7. Kapitel

Niemand von uns versuchte mit Walter und Abdullah deshalb zu streiten. Niemand hielt ihnen auch vor, Mohammed habe sie übertölpelt. Plötzlich sprang Emerson auf und lief weg. Ich wußte sofort, wohin er wollte und was er dort finden würde. Ich folgte ihm langsam, und als ich ihn einholte, stand er neben dem Holzgerüst, welches das gemalte Pflaster geschützt hatte. Die Malerei war verschwunden, teilweise herausgebrochen, teilweise völlig vernichtet. Also hatte ich ganz umsonst soviel und so angestrengt gearbeitet. Doch das war nicht mein erster Gedanke. Mich traf es viel tiefer, daß so viel Schönheit so sinnlos zerstört worden war. Instinktiv griff ich nach Emersons Hand, und er nahm die meine. So standen wir eine Weile mit ineinandergelegten Händen da, bis es ihm zu Bewußtsein kam; dann warf er meine Hand förmlich weg. Er sah sehr bekümmert und noch viel hagerer aus als sonst.

»Unsere Mumie ist sehr boshaft«, sagte ich.

»Peabody, ist Ihnen nicht auch schon der Gedanke gekommen, daß dieser ganze elende Plan für den beschränkten Geist Mohammeds viel zu raffiniert ist?«

»Vielleicht unterschätzen Sie seine Intelligenz?«

»Nein, das glaube ich nicht. Sein Motiv ist mir auch unklar. Warum sollte er sich einer kleinen Rache wegen so viel Mühe machen? Wir verschaffen seinem Dorf doch Arbeit und Geld, und diesen Verdienst brauchen sie dringend.«

»Aber wenn Walter sagt, Mohammed habe das Dorf nicht verlassen ...«

»Das glaube ich nicht. Wer sollte sonst die Mumie sein?«

»Sie meinen also, wir müßten nach jemand Ausschau halten, der hinter Mohammed steht? Aber wer könnte das sein?«

»Das ist schwer zu sagen. Vielleicht ein reicher Amateur-Archäologe .«

»Das ist doch lächerlich!« fuhr ich auf. Und damit war für den Moment unsere Unterhaltung beendet. Emerson warf mir einen gehässigen Blick zu und kehrte zum Lager zurück.

Wäre Emerson nicht so stur gewesen, ich glaube, wir hätten Amarna doch verlassen, aber Evelyns Takt half uns über die nächsten Stunden weg. Sie bestand darauf, wir sollten alle ein paar Stunden schlafen, ehe wir weiter über die ganze Sache diskutierten. Ich bezweifelte allerdings, daß ein paar Stunden Schlaf Emerson friedlich und einsichtiger stimmen könnten.

Abdullah stand Wache, während wir schliefen, und er weckte uns mit einem Schrei. Ich taumelte, geblendet von der gleißenden Sonne, vor die Tür und sah eine Prozession vom Fluß her nahen. Der Anführer saß auf einem Esel, war aber noch nicht zu erkennen.

»Aha, da kommt Verstärkung«, bemerkte ich, als Evelyn neben mich trat. »Ich bin ja neugierig, was Lord El-lesmere zu unserem kleinen Geheimnis meint.«

»Lucas!« rief Evelyn.

Walter hatte unsere Unterhaltung gehört und warf Evelyn einen forschenden Blick zu. Dann sah er, die Stirn gerunzelt, dem Neuankömmling entgegen. Lucas hatte uns schon gesehen und winkte heftig. Seine weißen Zähne blitzten im jetzt tiefgebräunten Gesicht. Walter sah immer finsterer drein.

