Im Navigationsraum, in dem auch die Meldungen der Sonaranlagen und der elektronischen Unterwasserortungsgeräte zusammenliefen, starrte Chief Collins entgeistert Oberleutnant Cornell an, der ihm plötzlich den Befehl des Commanders überbracht hatte. Der Kursschreiber zeichnete wie mit Geisterhand die Fahrt auf, der Tiefenmesser pendelte und zitterte. Das Boot lag gut im Wasser, der NAVDAC, das Computernavigationsgerät, lenkte das 77-Millionen-Geheimnis problemlos durch das Meer.
«Nach Narvik?«wiederholte Collins gedehnt.»Ich soll Kurs auf Narvik nehmen?«
«Ich habe den Befehl nachgesprochen. Es stimmt.«
«Der Alte ist verrückt! Wir kommen in das Frühwarnsystem hinein, und dann ist der Teufel los! Wir lösen unsere eigene Alarmkette aus! Bernie, weißt du, was das bedeutet? Ein fremdes, sich nicht meldendes U-Boot im Gefahrenbereich, mit Direktkurs auf die Küste!«
Bernie Cornell hob die Schultern. Er hatte es sich abgewöhnt, gegen des Commanders Entscheidungen zu denken. In den dreiundneunzig Tagen war so viel Neues geschehen, daß keiner an Bord daran zweifelte, Nicholson sei entweder ein Genie, wie noch nie eines die Meere befahren hat, oder ein Idiot, den man eben wegen seiner Idiotie dafür ausersehen hatte, dieses verrückte Kommando durchzuführen.»Frag ihn selbst«, sagte Cornell.»Er ist im Lazarett bei den Mädchen.«
«Aha!«Collins beugte sich über die Seekarte. Plötzlich ahnte er, was der Kurs auf die norwegische Küste bedeutete. Er zögerte einen Augenblick, gab dann an den Maschinenraum den Befehl» Maschine stop!«und stellte den Navigator aus. Das Boot bewegte sich plötzlich fast lautlos. Es schwebte im Wasser, und nur ab und zu knirschte es in den Stahlwänden. Einhundertfünfzig Fuß Tiefe erzeugen einen beachtlichen Druck. Bei fünfhundert Fuß wird es kritisch, und Nicholson hatte das Boot sogar einmal auf fünfhundertsechzig Fuß gedrückt. Da hatte man herumgesessen, die Wände angestiert und die vor Angst schweißnassen Hände aneinandergedrückt. Es war, als dringe ein Röcheln aus den Stahlplatten.
«Frank, jetzt bist du verrückt!«sagte Cornell heiser.»Du kannst doch nicht einfach die Maschinen stoppen!«
Collins erhob sich und setzte seine Mütze auf. Er knöpfte den Uniformrock zu und schnallte den Gürtel mit dem Strahlungsmesser um. An Bord mußte ihn jeder tragen, um sofort gewarnt zu sein, wenn irgendwo in der Atomkraftanlage ein Fehler entstand und Strahlenverseuchung drohte.
«Ich habe gelernt«, sagte Collins ruhig, und sein verkniffenes Pfeifenrauchergesicht fiel in eine Art Erstarrung,»daß man Befehle auf ihren Sinngehalt untersuchen soll, ehe man sie ausführt. Einen Befehlsnotstand erkennt man später nicht an. mit dieser Begründung haben wir in Nürnberg die Nazigeneräle aufgehängt! Und was hier befohlen wird, ist in höchstem Maße sinnlos und gefährlich! Ich werde es Nicholson sagen.«
«Darauf bin ich gespannt. «Oberleutnant Cornell wartete auf eine Regung des Commanders. Daß das Boot stand, konnte er nicht überhören. Er zuckte trotzdem zusammen, als Nicholsons Stimme aus dem Rundlautsprecher dröhnte.
«Chief Collins, was ist los? Warum stoppen wir?«
«Ich komme zu Ihnen, Sir!«antwortete Collins.
