KAPITEL SECHS

Julian‐Plantage, Louisiana, Juli 1857

Sour Billy war vorn und schleuderte sein Messer auf den abgestorbenen großen Baum, der vor dem Kiesweg stand, als die Reiter sich näherten. Es war noch früh am Morgen, aber trotzdem schon heiß wie in der Hölle, und Sour Billy war in Schweiß gebadet und überlegte, ob er nach seinen Messerwerf‐Übungen hinunter zum Fluß gehen sollte, um ein Bad zu nehmen. Dann sah er, wie die Reiter aus dem Wald auftauchten, wo die alte Straße eine Kurve beschrieb. Er ging hinüber zu dem toten Baum, zog das Messer aus dem Stamm und schob es wieder in die Scheide, die er auf dem Rücken an seinem Gürtel trug; er dachte nicht mehr daran, schwimmen zu gehen.

Die Reiter näherten sich nur langsam, aber dafür dreist wie hohe Tiere, und ritten im hellen Tageslicht heran, als gehörten sie dorthin. Sie konnten unmöglich aus dieser Gegend stammen, dachte Sour Billy; sämtliche Nachbarn wußten genau, daß Damon Julian es nicht duldete, wenn jemand ohne seine Erlaubnis sein Land betrat. Als die Reiter noch zu weit entfernt waren, um etwas Genaueres erkennen zu können, überlegte Sour Billy, ob es nicht einige von Montreuils Kreolenfreunden waren, die herkamen, um Streit anzufangen. Wenn das der Fall wäre, dann würde es ihnen bald leid tun.

Dann sah er, warum die Gruppe so langsam vorankam, und Sour Billy entspannte sich. Zwei Neger in Ketten stolperten hinter den beiden Männern auf den Pferden her. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Baumstamm, um die Besucher zu erwarten.

Und richtig, sie hielten an. Einer der Männer zu Pferde schaute hinüber zum Haus mit seiner abblätternden Farbe und den halb verfallenen Eingangsstufen, spuckte eine Ladung Tabaksaft aus und wandte sich an Sour Billy. »Ist dies die Julian‐Plantage?« fragte er. Er war ein massiger Mann mit gerötetem Gesicht und einer Warze auf der Nase. Gekleidet war er in stinkendes Lederzeug, und auf dem Kopf trug er einen zerknitterten Filzhut.

»Das ist sie«, erwiderte Sour Billy. Aber er blickte an dem Reiter und seinem Gefährten, einem schlanken Jungen mit rosigen Wangen, der offensichtlich sein Sohn war, vorbei. Er ging hinüber zu den beiden verstört aussehenden Negern, die schwankend und unterwürfig in ihren Ketten dastanden, und Sour Billy lächelte. »Na so was«, meinte er, »wenn das nicht Lily und Sam sind. Hätte nie gedacht, daß ihr beide euch noch einmal hier blicken lassen würdet. Es dürfte an die zwei Jahre her sein, seit ihr weggelaufen seid. Mister Julian wird sicherlich erfreut sein, daß ihr zurückgekommen seid.«

Sam, ein großer, kräftig wirkender Bursche, hob den Kopf und starrte Sour Billy an, aber in seinen Augen lag kein Trotz. Nur Angst. »Sie liefen uns oben in Arkansas über den Weg, meinem Jungen und mir«, berichtete der rotgesichtige Mann. »Sie wollten uns weismachen, sie seien freie Nigger, aber sie haben mich nicht eine Minute lang getäuscht, no, Sir.«

Sour Billy sah die Sklavenjäger an und nickte. »Fahren Sie fort.«

»Sie waren verdammt stur, diese beiden. Konnte sie kaum dazu bringen, uns zu verraten, woher sie kamen. Mußte sie ordentlich verprügeln, und hab’ auch noch ein paar andere Tricks angewandt, die ich kenne. Mit Niggern ist es gewöhnlich einfach, man macht ihnen ordentlich Angst, und schon erzählen sie einem, was man wissen will. Aber nicht die da.« Er spuckte aus. »Nun, am Ende bekamen wir es doch aus ihnen heraus. Zeig’s ihm, Jim.«

Der Junge saß ab, ging zu der Frau hinüber und hob ihren rechten Arm hoch. Drei Finger fehlten an ihrer Hand. Einer der Stummel war noch mit Blut verkrustet.

»Wir haben mit der rechten angefangen, weil uns aufgefallen war, daß sie Linkshänderin ist«, sagte der Mann. »Wir wollten sie nicht zu sehr zum Krüppel machen, das verstehen Sie sicher, aber wir fanden nichts in den offiziellen Verlautbarungen, und es hingen keine Steckbriefe aus, daher …« Er zuckte gleichgültig die Schultern. »Wir kamen bis zum dritten Finger, wie Sie sehen, und dann rückte der Mann endlich mit der Sprache heraus. Die Frau hat ihn deshalb wie wild beschimpft.« Er lachte abgehackt. »Jedenfalls, hier sind sie. Zwei Sklaven wie die sollten Ihnen eigentlich eine Belohnung wert sein, wenn man sie Ihnen zurückbringt. Ist dieser Mister Julian zu Hause?«

»Nein«, sagte Sour Billy und blickte zur Sonne. Bis Mittag waren es noch rund zwei Stunden.

