CATELYN

»Sag Vater, ich sei losgezogen, um ihn mit Stolz zu erfüllen.« Ihr Bruder schwang sich in den Sattel, von Kopf bis Fuß in seine strahlende Rüstung und den braun-blauen Umhang des Lords gehüllt. Eine Silberforelle zierte den Kamm seines Helms, das Gegenstück zu der gemalten auf seinem Schild.

»Er war immer stolz auf dich, Edmure. Und er liebt dich sehr. Das darfst du mir glauben.«

»Ich werde ihm mehr Grund dafür geben als nur die Tatsache, dass ich geboren wurde.« Er ließ sein Streitross wenden und hob die Hand. Trompeten ertönten, eine Trommel wurde geschlagen, die Zugbrücke senkte sich langsam und ruckartig nach unten, und Ser Edmure Tully führte seine Männer mit aufgerichteten Lanzen und wehenden Bannern aus Schnellwasser heraus.

Ich habe ein größeres Heer als du, Bruder, dachte Catelyn, während sie dem Auszug zusah. Ein Heer von Zweifeln und Ängsten.

Briennes Elend war fast spürbar. Catelyn hatte ihr Kleider nähen lassen, stattliche Gewänder, die ihrer Geburt und ihrem Geschlecht angemessen waren, und trotzdem trug sie weiterhin lieber Kettenhemden und gehärtetes Leder und einen Schwertgurt um die Hüften. Zweifellos wäre sie lieber mit Edmure in den Krieg gezogen, doch selbst Mauern, die so stark wie die von Schnellwasser waren, brauchten Kämpfer, die sie verteidigten. Ihr Bruder hatte jeden dienstfähigen Mann mit zu den Furten genommen, und so blieb Ser Desmond Grell der Befehl über eine Schar Verwundete, Alte, Kranke sowie einige Knappen und Bauernjungen, denen es an Waffenausbildung mangelte. Und mit ihnen sollte er eine Burg verteidigen, die bis unter das Dach mit Frauen und Kindern vollgestopft war.

Als der letzte von Edmures Fußsoldaten unter dem Fallgitter hindurchmarschiert war, fragte Brienne: »Was sollen wir nun tun, Mylady?«

»Unsere Pflicht.« Catelyns Gesicht war abgespannt, als sie über den Hof ging. Ich habe immer meine Pflicht getan, dachte sie. Vielleicht hatte ihr Hoher Vater sie deshalb immer für das Beste seiner Kinder gehalten. Ihre beiden Brüder waren früh gestorben, daher war sie für Lord Hoster gleichzeitig Sohn und Tochter gewesen, bis Edmure geboren wurde. Später war ihre Mutter verschieden, und ihr Vater hatte ihr gesagt, von nun an müsse sie die Lady von Schnellwasser sein, und diese Pflicht hatte sie ebenfalls auf sich genommen. Und als Lord Hoster sie Brandon Stark versprach, hatte sie ihm gedankt, weil er ihr zu einer so hervorragenden Partie verhalf.

Ich habe Brandon meine Schleife geschenkt, und ich habe Petyr nicht mehr getröstet, nachdem er verwundet wurde, und mich auch nicht von ihm verabschiedet, als Vater ihn fortschickte. Und nach Brandons Tod sagte mir Vater, ich müsse seinen Bruder heiraten, und das habe ich dann frohen Herzens getan, obwohl ich Ned erst an unserem Hochzeitstag zu sehen bekam. Ich habe diesem ernsten Fremden meine Jungfräulichkeit hingegeben und ihn in den Krieg und zu seinem König und zu dieser Frau geschickt, die ihm seinen Bastard geboren hat, weil ich stets meine Pflicht getan habe.

Ihre Schritte führten sie zur Septe, dem siebeneckigen Sandsteintempel, der inmitten des Gartens ihrer Mutter stand und den buntes Licht in allen Farben des Regenbogens erhellte. Als sie eintraten, war die Septe voller Menschen; was das Bedürfnis zu beten betraf, war Catelyn nicht allein. Sie kniete vor dem bemalten Marmorbildnis des Kriegers und zündete eine Duftkerze für Edmure an, und eine zweite für Robb hinter den Bergen. Behüte sie und verhilf ihnen zum Sieg, betete sie, und schenke den Seelen der Gefallenen Frieden und den Hinterbliebenen Trost.