»So, Sie kennen also diesen gräßlichen Kerl«, sagte Emerson. »Hätte ich mir ja denken können, daß er ein Freund von Ihnen ist, Peabody.«

»Diese Gegend, Emerson, ist nicht Ihr Privatbesitz«, entgegnete ich hochmütig. »Eigentlich erstaunlich, daß wir nicht mehr Besucher hatten.«

Emerson nickte, und ich gab ihm nun die Erklärung, auf die er wohl Anspruch hatte: »Lord Ellesmere ist Evelyns entfernter Verwandter. Wir trafen ihn kurz vor unserer Abreise in Kairo, und er sagte, er wolle die gleiche Reise machen. Wir rechneten damit, ihn in Luxor zu treffen. Er muß dann wohl die vor Anker liegende Philae gesehen und sich nach unserem Verbleib erkundigt haben.«

Ich war mit mir selbst recht zufrieden, denn ich dachte nicht daran, Evelyns Beziehung zu dem verstorbenen Lord Ellesmere beziehungsweise zu Lucas zu erörtern. Übrigens hatten beide Emersons kein Interesse an Skandalen, wenn es dabei nicht um altägyptische Pharaonen ging, und deshalb war anzunehmen, daß sie von Evelyns früheren Eskapaden nichts gehört hatten.

Evelyn war, wie ich sah, sehr blaß geworden, als sie die Annäherung ihres Vetters beobachtete, und Walter musterte sie erstaunt und bekümmert. In diesem Moment kam mir eine Erkenntnis. Ich wollte Walter für Evelyn; sie paßten ideal zueinander; er war ehrenhaft und liebenswert und würde sie gut behandeln. Wenn ich sie aufgeben mußte, dann wußte ich sie bei dem guten und zärtlichen Walter gut aufgehoben. Also sollte Evelyn ihren Walter bekommen, obwohl ich wußte, daß es nicht ganz einfach sein würde.

»Wollen Sie Ihrem Verwandten nicht entgegengehen und ihn begrüßen?« fragte Walter.

Evelyn erschrak. »Ja, natürlich«, antwortete sie ohne jede Begeisterung.

»Bleib hier«, sagte ich. »Michael soll Tee bringen. Ich gehe hinab.«

Lucas fiel mir mit einem Freudenschrei um den Hals, und weil mir das gar nicht behagte, mußte ich ihm einen ordentlichen Stoß versetzen, der mir einen vorwurfsvollen Blick von ihm einbrachte.

»Eine solche Warnung war nicht nötig, Miß Amelia«, hielt er mir vor. »Aber was tun Sie hier? Wer sind Ihre Freunde und warum .«

Natürlich gab es Erklärungen und die gegenseitige Vorstellung, aber als ich dann die Geschichte von der Mumie erzählte, hörte Lucas schweigend zu. Schließlich grinste er, und zum Schluß liefen ihm Lachtränen über das Gesicht.

»Das ist ja großartig! Oh, wie ich mich freue, diese wandelnde Mumie zu sehen! Ein solches Glück hätte ich wirklich nicht erwartet!«

»Es ist keineswegs sicher, ob Sie das Vergnügen einer solchen Begegnung haben werden, Lord Ellesmere«, sagte Walter. »Und warum sollten wir Sie mit unseren Problemen belasten? Wenn Sie die Damen in Sicherheit .«

»Sie werden mich doch nicht um ein solches Erlebnis bringen wollen«, protestierte Lucas.

»Nun, Lord Ellesmere, wenn Sie sich unserer Gruppe anschließen wollen, müssen Sie schon mich um Erlaubnis fragen«, warf da Emerson ein. »Ich werde Sie ja kaum daran hindern können, hier irgendwo ein Zelt für sich selbst aufzustellen.« Das war für Emerson eine beachtliche Rede, und Lucas wickelte ihn dann auch geradezu in seinen Charme ein. Emerson musterte ihn mit der Begeisterung, die ein alter, brummiger Hund einem verspielten jungen Terrier entgegenbringt, und schließlich erklärte er sich sogar bereit, Lucas einige der Gräber zu zeigen. »Besonders die Reliefs sind interessant«, bemerkte er. »Die alten Königsgräber wurden ja von diesen Halunken ausgeplündert, denn die Dorfbewohner verschleppen alles, was sie irgendwie zu Geld machen können.«

»An Königsgräbern bin ich im Moment sowieso nicht übermäßig interessiert, und dorthin ist es ja auch ziemlich weit, wie ich höre«, erklärte Lucas.

