Kapitel 12


Wenn auch an diesem Tag viel geredet wurde und jeder beteuerte, er bleibe bei Doc Blandy — Cornell breitete trotz allem den Abmarsch mit militärischer Gründlichkeit vor. Es war klar, daß man auf den drei Hundeschlitten nicht das ganze Material mitnehmen konnte, das man an Land gebracht hatte, und wenn man die Mädchen auf die Schlitten verteilte, war es ebenso klar, daß die Männer laufen mußten. Aber man sah jetzt die große Chance, doch noch die Radarstation VENUS XI zu erreichen, ganz gleich, wie das Wetter war und wie weit man über das Festlandeis tappen mußte. Die Gegenwart der Eskimos, die mit den Tücken des Himmels vertraut waren und ihre Heimat kannten, wirkte wie ein Aufputschmittel. Sling-man und Yenkins überwachten das Umpacken. Man nahm vor allem Lebensmittel mit, die letzten Gasflaschen, die Decken und das große Zelt. Aus den leeren Kisten zimmerte man Skier, Bretter, die man mit Bindfäden um die Stiefel band und mit denen man, wenigstens auf dem flachen Eis, ziemlich gut vorankam.

«Die Russen staunen«, sagte Leutnant Hendricks, der von der Eismauer aus das sowjetische U-Boot beobachtete.»Sie hören das Hämmern und Sägen, und sie glauben wohl, daß die Eskimos sich hier häuslich niederlassen wollen. «Er übergab sein Fernglas Tami Tamaroo, der die Wache übernahm.»Glaubst du, daß du morgen abrücken kannst, Bernie?«

«Sobald der Doc fieberfrei ist. «Cornell rauchte hastig eine Zigarette. Er stand vor dem zweiten Zelt, in dem Blandy stöhnend auf der Luftmatratze lag. Er erkannte Monika nicht mehr.»Verdammt, das Penicillin muß doch einmal wirken.«

«Wer weiß, wieviel Dreck in die Wunden gekommen ist. Mein Gott, das müssen Hiebe gewesen sein!«

«Wir haben alles, so gut es ging, saubergemacht.«

«So gut es ging. Ob das genug war?«

«Blandy hat die Lebenskraft eines Bullen! Er schafft es, Hendricks… er muß es schaffen!«

Am späten Abend erwachte Blandy aus seinem Koma. Mit geradezu unheimlich klaren Augen starrte er Monika an, die ihm den Schweiß von der Stirn wischte. Sein Körper glühte. Das Fieber war nicht zu bändigen. Penicillinpuder oder Injektionsflüssigkeit, nichts schien zu wirken. Sein Körper nahm es einfach nicht an.

Sie waren allein im Zelt. Cornell saß bei den Mädchen und erklärte ihnen, was ihnen bevorstand.»Wenigstens etwas!«sagte Lili Petersen schnippisch.»Wir werden auch diese acht Tage durchstehen. Aber dann, das sage ich Ihnen, geht ein Funkspruch raus nach Washington, der dann gewisse Leute vom Stuhl reißt. Ihr Commander, dieses Schwein Nicholson, wird umgehauen werden wie eine Boxpuppe auf dem Jahrmarkt! Wenn wir unsere Väter alarmieren, hat er keine Chance mehr. Und wir werden sie alarmieren!«

Evelyn Darring hatte man erlaubt, Dr. Blandy kurz zu besuchen. Er lag noch in tiefer Bewußtlosigkeit, und sie hatte sich neben sein Lager gekauert, hatte ihn geküßt und immer wieder» Mein Bärchen! Mein Bärchen!«gerufen, bis Monika und Cornell sie mit sanfter Gewalt aus dem Zelt entfernten.

«Ich liebe ihn!«hatte Evelyn geschrien.»Ich liebe ihn wirklich! Ja doch, ich habe Männer genug gehabt. aber ihn liebe ich!«Man mußte ihr wieder den Mund zudrücken, damit die Hörgeräte der Russen nicht ihre Stimme auffingen. Man trug sie zum Frauenzelt zurück. Slingman übernahm den Transport… in seinen Armen war sie gut aufgehoben.

«Du schwarzes Aas!«heulte sie, als Slingman sie im Frauenzelt einfach fallen ließ.»Oh, ich hasse euch alle, alle, alle! Ihr ekelt mich an! Ich will mit euch nichts mehr zu tun haben. Ich will bei Pauli bleiben. «Dann weinte sie hysterisch. Sie drückte den Kopf in die Decken ihrer Luftmatratze und biß hinein.

Dr. Blandy knirschte mit den Zähnen. Monika warf das Handtuch weg, mit dem sie den Schweiß abgewischt hatte. Sie versuchte ein aufmunterndes Lächeln; Blandy machte trotz aller Schmerzen mit und lächelte ebenfalls. Es wurde eine schreckliche Fratze.

«Da bin ich wieder, Mädchen«, sagte er mühsam. Seine dröhnende Stimme war bereits gestorben. Sie klang jetzt heiser, ohne die Kraft, in die sie früher eingebettet war. Eine erschreckende Greisenstim-me in einem gewaltigen Körper.»Es ist aber nur ein kurzer Urlaub ins Leben.«

«Morgen früh wird es noch besser gehen, Doc«, sagte Monika mit trockener Kehle. Blandy wölbte die dicke Unterlippe vor. Sie war noch dicker als sonst, vom Fieber aufgetrieben.

«Du weißt genau, Mädchen, welchen Blödsinn du da sagst! Warum spielen wir uns etwas vor?«Er stöhnte wieder, aber als Monika zu einer Spritze griff, winkte er ab.»Nicht wieder Morphium! Spart euch das für aussichtsreichere Fälle. Sag mal, Blondie, gibt es hier nichts zu saufen? Mein Rachen ist ein einziges Feuerloch.«

«Ich habe Tee gekocht, Doktor.«

«Tee! Mir Tee anbieten!«Dr. Blandy, auf der Seite liegend, um die Wunden im Rücken und in der Brust nicht zu belasten, starrte gegen die Zeltwand.»Mädchen, da drüben steht Whisky.«

«Unmöglich, Doktor!«

«Was hast du gegen Whisky! Hol ihn her, Blondie! Es paßt nicht zu mir, mit Tee im Leib abzukratzen. Aber Whisky, das ist mein Stil! Nun hol ihn schon, Mädchen!«

Sie nahm die Flasche und füllte den Becher zur Hälfte. Dann hielt sie Blandys Kopf fest, und er trank gierig den scharfen Alkohol. Als er husten mußte, quollen ihm die Augen aus den Höhlen.

