2. Kapitel

Ich will meinen verehrten Lesern die Beschreibung der Seereise und des Schmutzes von Alexandria ersparen. Jeder europäische Reisende, der seinen Namen schreiben kann, fühlt sich zur Abfassung seiner Memoiren verpflichtet, und das ist mehr als genug. Wir kamen jedenfalls ohne Zwischenfall in Kairo an und nahmen Aufenthalt in Shepheard's Hotel.

Jeder, der auf sich hält, wohnt bei Shepheard's. Früher oder später trifft man dort mit Sicherheit Bekannte, und das orientalische Leben kann man bei einer Limonade von der Terrasse aus genießen. Steife Engländer reiten auf Eselchen vorüber, die so klein sind, daß die Männer ihre Füße im Straßenstaub schleifen lassen; ihnen folgen Janit-scharen in prächtigen, goldgestickten Uniformen, und sie sind bis an die Zähne bewaffnet; denen folgen wiederum Eingeborenenfrauen in wallenden schwarzen und stolze Araber in wehenden blauen und weißen Gewändern, Derwische mit fantasievollem Kopfputz, Süßigkeitenverkäufer und Wasserhändler, also eine endlose, faszinierende Prozession.

Die Kämpfe im Sudan hatten viele englische Reisende vergrämt, denn der verrückte Mahdi belagerte noch immer den ritterlichen Gordon in Khartum. Sir Garnet Wol-seleys Entsatztruppe hatte Wadi Haifa erreicht und würde wohl bald den tapferen Gordon aus der Umklammerung der barbarischen Armee befreien. Man hielt es daher bei

Shepheard's nicht für gefährlich, nach dem Süden in Richtung Assuan zu reisen.

Ich hegte zwar da gewisse Zweifel, doch ich wollte reisen, und das tat ich auch. Die einzige bequeme Methode, Ägypten kennenzulernen, ist die Reise auf dem Strom, denn alle bemerkenswerten Altertümer sind in dessen unmittelbarer Nähe zu finden. Ich hatte schon gehört, wie vergnüglich eine Fahrt mit einer Dahabije sei, also wollte ich sie ausprobieren. Man kann diese Boote mit allem erdenklichen Luxus ausstaffieren, soweit man ihn bezahlen kann, und bedient wird man wie ein König.

Aber die Auswahl einer Dahabije sei ein sehr heikles und mühsames Geschäft, versicherte man mir, und man lachte schallend über meine Zuversicht, in ein paar Tagen segeln zu können. Die Ägypter, verriet man mir, seien eine faule Gesellschaft, die sich zu nichts drängen ließe.

Ich behielt meine Meinung für mich, da mir Evelyn einen bedeutsamen Blick zuwarf. Dieses Mädchen wirkte ungemein erstaunlich auf mich; ich fürchtete, mit der Zeit könne ich sogar noch sehr sanft und mild werden. Wir waren uns darüber einig gewesen, daß sie nur als Evelyn Forbes, nicht aber unter ihrem vollständigen Namen auftreten sollte, da er zu vielen Engländern zu gut bekannt war. Wurde jemand neugierig, schützte ich regelmäßig Müdigkeit vor.

Natürlich war Evelyn manchmal bedrückt, wenn sie an die Vergangenheit dachte, doch sie verstand es auch, die Schönheiten des Landes zu genießen. Von unseren Zimmern aus konnten wir den Hotelgarten überschauen. Die hohen Palmen waren schwarze Schattenbilder im herandämmernden Morgen, wenn sich der dunkle Himmel mit durchsichtigem Licht und blaßrosa Perlenschimmer füllte. Die Kuppeln und Minaretts der Moscheen überragten malerisch die Baumwipfel, und die Luft war von köstlicher, kühler Frische.

Es war gut, daß wir den Tag mit dem Anblick solcher Schönheit begonnen hatten, als wir nach dem Frühstück zur Werft von Boulaq gingen, um eine Dahabije zu mieten. Hunderte von Booten lagen dort vor Anker, und der Lärm war unbeschreiblich.

Die Boote unterscheiden sich eigentlich nur in der Größe. Die Kabinen liegen im Heck, und ihr Dach ist gleichzeitig ein Oberdeck, das sich mit Möbeln und Markisen ausstatten und so zu einem herrlichen Freiluftsalon machen läßt. Die Mannschaft bewohnt das untere Deck. Dort gibt es eine Küche, einen Verschlag mit einem Holzkohlenofen und eine Sammlung von Pfannen und Töpfen. Die Dahabijes sind Boote mit flachem Kiel und zwei Masten, und wenn die Segel sich im leichten Wind blähen, sind sie ein sehr malerischer Anblick.

Welches Boot sollten wir wählen? Nun, die Wahl war nicht allzu schwierig, denn die meisten Boote strotzten vor Schmutz. Natürlich durfte man keine englischen Maßstäbe anlegen, wenn auch die primitivsten hygienischen Einrichtungen vorhanden sein mußten. Selbstverständlich waren die größeren Boote in einem besseren Zustand als die kleinen. Es ging mir nicht um die höhere Ausgabe, sondern es kam mir lächerlich vor, für uns beide und eine Magd zehn Einzelkabinen und zwei Salons zu haben.

