Vierzehn

Um zwei Uhr nachmittags streckte Otto Zitte den Kopf aus der Seitentür des Bohlen-Hauses und vergewisserte sich, ob die Luft rein war. Er konnte gefahrlos verschwinden, wurde Silvia Bohlen klar, als sie sah, wie er sich verhielt.

Was habe ich getan? fragte sie sich, während sie mitten im Schlafzimmer stand und sich unbeholfen die Bluse zuknöpfte. Wie soll ich verhindern, daß jemand davon erfährt? Auch wenn Mrs. Steiner ihn nicht sieht, erzählt er es sicher June Henessy, und die tratscht es überall am William Butler Yeats herum; sie liebt Klatsch. Ich bin sicher, Jack wird es merken. Und Leo hätte früher nach Hause kommen können ...

Aber jetzt war es zu spät. Endgültig. Otto griff nach seinen Koffern und war aufbruchbereit.

Ich wünschte, ich wäre tot, sagte sie sich.

»Wiedersehen, Silvia«, sagte Otto hastig und ging Richtung Tür, »ich ruf dich an.«

Sie antwortete nicht; sie war damit beschäftigt, sich die Schuhe anzuziehen.

»Willst du mir nicht auf Wiedersehen sagen?« fragte er und blieb in der Schlafzimmertür stehen.

Sie warf ihm einen Blick zu und sagte: »Nein. Und nun zisch ab! Komm ja nie wieder - ich hasse dich, ehrlich.«

Er zuckte die Achseln. »Wieso?«

»Weil ...«, sagte sie mit perfekter Logik, »du ein gräßlicher Mensch bist. Mit einem wie dir hatte ich mein Lebtag noch nicht zu tun. Ich muß verrückt gewesen sein, mich mit dir einzulassen. Das liegt sicher an der Einsamkeit.«

Er schien wirklich verletzt zu sein. Mit rotem Kopf stand er weiter unentschlossen in der Schlafzimmertür. »Es war ebenso deine Idee wie meine«, murmelte er schließlich und starrte sie an.

»Verschwinde!« sagte sie und wandte ihm den Rücken zu.

Endlich öffnete sich die Haustür und schloß sich wieder. Er war fort.

Nie wieder, niemals, sagte sich Silvia. Sie ging zum Medizinschränkchen im Bad und nahm die Flasche Luminal herunter; hastig goß sie sich ein Glas Wasser ein, schluckte hundertfünfzig Milligramm, spülte die Pillen runter und schnappte nach Luft.

Ich hätte nicht so gemein zu ihm sein sollen, meldete sich auf einmal ihr Gewissen. Das war nicht fair; es war ja eigentlich nicht seine Schuld, sondern meine. Wenn ich Mist baue, wieso es dann ihm anhängen? Wäre er es nicht gewesen, dann ein anderer, früher oder später.

Sie dachte: Ob er noch einmal zurückkommt? Oder habe ich ihn für immer vertrieben? Sie fühlte sich schon wieder einsam, unglücklich und völlig haltlos, als wäre sie dazu verdammt, für immer und ewig in einem Vakuum der Hoffnungslosigkeit zu treiben.

Eigentlich war er doch ganz nett, meinte sie. Zärtlich und aufmerksam. Ich hätte es weit schlechter treffen können.

Sie ging in die Küche, setzte sich an den Tisch, nahm den Telefonhörer ab und wählte June Henessys Nummer.

Gleich darauf erklang Junes Stimme an ihrem Ohr. »Hallo?«

Silvia sagte: »Rate mal.«

»Erzähl.«

»Warte, ich zünde mir nur noch schnell eine Zigarette an.« Silvia Bohlen zündete sich die Zigarette an, holte sich einen Aschenbecher, rückte sich den Stuhl zurecht, bis sie bequem saß, und schilderte dann alles mit einer Unmenge von Details plus ein paar wichtigen Ausschmückungen an kritischen Stellen.

Zu ihrem Erstaunen machte ihr die Schilderung genausoviel Spaß wie das Erlebnis selber.

Vielleicht sogar noch ein bißchen mehr.

*

Als er durch die Wüste zu seiner Basis in den FDR-Bergen zurückflog, sann Otto Zitte über sein Stelldichein mit Mrs. Bohlen nach und gratulierte sich; er war bester Laune, trotz Silvias nicht ungewöhnlichem Anfall von Reue und ihren Vorwürfen beim Abschied.