»Ihre Stiefel würden sicher darunter leiden«, bestätigte Emerson. »Aber über Amarna scheinen Sie einiges zu wissen, denn das königliche Grab hier steht nicht auf der Liste der Attraktionen für Touristen.«

»Oh, ich bin an allem interessiert, was Ägypten betrifft, und ich habe auch schon eine recht ordentliche Antiquitätensammlung. Ich will nämlich im Ellesmere Castle eine ägyptische Galerie einrichten.«

»Schon wieder eine Amateurkollektion, zusammengeramscht von einem Dummkopf«, fuhr Emerson auf.

»Da scheine ich ja einen empfindlichen Punkt getroffen zu haben«, meinte Lucas und lächelte Evelyn an.

Evelyn erwiderte das Lächeln nicht. »Mr. Emerson hat völlig recht, Lucas«, erwiderte sie. »Nur geschulte Archäologen sollten Ausgrabungen machen dürfen, denn die vielen zerbrechlichen und zerbrochenen Dinge können nur von geschulten Händen pfleglich behandelt werden. Es wäre besser, die Touristen würden nicht von Händlern kaufen, weil dadurch nur noch mehr Schaden angerichtet wird.«

»Du lieber Gott, ich ahnte ja nicht, daß du so begeistert bist! Aber genau das brauche ich für meine künftige Ägyptensammlung - einen Fachmann, der die Kollektion pflegt und katalogisiert. Dann wird mich Mr. Emerson vielleicht auch nicht mehr verachten.«

»Verachten wird er Sie immer«, warf ich ein. »Und wenn Sie das nicht wollen, dann übergeben Sie Ihre Antiquitäten dem Britischen Museum, wo sie besser aufgehoben sind.«

»Nein, das werde ich bestimmt nicht tun«, widersprach er lachend. »Eher wird Mr. Emerson mir meinen Papyrus vorlesen. Er ist ziemlich gut. Natürlich krümelt er schon, und er ist mit diesem komischen Gekrakel bedeckt. Als ich ihn aufrollte .«

Emerson stöhnte. »Sie haben ihn aufgerollt?«

»Nur einen Teil, dann brach er ja auseinander. Deshalb dachte ich . Aber Mr. Emerson, Sie sind ja leichenblaß! Habe ich etwas Falsches gemacht?«

»Ein Mord wäre auch nicht schlimmer«, hielt ihm Emerson vor. »Sie haben wohl keine Ahnung davon, daß die Zahl alter Manuskripte beschränkt ist.«

»Nun ja, wenn Sie so großen Wert darauf legen, sollen Sie den Papyrus haben. Vielleicht kann ich mir damit die Zulassung zu Ihrer reizenden Gruppe erkaufen. Könnte ich mich jetzt hier umschauen? Ich möchte ein Grab für mich selbst aussuchen, wenn ich schon die Nacht über hier bleibe.«

Ich hatte mir inzwischen den Kopf zerbrochen, weshalb Emerson für kurze Zeit Lucas gegenüber fast liebenswürdig gewesen war. Nun fand ich zwei Gründe. Der erste war der, daß für jeden Ausgräber ein wohlhabender Patron ein ungeheurer Vorteil ist, und der zweite Grund konnte der sein, daß er Walter, seinen Bruder und getreuen Helfer, nicht gerne an Evelyn verlor, und so war es ihm angenehm, daß Lucas seine Base zu verehren schien. Diese beiden Vermutungen bestätigten sich dann auch.

