8. Kapitel

Wir hatten frische Kleider an, als wir aus dem Grab kamen. Die Männer waren schon versammelt. Lucas hatte sich viele Sachen bringen lassen, als wolle er mitten in der Wüste einen Laden einrichten. Der Tisch war mit Blumen, Silberzeug und Kristall geschmückt. Emerson betrachtete mit einer Mischung aus Unverständnis und Abscheu die elegante Aufmachung. Und Lucas trug einen teuren, makellosen Anzug.

Er benahm sich, als sei er unser Gastgeber, auch dazu sagte Emerson nichts, sondern musterte nur seine mitgenommenen Stiefel. Seine Schulter mußte ihm noch schmerzen, sonst hätte er sicher einige bissige Bemerkungen gemacht.

Lucas servierte Sherry. »Halten Sie ein alkoholisches Getränk bei dieser Hitze nicht für unangebracht?« fragte ich. »Wir müssen heute abend doch frisch sein.«

»Oh, ein Schluck Whisky oder dergleichen schärft immer meine Sinne«, erwiderte Lucas, »und ich kann eine Menge vertragen.«

»Das meint jeder Trinker«, bemerkte Walter anzüglich.

»Du mußt ja deine ganze Dahabije mit Luxus vollgestopft haben«, warf Evelyn ein. »Dieser Luxus ist zwar schön, doch wir sind ihn hier nicht gewöhnt.«

»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte mein Boot noch ganz andere Dinge mitgebracht, Evelyn. Deine Kisten sind in Kairo angekommen. Ich wollte sie mitbringen, aber dieser alte Bär Baring hat sie mir nicht ausgehändigt.«

»Nein, wirklich?« sagte ich. »Er war mit meinem Vater befreundet.«

»Das weiß ich. Die Kisten waren auch an Sie adressiert, weil der Konsul in Rom keine andere Adresse für Evelyn hatte. Baring bewacht sie wie ein Kettenhund. Ich erklärte ihm meine Beziehung zu Evelyn, doch er ließ sich nicht erweichen.«

»Vielleicht ist Ihr Ruf Ihnen vorausgeeilt«, bemerkte ich milde. Leider war es unmöglich, Lucas zu beleidigen, denn er lachte und erklärte, er sei mit einem jungen Verwandten Barings auf der Universität gewesen, und der habe wohl etwas zuviel erzählt.

»Aber«, wandte er sich an Evelyn, »eines Tages wirst du sowieso bekommen, was dir zusteht, und ich werde dich überreden, es anzunehmen. Doch alle Schätze der Pharaonen könnten dir nicht das geben, was du verdienst.«

Der arme Walter war eifersüchtig, Evelyn verlegen, nur Emerson schien ungerührt zu sein. »Peabody, ich würde vorschlagen, daß Sie uns sagen, was wir heute für unsere abendliche Unterhaltung zu tun haben«, forderte er mich auf.

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, antwortete ich. »Evelyn sollte, meine ich, die kleine Prinzessin aus dem königlichen Grab kopieren. Das wäre wundervoll. Nein, nicht unbedingt heute«, schnitt ich Lucas' Einwand ab. »Irgendwann. Sie scheinen gar nicht zu ahnen, welch große Künstlerin in Evelyn steckt. Sie hat das jetzt vernichtete Pflaster kopiert.«

Lucas wollte die Kopien unbedingt sehen und lobte sie über alle Maßen, und nun überreichte er Emerson auch das versprochene Pergament. Er hatte es zwischen zwei

Glasscheiben legen lassen und in einem flachen, geschnitzten Holzbehälter aufgehoben. Für diese Umsicht sprach ihm Emerson sogar ein widerwilliges Lob aus.

Es schien ein ziemlich gut erhaltenes Exemplar zu sein, war altersbraun und krümelte an den Kanten. Die schwarze Schrift hob sich sehr gut von dem Braun ab. Manche Worte waren in roter Tusche geschrieben, die jedoch zu einem fahlen Rostbraun verblaßt war. Natürlich konnte ich nichts von der Schrift entziffern, doch ein paar Vögel ließen sich klar erkennen.

»Walter, kannst du das lesen?« wollte Emerson wissen.

»Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß Master Walter dieses Gekritzel lesen kann?« fragte Lucas erstaunt.

»Master Walter«, erklärte Emerson trocken, »ist einer der besten Kenner alter Sprachen der ganzen Welt. Ich verstehe ein bißchen was davon, aber ich bin in erster Linie Ausgräber. Walter ist Philologe. Nun, Walter?«

»Übertreib nicht, Radcliffe«, warnte Walter. »Diesen Papyrus muß ich Frank Griffith zeigen. Er ist jetzt bei Pe-trie in Naucratis. Ein paar Zeilen kann ich jedenfalls lesen. In dieser Schrift wurden Dokumente geschrieben, weil die Hieroglyphen für ein vielbeschäftigtes Königreich viel zu mühsam waren. Das hier sind also die vereinfachten Hieroglyphen. Dieses Wort hier bedeutet zum Beispiel >Schwester<, doch es wurde auch für >Zärtlichkeit< gebraucht.«

»Ja, ein Liebhaber hat seine Liebste als >Schwester< angesprochen«, bekräftigte Emerson. »Sie ihn als >Bruder<. Und das hier scheint ein Gedicht zu sein.«

»Großartig!« rief Lucas. »Können Sie's lesen?«

»Ein paar Zeilen . Sie hätten das Pergament nicht aufrollen sollen, denn dadurch wurde es ernstlich beschädigt. Hier, das heißt so:

Ich gehe mit dir hinab zum Wasser

und kehre zu dir zurück mit einem roten Fisch,

der schön ist auf meiner Hand.

Dann sind die Liebenden am Fluß oder an einem Teich. Dort lassen sie sich vom kühlen Wasser umschmeicheln ... Und hier geht es lesbar weiter:

Die geliebte Schwester weilt auf der anderen Seite,

und breites Wasser trennt uns.

Ein Krokodil wartet auf der Sandbank.

Doch ich gehe ins Wasser und schreite auf den Wellen.

Mein Herz ist tapfer in den Fluten,

denn ihre Liebe macht mich stark.«

Ich weiß nicht, was mich mehr beeindruckte, die anmutige Zartheit des Gedichtes oder das Können des bescheidenen jungen Mannes. »Wie schön ist es doch, zu wissen, daß solche Gefühle so alt sind wie die Menschheit!« rief ich begeistert.

»Ich finde es ausgesprochen verrückt«, warf Lucas ein. »Ein junger Mann, der ins Wasser springt, das von Krokodilen wimmelt, verdient es nicht besser, als daß er aufgefressen wird.«

»Das Krokodil ist ein Symbol für die Gefahren, die ein wahrer Liebender für eine Geliebte auf sich nimmt«, erklärte ich ihm ziemlich ungehalten und erhielt dafür Walters Beifall und Lächeln.

»Es ist ein Risiko, die alten Ägypter enträtseln zu wollen, Peabody«, bemerkte Emerson brummig. »Wahrscheinlich hat der junge Mann mit den Krokodilen nur geprahlt, denn kein vernünftiger Bursche würde sich freiwillig in eine solche Gefahr begeben.«

Ich wollte etwas darauf sagen, aber Evelyn begann schrecklich zu husten.

Inzwischen war es auch schon fast Abend geworden, und es gab dann einen der prächtigsten Sonnenuntergän-ge, die wir je erlebt hatten. Breite blutrote und purpurfarbene Bänder waren von durchsichtig blauen, gold- und kupferfarbenen durchzogen, und diese Farben glichen eindeutig denen von alten ägyptischen Keramiken. Aber diese Pracht hatte etwas Drohendes an sich. Plötzlich stand Michael neben mir, den ich den ganzen Tag über nicht gesehen hatte. Er müsse unbedingt mit mir sprechen, erklärte er.