Evelyn bestand darauf, daß wir uns einen Dragoman nehmen sollten. Ich dachte, das sei nicht nötig, weil ich schon auf der Seereise ein bißchen Arabisch gelernt hatte, doch ich gab nach. Unser Mann war ein Kopte namens Michael Bedawee, ein dicklicher, kaffeebrauner Bursche mit weißem Turban und abenteuerlichem, schwarzem Bart; allerdings paßt diese Beschreibung auf die meisten

Ägypter. Was unseren Michael auszeichnete, war sein freundliches Lächeln und die Ehrlichkeit seiner weichen, braunen Augen. Wir entschieden uns sofort für ihn, und er mochte uns offensichtlich bald sehr gern.

Michael half uns bei der Auswahl des Bootes. Die Phi-lae war von mittlerer Größe und ungewöhnlich sauber. Der Reis, wie man den Kapitän nannte, war uns auch sympathisch. Er hieß Hassan und stammte aus Luxor. Mir gefiel sein ruhiger Blick und eine Andeutung von Humor, wenn ich meine paar arabischen Worte anbrachte, sooft es ging. Mein Akzent muß fürchterlich gewesen sein, doch Reis Hassan beglückwünschte mich zu meinen Sprachkenntnissen. Infolgedessen war der Handel bald abgeschlossen.

Wir waren stolz auf unser Schiff, das nun vier Monate lang unsere Wohnung sein sollte. Es hatte vier Kabinen, je zwei zu beiden Seiten eines schmalen Ganges. Sogar ein Badezimmer hatten wir. Am Ende des Ganges öffnete sich die Tür in einen halbrunden Salon, der das ganze Schiffsheck einnahm; ein langer Diwan folgte der geschwungenen Wand, und acht hohe Fenster ließen viel Licht ein. Den Boden bedeckten Brüsseler Teppiche, und die Wandvertäfelung in Weiß mit Goldrand erweckte den Eindruck großer, luftiger Weite. Die scharlachroten Vorhänge paßten herrlich zu den prunkvollen, goldgerahmten Spiegeln, und ein sehr hübscher Eßtisch mit passenden Stühlen vervollständigte die Einrichtung.

Schränke und Regale gab es genug, und wir hatten das Zeug, sie zu füllen. Ich hatte vor allem meines Vaters Bücher über Ägypten dabei und hoffte, noch mehr kaufen zu können. Ein Klavier wollten wir haben. Ich bin zwar völlig unmusikalisch, aber Evelyn spielte und sang sehr schön.

Das Boot war gerade von einer Reise zurückgekehrt, und Reis Hassan sagte, er brauche ein paar Tage zur Überholung verschiedener Geräte, ehe wir abreisen könnten; seine Leute wollten auch noch ihre Familien besuchen, und so legten wir, als ich bezahlte, den Reisetag auf eine Woche später fest.

Ein passendes Klavier zu finden erwies sich als nicht leicht. Ich wollte andere Vorhänge für den Salon, weil das Scharlachrot nicht zu meinem Abendkleid paßte. Evelyn meinte, es eile nicht so schrecklich, doch ich wußte, wie sehr sie fürchtete, im Speisesaal des Hotels Bekannte zu treffen.

Die Wartezeit nützten wir gut. Die Basare in Kairo sind faszinierend. Hier gibt es keine richtigen Läden; es sind eher große, vorne offene Schränke, vor denen die Kaufleute auf gekreuzten Beinen sitzen und ihre Kunden erwarten. Bei den Teppichhändlern wurde ich schwach und kaufte etliche Stücke für unseren Salon, wahre Schönheiten aus Persien und Syrien. Ich wollte auch für Evelyn ein paar Kleinigkeiten besorgen, doch sie nahm nur ein Paar Samtpantoffeln an.

Wir besuchten auch Moscheen und die Zitadelle, und ich interessierte mich besonders für die alte Kultur; deshalb sahen wir für einen Tag unseren ersten Besuch in Gizeh vor. Wenn ich gewußt hätte, was uns da bevorstand!

Die Pyramiden besucht jeder Reisende, denn seit dem Bau der Nilbrücke braucht man vom Hotel aus nur eineinhalb Stunden Fahrzeit. Wir brachen am frühen Morgen auf, damit wir den ganzen Tag vor uns hatten.

Selbstverständlich hatte ich Bilder gesehen, doch die Wirklichkeit der Pyramiden ist überwältigend. Die glatten, steilen Steinflanken führen hoch hinauf zur Plattform. Und die Farben! Der ägyptische Kalkstein wirkt in der hellen Sonne vor dem tiefblauen Himmel so, als sei er aus mattem Gold.

Die ganze ebene Fläche, auf der die drei großen Pyramiden stehen, sind mit Gräbern, kleineren und zerfallenen Pyramiden und sandgefüllten Löchern durchsetzt, und in einer großen Sandmulde erhebt sich der majestätische Kopf der Sphinx. Der Körper dieses herrlichen Werkes muß immer wieder vom Sand befreit werden. Ein solches Meisterwerk aus Menschenhand gibt es kein zweites Mal.

Wir machten uns zur größten der drei Pyramiden auf, zum Grab des Khufu. Erst in ziemlich geringer Entfernung erkannten wir die riesigen Steinblöcke, und wir überlegten uns, wie wir in den langen und ziemlich engen Röcken diese Stufen erklettern sollten.