Mit so etwas muß man rechnen, ermahnte er sich.

Es passierte ihm nicht zum ersten Mal; sicher, es regte ihn jedesmal wieder auf, aber das war eben eine dieser seltsamen kleinen Flausen, die für das Denken einer Frau so typisch sind: Es gab immer einen Punkt, an dem sie aus der Realität ausstiegen und alle Welt mit Vorwürfen bedachten, jeden, der gerade in Reichweite war.

Es störte ihn nicht weiter; nichts konnte ihn der Erinnerung an die glücklichen Stunden berauben, die sie miteinander verbracht hatten.

Und was jetzt? Zurück zum Landeplatz, etwas essen, sich ausruhen, rasieren, duschen und umziehen ... Es würde noch genug Zeit bleiben, um wieder zu einer richtigen Verkaufsfahrt aufzubrechen, ohne an etwas anderes zu denken als ans reine Geschäft.

Vor sich konnte er schon die zerklüfteten Bergspitzen erkennen; er würde bald da sein.

Er meinte, eine häßliche graue Rauchwolke unmittelbar über der Bergkette schweben zu sehen.

Erschrocken erhöhte er die Geschwindigkeit des Hubschraubers. Kein Zweifel; der Rauch stieg von seinem Landeplatz auf oder doch irgendwo in der Nähe. Sie haben mich entdeckt! schluchzte er in sich hinein. Die UN - sie haben mich fertiggemacht und warten jetzt auf mich. Aber er flog trotzdem weiter; er wollte es genau wissen.

Unter ihm lagen die Reste seines Landeplatzes. Eine rauchende Ruine, umgeben von Trümmern. Er kreiste ziellos, weinte hemmungslos, Tränen liefen ihm über die Wangen. Aber von der UN keine Spur, keine Militärfahrzeuge oder Soldaten.

War vielleicht eine ankommende Rakete explodiert?

Schnell landete Otto den Hubschrauber; er lief zu Fuß über den heißen Boden auf die Schutthalde zu, die einmal seine Lagerhalle gewesen war.

Als er den Landeturm erreichte, sah er, daß dort jemand eine Nachricht hinterlegt hatte:

Arnie Kott steht nicht auf Typen wie dich

Er las es wieder und wieder und versuchte zu begreifen. Arnie Kott - er war schon drauf und dran gewesen, ihn anzurufen - Arnie war Norbs bester Kunde gewesen. Was sollte das heißen? Hatte er Arnie einmal schlecht bedient, oder wie hatte er Arnies Wut sonst auf sich gelenkt? Das ergab einfach keinen Sinn - was hatte er Arnie Kott getan, daß er sich so schrecklich rächte?

Warum? fragte Otto. Was habe ich dir getan? Wieso hast du mich vernichtet?

Schließlich machte er sich zum Schuppen auf, wo er wider besseres Wissen hoffte, doch noch einen Teil der Vorräte retten zu können, wo er hoffte, irgend etwas zwischen den Überresten zu finden ...

Es gab keine Überreste. Die Vorräte waren verschwunden; er sah keine einzige Dose, kein Glas, keine Kiste oder Tüte. Die Trümmer des Gebäudes, ja, aber sonst nichts. Also waren sie - die, die die Bombe geworfen hatten - vorher hiergewesen und hatten die Vorräte geplündert.

Du hast mich ausgebombt, Arnie Kott, und du hast mir meine Waren gestohlen, sagte Otto, während er im Kreis herumlief, die Fäuste ballte und wieder öffnete und Blicke der Wut und Verzweiflung zum Himmel schickte.

Und er begriff immer noch nicht, warum.

Es muß einen Grund dafür geben, sagte er sich. Und ich werde ihn herausfinden; ich werde nicht ruhen, verdammter Arnie Kott, bis ich dahintergekommen bin. Und sobald ich es weiß, bist du fällig. Ich werde es dir heimzahlen.

Er schnaubte, schniefte und schleppte sich schweren Schritts wieder zum Hubschrauber, setzte sich hinein und starrte sehr lange vor sich hin.

Schließlich öffnete er einen der Koffer. Er nahm die Pistole Kaliber .22 heraus; er saß mit ihr im Schoß da und dachte an Arnie Kott.

