Sonnabend, 31. 3. 90


Lieber Jo!

In den letzten Tagen haben sich die Ereignisse überschlagen, und ich gäbe einiges darum zu wissen, wie es um uns bestellt sein wird, wenn Du diese Zeilen liest.

Am Freitag saßen wir zusammen, Georg, Jörg, Marion und ich. Es war zu entscheiden, ob wir den Artikel unserer Umweltbibliothek bringen. Es geht nicht um Altenburg, sondern um Neustadt an der Orla, wo man Mitte der Siebziger in den schönsten Thüringer Wald eine Mastanlage für zweihunderttausend Schweine gebaut hat. Die Kinder in der Umgebung bekamen Erstickungsanfälle, im Brunnenwasser waren Grenzwerte um das Zehnfache überschritten, die Dörfer erhielten ihr Wasser nur noch aus Tankwagen und dergleichen mehr. Jetzt will sich unser Anzeigenkunde Pipping-Fenster dort einkaufen. Der springende Punkt ist, daß sie die Betriebsleitung der Schweinemast übernehmen wollen. Die aber gehörte zu Schalck-Golodkowski. Achtzig Prozent der Schweine waren für den Export bestimmt. Eine Umweltschützerin hat deshalb einen offenen Brief an Herrn Pipping geschrieben, weshalb einige der darin erwähnten Genossen nun gegen sie klagen. Du wirst es ja lesen.

Georg, der sonst immer alles akribisch protokolliert, saß da mit Wurzelfalten zwischen den Augenbrauen, die Ellbogen aufgestützt, Mund und Nase hinter den Händen in Deckung, und beobachtete Jörg, der den Artikel vorlas. Wenn wir den Artikel bringen, werden wir den Altenburger Ableger von Pipping-Fenster als Kunden verlieren — verlieren bedeutet bei zweispaltig/sechzig und wöchentlicher Schaltung (Jahresvertrag), 50 Prozent Aufschlag letzte Seite immerhin 10 870 Mark, mehr als die Hälfte davon in D-Mark. Und dabei können wir weder die Stichhaltigkeit des Artikels prüfen noch die juristischen Folgen einer Veröffentlichung abschätzen. Wir gehen jemanden frontal an, allein im Vertrauen auf die Umweltleute. Andererseits gibt es niemanden, dem wir mehr Glauben schenken als Anna, der Jeanne d’Arc des letzten Herbstes. Die anderen Zeitungen wiegeln ab. Das Für und Wider hielt sich die Waage. Irgendwann aber ließ sich Georgs Schweigen nicht länger ignorieren.

«Ich will euch vorschlagen«, sagte Georg lächelnd und zog dabei die Schultern hoch,»die Zeitung zu beenden. «Seine Stirn furchte und glättete sich im schnellen Wechsel, während er weitersprach. Bis zu den Kommunalwahlen135 sollten wir durchhalten, danach sei unsere Aufgabe erfüllt.

Von einem Augenblick auf den anderen ertrug ich sein Lächeln nicht mehr. Ich verachtete ihn. Da gab es nichts mehr abzuwägen. Er wollte uns brotlos machen und aus dieser Stube vertreiben, in die er uns ja überhaupt erst mit seinen Versprechungen geholt hatte! Ich verachtete ihn wegen seines Hochmuts, ein Hochmut, der im Hader mit der Welt liegt, weil sie ist, wie sie ist, der irgendwelchen Ideen, dem Eigentlichen, dem Philosophischen nachjagt, anstatt im Alltag zu bestehen. Alle seine Eigenheiten, die ich teils bewundert, teils nur geachtet hatte — seine bedachtsame Genauigkeit, seine Aufrichtigkeit, seine Zweifel und sein selbstquälerisches Unvermögen, ein paar normale Sätze zu verfassen —, all das erschien mir auf einmal kindisch und verachtenswert, weil er vor sich selbst kapitulierte, weil er nicht mehr bereit war, mit sich selbst zu kämpfen, weil er, um es mit einem Wort zu sagen, verantwortungslos handelte.

«Und was sollen wir machen?«fragte Jörg so ruhig und freundlich wie ein Radiomoderator.

Georg, ich weiß nicht, was er erwartet hatte, schien es zu quälen, mehr sagen zu müssen, als er offenbar vorbereitet hatte.

«Wir haben versagt«, wiederholte er,»wir haben unseren Auftrag nicht ernst genug genommen.«

Jörg wollte wissen, welchen Auftrag er meine. Das sei doch wohl jedem von uns klar, fuhr Georg auf und sah mich zum ersten Mal an.

