Kapitel 9


Die größte Sorge war zunächst, bis zum Heraufdämmern des Morgens alle Spuren der Landung zu verwischen und sich an Land für die sowjetischen Beobachter unsichtbar zu machen. Die Russen, das sah man, waren völlig sorglos. Wer käme auch auf den Gedanken, daß hier, in der menschenleeren Urwelt, ein amerikanisches U-Boot Offiziere, Matrosen und fünf Mädchen ausgesetzt haben könnte. Mit vollem Licht lag das sowjetische Boot auf dem Wasser. Die dicken Panzerglasscheiben, drei Reihen übereinander, leuchteten durch die fahle Nacht. Offensichtlich saßen die Wachen im Boot und spielten Schach, um die Stunden zu vertreiben.

«So sorglos möchte ich auch mal sein!«sagte Cornell. Er zog die Fellkapuze ins Gesicht. Es war saukalt.

«Was würden sie wohl machen, wenn sie wüßten, daß irgendwo ganz in der Nähe die POSEIDON I auf Grund liegt und den Atem anhält!«

«Nicht auszudenken, Doc! Mein Gott, reden Sie nicht weiter! Ich frage mich nur, wie's nun weitergeht?«

«Wir warten ab, bis die netten Russen wieder unter Wasser sind.«

«Und wenn sie an Land kommen?«

«Warum sollten sie?«

«Neugier! Cornell, Neugier ist eine der lebenswichtigsten Eigenschaften des Menschen, fast so wichtig wie der Sex! Ohne Neugier verkümmert unser Hirn.«

«Doc, hören Sie auf, jetzt anthropologische Weisheiten von sich zu geben! Wenn die Russen an Land kommen.«

«Sind wir Schiffsbrüchige.«

«Von welchem Kahn denn? Zwei amerikanische Offiziere, ein amerikanischer Marineoberarzt, fünfzehn Matrosen, fünf Mädchen.«

«Das wird den Iwan am meisten verblüffen. «Dr. Blandy lachte.»Sie werden uns beneiden, wenn sie erfahren, daß es bei der US-Navy üblich ist, hübsche Mädchen mitzuführen, gewissermaßen als Bordverpflegung. Sie werden grün werden vor Neid. Vielleicht gibt es sogar einen Aufstand wie damals auf dem Panzerkreuzer Potemkin… Statt Revolution schreien sie dann: auch wir wollen Weiber an Bord!«

«Mit Ihnen ist nicht zu reden!«Oberleutnant Cornell schlug die Arme um seinen Körper. Die mörderische Kälte durchdrang sogar den pelzgefütterten Mantel. Blandy schien nicht zu frieren, obgleich er über seinen nackten massigen Körper nur lose seinen Pelzmantel hängen hatte. Verwundert stellte das Cornell fest. Wie muß das kleine rote Luder Evelyn ihn aufgeheizt haben, dachte er. Joan ist schon ein wildes Tierchen, bei dem selbst ein stämmiger Mann außer Atem kommen kann, als habe er drei Stunden Navy-Spezialausbildung hinter sich. aber diese Evelyn Darring mußte ein Miniaturvulkan sein, sobald man ihrem Krater näher kam.

«Ich schlage vor«, sagte Cornell und riß sich von diesen Gedanken los, die ihn rettungslos wieder zu Joan und seiner Höhle führten und damit außerhalb aller Vernunft kamen,»daß wir sofort hier unten alles abbauen und hinauf aufs Oberland ziehen. Von der See her ist, das haben wir ja selbst festgestellt, das Festlandplateau schlecht zu beobachten. Aber die Steilküste mit unseren Höhlen liegt genau im Blick der Russen. Was halten Sie davon, Doc?«

«Sie sind hier der Kommandant«, antwortete Dr. Blandy achselzuckend.»Ich meine, in den Höhlen lebt sich's wärmer.«

«Vor allem mit unseren erotischen Öfchen.«

«Das auf jeden Fall!«sagte Blandy belustigt.»Was sagen die anderen dazu?«

«Wie Joan feststellte, gibt es keine Komplikationen mehr. Dreihundert waren zuviel. aber da Sie Evelyn haben und nicht wieder hergeben — «

«Auf gar keinen Fall, Bernie. Und Sie Joan aber auch nicht!«

«Genau! Es bleiben also Dorette und Lili übrig. Joan sagt, man habe unter den Männern intern ausgelost. Heute sind es Slingman und Yenkins, morgen Tamaroo und Flashing, übermorgen zwei andere… es geht anscheinend reihum, im besten Einvernehmen.«

«Ein Luxuspuff im Ewigen Eis! Wenn das nicht der Gipfel der Zivilisation ist!«Dr. Blandy lachte laut, brach aber dann sofort ab, als Cornell ihm heftig mit dem Ellenbogen in die Rippen stieß.»Pardon«, sagte Blandy leise.»Ich vergaß einen Augenblick die sowjetischen elektronischen Abhörgeräte. Wenn sie die überhaupt eingeschaltet haben.«

«Die bestimmt, und wenn sie noch so arglos sind.«

«Immerhin ist es faszinierend, daß selbst dreißig oder vierzig Grad Frost einen Menschen nicht davon abhalten, zwischen zwei Weiberschenkel zu kriechen. Es gibt doch tatsächlich keinen größeren Reizstoß als den Anblick eines behaarten Dreiecks. Bernie, das habe ich in Vietnam erlebt. Da lagen sie im Feldlazarett herum, blutend, amputiert, mit zerfetzten Leibern, mehr tot als lebendig, von Schmerzen geschüttelt… ging aber Schwester Claudia durch die Reihen, und das kleine Aas trug so kurze Röcke, daß man ihren Arsch sehen konnte, wenn sie sich bückte, dann röhrten die elenden Burschen los wie die Hirsche und wurden mit ihren Decken Zeltbauer.«