*

Heliogabalus sagte zu Arnie Kott: »Herr, entschuldigen Sie die Störung. Aber wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen jetzt, was Sie tun müssen.«

Erfreut blieb Arnie an seinem Schreibtisch stehen. »Schieß los!«

Mit trauriger und arroganter Miene sagte Helio: »Sie müssen Manfred in die Wüste bringen und zu Fuß hinüber zu den Franklin Delano Roosevelt Mountains gehen. Ihre Wallfahrt endet, sobald der Junge den Schmutzigen Knorren erreicht hat, einen Felsen, der den Bleichmännern heilig ist. Wenn Sie den Jungen mit dem Schmutzigen Knorren bekannt gemacht haben, erwartet Sie dort die Antwort.«

Arnie drohte dem zahmen Bleichmann mit dem Finger und sagte schelmisch: »Und dabei hast du mir erzählt, das sei Schwindel.« Er hatte die ganze Zeit das Gefühl gehabt, daß etwas Wahres an der Bleichmann-Religion sein mußte. Helio hatte ihn hinters Licht führen wollen.

»Am Felsheiligtum müssen Sie Zwiesprache halten. Der Geist, der den Schmutzigen Knorren beseelt, wird Ihr Kollektivbewußtsem wahrnehmen und, wenn er die Gnade hat, Ihrem Wunsch entsprechen.« Helio setzte hinzu: »Sie müssen dabei auf die dem Jungen innewohnende Fähigkeit vertrauen. Der Felsen allein ist machtlos. Es ist jedoch so: An der Stelle, an der der Schmutzige Knorren liegt, ist die Zeit am schwächsten.

Nur deshalb hat der Bleichmann Jahrhunderte überdauern können.«

»Verstehe«, sagte Arnie. »Eine Art Zeitloch. Und ihr Burschen habt dadurch Zugriff auf die Zukunft. Nun, im Augenblick bin ich eher an der Vergangenheit interessiert, und offen gestanden, klingt mir das alles etwas dubios. Aber ich versuch's. Du hast mir schon so viele verschiedene Geschichten über den Felsen erzählt ...«

Helio sagte: »Was ich gesagt habe, stimmt. Der Schmutzige Knorren allein brächte Ihnen gar nichts.« Er zuckte nicht mit der Wimper; er hielt Arnies Blick stand.

»Glaubst du, Manfred macht mit?«

»Ich habe ihm von dem Felsen erzählt, und er ist schon ganz aufgeregt bei dem Gedanken, ihn zu sehen. Ich habe ihm gesagt, daß es dort möglich sei, in die Vergangenheit zu entfliehen. Diese Vorstellung fasziniert ihn. Aber ...« Helio hielt kurz inne. »Sie müssen den Jungen für seine Mühe entschädigen.

Sie können ihm etwas Unbezahlbares anbieten .

Herr, Sie können das Schreckgespenst von Am-Web für immer aus seinem Leben vertreiben. Versprechen Sie ihm, daß Sie ihn zur Erde zurückschicken. Dann wird er dieses gräßliche Gebäude niemals von innen sehen, ganz gleich, was aus ihm wird. Wenn Sie das für ihn tun, wird er alle seine geistigen Kräfte für Sie einsetzen.«

»Das wäre mir schon recht«, sagte Arnie.

»Und Sie werden den Jungen nicht im Stich lassen?«

»Um Himmels willen, nein«, versprach Arnie. »Ich treffe sofort alle erforderlichen Vereinbarungen mit der UN - das ist zwar knifflig, aber ich habe Anwälte, die so was mit links schaffen.«

»Gut«, sagte Helio und nickte. »Es wäre schäbig, den Jungen dranzugeben. Wenn Sie nur einen Augenblick seine furchtbare Angst vor seinem künftigen Leben an diesem Ort spüren könnten ...«

»Ja, klingt grauenhaft«, stimmte Arnie zu.

»Es wäre doch ein Jammer«, sagte Helio und musterte ihn kritisch, »wenn Sie das selbst eines Tages durchmachen müßten.«

»Wo ist Manfred jetzt?«

»Er wandert auf den Straßen von Lewistown herum«, sagte Helio. »Bestaunt die Sehenswürdigkeiten.«

»Herrje, ist er da sicher?«

»Ich denke schon«, sagte Helio. »Er ist ganz aus dem Häuschen wegen der vielen Menschen, der Läden und des Trubels; das ist alles neu für ihn.«

»Du hast dem Kind wirklich geholfen«, sagte Arnie.