»Na schön«, sagte der rotgesichtige Mann, »dann sind Sie sicherlich der Aufseher, stimmt’s? Der, den sie Sour Billy nennen?«

»Der bin ich«, entgegnete er. »Haben Sam und Lily von mir erzählt?«

Der Sklavenjäger lachte erneut. »Oh, die haben eine Menge zusammengeredet, als wir erst einmal wußten, woher sie kommen. Bis hierher haben sie in einem fort gequatscht. Ein‐ oder zweimal haben wir, mein Sohn und ich, versucht, ihnen das Maul zu stopfen, aber kurz darauf ging es gleich wieder los. Ganz schön wilde Geschichten haben sie erzählt.«

Sour Billy bedachte die beiden Ausreißer mit einem Blick aus seinen kalten, tückischen Augen, aber keiner der beiden erwiderte seinen Blick.

»Vielleicht können Sie die beiden jetzt übernehmen und uns unsere Belohnung auszahlen, damit wir unseren Weg fortsetzen können«, schlug der Mann vor.

»Nein«, meinte Sour Billy Tipton. »Sie müssen warten. Mister Julian will sich persönlich bei Ihnen bedanken. Lange wird es nicht dauern. Bei Einbruch der Dunkelheit ist er wieder zurück.«

»Am Abend erst?« fragte der Mann. Er und sein Sohn wechselten einen Blick. »Seltsam, Mister Sour Billy, aber diese beiden Nigger meinten, daß Sie genau das sagen würden. Sie erzählen verrückte Geschichten von Dingen, die hier nach Einbruch der Dunkelheit vorgehen. Mein Junge und ich, wir wollen lieber unser Geld, und dann reiten wir gleich weiter, wenn es Ihnen recht ist.«

»Das wird aber Mister Julian nicht recht sein«, widersprach Sour Billy. »Und ich kann Ihnen sowieso kein Geld geben. Glauben Sie etwa alle verrückten Geschichten, die Ihnen von Niggern aufgetischt werden?«

Der Mann runzelte die Stirn und kaute nachdenklich auf seinem Tabak. »Niggergeschichten sind so eine Sache«, meinte er schließlich, »aber ich habe schon Nigger gekannt, die ab und zu auch mal die Wahrheit sagten. Na ja, wissen Sie was, Mister Sour Billy, wir machen es so, wie Sie sagten, wir warten, bis Mister Julian nach Hause kommt. Aber glauben Sie ja nicht, daß wir uns übers Ohr hauen lassen.« Er trug eine Pistole an der Seite. Die tätschelte er. »Ich werd’ meine Freundin bei mir behalten, solange wir warten, und mein Junge hat auch so eine, außerdem können wir ganz gut mit dem Messer umgehen. Sie verstehen? Diese Nigger haben uns von Ihrem kleinen Messer erzählt, daß Sie im Nacken versteckt tragen, also greifen Sie lieber nicht nach hinten, um sich zu kratzen zum Beispiel, sonst fängt es nämlich auch in unseren Fingern an zu jucken. Wir wollen in aller Ruhe warten und uns vertragen, nicht wahr?«

Sour Billy sah den Sklavenjäger an und fixierte ihn mit kalten Blicken, aber der massige Mann war einfach zu dumm, um es auch nur wahrzunehmen. »Wir warten im Haus«, erklärte Sour Billy und achtete darauf, daß seine Hände seinem Rücken nicht zu nahe kamen.

»Ist mir recht«, meinte der Sklavenjäger. Er saß ab. »Ich heiße übrigens Tom Johnston, und das ist mein Sohn Jim.«

»Mister Julian wird sich freuen, Sie kennenzulernen«, sagte Sour Billy. »Binden Sie Ihre Pferde an, und bringen Sie die Nigger ins Haus. Seien Sie auf der Treppe vorsichtig. Sie ist stellenweise etwas morsch.«

Die Frau begann zu wimmern, als sie sie zum Haus zerrten, aber Jim Johnston versetzte ihr einen heftigen Schlag auf den Mund, und sie verstummte wieder.

Sour Billy brachte sie in die Bibliothek und zog die schweren Vorhänge auf, um etwas Licht in den dämmrigen und staubigen Raum hereinzulassen. Die Sklaven setzten sich auf den Fußboden, während die beiden Sklavenjäger sich in den beiden schweren Ledersesseln ausstreckten. »Also«, sagte Tom Johnston, »hier gefällt es mir.«

»Alles ist morsch und staubig, Daddy«, meinte der Junge. »Genau wie die Nigger es geschildert haben.«

»Also so was«, sagte Sour Billy und betrachtete die beiden Neger. »Nein, nein. Mister Julian wird es gar nicht gefallen, daß ihr Geschichten über sein Haus verbreitet habt. Damit habt ihr euch mindestens eine Tracht Prügel eingehandelt.«

Der große Schwarze, Sam, fand den Mut, den Kopf zu heben und seinen Peiniger trotzig anzublicken. »Ich hab’ vor Prügel keine Angst.«

Sour Billy reagierte mit einem schmalen Lächeln. »Na schön, aber es gibt schlimmere Dinge als Prügel, Sam. Die gibt es wirklich.«

Das war für die Frau, Lily, zuviel. Sie sah den Jungen an. »Er sagt die Wahrheit, Massa Jim, bestimmt. Sie müssen aufpassen. Bringen Sie uns noch vor der Nacht von hier weg. Sie und Ihr Daddy können uns behalten, wir arbeiten für Sie, wir arbeiten wie verrückt, ganz bestimmt. Wir laufen auch niemals weg. Wir sind gute Nigger. Wir wären auch nie weggelaufen, wenn nicht … nicht … warten Sie nicht bis zum Abend, Massa, tun Sie’s nicht! Denn dann ist es zu spät!«

Der Junge schlug sie mit dem Kolben seiner Pistole, der auf ihrer Wange eine rote Strieme hinterließ, und sie wurde rückwärts auf den Teppich geschleudert, wo sie zitternd und schluchzend liegenblieb. »Halt dein verdammtes schwarzes Lügenmaul«, sagte er.

»Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?« fragte Sour Billy.

Die Stunden vergingen. Sie leerten fast zwei Flaschen von Julians bestem Brandy und schütteten ihn in sich hinein, als wäre es billigster Fusel. Sie aßen. Sie unterhielten sich. Sour Billy redete selbst nicht viel, sondern er stellte nur Fragen, um Tom Johnston auszuhorchen, der betrunken und eitel und in seine eigene Stimme verliebt war. Die Sklavenjäger operierten von Napoleon, Arkansas aus, so schien es, aber da sie häufig unterwegs waren, hielten sie sich dort nur selten auf. Es gab auch eine Missus Johnston, aber die blieb mit ihrer Tochter stets zu Hause. Sie erzählten ihr nicht viel von den Geschäften, die sie betrieben. »Es gibt keinen Grund, warum eine Frau über das Kommen und Gehen ihres Mannes genau Bescheid wissen sollte. Wenn man ihnen irgend etwas erzählt, dann haben sie nachher nichts anderes zu tun, als einen zu belästigen und zu fragen, warum man wieder so spät nach Hause kommt. Dann muß man sie immer ein wenig verprügeln.« Er spuckte aus. »Da ist es schon besser, wenn sie überhaupt keine Ahnung haben, um so mehr freuen sie sich, wenn man dann plötzlich vor der Tür steht.« Johnston erweckte bei Sour Billy den Eindruck, daß er es vorzog, sich mit Negermädchen abzugeben, und daß er seine Ehefrau überhaupt nicht vermißte.

Draußen ging die Sonne im Westen unter.

Als die Schatten länger wurden und den Raum füllten, erhob sich Sour Billy, zog die Vorhänge vor und zündete einige Kerzen an. »Ich gehe Mister Julian Bescheid sagen«, meinte er dann.

Der jüngere Johnston war furchtbar blaß, als er sich an seinen Vater wandte, dachte Sour Billy. »Daddy, ich habe nicht gehört, daß irgend jemand zum Haus geritten kam«, sagte er.

»Einen Moment«, sagte Sour Billy Tipton. Er verließ sie, wanderte durch den finsteren, leeren Ballsaal und stieg die breite Treppe hinauf. Oben betrat er ein geräumiges Schlafzimmer, dessen Fenster mit Läden verrammelt waren und in dem das Bett von einem schwarzen Samtvorhang verhüllt wurde. »Mister Julian«, rief er sanft von der Tür. Das Zimmer war total schwarz und wirkte beklemmend.

Hinter dem Vorhang rührte sich etwas. Die samtenen Stoffbahnen wurden zurückgeschoben. Damon Julian tauchte auf; fahl, still, kalt. Seine schwarzen Augen schienen aus der Dunkelheit herauszuspringen und Sour Billy zu berühren. »Ja, Billy«, antwortete die sanfte Stimme.

Sour Billy berichtete ihm alles.

Damon Julian lächelte. »Bring sie ins Eßzimmer. Ich komme nach.«

Im Eßzimmer hing ein großer Kronleuchter, aber der war, so lange Sour Billy sich erinnern konnte, niemals erleuchtet gewesen. Nachdem er die Sklavenjäger hereingeleitet hatte, suchte er Zündhölzer und setzte eine kleine Öllampe in Brand, die er in die Mitte des langen Tisches stellte, so daß sie einen kleinen Ring aus Licht auf die weiße Leinentischdecke warf, den Rest des schmalen, hohen Raumes jedoch dunkel ließ. Die Johnstons nahmen Platz, und der jüngere schaute sich unbehaglich um, wobei seine Hand die Pistole an seiner Seite keine Sekunde lang losließ. Die Neger blieben unglücklich an einem Ende des Tisches stehen.

»Wo ist dieser Julian?« erkundigte Tom Johnston sich mißmutig.

»Gleich, Tom«, sagte Sour Billy. »Warten Sie.«

Fast zehn Minuten lang sagte niemand ein Wort. Dann atmete Jim Johnston zischend ein. »Daddy«, sagte er, »sieh doch. Jemand steht in der Tür!«

Die Tür führte zur Küche. Dort herrschte schwarze Finsternis. Die Nacht war endgültig hereingebrochen, und die einzige Lichtquelle in diesem Teil des Hauses war die Öllampe auf dem Tisch. Hinter der Küchentür war nichts zu erkennen außer undeutlichen, bedrohlichen Schatten — und etwas, das aussah wie die Umrisse einer menschlichen Gestalt, die unbeweglich dastand.