Der Septon trat mit Rauchfass und Kristall ein, während Catelyn noch betete, daher blieb sie zur Zeremonie. Sie kannte diesen Septon nicht, einen ernsten jungen Mann ungefähr in Edmures Alter. Er führte sein Amt gut aus, und seine Stimme klang voll und angenehm, als er die Sieben singend pries, und dennoch sehnte sich Catelyn nach der dünnen, zitternden Stimme von Septon Osmynd, der schon lange tot war. Osmynd hätte ihre Schilderung dessen, was sie in Renlys Pavillon gesehen und gespürt hatte, geduldig angehört, und er hätte vielleicht sogar die Bedeutung dieses Ereignisses erkannt und ihr sagen können, was sie tun musste, um die Schatten in ihren Träumen zu vertreiben. Osmynd, mein Vater, Onkel Brynden, der alte Maester Kym, sie schienen immer alles zu wissen, und jetzt bin nur ich noch hier, und ich weiß offenbar gar nichts, ich kenne nicht einmal meine Pflicht. Wie kann ich meine Pflicht erfüllen, wenn ich nicht weiß, wo sie liegt?

Catelyns Knie waren steif, als sie sich schließlich erhob, und sie fühlte sich kein bisschen weiser. Vielleicht sollte sie heute Abend in den Götterhain gehen und auch zu Neds Göttern beten. Sie waren älter als die Sieben.

Als sie die Septe verließ, hörte sie ein Lied von ganz anderer Art. Rymund der Reimer saß am Brauhaus inmitten einer Schar Zuhörer und sang mit tiefer Stimme das Lied von Lord Deremond auf der Blutigen Wiese.

»So stand er dort, das Schwert gezückt,

Der Letzte von Darrys Zehn …«

Brienne blieb kurz stehen und lauschte dem Gesang, wobei sie die Schultern hochzog und die Arme vor der Brust verschränkte. Eine Gruppe zerlumpter Jungen, die laut kreischten und mit Stöcken nacheinander schlugen, lief vorbei. Warum spielen Jungen nur so gern Krieg?, fragte sich Catelyn. Ob die Antwort bei Rymund lag? Die Stimme des Sängers schwoll an, während er sich dem Ende seines Liedes näherte.

»Rot war das Gras unter seinen Füßen,

Und rot seine Banner hell.

Und rot der Sonnenuntergang

Ins Licht ihn tauchte grell.

»Kommt, kommt«, rief der große Lord,

»Noch hungrig ist mein Schwert.«

Mit einem Schrei voll wilder Wut

Ward der Bach gequert …«

»Kämpfen ist besser als warten«, sagte Brienne. »Man fühlt sich nicht so hilflos, wenn man kämpft. Man hat ein Schwert und ein Pferd und manchmal eine Axt. Dazu die Rüstung, die es den anderen schwer macht, einen zu verwunden.«

»Ritter sterben in der Schlacht«, erinnerte Catelyn sie.

Brienne blickte sie mit ihren blauen, schönen Augen an. »Und Frauen sterben im Kindbett. Über sie singt niemand Lieder.«

»Kinder sind eine Schlacht ganz anderer Art.« Catelyn setzte sich wieder in Bewegung. »Eine Schlacht ohne Banner und Hörner, und doch kaum weniger grausam. Ein Kind auszutragen, es zur Welt zu bringen … Eure Mutter wird Euch den Schmerz beschrieben haben …«

»Meine Mutter habe ich nie kennengelernt«, erwiderte Brienne. »Mein Vater hatte Damen … jedes Jahr eine andere, aber …«

»Das waren keine Damen«, sagte Catelyn. »So hart die Geburt sein mag, Brienne, was darauf folgt, ist noch viel schwerer. Manchmal fühle ich mich, als würde ich zerrissen. Gäbe es mich doch nur fünf Mal, eine für jedes Kind, damit ich sie alle beschützen könnte.«

»Und wer würde Euch beschützen, Mylady?«

Catelyn lächelte matt und erschöpft. »Nun, die Männer meines Hauses. So hat es mich meine Hohe Mutter jedenfalls gelehrt. Mein Hoher Vater, mein Bruder, mein Onkel, mein Gemahl, sie alle beschützen mich … solange sie allerdings nicht bei mir sind, müsst Ihr in diese Bresche springen, Brienne.«