Es klingelte an der Haustür, und Helio machte auf. Als Arnie aufsah, standen dort Jack Bohlen und Doreen Anderton, beide mit starrer, nervöser Miene.

»Oh, hey«, sagte Arnie gedankenverloren. »Kommt doch rein; ich wollte Sie gerade anrufen, Jack. Hören Sie, ich habe einen Job für Sie.«

Jack Bohlen sagte: »Warum haben Sie Mr. Yee meinen Vertrag abgekauft?«

»Weil ich Sie brauche«, erklärte Arnie. »Ich will Ihnen auch den Grund nennen. Ich gehe mit Manfred auf Wallfahrt und will, daß jemand über uns kreist, damit wir uns nicht verlaufen und verdursten. Wir müssen die Wüste durchqueren, bis zu den FDR-Bergen; stimmt doch, Helio?«

»Ja, Herr«, sagte Helio.

»Ich möchte gleich aufbrechen«, erklärte Arnie. »Es dürfte wohl ein Fünf-Tage-Marsch werden. Wir nehmen einen tragbaren Sender mit, damit wir Sie benachrichtigen können, wenn wir Lebensmittel oder Wasser oder sonst was brauchen. Nachts können Sie den Hubschrauber landen und ein Zelt für uns zum Schlafen errichten. Sorgen Sie dafür, daß genug Medikamente an Bord sind, falls Manfred oder ich von einem Wüstentier gebissen werden; wie ich höre, sollen da draußen auf dem Mars Schlangen und Ratten frei herumlaufen.« Er sah auf seine Uhr. »Jetzt ist es drei; ich will um vier aufbrechen und bis zum Abend vielleicht noch fünf Stunden weit kommen.«

»Was ist der Zweck dieser - Wallfahrt?« fragte Doreen wie aus der Pistole geschossen.

»Ich habe geschäftlich da draußen zu tun«, sagte Arnie. »Draußen bei den Wüstenbleichmännern. Es geht um Privatgeschäfte. Begleitest du mich im Hubschrauber? Wenn ja, zieh dir besser was anderes an, vielleicht Stiefel und derbe Hosen, weil immerhin möglich ist, daß ihr zur Landung gezwungen werdet. Fünf Tage, ständig kreisen, das ist eine lange Zeit. Achtet besonders auf die Wasservorräte.«

Doreen und Jack schauten sich an.

»Ich mein's ernst«, sagte Arnie. »Halten wir uns also nicht lange mit Trara auf. Okay?«

»So, wie ich das sehe«, sagte Jack zu Doreen, »habe ich keine andere Wahl. Ich muß tun, was er mir sagt.«

»Stimmt genau, Kumpel«, pflichtete Arnie bei. »Fangen Sie schon an, die erforderliche Ausrüstung zusammenzustellen. Kocher, Stablampen, ein tragbares Klo, Lebensmittel, Seife und Handtücher, irgendeine Knarre. Sie wissen ja, was man so braucht; Sie haben am Rande der Wüste gelebt.«

Jack nickte bedächtig.

»Was sind das für Geschäfte?« sagte Doreen. »Und weshalb mußt du zu Fuß gehen? Wenn du unbedingt dorthin mußt, weshalb fliegst du dann nicht einfach, wie üblich?«

»Ich muß eben zu Fuß gehen«, sagte Arnie gereizt. »So läuft es nun mal; das war nicht meine Idee.« Zu Helio sagte er: »Zurück kann ich doch fliegen, oder?«

»Ja, Herr«, sagte Helio. »Heimkehren können Sie auf jede gewünschte Weise.«

»Ein Glück, daß ich körperlich in Topform bin«, sagte Arnie, »sonst käme das alles gar nicht in Frage. Ich hoffe nur, Manfred schafft es.«

»Er ist recht kräftig, Herr«, sagte Helio.

»Sie nehmen den Jungen mit«, murmelte Jack.

