Sieben

Als er per Hubschrauber nach Lewistown flog, um dort Arnie Kott zu treffen und einen Drink mit ihm zu nehmen, fragte Dr. Milton Glaub sich immer wieder, ob soviel Glück wahr sein konnte. Ich kann's gar nicht fassen, dachte er, das ist ein Wendepunkt in meinem Leben.

Er war sich nicht sicher, was Arnie eigentlich wollte; der Anruf war so unerwartet gekommen, und Arnie hatte so schnell gesprochen, daß Glaub ganz perplex gewesen war und nur noch wußte, daß es etwas mit parapsychologischen Aspekten bei Geisteskranken zu tun hatte. Also, über dieses Thema konnte er Arnie praktisch alles berichten, was es zu wissen gab. Und doch spürte Glaub, daß sich hinter dieser Anfrage mehr verbarg.

Allgemein gesprochen, war das Interesse an Schizophrenie stets ein Symptom für den inneren Kampf, den jemand auf diesem Gebiet austrug. Und es stand einwandfrei fest, daß die Unfähigkeit, in der Öffentlichkeit zu essen, oft zu den ersten Anzeichen für ein schleichendes Wachstum des schizophrenen Prozesses gehörte. Arnie hatte lautstark verkündet, daß er Glaub treffen wolle - aber nicht bei sich zu Hause oder in der Arztpraxis, sondern in einer bekannten Restaurantbar in Lewistown, dem Willows. War das möglicherweise eine Reaktionsbildung? In gewissen öffentlichen Situationen, besonders solchen, die mit der Nahrungsaufnahme zusammenhingen, stand Arnie Kott immer unter einer unerklärlichen Anspannung, und vielleicht gab er sich ja alle erdenkliche Mühe, auf diese Weise eine Normalität herbeizuführen, die ihn allmählich verließ.

Glaub dachte beim Steuern des Hubschraubers darüber nach, doch dann kehrten seine Gedanken heimlich, still und leise wieder zu seinen eigenen Problemen zurück.

Arnie Kott, ein Mann, der eine multimillionenschwere Gildekasse verwaltete; ein Prominenter in der Kolonialwelt, zu Hause aber praktisch unbekannt. Im Grunde ein Feudalbaron. Wenn Kott mich in seinen Mitarbeiterstab aufnähme, spekulierte Glaub, könnte ich alle Schulden bezahlen, die wir angehäuft haben, diese gräßlichen Rechnungen zum Zinssatz von zwanzig Prozent auf dem laufenden Konto, die sich dort unaufhörlich aufzutürmen scheinen, nie kleiner werden oder ganz verschwinden. Und dann könnten wir noch einmal von vorn anfangen, ohne Schulden leben, im Rahmen unserer Möglichkeiten ... und was für glänzenden Möglichkeiten.

Außerdem war der alte Arnie noch Schwede oder Däne oder was ähnliches, so daß Glaub seine Hautfarbe nicht anzupassen brauchte, bevor er seinen Patienten empfing. Hinzu kam, daß man Arnie Ungezwungenheit nachsagte. Milt und Arnie, würde es heißen. Dr. Glaub lächelte.

Er mußte bei diesem ersten Gespräch nur darauf achten, daß er Arnies Vorstellungen guthieß, gewissermaßen mitspielte und ihm keine kalte Dusche verpaßte, selbst wenn die Überlegungen des alten Arnie völlig abwegig sein sollten. Er würde sich schön in die Nesseln setzen, wenn er so jemanden entmutigen würde! Das wäre nicht richtig.

Ich verstehe, was Sie meinen, Arnie, sagte sich Dr. Glaub und übte weiter, während er seinen Hubschrauber immer näher an Lewistown heransteuerte. Ja, diese Weltsicht hat einiges für sich.

Er war für seine Patienten schon mit so vielen Arten sozialer Konflikte fertiggeworden, war in der Öffentlichkeit für sie aufgetreten, hatte diese furchtsamen, verschlossenen schizoiden Persönlichkeiten vertreten, die vor zwischenmenschlichen Kontakten zurückschreckten, daß das hier zweifellos ein Klacks war. Und - falls der schizophrene Prozeß in Arnie mit aller Macht wirksam werden sollte - würde Arnie vielleicht sogar um des nackten Überlebens willen auf ihn vertrauen müssen.

Heiße Sache, sagte sich Dr. Glaub, und beschleunigte den Hubschrauber auf das Maximum.

*

Rund um das Willows verlief ein Graben mit kaltem blauem Wasser. Springbrunnen gischteten Fontänen in die Luft, und purpurne, bernsteinfarbene und rostrote Bougainvillea wuchsen hoch auf und umschlossen das einstöckige Glasgebäude. Als er die schwarze schmiedeeiserne Treppe vom Parkplatz herunterkam, bemerkte Dr. Glaub im Innern schon die gesellige Runde: Arnie Kott saß dort mit einem atemberaubenden Rotschopf und einem unscheinbaren männlichen Begleiter, der einen Mechanikeroverall und ein Segeltuchhemd trug.

Wahrhaft klassenlose Gesellschaft, dachte Dr. Glaub.