«Sie haben wohl nichts anderes mehr im Kopf, Doc, was?«sagte Cornell und ging in Blandys Höhle. Draußen wurde es ihm zu kalt. Ganz hinten auf dem Lager sah er im Funzelschein der heruntergedrehten Gaslampe schemenhaft unter den Decken den Körper Evelyns. Ihr feuerrotes Haar leuchtete sogar in diesem trüben Licht.»Der rote Teufel hat Sie ganz schön paralysiert.«

«Ich habe es über mich ergehen lassen, Bernie. «Blandy schnaufte. In der Höhle war es warm, und es roch nach animalischer Ausdünstung. Er warf den schweren Pelzmantel ab und stand nackt da, ohne auf Cornell Rücksicht zu nehmen. Ein Berg von einem Mann, wuchtig, aber nicht dick. Nur Muskeln. Ein Kraftpaket wie aus einer Anleitung für Body-building. Cornell betrachtete ihn kurz und beneidete ihn um diesen Körper und um diese Kraft.»Bauen wir also ab?«

«Ich meine, ja.«

«Okay. Oben im windigen Land werden wir uns die Weiber um den Leib schnallen müssen, um warm zu bleiben.«

Im Hintergrund der Höhle raschelte es. Evelyn setzte sich. Ihre festen spitzen Brüste schimmerten im Gaslicht, als die Decke von ihrem Körper glitt.

«Was ist los, Bärchen?«

«Wir ziehen um, rote Maus!«Blandy tappte zu ihr und zog seine gefütterte Unterhose an. Von diesem Augenblick an sah er nicht mehr begehrenswert, sondern wie alle Männer in langen Unterhosen ziemlich lächerlich aus.

«O nein«, sagte Evelyn mit ihrer aufreizenden kindlichen Stimme.

«O doch! Zieh dich an, Kaninchen. Es geht nur ein paar Etagen höher.«

«Hier ist es so schön, Bärchen.«

«Auf einmal? Vor vier Stunden hast du gemeckert, das hier sei ein

Sauloch und eine Beleidigung für eine Lady.«

«Das hat sich geändert, als du so lieb zu mir warst.«

«Wollen wir uns von den Russen erwischen lassen, oder über das die Umwelt verändernde Bumsen diskutieren?«fragte Cornell grob.

«Sie sind ein ungebildeter Klotz, Bernie!«sagte Blandy gar nicht böse und stieg in sein Hemd.

«Was ist mit den Russen?«fragte Evelyn und schob die Decke vollends von ihrem nackten Körper. Cornell, der sich jetzt an das Dämmerlicht gewöhnt hatte, stellte fest, daß Evelyns rote Haare nicht gefärbt waren. Das kann auch einen Mann wie Blandy in die Knie zwingen, dachte er mit ein wenig Neid. Ich habe eine echte Rote noch nie im Bett gehabt. Man sagt von ihnen, daß sie ein ungeheures Durchhaltevermögen mitbringen. Da ist Dr. Blandy gerade richtig am Platz.

«Draußen liegt ein sowjetisches U-Boot, Miß«, sagt er hart.»Darum mußte der Commander auch mit Alarmtauchen weg. Und wir müssen aufs Oberland, weil man uns hier sehen kann. Ist das klar?«

«Nein!«Evelyn Darring stand auf und lief nackt herum, um ihre Kleidung zusammenzusuchen. Sie tat es mit solcher Koketterie, daß einem Mann die Kopfhaut jucken mußte.»Ich sehe das nicht ein! Jetzt ist doch jemand da, der uns retten kann! Der uns mitnimmt und nicht Gespenst unter Wasser spielen muß.«

«Erklären Sie es ihr, Doc!«sagte Cornell und winkte ab.»Ich habe keine Zeit mehr. Es wird sowieso eine Knochenarbeit werden, alles nach oben zu schaffen!«

Er blickte noch einmal Evelyn an, die von hinten an Dr. Blandy herangetreten war und ihm den Nacken küßte. Blandy honorierte es mit einem zufriedenen Brummen und stieg dann in seine gesteppte Hose.

Cornell verließ die Höhle und lief geduckt zu den anderen Höhlen, um seine Leute zu alarmieren. Bei Bill Slingman traf er eine Art Bilderrätsel an. Ineinander verschlungen, eine schwarzweiße verrückte Plastik, schliefen Bill und Dorette den festen Schlaf der Erschöpfung. Slingman grunzte im Schlaf, und Dorette piepste beim Atmen wie eine beleidigte Maus.

«Aufstehen!«rief Cornell ins Zelt. Und als Slingman hochfuhr und Mühe hatte, sich aus Dorettes Verklammerungen zu lösen, fügte er hinzu:»Und die Schnauze halten, Slingman! Draußen vor der Tür steht ein sowjetisches U-Boot.«

«O du große Scheiße!«Slingman setzte sich.»Gibt es Krieg?«

«Nicht, wenn wir alle die Nerven behalten. Packt alles zusammen. Wir müssen nach oben!«

«In zehn Minuten bin ich fertig, Sir!«

Cornell rannte weiter. Was Slingman versprach, hielt er immer. Er war einer der besten und zuverlässigsten Soldaten, die Cornell je gesehen hatte.