»Genau«, sagte Arnie. »Was dagegen?«

Jack Bohlen antwortete nicht, blickte aber grimmiger drein denn je. Plötzlich platzte es aus ihm heraus: »Sie können dem Jungen nicht zumuten, fünf Tage lang durch die Wüste zu laufen - das bringt ihn ja um.«

»Weshalb kannst du nicht ein Fahrzeug nehmen?« fragte Doreen. »Einen dieser billigen Traktorbusse, den UN-Briefträger benutzen, um die Post zuzustellen. Es würde immer noch lange dauern; es wäre immer noch eine Wallfahrt.«

»Wie sieht's damit aus?« sagte Arnie zu Helio.

Nach längerem Nachdenken sagte der Bleichmann: »Ich denke, das kleine Gefährt, von dem Sie sprechen, wäre zulässig.«

»Fein«, sagte Arnie, und damit war es beschlossene Sache. »Ich ruf ein paar Leute an, die ich kenne, und besorg mir einen dieser Postbusse. Du hast mich auf eine tolle Idee gebracht, Doreen; das weiß ich zu schätzen. Natürlich müßt ihr beiden trotzdem über uns bleiben, zur Sicherheit, falls wir eine Panne haben.«

Jack und Doreen nickten.

»Wenn ich erst da bin, wo ich hinwill«, sagte Arnie, »wird euch vielleicht klar, was ich vorhabe.« Todsicher wird es das; daran besteht gar kein Zweifel.

»Das ist alles sehr seltsam«, sagte Doreen; sie stand dicht bei Jack Bohlen und hielt seinen Arm fest.

»Gebt nicht mir die Schuld«, sagte Arnie. »Gebt sie Helio.« Er grinste.

»Stimmt«, sagte Helio. »Es war meine Idee.«

Aber ihre Mienen blieben unverändert.

»Haben Sie heute schon mit Ihrem Dad gesprochen?« fragte Arnie Jack.

»Ja. Ganz kurz, am Telefon.«

»Ist sein Gelände schon eingetragen, alles dingfest gemacht? Keine Schlupflöcher?«

Jack sagte: »Er sagt, alles sei ordentlich abgewickelt worden. Er bereitet jetzt seinen Rückflug zur Erde vor.«

»Tüchtige Leistung«, sagte Arnie. »So was bewundere ich. Taucht hier auf dem Mars auf, steckt sein Gelände ab, geht zum Grundbuchamt, läßt es dort eintragen und fliegt dann zurück. Nicht schlecht.«

»Was haben Sie vor, Arnie?« sagte Jack mit ruhiger Stimme.

Arnie zuckte die Achseln. »Ich muß diese heilige Wallfahrt machen, zusammen mit Manfred. Das ist alles.«

Aber er grinste noch immer; er konnte nicht anders. Er konnte es sich nicht verkneifen und versuchte es auch gar nicht erst.

*

Die Benutzung des UN-Postbusses verkürzte die vorgesehene Wallfahrt von Lewistown zum Schmutzigen Knorren von fünf Tage auf ganze acht Stunden; so rechnete Arnie jedenfalls. Dann brauche ich ja nur noch aufzubrechen, sagte er sich, während er mit großen Schritten durchs Wohnzimmer lief.

Am Straßenrand vor dem Gebäude saß Helio mit Manfred in dem geparkten Billigbus. Arnie konnte sie weit unten durchs Fenster erkennen. Er holte seine Waffe aus der Schreibtischschublade, steckte sie in die Manteltasche, schloß den Schreibtisch ab und eilte ins Vorzimmer hinaus.

Einen Moment später erschien er auf dem Bürgersteig und ging auf den Bus zu.

»Also los!« sagte er zu Manfred. Helio stieg aus dem Bus aus, und Arnie setzte sich hinters Steuer. Er brachte die kleine Turbine auf Touren; sie machte Geräusche wie eine Hummel im Glas. »Klingt prima«, sagte er zufrieden. »Mach's gut, Helio! Wenn die Sache Erfolg hat, kannst du mit einer Belohnung rechnen - vergiß das nicht.«

»Ich erwarte keine Belohnung«, sagte Helio. »Ich erfülle Ihnen gegenüber nur meine Pflicht, Herr; täte ich für jeden.«

Arnie löste die Bremse und fuhr in den Vorabendverkehr des Geschäftsviertels von Lewistown hinaus. Sie waren unterwegs. Jack Bohlen und Doreen kreuzten über ihnen bestimmt schon im Hubschrauber; Arnie machte sich nicht die Mühe, nach ihnen Ausschau zu halten, für ihn stand fest, daß sie da waren. Er winkte Helio zum Abschied, dann nahm ihm ein riesiger Traktorbus hinter seinem Postbus die Sicht; Helio war nicht mehr zu sehen.