Ich bat ihn, auf Jörgs Frage zu antworten, schließlich hätten wir alle die Brücken hinter uns verbrannt136.

«Die Welt steht uns offen!«sagte Georg.»Vergeßt das nicht!«

Jörg hatte sich zurückgelehnt und drückte immer wieder einen Finger auf die Spitze seines Bleistifts, als spielte er Mikado. Marion sprach im Sinne Georgs, ja, sie gab ihm in allem recht, zog daraus allerdings den Schluß, es von nun an anders und besser zu machen.

Danach schwiegen wir wieder.

Als von draußen Schritte zu vernehmen waren, verharrten Jörg und Georg weiter reglos. Ich hörte ein resignierendes Lachen von Ilona, die Order hatte, uns abzuschirmen. Dann trat der Baron ein, unsere letzte Ausgabe in der Hand. Ob wir schon lange auf ihn gewartet hätten. Er entschuldigte sich und legte ab. Ilona brachte frisches Wasser für den Wolf.

Georg versteinerte regelrecht. Jörg bat Barrista, uns allein zu lassen, die Zukunft der Zeitung stehe auf dem Spiel. Dann war nur noch das Schlabbern des Wolfs zu hören, und selbst das, als hätte die Stille das Tier irritiert, setzte schließlich aus.

Höchst bedauerlich, begann Barrista. Das hätte man ihm eher mitteilen sollen. Auf dem Plan zur Vorbereitung des Besuches Seiner Hoheit, der uns ja in dreifacher Ausfertigung vorläge, sei für heute die erste Besprechung angesetzt. Er habe die Grußbotschaft dabei und den handschriftlichen Brief des Erbprinzen an uns. Höchst bedauerlich, unter diesen Umständen bleibe ihm wohl nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben, höchst bedauerlich auch deshalb, weil die Anzahl der Zuschriften auf seine Anzeige seine Erwartungen bei weitem übertroffen habe, was nichts anderes bedeute, als daß unser Blättchen tatsächlich gelesen werde und für Geschäftsleute ungemein interessant sei.

Ilona stand mit blutleerem Gesicht am Ofen.»Das könnt ihr doch nicht machen, heij?«Flehentlich wanderte ihr Blick von einem zum anderen.»Ich hab nicht mal einen Arbeitsvertrag …«Sie schluchzte auf.

Man möge ihn umgehend von unserer Entscheidung unterrichten, fuhr der Baron ungerührt fort, denn der Besuch des Erbprinzen dürfe keinesfalls gefährdet werden. Er führte Ilona hinaus, der Wolf trabte ihnen nach, die Tür blieb angelehnt, so daß man Barristas Tröstungsversuche hörte, die wie der englische Singsang am Abend unserer ersten Begegnung klangen.

«Wir machen weiter«, sagte Jörg an Marion gewandt. Und dann zu mir:»Stimmt’s, Enrico, wir machen weiter? Auf jeden Fall machen wir weiter!«

Dann wandte sich Jörg an Georg und fragte ihn fürsorglich wie einen Kranken, wie lange er uns noch das Recht einräume, in seinem Haus zu bleiben, ob Georg einverstanden sei, uns bis Anfang oder Mitte Mai Zuflucht zu gewähren, vorausgesetzt, wir fänden nicht eher etwas, ob Georg — Jörg nannte ihn häufiger als nötig beim Namen — die Miete auf dem bisherigen Niveau belassen könne und ob Georg einen Vorschlag habe, wie wir mit den Telephonkosten verfahren sollten. Georg ließ eine Reihe von» selbstverständlich, selbstverständlich «vernehmen. Jörg schlug vor, Georg bis einschließlich Juli zu bezahlen, also ein Gehalt in D-Mark, ob ihm das reiche für die Übergangszeit.

Selbstverständlich, das sei sehr großzügig, sagte Georg, das müsse aber nicht sein. Ich denke schon, sagte Jörg. Ob wir bis Monatsende auf ihn zählen könnten. Selbstverständlichselbstverständlich! Er, Jörg, schlage vor, den Artikel über die Schweinemast zu veröffentlichen.

Ich fand es dann zuviel des Guten, als Georg und Jörg einander über den Tisch hinweg die Hände reichten und Georg auch Marion und mir die Hand hinhielt. Mit glänzenden Augen ging er ab. Im nächsten Augenblick stand Ilona vor uns. Hinter ihr erschien Fred.