«Das sind Schmerzen!«röchelte er, als sich der Husten gelegt hatte.»Blondie, ich habe immer Angst vor Schmerzen gehabt. Das ist oft so bei uns Ärzten… wir sind die Helden im weißen Kittel für die anderen, aber wenn's an den eigenen Körper geht, gibt es keine größeren Feiglinge! Dieser Saubär! Lebt weiter mit einem Eisenpfahl in der Brust! Wer konnte das ahnen? Blondie, noch einen!«

«Es ist genug, Doktor«, sagte Monika, aber sie gab ihm trotzdem noch einen Becher. Dr. Blandy sah sie dankbar an.

«Ich muß dir etwas erzählen, Monika«, sagte er plötzlich.»Es muß heraus, denn ich will nicht abkratzen, ohne das von der Seele zu haben. Gib mir mal deine Hand.«

Sie faßte Blandys glühende Hand und hielt sie fest. Seine dicken Finger schlossen sich um ihr Handgelenk.»Evelyn war hier«, sagte sie mit zitternder Stimme.»Sie liebt Sie wirklich, Doc.«

«Evelyn. Das ist genau das Stichwort!«Blandy schloß einen Moment die Augen; offenbar waren die Schmerzen sehr heftig. Dann sprach er weiter.»Monika, Sie wollen Jack Nicholson heiraten?«

«Ja. wenn er durchkommt.«

«Der kommt durch! Er ist ein Marineoffizier, wie ihn die Navy nur einmal in einem Jahrhundert hat. Schade, daß man ihn in den Arsch treten wird, wenn er wieder an Land kommt. Er hat so viel auf sein militärisches Schuldkonto geladen, daß ihm nur der Abschied bleibt. Und warum? Weil er ein anständiger Kerl ist, weil er dich liebt, Blon-die, und weil er trotz Uniform und Orden ein Mensch geblieben ist. Ich mag ihn, ich habe ihn lieb wie einen Sohn. bleib bei ihm, Mädchen, was man auch mit ihm anstellen wird.«

«Ich verspreche Ihnen das. Ich bleibe bei ihm.«

«Und versprich mir, daß Jack nie erfährt, was ich dir jetzt sage. Jack nicht und Evelyn, das schöne rote Teufelchen, nicht. Sie sollen mich so in Erinnerung behalten, wie sie mich gesehen haben. Dr. Paul Blan-dy, Oberarzt der US-Navy, dekoriert mit vierzehn Orden. das ist ein Bild, was?«

Er stöhnte, holte neue Kraft aus seinem glühenden Körper und trank dann wieder mit einem Zug den Becher Whisky aus. Diesmal hustete er nicht.

«Ich muß Ihnen eine Spritze geben, Doc«, sagte Monika. Ich weine gleich, dachte sie. Ich kann es nicht mehr zurückhalten. Ich heule los wie ein getretener Hund.

«Erst hörst du mir zu!«Blandy legte den Kopf auf seinen rechten Unterarm und atmete pfeifend.»Versprich mir, daß du nichts sagst.«

«Ich verspreche es, Doktor.«

«Dann halte jetzt die Luft an. «Blandy zögerte, aber er spürte genau, daß es jetzt Zeit war und daß dieser Augenblick nie wieder kommen würde.»Ich habe Belucci ermordet«, sagte er langsam. »Ich war es!«

«Doc. «Monika starrte Blandy entsetzt an.»Hören Sie auf! Ich gebe Ihnen jetzt die Spritze. Sie wissen nicht mehr, was Sie sagen.«

«Oh, ich weiß es genau, Mädchen. «Blandy atmete schwer.»Ich habe Belucci getötet, mit einem Klappmesser. Er hat mir Evelyn weggenommen, bevor ich sie haben konnte. Schon, als ich sie aus der Rettungsinsel holte und ins Boot trug, wußte ich — die holst du dir ins Bett. Ich war verrückt, Mädchen. Rothaarige haben immer bei mir eine Rolle gespielt. Mein erstes Mädchen war eine rothaarige Krankenschwester. In der Krankenhausapotheke, hinter einem Regal, ha-ben wir's getrieben! Das vergißt man nicht. Ja, und da kommt dieser windige Belucci und nimmt sie mir weg.«

«Ich glaub es nicht«, stammelte Monika.»Ich glaub es einfach nicht.«

«Es mußte alles schnell gehen. Ein paar Minuten blieben mir. Ich habe Beluccis Leiche tatsächlich in den Fäkalienbunker geworfen, durch die Schraubtür, durch die man einsteigen kann, um ihn zu reinigen. Jack hat die richtige Nase, aber zum Leerpumpen ist er ja nicht mehr gekommen. «Blandy röchelte. Er wollte noch einen Whisky haben.»Stell sie her, die Flasche. Ich bediene mich selbst. Es geht ja noch weiter!«Er knirschte mit den Zähnen, und sein dickes Gesicht verzerrte sich.»So eine Sepsis ist ein Teufelsding«, sagte er dann heiser, von den Schmerzen gepeinigt.»Man löst sich auf, und jeder Nerv wird zu einem glühenden Draht. Belucci. Ach ja. trotz meiner Schnelligkeit hatte ich einen Zeugen. Er stand mit großen entgeisterten Kinderaugen da, als ich die Leiter vom Fäkalienbunker herunterkletterte. Und ich wußte ganz genau: Das ist mein Ende! Wenn Jack ihn in die Zange nimmt — er kann nicht dichthalten! Und Jack nahm ihn in die Zange, zermalmte seine Seele, enthäutete ihn. Der arme Junge tat mir so leid, er sagte noch nichts, aber mir war klar, daß er eine zweite Seelenwäsche durch Jack nicht mehr aushalten würde!«

Monika hatte die Faust an den Mund gepreßt und biß jetzt hinein. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie schluckte krampfhaft. Eine würgende Übelkeit stieg in ihr hoch.