«Das habe ich nicht gefragt. Ich will eine Erklärung.«
«Ich möchte über den Kurs mit Ihnen sprechen.«
«Ich nicht! Sie melden sich in einer halben Stunde bei mir in der Messe.«
Das rote Signallicht der Sprechanlage erlosch. Collins schüttelte den Kopf, schob Cornell aus dem Weg und verließ den Navigationsraum. Im Gang stieß er mit Chief Engineer McLaren zusammen, der vom Maschinenraum herangestürmt kam.»Das ist doch nicht möglich!«rief er.»Du gibst das Kommando Stop? Ich habe gedacht, das kommt vom Alten. Frank, hast du Mattscheibe?«
«Geh mir aus dem Weg, Victor«, sagte Collins dumpf.»Ihr ahnt ja alle nicht, was in den nächsten vierundzwanzig Stunden passieren soll! Darüber muß ich mit Nicholson reden.«
«Reden? Diskutieren? Mit dem Alten!«McLaren tippte sich an die Stirn.»Du bist krank, Frank.«
«Ich war noch nie so gesund wie heute!«Collins schob auch McLa-ren aus dem Weg und tappte den Gang hinunter zum Lazarett. Er kam an Belucci und Tamaroo vorbei, die ihn wie einen Geist anstarrten.
«Was ist los mit dem Boot, Chief?«fragte Belucci vorsichtig.»Warum stoppen wir?«
«Drei Meilen backbord fährt ein Dampfer mit Makkaroni, den wollen wir für dich entern. Verstanden?«
Belucci verzog sein schönes sizilianisches Gesicht, stieß Tamaroo in die Rippen und drückte sich gegen die Wand, um Collins vorbeizulassen.
«Hier stinkt etwas, mein Hula-Hula-Boy«, sagte er, als Collins durch das Schott verschwunden war.»Riechst du's nicht?«
Tamaroo schloß die leicht geschlitzten Augen. Er hatte ständig Sehnsucht nach seiner Heimat Hawaii, und wenn er allein in der Koje war, legte er ein Band mit heimatlichen Klängen in den Kassettenrecorder und tanzte mit wiegenden Hüften die Tänze seiner Insel.
«Es sind die Mädchen«, sagte er jetzt.
«Quatsch! Die werden wir wieder los.«
«Das ist es ja, Paolo. Willst du sie loswerden?«
Belucci schwieg. Er kaute an der Unterlippe, dachte an das, was er in der Rettungsinsel gesehen hatte und spürte gleichzeitig ein Ziehen in den Lenden.
«Blödsinn!«sagte er rauh.»Das ist ja alles Wahnsinn!«
«Genau das ist es!«Tamaroo nickte.»Fünf Mädchen zerstören unser Boot.«
Commander Nicholson hatte sich nach seinem Ausbruch schnell wieder beruhigt. Er lehnte noch immer neben der Tür, vermied es aber, die Mädchen voll anzusehen, also fixierte er einen bestimmten Punkt im Krankenzimmer. Es war ein eingerahmter Spruch, der an der Wand hing: >Wer hier raucht, wird klistiert!< Eine nicht gerade humane Ankündigung.
«Ich nehme an, Sie haben sich Gedanken darüber gemacht, was mit uns geschehen soll«, sagte die sportliche Monika Herrmann. Sie schien die einzige zu sein, die jetzt so nüchtern dachte wie Nicholson. Das gefiel ihm… die anderen Mädchen hockten in ihren Betten, mehr oder minder entblößt, betrachteten ihn und Dr. Blandy mit unverhohlenem weiblichem Interesse und gaben sich keine Mühe, irgendwelche Schamgefühle zu zeigen. Die rothaarige Evelyn Darring sprang sogar aus dem Bett. Sie lief nackt und mit ihrem Busen kokettierend bald hierhin, bald dahin und tat so, als ob sie etwas suche, um endlich vor Dr. Blandy stehenzubleiben.