Brienne neigte den Kopf. »Ich werde mein Bestes tun, Mylady. «

Später am Tag brachte Maester Vyman ihr einen Brief. Sie las ihn sofort, da sie auf eine Nachricht von Robb oder von Ser Rodrik in Winterfell hoffte, doch er stammte von einem gewissen Lord Wiesen, der sich als Kastellan von Sturmkap bezeichnete. Gerichtet war das Schreiben an ihren Vater, ihren Bruder, ihren Sohn oder »an denjenigen, wer auch immer Schnellwasser hält«. Ser Cortnay Fünfrosen war tot, schrieb der Mann, und Sturmkaps Tore waren Stannis Baratheon, dem wahren und rechtmäßigen Erben des Eisernen Throns und von Sturmkap geöffnet worden. Die Besatzung der Burg hatte ihm den Treueid geschworen, und keinem Mann war ein Leid zugefügt worden.

»Außer Ser Cortnay Fünfrosen«, murmelte Catelyn. Sie war dem Mann niemals begegnet, dennoch stimmte sein Tod sie traurig. »Robb sollte sofort davon erfahren«, sagte sie. »Wissen wir, wo er sich aufhält?«

»Den letzten Berichten zufolge marschiert er in Richtung Burg Bruch, das ist der Sitz des Hauses Westerling«, sagte Maester Vyman. »Wenn ich einen Raben nach Aschmark sende, könnte man ihm einen Reiter hinterherschicken.«

»Tut das.«

Catelyn las den Brief noch einmal, nachdem der Maester gegangen war. »Lord Wiesen erwähnt Roberts Bastard nicht«, erklärte sie Brienne. »Ich nehme an, der Junge wurde mit den anderen übergeben, obwohl ich gestehen muss, dass ich nicht weiß, warum Stannis ihn unbedingt haben wollte.«

»Vielleicht fürchtete er sich vor den Ansprüchen des Jungen? «

»Die Ansprüche eines Bastards? Nein, da muss etwas anderes dahinterstecken … wie sieht dieses Kind aus?«

»Er ist sieben oder acht, ansehnlich, hat schwarzes Haar und helle blaue Augen. Besucher haben ihn oft für Lord Renlys Sohn gehalten.«

»Und Renly sah Robert ähnlich.« Langsam dämmerte es Catelyn. »Stannis will dem Reich den Bastard seines Bruders vorführen, damit jeder Robert in ihm sieht und sich fragt, warum Joffrey ihm nicht so ähnlich ist.«

»Würde das so viel bedeuten?«

»Jene, die auf Stannis’ Seite stehen, werden es als Beweis betrachten. Jene, die sich Joffrey angeschlossen haben, werden es für unwichtig halten.« Ihre eigenen Kinder hatten ebenfalls mehr von den Tullys an sich als von den Starks. Arya war die Einzige, die Ned vom Gesicht her ähnelte. Und Jon Schnee, aber der ist nicht mein Sohn. Sie dachte an Jons Mutter, an die geheimnisvolle Geliebte, über die ihr Gemahl niemals gesprochen hatte. Trauert sie ebenso sehr um Ned wie ich? Oder hat sie ihn gehasst, weil er ihr Bett verließ und in meines stieg? Betet sie für ihren Sohn wie ich für die meinen?

Das waren unbehagliche Gedanken und vergebliche dazu. Falls tatsächlich Ashara Dayn von Sternfall Jon geboren hatte, was manche hinter vorgehaltener Hand behaupteten, war sie seit langem tot; falls nicht, besaß Catelyn ansonsten keinen Hinweis darauf, wer Jons Mutter sein könnte. Und was für einen Unterschied machte es schon? Ned war tot, und mit ihm waren seine Lieben und seine Geheimnisse gestorben.

Dennoch wunderte es sie abermals, wie seltsam sich Männer benahmen, wenn es um ihre Bastarde ging. Ned hatte Jon stets in Schutz genommen, und Ser Cortnay Fünfrosen hatte sein Leben für diesen Edric Sturm gegeben, wohingegen Roose Bolton sein Bastard weniger wert gewesen war als einer seiner Hunde, wenn man es nach dem Ton des eigenartig kalten Briefes beurteilte, den Edmure vor nicht einmal drei Tagen von ihm erhalten hatte. Er habe den Trident überschritten und marschiere nach Harrenhal wie befohlen, hatte er geschrieben. »Eine starke Burg und gut besetzt, aber Seine Gnaden soll sie bekommen, und wenn ich jede einzelne Menschenseele darin töten muss.« Er hoffe, Seine Gnaden würden das gegen die Verbrechen seines Bastards aufrechnen, den Ser Rodrik Cassel getötet hatte. »Dieses Schicksal hatte er zweifelsohne verdient«, hatte Bolton geschrieben. »Verdorbenes Blut ist stets verräterisch, und Ramsay war von Natur aus verschlagen, gierig und grausam. Ich schätze mich glücklich, von ihm befreit zu sein. Die rechtmäßigen Söhne, die mir mein junges Weib versprochen hat, wären niemals sicher gewesen, solange er lebte.«