»Aber erst nach dem Essen«, bestimmte Lucas. »Michael, du wirst nicht gebraucht. Meine Diener tragen die Mahlzeit auf. Miß Peabody wird später mit dir sprechen.«

»Lucas, das geht wirklich nicht«, protestierte ich, als Michael außer Hörweite war. »Ich lasse es nicht zu, daß Sie meinen Diener kränken.«

»Ah, wenigstens ist das Eis gebrochen, und Sie sprechen mich mit meinem Vornamen an!« Lucas lachte breit. »Miß Amelia, darauf müssen wir trinken.«

»Ich will nicht, wir haben schon zuviel getrunken. Und wegen Michael .«

»So viel Lärm um einen windigen Diener«, meinte Lucas verächtlich. »Ich glaube, ich weiß, weshalb er mit Ihnen reden will, und an Ihrer Stelle wäre es mir gar nicht eilig, es zu hören. Er will nämlich gehen, weil er ein Feigling ist. Natürlich gibt er bessere Gründe an als Feigheit. Er ist ja schließlich auch ein Eingeborener, und die sind überall gleich. Sie sind ebenso abergläubisch wie habgierig.«

»Bisher hatte ich immer den Eindruck«, widersprach ihm Emerson, »daß es weniger die Unwissenden waren, die sich vom Geld verführen ließen.«

»Und ich kann nicht glauben, daß mein treuer Michael mich verlassen will, und deshalb werde ich dann auch mit ihm sprechen«, erklärte ich bestimmt.

Zu meinem Bedauern muß ich zugeben, daß Lucas recht behielt. Michael war nirgends zu finden, doch daß er tatsächlich verschwunden war, stellten wir erst fest, als wir unsere Vorbereitungen für die Nacht trafen. Die Diener von Lucas waren längst gegangen, und so konnte ich sie nicht nach Michael fragen. Natürlich machte Lucas sehr abfällige Bemerkungen über ihn. Schließlich drängte er, wir sollten unsere Pläne machen.

»Nun, dann lassen Sie hören, was Sie zu sagen haben«, forderte ihn Emerson auf.

Ich konnte mir gar nicht vorstellen, weshalb Emerson Lucas' Vorschlägen so aufgeschlossen begegnen wollte, denn ich wußte, wie wenig er von ihm hielt. Lucas war schließlich viel jünger und auch recht unerfahren.

»Na, schön.« Lucas blies sich sichtlich auf. »Ich sehe keine Notwendigkeit, das Dorf zu bewachen. Wenn Ihr Schurke Sie verjagen will, dann kommt er hierher, und hier müssen wir auch unsere Kräfte konzentrieren, ohne jedoch etwas davon sehen zu lassen. Sie haben ihn ja schon einmal verscheucht. Er kam ja, wenn man Miß Amelias Aussagen Glauben schenkt, bis zum Eingang ihrer Wohnung .«

»Und da war er auch!« fuhr ich auf.

»Sicher, gewiß . Ich wollte ja auch nicht . Und als Evelyn ihn in der folgenden Nacht sah, kam er vielleicht nur bis zum unteren Hang. Zum Sims kam er sowieso nie. Er scheint gewußt oder mindestens geahnt zu haben, daß Sie auf ihn warten.«

Ich spürte Walters wachsenden Zorn über Lucas' Überheblichkeit und war daher gar nicht erstaunt, daß er, nur mühsam beherrscht, einwarf: »Sie möchten also unterstellen, Lord Ellesmere, daß dieses elende Wesen Abdullah und mich sah. Ich versichere Ihnen .«

»Nein, mein Lieber, ich möchte nur sagen, daß Ihr Freund Mohammed vorher gewarnt worden war!« Emer-sons Protestschrei überhörte er großzügig und fuhr fort: »Ja, Michael, er muß mit den Dorfbewohnern zusammenarbeiten. Ganz gewiß haben sie ihm einen Beuteanteil versprochen.«

»Beuteanteil?« rief Evelyn außerordentlich empört. »Die sind ja so arm, daß sie nicht einmal ihre Kinder kleiden können.«

»Ich sehe schon, es wurde nicht völlig durchdacht«, erwiderte Lucas überlegen. »Ich habe ja einigen Abstand von den Dingen, die in den letzten Tagen hier passiert sind. Ich fragte mich nämlich nach den Motiven dieser Menschen. Bosheit ist keine ausreichende Erklärung, denn sie brauchen das Geld, das ihnen bezahlt wird. Aber diese Fellachen haben seit Jahrhunderten die Gräber ausgeraubt, und ihre Funde füllen die Läden in Kairo und Luxor. Ihr Archäologen beklagt euch, daß euch die Einheimischen bei jedem Grab eine Nasenlänge voraus sind. Ich nehme daher an, daß die Dorfbewohner kürzlich ein Grab mit vielversprechendem Inhalt entdeckten, sonst würde ihnen nicht soviel daran liegen, Sie wegzutreiben, bevor Sie es finden können.«