Es gelang uns mit Hilfe von je drei Arabern. Je einer stützte uns links und rechts, ein dritter schob von hinten an, und so standen wir bald auf der Gipfelplattform. Evelyn erschien mir ein bißchen blaß, doch mich nahm die großartige Aussicht völlig gefangen. Diese Plattform hat eine Größe von etwa dreißig Fuß im Quadrat, und einige Steinblöcke, die von der abgetragenen Spitze übrig waren, dienten als Sitze. Mir tränten vom angestrengten Schauen bald die Augen.

Es war ein unvergleichlicher Anblick: im Hintergrund die Minaretts und Kuppeln der Märchenstadt Kairo, im Vordergrund der grüne Streifen des fruchtbaren Niltales. Im Westen und Süden schimmerten golden die Wüsten. Am Horizont waren noch ein paar kleinere Pyramiden zu erkennen, die von Abusir, Sakkarah und Dahshoor.

Evelyn zupfte mich am Ärmel und riß mich aus meiner staunenden Begeisterung. »Könnten wir nicht absteigen?« bat sie. »Ich glaube, ich bekomme einen Sonnenbrand.«

Ihre Nase war trotz des breitrandigen Sonnenhutes schon dunkelrosa, und so ließen wir uns von unseren fröhlichen Führern wieder nach unten bringen. In das Innere der Pyramide mochte Evelyn nicht mitkommen.

Ich ließ sie also bei einigen Damen zurück, raffte meine Röcke und folgte den Männern in die schwarze Tiefe.

Ah, es war schrecklich! Die Luft war kaum zu atmen, am Boden lag überall Schutt, und das Licht der flackernden Kerzen wirkte unheimlich. Die Gänge sind so niedrig und steil, daß man nur geduckt kriechen kann und von den Führern gestützt werden muß, wenn man nicht zurückrutschen will. Natürlich gab es auch Fledermäuse. Doch schließlich standen wir in der Königskammer aus schwarzem Basalt, in der nur der schwarze, massive Sarg stand, in den Khufu vor gut viertausend Jahren zur letzten Ruhe gebettet worden war. Oh, es war ein ungeheuer erhebendes Gefühl, das etwa jenem glich, das ich einmal als Kind erlebt hatte. Mein Bruder William hatte behauptet, ich würde es nicht wagen, auf den Apfelbaum in unserem Garten zu klettern. Ich bewies es ihm, daß ich es wagte, und schaute vom höchsten Ast aus zu, wie er von einem der unteren Äste fiel und sich dabei den Arm brach.

Trotz meiner begeisterten Schilderung weigerte sich Evelyn standhaft, die Pyramide zu betreten.

Wir waren damals etwa eine Woche lang in Kairo, und ich hatte die begründete Hoffnung, in ungefähr zwei Wochen absegeln zu können. Ich war einige Male in Boulaq, um Reis Hassan ein wenig anzutreiben, doch nach dem Besuch von Gizeh ließ ich ihn in Ruhe. Ich hatte nämlich in mir eine gewisse Vorliebe für Pyramiden entdeckt und besuchte deshalb auch die beiden anderen Pyramiden von Gizeh und später auch die Stufenpyramide von Sakkarah. Von den kleineren Pyramiden in Sakkarah hat man die massiven Steinblöcke abgetragen und sie für andere Bauten verwendet; die Reste sind deshalb eigentlich nur noch Schutthaufen. Das war mir jedoch egal, denn Pyramiden in jeder Form waren nun meine Leidenschaft.

Ich war fest entschlossen gewesen, wenigstens eine der

Grabkammern zu besuchen, die mit herrlichen Wandmalereien und Hieroglyphen-Inschriften geschmückt sind; wegen Evelyn verzichtete ich darauf, als sie das enge, dunkle Loch sah, in das ich an einem Seil hinabgelassen hätte werden müssen. Sie wurde totenblaß und drohte mir zu folgen. Da ließ ich es lieber sein.

Auch Travers mißbilligte meine Pyramidenausflüge. Etliche meiner Kleider ließen sich nicht mehr reparieren, und die anderen machten ihr sehr große Mühe. Besonders ekelte sie sich vor dem Fledermauskot, den ich gelegentlich und ohne es zu wissen mitbrachte. Einmal schlug ich einen Ausflug nach Dashoor vor, wo es einige hervorragende Pyramiden gibt, doch Evelyn weigerte sich energisch und wollte lieber das Museum von Boulaq besuchen. Das taten wir, denn nach dem Museumsbesuch konnte ich zu Hassan gehen.

Auf M. Maspero, den französischen Abteilungsleiter für Altertümer, freute ich mich. Mein Vater hatte mit ihm korrespondiert, und so durfte ich hoffen, daß mein Name ihm vertraut sei. Er war es, und wir fanden M. Maspero im Museum. Meistens ist er nämlich zu Ausgrabungen weg.