»Wie findest du das, Manfred?« sagte Arnie, als er den Bus auf den Stadtrand von Lewistown und die dahinterliegende Wüste zusteuerte. »Ist das nichts? Der macht glatt seine fünfzig Meilen die Stunde, das ist nicht von Pappe.«

Der Junge gab keine Antwort, zitterte aber vor Aufregung am ganzen Leib.

»Ist doch irre«, erklärte Arnie und beantwortete seine Frage selbst.

Sie hatten Lewistown schon fast hinter sich gelassen, als Arnie ein Wagen auffiel, der zu ihm aufgeschlossen hatte und jetzt mit derselben Geschwindigkeit wie sie neben ihnen herfuhr. Er sah, daß zwei Personen in dem Wagen saßen, ein Mann und eine Frau; erst dachte er, es wären Jack und Doreen, aber dann wurde ihm klar, daß es sich um seine Exfrau Anne Esterhazy und Dr. Milton Glaub handelte.

Was, zum Teufel, wollen die? fragte sich Arnie. Sehen die nicht, daß ich zu tun habe und nicht gestört werden will, aus welchem Grund auch immer?

»Kott«, schrie Dr. Glaub, »fahren Sie an den Straßenrand, wir müssen mit Ihnen reden! Es ist lebenswichtig!«

»Schert euch zum Teufel«, knurrte Arnie und beschleunigte. Mit der Linken tastete er nach seiner Waffe. »Ich hab euch nichts zu sagen, und wieso macht ihr eigentlich gemeinsame Sache?« Was er da sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Paßt zu denen, sich zusammenzurotten, sagte er sich. Hätte ich mit rechnen müssen. Er schaltete den tragbaren Sender an und nahm Verbindung mit seinem Kämmerer Eddy Goggins im Gildehaus auf. »Hier Arnie. Mein Kreiselkompaß zeigt genau 8.45702 an, direkt am Stadtrand. Komm schnell her - hier sind welche, um die sich einer kümmern muß. Beeil dich, sie holen auf!« In Wahrheit waren sie nie hinter ihm zurückgefallen; es fiel ihnen nicht schwer, das Tempo des kleinen Busses zu halten und sogar schneller zu fahren.

»Geht klar, Arnie«, sagte Eddy Goggins. »Ich schick gleich ein paar von den Jungs; keine Bange.«

Auf einmal schnitt der Wagen sie und zog zum Straßenrand hinüber. Arnie verlangsamte notgedrungen und brachte den Bus zum Stehen. Der Wagen stellte sich so, daß ihnen der Fluchtweg versperrt war, und dann sprang Glaub heraus und lief mit fuchtelnden Armen auf sie zu.

»Jetzt ist Schluß mit Ihrem ewigen Herumgeschubse und Ihrer Tyrannei«, rief er Arnie zu.

Du liebe Zeit, dachte Arnie. Ausgerechnet jetzt. »Was wollen Sie?« sagte er. »Machen Sie's kurz; auf mich warten dringende Geschäfte.«

»Lassen Sie Jack Bohlen in Ruhe«, keuchte Dr. Glaub. »Ich vertrete ihn, und er braucht Ruhe und Frieden. Sie werden schon mit mir verhandeln müssen.«

Anne Esterhazy stieg aus dem Wagen; sie kam auf den Bus zu und baute sich vor Arnie auf. »Wenn ich die Situation richtig verstehe ...« fing sie an.

»Du verstehst gar nichts«, sagte Arnie giftig. »Laßt mich vorbei oder ich mach euch beide kalt.«

Über ihnen erschien ein Hubschrauber mit der Kennung der Kanalarbeitergilde und sank allmählich tiefer; das waren Jack und Doreen, nahm Arnie an. Und hinter ihnen tauchte mit enormer Geschwindigkeit ein zweiter Hubschrauber auf; das waren zweifellos Eddy und die Gildebrüder. Beide Hubschrauber schienen ganz in der Nähe landen zu wollen.

