Heinz G. Konsalik Alarm! — Das Weiberschiff

Kapitel 1

Sie waren dreiundneunzig Tage auf See, davon einundachtzig Tage und Nächte unter Wasser, das heißt in der Unterwelt, das heißt eingepfercht in einen grauen stählernen Sarg, der — voll mit elektronischen Instrumenten bis obenhin — von einem Atomreaktor angetrieben wurde und ausgerüstet war mit Atomwaffen und Torpedos. Es war ein glattwandiges, langgestrecktes Ungeheuer, das über Wasser eher einer Riesenschlange mit einem höckerigen Auswuchs denn einem U-Boot glich. Admiral Lewis Adam behauptete stolz, er habe sich im Leben nur zweimal richtig verliebt: in seine Frau Mabel und in dieses Gebilde aus Stahl.

Dreiundneunzig Tage auf See, einundachtzig Tage unter Wasser. Und nur das Klatschen des Meeres gegen die Bordwand hören — oder das Summen der Maschinen, das Brummen der Entlüftungsventilatoren, dieses ewig rollende Stampfen mit dem ewigen Beben unter den Füßen, und immerzu denken: Wird alles gut gehen, wird irgend so ein Ding streiken, ein Relais versagen? Wird die Computersteuerung verrückt spielen, oder sacken wir eines schönen Tages allesamt ab in die Tiefe des Meeres, in jene Tiefen, wo auch der härteste Stahlpanzer zerdrückt wird wie Luftpostpapier in der Faust? Ist dieser verdammte Kasten tatsächlich das vollkommenste Boot, das je durch die Meere glitt? Oder geht's uns am Ende wie dem erbärmlichen Hund, den die Experten betäuben, vivisezieren, um zu sehen, wie sich das eingeimpfte Karzinom entwickelt hat?

Einundachtzig Tage unter Wasser. Keine Sonne, kein Wind, keine frische Luft, kein Himmel über dir und kein bißchen Sommerwärme auf deiner Haut. Kein Guckloch hinaus ins Weite, Freie… dafür diese unsägliche Enge die Stahltreppen, die Gänge und Schotts, das ganze Kabelgewirr, die Instrumente mit ihren zitternden Zeigern, und überall Kontrollknöpfe, Lichtsignale: eine künstliche Welt aus künstlichem Licht, aus tausend Hebeln und tausend Rädern; und immerfort dieses eintönig schmatzende Geräusch glitschiger Ventile und Antriebswellen. In den Kammern drei Betten übereinander, eingebaute Spinde, deren Türen innen mit Fotos nackter Pin-up-girls ausgeschmückt sind — als einzige Erinnerung daran, daß es so etwas da droben über Wasser tatsächlich gibt: ein Wesen, das sich Frau nennt und aus lauter Zärtlichkeit besteht; du kannst sie spüren, fühlen, genießen — es ist etwas unbeschreiblich Schönes, diese Zärtlichkeit, diese Lust tief drinnen, die bis zur Grenze des Unerträglichen, Unstillbaren reichen kann.

Eine Frau. Wißt ihr's noch, Jungs, was das ist? Habt ihr denn noch eine Ahnung von einem weiblichen Wesen? Das Haar einer Frau? Ihr Mund. Ihre Arme, die euch liebend empfangen, ihr heißer Körper, ihre Hände, die euch umklammern, fast so, daß es schmerzt, und ihre Liebe, die allen Schmerz betäubt? Und das Beisammensein danach, die Leiber dampfend vor Lust, das Ermatten und jene süße Schwermut… Jungs, ja wißt ihr denn das alles überhaupt noch — nach einundachtzig Tagen?

Damals in Norfolk, in der U-Boot-Basis der US-Navy, standen sie alle in Paradeuniform auf der Plattform des ins Meer hineingebauten Bunkers, dreihundert Mann, und sie schielten auf das Boot, das lang und flach auf dem Wasser lag, mit Blumengirlanden um den Turm, der einzigen Farbe auf all dem dumpfen Grau. Admiral Adam kam aus der Stahltür auf die Plattform, und zum erstenmal sahen sie ihren Commander, den >Alten< — groß, hager, mit graugrünen harten Augen und einem Mund, den ein Messer in dieses kantige Gesicht geschnitten haben mußte.

Oberleutnant Bernie Cornell meldete die Besatzung. Alle liebten Bernie, woher sie auch kommen mochten, diese Leute von der Navy, herausgesucht aus allen U-Booten, die auf den Meeren schwammen, um an den Simulatoren im Ausbildungszentrum zu lernen, was auf sie wartete: Das größte, modernste, beste und teuerste U-Boot, das je auf den Wellen des Ozeans schaukelte.

«Was Sie hier sehen, Commander, ist die Elite der US-Navy«, hat-te Admiral Adam gesagt, und er hatte seine Stimme dabei nicht gedämpft. Alle dreihundert Mann konnten es hören, und diese Auszeichnung erfüllte sie mit Stolz.»Das sind Kerle, mit denen Sie alles machen können. Sie kennen Ihr Boot. Ich brauche Ihnen nichts mehr zu sagen. Ihre weiteren Instruktionen erhalten Sie auf Fahrt. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Commander!«

Ein Händedruck, ein Blick auf die Mannschaft, dann machte Adam kehrt und verließ den Bunker. Es war typisch für ihn.»Viele Worte sind wie zuviel Wasser im Whisky«, sagte er einmal.»Es wird in der Welt überhaupt zuviel geredet.«

Damals standen die dreihundert unbeweglich auf der Betonplattform und sahen erwartungsvoll ihren >Alten< an. Er heißt Jack Nicholson, das wußten sie bereits. Ein knallharter Kerl. Er soll der härteste Commander sein, den die Navy in den letzten fünfzig Jahren auf die Menschheit losgelassen hat. Wenn der einmal lacht, kann man das als ein Wunder dem Papst melden. Doch die Männer störte das nicht. Sie waren durch die verdammteste Schule gegangen, die bisher ein Seemann durchlaufen hatte, und man hatte sie mit einem System aus Gewalt und Unnachgiebigkeit, ganz gleich, wer dabei vor die Hunde ging, zu dem gemacht, was sie heute waren: Dreihundert Soldaten, die einstimmig sagten, so schlimm wie im Ausbildungslager kann das Leben draußen im Einsatz niemals sein.