«Das ist doch alles nicht wahr«, sagte sie kaum hörbar.»So etwas können Sie nicht tun.«

Blandy ergriff die Flasche, setzte sie an den Mund, trank und hielt sie fest.»Ich konnte es, Mädchen. Ich habe den kleinen Duff mit einem Kissen erstickt. Den lieben harmlosen Jungen. Ich mußte es tun. Danach hatte ich alles, was ich brauchte. Keinen Mitwisser, eine saubere Weste. Evelyn. «Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort:»Rothaarige machen mich verrückt, ich kann es nicht ändern.«

Bevor ihn Monika festhalten konnte, wälzte er sich auf den Rücken, stöhnte laut auf und setzte die Flasche an den Mund. Erst als sie leer war, schleuderte er sie von sich.

«So, und nun laß mich allein, Mädchen!«sagte Blandy mit letzter Kraft.»Laß mich ohne Aufsicht krepieren! Ich hab's verdient. Und vergiß es nicht, Jack soll es nie erfahren. Und jetzt aber raus mit dir!«

Wie benommen stand Monika auf. Sie suchte das Freie. Erst in der Kälte wurde ihr bewußt, was sie gehört hatte. Sie rannte ins Zelt zurück.

Blandy kniete auf dem Boden. Er hatte eine große Spritze in der Hand und drückte gerade die helle Flüssigkeit in seinen Oberarm.

«Nicht, Doc!«schrie Monika. Sie schlug ihm die Spritze aus der Hand, aber die Flüssigkeit war schon injiziert.»Sie müssen weiterleben! Verdammt! Sie müssen leben! Sie dürfen Jack nicht mit zwei ungeklärten Morden zurücklassen! Sollen dreihundert Menschen mit dem Verdacht, ein Mörder zu sein, weiterleben? Sie müssen aussagen, Paul!«

«Zu spät, Mädchen. «Blandy fiel auf sein Lager zurück.»Ich bin ein egoistischer Saukerl, was? Recht hast du… gib alles zu Protokoll, wenn du wieder daheim bist! Was hat ein Toter davon, ob man was von ihm hält.«

Er wälzte sich wieder auf die Decken, streckte sich aus, faltete die Hände über dem Leib und schloß die Augen.

«Ich habe keine Schmerzen mehr«, sagte er leise.»Blondie, es geht zu Ende. Verdammt, wie gern habe ich gelebt.«

Es dauerte zwei Stunden, dann gab auch das starke Herz von Dr. Blandy den Kampf auf. Die Überdosis Morphium lähmte schließlich die Atmung. Man sah, wie Blut und Fieber aus seinem Gesicht wichen. Die wächserne Blässe, die zurückblieb, veränderte ihn völlig. Es war nicht mehr Dr. Blandy, der dort lag, es war nur noch ein toter Körper.

Langsam zog Monika eine Decke über den Toten und warf den dik-ken Pelzmantel um. Als sie aus dem Zelt kam, stand Cornell vor ihr.

«Schläft er?«

«Ja. Für immer.«

Langsam nahm Cornell seine Pelzmütze ab und ging ins Zelt.

Man hatte in der Nacht allerhand zu tun. Evelyn, die einen Schreikrampf bekam, als sie den Tod Blandys erfuhr, mußte behandelt werden. Zelt II wurde abgebrochen, die Schlitten wurden beladen, Sling-man, Yenkins und Puckray bauten aus Eisblöcken ein Grabmal für Blandy, weil es unmöglich war, ihn in den meterhohen Eisboden zu versenken und noch unmöglicher, ihm im Anblick der Russen ein Seemannsgrab im Meer zu geben. So baute man also einen Eissarg, wickelte um Blandys Leichnam die amerikanische Flagge und setzte ihn bei. Cornell und Hendricks fügten den letzten Eisblock in die Lücke und schlossen das Grab. Die Männer, in einer Reihe wie zur Parade, salutierten feierlich. Etwas abseits hockten die Eskimos auf ihren Schlitten und sahen ihnen mit breitem Grinsen zu. Sie kauten Speckschwarten und schmatzten laut. Merkwürdige Menschen, diese Weißen, dachten sie. Sterben ist etwas Natürliches. Warum stellen sie sich so an?

«Er hätte den großen Zapfenstreich verdient«, sagte Yenkins leise.»Blasen wir ihn im Geiste, Jungs.«

«Ich habe meine Trompete bei mir!«Puckray rührte sich nicht. Er stand wie ein Denkmal und grüßte.»Aber wenn das der Russe hört. Ich blase dem Doc drei Zapfenstreiche, wenn wir wieder in der Heimat sind!«

«Er hatte Alabama gern«, murmelte Slingman dumpf.»Er hat es mir ein paarmal gesagt. Ich werde ihm bei mir im Garten ein Kreuz aufstellen.«

«An die Schlitten!«sagte Cornell hart. Er wandte sich an seine Männer.»Die Mädchen in Schlitten eins und zwei, in Schlitten drei die beiden Gasöfen! Wie klappt's mit den Brettern?«

«Gut, Sir!«Yenkins rutschte aus der Reihe vor.»Sie sind eine große Erleichterung.«

Er wollte noch etwas sagen, aber Tami Tamaroo, der zufällig wieder Wache hatte, kam von der Schutzmauer herübergelaufen. Er hatte die Trauerfeierlichkeit noch mitgemacht und war dann zu seinem Beobachtungsstand zurückgekehrt.

«Sie sind weg!«schrie er und vollführte einen verrückten Tanz.»Sie sind weg! Die Russen sind getaucht! Sie müssen gerade weg sein… vor einer Viertelstunde waren sie noch da!«

Hendricks, Cornell und alle anderen liefen zur Steilküste. Im diffusen Licht der nördlichen Nacht lag das Meer glatt und leer vor ihnen, und wo das sowjetische U-Boot gewassert hatte, trieben träge die Eisschollen.

«Jetzt blase ich dem Doc das letzte Signal!«sagte Puckray feierlich.»Die Russen beginnen mir sympathisch zu werden.«

Sie kehrten zu dem Grabmal aus Eis zurück. Puckray blies auf seiner Trompete den Abschied von einem Mann, den sie alle geliebt hatten und von dem sie nicht wußten, daß er ein zweifacher Mörder geworden war, weil rote Mädchenhaare ihn verrückt machten.