Anne Esterhazy sagte: »Arnie, ich weiß, daß dir etwas Furchtbares passieren wird, wenn du dein Vorhaben nicht aufgibst.«

»Mir?« sagte er amüsiert und ungläubig.

»Ich spüre es. Bitte, Arnie. Was auch immer du vorhast - überleg's dir noch mal. Es gibt soviel Gutes in der Welt; mußt du unbedingt Rache nehmen?«

»Fahr nach Neu-Israel zurück und kümmer dich um deinen verdammten Laden.« Er ließ den Motor des klapprigen Busses aufheulen.

»Dieser Junge«, sagte Anne. »Das ist Manfred Steiner, nicht wahr? Laß zu, daß Milton ihn ins Camp B-G zurückbringt; das ist für alle Beteiligten besser, für ihn und auch für dich.«

Einer der Hubschrauber war gelandet. Drei oder vier KAG-Leute sprangen heraus; sie kamen die Straße entlanggerannt, und als Dr. Glaub sie entdeckte, zerrte er mißmutig an Annes Ärmel.

»Ich seh sie.« Sie blieb ganz ruhig. »Bitte, Arnie. Du und ich, wir haben schon so oft zusammengearbeitet, bei so vielen lohnenden Gelegenheiten ... um meinetwillen, um Sams willen - wenn du damit nicht aufhörst, weiß ich, daß wir beide nie wieder zusammenkommen werden. Siehst du das denn nicht ein? Ist es wirklich so wichtig, daß du bereit bist, alles dafür aufzugeben?«

Arnie sagte nichts.

Schnaufend tauchte Eddy Goggins neben dem Bus auf. Die Gildeleute waren ausgeschwärmt und kamen von allen Seiten auf Anne Esterhazy und Dr. Glaub zu. Jetzt war auch der andere Hubschrauber gelandet, und Jack Bohlen stieg aus.

»Frag ihn«, sagte Arnie. »Er kommt aus freien Stücken mit; er ist erwachsen und weiß, was er tut. Frag ihn, ob er nicht freiwillig an dieser Wallfahrt teilnimmt.«

Als Glaub und Anne Esterhazy sich Jack zuwandten, setzte Arnie Kott mit dem Bus zurück; er legte den Vorwärtseingang ein und schoß an dem parkenden Wagen vorbei. Es kam zu einer Rauferei, als Glaub versuchte, wieder in sein Auto zu steigen; zwei Gildebrüder packten ihn, und sie rangen miteinander. Arnie steuerte den Bus stur geradeaus, und der Wagen und die Leute blieben hinter ihnen zurück.

»Weiter geht's«, sagte er zu Manfred.

Vor ihnen wurde die Straße zu einer unscharfen, schnurgeraden Linie, die von der Stadt in die Wüste hinausführte, auf die weit entfernten Berge zu. Der schäbige Bus holperte mit Höchstgeschwindigkeit dahin, und Arnie lächelte. Neben ihm strahlte das Gesicht des Jungen vor Aufregung.

Mich hält keiner auf, sagte sich Arnie.

Der Lärm der Balgerei verklang in seinen Ohren; er hörte jetzt nur noch das Summen der kleinen BusTurbine. Er lehnte sich zurück.

Wappne dich, Schmutziger Knorren, sagte er sich. Und dann dachte er an Jack Bohlens Glücksbringer, die Wasserhexe, die der Mann Helios Worten nach bei sich trug, und Arnie runzelte die Stirn. Aber das Stirnrunzeln verging gleich wieder. Er verlangsamte nicht.

Neben ihm krächzte Manfred aufgeregt: »Kwatsch kwatsch!«

»Was soll das heißen, kwatsch kwatsch?« fragte Arnie.

Er wartete vergebens auf Antwort, während sie beide im schäbigen UN-Postbus auf die FDR-Berge direkt vor ihnen zuholperten.

Vielleicht finde ich heraus, was es heißt, wenn wir erst einmal dort sind, sagte sich Arnie. Ich möchte es wirklich gern wissen. Irgendwie machten ihn die Geräusche, die der Junge von sich gab, diese unverständlichen Worte, nervös - nervöser als alles andere. Plötzlich wünschte er sich, daß Helio bei ihnen wäre.

»Kwatsch kwatsch!« schrie Manfred, während sie weiter dahinrasten.

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