«Morgen, Boys!«hatte Commander Nicholson gesagt. Seine Stimme war kräftig und sonor. Und sie hatten zurückgebrüllt:»Morgen, Sir!«

«Ich heiße Nicholson. Wenn wir gleich über die Gangway unser Boot betreten, haben wir zwar einen Namen und einen eigenen Körper, aber in Wahrheit sind wir nur noch eins: Das Boot! Wir werden ein Jahr unterwegs sein. Ein Jahr fast nur unter Wasser! Das kann auch gar nicht anders sein, denn unser Boot heißt POSEIDON, nach dem ollen Meergott der Griechen. Der hat sogar seine Tochter, die Aphrodite, im Wasser gezeugt.«

Sie hatten gelacht, lauthals, völlig unmilitärisch, und Nicholson hatte es zugelassen, ohne selbst eine Miene zu verziehen. Sieh an, so einer ist er, dachten sie. Ein Eisenfresser. Ein Sarkast. Das wird eine Fahrt werden, Boys. Ein Jahr lang rund um die Welt. Wie sagte doch der Chief Engineer auf der Schule? Das neue Boot kann mit seinem Atomreaktor fünf Jahre ohne Nachfüllung fahren. Es ist das Geheimste, was die USA zur Zeit besitzen. Wer die Schnauze aufmacht, muß sich nicht wundern, wenn er dann überhaupt nichts mehr sagen kann. Ihr habt ein wichtiges Stück des Weltfriedens unterm Arsch. Merkt euch das.

«Sie sind alle unterrichtet, was für ein Boot wir jetzt übernehmen«, sagte Nicholson später.»Und gleich vorweg, es gibt bei uns keine Pannen! Wenn irgend etwas mit dem Boot passiert, das wir nicht selbst an Bord beheben können und das uns unmöglich macht, ein Reparaturschiff der Navy zu rufen, befinden wir uns intern im Kriegszustand und.«

Er hatte gestockt und seine Männer angeblickt. Seine kühlen graugrünen Augen streiften die Front — eine Dreierreihe von Köpfen, das Kinn angezogen, und Mann für Mann wie versteinert. Sie verstanden das Ende des Satzes. Dann sind siebenundsiebzig Millionen Dollar im Eimer, dachten sie. Und es gibt dreihundert Boys weniger auf unserer schönen Welt. Niemand darf das Boot sehen. Es wird wie ein Phantom sein, das bis zu fünfhundert Fuß tief durch die Meere gleitet.

Commander Nicholson beendete die Musterung seiner Männer und blickte hinüber zum Boot.»Unser erster Auftrag ist«, sagte er mit fester Stimme,»die Überquerung des Nordpols unter Wasser. Wir werden das Ewige Eis unterfahren und erst vor Alaska wieder auftauchen. Oberleutnant, lassen Sie die Mannschaft an Bord!«

«Aye, aye, Sir!«

Bernie Cornell hatte zackig gegrüßt, sich dann vor seine Leute gestellt und ein >Rührt euch< befohlen. Die Männer gingen alsbald zu ihrem seitwärts gestapelten Gepäck und hievten es auf ihre Schultern.

Zuerst betrat Chief Engineer Victor McLaren das Boot, ihm folgte Chief Navigator Frank Collins, dann der Maschinenmaat Dustin

Hollyday. Mit Leutnant Henry Curtis an der Spitze rückte dann die Mannschaft über die Gangway und betrat das geriffelte Stahldeck der POSEIDON I.

«Das ist ein Kasten!«sagte Obermaat Jimmy Porter. Er wirkte wie ein Bulle in Uniform, dieser Dickschädel, der Beine besaß wie Säulen und Pranken, die einen Granitstein auspressen konnten.»Schlank, rassig und wohlgeformt wie meine Susi!«

«Du kannst dich ja gleich aufs Deck legen und es versuchen!«rief Bill Slingman. Er konnte sich solche Reden leisten. Gegen einen Bill Slingman kam keiner an. Er war fast zwei Meter groß — ein Paket aus Muskeln. Jeder in der Navy kannte ihn als Schwergewichtsboxmeister der Marine. Daß er ein Neger war, kümmerte hier keinen. Hier war er Kamerad, und wenn er seine Paradeuniform anzog, wie heute, machte überhaupt keiner mehr den Mund auf, denn er hatte mehr Ordensbänder angeklemmt als mancher Offizier.»Vietnam«, sagte Bill Slingman dann versonnen, wenn er die Blicke der anderen sah.»Aber keine Silbe davon, bitte! Ich will auch nie mehr davon reden.«

Commander Nicholson blieb auf der Plattform zurück, während seine Mannschaft das Boot bestieg. Neben ihm stand Dr. Paul Blan-dy. Er hatte die Hände in die Uniformtasche gesteckt. In seinem Mundwinkel pendelte eine Zigarette. Er kannte jeden der dreihundert Männer, hatte sie gründlich untersucht und sich als Arzt gewundert, daß es überhaupt noch so kerngesunde Kerle wie diese hier auf der Welt gab.

«Was meinen Sie, Doc?«fragte Nicholson plötzlich.

Dr. Blandy klemmte mit den Zähnen seine Zigarette fester.

