen.

Endlich in ihrem Zimmer und in Sicherheit, drückte sie sich ein Kissen vors Gesicht und stieß einen lauten Jubelschrei aus. Oh, bei den guten Göttern, er hat es getan, er hat mich vor allen Leuten verstoßen. Das Dienstmädchen, das ihr Abendessen brachte, hätte sie beinahe geküsst. Es gab warmes Brot, frische Butter, eine dicke Rinderbrühe, Kapaun und Karotten, und zum Schluss Pfirsiche in Honig. Sogar das Essen schmeckt plötzlich viel besser.

Nach Einbruch der Dunkelheit legte sie einen Mantel an und machte sich auf den Weg zum Götterhain. Ser Osmund Schwarzkessel in seiner weißen Rüstung hielt Wache auf der Zugbrücke. Sansa tat ihr Bestes, um möglichst traurig zu klingen, als sie ihm einen guten Abend wünschte. So spöttisch, wie er sie anblickte, war sie nicht sicher, ob sie besonders glaubhaft gewesen war.

Dontos wartete im Mondlicht unter dem Laub. »Warum das traurige Gesicht?«, fragte Sansa ihn fröhlich. »Ihr wart doch dabei, Ihr habt es gehört. Joff hat die Verlobung gelöst, er ist fertig mit mir, er …«

Dontos ergriff ihre Hand. »Oh, Jonquil, meine arme Jonquil, Ihr begreift nicht. Fertig mit Euch? Sie haben gerade erst angefangen.«

Ihr Mut sank. »Wie meint Ihr das?«

»Die Königin wird Euch niemals gehen lassen, niemals. Ihr seid eine zu wertvolle Geisel. Und Joffrey … er ist noch immer König. Wenn er Euch in seinem Bett wünscht, wird er Euch nehmen, nur werden es nun Bastarde sein, die er mit Euch zeugt, und keine ehelichen Söhne.«

»Nein«, widersprach Sansa schockiert. »Er wird mich gehen lassen, er …«

Ser Dontos drückte ihr einen feuchten Kuss aufs Ohr. »Seid tapfer. Ich habe geschworen, Euch nach Hause zu bringen, und jetzt kann ich das auch tatsächlich tun. Der Tag steht bereits fest.«

»Wann?«, fragte Sansa. »Wann werden wir aufbrechen?«

»In der Nacht von Joffreys Vermählung. Nach dem Fest. Alles ist vorbereitet. Der Rote Bergfried wird voller Fremder sein. Der halbe Hof wird betrunken sein, die andere Hälfte wird Joffrey helfen, seine Braut ins Ehebett zu führen. Eine Weile lang wird man Euch vergessen, und die Verwirrung wird unser Verbündeter sein.«

»Die Hochzeit findet nicht vor der Mondwende statt. Margaery Tyrell ist in Rosengarten, sie haben erst jetzt nach ihr geschickt.«

»Ihr habt so lange gewartet, geduldet Euch noch ein wenig länger. Hier, ich habe etwas für Euch.« Ser Dontos kramte in seinem Beutel und zog ein silbernes Spinnennetz hervor, das zwischen seinen dicken Fingern baumelte.

Es war ein Haarnetz, das aus feinstem Silber gesponnen war, dessen Fäden so dünn und zart waren, dass das Netz nicht schwerer als ein Lufthauch zu sein schien, als Sansa es in die Hand nahm. Winzige Edelsteine waren an den Stellen befestigt, wo sich die Fäden kreuzten, dunkle Steine, die das Mondlicht in sich aufsaugten. »Was für Steine sind das?«

»Schwarze Amethyste aus Asshai. Die seltensten, die es gibt. Bei Tageslicht sind sie tief purpurn.«

»Es ist sehr hübsch«, sagte Sansa und dachte: Ich brauche ein Schiff und kein Haarnetz.

»Hübscher, als Ihr denkt, liebes Kind. Es hat Zauberkräfte, müsst Ihr wissen. Es bedeutet Gerechtigkeit. Rache für Euren Vater.« Dontos beugte sich vor und küsste sie abermals. »Es bedeutet Heimat

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