Heraneilende Schritte verscheuchten die morbiden Gedanken aus ihrem Kopf. Ser Desmonds Knappe kam keuchend hereingestürzt und kniete nieder. »Mylady … Lennisters … jenseits des Flusses.«

»Hol erst einmal tief Luft, Junge, und erzähl es mir eins nach dem anderen.«

Er gehorchte. »Eine Kolonne von Männern, in voller Rüstung«, berichtete er. »Auf der anderen Seite des Roten Arms. Sie führen das purpurne Einhorn unter dem Löwen der Lennisters. «

Irgendein Sohn von Lord Brax. Brax war in ihrer Kindheit einmal nach Schnellwasser gekommen, um eine Heirat zwischen einem seiner Söhne und ihr oder Lysa vorzuschlagen. Sie fragte sich, ob nun dort draußen der gleiche Sohn den Angriff führte.

Die Lennisters waren von Südosten gekommen, erklärte Ser Desmond ihr, als sie zum Wehrgang hinaufstieg und sich zu ihm gesellte. »Ein paar Vorreiter, mehr nicht«, versicherte er ihr. »Die Hauptmacht von Lord Tywins Heer befindet sich im Süden. Hier droht uns keine Gefahr.«

Südlich des Roten Arms erstreckte sich das Land offen und flach. Vom Wachturm aus konnte Catelyn meilenweit sehen. Trotzdem war nur die nächste Furt zu erkennen. Deren Verteidigung hatte Edmure Lord Jason Mallister anvertraut, ebenso die der drei, die weiter flussaufwärts lagen. Die Reiter der Lennisters ritten unentschlossen am Wasser auf und ab. Ihre scharlachroten und silbernen Banner flatterten im Wind. »Höchstens fünfzig, Mylady«, schätzte Ser Desmond.

Catelyn beobachtete, wie die Reiter eine lange Front bildeten. Lord Jasons Männer erwarteten sie hinter Felsen und Gras und kleinen Hügeln. Ein Trompetenstoß war das Signal, auf welches hin die Reiter in schwerfälligem Schritt vordrangen und spritzend in den Fluss ritten. Einen Augenblick lang boten sie einen prächtigen Anblick mit ihren hellen Rüstungen und wehenden Bannern und den Lanzenspitzen, die in der Sonne blitzten.

»Jetzt!«, hörte sie Brienne murmeln.

Es war schwer zu erkennen, was geschah, doch das Wiehern der Pferde erschien selbst auf diese Entfernung laut, und Catelyn hörte das schwache Klirren von Stahl. Ein Banner verschwand plötzlich, als sein Träger fiel, und bald darauf trieben die ersten Toten im Strom an den Mauern vorbei. Inzwischen hatten sich die Lennisters in heilloser Verwirrung zurückgezogen. Catelyn beobachtete, wie sie sich neu formierten, kurz beratschlagten und daraufhin in die Richtung davongaloppierten, aus der sie gekommen waren. Die Männer auf den Mauern riefen ihnen höhnische Beschimpfungen nach, obwohl sie viel zu weit entfernt waren, um es zu hören.

Ser Desmond klopfte sich auf den Bauch. »Ich wünschte, Lord Hoster hätte das sehen können. Er hätte vor Freude getanzt. «

»Die Tage, in denen mein Vater tanzte, sind lange vorbei, fürchte ich«, erwiderte Catelyn, »und dieser Kampf hat gerade erst begonnen. Die Lennisters werden zurückkommen. Lord Tywin hat doppelt so viele Männer wie mein Bruder.«

»Er könnte zehn Mal so viele haben, und es würde nichts ändern«, sagte Ser Desmond. »Das Westufer des Roten Arms ist höher als das östliche, Mylady, und außerdem bewaldet. Unsere Bogenschützen finden dort genug Deckung und haben gleichzeitig freies Schussfeld … und sollte es eine Bresche geben, hält Edmure seine besten Ritter in Reserve, damit sie überall dort einspringen können, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Der Fluss wird die Lennisters zurückhalten.«

»Ich bete, dass Ihr Recht habt«, antwortete Catelyn ernst.