«Was soll ich meinen, Commander?«

«Nennen Sie mich Jack. Wir werden bald die besten Freunde sein, weil wir die meiste Arbeit an Bord haben werden. Schielen Sie mich nicht so an, Doc. ich bin kein Hypochonder.«

«Ich weiß, Sie können Nägel fressen und behaupten, es sei Spargel. «Oberarzt Dr. Blandy blickte auf die ins Boot hinabsteigenden Matrosen.»Jeder von ihnen ist eine bestens geölte, durchtrainierte, bis zur letzten Schraube kontrollierte Kampfmaschine. Sie haben wirklich die beste Mannschaft der Welt, Jack.«

«Sie wissen, was unsere Aufgabe ist, Doc?«

«Natürlich. Es klingt so schön, so menschlich, so engelhaft, so gottähnlich — suchen Sie sich aus, was Ihnen paßt, Jack — wenn man sagt: wir sind da, um den Frieden der Welt zu garantieren. Mit Atomraketen und Atomtorpedos an Bord, die — einmal abgefeuert — mondähnliche Zustände auf der Erde hinterlassen. Wie fühlen Sie sich dabei, Jack?«

«Ich bin Soldat, Doc.«

«Auch eine Antwort! Mehr kommt ihnen nicht in den Sinn?«

«Wissen Sie was Besseres?«Nicholson betrachtete den jungen Fähnrich z.S. Herbert Duff, der gerade seinen schweren Seesack mühsam über das Deck des U-Bootes schleppte. Ein lieber, netter Bursche mit einem sanften Kindergesicht. Es war ein Rätsel, wie so etwas aus der härtesten Schule der Welt kommen konnte, aus einer Schule, in der selbst Bullen wie Porter fast zerbrochen wären. Ich kenne sie alle, dachte Nicholson versonnen. Ich habe ihre Akten studiert, ihre psychologischen Tests gelesen, ich weiß von ihrer Stärke und ihren verborgenen Schwächen. Fähnrich Duff, ein Bündel verzweifelten Mutes, der nur des Nachts an seine Mutter schreibt: Mama, ich halte es nicht durch! Das hier ist die Hölle! Ich habe jeden Tag Angst vor dem, was am anderen Tag kommt. Mama, ich zerbreche.

Aber er zerbrach nicht, der kleine Duff. er stieg jetzt ins Luk und verschwand unter Deck der POSEIDON I.

«Lassen wir einmal das Geschwätz vom ewigen Frieden!«sagte Nicholson hart.»Da haben Sie recht, Doc! Mich bedrückt etwas anderes. Da gehen dreihundert Kerle wie doppelt geeiste Stahlfedern an Bord, jeder von ihnen überzeugt, daß auch dieses Jahr vorbeigeht. Das denken sie heute noch, weil sie gerade von ihren Frauen und Bräuten kommen oder gestern abend das Puff auf den Kopf gestellt haben. Auch der disziplinierteste Mann bleibt ein Mann, Doc.«

«Das meinen Sie?«Dr. Blandy lachte ungeniert.»Ist das Ihre einzige Sorge, Jack?«

«Es sollte Ihre Sorge sein, Doc! Auch Sie sind nicht jenseits von Gut und Böse. Sie stehen da wie ein Fels. Wie schwer sind Sie?«

«Gestern gewogen. Einhundertdreiundneunzig Pfund.«

«Auch Sie werden nach zwei Monaten Unterwasserfahrt von Weibern träumen. Nach sechs Monaten klemmen Sie ein Kissen zwischen die Beine, nach zwölf Monaten muß man alle Türen offen lassen, weil Sie sonst mit dem Kopf durch die Wand — «

«Jack!«Dr. Blandy lächelte nachsichtig.»Ich kenne Ihren blutigen Sarkasmus. Ich fahre seit zwölf Jahren zur See, und Sie noch länger.«

«Wir hatten immer Landgang, und überall gab es Weiber. Sie und ich haben noch nie ein Jahr — und das fast ausschließlich unter Wasser — ohne eine Frau hinter uns gebracht.«

«Ich habe Tabletten mit. «Dr. Blandy spuckte den Stummel seiner Zigarette aus.»Eine ganze Kiste voll. Tabletten, die dämpfend wirken auf das Zentrum im Gehirn, das befiehlt: Eine Frau her, und ran! Täglich eine Tablette ins Essen. das hilft.«

«Und nach einem Jahr sind wir Eunuchen, was? Wenn wir jemals Alaska nach der Untereisfahrt erreichen sollten, will ich mit meiner Mannschaft von Bord gehen, wie ich an Bord gegangen bin.«

«Für den Frieden in der Welt sollte man Opfer bringen, Jack«, sagte Dr. Blandy ruhig. Nicholson starrte ihn voller Bewunderung an. Auch er kann sarkastisch sein, dachte er. Ich glaube, wir zwei werden uns gut verstehen.

«Wie sieht das Opfer aus?«

«Das Präparat enthält Östrogene.«

«Doc, sprechen Sie zu mir bitte wie zu einem Idioten! Was heißt das?«

«Es heißt, daß wir die männlichen Gelüste ein wenig dämpfen werden mit einem Schuß weiblicher Hormone.«

«Und nach einem Jahr tanzt mein Torpedomaat Spitze, und Fähnrich Duff bekommt seine erste Menstruation.«

«Jack, auch ich kann solche Witze reißen.«»Ich weiß, Doc. «Commander Nicholson blickte wieder hinüber zu seinem Boot. Die Mannschaft war jetzt unter Deck, nur drei Offiziere standen noch auf der Plattform im Turm und starrten hinüber zu ihrem >Alten<.

«Ich werde es den Männern freistellen, ob sie Ihre geschlechtsakrobatischen Pillen nehmen wollen oder nicht. Ich nehme sie nicht, Doc! Ich kann das auch nicht befehlen! Es ist ein zu großer Eingriff in die Persönlichkeit.«

«Aber Sie können befehlen, daß unter Umständen gestorben wird! Das trifft die Persönlichkeit nicht, was?«

«Sterben ist eine Abart der Pflicht!«

«Eine Perversion der Pflicht, sollten Sie sagen, Jack!«Dr. Blandy zündete sich eine neue Zigarette an.»Ich war in Vietnam Truppenarzt… bei den Ledernacken.«

«Ich weiß, ich kenne Ihre Personalakte, Doc. Sie sind ein Bursche, aus dem man einen Rammbock machen kann. Sie haben sogar einen General in den Arsch getreten, weil er Verwundete wieder an die Front holen wollte.«

«Hoffentlich brauche ich das nie bei Ihnen, Jack!«

«Und wenn — ich trete zurück!«

Sie tauschten ein Lächeln und wußten, daß ihre Freundschaft besiegelt war. So etwas braucht einer, der unter das ewige Eis des Nordpols hinwegtauchen will und nicht weiß, ob er bei Alaska wieder hochkommt. Ein Mensch allein ist die traurigste Kreatur, die unser Herrgott ins Leben geschickt hat.