«Ich könnte einen Schluck Whisky vertragen!«sagte sie herausfordernd.
«Ich auch!«Dr. Blandy grinste breit.»Es ist erstaunlich, wie schnell aus Halbtoten Hyperlebendige werden können.«
«Der Anblick von Männern macht uns immer munter!«sagte Do-rette Palandre und schwang die Beine hin und her. Sie saß auf der Bettkante, hatte die Decke weggeschoben, und ihr feingliedriger Körper glänzte im Licht der kalten Neonlampe wie mit Fett eingerieben. Es war warm im Raum. Dr. Blandy hatte die Klimaanlage auf vierundzwanzig Grad gestellt, um die unterkühlten Körper eine Weile in einer sommerlichen Temperatur zu lassen.
«Ich werde Sie an die norwegische Küste bringen und dort aussetzen«, sagte Commander Nicholson ungerührt.
«Das sieht Ihnen ähnlich!«Joan Hankow stieg jetzt auch aus dem Bett, nackt wie sie war. Sie war groß und schlank, das lange schwarze Haar bedeckte bis zu den Oberarmen ihre Schultern.»Mein Vater hat die besten Beziehungen zum Weißen Haus. Sie werden ungeheure Schwierigkeiten bekommen!«
«Die haben wir schon, Honey!«Dr. Blandy lachte geradezu herausfordernd.»Ihr seid auf einem Boot, das es gar nicht gibt. Begreift ihr das?«
«Es ist unnötig, das zu erklären, Paul. «Nicholson winkte ab. Sein Blick streifte Monika Herrmann. Sie hatte sich das Bettuch um den Leib gewickelt und stand nun auch in ganzer Größe da.
«Sie halten uns für dumme Puppen, Commander?«fragte sie.
«Ersparen Sie mir eine Antwort, Miß.«
«Uns aussetzen! Wir lassen uns nicht einfach aussetzen!«rief Lili Petersen. Ihre blonde Nacktheit war aufregend, zumindest empfand Dr. Blandy das so. Es werden verdammte Tage kommen, dachte er. Nicholson hatte von Anfang an recht, aber man kann doch nicht fünf Mädchen einfach umkommen lassen! Wir werden einen Weg finden, dieses Problem zu lösen. Aber ob das Aussetzen das einzige Mittel ist?
Es wurde an die Tür geklopft. Nicholson drehte den Kopf, ohne seine Haltung zu verändern.»Verschwinden Sie! Gehen Sie auf Ihren Posten! Es hat Sie keiner gerufen!«
«Ich muß Sie sprechen, Sir!«Collins Stimme. Nicholson kniff die Augen zusammen.
«In einer halben Stunde in der Messe!«
«Sir!«
«Das ist ein Befehl, Collins!«schrie Nicholson.
«Vielleicht ist es besser, du hörst ihn an, Jack«, sagte Dr. Blandy sanft.»Wir sind hier an Bord eine große Familie, dreihundert erwachsene Kinder, und du bist ihr Vater. Das hast du zu uns gesagt, als wir in Norfolk ablegten und du dich uns vorstelltest. Jetzt haben wir Probleme, wir alle. und die sollte man nicht einfach wegbefehlen.«
«Wer hat die Probleme an Bord geholt, Paul?«
«Ich! Im Namen der Menschlichkeit!«
«Und im Namen der Menschlichkeit schaffe ich sie auch wieder weg! Oder soll der Weltfrieden an fünf Weibern hängen?«
«Danke, Sir!«sagte Monika Herrmann laut.
Nicholson sah sie mit zusammengekniffenen Brauen an.»Wofür?«
«Daß wir für Sie Weiber sind! Das haben Sie wenigstens schon be-merkt.«
Nicholson verkniff sich eine Antwort, öffnete die Tür und verließ das Lazarett. Im Vorraum stand Chief Collins und grüßte, als meldete er sich zu einer Parade. Die beiden Sanitäter saßen lauernd auf den Hockern und warteten auf eine Sensation.