«Setzt euch«, sagte Jörg. In diesen zwei Worten, in diesem simplen» Setzt euch «lagen Leichtigkeit und Autorität, die Jörg als geborenen Chef auswiesen. Endlich konnte er reden, wie er wollte.

Ein paar Sätze später sprang Ilona vom Stuhl auf und klatschte in die Hände. Fred konnte das Lächeln nicht länger unterdrücken. Man mußte ihnen nicht viel erklären. Das Desaster war kein Desaster. Nur hatte niemand gewagt, so zu denken.

Drei Artikel, rief Ilona und hielt drei Finger hoch, drei Artikelchen habe Georg in all den Wochen zustande gebracht, drei Stück! Fred brummte, er kenne genügend Geschäftsleute, von denen wir Werbung bekommen könnten, wenn wir nur wollten.

Plötzlich stand der Baron wieder auf der Schwelle. Wie man sich denn entschieden habe? Vom ersten Satz an fixierte er ausschließlich mich, als sei ausgerechnet ich für all das verantwortlich. Er hoffe doch sehr, daß ihm in Zukunft solche Kindereien erspart blieben. Er sei es gewohnt, sich auf seine Geschäftspartner zu verlassen. Es nütze ja nichts, einen Plan zu beschließen, an den sich dann keiner halte. Als Jörg etwas einwenden wollte, sah er ihn nicht mal an. Erst als ich sagte, von nun an sei weder eine Irritation dieser Art noch irgendeine Verzögerung mehr zu befürchten, gab er sich zufrieden.

Genau das habe er erwartet zu hören. Der Baron versprach seinerseits, mich nicht zu enttäuschen, und entnahm seiner Collegemappe vier Päckchen, die er mit den Worten verteilte, wir hätten ja alle Kinder, die sich über einen verfrühten Osterhasen freuen würden.137 Den allgemeinen Dank überging er und fuhr geradezu ungehalten fort, wie fern es ihm liege, uns weiter vom Arbeiten abzuhalten, er bitte jedoch darum, den Raum ohne Schulden verlassen zu dürfen. Als kleine Unterstützung der Zeitung — und in der Hoffnung auf eine wirkungsvolle Plazierung — wolle er in D-Mark bezahlen, das sei uns hoffentlich recht.

Kaum hatte er diesen Satz beendet, klingelte das Telephon, das bisher wundersamerweise geschwiegen hatte. Auch aus dem Hausflur kamen Stimmen. Im Handumdrehen waren wir alle beschäftigt, und als ich mich nach dem Baron umsah, war er verschwunden. Vor mir lag der genaue Betrag.138

Als ich nachmittags von meiner Landtour zurückkehrte, saß Marion an der Maschine.»Da kommen Sie ja!«rief sie freudig. In Zukunft möchte sie anstelle von Georg Artikel schreiben und mich dadurch entlasten.

Darauf beging ich den Fehler, ihr das Du anzubieten. Ihre Züge erstarrten, ihr Blick irrte umher.»Warum nicht«, sagte sie schließlich und reichte mir die Hand.»Marion.«

«Enrico«, sagte ich und verstummte. Gott sei Dank klingelte das Telephon.»Unser besonderer Freund«, flüsterte sie und hielt mir den Hörer hin.

So aufgelöst hatte ich den Baron noch nie erlebt. Man habe ihm das Zimmer im» Wenzel «gestrichen, er wolle sich nicht erneut aufregen, sondern mich schlicht fragen, ob ich vielleicht wisse, wo er eine Nacht bleiben könne, danach habe er etwas, nur eine Nacht! Ich lud ihn ein, bei uns zu schlafen.

Als der Baron gegen halb zehn klingelte, war die Vorfreude schon verflogen. Robert und ich waren kurz vor sieben in die Kaufhalle eingefallen. Robert freute sich auf den Baron und den Wolf, dachte beim Einkaufen an die Gurken, die Barrista beim letzten Mal so gemundet hatten, und an Hundekuchen. Als wäre Weihnachten, machten wir Kartoffelsalat. Michaela hatte Vorstellung, die» Schöne Helena «von Hacks, das Stück war bereits abgesetzt, da es sich aber im Ensemble großer Beliebtheit erfreut — jeder Idiot darf mitspielen —, leiern sie es noch ein paarmal durch.