«Gehen wir!«sagte Nicholson.»Sie zuerst, Doc. Ich komme als Letzter an Bord und gehe als Letzter. Wie's sich gehört.«

Dr. Blandy nickte, warf seine Zigarette weg, zertrat den Stummel und wuchtete seinen massigen Körper über die Gangway auf das Deck des Bootes. Er kletterte zum Turm hinauf und stellte sich neben Oberleutnant Bernis Cornell, der mit der Trillerpfeife in der Hand auf seinen Kommandanten wartete.

«Was meint er?«fragte er leise.»Was ist er für ein Bursche, Doc?«

«Ihr werdet eure Freude an ihm haben, Boys.«»Das kann man auslegen, wie man will, Doc.«

«So ist's auch gemeint, Bernie. Jetzt kommt er! Für ihn muß es jetzt ein Gefühl sein, als ob er eine Jungfrau besteigt.«

Commander Nicholson betrat die Gangway. Vom Turm trillerte die Pfeife los. Die Offiziere und die Maate neben den Luken und dem versenkbaren Raketenwerfer grüßten stramm. Der Pfiff durchzog das ganze Boot, vom Maschinenraum bis zum Torpedoleitstand. Er fuhr in die Knochen. Die Männer warfen alles, was sie gerade in der Hand hielten, von sich und standen in Achtungstellung.

Der >Alte< kommt an Bord. Das große Abenteuer beginnt. Amerikas größtes Geheimnis gehört jetzt uns! Das ist es wert, eine Sekunde den Atem anzuhalten und glücklich zu sein.

Commander Nicholson bestieg den Turm und grüßte. Bernie Cornell setzte die Trillerpfeife ab. Neben ihm stand Leutnant Henry Curtis, mittelgroß und schlaksig, trotz Uniform. Mit seinem Blondschopf sah er wie ein gestutztes Mädchen aus. Er grinste. Nicholson warf ihm einen Blick zu.

«Sie freuen sich, Curtis?«

«Ja, Sir. Ich könnte vor Freude singen.«

«Ich weiß. Sie singen zur Entspannung am liebsten Opernarien. Lyrischer Tenor? Sie werden neue Arien einstudieren können.«

Der fröhliche Curtis wurde rot wie ein Schuljunge und kaute an seiner Unterlippe. Dr. Blandy grinste breit, Bernie Cornell wußte nicht, wie man sich jetzt verhalten sollte. Sein Problem löste das Summen und das Flackern der Lampe an der Sprechanlage im Turm. Aus dem Maschinenraum, neben dem Atomreaktor, meldete sich Chief Engineer McLaren.

«Ist der Alte endlich an Bord?«rief er von unten.

«Der Alte ist da!«antwortete Nicholson ruhig und ohne eine Miene zu verziehen.»Alles klar, Chief?«

«Alles klar, Sir!«

«Wann können wir auslaufen?«

«Genau nach Plan. Die Mannschaft braucht eine halbe Stunde, um sich einzurichten und ihre Posten zu besetzen. Ich habe gerade alle

Kontrollinstrumente überprüft. Das Boot ist hundertprozentig klar, Sir. Ein Kahn. zum Verlieben.«

«Bei Ihnen kann ich's verstehen, Chief. Sie haben das Ding praktisch ja gezeugt, und welcher Vater liebt sein Kind nicht?«Nicholson stellte die Sprechanlage ab und schob seine Mütze in den Nacken. Auf der Plattform stand plötzlich der Admiral und sah hinüber zur POSEIDON I. Er wollte das Ablegen miterleben… ein historischer Moment, den man gar nicht historisch aufzäumen wollte. Aber für Adam war es eine Herzenssache. Er fühlte sich als Vater dieser dreihundert Männer, die so geringe Chancen hatten, wieder zurückzukommen. Es war eine Testfahrt mit Hunderten von Unbekannten. Ein neues Atom-U-Boot mit völlig neuen Aggregaten, neuen Luftaufbereitungsanlagen, mit unbekannten Tauchtiefen und unerprobten Stahllegierungen. Es war ein Himmelfahrtskommando. Commander Nicholson allein wußte die volle Wahrheit.

Admiral Adam stand unbeweglich auf der Betonplattform des Seebunkers und starrte hinüber zum Boot.

Welcher Vater verliert gern dreihundert Kinder.

Das war vor dreiundneunzig Tagen gewesen.

Jetzt schwamm die POSEIDON I in einer Tiefe von einhundertfünfzig Fuß in der Nordsee und glitt zwischen Norwegen und Island dem Ewigen Eis entgegen.

Ein Boot, in dem es gärte wie in einem Hefeteig.

Jeder hat eine besondere Methode, mit seinen Problemen fertig zu werden. Das ist in erster Linie Temperamentssache, und es bedeutet vor allem ein Aktivieren der Selbstdisziplin.

Nach dreiundneunzig Tagen Fahrt, davon einundachtzig unter Wasser, wußte man an Bord, was es bedeutete, die Ehre zu haben, die besten Soldaten der Welt zu sein. Und man wußte jetzt auch, wer Commander Nicholson war. Was er in diesen Tagen an Übungen angesetzt hatte, wie tief er die Grenze des Erreichbaren schraubte, wie oft einem dann die Nackenhaare wie Stachel abstanden und wie nahe man daran war, trotz allen Härtetests in die Hosen zu scheißen, das hatte man auf der POSEIDON I oft genug in atemloser Spannung erlebt.