Der letzte helle Ton verklang in der eisigen Nacht. Er hielt sich lange, als sei er gefroren und tanze nun über das Land. Evelyn, die man in den ersten Schlitten getragen hatte, schlief fest. Man hatte ihr Beruhigungsmittel geben müssen. Monika saß neben ihr, dick vermummt in die Felldecken der Eskimos. Im anderen Schlitten saßen Lili, Joan und Dorette zwischen Säcken mit Konserven. Die Hunde hechelten und wimmerten und sprangen in ihrem Seilgeschirr auf und ab. Sie waren ungeduldig. Die Eskimos standen an ihren Haltestangen und grinsten. Yenkins, das Verständigungsgenie, hatte ihnen durch Handzeichen klargemacht, wohin die Reise gehen sollte. Als er einen Radarschirm ins Eis zeichnete, nickten sie eifrig und stießen sich lachend an. Ein fröhlicher Menschenschlag.

«Sie kennen VENUS XI!«hatte Yenkins gebrüllt.»Jungs, wir sind gerettet!«

«Fertig zum Abmarsch!«rief Cornell jetzt.

Die Männer rannten zu ihren Positionen.

«Schlitten eins fertig, Sir!«rief Slingman und klopfte seinem Es-kimo auf die Schulter.

«Schlitten zwei fertig, Sir!«meldete Yenkins.

«Schlitten drei fertig!«rief Puckray. Dann merkte er, daß er etwas vergessen hatte und brüllte das» Sir!«schnell hinterher.

Cornell hob die Hand und ließ sie wieder fallen.»Los!«rief er.»In acht Tagen liegen wir in einem warmen Bett!«

Die Schlittenhunde heulten auf. Die große Wanderung über das Inlandeis auf Grönland hatte begonnen.

Jimmy Porter hatte sein Ultimatum verlängert. Nach Ablauf der zwei Stunden rannte er wie ein gefangener Tiger in seinem Torpedoraum hin und her und starrte immer wieder auf den Lautsprecher der Rundsprechanlage. Er schwitzte vor Aufregung, rieb sich die nassen Hände an den Hosenbeinen trocken und trank Unmengen Mineralwasser, ohne die innere Hitze damit abkühlen zu können.

Die beiden Torpedorohre waren geladen, die Atomsprengköpfe auf Zündung gestellt, die magnetischen Suchgeräte geöffnet… man brauchte nur auf den roten Hebelknopf zu drücken und die tödlichen >Spargel< zischten aus den Rohren, suchten sich ihr Ziel und trafen mit höllischer Sicherheit. Es werden zwei riesige Atomwolken aus dem Meer aufsteigen, das Wasser wird kochen, im weiten Umkreis wird das Eis bersten, die grönländische Küste wird versinken, und radioaktive Wolken werden über die Länder treiben, um unübersehbaren Schaden anzurichten. Aber auch die POSEIDON I wird es nicht mehr geben, denn sie lag so nahe am getroffenen Ziel, daß auch sie mitten in der Sprengwolke zerplatzen mußte.

Porter setzte sich auf die leere Torpedoschiene und schlug die Fäuste zusammen.»Sag etwas, Jack!«stöhnte er heiser.»Los, Commander, sag etwas! Die zwei Stunden sind rum! Sollen wir denn alle krepieren! Wenn wir den Russen versenken und die Mädchen zurückholen… wer erfährt das denn? Von uns macht später keiner die Schnauze auf. Wir sitzen schließlich alle in der gleichen Scheiße. Jack, sag doch einen verdammten Ton.«

Nicholson saß in seinem Kommandantenraum am Tisch und trank eine Cola, als Leutnant Surakki, Leutnant Hynes, Leutnant Fairbanks und Chief McLaren eintraten. Auch sie gingen lautlos auf dicken Wollsocken und drückten die Tür vorsichtig zu.

Nicholson sah sie eine Weile stumm an. Sie hatten alle seltsam fahle Gesichter.»Ihr wollt wissen, was ich tun werde?«fragte er endlich.»Ich weiß es nicht. An Porter kommen wir nicht heran, mit ihm ist nicht mehr vernünftig zu reden, keiner kann ihn hindern, die Torpedos abzuschießen. Ihr seht, selbst ein so genial durchkonstruiertes Boot wie die POSEIDON hat seine schwachen Stellen! Nichts von Menschenhand ist vollkommen.«

«Ich habe da einen Vorschlag, Sir«, sagte McLaren dumpf.»Wir müßten nur noch eine Stunde Zeit gewinnen. Ist das möglich?«

«Ich will's versuchen. «Nicholson holte das Bordtelefon zu sich heran.»Was wollen Sie mit einer Stunde, Victor? An Porter kommen Sie nicht heran!«

«Seine Idee ist gut«, sagte Leutnant Hynes.

«Es ist ein Vabanque-Spiel, Sir. «McLaren nagte an der Unterlippe.»Aber wir könnten es gewinnen.«

«Da wir jetzt keinen Cent mehr wert sind, können wir nur gewinnen, was immer wir auch tun. Verloren haben wir schon. «Nicholson legte die Hand auf den Telefonhörer.»Was haben Sie vor, Victor?«

McLaren trat an die Wand, wo ein Aufriß des Bootes festgeklebt war. Ein langes Schaubild, das allerdings einige geheime Zellen nicht enthielt, die nur Nicholson und Collins bekannt waren. McLaren zeigte auf ein weitverzweigtes Rohrsystem und auf einen kleinen Raum. Nicholson hob die Augenbrauen.

«Das ist das Lüftungssystem«, sagte McLaren.»In alle Räume führen Rohre mit gereinigtem Sauerstoff, von allen Räumen wird über andere Rohre die verbrauchte Luft wieder abgesogen. Sie wird durch diese Filter hier gepreßt, regeneriert, mit reinem Sauerstoff versetzt und wieder zurückgeblasen. Ein ständiger Kreislauf.«

«Das ist ein alter Hut, Victor«, sagte Nicholson müde.»Was hat das mit Porter zu tun?«

«Durch Klappenventile ist jeder Raum, jeder Gang, jede Fläche zwischen den Schotts einzeln zu regulieren… und abzustellen. Das heißt: Man kann auch dem Torpedoraum, in dem sich Porter allein befindet, die Belüftung entziehen!«

Nicholson starrte McLaren wortlos an. Er verfolgte die stumme Bewegung des Zeigefingers, mit welcher der Chief vom Regeneratorraum das Rohr bis zum Torpedoraum nachzeichnete.

«Sie haben recht, Victor«, sagte Nicholson nachdenklich.

