13. Kapitel

Seit dieser Zeit sind zwei Jahre vergangen, zwei sehr aufregende Jahre. Maspero hatte seinen Posten aufgegeben, den jetzt M. Grebaut innehat, den Emerson aber noch mehr verachtet als Maspero. Und Emerson selbst ...

Ich sitze, während ich dies schreibe, auf der Felsleiste über der geliebten Ebene von Amarna. Wenn ich meine Augen hebe, sehe ich geschäftige Gruppen von Arbeitern, die wie Ameisen über den Sand huschen, um die Ruinen von Khuenatens Stadt auszugraben. Einige herrliche Plastiken wurden bereits gefunden. Emerson ist unermüdlich, und Abdullah hat sich als sehr geschickter Vormann bewährt. Emerson sagt, es gebe kein besseres Mittel als eine kleine Erpressung, um die Fähigkeiten eines Mannes voll herauszuholen. Abdullah erwähnt die Ereignisse jenes Winters niemals.

Mir scheint, sie hätten sich erst gestern abgespielt. Mein ganzes Leben hatte ich noch nichts so Interessantes erlebt. Natürlich gab es manche Unbequemlichkeit, aber Abenteuer und Gefahr sind doch die wahre Würze des Lebens.

Wir mußten damals die Arbeit für ein paar Wochen unterbrechen, da wir zu Emersons Enttäuschung unsere Gefangenen nach Kairo bringen und den Behörden alles erklären mußten. Ich hätte am liebsten Alberto im Grab gelassen, doch dagegen protestierte Evelyn.

Bei Sonnenaufgang kehrten wir also zum Boot zurück, wo Emerson der versammelten Mannschaft eine feine Rede hielt. Er erklärte, der Fluch sei eine Lüge gewesen und die Mumie eine Fälschung. Zum Beweis dafür brachte er seinen zitternden Gefangenen herbei. Die Tatsache, daß ein Engländer wie ein gewöhnlicher Verbrecher gefesselt war, brachte sie ganz auf unsere Seite. Lucas' Mannschaft machte uns überhaupt keine Schwierigkeiten. Deren Treue war mit Geld erkauft und fand ein Ende, als der Geldstrom versiegte.

Wir genossen die Reise nach Kairo. Michael erholte sich ziemlich schnell, und darüber war ich sehr froh. Die Mannschaft überbot sich selbst an Zuvorkommenheit, der Koch zauberte die herrlichsten Gerichte für uns, und Reis Hassan gehorchte schon meinen unausgesprochenen Wünschen. Der Mond schien hell auf das Wasser, der Fluß war romantisch und friedlich - und Emerson sagte kein Wort.

Ich hatte damit gerechnet, daß er sein kühnes Benehmen irgendwie erklären, vielleicht eine Entschuldigung dafür finden würde, doch er schwieg und ging mir, so gut das möglich war, aus dem Weg. Erschien ich auf Deck, um den Mondschein zu bewundern, verschwand er in seine Kabine. Betrat ich den Salon, verließ er ihn gerade. Walter nützte mir gar nichts. Er hielt Händchen mit Evelyn und schaute ihr tief in die Augen. Evelyns Vermögen störte sein Glück nicht. War es möglich, daß Emerson ...

Nach zwei Tagen wurde mir das alles zu dumm. Wenn durch eine Verzögerungstaktik nichts gewonnen wird, dann ist Geduld keine Tugend. Also drängte ich Emerson geschickt eines Abends in eine Deckecke. Aus seiner Miene hätte man schließen können, ein Krokodil drohe ihn nun mit Haut, Haaren und Stiefeln zu verschlingen.

Vorher hatten wir zusammen diniert. Ich trug noch mein rotes Abendkleid, und mit meinem Haar hatte ich mir viel Mühe gegeben. Wenn Evelyns Schmeicheleien keine Lüge waren und mein Spiegel die Wahrheit sagte, dann sah ich gut aus. Als ich mich Emerson näherte, war ich mir des angenehmen Rascheins meiner Röcke und Spitzenrüschen bewußt.