Um neun hatten wir dann angefangen zu essen, so daß die hartgekochten und mit Kringeln aus Anchovispaste verzierten Eier schon fehlten, auch Wurstteller und Kartoffelsalat zeigten deutliche Lücken, nur die beiden kleinen Sonnen aus Apfelscheiben, die Robert auf Untertassen hergerichtet hatte, strahlten unversehrt, wenn auch angedunkelt.

Wäre es nach Robert gegangen, hätte ich ununterbrochen von Georg und» dem Herrn von Barrista «erzählen müssen.

Als endlich der Blumenstrauß und hinter ihm Barrista erschienen — Blumenstrauß ist kaum die richtige Bezeichnung für diesen Urwaldbusch —, belebten sich alle Erwartungen auf einen Schlag. Unsere Vasen waren zu klein, die ganze Wohnung wurde zur Puppenstube.

Der Baron spannte Robert nicht lange auf die Folter und überreichte ihm die neue» Bravo «und — Robert jubelte — eine Baseballmütze, deren zwei ineinander verschränkte Buchstaben ich zunächst für Knöchelchen hielt.139

Als Robert nach dem Wolf fragte, unterzog er ihn einer kleinen Mutprobe, indem er ihm den Autoschlüssel hinhielt. Er könne Astrid gern befreien.

«Wenn Sie Geld brauchen«, sagte der Baron, sobald wir allein waren,»dann haben Sie keine Skrupel, mich zu fragen. Ich kann Ihnen nur raten, kaufen Sie gleich!«

Ahnst Du, was er meinte? Bis dahin hatte ich mir nicht einmal selbst eingestanden, was er offen aussprach. Ja, ich hoffte, gleichberechtigt neben Jörg an Georgs Stelle treten zu dürfen. Ich fragte, wieviel ich denn zu zahlen hätte. Die Summe sei nicht das Problem, da sei fast jede gerechtfertigt, sagte er. Ich müsse herausfinden, ob Georg überhaupt bereit sei, seinen Anteil herauszurücken.140 Sollte Georg zwanzigtausend oder mehr verlangen, zwanzigtausend D-Mark wohlgemerkt, rate er mir, eine Bedenkzeit zu erbitten, das dämpfe die Spekulationslust. Die Schröders, also Jörg und Marion, hätten diese Summe ja ebenfalls nicht parat. Zwanzigtausend D-Mark aber stünden jederzeit für mich bereit, zurückzahlen könnte ich ihm das ganz sicher schon im Herbst, die Zinsen sollten der Inflationsrate entsprechen.»Tun Sie es, und wenn es für Ihren Jungen ist!«schloß er, als wir Robert an der Tür hörten. Astrid trabte herein.

Barrista ist kein Typ, dem man um den Hals fällt. Aber bei ihm scheinen meine Wünsche und Sehnsüchte in besseren Händen zu sein als bei mir. Als würde er mich fortwährend aus einer Art Betäubung rütteln und fragen: Warum sitzen Sie denn am Kindertisch? Kommen Sie doch herüber, zu mir, zu den Erwachsenen!

Der Baron bedankte sich bei Robert, wobei er ihn siezte und den gedeckten Tisch überschwenglich lobte. Ich sagte, daß er zu Robert bestimmt noch du sagen dürfe. Wenn das stimme, wandte sich der Baron an ihn, nehme er das gerne an, müsse jedoch darauf bestehen, von ihm dann Clemens genannt zu werden, und natürlich auch du. Wennschon — dennschon. Sonst lasse er sich nicht darauf ein.

Ich flüsterte ihm bei nächster Gelegenheit zu, weder Georg noch Jörg hätten von Geld gesprochen, doch er lächelte und zischelte, daß man darüber auch nicht rede.141 Dann legte er wie schon bei seinem ersten Besuch einen gesegneten Appetit an den Tag, nickte mit vollem Mund, als ich anbot, die restlichen Würstchen warm zu machen, und fachsimpelte mit Robert über Musik. Aus seiner Collegemappe beförderte er ein paar CDs und lächelte, weil Robert im Gegensatz zu mir wußte, wie man sie in die Hand nehmen muß, um sie problemlos zu öffnen.142

In Gegenwart des Barons erschien mir Robert ungeheuer reif. Außerdem beherzigte Robert all das, was Michaela ihm immer predigte, ja er saß so aufrecht da, daß es fast lächerlich wirkte.