In der Nacht kamen sie wieder. Catelyn hatte befohlen, sie sofort zu wecken, falls der Feind erneut auftauchte, und eine ganze Weile nach Mitternacht rüttelte sie ein Zimmermädchen leicht an der Schulter. Sofort saß Catelyn aufrecht im Bett.

»Was gibt es?«

»Sie sind wieder an der Furt, Mylady.«

In ihren Morgenmantel gehüllt stieg Catelyn zum Dach des Bergfrieds hinauf. Von dort aus konnte sie über die Mauern und den vom Mond beleuchteten Fluss hinwegschauen bis zur Furt, wo der Kampf tobte. Die Verteidiger hatten entlang des Ufers Wachfeuer angezündet, und deshalb glaubten die Lennisters vielleicht, den Gegner nachtblind oder unaufmerksam vorzufinden. Falls diese Annahme stimmte, war sie eine Torheit. Die Dunkelheit war allenfalls ein unzuverlässiger Verbündeter. Während sie durch den Fluss wateten, traten Männer in verborgene tiefe Löcher und versanken laut platschend, während andere über Steine stolperten oder sich in den Fußangeln verfingen. Mallisters Bogenschützen schickten einen Hagel zischender Brandpfeile über den Fluss, der aus der Ferne eine eigentümliche Schönheit besaß. Ein Mann, der ein Dutzend Mal getroffen war und dessen Kleider brannten, vollführte im knietiefen Wasser einen wilden Tanz, bis er schließlich fiel und flussabwärts getrieben wurde. Als sein Körper schließlich an Schnellwasser vorbeikam, waren Flammen und Leben gleichermaßen erloschen.

Ein kleiner Sieg, dachte Catelyn, als die Kämpfe vorüber waren und die überlebenden Feinde in der Nacht verschwunden waren, und doch nichtsdestotrotz ein Sieg. Auf dem Weg die Wendeltreppe hinunter fragte Catelyn Brienne, was sie darüber denke. »Das war die flüchtige Berührung von Lord Tywins Fingerspitze, Mylady«, antwortete das Mädchen. »Er tastet herum und sucht nach einer Schwachstelle, einem Punkt, der nicht bewacht wird und an dem er übersetzen kann. Wenn er keinen findet, wird er die Finger zur Faust ballen und versuchen, mit Gewalt überzusetzen.« Brienne zog die Schultern hoch. »Das würde ich jedenfalls tun. Wäre ich an seiner Stelle.« Sie fuhr mit der Hand zum Heft ihres Schwertes und tätschelte es, als wolle sie sich vergewissern, dass es noch immer an Ort und Stelle war.

Mögen die Götter uns dann beistehen, dachte Catelyn. Und trotzdem konnte sie nichts tun. Dort draußen am Fluss hatte Edmure seine Schlacht; ihre fand hier im Inneren der Burg statt.

Am nächsten Morgen während des Frühstücks ließ sie Utherydes Wayn, den alten Haushofmeister ihres Vaters, kommen. »Lasst Ser Cleos Frey eine Karaffe Wein bringen. Ich möchte ihn bald verhören, und dann sollte seine Zunge gelöst sein.«

»Wie Ihr befehlt, Mylady.«

Nicht lange darauf traf ein Reiter mit dem Adler der Mallisters auf der Brust mit der Nachricht ein, dass es ein weiteres Gefecht und einen weiteren Sieg gegeben hatte. Ser Flement Brax hatte versucht, mit Gewalt an einer anderen Furt achtzehn Meilen weiter südlich durchzubrechen. Diesmal hatten die Lennisters ihre Lanzen verkürzt und waren zu Fuß durch den Fluss vorgedrungen, doch die Bogenschützen hatten ihre Pfeile hoch im Bogen geschossen und so die Schilde der Angreifer überwunden, während die Skorpione, die Edmure am Ufer hatte aufstellen lassen, die Formation aufbrachen, indem sie schwere Steine schleuderten. »Ein Dutzend Tote haben sie im Wasser zurückgelassen, und nur zwei Mann haben unsere Seite erreicht, wo wir rasch mit ihnen fertig wurden«, sagte der Reiter. Er berichtete auch von Kämpfen weiter flussaufwärts, wo Lord Karyl Vanke die Furten hielt. »Diese Angriffe wurden ebenfalls unter großen Verlusten für den Gegner abgewehrt.«

Vielleicht ist Edmure weiser, als ich dachte, ging es Catelyn durch den Kopf. Seine Lords hielten den Schlachtplan für klug, warum nur war ich so blind? Mein Bruder ist nicht mehr der kleine Junge aus meiner Erinnerung, genauso wenig wie Robb.