Lucas fand das ganze Lager großartig und bestürmte Emerson mit Fragen, schüttelte den Kopf über Mohammeds Gemeinheit und den Aberglauben der Touristen und Dorfbewohner, drückte dem erstaunten Abdullah die Hand - und äußerte Zweifel über Michael.

»Sind Sie sicher, daß Sie ihm trauen können?« fragte er mich leise, als wir am Kochzelt vorbeikamen, wo Michael einen einfachen Imbiß vorbereitete. Er verrichtete alle Arbeiten, seit die Dorfbewohner uns im Stich gelassen hatten.

»Ich vertraue ihm uneingeschränkt«, antwortete Evelyn. »Amelia hat das Leben seines Kindes gerettet, und er würde für sie sterben.«

»Dann ist darüber nichts mehr zu sagen«, erwiderte er, redete aber dann doch noch eine ganze Menge; Michael sei ja ein Einheimischer und abergläubisch, und wie könne er seine unsterbliche Seele einem Dämon aussetzen?

»Lord Ellesmere, ich würde mir an Ihrer Stelle darüber keine Gedanken machen«, riet ihm Emerson kurz und trocken. Darauf schwieg Lucas dann auch.

Lucas wollte natürlich das größte Grab beziehen, das eines Mannes namens Mahu, der Polizeichef der Stadt gewesen war, doch man hätte Tage gebraucht, es zu säubern. So mußte er sich mit einem kleineren Grab zufriedengeben. Er schickte einen Diener zum Boot mit einer langen Liste von Gegenständen, die er in den nächsten zwei Tagen dringend brauchen würde.

Nach dem Mittagessen nahm mich Emerson beiseite. »Kommen Sie mit, Peabody«, forderte er mich auf. »Sie wollten doch ein Königsgrab sehen, und jetzt hätten wir gerade Zeit.«

»Wird Walter mitkommen?«

»Nein, Walter soll hierbleiben. Jemand muß doch aufpassen. Abdullah soll auf den Lord achtgeben, damit er sich kein Bein bricht oder vom Esel fällt. Aber beeilen Sie sich, sonst gehe ich allein.«

Drei Meilen weit marschierten wir durch ein wahrscheinlich seit Jahrtausenden ausgetrocknetes Tal, in dem kein Grashalm wuchs. Man fühlte sich als Eindringling in einer fremden Welt. Schließlich kamen dann die Fragen, mit denen ich gerechnet hatte. Emerson wollte einiges über Lucas erfahren, vor allem über dessen Vermögen und sein Interesse an Evelyn. Mir waren diese Fragen zuwider, und ich wich ihnen damit aus, daß ich einen Streit heraufbeschwor, was bei Emerson sehr leicht ging. Wir marschierten also schweigend weiter.

Endlich erreichten wir einen ziemlich abgelegenen Platz in den Klippen; man hatte geglaubt, das Grab sei damit sicherer vor Räubern, doch die königliche Mumie war schon vor Jahrhunderten verschwunden.

Natürlich war Emerson nicht so voll atemloser Ehrfurcht wie ich, als wir, mit brennenden Kerzen ausgerüstet, endlich den ersten Gang betraten, der zur Grabkammer führte. Der Hauptkorridor wies eine tiefe Grube auf, und so mußten wir noch einmal umkehren und einen anderen Weg nehmen. Wir kamen durch drei kleine Räume mit halbverfallenen Reliefs, die den Tod und das Begräbnis einer königlichen Prinzessin darstellten, einer von Khuenatens Töchtern. Sie war jung gestorben und sah auf der Darstellung sehr pathetisch aus. Der Kummer der Eltern war eigenartig rührend. Fast hörte man ihre Seufzer

Und was ich in diesem Moment hörte, war, wie ich meinte, auch ein Seufzen oder Stöhnen, und dann krachten Steine herab. Mich überlief eine Gänsehaut, und ich ließ die Kerze fallen. Das, was ich dann sagte, war nicht sehr damenhaft, und deshalb wiederhole ich es hier nicht.