«Kommen Sie mit, Collins«, sagte Nicholson ruhig.
Er ging voraus, beachtete Cornell und Leutnant Curtis nicht, die auf dem Weg zum Kommandoraum wie zufällig auftauchten, und warf die Tür hinter sich zu, als sie in der Zentrale allein waren.
«Es ist nicht üblich, über Dinge zu diskutieren, die so klar sind wie unsere plötzlichen Probleme. Trotzdem, Collins, bin ich bereit, mit Ihnen darüber zu reden, warum Sie das Boot stoppen ließen!«Nicholson setzte sich an seinen Tisch und bot Collins nicht den zweiten Stuhl an. Das war eine klare Geste. Collins verstand und legte beide Hände auf den Rücken. Sein verkniffenes Gesicht war unbeweglich.
«Sir, Sie haben Kurs auf Narvik befohlen.«
«Ich gebe immer klare Befehle.«
«Wir geraten in das Frühwarnsystem!«
«Ich weiß.«
«Gerade an dieser Küste operieren auch sowjetische U-Boote. Wollen Sie sich der Gefahr aussetzen — «
«Wir werden in Schleichfahrt, in der größtmöglichen Tiefe, die Ve-steral-Inseln ansteuern und die Mädchen nachts auf der Insel An-döy aussetzen. Sie bekommen ein Funkgerät mit und die nötige Ausrüstung, um ein paar Tage überstehen zu können. In dieser Zeitspanne wird man sie gefunden und gerettet haben.«
«Und wenn man unser Boot entdeckt? Sir, man wird uns jagen wie einen Wolf, weil wir auf alle Fragen keine Antwort geben dürfen. Und alle werden sich an der Jagd beteiligen, die NATO-Schiffe wie die Russen, in seltener Einmütigkeit. Sir, uns gibt es doch gar nicht.«
«Vielleicht wird Ihnen leichter, Collins, wenn Sie jetzt mithören!«Nicholson drückte einen Knopf der Sprechanlage. Der Funkgast meldete sich aus der Sendezentrale.»Verbindung zum Chef«, sagte Ni- cholson ruhig.»Dringend. Ich warte.«
«Aye, aye, Sir.«
In der Leitung knackte es, dann summte mit einem gedämpften Ton das Telefon. Der Commander hob ab und schaltete das Gespräch gleichzeitig auf einen Lautsprecher. Admiral Adams Stimme war so klar, als stünde er daneben. Collins zuckte zusammen und starrte den Lautsprecher an.»Hier Norfolk A I.«
«Hier Commander Nicholson. Sir, ich habe Ihnen zu melden — «
«Wenn Sie so anfangen, Commander, ist etwas schief. «Adams Stimme wurde hart.»Was machen ihre Frauen?«
«Sie sind an Bord, Sir.«
Adam schwieg. Ein gefährliches Schweigen.
«Wir haben ihnen das Leben gerettet, Sir. Ich konnte nicht anders handeln.«
«Und was wollen Sie jetzt tun, Commander? Warum rufen Sie mich an? Ich habe Ihnen klar gesagt: Keine Frau an Bord! Ignorieren Sie das Floß! Über die Konsequenzen sind Sie sich sicherlich im klaren, Commander!«
«Vollkommen, Sir. Ich bitte nur, den Vorschlag aussprechen zu dürfen, daß die Küstenüberwachung Norwegen-Nord unterrichtet wird, daß ein U-Boot morgen nacht an der Andöy-Insel auftaucht und etwas absetzt.«
«Abgelehnt, Commander!«
Collins schnaubte durch die Nase, sein verkniffenes Gesicht wurde um eine Nuance blasser. Nicholson winkte ihm zu, sich zusammenzureißen und keinen Laut von sich zu geben. Bei der klaren Verständigung hörte der Admiral natürlich auch die Nebengeräusche.
«Sir, ich kann die Mädchen nicht auf die ganze Tauchfahrt mitnehmen«, sagte Nicholson ruhig. Es hatte keinen Zweck, bei Adam anders als ruhig zu sein.