Natürlich hatte ich darüber auch schon nachgedacht, den Gedanken aber wieder verworfen. »Das hieße ja«, gab ich zu bedenken, »daß die Dorfbewohner mit Mohammed unter einer Decke steckten. Wenn Sie jedoch den zitternden alten Bürgermeister gesehen hätten .«

»Damen sind immer zu vertrauensselig, und die Dorfbewohner sind Lügner und Schurken«, unterbrach mich Lucas.

»Wenn ein solches Grab existierte, könnte mich nur ein Erdbeben vertreiben«, erklärte Emerson.

»Natürlich«, pflichtete ihm Lucas bei. »Um so mehr Grund, die Mumie zu fangen, ehe sie ernstlichen Schaden anrichten kann.«

»Das Problem ist noch lange nicht gelöst, wenn wir die Mumie fangen«, gab Walter zu bedenken. »Sie sagten doch selbst, das ganze Dorf wisse, daß die Mumie nur ein Schreckgespenst ist. Selbst wenn wir sie fangen, ändert das nichts an der Absicht, uns zu vertreiben.«

»Aber wir haben eine Geisel, den Sohn des Bürgermeisters. Er muß uns zu dem Grab führen, und dann bitten wir in Kairo um Verstärkung. Und wir können die Bootsmannschaften zur Bewachung des Grabes abstellen, wenn wir erst den Fluch als unwirksam entlarvt haben. Sie halten die Dorfbewohner sowieso für Wilde. Gemeinsam ist ihnen nur die Angst vor den Toten.«

»Ich glaube niemals, daß Michael der Verräter ist«, sagte ich, »aber wenn, dann wird er das Dorf vor unseren Plänen für diese Nacht warnen. Die Mumie wird also sehr vorsichtig sein.«

»Welch scharfen Geist Sie doch haben!« rief Lucas voll Bewunderung. »Das ist richtig, aber es muß ja so aussehen, als seien wir nicht im geringsten mißtrauisch, so daß wir die Mumie um so sicherer in die Hand bekommen. Nun, ich scheine zum Beispiel etwas mehr getrunken zu haben, als gut ist, aber ich will den Anschein erwecken, fest zu schlafen. Hätten Sie, Gentlemen, das nur auch getan! Es wäre viel überzeugender gewesen. Haben Sie Vorschläge?«

Es wurden einige gemacht und verworfen, so der von Emerson, er wolle eine ganze Flasche Wein austrinken und dann anscheinend schlafend und betrunken im Sand liegen. Und Evelyn erbot sich, nach Mitternacht zu einem Spaziergang aufzubrechen, doch dagegen protestierten wir alle - bis auf Lucas.

»Warum nicht?« meinte er. »Gefahr besteht doch keine. Der Schurke will nur einen von uns allein haben, um einen dummen Streich zu spielen.«

»Halten Sie das etwa für einen dummen Streich?« rief Emerson empört und deutete auf seine verletzte Schulter.

»Sie sind total verrückt. Und du, Walter, hältst überhaupt den Mund, wenn du nicht ruhig sprechen kannst.«

»Wie kann man darüber ruhig sprechen?« fuhr Walter auf. »Ich weiß noch genau, was Mohammed, dieses Schwein, sagte, als wir im Dorf waren.«

»Lucas weiß das doch nicht, Walter«, versuchte ihn Evelyn zu beruhigen. »Ich weiß es, denn ich hörte Amelia und Mr. Emerson darüber sprechen. Mein Vorschlag erscheint unter diesen Umständen sicher vernünftiger.«

Lucas wollte nun wissen, worüber gesprochen wurde, und ich sah keinen Grund, es ihm zu verheimlichen. Aber ich fügte am Schluß hinzu: »Evelyn, es ist reine Eitelkeit, wenn du annimmst, daß die Mumie nur an dir interessiert ist. Mohammed sah mich an, als er sprach, und ich finde es daher nur vernünftig, wenn ich dich auf diesem Spaziergang begleite. Die Mumie hat also die Auswahl zwischen etwas Knusprigem und einer reiferen Dame.«

Davon wollte jedoch Emerson nichts wissen.