Bei Yenkins war die Lage einfacher. Nach einem kurzen Zwischenschlaf befand er sich wieder mitten in Aktion und rammte bei Lili Pfähle ein.»O nicht doch, Sir«, sagte er atemlos und schweißbedeckt, als Cornell in die Höhle trat. Er ließ von Lili ab und warf über sich und das Mädchen die Decke. Ein wenig Schamgefühl hatte er sich noch bewahrt.»Sagen Sie bloß, Sie machen es dem Commander nach und setzen eine Nachtübung an.«

«So ähnlich, Yenkins. Alles zusammenpacken! Draußen stehen die Russen!«

Und auch Yenkins sagte aus tiefster Seele, was jeder Mann in dieser Lage sagen würde:»Verdammte Scheiße!«

Nach einer halben Stunde hatten alle, die noch in den Felsen lebten, ihre Sachen gepackt und standen in den Eingängen. Sie starrten hinüber auf das hellerleuchtete sowjetische U-Boot mit seinem gewaltigen dreistöckigen Turm und dem Buckel am Bug, unter dem sich die Raketenabschußrampe befand und die man herausfahren konnte. Von oben sprach Leutnant Hendricks über das Walkie-talkie mit Oberleutnant Cornell. Er vermochte vom Plateau aus die Russen besser zu beobachten, vor allem konnte er die Turmplattform gut überblicken.

«Sie haben das Turmluk zu«, sagte er.»Und die dümpeln herum wie ein toter Walfisch. Ob der Commander weg ist?«

«Unmöglich! Er muß meiner Ansicht nach auf Grund liegen und tote Fliege spielen.«

«Und wenn's den Russen zu gut hier gefällt und sie machen einen Extraurlaub?«

«Unken wir nicht, Hendricks. «Cornell hatte, während er sprach, den Arm um Joan gelegt und an sich gedrückt. Sie fror wie alle, die jetzt warteten. Ein leichter Wind war aufgekommen. Er war eisig und schmerzhaft.»Wie ist es bei euch da oben?«

«Ziemlich beschissen. Der neue Wind treibt Schnee über das Plateau. Wir sitzen ja hier wie ein Pickel auf einem blanken Kinderarsch!«Leutnant Hendricks unterbrach, Cornell hörte ihn etwas fragen. Dann war er wieder am Walkie-talkie.»Es ist alles klar, Bernie. Wir lassen jetzt vier Strickleitern herunter, alle vier Meter. Den Rest müßt ihr hochklettern.«

«Das ist Blödsinn, Hendricks. Die Mädchen kämen nie rauf! Knüpft die vier zusammen, dann kommst du mit einer bis unten. Wie lange dauert das?«

«Eine halbe Stunde, Bernie.«

«Leg einen Zahn drauf! Unseretwegen verschiebt der Herrgott nicht den Tag!«

Es dauerte keine Viertelstunde, bis sich Hendricks wieder meldete:»Okay, Bernie, die Leiter kommt runter! Übrigens, der Wind wird stärker. Hier ist jetzt ein schönes Schneetreiben. Wo kommt nur der Schnee her? Ich dachte, hier gibt's nur Eis.«

«Schreib mal an den Brifkastenonkel der New York Times. Vielleicht weiß der mehr. Steht das zweite Zelt?«

«Alles klar zum Empfang der Damen! Wie ist's mit deinem Stehen?«

«Ende!«sagte Cornell grob und schaltete das Sprechgerät aus. Er ging hinüber zu Bill Slingman, der hier unten der Ranghöchste der Matrosen war. Obermaat Yenkins war dabei, mit vier Mann die Kisten und Seesäcke zu der Stelle zu bringen, wo die Strickleiter herunterkommen sollte. Lili Petersen half ihm dabei, gehüllt in einen dicken Pelzmantel, die Fellmütze tief über den Kopf gezogen. Sie schleppte unentwegt die Kartons mit den Konservendosen zur Fel-senplatte.

«Das ist echte Liebe!«sagte Dr. Blandy. Er hatte seinen Seesack über der Schulter und in der anderen Hand hielt er einen zweiten Sack mit Verpflegung und der Marschapotheke. Aus Cornells Höhle schleifte Joan einen schweren Sack, bis Tami Tamaroo ihr zu Hilfe kam. Dorette stand neben Slingman und stapelte die Kartons.

«Und wo ist Ihre rote Maus?«fragte Cornell anzüglich.

«Sie schminkt sich noch«, sagte Blandy.»Stellen Sie sich vor, als sie damals auf die Rettungsinsel stieg, hat sie ihren Schminkkoffer mitgenommen!«

«Ich glaube, Doc, Sie reiten das falsche Pferd. Statt sich anzumalen, könnte auch Ihre Evelyn mit zupacken.«

«Das kann sie auch!«sagte Blandy gekränkt.

«Was ich nicht bezweifle. Nur, was Sie bei Ihnen anpackt, hilft uns jetzt nicht.«

«Sie entwickeln sich zu einem Ferkel, Bernie!«sagte Blandy grob.»Hätte ich nicht in Ihnen gesucht. Die einen schminken sich vor der Arbeit, die anderen rotzen sich in die Hände. Das erste ist mir lieber! Sehen Sie, da kommt meine kleine rote Katze.«

Aus der Höhle trat Evelyn, einen kleinen Karton mit Hartwurst und Milchpulver auf der Schulter. Mit koketten Schritten, sich ganz ihrer Wirkung bewußt, kam sie auf die Gruppe zu.

«Ist sie nicht 'ne Wucht!«sagte Blandy, völlig aus dem Tritt geraten.»Und wie Sie sehen, Bernie, arbeitet sie auch!«

«Sie überanstrengt sich nicht, Doc.«

«Nicht beim Milchpulvertragen, Sie Arsch!«Er ließ sein Gepäck fallen, rannte hinüber zu Evelyn und nahm ihr den Karton von der Schulter. Sie bedankte sich bei Blandy mit einem Kuß auf die Backe. Cornell seufzte, blickte nach oben, wo die Strickleiter gerade heruntergelassen wurde und gegen die vereisten Felsen klatschte. Wenn die Sowjets ihre ungeheuer feinen elektronischen Abhörgeräte in Tätigkeit hatten, mußte das bei ihnen klingen wie Paukenschläge. Auf jeden Fall schlugen die Anzeiger weit aus, und es entstanden auf den Kurvenschreibern hohe Zacken.