«Um die Sache zu beschleunigen, können wir das System einseitig laufen lassen. Wir stellen die Frischluftzufuhr ab, ziehen aber gleichzeitig in voller Stärke die Altluft ab! Wenn Porter das merkt, kann es schon zu spät sein. Kann — sage ich!«

«Mit anderen Worten, Sie wollen Porter ersticken lassen!«

«Nur betäuben, Sir! Wenn er zusammengebrochen ist, öffnen wir die Schottür. Unser Risiko ist nur, daß Porter den Trick merkt und den Schußhebel erreicht, ehe ihm die Luft wegbleibt. Porter ist ein Bulle von Kerl und hat ungeheure Reserven. Was meinen Sie, Sir?«

Nicholson hob den Hörer ab. Surakki seufzte, und Nicholson sah ihn nur an. Er lächelte.

«Sie dürfen Nerven haben, Surakki. Wenn uns McLarens Plan gelingt, werde ich auch welche haben und mich benehmen wie ein Hysteriker. Victor, es gibt kein Risiko für uns.«

Er drückte auf den Knopf T I und wartete. Porters heisere Stimme tönte aus dem Lautsprecher an der Decke. Eine gehetzte, völlig aus der Kontrolle geratene Stimme.

«Verdammt, die zwei Stunden sind rum, Jack! Was ist los? Die Torpedos warten im Rohr. Gibst du den Befehl, oder soll ich von mir aus abdrücken? Oder hast du eine andere Idee?«

«Ich habe sie, Jimmy«, sagte Nicholson ruhig.»Noch eine Stunde.«

«Keine faulen Tricks, Jack!«

«Im Gegenteil. Wir werden auftauchen und mit den Russen verhandeln. Ich habe ebensowenig wie Sie den Ehrgeiz, als Friedensheld in die Geschichte der Navy einzugehen. Ich will leben wie Sie! Was wird der Russe schon groß sehen? Einen neuen U-Boot-Typ! Na und? Was in dem Boot ist, weiß er nicht. Ein Siamkätzchen ist ebenso eine Katze wie ein Tiger.«

«Welche neuen Töne, Jack! Und was dann?«

«Dann holen wir die Mädchen wieder an Bord, tauchen weg und machen unseren Auftrag zu Ende. Was allerdings dann in Norfolk passiert, könnt ihr euch denken.«

«Noch sind wir nicht in Norfolk, Jack. «Porter lachte, es klang irgendwie irr.»Man kann auch historisch denken. Zum Beispiel BOUNTY. Wir könnten in die Südsee fahren, uns eine schöne Insel aussuchen und an die Navy funken: Jungs, leckt uns alle am Arsch!«

«Jimmy, wir kämen doch nie hin! Man würde uns abfangen. Nein, das einzige, was wir tun können, ist auftauchen und vernünftig sein!«Nicholson sah McLaren an. Der Chief nickte. Er war leichenblaß geworden.»Also, Jimmy, noch eine Stunde. Einverstanden?«

«Wenn du mir dein Ehrenwort gibst, Jack… als Offizier… daß es kein fauler Trick ist!«

«Mein Ehrenwort, Jimmy«, sagte Nicholson unbewegt.

«Dann ist alles okay, Sir.«

Nicholson legte den Hörer auf. Surakki ließ hörbar Luft ab, Hynes und Fairbanks wischten sich den Schweiß vom Gesicht. McLa-ren knirschte mit den Zähnen.

«Fangen wir an«, sagte Nicholson und erhob sich.»Wer weiß im Boot noch von Ihrem Plan, Victor?«

«Nur wir hier, Sir.«

«Gehen wir.«

Der Filterraum war mit einem Maat besetzt, der die Manometer und die Anzeigen der Luftmischungen beobachtete. Ein leises Summen lag im Raum, als beherberge die Maschine mit den vielen Rohren, Ventilen und Schiebern einen großen Bienenschwarm.

«Sie haben Freiwache, Ken«, sagte McLaren zu dem Maat.»Hauen Sie sich in die Koje.«

Der Maat grüßte und sah den Commander fragend an. Dann verschwand er aus dem Raum. McLaren zog die Stahltür zu und ver-riegelte sie. Nicholson betrachtete interessiert die vielen Stellräder. Sie waren rot und blau lackiert. Links vom Filter blau, das hieß Frischluft, rechts davon rot, das hieß verbrauchte Luft. McLaren betrachtete den Lageplan am Filterkessel und suchte das blaue Rad für T I.

«Hier ist es!«sagte er und umfaßte es mit beiden Händen.

«Zudrehen!«Nicholsons Gesicht war unbewegt.»Und Rot voll auf.«

«Aye, aye, Sir«, antwortete McLaren heiser.

Er drehte mit ein paar kräftigen Kreisbewegungen das blaue Rad zu, ging dann zur anderen Seite und drehte das rote Rad bis zum Anschlag auf. Im Torpedoraum I wurde jetzt die Luft abgesaugt, aber es kam keine neue Luft mehr hinein.

«Wie lange wird es dauern?«fragte Nicholson ruhig und lehnte sich an die Wand.

«Das muß ich berechnen. Wieviel Kubikmeter hat der Torpedoraum?«

«Als wenn ich das wüßte«, sagte Nicholson aufgebracht.»Ich habe mich nie mit dem Problem des Erstickens beschäftigt.«

Porter saß wieder auf der leeren Torpedoschiene und war sehr glücklich. Er hatte gesiegt. Er hatte dem Commander gezeigt, daß man einen Jimmy Porter, erprobt in Korea und Vietnam, nicht so ohne weiteres verschaukeln konnte. Ja, die Offiziere, dachte Porter belustigt. Kommen sich scheißklug vor, bilden sich ein, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, nur weil sie auf der Kriegsschule waren und fabelhafte Phrasen gelernt haben. Auch ein Jack Nicholson ist kein Supermann, das hat er jetzt selbst zugegeben. Wenn's ans Sterben geht, zuckt auch bei ihm die Arschmuffe. Wie bei jedem. Wir wollen leben, Commander! Wir wollen noch viele süße Weiber bumsen, Sir! Warten wir also die Stunde noch ab, meine Herren.