Robert wollte wissen, wo der Baron wohne —»Mal hier, mal da «war die Antwort. Seit der Scheidung seien seine Utensilien bei seiner Mutter untergestellt, und er lebe in möblierten Zimmern überall in der Republik. Mit Republik meinte er die Bundesrepublik. Sein Sohn sei vierzehn143, zudem heiße er auch Robert und sehe unserem Robert sogar ähnlich. Er zog aus seiner Mappe ein Kuvert mit Photos. Er hatte recht.

Roberts Fragen wurden immer detaillierter, wo er Weihnachten verbringe, wohin er in Urlaub fahre, was seine Hobbys seien? Und jedesmal antwortete der Baron mit Engelsgeduld und sehr freimütig.

Er erklärte uns wieder, außer sich selbst niemanden zu kennen, der den Beruf des Unternehmensberaters so interpretiere wie er, nämlich im Zweifelsfalle Anteile zu übernehmen, zu investieren, weil er keine Probleme damit habe, das Risiko für seine Entscheidungen mitzutragen — vorausgesetzt, man befolge seine Vorgaben.»Eigentlich«, sagte der Baron, ohne den Blick von Robert zu wenden,»geht es um Vertrauen. Und da viel zu viele heute nicht einmal mehr dem Wort eines Ehrenmannes vertrauen, muß ich ihnen halt etwas von ihrem schönen Gewinn nehmen. «Er kaute hastig eine Gurke und fuhr fort.»Bis jetzt haben es alle bereut, die mich mit Anteilen bezahlt haben. Das hätten sie alles billiger haben können, viel billiger.«

Und nach einer weiteren Gurke faßte er zusammen:»Ich mache aus Ideen Geld, um Geld für meine Ideen zu haben.«

Was das bedeute, aus Ideen Geld zu machen, und ob er ihm denn eine Idee verraten könne.

«Und wer sagt mir«, entgegnete der Baron,»daß du sie dann nicht nimmst und einen Haufen Geld verdienst und ich guck in die Röhre?«

«Weil ich es dir verspreche«, sagte Robert, als wäre er gewohnt, solche Unterhaltungen zu führen.

«Ich lese das Wochenblatt sehr genau«, begann Barrista. In der letzten Ausgabe habe er gleich zwei Artikel gefunden, die ihn sofort auf Ideen gebracht hätten. Ob Robert sich vorstellen könne, welche das gewesen seien, er habe doch selbst die Zeitungen verkauft. Robert sah mich an, ich zuckte mit den Schultern. Der Baron meinte die Kommission, die bis Juni die neuen Straßennamen vergeben soll.»Na? Macht es Klick?«

Robert errötete.

«Was macht ein Geschäftsmann als erstes, wenn er nach Altenburg kommt?«

«Er geht ins Hotel«, sagte ich.

«Falsch! Ganz falsch! Woher weiß er denn, wo sich das Hotel befindet?«

«Er hält an und bittet um Auskunft.«

Der Baron bedeckte mit einer Hand die Augen.»Und wenn es ein Uhr nachts ist?«fragte er.»Ein Geschäftsmann«, rief Barrista triumphierend,»fährt zur nächsten Tankstelle und kauft sich — einen Stadtplan!«

Wir überboten uns darin, den Baron zu belehren, daß bei uns die Tankstellen nachts geschlossen seien. Mit einer einzigen Geste brachte er uns zum Schweigen.»Ich schwöre euch«, sagte er, und es klang tatsächlich wie ein Schwur,»daß es in einem Jahr hier nachts um eins an den Tankstellen Stadtpläne gibt! Unsere Stadtpläne!«

Der Baron zog einen Zettel hervor und begann zu kritzeln.»Bevor wir den Druckauftrag erteilen, sollten wir Kosten und Gewinn bereits in der Tasche haben. «Robert blickte ihn wie hypnotisiert an. Das Ganze wird über Werbung finanziert, die den eigentlichen Stadtplan einrahmt.

Nach Abzug aller Kosten bleibe ein Gewinn von ca. dreitausend Mark übrig. Wir nickten anerkennend. Dazu kommt aber noch der gesamte Verkaufserlös. Und wer in Altenburg würde keinen Stadtplan mit den neuen Straßennamen wollen? Und warum nur Altenburg? Warum nicht Meuselwitz, Schmölln, Lucka, Gößnitz? Und wer sagt, daß es in Altenburg nur einen Plan geben muß? Plötzlich wurden aus den dreitausend dreißigtausend, sechzigtausend.»Sagen wir«, schloß der Baron,»wir reden von einem Reinerlös, der vierzigtausend bis achtzigtausend betragen wird, vierzig- bis achtzigtausend D-Mark! Nur ein bißchen Organisation. Das Geld, meine Herren, liegt auf der Straße. Und dir schenke ich diese Idee!«Damit überreichte er Robert Bleistift und Zettel und lehnte sich zurück.