Lily wimmerte, und der Neger Sam drückte sie noch fester an sich. Tom Johnston sprang auf, sein Stuhl scharrte über den Holzfußboden nach hinten, sein Gesicht war gespannt. Er zog und spannte seine Pistole. »Wer ist da?« rief er. »Kommen Sie raus!«

»Sie brauchen nicht zu erschrecken«, beruhigte Damon Julian ihn.

Sie fuhren alle herum, Johnston zuckte zusammen, als wäre ihm ein Geist erschienen. Julian stand im Durchgang zur Vorhalle, hinter sich undurchdringliche Dunkelheit, lächelte charmant und war mit einem langen dunklen Anzug und einer roten Seidenkrawatte um den Hals bekleidet. Seine Augen waren dunkel und blickten amüsiert in die Runde, und die Flamme der Lampe wurde von ihnen reflektiert. »Das ist nur Valerie«, sagte Julian.

Mit einem Rascheln ihrer Röcke trat sie vor und stand in der Küchentür, blaß und still, dabei von betörender Schönheit. Johnston sah sie an und lachte. »Ach«, stieß er erleichtert hervor, »nur eine Frau. Entschuldigen Sie, Mister Julian, Diese Niggergeschichten haben mich schon völlig verrückt gemacht.«

»Das kann ich gut verstehen«, sagte Damon Julian.

»Hinter ihm sind noch mehr«, flüsterte Jim Johnston. Sie sahen sie jetzt alle; düstere Gestalten, undeutlich, halb verschluckt von der Dunkelheit hinter Julian.

»Nur meine Freunde«, erklärte Damon Julian lächelnd. Eine Frau in einem hellblauen Gewand erschien zu seiner Rechten. »Cynthia«, stellte er vor. Eine weitere Frau, in Grün, stand links neben ihm. »Adrienne«, fügte Julian hinzu. Er hob einen Arm und vollführte damit eine träge, geschmeidige Geste. »Und das sind Raymond und Jean und Kurt.« Sie erschienen gemeinsam, wobei sie sich so lautlos wie Katzen bewegten, aus anderen Türen, die ringsum in den langgestreckten Raum führten. »Und hinter Ihnen kommen Alain und Jorge und Vincent.«

Johnston wirbelte herum, und da waren sie und traten aus den Schatten. Und weitere waren hinter Julian zu sehen. Außer dem Rascheln, das ihre Kleider verursachten, war von ihnen kein Laut zu hören, als sie hereinkamen. Und sie alle starrten die Besucher an und lächelten einladend.

Sour Billy lachte nicht, obgleich es ihn sehr amüsierte, wie Tom Johnston seine Pistole umklammerte und sich gehetzt umschaute wie ein in die Enge getriebenes Tier. »Mister Julian«, sagte er, »ich sollte Ihnen mitteilen, daß unser Mister Johnston hier nicht die Absicht hat, sich betrügen zu lassen. Er hat immerhin eine Pistole, Mister Julian, und sein Sohn auch, und sie können beide bestens mit Messern umgehen.«

»Aha«, sagte Damon Julian.

Die Neger begannen zu beten. Der junge Jim Johnston sah Damon Julian an und zog ebenfalls seine Pistole. »Wir haben Ihnen Ihre Nigger zurückgebracht«, sagte er. »Wir wollen von Ihnen auch keine Belohnung dafür. Wir wollen uns nur schnellstens verabschieden.«

»Sie wollen schon gehen?« fragte Julian. »Aber, aber, ich soll Sie ohne eine Belohung von dannen ziehen lassen? Wo Sie doch den weiten Weg von Arkansas bis hierher gekommen sind, um uns zwei Schwarze zu bringen? Das kann ich auf keinen Fall zulassen.« Er durchquerte den Raum. Jim Johnston, der von den Augen des Gastgebers wie gebannt war, hielt seine Pistole hoch und rührte sich nicht. Julian nahm sie ihm aus der Hand und legte sie auf den Tisch. Er berührte die Wange des Jungen. »Unter dem Schmutz sind Sie ein hübscher Junge«, sagte er.

»Was machen Sie da mit meinem Sohn?« wollte Tom Johnston wissen. »Lassen Sie ihn in Ruhe! Finger weg!« Er zückte seine Pistole.

Damon Julian ließ einen Blick in die Runde schweifen. »Ihr Junge hat eine urtümliche, unverbrauchte Schönheit«, meinte er. »Dafür haben Sie jedoch eine Warze.«

»Er ist eine Warze«, verbesserte Sour Billy Tipton seinen Herrn und Meister.

Tom Johnston starrte ihn wütend an, und Damon Julian lächelte. »Tatsächlich«, sagte er. »Sehr amüsant, Billy.« Julian gab Valerie und Adrienne ein Zeichen. Sie glitten auf ihn zu, und jede ergriff eine Hand Jim Johnstons.

»Brauchen Sie Hilfe?« bot Sour Billy sich an.

»Nein«, erwiderte Julian, »danke sehr.« Mit einer graziösen, fast lässigen Geste hob er eine Hand und führte sie sacht über den Hals des Jungen. Jim Johnston stieß einen gurgelnden, erstickten Laut aus. Ein dünne rote Linie erschien plötzlich um seinen Hals, ein kleines, geschwungenes Halsband, dessen hellrote Perlen unter den Blicken aller Anwesenden größer und größer anschwollen, dann nacheinander platzten und seinen Hals herabrieselten. Jim Johnston bäumte sich auf, warf sich hin und her, aber der eiserne Griff der beiden Frauen ließ ihm keinen Raum, sich zu bewegen. Damon Julian beugte sich vor und preßte den offenen Mund auf den Schnitt, um das heiße helle Blut aufzufangen.