Emerson bediente sich einer noch viel kräftigeren Sprache, als er auf dem steinübersäten Boden herumkroch, um meine Kerze zu finden. Dann schaute er mich prüfend an. »Peabody, Sie sind zwar eine Frau, aber keine Närrin«, sagte er. »Sie wissen, was dieses Geräusch zu bedeuten haben könnte. Sie werden doch nicht schreien oder ohnmächtig werden?«

Ich warf ihm einen Blick zu, der ihn eigentlich zum

Verwelken hätte bringen müssen, und verließ schweigend die Grabkammer. Emerson folgte mir. Allerdings hatte ich für die Reliefs nicht mehr viel Sinn, denn ich konnte mir vorstellen, was uns am Eingang erwartete.

Wir gruben lange, sehr lange, bis wir einiges von dem gestürzten Gestein weggeschafft hatten. Eine Kerze war schon niedergebrannt, und die zweite war auch schon sehr klein. Endlich hörten wir von draußen ein Geräusch, dann sogar Worte, arabische Worte - und Abdullahs Stimme. Er wollte wissen, ob wir drinnen seien.

»Natürlich sind wir hier«, schrie Emerson erbost. »Du Sohn eines blinden, krummbeinigen Esels, wo sollten wir sonst sein?«

Dieser Frage folgte ein schauerliches Freudengeheul. Ihm folgte eine andere Stimme. »Nur Mut, Miß Amelia! Lucas ist am Werk!«

Obwohl ich nun, da ich dies schreibe, allein bin, zögere ich, die Gedanken, die mich da überfielen, zu Papier zu bringen. Emerson war kein Schwächling, doch als er seine Brust an die meine drückte, ahnte ich seine Stärke, und ich dachte ... und erwartete ... Nun, warum soll ich's nicht zugeben? Ich dachte also, er umarme mich, weil die Freude über die unerwartete Rettung seinen Geist verdunkelt habe.

Bald wurde mir jedoch klar, wie absurd das war. Ein fürchterliches Rattern folgte, große Steine und Felsbrocken kollerten herab und krachten an die Wände, und wer weiß, was mir passiert wäre, hätte Emerson mich nicht mit seinem Körper geschützt. Ich war ganz außer Atem, als er mich losließ, er aber auch. Wir pumpten uns mit der heißen, sauberen Luft von draußen voll, doch nach der Dunkelheit blendete uns die Sonne.

Da sah ich, daß Emerson an der Wand lehnte und sein Arm in einem sonderbaren Winkel vom Körper wegstand.

Dicker Schweiß lief ihm über das verstaubte Gesicht. Abdullah und Lucas kletterten über die Felsen herauf.

»Du verdammter Narr«, sagte er zu Abdullah.

»Oh, Herr, du bist ja verletzt«, stellte Abdullah fest.

»Mir fehlen die Worte ... Ein erfahrener Vormann und anschieben wie eine Ramme ... du Vollidiot ...«

»Ich sagte ihm, er soll langsam tun, aber mein Arabisch ist eben sehr dürftig«, warf Lucas ein, und seine schuldbewußte Miene bestätigte mir, daß wohl er an dem Unglück schuld sein müsse.

»Ist Ihr Arm gebrochen?« fragte ich Emerson.

»Nein, ausgerenkt.« Er biß die Zähne zusammen. »Ich muß zurück. Walter weiß, wie .«

»So weit können Sie nicht laufen.«

»Kann ich, wenn ich muß«, widersprach er, aber seine Knie wurden weich.

»Sie müssen ja gar nicht«, erklärte ich ihm. »Ich weiß, wie unser Arzt zu Hause das macht. Wenn Sie also . Spaß wird es Ihnen keinen machen.«

»Ihnen auch nicht«, erwiderte er.