Sie wartete bis zum Abend, ehe sie Ser Cleos Frey ihren Besuch abstattete; je länger sie ihn hinauszögerte, desto betrunkener würde er vermutlich sein. Als sie die Zelle im Turm betrat, fiel Ser Cleos schwankend auf die Knie. »Mylady, ich wusste nichts von der geplanten Flucht. Der Gnom hat gesagt, ein Lennister brauche eine Lennister-Eskorte, bei meinem Eid als Ritter …«

»Erhebt Euch, Ser.« Catelyn setzte sich. »Ich weiß, kein Enkel von Walder Frey würde seinen Eid brechen.« Solange es nicht seinen eigenen Zielen dient. »Ihr habt Bedingungen für einen Friedensschluss gebracht, erzählte mir mein Bruder.«

»Ja.« Ser Cleos kam ungeschickt auf die Beine. Zufrieden sah sie, wie stark er wankte.

»Teilt sie mir mit«, befahl sie, und er gehorchte.

Nachdem er geendet hatte, saß Catelyn stirnrunzelnd da. Edmure hatte Recht gehabt, das konnte man beim besten Willen nicht als Bedingungen bezeichnen, es sei denn … »Lennister will Arya und Sansa für seinen Bruder austauschen.«

»Ja. Er hat auf dem Eisernen Thron gesessen und es geschworen. «

»Vor Zeugen?«

»Vor dem ganzen Hof, Mylady. Und vor den Göttern dazu. Ich habe das bereits Ser Edmure erzählt, aber er hat nur gesagt, das sei unmöglich, Seine Gnaden Robb würde niemals zustimmen.«

»Er hat die Wahrheit gesprochen.« Sie konnte nicht einmal sagen, dass Robb Unrecht hatte. Arya und Sansa waren Kinder. Der Königsmörder war, lebendig und frei, genauso gefährlich wie jeder andere Mann im Reich. Dieser Weg führte in eine Sackgasse. »Habt Ihr meine Mädchen gesehen? Werden sie gut behandelt?«

Ser Cleos zögerte. »Ich … ja, sie schienen …«

Er überlegt sich eine Lüge, dachte Catelyn, aber der Wein hat seine Sinne benebelt. »Ser Cleos«, sagte sie kühl, »Ihr habt den Schutz des Friedensbanners verwirkt, als Eure Männer uns schändlich getäuscht haben. Belügt mich jetzt, und Ihr werdet neben ihnen von der Mauer hängen. Das dürft Ihr mir glauben. Ich frage Euch also nochmals – habt ihr meine Töchter gesehen?«

Seine Stirn war feucht vor Schweiß. »Ich habe Sansa am Hof gesehen, als Tyrion mir seine Bedingungen mitteilte. Sie sah sehr hübsch aus, Mylady. Vielleicht ein wenig blass. Oder eher erschöpft.«

Sansa, aber nicht Arya. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Arya war schon immer schwieriger zu zähmen gewesen. Vielleicht wollte Cersei sie nicht vor dem Hof präsentieren, weil sie Angst hatte, das Mädchen könnte etwas Falsches sagen oder tun. Möglicherweise war sie irgendwo sicher eingesperrt. Oder sie haben sie getötet. Catelyn verdrängte diesen Gedanken. »Seine Bedingungen, sagt Ihr … und doch ist Cersei die Königin Regentin.«

»Tyrion hat für beide gesprochen. Die Königin war nicht anwesend. An jenem Tag war sie unpässlich, wurde mir mitgeteilt. «

»Eigenartig.« Catelyn dachte zurück an jene fürchterliche Reise durch die Mondberge und daran, wie Tyrion Lennister diesen Söldner dazu gebracht hatte, aus ihren Diensten in die seinen überzutreten. Der Zwerg ist einfach zu schlau. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie er es geschafft hatte, auf der Bergstraße zu überleben, nachdem ihn Lysa aus dem Tal geworfen hatte, und trotzdem überraschte es sie nicht. Wenigstens hat er sich nicht an dem Mord an Ned beteiligt. Und er ist mir zu Hilfe gekommen, als die Stammesleute uns angriffen. Wenn ich nur seinem Wort vertrauen könnte …