»Nein, Emerson, Sie entkommen mir nicht«, erklärte ich ihm, als er seitlich auszuweichen versuchte. »Ich sage jetzt meinen Spruch auf. Mir ist egal, ob Sie dabei sitzen oder stehen, ich rede besser im Stehen, weil ich da klarer denken kann.«

Er straffte die Schultern. »Gut, ich will stehen, da fühle ich mich sicherer. Fangen Sie an, Peabody. Ich weiß, daß ich Sie besser nicht unterbreche, wenn Sie in Fahrt sind.«

»Ich möchte Ihnen einen geschäftlichen Vorschlag machen«, begann ich. »Es ist ganz einfach. Ich habe nämlich ein kleines Vermögen. So reich wie Evelyn bin ich nicht, doch ich habe mehr, als ich brauche, außerdem keine Erben. Ich wollte mein Vermögen dem Britischen Museum vermachen, doch jetzt meine ich, daß ich es schon zu meinen Lebzeiten gut verwenden kann, zumal mir das auch persönlich Freude machen würde. Ich werde, ähnlich wie Miß Amelia B. Edwards, eine Gesellschaft zur Erforschung ägyptischer Altertümer gründen und Sie als archäologischen Fachmann anstellen. Nur eine Bedingung stelle ich .« Der Rest war schwieriger als alles Vorhergehende.

»Ja?« fragte Emerson. »Und wie lautet sie?«

Ich holte tief Atem. »Ich bestehe darauf, bei allen Ausgrabungen mitarbeiten zu dürfen. Warum sollen die Männer immer allen Spaß allein haben?«

»Spaß? Halten Sie die glühende Sonne und den Sand für einen Spaß? Und die Schlangen und Steinschläge? Peabody, was Sie als Vergnügen ansehen . Ich finde das außerordentlich merkwürdig.«

»Merkwürdig oder nicht - es ist meine Vorstellung von Vergnügen. Warum führen Sie dieses Leben? Weil es Ihnen offensichtlich Spaß macht. Machen Sie keine großen Sprüche von Pflicht und so, ihr Männer habt immer hochtrabende Entschuldigungen für alles. Während ihr Berge erklettert und die Nilquellen erforscht, sollen wir Frauen zu Hause sitzen und Deckchen sticken. Ich kann nicht gut sticken, ich grabe lieber aus. Und wenn Sie wollen, werde ich Ihnen gerne meine Qualifikationen ...«

»Nein, nein, die kenne ich«, wehrte er ab. Seine Stimme klang sehr unsicher, und dann zerquetschte er mich fast in einer Umarmung.

»Aufhören, Emerson! Das war nicht einkalkuliert, und Sie verwirren mich. Ich will nicht .«

»Wirklich nicht?« Erstaunlich zart nahm er mein Kinn in die Hand und drehte mein Gesicht dem seinen zu. Nun, und dann legte ich ihm meine Arme um den Hals.

»Du bist dir doch klar darüber, Peabody, daß ich deinen Heiratsantrag nur annehme, um an dein Geld zu kommen«, sagte er etwas später. »Denn du kannst nur dann an meinen Ausgrabungen teilnehmen, wenn du meine Frau bist, denn ganz Ägypten würde sich sonst aufregen, und ich verlöre meine Konzession. Das willst du doch nicht?«

»Natürlich nicht. Aber hör endlich auf, mich zu zerquetschen. Ich kann nicht mehr atmen.«

»Ist auch gar nicht nötig«, erklärte er ziemlich herzlos.

»Und ich«, sagte ich nach einiger Zeit, »nehme deinen Antrag nur an, um meine Ziele zu erreichen. Wie schade, daß ich nicht hundert Jahre später geboren wurde! Dann wäre ich nicht gezwungen, einen so lauten, arroganten, groben Burschen zu heiraten, nur um graben zu dürfen.«

Er drückte mich wieder so fest an sich, daß mir der Atem ausging. »Jetzt habe ich ein herrliches Mittel ent-deckt, dich zum Schweigen zu bringen«, meinte er lachend. Aber dann wurde er ernst. »Trotzdem sollst du die Wahrheit hören. Peabody, ich bin ganz verrückt nach dir. Seit dem Tag, da du ins Grab kamst und anfingst, uns alle herumzukommandieren, warst du die einzige Frau für mich. Warum ging ich dir die letzten Tage so aus dem Weg? Weil ich versuchte, mir ein graues, eintöniges Leben ohne dich vorzustellen, ohne deine zornige Stimme und deine funkelnden Augen, deine herrliche Gestalt. Peabo-dy, hat dir noch niemand gesagt, wie großartig du bist? Wenn du nämlich heute nicht gesprochen hättest, wäre mir nichts anderes übriggeblieben, als in Albertos Mumienkostüm zu steigen und dich in die Wüste zu entführen. Bis du jetzt zufrieden?«