Das Essen war vorzüglich. Bei Überwasserfahrt gab es in den verschiedenen Messen Farbfernsehabende, man konnte aus der Bordbibliothek Bücher leihen, Transistorradios oder Tonbandgeräte spielten flotte Musik, es gab Schachzirkel und Skatrunden, in der Maatmesse stand sogar ein Lochbillard, das jeder benutzen konnte, auch wenn immer häufiger die Bemerkung fiel, man solle das Ding zusammenschlagen, denn allein das Wort Loch weckte Assoziationen und gab zu Erinnerungen Anlaß, gegen die auch Dr. Blandys Tabletten machtlos waren. Es fehlte überhaupt nichts an Bord, was zum Wohle einer Männergesellschaft nötig war, bis auf das eine, das der Doktor bereits erwähnt hatte.»Und wenn Sie die Boys so fertig machen mit Ihrem Drill, Jack, daß sie umfallen wie gespaltene Holzklötze, sobald sie liegen… träumen sie von Sex!«

«Ich hab's Ihnen ja gesagt, Doc. «Nicholson saß im Kommandantenraum und las die neuesten Meldungen von NAVDAC, der Computernavigation, durch.

«Sie sollten das Mastessen reduzieren, Jack! Ich gebe den Kerlen Pillen, und die Küche serviert ein Menü, an dem sich drei Playboys sattfressen könnten. Das ist doch Schizophrenie!«

«Es ist der befohlene Verpflegungssatz, ich kann ihn nicht ändern, Doc.«

«Am grünen Tisch entworfen! Von den Theoretikern hat noch keiner zehn Fuß unter Wasser getaucht.«

«Darum sind es ja Theoretiker, Doc. «Nicholson lächelte, und das war das höchste der Gefühle, das man bisher bei ihm zu sehen bekam.»Wir werden alle nur von Theoretikern regiert, von Dilettanten oder Ignoranten. Schicksal des kleinen Mannes!«

«Ich will nicht philosophieren, ich will etwas verhindern, Jack. «Dr. Blandy beugte sich über den Tisch.»Funken Sie die Basis an, ob wir vor dem Wegtauchen unter das Ewige Eis nicht einen Hafen anlaufen sollen. Die Boys brauchen ein wenig Luft.«

«Ich habe meine Befehle, Doc, und die sind klar. «Commander Nicholson lehnte sich zurück. Die POSEIDON I glitt fast unhörbar durch das Meer. Neue Abschirmgeräte verhinderten, daß man sowohl auf Island als auch in Norwegen ihren Schatten auf dem Radarschirm erkannte. Höchstens die Sonarpeilung hätte das Boot — mit einigem Glück — verraten können, aber auch dann hätte man nicht gewußt, von welcher Nation das U-Boot war. Im elektronischen Tentakel der Unterwasserortungsgeräte der POSEIDON I tauchten oft solche fremden Boote auf, und Chief Engineer McLaren war ein solcher Experte, daß er anhand der Sonarechozähler bestimmen konnte, ob es ein sowjetisches, ein britisches oder ein US-U-Boot war, das sie >an den Ohren< hatten.

«In fünf Tagen tauchen wir unter das Eis«, sagte Nicholson gelassen.»Beruhigen Sie sich, Doc. Die Stimmung an Bord ist unter den gegebenen Umständen gut. Auf meine Boys kann ich mich verlassen!«

Die Boys waren darin allerdings anderer Ansicht.

Das fantastische Essen, zunächst sogar beklatscht wie eine Striptease-Nummer, wurde mit der Zeit zur Qual. Doc Blandys Tabletten mit den weiblichen Hormonen nahmen nur wenige. Der bullige Porter brüllte sofort, wenn er die unscheinbaren weißen Pillen neben seinem Teller liegen sah.»Glaubt ihr denn, ich gehe nach einem Jahr an Land und habe 'ne Brust wie meine Susi?«schrie er.»Dann schon lieber meine Methode!«

Die Methode bestand darin, sich eiskaltes Wasser dreimal täglich oder immer dann, wenn es kritisch wurde, über die Gegend seines Körpers zu schütten, die immer widerspenstiger wurde.

Bill Slingman flüchtete in den Sportraum des U-Bootes und bearbeitete Punchingball und Sandsack mit seinen riesigen Fäusten bis er alle Sehnsucht nach Frauen aus sich herausgepumpt hatte. Paolo Belucci, der kleine zarte Italiener, saß stundenlang an der elektrischen Orgel in der Mannschaftsmesse und übte seine sizilianischen Schmachtgesänge. Er bekam dabei Rehaugen, starrte wie abwesend ins Nichts und legte sich schließlich schlafen wie in Trance. Tami Tamaroo aus Hawaii, sonst ein überaus höflicher und freundlicher

Mensch, der an Land höllisch scharfe Gerichte kocht und im Ausbildungslager seine Kameraden die wunden Knochen vergessen ließ, indem er wie ein Mädchen Hula-Hula tanzte, flocht Girlanden aus verschiedenfarbigem Klosettpapier und drapierte damit seine Kajüte. Ob ihn das von dem Gedanken an Frauen ablenkte, wußte keiner. Es fragte ihn auch niemand, denn jeder hatte sein eigenes Problem, mit dem er fertig werden mußte.

Nur eines war sicher auf der POSEIDON I, Amerikas größtem Geheimnis: In dem schlanken, mattgrau glitzernden stählernen Leib, der da unter Wasser in Richtung Nordpol fuhr, lebten dreihundert Männer, zusammengeschweißt auf Gedeih und Verderb, und jeder von ihnen war geladen bis unter die Hirnschale mit Explosivität.