»Aber weshalb?« wandte ich ein. »Glauben Sie wirklich, ich sei für eine Mumie nicht mehr anziehend genug? Da muß ich aber schon sehr bitten, mich nicht zu beleidigen.«

»Sie sind eine Närrin, Peabody«, fuhr mich Emerson wütend an. »Und wenn Sie glauben, ich würde etwas so Blödes, Kindisches, Verrücktes ...«

Es wurde dann etwa so gemacht, wie ich es vorschlug. Wir diskutierten den Plan ausführlich. Wir, das waren Evelyn, Lucas und ich, denn Emerson knurrte nur, und Walter schwieg bockig. Er nahm Evelyns Verhalten als Beweis dafür, daß zwischen ihr und Lucas volles Einvernehmen herrschte, und ich ließ ihn in dem Glauben, um eventuellen Spionen einen Streit zu demonstrieren und sie so in die Irre zu führen.

Schließlich zog Lucas sogar eine Pistole. »Ich werde mich immer in Evelyns Nähe halten«, flüsterte er. »Unser bandagierter Freund wird Respekt vor diesem Ding haben, und wenn nicht, werde ich nicht zögern, die Waffe auch zu gebrauchen.«

»Und was ist mit mir?« fragte ich.

Emerson konnte die Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen. »Gott beschütze jeden, der sich mit Ihnen anlegt, Peabody«, erklärte er bitter. »Wir sollten dem Ding, um ihm die gleiche Chance zu geben, auch eine Pistole geben.« Damit ging er, und Walter folgte ihm. Lucas rieb sich die Hände. Er schien das Abenteuer gar nicht mehr erwarten zu können. Ich ging dann auch, obwohl ich Evelyn nicht gerne mit ihm allein ließ. Sie hatte mir nämlich vorgeschlagen, meinen ganzen Plan noch einmal zu überdenken.

Es war dann eine recht einseitige Auseinandersetzung, die ich damit beendete, daß ich mein Bettzeug nahm und in Michaels Zelt umzog. Dort konnte ich kein Licht machen, denn es war kein richtiges englisches Zelt, sondern nicht viel mehr als eine dünne Plane, die mir nicht einmal erlaubte, aufrecht zu stehen.

Ich mochte noch immer nicht daran glauben, daß Michael mich verlassen haben sollte, und beschloß, das Zelt zu durchsuchen in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis zu finden. Michaels geringe Besitztümer waren nicht mehr da, doch ich fand im Sand begraben einen metallenen Gegenstand, den ich im Mondlicht als sein Kreuz erkannte. Ein Stück der Kette war daran, also war sie wohl abgerissen worden.

Dieses Kreuz war Michaels einziges Wertstück und ein Amulett gegen alles Böse; also hätte er es niemals freiwillig zurückgelassen. Und die Kette mußte während eines Kampfes abgerissen worden sein. Ich suchte nach weiteren Beweisen, fand aber nichts mehr.

Die Zeit verging sehr schnell, weil ich mich so in diese mysteriöse Sache vertieft hatte. Da hörte ich von draußen ein Geräusch. Ich legte mich platt auf den Boden, hob eine Zeltkante an und spähte hinaus.

Nichts war zu sehen, nicht einmal die Eingänge zu den Gräbern. Das war also ungünstig, denn ich wollte ja Evelyn beistehen können, falls sie von der Mumie angegriffen wurde; wenn ich ehrlich war, so glaubte ich nicht, daß sie hinter mir her war. Ich kroch also aus dem Zelt zum Ende eines niederen Felsrückens und schaute mich vorsichtig um.

Fast hätte ich aufgeschrien, denn nur ein paar Schritte entfernt sah ich das Ding, direkt hinter dem Felsrücken. Wir behaupten alle, nicht abergläubisch zu sein, da wir einem aufgeklärten Zeitalter entstammen, aber tief innen wimmerte ich doch. Es war auch ein schrecklicher Anblick.