Eine Brücke im Regenbogenstil half ihm, den Graben zu überwinden. Türen gingen vor ihm auf; er betrat die Lounge, passierte die Bar, blieb kurz stehen, um beim Anblick der Jazz-Combo, die gedankenverloren improvisierte, die Nase zu rümpfen, und begrüßte dann lautstark Arnie. »Hey, Arnie!«

»Hey, Doc.« Arnie erhob sich, um ihn vorzustellen. »Dor, das ist Doc Glaub. Doreen Anderton. Dies ist mein Mechaniker Jack Bohlen, eine echte Kanone. Jack, das hier ist der bedeutendste lebende Psychiater, Milt Glaub.«

Alle nickten und schüttelten sich die Hände.

»Wohl kaum der bedeutendste«, murmelte Glaub, als sie sich setzten. »Vorherrschend sind immer noch die Schweizer in Berghölzli, die existentiellen Psychiater.« Doch er war zutiefst dankbar, so unzutreffend Arnies Bemerkung auch gewesen sein mochte. Er merkte, wie sein Gesicht vor Freude rot anlief. »Tut mir leid, daß ich so lange gebraucht habe, um herzukommen - ich mußte noch schnell nach Neu-Israel. Bo - Bosley Touvim -benötigte in einer medizinischen Angelegenheit, die er für dringend hielt, meinen Rat.«

»Pfundskerl, dieser Bos«, sagte Arnie. Er hatte sich eine Zigarre angezündet, eine echte, auf der Erde gerollte Optimo Admiral. »Ein richtiger Draufgänger. Aber kommen wir zum Geschäft. Warten Sie, ich bestelle Ihnen einen Drink.« Er schaute Glaub fragend an, während er die Cocktail-Kellnerin heranwinkte.

»Scotch, wenn Sie haben«, sagte Glaub.

»Cutty Sark, Sir«, sagte die Kellnerin.

»Ah, gut. Ohne Eis, bitte.«

»Okay«, sagte Arnie ungeduldig. »Nun passen Sie auf, Doc. Sie bringen mir doch den Namen eines wirklich fortgeschrittenen Schizos, oder?« Er sah Glaub prüfend an.

»Äh ...«, sagte Glaub, und dann fiel ihm sein Besuch eben in Neu-Israel ein. »Manfred Steiner«, sagte er.

»Verwandt mit Norbert Steiner?«

»Allerdings, sein Sohn. In Camp B-G ... Ich glaube, es stellt keinen Vertrauensbruch dar, wenn ich Ihnen das sage. Total autistisch, von Geburt an. Mutter: kalte, intellektuell-schizoide Persönlichkeit, macht alles streng nach Vorschrift. Vater ...«

»Vater tot«, sagte Arnie knapp.

»Richtig. Sehr bedauerlich. Netter Kerl, aber depressiv. Es war Selbstmord, wissen Sie. Typischer Schub während eines Tiefs. Ein Wunder, daß er es nicht schon vor Jahren getan hat.«

Arnie sagte: »Am Telefon sagten Sie mir, Sie hätten eine Theorie, wonach die schizophrene Person nicht mit der Zeit in Einklang stünde.«

»Ja, es handelt sich um eine Störung des inneren Zeitgefühls.« Dr. Glaub merkte, wie alle drei ihm zuhörten, und er erwärmte sich für das Thema; es war sein Lieblingsthema. »Wir müssen das noch durch Experimente verifizieren, aber das kommt.« Und dann gab er schamlos und ohne zu zögern die Berghölzli-Theone als seine eigene aus.

Scheinbar schwer beeindruckt sagte Arnie: »Sehr interessant.« Zum Mechaniker Jack Bohlen sagte er: »Könnte man solche Zeitlupenkammern bauen?«

»Ohne Zweifel«, murmelte Jack.

»Und Sensoren«, sagte Glaub. »Um den Patienten aus der Kammer wieder in die reale Welt zurückzuführen. Gesichtsfeld, Hörvermögen ...«

»Läßt sich machen«, sagte Bohlen.

»Wie wär's hiermit ...?« sagte Arnie ungeduldig und begeistert. »Könnte der Schizophrene, verglichen mit uns, so schnell die Zeit durchlaufen, daß er sich faktisch an einem Ort befindet, der für uns die Zukunft ist? Würde das nicht die Gabe der Präkognition erklären?« Seine hellfarbenen Augen glitzerten vor Aufregung.

Glaub zuckte auf eine Weise die Achseln, die Zustimmung verhieß.

Arnie wandte sich an Bohlen und stammelte: »He, Jack, das ist es! Verdammt, ich sollte Psychiater werden. Ihn verlangsamen, Teufel auch. Ihn beschleunigen, sage ich. Ihn außerhalb der Zeitphase leben lassen, wenn er das will. Aber ihn unbedingt dazu bringen, seine Wahrnehmungen mit uns zu teilen - richtig, Bohlen?«

Glaub sagte: »Nun ja, aber da gibt's einen Haken. Speziell bei Autismus ist die Fähigkeit interpersoneller Kommunikation drastisch herabgesetzt.«

»Verstehe«, sagte Arnie, aber das entmutigte ihn nicht. »Himmel noch mal, ich weiß genug darüber, um einen Ausweg zu kennen. Hat dieser Knilch von früher - Carl Jung - hat der es nicht schon vor Jahren fertiggebracht, die Sprache der Schizophrenen zu entschlüsseln?«

»Ja«, sagte Glaub, »Jung hat schon vor Jahrzehnten die private Sprache der Schizophrenen geknackt. Aber beim kindlichen Autismus wie in Manfreds Fall gibt es gar keine Sprache, wenigstens keine gesprochene. Möglicherweise ganz private persönliche Gedanken ... aber keine Worte.«

»Scheiße«, sagte Arnie.