Seinen Assistenten Emil Brugsch kannte ich nur seinem Ruf nach, denn er hatte vor wenigen Jahren das Versteck berühmter königlicher Mumien entdeckt. Während wir auf M. Maspero warteten, erzählte uns Herr Brugsch die Geschichte des Fundes. Gute zehn Jahre früher hatte eine Räuberfamilie aus Theben das Versteck der Mumie gefunden, weil der sehr zwielichtige Abd er-Rasool Ahmed in den Felsen am Rand seines Dorfes namens Gurnah eine Ziege suchte. Die Ziege war in eine Felsspalte gefallen, und da machte er seinen erstaunlichen Fund - die Mumien der großen Pharaonen, die nach der Ausplünderung ihrer Gräber hier versteckt worden waren.

Brugsch hatte von Sammlern Fotos von Gegenständen erhalten, die königliche Namen trugen, und ihm war sofort klar gewesen, daß diese Dinge aus Gräbern stammen mußten. Die meisten dieser Gräber befanden sich, wie er wußte, in Theben, und so bat er die Polizei, solche Leute zu beobachten, die plötzlich mehr Geld ausgaben, als sie offiziell hatten. Der Verdacht konzentrierte sich auf die Familie Abd er-Rasool, die sich inzwischen wegen der Aufteilung der Beute zerstritten hatte; einer verriet das Geheimnis an Brugsch.

Mir lag an diesem Herrn jedoch nichts; er steht seit langem im Dienst von M. Maspero und seinem Vorgänger M. Mariette, und sein Bruder ist ein sehr bekannter Wissenschaftler. Mir gefällt seine harte Art nicht, in der er die Foltern beschrieb, welchen die Diebe ausgesetzt wurden, um ihre Geständnisse zu erzwingen. Ihm war es auch zu verdanken, daß die königlichen Toten sofort in Sicherheit gebracht wurden. Innerhalb von acht Tagen waren sie auf einer Barke nach dem Norden unterwegs. Zahllose Klageweiber hatten die Flußufer gesäumt, um die alten Könige zu beweinen.

Endlich kam M. Maspero. Er war ein stämmiger, ungemein liebenswürdiger Mann mit einem kurzgestutzten, schwarzen Bart. Als artiger Franzose beugte er sich über meine Hand und begrüßte Evelyn voll Bewunderung. Von meinem Vater sprach er in Worten höchster Verehrung. Er bat uns um Entschuldigung, weil er uns nicht persönlich im Museum herumführen konnte, versprach jedoch, später wieder zu uns zu stoßen.

Ich war froh, daß er nicht bei uns war, denn ich hätte ihm sonst sicher gesagt, was ich von seinem Museum hielt. Es enthielt selbstverständlich eine ganze Menge der interessantesten Dinge, aber der Staub und das Durcheinander! Meine hausfraulichen Instinkte fühlten sich herausgefordert.

»Vielleicht bist du jetzt nicht ganz fair«, hielt mir Evelyn in ihrer sanften Art vor. »Es gibt so unendlich viele Gegenstände, täglich kommen neue dazu, und das Museum ist trotz der kürzlichen Vergrößerung viel zu klein. Wie soll man da immer Ordnung halten und Staub wischen können?«

»Um so mehr Grund, Ordnung zu halten«, erwiderte ich.

»Früher wurde alles, was die europäischen Abenteurer fanden, außer Landes geschleppt. Nun besteht doch ein Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich, das den Franzosen die Aufsicht über alle Altertümer einräumt, während unser Staat Finanzen, Bildungs- und Gesundheitswesen, Außenpolitik und so weiter überwacht. Ich glaube, englischer Ordnungssinn wäre hier eher angebracht als französische Lässigkeit.«

Wir waren inzwischen in einem abgelegenen Raum angelangt, der mit unzähligen Gegenständen wie Vasen, Perlketten, winzigen Figuren und anderen Dingen angefüllt war, die in den vorderen Räumen keinen Platz gefunden hatten. »Schau dir doch das hier an!« sagte ich zu Evelyn, nahm ein Figürchen und rieb mit meinem Taschentuch den Schmutz ab. »Sie könnten doch ...«

Da erschütterte ein fast tierisches Heulen den kleinen Raum. Ehe ich noch nach dessen Quelle Umschau halten konnte, entriß mir eine kräftige, sonnenbraune Hand die Statuette und brüllte mir ins Ohr: »Madam! Tun Sie mir den Gefallen, und lassen Sie die unersetzlichen Kostbarkeiten in Ruhe! Schlimm genug, daß dieser unfähige Esel Maspero sie so miserabel behandelt, und jetzt wollen Sie in Ihrer Idiotie auch noch das vernichten, was er übrigläßt!«

Ich nahm meine ganze Würde zusammen und drehte mich zu diesem Kannibalen um. Er war sehr groß, hatte

Schultern wie ein Stier und einen nach der Art assyrischer Könige geschnittenen schwarzen Bart. Sein Gesicht war dunkel wie das eines gewöhnlichen Ägypters, doch daraus funkelten mich wütende grellblaue Augen an. Die Stimme kannte ich ja schon, sie war ein tiefer, dröhnender Baß; dem Akzent nach schien er ein Gentleman zu sein, den Gefühlen nach war er es nicht.

Ich maß ihn von oben bis unten. »Sir, ich kenne Sie ja gar nicht.«

»Aber ich kenne Ihre Art, Madam! Diese britischen Weiber sind doch von allen die dümmsten und arrogantesten! Oh, ihr Götter! Diese Brut ist so unnütz und aufdringlich wie ein Moskitoschwarm, und kein Fleck der ganzen Erde ist vor ihnen sicher. Zum Verrücktwerden ist das!« Jetzt mußte er dringend einmal Atem holen. Diese Pause nützte ich aus.