In diesen Breiten läßt die klare, trockene Luft jeden Umriß deutlich hervortreten, doch das Mondlicht kann auch trügen. Helle Gegenstände nehmen eine bläßlich grüne Farbe an, die an Knollenblätterpilze erinnert, und so sah auch die Mumie aus, die aus sich heraus ein wenig zu leuchten schien. Die bandagierten Hände glichen den Stummeln von Leprakranken, und sie waren wie zur Anrufung eines Gottes erhoben. Sie hatte mir den Rücken zugewandt; der Kopf war leicht nach rückwärts geneigt, als schauten die augenlosen Höhlen zum Sims.

Evelyn mußte nun gleich das Grab verlassen und dem Sims folgen. Vier starke Männer lagen in der Nähe auf Lauer. Und da tauchte auch schon ihr Licht unter dem Eingang der Grabkammer auf. Sie schaute zu den Sternen hinauf, und ich wußte, daß sie nun ihren ganzen Mut zusammennahm. Sie konnte die Mumie nicht sehen, denn in dem Augenblick, da sie aus der Kammer trat, war das

Ding am Fuß der Klippe hinter einem Felsen verschwunden.

Ich habe vorher erwähnt, daß vier starke Männer warteten, doch dessen konnte ich nicht so völlig sicher sein. Wenn Emerson auch über mich immer schnieft, so bin ich doch keine dumme Person, denn ich hatte mir bereits etwas überlegt, das auch meinen intelligenteren Lesern schon eingefallen sein mußte. Mein Gehirn arbeitete also fieberhaft.

Walter hatte fest und steif behauptet, Mohammed habe das Dorf nicht verlassen, als uns die Mumie besuchte. Und ich mußte, wenn auch ungern, Emerson darin beipflichten, daß ein solches Komplott von dem Ägypter kaum zu erwarten sei. Mohammed war für solche Überlegungen viel zu wenig intelligent, sie entsprachen eher europäisch-romantischen Vorstellungen.

Wenn also Mohammed nicht die Mumie war, wer dann? Ein bestimmter Name hatte sich in meinem Kopf eingenistet, denn dahinter steckte nicht nur eine fruchtbare, wenn auch oberflächliche Intelligenz, sondern auch ein bizarrer Sinn für Humor.

Die größte Frage war dabei die nach dem Motiv. Warum sollte Lucas, Lord Ellesmere, seine Base auf so absurde Art erschrecken wollen? Oder wollte er mir Angst einjagen? Ich konnte mir nur vorstellen, daß Lucas Evelyn so zu ängstigen versuchte, daß sie bei ihm Schutz suchte und Ägypten verließ. Er war aber nicht gescheit genug, zu erkennen, daß ein solcher Plan nicht gelingen konnte.

Ich hielt also Lucas für den Schurken, und ich wollte auch, daß er's war: ein gefährliches Krokodil, das dem Liebsten seiner Geliebten auflauerte, um selbst ihr Herz zu gewinnen. Der Instinkt einer Frau, finde ich, liegt immer richtiger als die Logik. Deshalb wartete ich ja auch so gespannt, ob Lucas zu Evelyns Rettung herbeieilen würde.

Evelyn folgte dem Pfad, der sie aus der Sicherheit wegführte, und ich bangte ehrlich um sie. Sie spielte die Gleichmütige. Als sie an Walters und seines Bruders Quartier vorüberging, warf sie nur schnell einen Blick auf den Eingang; dann straffte sie die Schultern und lief weiter.

Endlich hatte sie den Sand erreicht. Ginge sie hier weiter, so käme sie viel zu nahe an der Mumie vorüber. Vielleicht hatten die Männer noch gar nichts gesehen, und die Absichten dieser Kreatur kannte ich ja auch nicht.

Evelyn ging auf den Steinblock zu, hinter dem die Mumie versteckt lag. Doch sie war nicht mehr da! Während ich Evelyn mit den Augen verfolgt hatte, mußte sie davongehuscht sein. Wo war sie jetzt? Und wo waren unsere mutigen Verteidiger? In der tiefen Stille hörte ich mein Herz heftig pochen.