Das Mädchen warf ihm einen tadelnden Blick zu.

»Die Sache ist ernst«, sagte Arnie zu ihr. »Wir müssen diese Unglücklichen, diese autistischen Kinder, dazu bringen, mit uns zu reden und uns zu sagen, was sie wissen; stimmt das nicht, Doc?«

»Ja«, sagte Glaub.

»Dieses Kind ist jetzt eine Waise«, sagte Arnie, »dieser Manfred.«

»Also, er hat immer noch die Mutter«, sagte Glaub.

Arnie fuchtelte aufgeregt mit der Hand und sagte: »Es liegt ihnen aber nicht soviel an dem Kind, daß sie es zu Hause haben wollen; sie haben es in dieses Camp abgeschoben. Zum Teufel, ich werde den Jungen loseisen und herbringen lassen. Und Jack, Sie machen sich daran, eine Maschine zu bauen, die Verbindung mit ihm aufnimmt - sind Sie im Bilde?«

Nach einer Weile sagte Bohlen: »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Er lachte kurz auf.

»Sicher wissen Sie das - verdammt, das dürfte Ihnen doch leicht fallen; wie Sie sagen, sind Sie doch selbst ein Schizophrener.«

Interessiert wandte sich Glaub an Bohlen: »Stimmt das?« Er hatte schon unwillkürlich registriert, daß der Mechaniker bis in die Knochen verkrampft dasaß, während er an seinem Drink nippte, die Muskulatur völlig verspannt, ganz zu schweigen vom asthenischen Körperbau. »Sie haben aber anscheinend gewaltige Fortschritte bei der Genesung gemacht.«

Bohlen hob den Kopf, begegnete seinem Blick und sagte: »Ich bin völlig genesen. Schon seit vielen Jahren.« Seine Miene war affektgeladen.

Niemand genest völlig, dachte Glaub. Aber das sagte er nicht; statt dessen sagte er: »Vielleicht hat Arnie recht. Sie könnten sich in den Autisten hineinfühlen, während das für uns das größte Problem ist; ein Autist kann nicht in unsere Rolle schlüpfen und die Welt so sehen wie wir, und wir können nicht in seine Rolle schlüpfen. Damit trennt uns ein Abgrund.«

»Überbrücken Sie diesen Abgrund, Jack!« rief Arnie munter. Er schlug Bohlen auf den Rücken. »Das ist Ihr Job; ich setze Sie auf die Lohnliste.«

Neid erfüllte Dr. Glaub. Er starrte in seinen Drink hinein und verbarg seine Reaktion. Aber das Mädchen sah es und lächelte ihm zu. Er erwiderte das Lächeln nicht.

*

Während er Dr. Glaub beobachtete, der ihm gegenüber saß, spürte Jack Bohlen jene allmähliche Auflösung der Wahrnehmung, die er so sehr fürchtete, dieselbe Bewußtseinsveränderung, die ihn vor Jahren im Büro des Personalchefs der Corona Corporation heimgesucht hatte und die seitdem offenbar immer in ihm gelauert und nur darauf gewartet hatte, wieder hervorbrechen zu können.

Er sah den Psychiater im Lichte absoluter Realität: ein Ding, aus kalten Drähten und Schaltern zusammengesetzt, keinesfalls ein Mensch, nicht aus Fleisch und Blut geschaffen. Die fleischliche Hülle schmolz dahin und wurde durchscheinend, und Jack Bohlen sah das mechanische Gerüst darunter. Aber er ließ sich seinen furchtbaren Bewußtseinszustand nicht anmerken; er nippte weiter an seinem Drink; er lauschte weiter dem Gespräch und nickte gelegentlich. Weder Dr. Glaub noch Arnie Kott fiel etwas auf.

Aber dem Mädchen. Sie beugte sich vor und flüsterte Jack ins Ohr: »Ist Ihnen nicht gut?«

Er schüttelte den Kopf. Nein, wollte er damit sagen. Mir ist alles andere als gut.

»Setzen wir uns ab«, flüsterte das Mädchen. »Ich ertrage es auch nicht.« Laut sagte sie zu Arnie: »Jack und ich lassen euch beide jetzt allein. Kommen Sie.« Sie tippte Jack auf den Arm und erhob sich; er spürte ihre leichten, kräftigen Finger und erhob sich ebenfalls.

Arnie sagte: »Bleibt nicht zu lange weg«, und nahm sein ernstes Gespräch mit Dr. Glaub wieder auf.

»Danke«, sagte Jack, als sie den Gang entlanggingen, zwischen den Tischen hindurch.