Sie öffnete die Hände und betrachtete die Narben auf ihren Fingern. Diese Narben stammen von seinem Dolch, rief sie sich in Erinnerung. Von seinem Dolch in der Hand des Mörders, den er bezahlt hat, um Bran die Kehle durchzuschneiden. Obwohl der Zwerg es natürlich leugnete. Selbst nachdem Lysa ihn in einer der Himmelszellen eingesperrt und ihn mit ihrer Mondpforte bedroht hatte, hatte er es noch abgestritten. »Er hat gelogen«, sagte sie und erhob sich unvermittelt. »Die Lennisters sind alle miteinander Lügner, und der Zwerg ist der Schlimmste von ihnen. Der Mörder trug sein eigenes Messer.«

Ser Cleos starrte sie an. »Ich weiß nichts von irgendeinem …«

»Ihr wisst überhaupt nichts«, stimmte sie zu und rauschte aus der Zelle. Schweigend schloss Brienne sich ihr an. Für sie ist es einfacher, dachte Catelyn mit einem Anflug von Neid. In dieser Hinsicht war sie wie ein Mann. Für Männer lautete die Antwort immer gleich, und sie war nie weiter entfernt als das nächste Schwert. Für eine Frau, eine Mutter, war der Weg steiniger und schwieriger zu erkennen.

Mit ihren Männern nahm sie ein spätes Mahl in der Großen Halle ein. Rymund der Reimer sang die ganze Zeit und ersparte ihr so die Notwendigkeit zu reden. Er endete mit dem Lied, das er über Robbs Sieg bei Ochsenfurt verfasst hatte. »Und die Sterne in der Nacht waren die Augen seiner Wölfe, und der Wind selbst war ihr Lied.« Zwischen den Versen warf Rymund den Kopf in den Nacken und heulte, und am Ende heulte die halbe Halle mit ihm, sogar Desmond Grell, der ziemlich angetrunken war. Ihre Stimmen hallten von den Dachsparren wider.

Sollen sie doch ihre Lieder singen, wenn es ihren Mut stärkt, dachte Catelyn und spielte mit ihrem Silberkelch.

»Als ich klein war, gab es in Dämmerhall immer einen Sänger«, erzählte Brienne leise. »Ich habe alle Lieder auswendig gelernt.«

»Sansa auch, obwohl nur wenige Sänger die weite Reise in den Norden nach Winterfell auf sich genommen haben.« Ich habe ihr erzählt, am Hofe des Königs gebe es Sänger. Ich habe ihr gesagt, dort werde sie alle möglichen Arten von Musik hören, dass ihr Vater einen Meister finden werde, der ihr das Spiel auf der Harfe beibringt. Oh, mögen die Götter mir vergeben

Brienne sagte: »Ich erinnere mich an eine Frau … Sie kam von irgendwo jenseits der Meerenge. Ich konnte nicht einmal ihre Sprache verstehen, aber ihre Stimme war so wunderschön wie sie selbst. Ihre Augen hatten die Farbe von Pflaumen, und ihre Taille war so dünn, dass mein Vater sie mit den Händen umspannen konnte. Seine Hände waren fast so groß wie meine.« Sie schloss ihre langen dicken Finger zur Faust, als wollte sie sie verstecken.

»Habt Ihr für Euren Vater gesungen?«, fragte Catelyn.

Brienne schüttelte den Kopf und starrte auf ihren Teller, als ob sie in der Soße eine Antwort finden könnte.

»Und für Lord Renly?«

Das Mädchen errötete. »Nie, ich … sein Narr machte manchmal so grausame Scherze, und ich …«

»Irgendwann müsst Ihr für mich singen.«

»Ich … bitte, dazu fehlt mir die rechte Gabe.« Brienne schob sich vom Tisch zurück. »Verzeiht mir, Mylady. Wenn Ihr erlaubt …?«

Catelyn nickte. Das große, unbeholfene Mädchen verließ die Halle mit langen Schritten, die meisten der Feiernden bemerkten sie gar nicht. Mögen die Götter mit ihr gehen, dachte Catelyn, während sie sich lustlos wieder ihrem Essen zuwandte.