Er trank sein Mineralwasser aus der Flasche, rülpste und betrachtete seine Torpedos wie ein Verliebter sein nacktes Mädchen. Was wird in Norfolk sein, dachte Porter. Der alte Adam wird spucken wie ein Vulkan. Sie lochen uns allesamt ein. Vielleicht werden wir degradiert, vielleicht sitzen wir ein paar Monate ab, aber das ist auch alles! Den Kopf hinhalten muß der Commander. Er hat die Verant-wortung. Natürlich werden wir versuchen, ihn herauszuhauen. Wir werden alle hinter ihm stehen! Wir sind doch Kameraden, Sir! Wir sind.

Aus Porters Poren quoll der Schweiß wie Wasser aus einem Schwamm. Es kam ihm unerträglich heiß vor, er zog sein Unterhemd aus, warf es weg und saß mit nacktem Oberkörper auf der Torpedoschiene. Sein breiter, wüst behaarter Brustkasten hob und senkte sich wie ein Blasebalg, an den Oberarmen wölbten sich die Muskeln wie dicke Stränge aus Stahlseilen. Das Atmen machte plötzlich ein wenig Mühe.

Das verdammte Mineralwasser, dachte Porter. Je mehr man in sich hineinsäuft, um so mehr schwitzt man aus. Er blickte nach oben zu den Filtergittern. Dort rauschte es leise, beruhigend. Alles in Ordnung. Daß es nur das Absaugrohr war, erkannte er nicht.

Er lehnte sich gegen die Wand, zog die Beine an und blickte hinüber zum Abschußhebel. Rot blinkte er in der trüben Notbeleuchtung. vier Meter von seinem Sitzplatz entfernt.

Porter hustete. In seiner Brust bildete sich ein massiver Druck, es war, als blähe sich die Lunge auf, so stark war da drin der Druck. Das Atmen wurde zu einem Pumpen, die Adern in den Schläfen begannen zu klopfen, der Kopf schien sich zu dehnen und die Schädelknochen auseinanderzudrücken.

Porter rutschte von der leeren Torpedoschiene herunter und hielt sich irgendwo fest. Er schwankte im Stehen, riß den Mund weit auf und atmete mit einem röhrenden Laut. Die Adern in seinen Schläfen wurden zu Stahlklammern, die seinen Kopf zusammenpreßten, während der Schädel wiederum mit aller Kraft auseinanderstrebte. In der Brust drängte die Lunge zur Kehle und der Magen sackte ab in die Därme.

Da endlich begriff Porter, was mit ihm geschah. Er wollte brüllen, aber es blieb von aller Kraft nur ein gurgelnder Laut übrig. Überdeutlich hörte er über sich das Rauschen der Filteranlage, die mit einem einzigen Sog die Luft in sich hineinfraß.

«Ihr Schweine!«stöhnte Porter.»Ihr verdammten Säue! Nicht mit mir! Jetzt geht's ans Krepieren!«

Er ließ die Schiene los, versuchte einen Schritt, aber seine Beine knickten ein. Er fiel auf den Boden, rollte sich auf den Bauch, rutschte auf Händen und Knien vorwärts und begann zu wimmern, weil sein Kopf wie ein Ballon wurde und seine Lungen die Luftröhre abdrückte.

Der rote Abschußhebel… noch drei Meter… nur noch lumpige drei Meter.

Porter sah durch die Nebel, die vor seinen Augen kreisten, den blinkenden roten Punkt näherkommen. Herausfordernd und lockend. Noch zwei Meter! Jimmy, das schaffst du doch! Zwei Sprünge, und dann mit der Faust drauf! Soviel Kraft hast du doch noch. Zeig es ihnen, Jimmy! Ich gebe dir mein Ehrenwort. o Scheiße, Scheiße! Auch Jack Nicholson ist nur ein Scheißkerl. Alle, alle sind es. alle sind wert, jetzt zu krepieren.

Porter kroch über den Boden, schweißüberströmt, mit schrecklich aufgerissenem Mund, mit hervorquellenden Augen. Ab und zu wälzte er sich auf die Seite und stieß mit dem offenen Mund in den Raum.

Luft! Luft! Luft!

Aber da war nichts mehr. doch über ihm rauschte es monoton weiter, und dieses Etwas zog gnadenlos den Sauerstoff aus dem Raum.

«Schweine«, wimmerte Porter.»Ihr Schweine.«

Der rote Knopf. Der rote Knopf!

Er streckte den Arm aus, spreizte die Finger wie einen Fächer, starrte auf den lockenden roten Punkt. Es fehlte knapp ein halber Meter.

Noch einmal bäumte sich Porter auf, aber er gewann keinen Zentimeter mehr. Er kam nur ein wenig vom Boden hoch, fiel dann aber in sich zusammen und schlug mit der Stirn gegen die Stahlplatten.

Das letzte, was er wahrnahm, war das satanische Rauschen der Filteranlage. Es klang wie das Dröhnen einer Riesenorgel.

Im Filterraum schaltete Leutnant Surakki den Lautsprecher aus. Chief McLaren sah Nicholson an. Er schluckte krampfhaft.

«Ich glaube, Sir, wir haben ihn soweit! Das war eindeutig ein Fall.

Er ist außer Gefecht. Soll ich Frischluft geben?«

«Ganz schwach, Victor. Rot ausschalten! Los, zum Torpedoraum.«

McLaren drehte das Absaugventil zu und die Frischluft um zwei Radumdrehungen auf. Dann rannte er den andern nach zum Bug des Bootes und hinunter zu T I.

Hynes und Fairbanks drehten gerade das Schott auf, als McLaren sie erreichte. Nicholson stand sprungbereit an der Seite. Wenn das Schott aufschwang, wollte er mit einem Satz in den Raum.

«Sir, bedenken Sie bitte, daß kaum Luft drin ist!«sagte McLaren.

«Um Porter zu holen, reicht sie!«

Nicholson ließ sich nicht abhalten. Er ging in den Torpedoraum. Die Luftleere stemmte sich ihm entgegen, als wäre sie eine Mauer. Er sah Porter einen halben Meter vor dem Abschußhebel liegen, beide Arme nach dem roten Knopf ausgestreckt, mit gespreizten Fingern. Aus Mund und Nase war Blut gekommen. Die Augen waren gläsern und starr.

Nicholson stieg zurück in den Flur und atmete tief durch. Surakki, Hynes, Fairbanks und zuletzt McLaren blickten kurz in den Raum und wischten sich dann übers Gesicht, jeder mit der gleichen Handbewegung, als gehöre das zum Reglement.