Doreen sagte: »Haben Sie gesehen, wie neidisch er war, als Arnie sagte, daß er Sie einstellt?«

»Nein. - Glaub?« Aber es überraschte ihn nicht. »Das passiert mir immer wieder«, sagte er entschuldigend zu dem Mädchen. »Hat mit meinen Augen zu tun; vielleicht Astigmatismus. Stressbedingt.«

Das Mädchen sagte: »Möchten Sie an der Bar sitzen? Oder nach draußen gehen?«

»Nach draußen«, sagte Jack.

Kurz darauf standen sie auf der Regenbogenbrücke, über dem Wasser. Im Wasser glitten Fische dahin, leuchtende und verschwommene, halbwirkliche Wesen, so selten auf dem Mars wie nur irgendwas. Sie waren ein Wunder in dieser Welt, und als Jack und das Mädchen hinabsahen, spürten sie es beide. Und ohne es aussprechen zu müssen, wußten auch beide, daß sie den gleichen Gedanken hatten.

»Schön hier draußen«, sagte Doreen endlich.

»Ja.« Er wollte nicht reden.

»Jeder«, sagte Doreen, »hat irgendwann einmal die Bekanntschaft mit einem Schizophrenen gemacht ... wenn er nicht selbst einer ist. Mein Bruder zum Beispiel, drüben zu Hause, mein jüngerer Bruder.«

»Ich komme wieder ins Lot«, sagte Jack. »Mir geht's schon wieder bestens.«

»Stimmt doch gar nicht«, sagte Doreen.

»Nein«, gab er zu, »aber was, zum Teufel, kann ich denn tun? Sie haben es selber gesagt. Einmal schizophren, immer schizophren.« Dann verstummte er, ganz auf einen gleitenden blassen Fisch konzentriert.

»Arnie hält eine Menge von Ihnen«, sagte das Mädchen. »Wenn er behauptet, er hätte die Fähigkeit, den Wert eines Menschen genau einzuschätzen, dann hat er recht. Er hat bereits erkannt, daß dieser Glaub ganz wild darauf ist, sich zu verkaufen und hier in Lewistown ins Team aufgenommen zu werden. Psychiatrie ist wohl nicht mehr so einträglich wie früher; zu viele Hechte im Karpfenteich. Allein hier in der Siedlung sind es zwanzig, und keiner macht einen wirklich guten Schnitt. Hat Ihnen Ihre - Veranlagung nicht Schwierigkeiten gemacht, als Sie den Auswanderungsantrag stellten?«

Er sagte: »Ich möchte nicht darüber sprechen. Bitte.«

»Gehen wir ein Stück«, sagte das Mädchen.

Sie spazierten die Straße entlang, an Geschäften vorbei, von denen die meisten an diesem Tag geschlossen waren.

»Was haben Sie gesehen«, sagte das Mädchen, »als Sie dort am Tisch Dr. Glaub ansahen?«

Jack sagte: »Nichts.«

»Darüber möchten Sie wohl lieber auch nicht sprechen.«

»Genau.«

»Glauben Sie, daß die Dinge schlimmer werden, wenn Sie mir davon erzählen?«

»Es sind nicht die Dinge; ich bin es.«

»Vielleicht sind es aber doch die Dinge«, sagte Doreen. »Vielleicht ist etwas dran an Ihrer Vision, wie verzerrt und entstellt sie auch sein mag. Keine Ahnung. Ich hab mich höllisch abgerackert, um zu begreifen, was Clay - mein Bruder - gesehen und gehört hat. Er konnte es mir nicht sagen. Ich weiß, daß seine Welt sich grundsätzlich von der unserer anderen Familienmitglieder unterschied. Er hat sich umgebracht, wie Steiner.« Sie war an einem Zeitungskiosk stehengeblieben, um auf Seite eins die Meldung über Norbert Steiner zu überfliegen. »Die existentiellen Psychiater sagen oft, man soll sie einfach machen lassen, wenn sie sich das Leben nehmen wollen; für manche von ihnen sei das der einzige Weg ... die Last der Vision wird für sie unerträglich.«

Jack schwieg.

»Ist sie unerträglich?« fragte Doreen.

»Nein. Nur - verunsichernd.« Er hatte Mühe, den Zustand zu erklären. »Man kann es unmöglich mit dem in Einklang bringen, was man gemeinhin sieht oder weiß; man kann danach unmöglich weitermachen wie bisher.«

»Versuchen Sie nicht oft, so zu tun, als mache es Ihnen sozusagen nichts aus - indem Sie es überspielen? Wie ein Schauspieler?« Als er nicht antwortete, sagte sie: »Sie haben es da drin gerade eben versucht.«

»Ich würde jeden gern an der Nase herumführen«, räumte er ein. »Ich würde alles darum geben, wenn ich darüber hinwegtäuschen und eine Rolle spielen könnte. Aber es ist ein richtiger Bruch - der vorher nicht da war; sie irren sich, wenn sie von Bewußtseinsspaltung reden. Wenn ich vollständig bleiben wollte, ohne Bruch, brauchte ich mich nur vorzubeugen und Dr. Glaub zu sagen ...« Er brach ab.