Dann bemerkte ich am Fuß des Pfades eine Bewegung, direkt zwischen Evelyn und dem Sims. Sie konnte sich also nicht in die Sicherheit zurückziehen. Die Spannung war unerträglich, und ich erhob mich langsam. In diesem Moment trat die Mumie in offenes Gelände heraus und stieß ein tiefes, stöhnendes Knurren aus, das Evelyn herumwirbeln ließ.

Drei Schritte war sie von dem Monster entfernt, mehr nicht. Evelyn griff sich an die Kehle und schwankte. Ich sprang auf, trat leider auf den Saum meines Kleides und lag der Länge nach auf der Nase. Und so sah ich, wie die Mumie sich Evelyn näherte. Sie schien vor Angst gelähmt zu sein. Ich wäre in einem solchen Fall längst davonge-rannt, und ich schäme mich nicht, das zuzugeben.

Da schrie ich. Evelyn stand noch immer wie versteinert da, und das Ding kam ihr immer näher. Und in diesem Moment kam die Rettung. Walter rannte in großen Sprüngen vom Grab her, warf sich vom Felsrand des Sim-ses und fiel den Sandhang hinab. Gleichzeitig verließ Lucas seine Deckung hinter einem Steinhaufen. Ich war unbeschreiblich erleichtert. Er schrie und zog seine Pistole.

Die Mumie blieb stehen, wandte den Kopf von einer Seite zur anderen und schien zu überlegen, was jetzt zu tun sei. Ich versuchte meine Röcke zu raffen, um zu Evelyn zu rennen, doch ein Schrei von Lucas hielt mich auf. Er wollte nicht, daß ich in die Schußlinie geriete. Aber Lucas wollte nur drohen und nicht schießen. Ich bewunderte ihn wegen seiner Ruhe.

Langsam trat Lucas vor, der augenlose Kopf folgte seiner Bewegung. Die Kreatur tat einen gräßlichen, jammernden Schrei. Das war zuviel für Evelyn. Sie sank zusammen. Die Mumie stöhnte heftig und humpelte auf sie zu.

Ich war überzeugt, daß unter den Bandagen der Mumie nicht Mohammed stecken konnte. Diese Leute hatten einen heiligen Respekt vor Schußwaffen, und als ich das dachte, schoß Lucas. Der Donner hallte durch die Nachtstille.

Die Mumie zuckte zurück, eine verbundene Hand legte sich auf die Brust. Ich hielt den Atem an. Nein, sie fiel nicht! Sie jammerte und knurrte nur, bewegte sich aber weiter vorwärts. Lucas schoß noch einmal, diesmal aus einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten. Wieder legte sich eine verbundene Hand auf die Stelle, wo die Kugel getroffen haben mußte, aber das Ungeheuer bewegte sich noch immer weiter vorwärts.

Auf Lucas' blassem Gesicht standen dicke Schweißtropfen, sein offener Mund klaffte wie eine Wunde. Er fummelte in seiner Jackentasche. Offensichtlich mußte er seine Waffe nachladen.

Walter ließ sich weiter auf den steinigen Boden hinabfallen; er löste einen ziemlichen Steinrutsch aus, doch sein

Gleichgewicht verlor er nicht. Er erreichte den ebenen Boden und rannte weiter.

Lucas brüllte etwas, doch ich verstand es nicht, weil die rumpelnden Steine solchen Lärm machten. Endlich hob er wieder die Pistole. Ich schrie, doch es war zu spät. Walter konnte seinen Schwung nicht abbremsen und warf sich in dem Moment auf das Ungeheuer, als Lucas schoß. Und diesmal fand die Kugel ein verletzliches Ziel. Walter stand still wie ein Stock, dann drehte er langsam den Kopf Lucas zu. Seine Miene drückte Verblüffung aus. Dann gaben seine Knie nach, und er fiel auf dem Sand in sich zusammen.

Lucas stand wie versteinert da; die Pistole hing in seiner schlaffen Hand, und sein Gesicht war eine Maske des Entsetzens. Dann tat die Mumie etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ - sie lachte, sie heulte vor Vergnügen, daß ich glaubte, die ganze Hölle sei losgelassen. Danach zog sie sich, noch immer lachend, zurück, und keiner der entsetzten Zuschauer vermochte es zu verhindern. Das Ding war schon längst um einen Felsen herum verschwunden, als ich noch immer das teuflische Gelächter hörte.

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