»Und Sie, Sir, sind der überheblichste Brite mit den schlechtesten Manieren. Nun, wir britischen Frauen müssen den von den boshaften Männern verursachten schlechten Ruf reparieren, so gut es geht. Randalieren, von der eigenen Überlegenheit überzeugt sein ...«

Vorsichtshalber trat ich ein paar Schritte zurück und griff fester um den Knauf meines Sonnenschirms. Ich bin nicht klein und ängstlich, aber dieser Mann überragte mich wie ein Turm, und er machte den Eindruck, als wolle er mich mit seinen sehr großen und sehr weißen Zähnen zerfleischen.

Ich schaute auf und sah Evelyn mit einem kleineren, schmäleren, bartlosen Ebenbild meines Gegners sprechen; er war dunkelhaarig, blauäugig und groß, wenn auch nicht so bullig wie der andere, und der Bartlose legte dem Bärtigen eine Hand auf die Schulter.

»Radcliffe, du ängstigst ja diese Dame«, sagte er. »Ich bitte dich .«

»Mich kann er nicht ängstigen«, erwiderte ich ruhig. »Aber Ihr Freund scheint einem Schlagfluß nahe zu sein. Leidet er sonst auch unter Gehirnschwäche?«

Der jüngere Mann schien nicht sehr besorgt zu sein, denn er lachte breit, und das gefiel mir. Aus Evelyns Miene schloß ich, daß wir uns da einig waren.

»Das ist mein Bruder, Madam«, erklärte der junge Mann fröhlich. »Sie müssen ihm verzeihen. Und du, Radcliffe, beruhigst dich jetzt wieder. Wissen Sie«, wandte er sich wieder an mich, »das Museum wirkt immer so auf ihn. Sie trifft keine Schuld an seiner Erregung.«

»Ganz sicher nicht!« rief ich. »Eine so unentschuldbare Unhöflichkeit .«

»Amelia!« Evelyn versuchte mich am Arm wegzuziehen, weil der bartumrahmte Mund ein Wutgeheul ausstieß. »Wir wollen uns doch nicht weiter Grobheiten an den Kopf werfen.«

»Das liegt mir fern«, erwiderte ich kühl. Evelyn und der junge Mann tauschten Blicke, und wie auf Verabredung zerrte der junge Mann seinen aufgebrachten Bruder mit sich, während Evelyn etwas sanfter meinen Arm packte. Die anderen Museumsbesucher hatten uns voll atemloser Neugier beobachtet, gingen aber nun weiter, als rasche Schritte die Ankunft von M. Maspero ankündigten. Als er uns sah, lachte er breit.

»Ah, c'est le bon Emerson! Das hätte ich wissen können. Sie kennen einander schon?«

»Wir kennen einander nicht!« brüllte der Mann, der Emerson hieß. »Und wenn Sie, Maspero, einen Versuch dazu machen, dann schlage ich Sie mit einem Hieb zu Boden!«

M. Maspero lachte schallend. »Dann versuch ich es lieber nicht . Kommen Sie, meine Damen. Das hier ist unwichtiges Kleinzeug, ich zeige Ihnen die feineren Sachen.«

»Sie sind sehr interessant«, warf Evelyn mit ihrer sanften Stimme ein. »Ich bewundere die schönen Farben dieser Ketten.«

»Sie sind aber nicht wertvoll. Wir finden diese Ketten zu Hunderten. Es sind ganz gewöhnliche Fayencen.«

»Dann sind diese herrlichen Korallen und Türkise gar keine echten Steine?«

»Mais non, Mademoiselle, das alles sind nur Imitationen von Korallen, Türkisen, Lapislazulisteinen und dergleichen und bestehen aus einer farbigen Paste, die im alten Ägypten viel verwendet wurde.«

»Sie sind trotzdem sehr hübsch«, bemerkte ich. »Und schon das Alter dieser Gegenstände ist bewundernswert. Wenn man bedenkt, daß diese wunderschönen Perlen vor tausend Jahren um den Hals ...«

Der Schwarzbärtige wirbelte herum. »Dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung«, korrigierte er mich wütend.

Maspero lächelte nur, nahm eine Kette aus winzigen blauen und korallenfarbenen Perlen und überreichte sie mit einer höflichen Verbeugung Evelyn. »Behalten Sie das bitte als Erinnerung an Ihren Besuch hier. Wie schade, daß ich nichts Schöneres für eine so entzückende junge Dame habe . Und das ist für Sie, Mademoiselle Peabo-dy.« Auch mir drückte er eine Kette in die Hand. »Tun Sie mir die Ehre, sie zu behalten, meine Damen - außer Sie fürchten den Fluch der ägyptischen Rachegeister .«

»Ganz gewiß nicht«, versicherte ich ihm.