»Heraus damit«, sagte das Mädchen.

»Also«, sagte er und holte tief Luft, »ich würde sagen, Doc, ich sehe Sie im Licht der Ewigkeit, und Sie sind tot. Das ist das Wesentliche an dieser kranken, morbiden Vision. Ich will sie nicht; ich habe nicht um sie gebeten.«

Das Mädchen hängte sich bei ihm ein.

»Ich habe es noch nie jemandem erzählt«, sagte Jack, »nicht einmal Silvia, meiner Frau, oder meinem Sohn David. Wissen Sie, ich beobachte ihn; ich schaue jeden Tag nach, um sicher zu sein, daß es sich bei ihm nicht auch zeigt. Dieses Zeug vererbt sich ja so leicht, wie bei den Steiners. Bis Glaub es vorhin erwähnte, wußte ich gar nicht, daß sie einen Jungen in B-G haben. Und sie sind schon seit vielen Jahren unsere Nachbarn. Steiner hat nie auch nur ein Sterbenswörtchen erwähnt.«

Doreen sagte: »Sie erwarten von uns, daß wir zum Abendessen ins Willows zurückkehren. Wollen Sie das? Ich halte die Idee für gut. Wissen Sie, Sie müssen Arnies Team nicht beitreten; Sie können bei Mr. Yee bleiben. Sie haben wirklich einen hübschen Hubschrauber. Sie brauchen das nicht alles aufzugeben, nur weil Arnie beschließt, daß er Verwendung für Sie hat; vielleicht haben Sie ja keine Verwendung für ihn.«

Er zuckte die Achseln und sagte: »Es ist eine interessante Herausforderung, einen Kommunikationskanal zwischen einem autistischen Kind und unserer Welt zu bauen. Ich finde, was Arnie sagte, hat eine Menge für sich. Ich könnte der Vermittler sein -ich könnte eine nützliche Aufgabe erfüllen.« Im Grunde, fand er, spielte es keine Rolle, warum Arnie den SteinerJungen herausholen wollte. Wahrscheinlich hatte er ein handfestes eigennütziges Motiv, etwas, das in kalter, harter Münze Profit abwarf. Es konnte ihm nicht gleichgültiger sein.

Eigentlich wäre sogar beides drin, wurde ihm klar. Mr. Yee kann mich an die Kanalarbeitergilde vermieten; ich würde von Mr. Yee bezahlt, und er bekäme sein Geld von Arnie. Alle wären glücklich, und warum auch nicht? Das kaputte, falsch funktionierende Gehirn eines Kindes zu reparieren war gewiß verdienstvoller, als an Kühlschränken und Chiffrierern herumzubasteln; wenn das Kind unter den gleichen Vision leidet, die ich kenne

Er wußte von der Zeittheorie, die Glaub als seine eigene ausgegeben hatte. Er hatte darüber in Spektrum der Wissenschaft gelesen; er las natürlich alles über Schizophrenie, was er in die Finger bekommen konnte. Er wußte, daß die Theorie ihren Ursprung in der Schweiz hatte, daß sie nicht eine Erfindung von Glaub war. Was für eine merkwürdige Theorie, dachte er bei sich. Und doch klingt sie ganz wahrscheinlich.

»Gehen wir ins Willows zurück«, sagte er. Er war hungrig, und es würde sicher ein tolles Essen geben.

Doreen sagte: »Sie sind mutig, Jack Bohlen.«

»Weshalb?« fragte er.

»Weil Sie an den Ort zurückkehren, an dem Sie Probleme hatten, zu denselben Leuten, die Ihre Vision von der - wie Sie sich ausdrückten - Ewigkeit beschworen. Ich brächte das nicht fertig, ich würde fliehen.«

»Aber«, sagte er, »das ist es ja gerade; man soll eigentlich fliehen - die Vision verfolgt einzig und allein den Zweck, die Beziehung zu anderen Leuten aufzuheben, einen zu isolieren. Wenn das Erfolg hat, dann ist es aus mit dem Leben unter Menschen. Das meinen sie damit, wenn sie sagen, die Bezeichnung Schizophrenie sei keine Diagnose; sie sei eine Prognose -sie sagt nichts darüber aus, was man hat, sondern nur darüber, wie man enden wird.« Und ich werde nicht so enden, sagte er sich. Wie Manfred Steiner, stumm in einer Anstalt; ich will meinen Job behalten, meine Frau und meinen Sohn, meine Freundschaften - er warf einen Blick auf das Mädchen, das ihn untergehakt hielt. Ja, und auch meine Affären, wenn sich welche ergeben.

Ich will es weiter versuchen.

Als er beim Dahinschlendern die Hände in die Taschen schob, berührte er dabei etwas Kleines, Kaltes, Hartes; erstaunt zog er es hervor und sah, daß es ein verschrumpelter Gegenstand war, eine Art Baumwurzel.

»Was, in aller Welt, ist das?« fragte ihn Doreen.

Es war die Wasserhexe, die ihm die Bleichmänner am Morgen draußen in der Wüste geschenkt hatten; er hatte sie völlig vergessen.

»Ein Glücksbringer«, sagte Jack zu dem Mädchen.