Aber die Russen schienen nichts zu merken. Ihre Sorglosigkeit war entwaffnend. Dem Himmel sei Dank!

«Sie als erster, Doc!«sagte Cornell und zeigte auf die Leiter. Blan-dy starrte am Felsen empor.»Warum denn das?«

«Damit Sie oben sind und helfen können, wenn einer sich Schrammen holt. Nach Ihnen kommen die Mädchen, keine Sorge. «Cornell sah hinaus aufs Meer. Das sowjetische U-Boot sah aus wie ein abstraktes, hellerleuchtetes Haus.»Hat der Commander eigentlich eine Ahnung, welch ein geiler Bock Sie in Wahrheit sind, Doc?«

«Mit Nicholson über Weiber zu reden, ist vertane Zeit. Ich hab ein paarmal angesetzt. Völlig sinnlos! Er kennt jede Schraube in einem U-Boot, aber vor einer Brustwarze rätselt er herum! Übrigens, auch er hat seinen Anteil bekommen.«

«Monika? Die Kühle aus dem Norden?«

«Erraten. Aber es scheint ein Fiasko gewesen zu sein, sonst hätten sie sich anders verabschiedet. Wahrscheinlich hat Nicholson beim Betrachten des Unterleibes an ein Leck im Boot gedacht. «Er lachte wieder dröhnend, verschluckte dann die weiteren Töne und nickte Cornell zu.»Entschuldigung. Die Russen mit ihren feinen Ohren. Also gut, ich klettere als erster hinauf. Aber dann kommt Evelyn.«

«Versprochen! Nur machen Sie nicht auf der Strickleiter halt und versuchen eine neue Tour.«

«Sie sind wirklich ein Saustück, Bernie!«Dr. Blandy griff in die eisigen Seilsprossen und begann, den Felsen hinaufzusteigen. Er nahm dabei seinen Seesack mit, einen Beweis mehr, welche Kraft in diesem Burschen steckte. Mühelos kletterte er nach oben, als sei er ein Seekadett, den man die Wanten hinauf- und hinunterjagt.

Auf halber Höhe merkte er, welch ein Wind auf dem Oberland wehte. Der eisige Hauch traf ihn, er fluchte mordsmäßig und dachte an seine rote Hexe, die gleich hinter ihm herkletterte und die von diesem Windstoß weggeweht werden konnte, wenn sie sich nicht tüchtig festklammerte. Ihr zuzurufen: >Paß auf, rote Maus!< war unmöglich. Das würde bei den Sowjets im Abhörgerät wie ein Knall

wirken.

Er stieg weiter und erreichte den Rand des Felsens. Sechs Hände griffen in seinen Pelz und zogen ihn vollends nach oben. Leutnant Hendricks grinste. Hier oben war der Wind schon fast ein Sturm. Über das flache Eisland trieb pulverisierter Schnee wie Nebelschwaden.

«Was tut man, wenn man bei diesem Frost pinkeln muß, Doc?«fragte Hendricks.»Die Sache gefriert sofort zur Stange.«

«Abbrechen und Ziergitter daraus bauen!«schnaufte Blandy und warf seinen Seesack weg, den ein Matrose, dick vermummt, sofort in das neu aufgestellte Zelt trug. Dann beugte er sich über den Felsrand und wartete, bis Evelyns Kopf auftauchte. Sie keuchte, aber sie hatte es geschafft. Wie eine Puppe hob Blandy sie hoch und drückte sie an seine Brust. Leutnant Hendricks starrte ihn entgeistert an.

«Wir zittern hier oben vor Kälte, und ihr da unten wärmt euch am Haaröfchen! Doc, das ist keine Kameradschaft!«

«Lili und Dorette werden das ausgleichen. Weinen Sie nicht gleich, Hendricks. Wem es gar zu weh tut, soll sich in den Wind stellen und seine Hosen fünf Minuten offenhalten. Er wird nie wieder daran denken.«

«Wer Sie bloß zum Arzt gemacht hat«, sagte Hendricks kopfschüttelnd. Dann hatte er sich um anderes zu kümmern. Nacheinander kamen sie jetzt die lange Strickleiter herauf und stemmten sich gegen den Eiswind. Lili, Dorette, Monika, Joan. Die Matrosen warfen sofort noch zusätzliche Decken über sie und führten sie in das zweite gepolsterte Zelt. Hier brannte ein Gasofen. Es war warm, aber eng. Vor den Zelten hatte man aus Eisblöcken eine bizarre Mauer als Sichtschutz gegen das sowjetische U-Boot gebaut. Vom Meer her mußte es wie eine Wand aus Eisschollen aussehen — wie etwas ganz Natürliches.

Evelyn setzte sich sofort neben den Gasofen, zog den Pelz aus und blickte um sich. Ihr rotgeschminkter Schmollmund verzog sich.