»Nun, und der Fluch des Mister Emerson?« fuhr er fort. »Sehen Sie, er ist schon wieder dabei, unfreundliche Dinge zu mir zu sagen.«

»Keine Angst, ich gehe schon«, knurrte Emerson. »In Ihrem Horrorhaus kann ich es sowieso nur ein paar Minuten aushalten. In aller Götter Namen, warum katalogisieren Sie nicht endlich diese ganzen Töpfe und Vasen?«

Damit stürmte er hinaus und zog seinen Bruder mit sich, der aber noch einmal umschaute und Evelyn nicht aus den Augen ließ, bis sie seinen Blicken entzogen war.

»Er hat ein sehr aufbrausendes Temperament«, bemerkte M. Maspero voll Bewunderung. »Die Großartigkeit seiner Wutausbrüche nötigt einem Respekt ab.«

»Da kann ich Ihnen nicht beipflichten«, widersprach ich ihm. »Wer ist dieser Bursche eigentlich?«

»Ein Landsmann von Ihnen, Madam, der sich für die Altertümer dieses Landes interessiert. Er hat wundervolle Ausgrabungen gemacht, aber ich fürchte, für uns hat er nicht viel übrig. Nicht ein Archäologe in ganz Ägypten entgeht seiner beißenden Kritik.«

»Wir halten Ihr Museum für faszinierend«, warf Evelyn taktvoll ein.

Wir verbrachten noch ein paar Stunden dort. Nicht um die Welt hätte ich das in der Öffentlichkeit gesagt, aber ich fand Emersons Kritik mehr als berechtigt. Die Ausstellungsstücke waren unmethodisch aufgereiht, und überall lag Staub.

Evelyn war dann zu müde, um noch zum Boot zu gehen, und sie war auch sehr schweigsam und nachdenklich. »Mr. Emersons jüngerer Bruder hat nicht das heftige Familientemperament, glaube ich«, bemerkte ich während der Rückfahrt. »Hast du zufällig seinen Namen gehört?«

»Walter«, erwiderte sie und errötete.

Ich tat, als bemerkte ich nichts. »Ah, ich fand ihn sehr angenehm. Vielleicht begegnen wir ihm im Hotel.«

»Nein, sie wohnen nicht bei Shepheard's. Walt. Mr. Walter Emerson sagt, ihr ganzes Geld werde für die Ausgrabungen ausgegeben. Sein Bruder erhält einen Zuschuß von einem Museum oder irgendeiner Institution. Sein jährliches Einkommen ist nicht sehr groß, und sein Bruder Walter sagt, wenn er alle Reichtümer Indiens hät-te, so würden sie ihm für seine Arbeit auch noch nicht genügen.«

»In der kurzen Zeit hast du aber sehr viel erfahren«, stellte ich amüsiert fest und beobachtete Evelyn aus den Augenwinkeln heraus. »Wie schade, daß wir die Bekanntschaft nicht nur mit dem jüngeren Bruder fortsetzen können und dem Wahnsinnigen .«

»Wir werden einander kaum mehr begegnen«, warf Evelyn leise ein, doch da hegte ich recht deutliche Zweifel. Nach einer kurzen Mittagspause besorgten wir die Medikamente, die unser Reiseführer für unerläßlich hielt. Südlich von Kairo gibt es noch immer kaum einen Arzt. Ich hätte, wäre ich ein Mann gewesen, allzu gerne Medizin studiert, denn ich habe dafür eine natürliche Begabung. Ich falle beim Anblick von Wunden nicht in Ohnmacht, wie viele meiner männlichen Bekannten. Selbstverständlich hatte ich auf meiner Liste auch einige chirurgische Instrumente und war durchaus bereit, im Notfall auch Gliedmaßen, mindestens einen Finger oder eine Zehe, zu amputieren.

Michael, unser Dragoman, begleitete uns. Blaue Pillen, grüne Pillen, Chinin, Rhabarberpillen, verschiedene Puder, Desinfektionsmittel, Laudanum und vieles andere, vor allem reichlich Verbandmaterial wurden nacheinander abgehakt. Michael erschien mir die ganze Zeit hindurch ungewöhnlich still, und als Evelyn ihn schließlich nach dem Grund dafür fragte, erklärte er uns, sein Kind sei krank, wenn es auch nur eine Tochter sei.

Nun, weil wir gerade die medizinische Seite unserer Reise vorbereiteten, hielten wir es für angebracht, anschließend nach diesem Kind zu sehen, denn Michael war ehrlich bekümmert.

Es war ein altes, schmales Haus mit holzgeschnitzten Balkonen von sehr schöner Arbeit; sie sind typisch für

Kairo. Es erschien mir schmutzig, wenn auch nicht ganz so verwahrlost wie die Umgebung, doch das Zimmer, in dem das kranke Kind lag, sah trostlos aus. Die Holzläden lagen vor den geschlossenen Fenstern, es war stockdunkel und stank fürchterlich. Im fahlen Licht einer rauchenden, übelriechenden Öllampe sah ich auf einem primitiven Lager ein süßes kleines Ding mit großen schwarzen Augen. Die plärrende Verwandtschaft jagte ich gleich davon und ließ nur die Mutter des Mädchens bleiben, die auch kaum älter als fünfzehn Jahre sein konnte.