«Das ist klar. Aber das ist Ihr Problem!«
«Ich kann sie nicht über Bord werfen, Sir! Ich bin Offizier der US-Navy, aber kein Mörder!«»Für diesen Satz stelle ich Sie vor ein Militärgericht, Commander!«Adams Stimme war eiskalt. Collins hob die Schultern, als fröre er.»Sie sofort abzulösen, wie es nötig wäre, ist jetzt zu spät. Unser Zeitplan kommt durcheinander. Sie gehen sofort auf den Übungskurs und setzen alle Versuche fort. Ohne die Mädchen! Verstehen wir uns?«
«Ja, Sir.«
Nicholson schaute zu Collins hinauf. Der Chief Navigator kaute an seiner Unterlippe mit einem leichten Knirschen.
«Ich erwarte in zehn Stunden Ihre Meldung, daß die Mädchen von Bord sind«, ertönte Adams kalte Stimme aus dem Lautsprecher.»Sie haben immer noch die Möglichkeit, die Mädchen in ihre Rettungsinsel zurückzuverfrachten. Ich werde dann die Anweisung geben, daß ein britisches oder norwegisches Schiff sie übernimmt. Wie ist der Gesundheitszustand der Mädchen?«
«Der Lage entsprechend, Sir.«
«Doc Blandy soll einmal zeigen, was er kann! In zehn Stunden haben die Mädchen fit zu sein! Ende.«
«Verstanden, Sir.«
Nicholson legte den Hörer auf. Dann lehnte er sich zurück und knöpfte die obersten zwei Knöpfe seiner Jacke auf.
«Jetzt haben Sie keine Schnauze mehr, Collins, nicht wahr?«sagte er.»Gehen Sie mal durchs Boot und erzählen Sie, daß wir die Mädchen wieder ins Wasser werfen. Zwar mit der Rettungsinsel, aber wer garantiert uns, daß Adam wirklich eine Suchaktion anlaufen läßt?«
«So unmenschlich kann er nicht sein, Commander.«
«Adam nicht! Ich kenne ihn seit meiner Kadettenzeit. Aber für alle, die unser Boot zum größten Geheimnis der USA erklärt haben, ist das Leben von fünf Mädchen, die jetzt mehr wissen, als sie sollten, kein Problem.«
«Was wissen sie denn? Nichts!«
«Es genügt, daß sie uns überhaupt gesehen haben. «Nicholson legte die Hand auf die Seekarte. Collins verstand ihn und zog das Kinn an.»Wie ist es mit dem Kurs auf die norwegische Küste, Chief?«
«Ich kann nicht garantieren, daß man uns trotz Schleichfahrt nicht aufspürt, Sir.«
«Wer kann das garantieren! Wir müssen es versuchen! Betrachten wir es wie einen Kriegseinsatz, Collins: Anfahren der Insel Andöy ohne Feindberührung. Sind wir so schlechte Seeleute, Chief, daß wir vor dieser Aufgabe in die Hosen scheißen?«
«Wir haben keinen Krieg, Sir!«Collins blickte über Nicholson hinweg gegen die kahle Wand. Dort hing — für dieses supermoderne Boot ziemlich altmodisch — ein krummer Haken, auf den der Commander seine Notizzettel gespießt hatte.»Das Risiko ist zu groß!«
«Dann sagen Sie mir eine Patentlösung, Collins!«rief Nicholson gereizt.
«Wir führen unseren Auftrag durch, mit den Mädchen an Bord.«
«Das ist das einzige, was nicht in Frage kommt. «Nicholson hieb mit der Faust auf den Tisch.»Ich kann nicht mit dreihundert Weibersüchtigen unter das Ewige Eis tauchen.«
Im Boot herrschte so etwas wie eine mit Knallgas geschwängerte Luft. Jeder spürte es, und jeder zitterte vor dem Funken, der dieses Gemisch aus angestauter Aggression zur Explosion bringen konnte.