«Was sollen wir hier?«fragte sie die anderen.»Kaum Platz für uns. Wo soll mein Boy bleiben?«

«Sei froh, daß du lebst!«sagte Monika entrüstet.»Und wenn wir hier gesund herauskommen, kannst du aus Dankbarkeit Nonne werden! Habt ihr nichts anderes im Kopf als Männer?«

«Unser Moralengel!«Evelyn hielt ihre Finger mit den gelackten Nägeln über den leise zischenden Gasofen.»Von VENUS XI sind sie schon unterwegs.«

«Hoffen wir es.«

«Paul sagt es. «Sie sah Lili, Joan und Dorette der Reihe nach an.»Was sagen eure Kavaliere?«

«Nichts!«Joan öffnete ihren Mantel und warf die Decke ab.»Ich weiß nur, daß Bernie ein anständiger Bursche ist. Kann sein, daß ich bei ihm bleibe.«

«Heiraten?«fragte Evelyn entgeistert.»Bist du verrückt!«

«Ich liebe ihn.«

«Einen Offizier vom Atom-U-Boot!«Evelyn tippte gegen ihre Stirn.»Willst du ewig solo herumsitzen und auf ihn warten? Für Monika ist das selbstverständlich. Frau Commander! Sex in Monatsraten, wie im Versandhauskatalog bestellt. Sonst Windstille. Das hält doch keiner von uns aus.«

«Man sollte dir den Mund stopfen«, sagte Monika leise. Und da sie es zwischen den Zähnen sagte, war es verdammt gefährlich.»Bei dir ist Liebe doch nur Kannibalismus.«

«Ach Gott, was seid ihr alle dämlich!«Evelyn zog die Knie an und starrte in die Gasflamme.»Das verfluchte U-Boot hat euch alle verdreht!«

Draußen schleppte man jetzt das ganze Material auf das Oberland. Slingman, Yenkins und vier Matrosen — die stärksten — schufteten wie die Ameisen. Sie kletterten hinauf und hinunter, und sie schleppten die Lasten über die Strickleiter den eisverhangenen Felsen hinauf. Der Wind wurde immer stärker. Der über die glatte Fläche gepeitschte Schnee ließ nur noch wenige Meter Sicht frei. Es war kaum möglich, zu atmen. Die Männer steckten die Gesichter in die Pelze, wenn sie Luft holen wollten und blieben so, mit dem Rük-ken gegen den Wind, stehen, bis sich die Lungen wieder vollgesaugt hatten. Erst dann konnten sie weiterarbeiten. Sechs Mann bauten in diesem höllischen Sturm das dritte Zelt auf, das von unten heraufgebracht worden war. Es war ein großes Zelt, in dem die restliche Mannschaft leicht Platz hatte. Auch das Schlauchboot und den Motor schleppten Slingman, Yenkins und die anderen über die Strickleiter nach oben. Dann suchten sie alle Höhlen und auch das Landeplateau nach Abfall oder vergessenen Dingen ab. Falls die Russen wirklich landen würden, sollte nichts verraten, daß hier bereits Menschen an Land gegangen waren.

«Alles okay!«meldete Slingman, der bis zuletzt unten geblieben war.»Alle Spuren sind weg, Sir! Ich habe auch den gefrorenen Urin abgeschabt und ins Meer geworfen. Da muß einer wie ein Pferd gepißt haben!«

«Bist ein guter Junge, Bill«, sagte Cornell ins Walkie-talkie.»Komm jetzt rauf. Ende.«

Damit war der Umzug beendet. Er hatte über drei Stunden gedauert, und Bernie Cornell atmete erleichtert auf. Er stand hinter der künstlichen Eismauer und blickte mit dem Nachtglas hinunter auf das hellerleuchtete sowjetische U-Boot. Irgend etwas mußte dort die Ruhe gestört haben. Die Russen wurden munter, das Turmluk klappte hoch, nacheinander kletterten sechs Männer in Pelzmänteln auf die Plattform. Bill Slingman hing noch in der Strickleiter am Felsen. Ihm fehlten vielleicht gerade noch zehn Meter bis zum Rand.

«Ihre Lauscher haben nicht geschlafen!«flüsterte Cornell hinüber zu Hendricks, der neben ihm stand.»Wer von uns hat da Krach gemacht?«

«Der verdammte Außenbordmotor! Die Jungs konnten nichts dafür. Er ist dreimal gegen die Felswand geschlagen. Schließlich transportiert man Motoren nicht Felswände empor.«

«Scheiße! Slingman ist noch in der Wand. «Auf dem russischen U-Boot flammten plötzlich drei starke Scheinwerfer auf. Sie stachen ihre grellen Lichtbündel aus dem Turm und begannen zunächst das Meer abzutasten. Stellen, welche von den Lichtstrahlen berührt wurden, waren taghell, so gleißend hell, daß nichts verborgen blieb. Slingman erkannte sofort die Gefahr. Er kletterte weiter mit der Geschwindigkeit eines Affen. Nur noch sieben Meter, sieben lächerliche Meter. Aber sieben Meter auf der Erde sind etwas anderes als sieben Meter auf einer Strickleiter an einem vereisten Felsen.

«Wenn die Russen die Scheinwerfer ein wenig höher stellen, ist alles aus!«sagte Hendricks.»Dann ist Slingman wie eine Zirkusnummer angestrahlt.«

«Sagen Sie ein Vaterunser, aber halten Sie die Schnauze!«brummte Cornell.»Vielleicht haben wir Glück.«

Sie verfolgten die Scheinwerferarme, die noch immer über das Meer glitten. Eisschollen leuchteten blauweiß auf, man sah sogar, daß dicht unter der Wasseroberfläche ein Fischschwarm sichtbar wurde. Wie glitzerten die kleinen schmalen Leiber im Licht!

«Die haben ja ein verteufeltes Licht, die Russen!«sagte Dr. Blandy. Er war zu den beiden Offizieren getreten, nachdem er seinen Seesack ausgepackt und seine Arzttasche griffbereit im Zelt aufgestellt hatte.»Aber sie kommen etliche Minuten zu spät.«

«Slingman hängt noch in der Leiter.«

«O Scheiße!«Blandy starrte auf den Felsrand.»Wie tief?«

«Keine Ahnung. «Cornell betrachtete durch das Nachtglas die sechs russischen Offiziere auf dem Turm.»Die Sowjets haben wahrscheinlich Ihr Lachen gehört, Doc«, sagte er giftig.