«Das war knapp!«sagte Nicholson keuchend.»Keinen halben Meter entfernt. Jungs — haben wir ein Schwein gehabt. «Er schloß die Augen, preßte das Gesicht gegen die Wand und wunderte sich, daß er nicht einfach zusammenklappte.

Auch ein Commander darf Nerven haben.

Für Porter kam die Hilfe zu spät. McLaren, der in den Torpedoraum stieg, drehte ihn auf den Rücken und kam dann zurück.»Irgendwelche Adern im Kopf sind ihm geplatzt«, sagte er.»Ich wollte ihn nicht töten, Sir, nur betäuben.«

«Ich weiß. «Nicholson wandte sich zum Gehen.»Ich weiß, Victor. «Er blieb stehen und sah sich um.»Surakki!«

«Sir?«

«Für alle heute ein dickes Steak. Sagen Sie der Küche Bescheid. Mich lassen Sie in Ruhe… ich möchte heute nichts mehr hören und se-hen!«

Die Offiziere grüßten. Nicholson starrte sie an, als sehe er sie zum erstenmal. Hinter ihnen war die Schottür, im trüben Licht lag Porter auf dem Boden. So einfach ist es, eine Weltkatastrophe auszulösen, oder… zu verhindern.

Nicholson schüttelte den Kopf. Er drehte sich um und ging mit schweren Schritten hinaus.

In der Nacht fummelte Leutnant Hynes so lange an Nicholson herum, bis dieser aus bleiernem Schlaf erwachte. Hynes' Gesicht strahlte, als habe er die schönste Frau der Welt ins Bett bekommen.

«Das müssen Sie sich anhören, Sir!«sagte Hynes. Es klang geradezu begeistert.»Das ganze Boot steht kopf, aber auf Strümpfen und lautlos! Es ist kaum zu fassen! Die Russen tauchen und ziehen ab! Wir haben das Fluten ihrer Tanks ganz klar im Gerät. Sie lassen ihre Maschinen donnern. Es ist eine wahre Pracht! Sie haben es geschafft, Sir! Gratuliere!«

«Ich habe Glück gehabt, Hynes, das war alles!«Nicholson schwang sich aus dem Bett, zog die dicken Wollsocken wieder über und setzte seine Mütze auf. Daß er nur ein Unterhemd und eine Hose anhatte, tat der Disziplin keinen Abbruch.

Im Sonarraum empfingen ihn lachende Gesichter. Die Männer preßten die Hände zusammen und schüttelten sie stumm. Gratulation, Commander.

«Laßt den Quatsch, Jungs«, sagte Nicholson gerührt.»Es hätte auch anders kommen können. Was macht der Russe?«

«Er ist getaucht, Sir, und er fährt jetzt ziemlich schnell ab. «Der Obermaat an der Abhörzentrale beobachtete den Computer, der die Töne sofort in Maße umrechnete. Ein technisches Wunderwerk.»Sie haben volle Fahrt voraus, Sir. Scheint so, als habe man sie weggerufen. Sie fahren auf neunzig Fuß Tiefe. Entfernung von uns jetzt schon vierhundert Meter. Sie nehmen keinerlei Rücksicht und machen einen Heidenkrach! Sie scheinen wirklich zu glauben, daß nur sie allein hier sind.«

Nicholson lachte. Ich könnte brüllen vor Freude, dachte er. Es ist ein unglaubliches Gefühl, mit vierzig Jahren das Leben geschenkt zu bekommen.

«Wir warten bis zum Morgen!«sagte er gelassen.»Surakki, lassen Sie das Boot um neun Uhr klar zur Fahrt machen. Wenn der Russe bis dahin weit genug abgelaufen ist, tauchen wir auf.«

«Aye, aye, Sir!«Surakkis Gesicht war wie eine Sonne.»Sir, ich soll Ihnen von der Mannschaft bestellen, daß sie mit Ihnen auch durch die Hölle geht!«

«Das habe ich nicht anders erwartet, Surakki! Sagen Sie der Mannschaft, über Selbstverständlichkeiten spricht man nicht!«

Er nickte und verließ den Sonarraum. Surakki, Hynes und die anderen Männer strahlten.

«Jetzt ist er wieder der Eisenfresser!«sagte Hynes glücklich.»Ich sage euch, der Trip unter den Nordpol wird ein Vergnügen sein!«

Um neun Uhr früh meldete die Abhörzentrale, daß der Russe nicht mehr zu orten sei. Auch das Sonar lief leer… das Meer war frei.

«Klar zum Auftauchen!«befahl Nicholson. Von den Abteilungen kam das Echo zurück, jetzt so laut und klar wie sonst.

«Klar zum Auftauchen, Sir!«

Durch das Boot lief ein Zittern, als die Maschinen wieder liefen. Vom Atommaschinenraum meldete sich Chief Collins.»Das klingt für mich wie eine Oper!«sagte er enthusiastisch.»Commander, so ein stiller Sarg ist schrecklich. Ich kann mich nicht daran gewöhnen! Wenigstens nicht zu Lebzeiten.«

«Dann werden wir das unter dem Nordpol üben, Frank!«Nicholson lachte, alle im Boot hörten es durch die Rundsprechanlage mit.»Und jetzt laßt uns den Himmel sehen!«

Unter einer hohen Schaumkrone tauchte die POSEIDON I auf. Das Meer war still und kaum bewegt, und so stieß der Turm an das Tageslicht, als gebäre das Meer eine neue Insel. Nicholson wartete im Turm, bis er durch die dicken Bullaugen den Tag sah, schraubte den Einstieg auf und kletterte auf die Brücke.

Die eiskalte Luft war das köstlichste, was er je eingeatmet hatte. Er breitete die Arme aus und sog sie ein, dann blickte er hinüber zur Küste und hob das Fernglas an die Augen. Hinter ihm kletterten Surakki und Hynes ans Licht, nachdem sie ihr >Erlaubnis zum Betreten der Brücke< gerufen hatten.

«Kommt rauf, Jungs!«sagte Nicholson.»Von heute ab werde ich jeden Krümel Erde lieben!«Er tastete die Küste ab, aber er sah keinerlei Bewegung. Auch Surakki, der sofort zum Land blickte, sah nichts.