Tom Johnston machte ein undeutliches tierhaftes Geräusch tief in seiner Brust und brauchte eine halbe Ewigkeit, um zu reagieren. Schließlich spannte er seine Pistole ganz und brachte sie in Anschlag. Alain trat ihm in den Weg, und plötzlich tauchten Vincent und Jean rechts und links von ihm auf, und Raymond und Cynthia berührten ihn von hinten mit kalten weißen Händen. Johnston stieß einen Fluch aus und schoß. Ein Blitz flammte auf, ein scharfer beißender Geruch nach Pulver breitete sich aus, und der spindeldürre Alain wich schwankend zurück und stürzte, niedergeschleudert durch die Wucht des Geschosses. Blut sickerte durch die rüschenbesetzte weiße Hemdbrust, die er trug. Halb sitzend, halb liegend, berührte Alain seine Brust, und seine Hand kam blutig wieder hoch.

Raymond und Cynthia hielten Johnston endlich fest, und Jean nahm ihm die Pistole mit einer geschmeidigen, lässigen Geste aus der Hand. Der massige rotgesichtige Mann widersetzte sich nicht. Er starrte nur auf Alain. Der Blutfluß hatte aufgehört. Alain lächelte und zeigte dabei lange weiße Zähne, raubtierhaft, furchteinflößend. Er erhob sich und kam näher. »Nein«, schrie Johnston, »nein, ich hab’ dich erschossen, du mußt tot sein, ich habe geschossen!«

»Manchmal erzählen Nigger tatsächlich die Wahrheit, Mister Johnston«, sagte Sour Billy Tipton. »Nichts als die Wahrheit. Sie hätten darauf hören sollen.«

Raymond griff unter Johnstons Schlapphut, wühlte mit den Händen in seinen Haaren und riß ihm den Kopf zurück, um den dicken roten Hals freizulegen. Alain lachte und riß Johnstons Kehle mit den Zähnen auf. Dann drängten die anderen heran.

Sour Billy griff nach hinten, zog das Messer und huschte zu den beiden Negern hinüber. »Kommt schon«, sagte er. »Mister Julian braucht euch heute nacht nicht, aber ihr beide werdet nie mehr weglaufen. Runter in den Keller. Kommt schon, beeilt euch, oder ich lasse euch bei denen.« Das scheuchte sie auf, wie Sour Billy aus Erfahrung wußte.

Der Keller war eng und feucht. Man mußte durch eine Falltür, die von einem Teppich bedeckt wurde, hinuntersteigen. Das Land war in dieser Gegend zu naß für einen richtigen Keller, aber dies war auch kein richtiger Keller. Der Boden war zwei Zoll hoch mit Wasser bedeckt, die Decke war so niedrig, daß kein Mann aufrecht stehen konnte, und die Wände waren grün vor Schimmel. Sour Billy kettete die Neger an, und zwar nahe genug beieinander, daß sie einander berühren konnten. Er hielt sich deshalb für einen ausgesprochen netten Menschen. Er brachte ihnen sogar eine warme Mahlzeit.

Anschließend bereitete er sich seine eigene Mahlzeit und spülte sie mit dem Rest in der zweiten Brandyflasche hinunter, die die Johnstons geöffnet hatten. Er war gerade fertig geworden, als Alain in die Küche kam. Das Blut auf seinem Hemd war eingetrocknet, und dort, wo ihn der Schuß getroffen hatte, klaffte ein schwarzes Brandloch, doch ansonsten war seine Kleidung makellos. »Es ist vorbei«, meldete Alain ihm. »Julian möchte, daß Sie in die Bibliothek kommen.«

Sour Billy schob den Teller zurück, um der Aufforderung nachzukommen. Das Eßzimmer mußte gründlich gesäubert werden, wie er beim Hindurchgehen bemerkte. Adrienne und Kurt und Armand tranken in der Stille genußvoll ein Glas Wein, die Leichen — oder was davon noch übrig war — lagen nur ein paar Schritte von ihnen entfernt. Ein paar von den anderen hatten sich in den Salon begeben und unterhielten sich.

In der Bibliothek war es tiefschwarz. Sour Billy hatte erwartet, Damon Julian allein anzutreffen, aber als er eintrat, gewahrte er in den Schatten drei verschiedene Gestalten; zwei saßen, eine stand. Er konnte nicht erkennen, wer sie waren. Er wartete an der Tür, bis Julian endlich das Wort ergriff. »In Zukunft bringen Sie nie mehr solche Leute in meine Bibliothek«, sagte die Stimme. »Sie waren schmutzig. Sie haben einen Geruch hinterlassen.«

Sour Billy empfand seine plötzliche Furcht wie einen Messerstich. »Ja, Sir«, sagte er und blickte den Sessel an, aus dem Julian geredet hatte. »Es tut mir leid, Mister Julian.«

Nach einem Moment des Schweigens sagte Julian: »Schließ die Tür, Billy. Komm herein. Du darfst die Laterne anzünden.«

Die Laterne war aus rot gefärbtem Glas zusammengesetzt; ihre Flamme tauchte den staubigen Raum in den rotbraunen Farbton von getrocknetem Blut. Damon Julian saß in einem hochlehnigen Sessel, die langen dünnen Finger unter dem Kinn gefaltet, ein gedankenverlorenes Lächeln im Gesicht. Valerie saß an seiner rechten Seite. Der Ärmel ihres Gewandes war bei dem Kampf zerfetzt worden, aber sie schien es noch nicht bemerkt zu haben. Sour Billy dachte, daß sie noch blasser war als sonst. Ein paar Fuß entfernt stand Jean hinter einem anderen Sessel, vermittelte einen gefaßten und gleichzeitig nervösen Eindruck und spielte mit einem großen goldenen Ring am Finger.