«Ich meine«, sagte Dr. Blandy zu Commander Nicholson und lehnte seinen riesigen Körper gegen die Tür der Kommandantenkabine,»es braucht nur ein Funke — welcher, das weiß ich nicht — in diese Mannschaft zu fallen, und Sie haben hier die Hölle unter Wasser! Sprechen Sie mit dem Admiral darüber.«

«Warum?«Nicholson betrachtete wieder die Aufzeichnungen der Computerkursberechnung.»Unsere Vorfahren sind zwei oder drei Jahre um die Erde gesegelt und haben es überstanden. Sind wir nasse Säcke dagegen, gerade wir?«Er hob ein Blatt vom Tisch. Es waren die Wettermeldungen der letzten Stunde.»Die Boys werden bald andere Gedanken haben, östlich von Island geraten wir in einen gesalzenen Sturm. Ich umfahre ihn nicht, Doc… ich stoße mitten hinein!«

Das war Commander Nicholson. Dr. Blandy zuckte die breiten Schultern. Er kann sie müde machen, dachte er, er kann sie vor Erschöpfung umfallen lassen… vor jener Regung in den Lenden wird auch ein Nicholson kapitulieren. Warten wir es ab.

Und sie stießen mitten in den Sturm. Das Boot, bewußt nicht auf Tiefe getaucht, sondern nur auf Sehrohrtiefe, wurde geschüttelt und gebeutelt, als wäre es keine viertausend Tonnen schwer. Es wurde zu einem Bestandteil des tobenden Meeres, und das Meer spielte mit ihm wie mit einem Ball, warf es hoch und ließ es fallen. Die

See krachte mit Riesenfäusten gegen den stählernen Leib und wollte ihn zerschmettern. Sie riß an den verschweißten Platten und brüllte durch die verhältnismäßig dünnen Wände.

«Der Alte ist verrückt!«keuchte Porter. Er hielt sich in seinem Raketenraum mühsam an einem Gestänge fest. Neben ihm hing Herbert Duff, der kleine Fähnrich z.S., mit großen, ängstlichen, wie nach der Mutter suchenden Augen.»Total verrückt! Warum taucht er nicht? In zweihundert Fuß Tiefe ist die See so glatt wie ein Kinderarsch! Aber er bleibt auf Sehrohrtiefe! Der Alte muß pervers sein.«

Dreimal fiel der Lichtgenerator aus, und in völliger Dunkelheit schleuderte die POSEIDON I durch das höllische Meer. Und jedesmal, wenn das Licht wieder aufflammte, weil Chief McLaren, fast mit Genialität, die Fehler beseitigen konnte und ein schnaufendes Aufatmen durch das Boot flog — jedesmal dann sagte Dr. Blandy zu Commander Nicholson, der in seinem Befehlsstand im Turm hockte:»Das macht Ihnen Spaß, was? Sie sturer Hund! Morgen haben wir dreihundert Blutergüsse an Bord, aber keine Menschen mehr! Sie bluten ja selbst an der Stirn.«

«Ein Riß. «Nicholson winkte ab. Unter ihm torkelte Oberleutnant Cornell vom Navigationsraum heran, als wäre er besoffen.»Endlich bekommen Sie Arbeit, Doc! Sie waren der einzige Mensch an Bord, der sich langweilte. Sie sollten mir dankbar sein.«

«An Ihrem Zynismus zerbrechen Sie noch, Jack!«schrie Dr. Blandy zurück, tippte sich an die Stirn und gab die Turmtreppe für Cornell frei. Bernie starrte seinen Commander mit großen Augen an.

«Der Chief Navigator sagt, Sie sollten jetzt wirklich wegtauchen, Sir«, stotterte er. Nicholson klammerte sich am Sehrohrgestänge fest.

«Ist Collins der Kommandant des Bootes, oder bin ich es?«

«Sie, Sir. natürlich.«

«Sagen Sie das dem Chief.«

«Aye, aye, Sir.«

Cornell grüßte und taumelte zurück ins Boot. Er ist noch schlimmer, als wir ahnten, dachte er. Ein Monster, ganz und gar ohne Gefühl. Wie wird das erst unter dem Ewigen Eis werden?

Zwei Tage und zwei Nächte tobte der Sturm. Dann, am dritten Morgen — daß es Morgen war, sahen nur Nicholson, Dr. Blandy und Cornell im Sehrohr — flaute der Wind ab. Die See rollte nur noch in langen hohen Wellen, und die POSEIDON I lag im Wasser wie ein träger Fisch, der sich erholen muß. Halbe Fahrt, hatte Nicholson befohlen. Dieser Befehl ließ erkennen, daß Nicholson seine Leute mit unnötigen Belastungen verschonen wollte.

Eine trübe Sonne in einem milchigen Himmel beschien das Meer, als das Sehrohr der POSEIDON I bis in voller Ausfahrhöhe die Wellen durchstieß und Nicholson einen wahrhaft köstlichen Rundblick bot.

Die ersten Eisschollen trieben auf den Wasserkämmen, Vorboten der weißen Gebirge aus gefrorenem Wasser. Vor dem Bordlazarett standen die Boys Schlange, die meisten mit Hautrissen, Blutergüssen, Quetschungen und Verstauchungen. Dr. Blandy fluchte. Er brüllte die Männer an, mit einem blauen Fleck am Arsch käme man zu keinem Arzt, zugleich jedoch verband und schiente er, oder er schmierte Salben auf blaugelbe Flecke und verteilte Schmerztabletten.

Nach vier Stunden stieg er in den Turm. Commander Nicholson hatte Cornell abgelöst, der wie ein wiedererweckter Leichnam in seine Kajüte getorkelt war.

«Sie haben in der Tat ein kindliches Gemüt!«sagte Dr. Blandy ironisch.»Sie genießen wirklich den Anblick des Horizontes, Jack?«

«Das erste Treibeis ist da, Doc.«

«Und Sie haben neunundsechzig Krankmeldungen, Commander!«

«Das sind neunundsechzig Friedliche, Doc!«Nicholson hockte vor dem Okular und sah sich um. Dann stutzte er plötzlich und stellte die Schärfe ein. Er fuhr das Rohr bis zum Anschlag aus und zog plötzlich die Unterlippe durch die Zähne. Dr. Blandy beobachtete ihn genau und nachdenklich.