Die Vorführung war beendet. Wir wußten nicht, was wir tun sollten, klatschen, danke sagen, Fragen stellen?

Dabei stand uns der eigentliche Urknall noch bevor. In Stimmung gebracht, glaubte ich mit einer eigenen Idee brillieren zu müssen und schlug vor, die Leute, die wegen der Anzeigen für den Stadtplan Läden und Betriebe aufsuchten, sollten auch nach Werbung für die Zeitung fragen. Robert nickte.

Im halboffenen Mund des Barons sah ich den Brei aus Kartoffeln und Würstchen.

«Wie?«fragte er und kaute hastig.»Sie haben keine Akquisiteure?«Ich schüttelte den Kopf.

«Keine Außendienstmitarbeiter, Klinkenputzer, oder wie immer Sie die nennen?«

«Nein!«beteuerte ich.

«Sie — «begann er und beeilte sich, den Bissen herunterzuschlucken,»Sie sitzen da in Ihrer Redaktion und warten, bis die Leute zu Ihnen kommen?«

Ich bejahte.

«Und Frau Schorba?«

«Eine Ausnahme«, sagte ich.

Der Baron brach in ein fürchterliches Gelächter aus und verschluckte sich dabei.

Ich kann Dir nicht den ganzen Abend schildern. Er endete merkwürdig. Denn plötzlich fiel Barrista ein, daß er sein Zimmer doch habe behalten können. Sein Aufbruch erfolgte abrupt.

Wir begleiteten ihn zum Wagen, einem roten Saratoga. Beim Abschied setzte er eine Mütze auf, die genauso aussah wie jene, die er Robert geschenkt hatte. Als er abfuhr, bog ein Taxi in unsere Straße ein, dem Michaela entstieg.

Zuerst erschrak sie, dann schimpfte sie, Robert gehöre längst ins Bett. Sie befühlte seine Stirn — er hatte tatsächlich erhöhte Temperatur. Den Dschungelstrauß verpflanzten wir in unseren größten Steinguttopf. Er steht nun auf dem Fußboden mitten im Wohnzimmer und duftet betörend.

Ich dachte an Stadtpläne und Akquisiteure, schlief unruhig und erwachte zerschlagen, als hätte mich die Nacht noch einmal so viel Kraft gekostet wie der gestrige Tag. Allein der Gedanke an Robert munterte mich auf.

Ich würde Georg herzlich begrüßen und ihn einfach bitten, mir seinen Anteil zu verkaufen. Zehntausend D-Mark wollte ich ihm fürs erste anbieten.

Michaela hatte Kopfschmerzen und blieb im Bett. Ich versprach ihr, möglichst bald wieder zurückzusein.

Als ich die Redaktion betrat, verlor ich alle Hoffnung: Georg, Jörg und Marion hockten einträchtig beieinander und tranken Tee. Es klingt lachhaft, aber ich kam zu spät. Ich hatte mein Glück vielleicht um eine halbe Stunde verpaßt.

Ihre Freundlichkeit, ja Herzlichkeit war grausam. Ich bekam eine Tasse und ein großes Stück von Marions Kuchen. Daß sie ausgerechnet heute Geburtstag hatte, schien mein Schicksal zu besiegeln.

Dann aber kam alles ganz anders.

Einer von Georgs Jungen heulte plötzlich im Garten laut auf, und Georg ging hinaus, um nach ihm zu sehen.

Jörg sagte über den Tisch hinweg, daß alles geklärt sei, ich brauche mir keine Gedanken zu machen. Georg wolle einen Schlußstrich, nichts weiter. Nun sei es an mir zu sagen, ob ich bereit sei, Georgs Anteil zu übernehmen und ab jetzt mit ihm, Jörg, gemeinsam den Kopf hinzuhalten und für alles geradezustehen. Marion wolle er nicht damit belasten, die Zeitung solle nicht ihr Familienbetrieb werden. Ich müsse das nicht sofort entscheiden, aber ihm fiele ein Stein vom Herzen, könnte ich mich zu einem Ja durchringen.

Schluck für Schluck trank ich meinen Tee und wartete, bis ich glaubte, ihm wieder mit fester Stimme antworten zu können.

Gleich ist es zwei, und ich bin hoffentlich müde genug, um endlich Schlaf zu finden.

Dein E.

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