Schaudernd sagte sie: »Der ist ja mordshäßlich.«

»Mag sein«, stimmte er zu, »aber wohlmeinend. Und wir haben nun mal dieses Problem, wir Schizophrenen; wir erfassen die unbewußte Feindseligkeit anderer.«

»Ich weiß. Der Faktor Telepathie. Bei Clay wurde er immer schlimmer, bis ...« Sie warf ihm einen Blick zu. »Das paranoide Ende.«

»Das ist das Schlimmste an unserer Veranlagung, dieses Bewußtsein um den verschütteten, verdrängten Sadismus und die Aggression anderer um uns herum, selbst bei Fremden. Ich wünschte bei Gott, daß wir das nicht hätten; wir kriegen es sogar bei Leuten im Restaurant mit ...« Er dachte an Glaub. »In Bussen, im Theater. In der Menge.«

Doreen sagte: »Haben Sie eine Ahnung, was Arnie durch den Steiner-Jungen herausfinden will?«

»Nun, diese Theorie über Präkognition ...«

»Aber was will Arnie über die Zukunft erfahren? Sie haben keinen blassen Dunst, oder? Und Ihnen käme auch nie in den Sinn, es wissen zu wollen.«

Das stimmte. Er war nicht einmal neugierig.

»Ihnen genügt es«, sagte sie langsam und sah ihn scharf an, »nur Ihre technische Aufgabe zu erfüllen und die nötige Apparatur zusammenzubasteln. Das ist nicht richtig, Jack Bohlen; das ist kein gutes Zeichen.«

»Oh«, sagte er. Er nickte. »Das ist wohl sehr schizophren ... sich mit einer rein technischen Beziehung zufriedenzugeben.«

»Wollen Sie Arnie fragen?«

Er fühlte sich unbehaglich. »Das ist seine Sache, nicht meine. Der Job ist interessant, und ich mag Arnie, ich ziehe ihn Mr. Yee vor. Ich ... ich mische mich nur nicht gern ein. So bin ich nun mal.«

»Ich denke, Sie haben Angst. Aber ich verstehe nicht, warum. Sie sind mutig, und irgendwo tief drin haben Sie doch schreckliche Angst.«

»Möglich«, sagte er mit einem Gefühl von Traurigkeit.

Gemeinsam gingen sie ins Willows zurück.

*

Nachts, als alle gegangen waren. Auch Doreen Anderton; Arnie saß allein in seinem Wohnzimmer und rieb sich die Hände. Das war vielleicht ein Tag gewesen.

Ein prima Mechaniker war ihm auf den Leim gegangen, der schon seinen unschätzbaren Chiffrierer wieder in Schuß gebracht hatte und ihm jetzt noch einen elektronischen Zauberkasten baute, mit dem er die präkognitiven Fähigkeiten eines autistischen Kindes anzapfen konnte.

Er hatte die erforderlichen Informationen zum Nulltarif aus einem Psychiater herausgeholt und es dann sogar geschafft, den Psychiater abzuwimmeln.

Es war also alles in allem ein ungewöhnlicher Tag gewesen. Blieben nur zwei Probleme: Sein Cembalo war noch immer verstimmt, und - welches war noch gleich das andere? Es war ihm entfallen. Er grübelte vor dem Fernseher nach und sah sich dabei die Kämpfe in America the Beautiful an, der US-Kolonie auf dem Mars.

Dann fiel es ihm wieder ein. Norb Steiners Tod. Seine Quelle für Leckerbissen war versiegt.

»Das kriege ich auch noch hin«, sagte Arnie laut. Er schaltete den Fernseher ab und holte seinen Chiffrierer hervor; davor sitzend, das Mikrofon in der Hand, gab er eine Nachricht auf. Sie war an Scott Temple gerichtet, mit dem er schon viele wichtige Geschäfte getätigt hatte; Temple war ein Vetter von Ed Rockingham und jemand, den man unbedingt kennen sollte - durch eine Chartervereinbarung mit der UN hatte er es fertiggebracht, die Kontrolle über die Mehrzahl der auf dem Mars eintreffenden medizinischen Lieferungen zu erlangen, und das summierte sich zu einem wahrhaft phantastischen Monopol!

Die Chiffriertrommeln drehten sich ermutigend.

»Scott!« sagte Arnie, »wie geht's? He, du kennst doch diesen armen Burschen Norb Steiner? Ein Jammer, ich meine, sein Tod und das alles. Ich hab gehört, er soll geistig du-weißt-schon-was gewesen sein. Wie wir alle.« Arnie lachte darüber lang und rauh. »Na, jedenfalls stellt uns das vor ein kleines Problem - ich meine, was die Beschaffung angeht. Stimmt's? Also hör zu, Scott, altes Haus. Das möchte ich gern mit dir besprechen. Ich bin zu Hause. Verstehst du? Komm doch in ein, zwei Tagen hier vorbei, damit wir es genau durchgehen können. Ich finde, die Sachen, die Steiner benutzt hat, sollten wir vergessen; wir fangen neu an, legen uns irgendwo weit draußen unser eigenes kleines Landefeld zu, unsere eigenen Zubringerraketen, was immer wir sonst noch brauchen. Sorgen dafür, daß wir weiter diese geräucherten Austern bekommen, wie sich's gehört.« Er schaltete die Maschine ab und dachte nach, ob er etwas vergessen hatte. Nein, es war alles gesagt; zwischen ihm und einem Mann wie Scott Temple brauchte nicht mehr gesagt zu werden; die Angelegenheit war klar. »Okay, Scotty, mein Junge«, sagte er. »Ich erwarte dich also hier.«

Als er die Spule abgenommen hatte, kam ihm der Gedanke, daß er sie noch einmal abspielen sollte, nur um sicherzugehen, daß sie auch chiffriert worden war. Lieber Gott, eine Katastrophe, wenn durch irgendeinen dummen Zufall alles im Klartext herauskäme!