»Muß er dabei sein?« fragte Valerie Julian. Sie schenkte Billy nur einen kurzen Blick, und in ihren großen violetten Augen funkelte unverhohlene Abneigung.

»Nun, Valerie«, erwiderte Julian. Er streckte den Arm aus und ergriff ihre Hand. Sie zitterte und preßte die Lippen fest zusammen. »Ich habe Billy gerufen, um dir ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln«, fuhr Julian fort.

Jean raffte all seinen Mut zusammen und blickte Sour Billy direkt in die Augen, runzelte dabei die Stirn. »Dieser Johnston hatte eine Frau.«

Das war es also, dachte Sour Billy. »Haben Sie Angst?« fragte er Jean spöttisch. Jean gehörte nicht zu Julians Lieblingen, daher war es nicht gefährlich, ihn zu hänseln. »Er hatte eine Frau«, sagte Billy, »aber das ist kein Grund zur Besorgnis. Er hat nie viel mit ihr geredet, hat ihr nie erzählt, wohin er ging oder wann er wieder zurückkäme. Sie wird der Sache bestimmt nicht nachgehen und Sie verfolgen.«

»Mir gefällt das nicht, Damon«, brummte Jean.

»Was ist mit den Sklaven?« meldete Valerie sich wieder zu Wort. »Sie waren zwei Jahr lang weg. Sie haben den Johnstons einiges erzählt, gefährliche Dinge. Genausogut können sie auch mit anderen Leuten geredet haben.«

»Billy?« sagte Julian.

Sour Billy hob die Schultern. »Ich schätze, die haben ihre Geschichten jedem Nigger von hier bis Arkansas erzählt«, sagte er. »Das beunruhigt mich aber nicht. Es sind doch alles nur Niggerstories, die sowieso niemand glaubt.«

»Ich weiß nicht recht«, sagte Valerie. Dann wandte sie sich an Damon Julian, flehte ihn an. »Damon, bitte, Jean hat recht. Wir sind schon viel zu lange hier: Es ist kein sicherer Ort mehr. Weißt du noch, was sie mit der Frau in New Orleans, dieser Lalaurie, die ihre Sklaven zum Vergnügen gefoltert hat, gemacht haben? Irgendwann wurden Geschichten über sie bekannt, und sie wurde erwischt. Und was sie getan hatte, war nichts im Vergleich …« Sie zögerte, schluckte, und fügte dann hastig hinzu: »… zu den Dingen, die wir tun. Den Dingen, die wir tun müssen.« Sie wandte ihr Gesicht von Julian ab. Langsam, sanft, streckte Julian eine fahle Hand aus, berührte ihre Wange, strich in einer zärtlichen Liebkosung mit dem Finger an einer Gesichtsseite entlang, dann legte er ihr die Hand unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Bist du jetzt so ängstlich, Valerie? Muß ich dich daran erinnern, wer du bist? Hast du wieder mal zu viel auf Jean gehört? Ist er jetzt der Meister? Ist er Blutmeister?«

»Nein«, antwortete sie; ihre tiefvioletten Augen waren größer als sonst, und ihre Stimme zitterte vor Angst. »Nein.«

»Wer ist der Blutmeister, liebe Valerie?« fragte Julian. Seine Augen funkelten bedrohlich und schienen sie versengen zu wollen.

»Du bist es, Damon«, flüsterte sie. »Du.«

»Schau mich an, Valerie. Meinst du, ich müßte irgendwelche Geschichten fürchten, die von einer Sklavenbande erzählt werden? Was kümmert es mich, was sie über mich reden?«

Valerie öffnete den Mund. Keine Worte drangen heraus.

Zufrieden löste Damon Julian seinen Griff, mit dem er sie festgehalten hatte. Dort, wo seine Finger sich in ihr Fleisch gegraben hatten, waren rote Flecken zu erkennen. Er lächelte Sour Billy an, während Valerie sich zurückzog. »Was meinst du denn dazu, Billy?«

Sour Billy starrte auf seine Füße und scharrte nervös damit. Er wußte, was er hätte sagen sollen, aber er hatte schon vor einiger Zeit nachgedacht, und es gab Dinge, die er Julian sagen mußte, die er aber gar nicht gerne hören würde. Er hatte es die ganze Zeit aufgeschoben, aber nun sah es so aus, als hätte er keine andere Wahl mehr, als den Mund aufzumachen. »Ich weiß nicht, Mister Julian«, meinte er zaghaft.

»Du weißt nicht, Billy? Was weißt du nicht?« Die Stimme klang kalt und hatte einen drohenden Unterton.