«Na? Feind in Sicht?«sagte er, als Nicholson in sein verdammtes Schweigen fiel.»Haben Sie einen Russen im Auge?«

Nicholson räumte seinen Platz und tippte gegen das Okular.»Schauen Sie mal durch, Doc! Wenn ich richtig sehe, stehen wir vor ei-ner Entscheidung.«

Dr. Blandy blickte durch das Sehrohr. Zunächst sah er nur Wellen, aber dann bemerkte auch er einen kleinen, orangefarbenen Punkt, der auf dem Meeresspiegel herumtanzte. Es war kein Sonnenreflex. Der Punkt blieb auch, als sich eine Wolke über die Sonne schob und das Meer graugrün wurde.

Dr. Blandy blickte sich nach Commander Nicholson um.»Wenn es das ist, was ich denke.«, sagte er gedehnt.

«Es ist genau das! Eine Rettungsinsel. «Nicholson fuhr das Sehrohr ein und setzte sich breitbeinig auf den Stuhl mit dem Stahlsitz.»Da draußen schwimmen Schiffbrüchige! Irgendwo ist in diesem Sausturm ein Schiff gesunken.«

«Prost. Teufel und Großmutter!«Dr. Blandy lehnte sich gegen das eingefahrene Sehrohr.»Und jetzt haben Sie ein Problem am Hals, was?«

«So ist es, Doc.«

«Jack, Sie sind Seemann! Die erste und die heiligste Pflicht eines Seemannes ist es, Schiffbrüchigen — «

«Halten Sie kein Kolleg über Seemänner, Doc!«Nicholson legte beide Hände aneinander, als wolle er beten.»Ich habe drei ganz klare Befehle: Völlige Geheimhaltung, Unsichtbarkeit gegenüber anderen — im Notfall sogar Selbstversenkung. Alles andere drum herum sind Übungsmätzchen. Ich darf keinen Schiffbrüchigen sehen. Ich darf es einfach nicht!«

«Aber Sie haben sie gesehen, Jack! Und ich auch.«

«Nur wir zwei, Doc!«

«Und wenn die draußen so am Ende sind, daß sie krepieren, wenn wir ihnen jetzt nicht helfen.?«

«Ich kann nicht auftauchen! Ich darf das Boot nicht zeigen! Ich darf nicht helfen! Jemanden an Bord nehmen — nur daran zu denken ist schon absurd!«

«Sie haben doch einen Bruder, Jack?«fragte Dr. Blandy leichthin.

«Hören Sie auf, Doc!«Nicholson preßte die Hände fest zusammen.

«Ihr Bruder macht Dienst auf einem Torpedoboot, das weiß ich.

Angenommen, der Kahn säuft ab, und man sieht ihn treiben, und der ihn sieht, taucht weg und läßt ihn ersaufen. Wie finden Sie das?«

«Ich habe nichts gesehen, Doc!«sagte Nicholson unerbittlich.

«Und das beruhigt Ihr Gewissen?«

«Wer fragt nach meinem Gewissen?«

«Ihre zweite Stimme, die bessere in Ihnen!«Dr. Blandy drückte auf einen Knopf, es war zufällig der richtige. Das Sehrohr fuhr aus. Nicholson hinderte ihn nicht daran. Dr. Blandy suchte wieder den orangefarbenen Punkt in den Wellenbergen, dann hatte er ihn im Fadenkreuz und starrte ihn an.

«Einwandfrei eine Rettungsinsel. Geschlossen! Man kann sie deutlich erkennen. Sie treibt auf uns zu.«

«Laienhaft ausgedrückt. Ich lasse gleich auf zweihundert Fuß fluten… auch eine Kurskorrektur um ein paar Grad schadet nicht.«

«Sie laufen sich nicht davon, Jack!«Dr. Blandy gab das Sehrohr frei und zeigte auf das Okular. Nicholson schüttelte den Kopf wie ein unartiger Junge.»Auf der Spitze des Segeldaches brennt die rote Notlampe! SOS, Commander! SOS! Rettet unsere Seelen! Ich weiß, wie knallhart Sie sind… aber das bleibt in Ihrem Blut, Jack! Das zerfrißt Sie eines Tages langsam wie Säure: Ich habe mit klarem Verstand Menschen in Not verrecken lassen. Verdammt, fragen Sie den Admiral.«

«Doc, die Antwort des Admirals kennen Sie doch im voraus! Unter Wasser bleiben!«

«Was seid ihr bloß für Menschen!«Dr. Blandy hieb gegen das Gestänge des Sehrohres und dann gegen die Wand des Turms.»Was ich in Vietnam noch verdrängte, bringen Sie mir jetzt bei: Ich beginne euch Militärs zu hassen!«

«Sie tragen auch die Uniform, Herr Marine-Oberarzt.«

«Wenn Sie's sehen wollen, Jack… ich zieh sie aus und lasse sie durch den Lokus absaufen.«

Nicholson stand auf, ging zum Sehrohr und blickte nach oben. Die Rettungsinsel war jetzt so deutlich, daß er das Zucken der roten Notruflampe und das geschlossene, sich im Wind immer wieder blähende

Dach erkennen konnte. Das unsinkbare, mit Preßluft aufgeblasene Nylonding hüpfte über die Wellenkämme und trieb auf die viel trägeren Eisschollen zu. Dann wurde es kritisch. Eisschollen können messerscharfe Kanten haben, die bei einem Zusammenprall die Luftkammern der Rettungsinsel aufschlitzten.

Commander Nicholson fuhr das Sehrohr ein. Dann drückte er auf einen Knopf im Schaltpult vor sich und betätigte den Hebel der Sprechanlage. Chief Engineer McLaren und Chief Navigator Collins sowie Oberleutnant Cornell und Leutnant Curtis waren in Konferenzschaltung gemeinsam zu hören.

«Alles fertigmachen zum Auftauchen!«sagte Nicholson ruhig.»Irgendwelche Fragen in den Abteilungen?«

«Nein, Sir.«, antworteten vier Stimmen im Chor.