Ich ziehe es vor, die Prozedur nicht zu beschreiben, wir waren wirklich alle froh, als sie vorüber war. Zum Glück hatte Abdullah Wasser mitgebracht, und wir konnten unseren Durst löschen. Ich opferte einen meiner Unterröcke und band Emersons Arm an seinen Körper, um ihn ruhigzustellen. Leider machte er dazu wieder ein paar ganz ungehörige Bemerkungen.

Der Rückweg war lang und mühsam, aber Lucas erzählte uns, wie er uns zufällig gefunden habe. Der Besitzer seines Esels hatte ihn und das Tier im Stich gelassen, als er zum Lager ritt, und jetzt wollte er den Esel zurückhaben. »Ich bot ihm an, das elende Tier zu kaufen, damit es Evelyn zur Verfügung habe, aber plötzlich sah ich mich einer heulenden Horde von Dorfbewohnern gegenüber.

Was sollte ich da machen, wenn man mich daran hinderte, den Esel zu kaufen? Auf dem Rückweg zum Lager traf ich Abdullah, und er sagte mir, Sie seien zum Königsgrab gegangen. Nach meinem Abenteuer machte ich mir Sorgen um Sie. Glücklicherweise, möchte ich sagen.«

»Dann haben Sie also den Steinschlag nicht gesehen?« fragte Emerson.

»Nein.«

»Aber das war kein Zufall«, knurrte er. »Warum ist das gerade da passiert, als wir im Grab waren?«

»Wir hatten dabei doch einiges Glück«, machte ich geltend, aber Emerson brummte dazu nur etwas.

Wir waren noch etwa eine Meile vom Lager entfernt, als uns Walter und Evelyn entgegenkamen. Sie hatten sich wegen unserer langen Abwesenheit Sorgen gemacht, und als wir ihm von unserem Pech erzählten, meinte er nachdenklich, das sei Wasser auf die Mühlen der abergläubischen Dorfbewohner.

»Und wissen werden sie's«, sagte ich, »einer weiß es ganz bestimmt.«

»Dann glauben Sie also, daß es kein Unfall war?« rief Lucas. Er schien die ganze Sache als Abenteuer zu betrachten, und darüber ärgerte ich mich.

»Jedenfalls bleiben wir in Zukunft im Lager«, sagte ich kurz. »Vielleicht war nicht beabsichtigt, uns ernstlichen Schaden zuzufügen, aber .«

»Das kann man nie wissen«, unterbrach mich Walter. »Ebensogut hätte ein Stein meinen Bruder am Kopf treffen können.«

»Verletzt wurde Ihr Bruder ja, als wir befreit wurden, nicht vorher«, berichtete ich. »Der Steinschlag konnte kaum inszeniert worden sein, um uns zu ermorden. Sie hätten ja nach uns gesucht, wenn wir zu lange nicht gekommen wären. Ich glaube, es war ein Unfall.«

»Und wenn Peabody so sagt, dann ist das so gut wie das Wort des Propheten«, bemerkte Emerson dazu.

Den Rest des Weges legten wir schweigend zurück.

Mir fiel dann auf, daß Evelyn sehr blaß und bedrückt war. »Hat Lucas dich geärgert?« fragte ich sie, als wir allein waren.

»Er hat mich gefragt, ob ich ihn heirate«, antwortete sie. »Aber du kennst ja meine Gefühle. Den Mann, den ich liebe, kann ich nicht heiraten, und einen anderen will ich nicht.«

»Da irrst du aber«, erwiderte ich bestimmt. »Walter liebt dich, und das kannst du nicht leugnen. Du bist ungerecht, wenn du ihm keine Chance gibst.«

»Damit er meine Schande erfährt? Nun, Amelia, falls er mich je fragen sollte - dann erfährt er alles.«

»Klar, das mußt du tun. Jedenfalls ist es besser, er hört die Geschichte von dir als von anderer Seite. Er ist ein feiner Bursche, Evelyn. Ich mag ihn. Er würde niemals .«

»Er ist ein Mann«, unterbrach sie mich voll so überlegener Weisheit, daß ich gelacht hätte, wäre die Sache nicht so ernst gewesen. »Und welcher Mann könnte einer Frau einen solchen Fehltritt verzeihen?«

»Ah, bah!« rief ich.