Sour Billy fuhr ohne Rücksicht auf Verluste fort. »Ich weiß nicht, wie lange wir noch so weitermachen können, Mister Julian«, sagte er mutig. »Ich hab’ darüber nachgedacht, und es gibt da Dinge, die mir nicht gefallen. Diese Plantage hier brachte viel Geld ein, als Garroux sie noch leitete, aber mittlerweile ist sie nahezu wertlos. Sie wissen, daß ich jeden Sklaven zum Arbeiten bringen kann, ich will verdammt sein, wenn ich das nicht kann, aber die, die tot sind oder weglaufen, kann ich kaum arbeiten lassen. Als Sie und Ihre Freunde damit anfingen, die Kinder aus den Baracken zu holen oder geeignete junge Frauen ins Haupthaus zu bringen, von wo sie nicht mehr zurückkehrten, fingen unsere Schwierigkeiten an. Seit mehr als einem Jahr hatten Sie keine Sklaven mehr, bis auf die hübschen Mädchen, und die bleiben auch nicht lange hier.« Er lachte nervös. »Wir ernten nichts mehr. Wir haben die halbe Plantage verkauft, die besten Parzellen Ackerland. Und diese schönen Frauen, Mister Julian, sind teuer. Wir sind in ernsten Geldschwierigkeiten.

Und das ist noch nicht alles. Nigger zu töten, ist die eine Sache, aber sich auch an Weißen zu vergreifen, um den Durst zu stillen, das ist gefährlich. Nun, in New Orleans ist es vielleicht nicht so schlimm, aber Sie und ich, wir wissen genau, daß Cara Henri Cassands Jungen umgebracht hat. Und der ist ein Nachbar von uns, Mister Julian. Alle wissen, daß hier seltsame Dinge vorgehen; wenn jetzt auch noch deren Sklaven und sogar deren Kinder sterben, dann kommen große Probleme auf uns zu.«

»Probleme?« fragte Damon Julian. »Wir zählen fast zwanzig Leute, dich mitgerechnet. Was kann das Vieh uns da antun?«

»Mister Julian«, sagte Sour Billy, »was ist, wenn sie bei Tag kommen?«

Julian winkte lässig ab. »Das wird nicht geschehen. Wenn doch, dann werden wir mit ihnen so verfahren, wie sie es verdienen.«

Sour Billy verzog das Gesicht. Julian brauchte sich keine großen Sorgen zu machen, denn er selbst, Sour Billy, war es, der das größte Risiko einging. »Ich denke, daß sie vielleicht recht hat, Mister Julian«, meinte er unglücklich. »Ich finde, wir sollten woanders hingehen. Wir haben diesen Ort völlig ausgesaugt. Hier zu bleiben ist zu gefährlich.«

»Ich fühle mich hier wohl, Billy«, widersprach Julian. »Ich ernähre mich von dem Vieh. Ich laufe nicht davor weg.«

»Dann zum Geld. Woher sollen wir noch Geld bekommen?«

»Unsere Gäste haben Pferde hinterlassen. Bring sie morgen nach New Orleans, und verkauf sie dort. Sieh zu, daß sie nicht auffallen. Du kannst auch noch etwas von dem Land verkaufen. Neville von der Bayou Cross wird sicherlich noch etwas kaufen wollen. Geh zu ihm, Billy.« Julian lächelte. »Du kannst ihn auch hierher zum Dinner einladen, damit wir über mein Angebot verhandeln können. Sag ihm, er soll mit seiner hübschen Frau und seinem reizenden Sohn kommen. Sam und Lily können bei Tisch servieren. Es wird genauso sein wie früher, bevor die Sklaven wegliefen.«

Er macht Scherze, dachte Sour Billy. Aber es war nie geraten, Julians Worte, egal, was er sagte, nicht ernst zu nehmen. »Das Haus«, erinnerte Billy. »Wenn sie zum Essen erscheinen, werden sie sehen, wie weit es heruntergekommen ist. Das geht nicht. Sobald sie wieder zu Hause sind, werden sie eine Menge zu erzählen haben.«

»Falls sie nach Hause zurückkehren, Billy.«

»Damon«, sagte Jean bebend, »es ist doch wohl nicht dein Ernst …«

In dem dämmrigen, in Rot getauchten Raum war es heiß. Sour, Billy schwitzte. »Neville ist — bitte, Mister Julian, Sie können unmöglich Neville töten. Sie können nicht einfach weiterhin Menschen aus dieser Gegend umbringen und schöne Mädchen kaufen.«

»Darin hat dieses Geschöpf dieses eine Mal wirklich recht«, ließ Valerie sich mit leiser Stimme vernehmen. »Hör auf seine Worte.« Jean nickte ebenfalls, mutig geworden, da er mit seiner Meinung nicht allein dastand.

»Wir könnten das ganze Anwesen verkaufen«, sagte Billy. »Es verfällt sowieso zusehends. Dann ziehen wir alle nach New Orleans. Dort unten sind die Bedingungen für uns viel besser. Bei all den Kreolen und den freien Niggern und dem Abschaum vom Fluß wird niemand ein paar mehr oder weniger vermissen, nicht wahr?«

»Nein«, erwiderte Damon Julian eisig. Seine Stimme verriet ihnen, daß er sich auf keine weitere Diskussion einlassen würde. Sour Billy verstummte. Jean begann wieder mit seinem Ring zu spielen, den Mund mißmutig und ängstlich verzogen.