Belucci, der unter dem Vorwand, er habe Magenschmerzen, sich in der Sanitätsstation meldete, um auszukundschaften, was aus den Mädchen werden sollte, bekam vom Sanitätsmaat einen Tritt in den Hintern und flog hinaus in den Gang. Dort prallte er gegen den schwarzen Riesen Bill Slingman, der sich in den Finger geschnitten hatte und demonstrativ ein blutiges Handtuch zeigte, das er um seine Hand gewickelt hatte.
«Laß die faulen Tricks«, keuchte Belucci und zog sein Hemd straff.»Sie fallen nicht drauf rein! Die haben die Weiber eingeschlossen wie das Gold in Fort Knox! Nur die Offiziere können zu ihnen. Natürlich. Immer die Offiziere!«
Es gibt Worte, die gehen einem Menschen mehr unter die Haut als ein Stich. Und es gibt Worte, aus denen Revolutionen geboren, Regierungen gestürzt und Völker vernichtet werden. Proletarier aller Völker, vereinigt euch. Das ist zum Beispiel so ein Wort. Oder: Heil, mein Führer. Oder: Gott mit uns. Wenn man's auf Granaten und Bomben schreibt. Und eines dieser Worte, die unglücklicherweise Feuer in die Gehirne jagen, ist der Satz: Immer die Offiziere.
Der kleine glutäugige Belucci hatte ihn so dahergesagt… aber er flog sofort durch das ganze Boot und entzündete die Gemüter. Es war wie eine Kettenreaktion.
Die Offiziere! Immer die Offiziere!
Wir machen die Drecksarbeit, aber sie dürfen in ihren Kojen mit den Weibern huren.
«Das ist nicht die richtige Art von Demokratie an Bord«, sagte Jim.
Porter. Bullig, massig, die Fäuste geballt, saß er im Torpedoraum und hatte seine Freunde um sich versammelt. Maschinenmaat Dustin Hollyday wußte noch mehr… er hatte es von McLaren erfahren, der ziemlich verstört und wütend zum Atomreaktor zurückgekommen war.
«Chief Collins hat sich geweigert, weiterzufahren. Der Alte will die Mädchen einfach aussetzen! Boys, einfach aussetzen.«
«So einfach ist das nicht!«Porter schlug die dicken Fäuste gegeneinander.»Auf einem Boot braucht jede Hand die andere Hand. Wenn zwanzig oder dreißig Hände ausfallen — «
«Du bist verrückt, Jimmy!«Bill Slingman, den man mit seiner Schnittwunde ebenfalls nicht ins Hospital gelassen hatte, sondern an die Verbandkästen verwies, tippte sich an die Stirn.»Die erschießen dich glatt! Wir haben Kriegsrecht an Bord.«
«Wenn wir uns alle einig sind.«
«Was nützt uns das?«Tamaroo, der stille Hawaiianer, hockte auf einem Torpedo und hatte wieder die Augen geschlossen. Wenn er sprach, hatte man den Eindruck, er spreche im Traum.»Du kannst doch nicht fünf Mädchen zwingen, die Runde durch dreihundert Män-ner zu machen.. «
«Da hat er recht!«sagte Belucci.»Es sind anständige Mädchen, und dies ist kein Puff auf großer Fahrt.«
«Wenn sie aber mit den Offizieren pennen«, schrie Porter.
«Das habe ich nicht gesagt!«Paolo Belucci hob abwehrend beide Arme.»Ich habe nur festgestellt, daß man nicht an sie herankommt!«
«Warten wir es ab, Boys. «Jim Porter streichelte den Torpedo neben sich, als sei er ein glatter Frauenschenkel. Er schien auch an so etwas zu denken, denn sein Arm begann plötzlich zu zittern.»Noch sind wir auf Tauchfahrt. Wenn der Alte die Mädchen loswerden will, müßte ich sie als Torpedo rausschießen! Stellt euch das mal vor.«
Er lachte dröhnend, streichelte wieder den Torpedo neben sich und küßte ihn schmatzend. Die andern fanden das gar nicht lustig. Sie saßen betreten herum und dachten daran, daß noch über zweihundertzwanzig Tage Fahrt vor ihnen lagen. Zweihundertzwanzig Tage in einem stählernen Riesenleib, den niemand sehen, niemand hören, niemand ahnen durfte. Zweihundertzwanzig Tage ein ständiges Hämmern auf die Nerven. Was das bedeutete, hatte man in den vergangenen dreiundneunzig Tagen schon erlebt. War das überhaupt auszuhalten?