«Völlige Ruhe!«sagte Surakki.»Wenn sie noch da wären, würden sie sich jetzt bemerkbar machen. Sie könnten uns sehen.«

«Vielleicht sind sie wegen der Russen weiter hinein ins Land gezogen. Funkraum, bitte Verbindung zum Landkommando herstellen!«

Es dauerte keine zehn Minuten, bis die Meldung kam:»Keine Funkverbindung, Sir. Auf Frequenz meldet sich niemand.«

«Dann sind sie unterwegs«, sagte Nicholson zufrieden.»Ich wußte, daß Cornell nicht abwartet, was wird. Und Doc Blandy schon gar nicht. «Ich bin so glücklich, Monika, dachte er plötzlich. Wir werden uns wiedersehen. Das wird zwar eine fatale Stunde sein, denn ich werde vor dir dastehen als ein arbeitsloser Offizier, den man aus der Navy geworfen hat. Ich weiß, du hast einen reichen Vater, aber das kommt nicht in Frage! Ein Nicholson schuftet für seine Frau, aber er läßt sich nicht aushalten. Irgendwo und irgendwie wird sich im großen Amerika schon eine Arbeit für mich finden. Wenn Blan-dys Arzneimittelvertretung nicht klappt, vielleicht stellt mich ein cleverer Reeder in Florida ein, der mit großen Jachten Reisegruppen zum Haifischfang und Barrakudajagd hinausschickt. Touristenrummel mit Nervenkitzel, aber was soll's, Monika? Es wird gute Dollar bringen, für dich, für mich und für unsere Kinder. Ja, Kinder will ich haben, mindestens zwei, so blond wie du. Wir werden uns durchboxen, Monika, das versprech ich dir!

«An Funkgast!«sagte Nicholson laut.»Verbindung zu VENUS XI, Codebuch II. Gespräch auf die Brücke legen.«

Dieses Mal dauerte es nicht lange. Das Telefon in dem wasserdichten Stahlkasten rappelte, und Nicholson holte den Hörer heraus. Radar VENUS XI meldete sich. Ganz klar. Man vernahm deutlich, wie verblüfft die Stimme im ewigen Grönlandeis war.

«Was ist denn das?«fragte der Mann.»Kennwort, mein Junge.«

«Der Teufel hat zwei Schwänze — hinten einen und vorn einen, denn er ist ein Mann!«sagte Nicholson fröhlich.»Hör mal zu, mein Junge. Wer, wie, wo und was, das ist jetzt scheißegal. Auf dem Festland befinden sich fünfzehn Mann, zwei Offiziere, ein Arzt und fünf hübsche Mädchen. Sie sind auf dem Weg zu euch, von Süden, immer an der Küste entlang. Schwingt euch in eure Motorschlitten und holt sie ab!«

«Wer sind Sie?«fragte die Stimme von VENUS XI.

«Das werden euch die Jungs erzählen, wenn ihr sie eingeladen habt. Und paßt mir auf die Mädchen auf! Finger weg von ihnen. Es sind scharfe Sachen!«

«Das ist doch wohl ein Witz, was?«sagte VENUS XI ärgerlich.

«Machen Sie die Schlitten klar und fahren Sie los!«brüllte Nicholson.»Die Verantwortung tragen jetzt Sie. Klar?«

«Ja, Sir!«Die Stimme kiekste. Verdammt, schien der Mann zu denken, da drüben sitzt ein scharfer Hund.»Wo kann ich Sie erreichen, Sir, wenn wir die Gruppe aufgenommen haben?«

«Nicht mehr! Bestellen Sie einen Gruß. die werden wissen, von wem er kommt. Und bestellen Sie ihnen: Uns geht es blendend. Verstanden?«

«Verstanden, Sir.«

«Ende.«

«Ende.«

Nicholson legte den Hörer in den Stahlkasten zurück.»Damit wäre das Kapitel erledigt, meine Herren«, sagte er zu seinen Offizieren.»Jetzt liegt der Nordpol noch vor uns und später, in der Heimat, der große Hinausschmiß!«

«Wir stehen voll hinter Ihnen, Sir«, sagte Hynes. Es klang wie ein Schwur. Nicholson hob die Schultern.

«Das wird wenig nutzen, Hynes. Aber das ist Zukunftsmusik. Erst unter dem Ewigen Eis durch! Was ist mit Porter?«

«Er ist fertig zur Bestattung, Sir.«

«Bringen wir es schnell hinter uns!«

«Sofort, Sir!«

Im Boot schrillte eine Trillerpfeife. Ein Luk im Deck öffnete sich. Das Begräbniskommando in Paradeuniform stieg herauf, sechs Mann trugen die in Segelleinen eingerollte Leiche Porters. Auf die Brust hatte man die amerikanische Fahne genäht. Korea, Kuba, Vietnam. Porter hatte diese Ehre verdient.

Dann war auch das vorbei. Das Luk klappte zu, das Boot war bereit zur Erfüllung seiner Aufgabe. Nicholson blickte noch einmal hinüber zur Küste Grönlands. Dann wandte er sich ab.

«Klarmachen zum Tauchen!«sagte er mit zackiger Stimme.»An Funkzentrale: Verbindung zur Basis.«

«Was wollen Sie dem Admiral sagen, Sir?«fragte Hynes hinter ihm.»Sie haben uns doch dauernd im elektronischen Bild.«

«Ich will ihm sagen, Hynes, daß er sich die Zeremonie der Degradierung sparen kann. Ich werde der erste Commander der US-Navy sein, der sein Schiff in Zivilkleidung verläßt.«

Im Boot klingelte es kurz.»Alles klar zum Tauchen, Sir!«meldete eine Stimme aus der Tiefe. Nicholson stieg die Leiter hinunter in den Kommandoraum. Surakki schloß das Turmluk. Rauschend ergoß sich das Wasser in die Tanks.

«Wir werden dreißig Tage unter Wasser bleiben«, sagte Nicholson, als das Meer über dem Boot zusammenschlug. Er saß auf dem Sitz vor dem Sehrohr und putzte mit einem Lederläppchen die Einblicklinsen. Um ihn her drängten sich in dem verhältnismäßig engen Raum die Offiziere der POSEIDON I.»Ich werde mir jetzt die Ruhe nehmen, den Mörder von Belucci und Duff zu finden. Ich habe es dem kleinen Duff versprochen. Und mein Versprechen halte ich.«

Загрузка...