Evelyn kniete bereits neben dem Mädchen, schob die wirren schwarzen Locken aus dem Gesicht und verscheuchte einen lästigen Fliegenschwarm. Die Mutter wagte aus Angst vor uns nicht zu protestieren, denn Fliegen sind dort ein notwendiges Übel, das man hinnehmen muß. Deshalb sind auch sehr viele Menschen dort blind, und die Kindersterblichkeit ist überaus hoch. Von fünf Kindern sterben drei sehr jung.

Ich sah den unglücklichen Michael an und beschloß, daß dieses Kind nicht sterben werde, wenn ich es irgendwie verhindern konnte. Wofür hatte ich so viele Medikamente gekauft?

Die Krankheitsursache war leicht zu entdecken. Das Mädchen hatte sich bei einem Sturz verletzt, und die Wunde war nicht desinfiziert worden. Sie hatte sich entzündet, und der kleine Arm war dick geschwollen. Mit einem desinfizierten Messer schnitt ich die Schwellung auf, und eine übelriechende Masse quoll heraus. Ich reinigte die Wunde und verband sie und unterwies auch die Eltern, wie sie das Kind nun zu pflegen hatten. Evelyn war mir eine große Hilfe. Übel wurde ihr erst, als wir im Hotel waren, aber da gründlich. Michael schickte ich sofort wieder nach Hause, damit er die jammernden Verwandten hinauswerfen konnte.

Abends fühlte sich Evelyn wieder einigermaßen wohl, und deshalb bestand ich darauf, daß wir unten speisten. Sie machte sich große Sorgen um ihren Großvater und quälte sich mit dem Gedanken ab, daß er allein sterben müsse. Deshalb wurde sie manchmal fast menschenscheu, was ich jedoch nicht zuließ.

In ihrem staubrosa Abendkleid mit den breiten Spitzenrüschen an den Ärmeln und dem gerafften Unterkleid sah Evelyn bezaubernd aus. Ich schlüpfte in meine karmesinrote Seide, wenn ich mich darin auch nicht ganz wohl fühlte. Wir erregten einiges Aufsehen, und etliche Gen-tlemen folgten uns nach dem Dinner in die Halle, hauptsächlich zu dem Zweck, von Evelyn ein Lächeln zu erhaschen. Plötzlich sah ich sie tief erröten. Ich folgte ihrem Blick und bemerkte unter der Tür den jungen Emerson, der im Abendanzug großartig wirkte. Er hatte nur Augen für Evelyn und schritt so schnell durch die Halle, daß er um ein Haar über einen niederen Tisch gestürzt wäre.

Er hatte auch seinen Bruder mitgebracht, und da mußte ich wirklich ein Lachen unterdrücken. Sein Abendanzug sah aus, als habe er ihn vor langer Zeit in eine Reisetasche gestopft und ihn jetzt wieder ausgegraben, jedoch vergessen, ihn bügeln zu lassen. Er sah wie ein riesiger schwarzer Bär aus, tappte unbeholfen hinter seinem Bruder drein und warf den elegant gekleideten Gästen mißtrauische Blicke zu.

Walter begrüßte mich hastig und beschäftigte sich anschließend ausschließlich mit Evelyn. Und mir blieb der wütende Emerson, der mich voll Widerwillen musterte.

»Ich bin da, mich zu entschuldigen«, knurrte er.

»Angenommen«, antwortete ich. »Setzen Sie sich, Mr. Emerson. Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen. Wie ich hörte, ist das gesellschaftliche Leben nicht nach Ihrem Geschmack.«

»Es war ja auch Walters Idee«, platzte er heraus, setzte sich und rückte so weit wie möglich von mir weg. »Ich hasse Dinge wie Hotels, Menschen, die ..., kurz, all dies hier.« Mit einer verächtlichen Handbewegung schloß er die großartige Halle und alle Gäste in seine Abneigung ein.

»Wo wären Sie dann lieber?« fragte ich.

»Irgendwo in Ägypten, am liebsten bei meinen Ausgrabungen.«

»In der heißen, staubigen Wüste, weit weg von jeder Zivilisation und allein mit unwissenden Arabern .«

»Unwissend mögen sie sein, aber auf die Heuchelei der Zivilisation kann ich verzichten. Ah, wie überheblich sind besonders die englischen Touristen! Bei den Ägyptern gibt es, wie überall, auch gute und schlechte, freundliche, fröhliche und treue Menschen, auch intelligente, wenn man sie unterweist ... Jahrhundertelang wurden sie von Despoten unterdrückt, sie sind mit Krankheit, Armut und Unwissenheit geschlagen, aber das ist nicht ihre eigene Schuld.«

Mich rührte es irgendwie, daß er so nachdrücklich für die unterdrückte einheimische Bevölkerung eintrat, aber sonst mochte ich ihn noch immer nicht.