«Ich befürchte, ich muß Sie eines Tages doch noch k.o. schlagen!«brummte Blandy.»Himmel, warum kommt Slingman nicht! Ein Neger kann doch klettern wie ein Affe. Ich geh mal rüber und guck, wo er bleibt.«

«Sie bleiben hier, Doc!«Cornell hielt Blandy an Ärmel fest.»Es genügt, wenn die Russen einen Mann sehen.«

«Ob einen oder zwei, das ist doch dann scheißegal! Dann wird es hier lustig. Die Russen sind keine Hirnatrophiker! Wo eine Strickleiter hängt, gibt es mehr als einen Mann!«

Sie hielten kurz den Atem an, als die drei Scheinwerfer plötzlich erloschen, aber ebenso plötzlich wieder aufleuchteten. Sie standen jetzt höher und tasteten die Küste ab.

«Gleich sind wir dran«, sagte Dr. Blandy aufgeregt.»Noch ein biß-chen höher, und sie haben unsere Höhlen und die Strickleiter im Visier.«

In diesem Augenblick erschien Slingman auf dem Oberland. Er warf sich sofort auf das Eis und begann, die Strickleiter heraufzuziehen. Leutnant Hendricks lief zu ihm, warf sich neben ihn und half ihm. Meter um Meter tasteten die russischen Scheinwerfer die Felsen ab. Es war ein Wettlauf um Sekunden… als das Ende der Strickleiter über Hendricks und Slingman aufs Eis klatschte, hatten die hellen Strahlen auch die Stelle erfaßt, wo Slingman noch vor ein paar Minuten gebaumelt hatte. Cornell atmete pfeifend aus. Dr. Blandy wischte sich den Schweiß von der Stirn… er war zu Kügelchen gefroren. Auf dem Bauch krochen Hendricks und Slingman in Deckung. Erst hinter dem Eiswall wagten sie, sich aufzurichten.

«Dafür sollten Sie einen Orden bekommen, Bill«, sagte Cornell heiser vor Erregung.»Aber was es an Blechklamotten gibt, haben Sie ja schon! Achtung! Deckung!«

Sie duckten sich hinter die Eismauer. Die Scheinwerfer hatten den oberen Rand des Felsens erreicht, um Blandy, Slingman und Hendricks war es taghell geworden. Es war, als bräche das Licht durch das Eis wie Röntgenstrahlen. Alles wurde transparent. Dr. Blandy hob die Schultern.

«Wenn das eine neue russische Geheimwaffe ist, sind wir im Eimer, Jungs«, knurrte er.

Die Scheinwerfer blieben einen Augenblick auf den Eisbarrieren stehen, aber dann wanderten sie weiter und senkten sich wieder auf die Felswand. Dort oben war die absolute Einsamkeit, dachten wohl auch die Russen. Urzeit. Nur Eisschollen, von Froststürmen angeblasen. Das blendende Licht tastete wieder die Höhlenreihe ab.

«Denen haben wir's gezeigt«, sagte Blandy und richtete sich wieder auf.»Die Russen haben einen unheimlichen Respekt vor mir.«

Jetzt konnten auch die anderen wieder lachen. Sie lehnten sich gegen die Eismauer, zogen die Pelze ins Gesicht und lachten in die Felle hinein. Ein fast hysterisches Lachen, das befreite und den ungeheuren Druck aus dem Körper trieb.

«Das war der erste Streich«, sagte Cornell später, als sie im großen Zelt saßen.»Aber aus dem Mist sind wir erst heraus, wenn die Russen weggetaucht sind. Solange dürfen wir uns nicht rühren. Kein offenes Feuer, keinen Rauch — «

«Sie Witzbold!«sagte Dr. Blandy.»Womit denn? Ohne Holz!«

«Es könnte einer auf die Idee kommen, die Kisten als Brennmaterial zu nehmen.«

«So dämlich ist keiner. Außerdem haben wir genug Propangas bei uns… und in vier Tagen sind die Leute von VENUS XI hier.«

«Eben!«Cornell hielt seine klammen Finger über das Öfchen.»Wenn die mit ihren Motorschlitten herankommen, werden die Russen jubeln. Ein wahres Schauspiel, und der Iwan hat einen Logenplatz.«

«Sie werden so schnell nicht kommen!«Dr. Blandy nickte nach oben. Der Sturm riß an dem gepolsterten Zelt. Sein hohles Heulen wurde immer stärker, und die Leinen, mit denen das Zelt gespannt war, knirschten bedenklich. Als Blandy gegen den Stoff drückte, war es, als versinke seine Faust in dicker Watte.

«Man muß sich vorsehen«, sagte er.»Bei diesem Wind frieren den Eisbären sogar die Arschlöcher zu.«

Commander Jack Nicholson dachte nicht an das traurige Schicksal von Eisbären. Bewegungslos lag die POSEIDON I auf dem Meeresgrund, mit abgestellten Motoren, gedrosselten Entlüftungsfiltern und scharfgemachten Torpedos. Aber auch alle Stationen für eine Selbstversenkung waren besetzt, die Sprengladungen, die das Boot zerstören sollten, waren an die elektrischen Auslösekontakte angeschlossen, an jeden Mann waren die Tauchretter ausgegeben worden. Schwimmwesten mit druckausgleichenden Sauerstoffatmungsgeräten.

Die Männer gingen im Boot nur in Strümpfen herum, und auch das nur, wenn es unbedingt nötig war. Die meisten lagen auf ihren Betten und lasen, dösten vor sich hin, unterhielten sich flüsternd, spiel-ten Karten, indem sie die einzelnen Blätter wie Seidenpapier auf die Tische schweben ließen, oder würfelten auf Wolldecken. Jeder unnötige Lärm wurde vermieden.