»Wenn ich ihm etwas zu bieten hätte . ein Vermögen .«

»Was? Du glaubst, wegen dieses Fehltrittes würde er dich verachten, dich aber akzeptieren, wenn du ihm ein Vermögen brächtest?«

»Amelia, du sprichst, als seist du hundert Jahre alt, und dabei ist Walter nur ein paar Jahre jünger als du; und du bist auch noch nicht alt. Außerdem wirst du immer jünger, immer attraktiver.«

»Komm, komm, Evelyn, jetzt übertreibst du. Ich rui-niere meine Kleider, meine Haut ist sonnenverbrannt, meine Hände sind zerschunden. Vergiß mich und laß uns von dir sprechen. Wenn du nur auf mich hören wolltest ...«

»In diesen Dingen kann ich nur meinem eigenen Gewissen folgen.«

»Aber das ist schrecklich! Du liebst doch dieses Leben. Du siehst zart aus, hast aber einen eisernen Willen. Du könntest für Walter die beste nur denkbare Gefährtin sein.«

»Du liebst dieses Leben, Amelia. Und du wärst die beste nur denkbare Archäologin.«

»Hm. Ganz unrecht hast du da nicht. Schade, daß ich kein Mann bin. Emerson würde mich als Kollegen akzeptieren. Welch herrliche Zeit hätten wir! Arbeit und Streit in schöner Abwechslung. Emerson würde mir recht geben. Schade, daß ich eine Frau bin.«

»Das glaube ich nicht, Amelia«, meinte sie lächelnd.

»Du könntest doch Lucas' Angebot annehmen. Das heißt, sein Geld«, drängte ich. »Moralisch gehört sowieso die Hälfte des Vermögens deines Großvaters dir. Und wenn du glaubst, Walter würde ...«

»Nein, das wäre nicht ehrlich. Nein, Amelia. Ich kann Lucas nicht heiraten, und deshalb will ich auch keinen Penny von ihm. Willst du mich denn unbedingt loshaben? Ich habe mich so darauf gefreut, mit dir alt zu werden, Wolle abzuwickeln, Katzen zu haben und einen Garten zu pflegen und . Aber, Amelia, warum weinst du? Nein, du darfst doch nicht weinen!«

Sie legte die Arme um mich, und wir weinten gemeinsam. Ich wußte gar nicht, weshalb ich weinte, aber irgendwie war es tröstlich. Also leistete ich mir den Luxus eines Gefühls.

»Ich liebe dich doch, Amelia«, schluchzte Evelyn. »Du bist mir wie eine liebe Schwester. Deine Güte, dein Humor, deine himmlische Geduld .«

»Geduld, sagst du? Meine liebe Evelyn, Geduld habe ich keine, und mein Temperament ist teuflisch, und störrisch bin ich wie ein Muli. Aber weine nicht mehr, Liebes. Gott wird es schon recht machen für dich und mich. Es paßt mir ja manchmal gar nicht, was er über mich bestimmt, aber was immer auch geschieht, ich will nicht ruhen, bis du den Mann bekommst, den du verdienst. Hier, nimm das Taschentuch und trockne deine Augen. Aber dann gibst du's mir zurück, ich brauche es auch.«

»Willst du mich behalten, damit ich Wolle abwickeln, Garten pflegen und Katzen haben kann, wenn du verheiratet bist?« fragte sie.

»Das ist die allerdümmste Frage, meine Liebe, die du je gestellt hast«, antwortete ich. »Und wir haben allerhand dummes Zeug geredet.«

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