Aber sie war chiffriert worden, und zwar aufs Feinste: Die Maschine hatte aus den semantischen Einheiten eine katzenmusikartige Parodie zeitgenössischer elektronischer Musik gemacht. Als Arnie das Pfeifen, Knurren, Fiepen, Tuten und Summen hörte, lachte er, bis ihm Tränen über die Wangen liefen; er mußte ins Bad gehen und sich kaltes Wasser ins Gesicht klatschen, um aufhören zu können.

Dann, wieder am Chiffrierer, kennzeichnete er vorsichtig die Schachtel, in die er die Spule gelegt hatte:

Gesang des Windgeistes. Eine Kantate von Karl William Dittershand

Dieser Komponist, Karl William Dittershand, war zur Zeit der erklärte Liebling unter den Intellektuellen auf der Erde, und Arnie verabscheute dessen sogenannte elektronische >Musik<; er selber war Purist: Für seinen Geschmack hörte es nach Brahms schlagartig auf. Arnie freute sich diebisch - seine chiffrierte Nachricht mit einer Bezeichnung zu versehen, die seinen und Scotts Einstieg in den Schwarzmarktimport von Lebensmitteln als Kantate von Dittershand ausgab! - und rief dann einen Gildebruder an, der die Spule in den Norden nach Nova Britannica bringen sollte, der englischen Kolonie auf dem Mars.

Damit beschloß Arnie um acht Uhr dreißig abends seine Tagesgeschäfte und kehrte zu seinem Fernseher zurück, um das Ende der Kämpfe zu verfolgen. Er zündete sich noch eine ultraleichte Optimo Admiral an, lehnte sich zurück, ließ einen fahren und entspannte sich.

Ich wünschte, alle Tage wären wie dieser, sagte er sich. Wenn sie es wären, könnte ich ewig leben; solche Tage machten ihn jünger, nicht älter. Er fühlte sich, als sähe er wieder die Vierzig auf sich zukommen.

Man stelle sich vor: ich auf dem Schwarzmarkt, malte er sich aus. Und alles wegen dieses Kleinkrams, diesen kleinen Dosen mit Marmelade von wilden Brombeeren und Scheiben mariniertem Aal und Lachs. Aber auch das war lebenswichtig; besonders für ihn. Niemand raubt mir die kleinen Freuden des Alltags, dachte er grimmig. Wenn dieser Steiner gedacht hat, er könnte mir durch seinen Selbstmord vorenthalten, wonach ich mich sehne ...

»Na los!« feuerte er den farbigen Jungen an, der im Fernsehen Prügel bezog. »Komm hoch, du Lump, gib's ihm!«

Als hätte er ihn gehört, rappelte der schwarze Kämpfer sich wieder auf, und Arnie Kott kicherte schrill und aufs höchste erfreut.

*

Jack Bohlen saß am Fenster des kleinen Hotelzimmers, in dem er traditionsgemäß immer die Wochenendnächte verbrachte, wenn er in Bunchewood Park Dienst hatte, rauchte eine Zigarette und dachte nach.

Es war wieder da, nach all diesen Jahren, das, was er am meisten fürchtete; er mußte sich ihm stellen. Jetzt war es keine ängstliche Erwartung mehr, es war Realität. Himmel, dachte er elend, sie haben recht - wenn man es erst einmal hat, kriegt man es nie mehr weg. Der Besuch in der Public School hatte den Boden bereitet, und im Willows war es dann wieder aufgetreten und hatte ihn umgehauen, so unverändert und mit voller Wucht, als wäre er wieder zwanzig, drüben auf der Erde, als arbeitete er wieder für die Corona Corporation in Redwood City.

Und ich weiß, dachte er, daß Norbert Steiners Tod damit zu tun hat. Ein Todesfall regt jeden auf und bringt ihn dazu, merkwürdige Dinge zu tun; er setzt strahlenartig einen Prozeß von Handlungen und Gefühlen in Gang, der sich seinen Weg ins Freie bahnt, weiter und weiter, und dabei immer mehr Menschen und Dinge umfaßt.

Ich rufe besser Silvia an, dachte er, um zu hören, wie sie mit Frau Steiner und den Kindern klarkommt.

Aber er schrak davor zurück. Ich kann ja doch nicht helfen, sagte er sich. Ich muß hier in der Stadt, wo mich Mr. Yees Telefonzentrale erreichen kann, rund um die Uhr abrufbereit sein. Und jetzt mußte er auch noch Arnie Kott in Lewistown zur Verfügung stehen.