Drei Tage später ging der Faustschlag nieder, den Brienne vorausgesagt hatte, und es dauerte fünf Tage, bis sie davon erfuhren. Catelyn saß bei ihrem Vater, als Edmures Bote eintraf. Die Rüstung des Mannes war verbeult, seine Stiefel waren staubig, und er hatte ein hässliches Loch in seinem Überwurf. Er brachte gute Neuigkeiten. »Sieg, Mylady«, sagte er und reichte ihr Edmures Brief. Ihre Hand zitterte, als sie das Siegel erbrach.

Lord Tywin hatte versucht, das Überqueren des Flusses an einem Dutzend verschiedener Furten zu erzwingen, war jedoch überall zurückgeworfen worden. Lord Leffert war ertrunken, der Rallenhall-Ritter, den sie Starker Eber nannten, war in Gefangenschaft geraten, Ser Addam Marbrand war drei Mal zum Rückzug gezwungen worden … doch die erbittertsten Gefechte hatten bei der Steinmühle stattgefunden, wo Ser Gregor Clegane den Angriff geführt hatte. Dabei waren so viele seiner Männer gefallen, dass ihre toten Pferde den Fluss zu stauen drohten. Am Ende waren der Reitende Berg und einige seiner besten Männer zwar bis zum Westufer vorgedrungen, doch Edmure hatte seine Reserve auf sie geworfen und sie blutend und geschlagen zurückgedrängt. Ser Gregor selbst hatte sein Pferd verloren; er war aus einem Dutzend Wunden blutend durch den Roten Arm zurückgetaumelt, während ein Hagel von Pfeilen und Steinen auf ihn niedergegangen war. »Sie werden den Fluss nicht überqueren, Cat«, hatte Edmure gekritzelt. »Lord Tywin marschiert nach Südosten. Vielleicht eine Finte oder ein vollständiger Rückzug, aber ganz gleich: Sie werden den Fluss nicht überqueren.«

Ser Desmond Grell war hocherfreut gewesen. »Oh, wenn ich nur hätte dabei sein dürfen«, sagte der alte Ritter, als sie ihm den Brief vorlas. »Wo ist dieser Narr Rymund? Darüber muss er doch ein Lied verfassen, bei den Göttern, ein Lied, das selbst Edmure nur zu gern hören wird. Die Mühle, die den Berg zermahlte, ich könnte die Worte fast selbst finden, hätte ich nur das Talent eines Sängers.«

»Ich möchte keine Lieder hören, ehe die Kämpfe nicht beendet sind«, sagte Catelyn, vielleicht eine Spur zu scharf. Dennoch erlaubte sie Ser Desmond, die Nachricht zu verbreiten, und stimmte zu, als er vorschlug, zu Ehren der Steinmühlenschlacht ein paar Fässer zu öffnen. Die Stimmung auf Schnellwasser war angespannt und ernst gewesen; alle konnten einen Kelch Wein und ein wenig Hoffnung vertragen.

In dieser Nacht hörte man in der Burg überall den Lärm der Feiernden. »Schnellwasser!«, rief das gemeine Volk und »Tully! Tully!« Verängstigt und hilflos waren sie hier angekommen, und Catelyns Bruder hatte sie eingelassen, während die meisten anderen Lords die Tore geschlossen hätten. Ihre Stimmen strömten zu den hohen Fenstern hinein und drangen unter den schweren Rotholztüren hindurch in ihr Zimmer. Rymund spielte auf seiner Harfe und ließ sich von Trommeln und einem Jungen mit einer Rohrflöte begleiten. Catelyn lauschte mädchenhaftem Lachen und dem aufgeregten Geplapper der unerfahrenen Knaben, die ihr Bruder zur Verteidigung der Burg zurückgelassen hatte. Wohlklingende Laute … und doch berührten sie sie nicht. Sie konnte ihr Glück nicht teilen.

Im Solar ihres Vaters fand sie ein schweres, in Leder gebundenes Buch mit Karten. Sie öffnete es bei den Flusslanden. Sofort entdeckte sie den Lauf des Roten Arms und fuhr ihn bei flackerndem Kerzenlicht mit dem Finger entlang. Er marschiert nach Südosten, dachte sie. Inzwischen hatte er vermutlich den Hauptlauf des Schwarzwassers erreicht, entschied sie.

Sie klappte das Buch zu, und ihr war unbehaglicher zu Mute als zuvor. Die Götter hatten ihnen Sieg auf Sieg geschenkt. Bei der Steinmühle, bei Ochsenfurt, in der Schlacht der Lager, im Wisperwald …

Aber wenn wir siegen, warum habe ich dann solche Angst?

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