Ich glaube, meine Antwort genügte ihm, denn er lachte schallend, als er wieder zu Atem kam. »Die Archäologie ist schon eine feine Sache, Peabody«, versicherte er mir. »Man kann ja nicht Tag und Nacht arbeiten. Wir werden viel Spaß haben!«

Emerson hatte, wie gewöhnlich, recht. Wir haben viel Spaß. Nächstes Jahr werden wir in Gizeh graben. Hier gibt es zwar noch viel zu tun, aber aus praktischen Gründen wollen wir näher bei Kairo sein. Dort will auch Petrie arbeiten, der zu den wenigen Archäologen gehört, die Emerson sehr hoch schätzt, obwohl sie erbittert miteinander streiten, wenn sie sich begegnen. Petrie ist ein sehr netter junger Mann, doch mit Tonscherben weiß er nichts anzufangen.

Der wahre Grund, in der Nähe von Kairo zu sein, ist ein anderer: Emerson ist überaus vorsichtig, doch ich fühle mich sehr wohl. Man behauptet, ein erstes Kind in meinem Alter sei keine einfache Sache. Emerson glaubt das, obwohl ich keine Bedenken habe. Ich habe dieses Kind sorgfältig geplant. Es paßt genau zwischen zwei

Ausgrabungsperioden. Von Evelyn erwarten wir täglich die Nachricht, daß ihr zweites Kind zur Welt gekommen ist. Sie hat schon einen blonden Jungen, ein reizendes Kind, das schon jetzt in Schlammpfützen und Sandbergen herumtummelt - sicher ein Erbe von den archäologischen Vorfahren. Ich bin seine Patin und werde als parteiisch gescholten, doch ich glaube nicht, daß ich die Schönheit, Intelligenz und den Charme des Jungen übertreibe.

Walter studiert derzeit in England Hieroglyphen und verspricht einer der größten Wissenschaftler auf diesem Gebiet zu werden. Seine Bibliothek auf Ellesmere Castle ist mit Büchern und Manuskripten gefüllt, und wenn wir die jüngeren Emersons im Sommer und Herbst dort besuchen, dann streiten die beiden Brüder über die Übersetzungen.

Und Lucas? Wir wissen nicht, wo er ist. Ohne das Geld kann er mit seinem Titel in England nichts anfangen. Ich wollte ja diesen Schuft so verfolgen lassen, wie es ihm gehört hätte, aber Baring riet mir ab. Er war uns eine große Hilfe, als wir mit unserer Bootsladung von Verbrechern in Kairo ankamen. Tatsächlich fand Evelyn unter Büchern und anderen Dingen in einer Kiste ihres Großvaters Nottestament, und es war der Beweis für Lucas' Schurkerei. Da er keine Gefahr mehr für Evelyn darstellte, ließen wir ihn auf Barings Rat hin laufen. Ich glaube, er lebt irgendwo auf dem Kontinent, und wenn er sich nicht zu Tode trinkt, wird ihn wohl einmal ein wütender Ehemann erschießen.

Alberto sehe ich jedesmal, wenn ich durch Kairo reise. Ich habe ihn einmal gewarnt, daß die ägyptischen Gefängnisse sehr ungemütlich und ungesund seien, und davor hat er große Angst.

Michael hat eben zum Mittagsimbiß geläutet, und Emerson kommt auf mich zu. Ich habe mit ihm ein

Hühnchen zu rupfen, denn ich glaube nicht, daß er ein Relief am Kopf des häretischen Pharaos richtig gedeutet hat. Ich halte ihn für den jungen Tutenchamun, Khuena-tens Schwiegersohn.

Noch etwas muß ich hier anfügen. Ich denke oft an den Tag in Rom, da ich ein ohnmächtiges Mädchen im Forum rettete. Wie seltsam sind doch die Wege des Schicksals! In meinen wildesten Träumen hätte ich nicht daran zu denken gewagt, daß diese einfache, selbstverständliche Tat mich mit einer lieben, schwesterlichen Freundin belohnen würde, mit einem Leben voll faszinierender Arbeit und .

Evelyn hatte recht. Mit dem richtigen Mann und unter den richtigen Umständen ist es eine großartige Sache!

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