Allerdings war er dafür entschädigt worden. Auf zarte, tiefe, besinnliche und äußerst ermunternde Weise entschädigt worden. In seiner Brieftasche hatte er Doreen Andertons Adresse und Telefonnummer.

Sollte er sie heute abend anrufen? Man stelle sich vor, dachte er, jemanden zu finden, und dann noch eine Frau, mit der er ungezwungen reden konnte, die seinen Zustand verstand, die wirklich mehr darüber erfahren wollte und keine Angst hatte.

Das half sehr.

Seine Frau war die letzte auf der Welt, mit der er über seine Schizophrenie reden konnte; bei den paar Malen, die er es versucht hatte, war sie vor Angst fast zusammengebrochen. Wie allen anderen graute es Silvia bei der Vorstellung, daß die Krankheit auch in ihr Leben einbrechen könnte; sie selbst wendete das durch das Zaubermittel der Drogen ab ... als ob Luminal den universellsten, verhängnisvollsten psychischen Prozeß, der der Menschheit bekannt war, aufhalten könnte. Der Himmel mochte wissen, wie viele Pillen er selbst in den vergangenen zehn Jahren geschluckt hatte, sicher genug, um damit eine Straße von seinem Haus bis zu diesem Hotel - und vielleicht sogar wieder zurück - zu pflastern.

Nach kurzer Überlegung beschloß er, Doreen nicht anzurufen. Besser, er sparte sich das als Ausweg auf, wenn die Wogen besonders hoch schlugen. Im Augenblick fühlte er sich eigentlich ganz gut. Später würde immer noch genug Zeit bleiben, und einen Anlaß gäbe es sicher auch, um Doreen Anderton wieder aufzusuchen.

Selbstverständlich mußte er unglaublich vorsichtig sein; Doreen war offenbar Arnie Kotts Geliebte. Aber sie schien zu wissen, was sie tat, und kannte Arnie genau; sie hatte ihn gewiß einkalkuliert, als sie ihre Telefonnummer und Adresse herausgab, und auch, als sie aufgestanden war und das Restaurant verlassen hatte.

Ich vertraue ihr, sagte sich Jack. Und bei jemandem, der anfallsweise an Schizophrenie leidet, will das schon etwas heißen.

Nachdenklich drückte Jack Bohlen seine Zigarette aus, dann ging er seinen Schlafanzug holen und machte sich bettfertig.

Er war gerade unter die Bettdecke gekrochen, als das Telefon in seinem Zimmer schrillte. Ein Auftrag, dachte er, und sprang unwillkürlich auf, um ihn entgegenzunehmen.

Aber das war es nicht. Eine Frauenstimme flüsterte in sein Ohr: »Jack?«

»Ja«, sagte er.

»Hier ist Doreen. Ich hab mich bloß gefragt - ob mit Ihnen alles in Ordnung ist.«

»Mir geht es gut«, sagte er und setzte sich auf die Bettkante.

»Möchten Sie heute nacht nicht herkommen? Zu mir?«

Er zögerte. »Ahem«, sagte er.

»Wir könnten Schallplatten hören und miteinander reden. Arnie hat mir viele alte Stereo-LPs aus seiner Sammlung geliehen ... einige sind fürchterlich verkratzt, aber manche ganz großartig. Er ist ein großer Sammler, wissen Sie; er hat die größte Bach-Sammlung auf dem Mars. Und Sie haben sicher sein Cembalo gesehen.«

Das war es also gewesen, was da in Arnies Wohnzimmer stand.

»Sind wir ungestört?« fragte er.

»Ja. Machen Sie sich wegen Arnie keine Sorgen; er ist nicht besitzergreifend, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Jack sagte: »Okay. Ich komm rüber.« Und dann fiel ihm ein, daß das gar nicht ging, weil er für KundendienstAnrufe erreichbar sein mußte. Es sei denn, er konnte sie auf ihr Telefon durchstellen.

»Kein Problem«, sagte sie, als er ihr das erklärte. »Ich ruf Arnie an und erzähl's ihm.«

Verblüfft sagte er: »Aber ...«

»Jack, Sie sind nicht recht bei Trost, wenn Sie glauben, daß wir es anders machen könnten - Arnie weiß über alles Bescheid, was in der Siedlung vor sich geht. Überlassen Sie das mir, mein Lieber. Ich ruf ihn sofort an. Und Sie kommen gleich rüber. Wenn hier irgendwelche Anrufe eingehen, während Sie unterwegs sind, notiere ich sie, aber ich glaube nicht, daß welche kommen werden; Arnie will schließlich nicht, daß Sie draußen die Toaster von wildfremden Menschen reparieren, er will Sie für seine eigenen Sachen, für diese Maschine, mit der man sich mit dem Steiner-Jungen unterhalten kann.«

»Okay«, sagte er. »Ich komm rüber. Bis dann.« Er legte den Hörer auf.

Zehn Minuten später war er unterwegs, flog mit seinem hellen, glänzenden Reparaturschiff der Yee Company durch den Nachthimmel des Mars nach Lewistown und zu Arnie Kotts Geliebter.

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