Nicholson saß im Kommandantenraum und schrieb ins Bordbuch die volle Wahrheit hinein. Es war ein Bericht, der ihm später den Nak-ken brechen würde, wenn er die Unterquerung des Nordpols wirklich hinter sich bringen sollte. Er versuchte keine Erklärungen, er schrieb mit militärischer Nüchternheit nur die Meldungen, die seine Schuld dokumentierten.

Schuld? War Menschlichkeit eine Schuld? War Liebe ein Verbrechen? Ist ein Commander ein anderer Mann als Millionen normaler Männer? Bestand die Welt denn nur noch aus einem U-Boot?

Es wurde nicht danach gefragt. Wer Amerikas größtes und empfindlichstes Geheimnis befehligte, hat aufzuhören, normal zu sein. Der Admiral hatte Nicholson darüber nie im unklaren gelassen.»Jack«, hat er gesagt,»fühlen Sie sich stark genug, diese Aufgabe zu übernehmen? Seien Sie sich klar darüber, Sie verlassen eine gewohnte Welt und werden selbst eine neue Welt! Es gibt dann kein Zurück mehr.«

Und Jack Nicholson hat geantwortet:»Sir, ich fühle mich stark genug. Die Navy ist meine Familie. Das wissen Sie.«

«Ich habe nichts anders erwartet, Jack. «Damals war der Admiral wirklich wie ein Vater gewesen. Er hatte Nicholson umarmt.»Ich hätte auch sonst keinen gewußt, dem ich das Boot ohne tiefe Sorge anvertrauen kann.«

Wie lange war das jetzt her? Fast ein Jahr! Damals wurde an der POSEIDON I noch gearbeitet. Die elektronischen Instrumente wurden eingebaut. Von den U-Boot-Basen und aus dem Marinesonderausbildungslager kamen die Namen und Personalakten nach Rochester, aus denen man dann die dreihundert Besten auswählte. Vor einem Jahr fast… was hatte sich seither alles getan!

Nicholson hatte sich zweimal verliebt: Einmal in sein Boot, das zweitemal in Monika, und diese zweite Liebe, die jetzt alles überstrahlte, die alles Bisherige sinnlos werden ließ, war nie einkalkuliert worden, weil sie es nach Jacks Ermessen nie geben konnte. Er hatte immer und allen Ernstes geglaubt, zu einer großen Liebe nie fähig zu sein, nicht, weil ihm einige Hormone fehlten, sondern weil er zu der Navy ein geradezu erotisches Verhältnis hatte, das alles andere ausschloß. Hier und da einmal eine flüchtige Bettgeschichte. Natürlich, die gab es. Jeder Dampfkessel hat ein Ventil, aus dem es einmal pfeift. Aber daß es möglich war, ein Mädchen wie Monika Herrmann zu sehen und von da an nur noch sie zu sehen, ob er die Augen offenhielt, ob er sie schloß — nur noch ihr blondes Haar zwischen seinen Fingern zu fühlen, ihren Atem auf seiner Haut zu spüren, ihren glatten jungen Körper mit dem seidigen Haarflaum immer gegenwärtig zu haben, auch in Gedanken so greifbar nahe, daß er oft die Hand ausstreckte, um sie zu berühren. und wenn sie nicht da war, so zog dennoch die Wärme ihres Leibes durch seine Handflächen — kurzum, das alles war ein so ungeheures Erlebnis, daß er jetzt in sein Bordbuch schrieb: >Es war notwendig, gegen den vorliegenden Befehl sowohl Kurs als auch Aufgabenstellung vorübergehend zu ändern und den Realitäten anzupassen.<

Realität?

Jack Nicholson legte den Kugelschreiber hin und klappte das Bordbuch zu. Die Realität ist, dachte er, daß wir wahrscheinlich alle vor die Hunde gehen. Wir hier unten in dem stählernen Sarg, und die da drüben auf dem vereisten Land erst recht. Sie glauben, daß wir VENUS XI erreicht haben und werden warten, bis sie nichts mehr haben, keine Verpflegung, kein Propangas zum Wärmen und Kochen, kein Holz für ein Feuer und schließlich keinen Willen mehr zum Leben. Sie werden erfrieren oder sich in sinnloser Panik gegenseitig umbringen. Die letzten Überlebenden werden die anderen auffressen, aber auch dieser Kannibalismus wird sie nicht retten. Es wird alles zu Ende sein: Das Boot, die dreihundert fantastischen Jungs, die Mädchen, die große Liebe, die letztlich an allem schuld ist. Das ist die Realität, Jack Nicholson. Denn da oben, über dir, lauert der Russe. Noch weiß er von dir nichts, noch ist alles ein verdammter Zufall… aber was alles auf der Welt ist nicht schon zugrunde ge-gangen durch einen kleinen Zufall?

Auf Strümpfen ging Nicholson durch sein Boot zum Sonarraum. Hier hockten seine Spezialisten und beobachteten die feinen Meßinstrumente. Leutnant Surakki, der Mann, der aus einem Punkt im Sonarschreiber ein ganzes Buch ableiten konnte, hockte vor den elektronischen Ohren und beobachtete die zitternden Meßnadeln, die Kurvenanzeiger, die flimmernden Punkte auf dem Radar und die Daten, die ihm das lautlose Echolot lieferte. Als er Nicholson sah, nahm er seinen Kopfhörer ab und deutete auf die Anzeigetafeln.

«Die Russen haben Nerven, Sir«, sagte er flüsternd.»Sie machen einen Krach, als wären sie allein auf der Welt.«

«Das glauben sie auch in dieser Gegend zu sein, Pit. Irgendwelche Anzeichen, daß sie unsere Leute an Land gesehen haben?«

«Noch nicht, Sir. «Pit Surakki hob die Schultern. Nicholson nickte.