Alsbald klingelten im ganzen Boot die Signale. Selbst wer bis jetzt geschlafen hatte, zuckte hoch und rutschte aus seinem Bett. Gibt es denn so etwas? Träumen wir? Ist der Alte verrückt geworden?

Auftauchen? Wirklich auftauchen? Die Sonne sehen, einen Himmel, einen Horizont? Frische Luft einsaugen? Köstliche, reine Meeresluft?

«Dem Alten küß ich die Hämorrhoiden!«brüllte Jimmy Porter, als das Geklingel ihn in die Seele traf wie ein heißer Weiberkuß.»Er läßt auftauchen! Boys, laßt uns dem Eisenkopp alles bisherige verzeihen. Wir tauchen auf!«

In die Fluttanks der POSEIDON I zischte der Gegendruck und trieb das Wasser hinaus. Die Lenzpumpen arbeiteten, das für einen Laien ewig ein Geheimnis bleibende Zusammenspiel aller elektronischen und computergesteuerten Mechanismen funktionierte reibungslos. McLaren schnalzte mit der Zunge. Kinder, ist das ein Schatz von einem Boot! Es läßt sich über und unter Wasser dirigieren wie ein Spielzeugauto.

Der Turm durchstieß die Meeresoberfläche, dann folgte der schlanke, graue, stählerne Leib. Ein schönes Ungeheuer schwamm auf der rauschenden See.

Commander Nicholson und Dr. Blandy öffneten das Luk. Die Sonne schien in den Turm. Sie schlug Oberleutnant Cornell beinahe wie ein Hammer gegen die Stirn.

«Erlaubnis zum Betreten der Brücke!«rief er zu Nicholson hinauf. Hinter ihm warteten die anderen Offiziere. Ihr Chor klang hohl im Turmschacht.

«Erlaubnis zum Betreten der Brücke.«

«Kommt rauf!«sagte Nicholson fast milde. Er lehnte sich gegen die hohe Bordwand und starrte auf die tanzende Rettungsinsel. Sie war nur noch fünfzig Meter von ihnen entfernt.»Seht euch das an!«Und dann, zu Dr. Blandy gewandt, sagte er leise:»Zufrieden mit mir, Doc?«

«Halb, Jack! Das Problem fängt erst an! Nehmen wir die Überlebenden an Bord?«

«Nein!«

Eine klare Antwort. Dr. Blandy schob die Mütze in den Nacken. Wie konnte ich Rindvieh von Arzt ein solches Kommando annehmen, dachte er.

Die Offiziere stürzten auf die Plattform des Turmes. Im Boot alarmierten die Telefone die einzelnen Abteilungschefs. Dürfen wir auch hinaus? Heißt es endlich Luken auf?

«Draußen scheint die Sonne«, stammelte der kleine Paolo Belucci und weinte fast vor Freude.»Die Sonne! O Mama, wie liebe ich die Sonne.«

Die Offiziere starrten stumm auf die Nyloninsel. Plötzlich war die Sonne kalt, der Tag irgendwie trübe, obgleich das Meer glänzte. Einer dachte wie der andere, und keiner beneidete jetzt Commander Nicholson. Allein schon das Auftauchen aus diesem Anlaß war ein Geheimnisverrat. Die Offiziere schielten zu Nicholson und schwiegen.

«Geben Sie die kleine Kurskorrektur durch, Curtis«, sagte Nicholson ruhig.»Wir gehen längsseits mit dem Floß.«

«Aye, aye, Sir!«Leutnant Curtis gab es an die Zentrale weiter. Von unten kam die Stimme von Collins.

«Ich habe im Radar ein rundes Ding. Ganz nah. Was ist das?«

«Mein Gewissen!«antwortete Nicholson.»Collins, kommen Sie auf die Brücke. Ich bin so gemein, einen Haufen Mitwisser und Mitschuldige um mich zu versammeln.«

Ganz langsam und geschmeidig wie eine schöne Frau über ein seidenweiches Bett zu ihrem Liebsten gleitet, glitt die POSEIDON I durch das Meer und erreichte die kleine Rettungsinsel.

«Maschinen stop!«rief Bernie Cornell.»Zehn Mann an Deck zum Einholen!«

Die Sonne glänzte auf der Nylonhaut des Floßes. Das rote Lämpchen auf dem geschlossenen Dach zuckte und rief um Hilfe. Um den oberen Luftkörper lief in schwarzen Buchstaben eine Schrift. Der Name des Schiffes, das gesunken war.

La Belle Marie, las Dr. Blandy und sah Nicholson mit zusammengekniffenen Brauen an.»Das klingt nicht nach einem normalen Kahn.«

Der Commander schwieg. Er kletterte die Treppenleiter vom Turm herab und ging mit staksigen Beinen über Deck zur Seite, wo die Rettungsinsel gegen das Boot klatschte. Aus dem Deckluk quollen zehn Mann, an der Spitze die bullige Gestalt von Jimmy Porter. Ihm folgte Bill Slingman mit bloßem Oberkörper. Auf seiner schwarzen Haut und auf seinen Muskelbergen stand der Schweiß, der in der Sonne wie Tau glitzerte.

«Um das klarzustellen«, sagte Dr. Blandy zu den Offizieren auf dem Turm.»Ich habe dem Commander zugeredet, es zu tun. Ich übernehme auch die Verantwortung. Gehen wir, meine Herren.«

Sie kletterten von der Brücke und liefen Nicholson nach. Verantwortung! Keiner konnte sie Nicholson abnehmen. Er war der Kommandant — nicht Dr. Blandy. Aber man sagt eben manchmal in der Erregung den reinsten Quatsch.

Mit vier Enterhaken zog man die kleine Rettungsinsel heran und hielt sie fest. Der wendige Belucci kletterte hinüber und zog den Reißverschluß des Einstiegs auf.

Er schaute hinein. Er stieß einen Schrei aus, als habe man ihm den Bauch aufgeschlitzt. Dann fiel er rücklings ins Meer.

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