Erstaunlicherweise war es Valerie, die weiterredete. »Dann laß uns gehen.«

Julian wandte, träge den Kopf. »Uns?«

»Jean und mich«, sagte sie. »Schick uns fort. Das wäre besser. Für dich auch. Es ist sicherer, wenn nicht so viele von uns zusammen sind. Du wirst länger etwas von deinen schönen Mädchen haben.«

»Ich soll dich fortschicken, liebe Valerie? Nun, du würdest mir fehlen. Und ich würde mir außerdem um dich Sorgen machen. Wohin würdest du gehen, frage ich mich.«

»Irgendwohin. Egal wohin.«

»Hoffst du noch immer, deine dunkle Stadt in einer Höhle zu finden?« meinte Julian spöttisch. »Dein Glaube ist rührend, Kind. Betrachtest du unseren armen schwachen Jean etwa als den fahlen König?«

»Nein«, entgegnete Valerie. »Nein. Wir wollen uns nur ausruhen. Bitte, Damon. Wenn wir alle zusammenbleiben, dann finden sie uns. Sie werden uns jagen und töten. Laß uns von hier fortziehen.«

»Du bist so schön, Valerie. So einzigartig.«

»Bitte«, flehte sie, zitternd. »Weg von hier. Ruhe.«

»Arme kleine Valerie«, sagte Julian. »Es gibt keine Ruhe. Wo immer du hingehst, der Durst wird dich begleiten. Nein, du wirst hierbleiben.«

»Bitte«, wiederholte sie dumpf. »Mein Blutmeister.«

Damon Julians Augen verengten sich nahezu unmerklich, und sein Lächeln verflog. »Wenn du so sehr darauf bedacht bist wegzugehen, dann sollte ich dir vielleicht gewähren, worum du bittest.«

Valerie und Jean schauten ihn hoffnungsvoll an.

»Vielleicht sollte ich euch wegschicken«, sinnierte Julian. »Euch beide. Aber nicht gemeinsam, nein. Du bist so schön, Valerie. Du verdienst etwas Besseres als Jean. Was meinst du, Billy?«

Sour Billy grinste. »Schicken Sie sie alle fort, Mister Julian. Sie brauchen sie nicht. Sie haben mich doch. Schicken Sie sie fort, und sie werden sehen, wie es ihnen dann gefällt.«

»Interessant«, sagte Damon Julian. »Ich werde es mir überlegen. Und jetzt laßt ihr alle mich allein. Billy, du verkaufst die Pferde. Sprich mit Neville über den Landverkauf.«

»Kein Dinner?« fragte Sour Billy erleichtert.

»Nein«, antwortete Julian.

Sour Billy ging als letzter zur Tür. Hinter ihm löschte Julian das Licht, und die Finsternis füllte den Raum. Aber Sour Billy verharrte an der Schwelle und wandte sich noch einmal um.

»Mister Julian«, sagte er, »Ihr Versprechen — es ist jetzt schon Jahre her. Wann?«

»Wenn ich dich nicht mehr brauche, Billy. Du bist mir tagsüber soviel wert wie meine Augen. Du vollbringst Dinge, zu denen ich nicht in der Lage bin. Wie könnte ich dich jetzt entbehren? Aber habe keine Angst. Es wird nicht mehr lange dauern. Und Zeit wird dir nichts mehr bedeuten, wenn du erst einmal einer der unseren bist. Jahre und Tage sind für den einerlei, der über ewiges Leben verfügt.« Das Versprechen erfüllte Sour Billy mit einem Gefühl der Zuversicht. Er ging, um Julians Aufträge auszuführen.

In jener Nacht träumte er. In seinen Träumen war er so düster und elegant wie Julian selbst, so fein und raubtierhaft. In seinen Träumen herrschte immer Nacht, und er strich unter einem fahlen Vollmond durch die Straßen von New Orleans. Sie sahen ihn aus ihren Fenstern und von ihren schmiedeeisernen Balkonen vorbeigehen, und er spürte ihre Blicke auf sich, die der Männer voller Angst, während die Frauen sich von der dunklen Macht angezogen fühlten. In der Dunkelheit jagte, überfiel er sie, huschte lautlos über Ziegelmauern, hörte ihre eiligen Schritte und ihr Keuchen. Unter dem tanzenden Feuer einer Öllampe erwischte er einen feinen jungen Dandy und zerfetzte ihm lachend die Kehle. Eine aufreizende kreolische Schönheit beobachtete ihn von weitem, und er verfolgte sie, hetzte sie durch Gassen und über Hinterhöfe, während sie vor ihm davonrannte. Schließlich, in einem Hof, der von einer gußeisernen Laterne erleuchtet wurde, wandte sie sich zu ihm um. Sie sah Valerie ähnlich. Ihre Augen waren violett und voller Feuer. Er näherte sich ihr und stieß sie nach hinten und nahm sie. Kreolenblut war genauso heiß und scharf wie kreolisches Essen. Die Nacht gehörte ihm und alle Nächte der Ewigkeit, und der rote Durst hatte ihn gepackt.

Als er aus dem Traum erwachte, war er am ganzen Körper erhitzt und wie im Fieber, und seine Bettlaken waren schweißnaß.


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