«Aber Sie erwarten es? Ich auch, Pit! Und wir können ihnen nicht helfen, das ist das Schreckliche!«

«Was soll ihnen passieren, Sir?«Surakki lehnte sich zurück. Der Sonarschreiber als Kontrolle hackte große Zacken auf den Papierstreifen. Im sowjetischen U-Boot mußten Geschirre klirren, Musik dröhnen, laute Rufe hin und her fliegen. Die neuen, bisher nur einmal, und zwar in der POSEIDON I eingebauten elektronischen Geräuschempfänger, die ihre Meßwerte an einen Computer weitergaben, der dann in einem Bruchteil von Sekunden die Entfernungen ausrechnete, arbeiteten exakt. Das sowjetische Boot lag genau 372,47 Meter von der POSEIDON I entfernt an der Meeresoberfläche. Ein anderer elektronischer Computerschreiber hatte ebenso peinlich genau das gegnerische U-Boot beschrieben: Länge, Breite, Höhe, Tiefgang. Nicholson hätte es jetzt maßstabgerecht auf Millimeterpapier zeichnen können. Ein Wunderwerk der Elektronik.

«Wenn man unsere Leute sieht, wird man sie auf das russische Boot holen, und sie sind gerettet«, sagte Leutnant Surakki.»Man sollte es ihnen eigentlich wünschen. Was soll ihnen denn geschehen?«

«Pit, da lesen die Russen fünfzehn amerikanische Matrosen, zwei

Offiziere und einen Marinearzt auf, und dazu noch fünf Mädchen, ebenfalls Amerikanerinnen. Und das alles auf Grönland, wo es am einsamsten ist! Glauben Sie, die Sowjets sind blöd? Man wird die Leute in die Zange nehmen.«

«Wir haben keinen Krieg, Sir!«

«Keinen offenen, Pit! Aber wer will die Russen hindern, zum Beispiel die Mädchen so durch die Mangel zu drehen, daß sie alles sagen, was sie hier bei uns gesehen haben? Und die Mädchen werden singen. Es gibt da schmerzlose Methoden, die ungeheuer wirksam sind. Jeder Geheimdienst kennt sie, auch der unsere! Und dann wissen die Russen, daß da durch das Meer ein dickes Geheimnis schippert. Was werden sie tun? Sie nehmen sich unsere Männer vor, und die natürlich härter als die Mädchen. Wieder die Frage: Wer will sie daran hindern? Sie drehen die ganze Sache als Spionage auf und haben dann das Recht, auf die Pauke zu hauen.«

«Das gäbe ungeheure Verwicklungen, Sir.«

«Einen Scheißdreck gäbe das! Glauben Sie, das Weiße Haus läßt wegen achtzehn Mann und fünf Mädchen die Atome los? Man wird alles ableugnen, alles als Propaganda hinstellen, sogar die Verurteilung unserer Männer als Spione hinnehmen und sie später austauschen. und uns wird man jagen. Mit allen Mitteln! Die Chancen, dann zu entkommen, sind gleich Null.«

Er unterbrach sich. Die Meßinstrumente zeigten Veränderungen an. Leutnant Surakki war ganz weiß im Gesicht geworden. Auch die anderen Elektronikexperten saßen da wie die armen Sünder.

«Was ist?«fragte Nicholson gepreßt.

«Die Russen haben die Motoren auf Fahrt gebracht, Sir. «Surakki zeigte auf die Sonaraufzeichnung.»Sie fahren mit halber Kraft auf die Küste zu. «Der Entfernungsmeßcomputer tickte die Zahlen heraus. Danach glitt das russische U-Boot langsam davon — in Richtung Land.»Sie haben's nicht eilig.«

«Das kann bedeuten, daß sie unsere Leute entdeckt haben. «Nicholson lehnte gegen die Wand des Sonarraumes. Sie werden Monika fertigmachen, dachte er, und sein Herz zitterte. Sie wird tapfer sein, tapferer als die anderen Mädchen, aber gerade das wird sie reizen, ihren Widerstand zu brechen. Es gibt bei den Russen keinen Menschen, der nicht über kurz oder lang das gesteht, was sie wissen wollen. Ein Mensch, der leben will, spricht.

Einen Augenblick dachte er daran, was Leutnant Fairbanks, der Raketenoffizier, ihm gemeldet hatte.»Alle Werfer schußbereit, Sir!«Und er dachte daran, was Collins ihm gesagt hatte:»Sir, wir haben jetzt die Sowjets genau vor den Torpedos. Wenn wir den Hebel runterdrücken, gibt es keine Probleme mehr.«

Wahnsinn! Völliger Wahnsinn!

Nicholson schüttelte die Gedanken von sich wie ein Hund das Wasser aus seinem Fell. Leutnant Surakki sah ihn erstaunt an.

«Ist was, Sir?«

«Was macht der Iwan?«fragte Nicholson dumpf.

«Kurs Küste. Ganz langsam. Wenn sie auch vorhin geschlafen haben, jetzt müssen sie alle Instrumente in Tätigkeit haben.«

«Wehe, wenn jetzt irgendwo ein Schraubenschlüssel hinfällt oder der Koch mit dem Geschirr klappert!«Nicholson setzte sich vorsichtig auf einen Klappstuhl.

Der Meßcomputer tickte kaum hörbar.»Sie sind jetzt auf 238,21 Meter an uns heran, Sir«, flüsterte Surakki. Nicholson griff zum Mikrofon der Rundsprechanlage.

«Absolute Ruhe im Boot!«hauchte er hinein. Aus den Lautsprechern im ganzen Boot kam dieser Hauch wieder.»Stellt euch tot. sonst seid ihr es bald wirklich.«

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