»Sie müßten dann aber zu schätzen wissen, was die Briten für dieses Land tun. Die Finanzen zum Beispiel ...«

»Pah! Glauben Sie, das tun wir aus Herzensgüte? Fragen Sie die Einwohner von Alexandria, wie es ihnen gefiel, als sie vor zwei Jahren von britischen Kanonenbooten beschossen wurden. Wir sind nicht ganz so unzivili-siert wie die Türken, aber wir dienen auch nur unseren eigenen Interessen. Wir lassen es zu, daß dieser idiotische Franzose die kostbaren Altertümer verschleudert. Nun ja, unsere Wissenschaftler sind auch nicht gescheiter ... Nur ein junger Kerl namens Petrie scheint wirklich etwas von

Archäologie zu verstehen, auch von Methodik, die da so bitter nötig ist. Diesen Winter arbeitet er im Delta. Leider hat er keinen Einfluß, und wir zerstören mutwillig eine ganze große Vergangenheit, weil wir wie Kinder im Sand herumbuddeln und dem Boden Dinge entreißen, von denen wir sorgfältig notieren sollten, wo und wie wir sie gefunden haben . Gefäße . Damit müßte etwas geschehen. Man müßte die verschiedenen Typen studieren, welche Ornamente zu welchen Formen gehören, man müßte Waffen und Möbelstücke .«

»Zu welchem Zweck?« warf ich ein.

»Es gibt viele Zwecke. Gefäße verändern sich im Laufe der Zeit, entwickeln sich je nach Notwendigkeit und Mode. Man müßte lernen, das Alter dieser Gefäße zu bestimmen und der Gegenstände, die in und bei ihnen gefunden werden. Und nicht nur Gefäße - jedes Stückchen kann uns etwas über die Vergangenheit lehren. Jetzt wird sehr vieles achtlos auf einen Haufen geworfen, unwissende Touristen schleppen vieles davon, was der Wissenschaft für immer verloren ist. Maspero rettet nur sehr eindrucksvolle Gegenstände, und die Hälfte davon wird ihm in seinem komischen Museum auch noch gestohlen oder zerschlagen.«

»Dann müßte man also auch Studien anatomischer Überreste fördern, nicht wahr?« fragte ich. »Man könnte bestimmen, welchen Rassen oder Rassenmischungen die alten Ägypter angehörten. Aber Wissenschaftler sammeln, soviel ich weiß, keine Knochen und Mumien, nicht wahr? Oder doch nur, wenn sie diese als Kuriositäten ausstellen können.«

Emerson vergaß vor fassungslosem Staunen den Mund zu schließen. »Guter Gott«, murmelte er, »eine Frau, die gescheite Fragen stellt? Ist denn das die Möglichkeit!«

Ich überhörte die darin liegende Beleidigung, denn mich interessierte das, was er zum Thema zu sagen wußte. Aber da wurde ich leider durch eine dramatische Störung unterbrochen.

Evelyn saß auf einem Stuhl neben dem Sofa, und Walter hatte die Hände auf die Lehne ihres Stuhles gelegt. Plötzlich sprang sie auf. Sie war weiß wie ein Leinenlaken und starrte zum Eingang der Halle.

Ich konnte nichts entdecken, was ihre Erregung gerechtfertigt hätte. Ehe ich noch etwas tun oder sagen konnte, sank Evelyn zu Boden. Walter versuchte etwas ungeschickt, sie aufzuheben, und es war gar nicht ganz einfach, sie aus ihrer Ohnmacht herauszuholen. Sie verlangte nur, in unsere Räume gebracht zu werden. Walters Hilfe wies sie jedoch voll Entsetzen zurück und bat mich, ich solle ihr helfen.

Ich konnte Walter gerade noch versprechen, ich würde ihn am Morgen von Evelyns Befinden unterrichten, wenn ihm daran liege, im Hotel nachzufragen. Dann führte ich Evelyn nach oben. Travers schickte ich zu Bett, denn sie war viel zu ungeschickt und mißmutig.

»Ich glaube, ich muß Travers nach Hause schicken«, bemerkte ich beiläufig, um Evelyn zum Reden zu bringen. »Sie mag Land und Leute nicht, das Boot .«

». und mich«, ergänzte Evelyn und lächelte matt.

»Von mir hält sie auch nichts«, erklärte ich ihr. »Wir können auch ohne sie zurechtkommen. Darum werde ich mich morgen kümmern. Evelyn, möchtest du mir nicht jetzt sagen, was .«

»Das werde ich dir später erklären, Amelia, wenn ich . Willst du nicht wieder nach unten gehen? Mr. Emerson ist sicher noch da. Du könntest ihn . sie beruhigen und ihnen sagen, daß ich nur Ruhe brauche. Ich werde sofort zu Bett gehen.«

So, wie sie sprach, klang es nicht nach Evelyn. Sie wich meinen Augen aus, als ich sie musterte. Sie wurde wieder totenbleich, als es laut an unserer Tür klopfte. Wer konnte das sein? Wer klopfte zu dieser Stunde so unverschämt stürmisch?

Es war jedenfalls viel zu spät für einen Besuch in unseren Räumen. Walter war sicher nicht so unhöflich, und überdies hatte ich den Eindruck gewonnen, Evelyn wisse genau, wer dieser Besucher sei, und fürchte sich über alle Maßen vor ihm.

Da schaute sie mich an, straffte die Schultern und biß sich auf die Lippen. »Amelia, sei bitte so gut und öffne die Tür. Ich bin ein elender Feigling, aber ich muß mich dieser Sache stellen.«

Ich war gar nicht überrascht, als ich die Tür öffnete und den Mann dort stehen sah. Ich kannte ihn nicht, und er war mir noch nie begegnet, doch das glatte schwarze Haar, die dunkle Haut, das kecke Aussehen bestätigten meinen Verdacht. »Ah«, sagte ich. »Signor Alberto, wie ich annehme.«

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