Ein paar Stunden lang schien es, als sei in die POSEIDON I gar nicht diese teuflischste aller Versuchungen eingebrochen, die man für dreihundert Männer ersinnen kann. Das Boot machte normale Unterwasserfahrt, war auf zweihundert Fuß gegangen und schwebte fast lautlos durch die See auf dem alten Kurs nach Norden.
«Sie haben Collins nachgegeben, Sir?«fragte Dr. Blandy. Er saß bei Nicholson im Turm, ein sinnloser Aufenthaltsraum in dieser Lage, vor allem vor dem Sehrohr, auf dessen Sitz der Commander sich begeben hatte. Blandy hatte Nicholson gesucht, und erst der kleine Fähnrich Duff hatte gesagt:»Er sitzt im Turm.«
«Was will er denn da?«hatte Blandy entgeistert gefragt.
«Vielleicht allein sein, Doc. «Duff hatte dabei traurige Augen bekommen.»Er scheißt jeden an, der den Kopf in den Turm steckt.«
Nicholson hatte Dr. Blandy nicht angebrüllt, aber er sah ihn auch nicht an. Jetzt sagte er nur:»Wir sind also wieder per Sie, Paul?«
«Ich hätte dich für stärker gehalten, Jack.«
«Collins hatte mich überzeugt. Erkannte Wahrheiten sind keine Schwächen.«
«Du willst mit den Mädchen unter das Ewige Eis tauchen?«
«Was hast du anderes erwartet, nachdem du sie an Bord gebracht hast! Ich war bereit — «
«Ich weiß, Jack. Ich weiß, was ich dir alles an den Kopf geworfen habe. Aber ich weiß auch, daß du niemals die Mädchen hättest absaufen lassen! Es gab nur die eine Lösung, und mit ihr müssen wir jetzt leben! Und das wird verdammt schwer sein. Höllisch schwer!«Dr. Blandy setzte sich hinter Nicholson auf den herausklappbaren Hocker.»Das kleine rothaarige Biest hat mich bereits attackiert. Ich habe ihnen angedroht, sie zu narkotisieren. Die einzig Vernünftige scheint diese kühle Blonde zu sein.«
Nicholson schwieg, aber er spürte, wie ein angenehmes und zugleich alarmierendes Wärmegefühl in seinen Nacken drang. Sie heißt Monika Herrmann, dachte er. Deutscher Abstammung, sicherlich. Wie kommt sie in diesen Kreis von Mädchen, die ihre Jugend damit verschwenden, in der Welt herumzuziehen und die Männer aller Länder zu testen? Sie paßt nicht dazu, und sie war die einzige, die ihre Nacktheit nicht zur Schau stellte, kaum daß sie wieder richtig atmen konnte.
«Was wirst du antworten, wenn Admiral Adam wieder anruft?«fragte Dr. Blandy, als Nicholsons Schweigen ihm zuviel wurde.
«Befehl ausgeführt. Mädchen mit Rettungsinsel von Bord.«
«Das kostet dich deine Karriere, Jack. Unehrenhafte Entlassung aus der Navy. «Dr. Blandy beugte sich vor und stieß Nicholson in den Rücken.»Heißt das, daß du die Mädchen diese ganze Tour mitmachen läßt?«
«Ja.«»Und die dreihundert Kerle um sie herum?«
«Du garantierst mir dafür, daß die Mädchen nie das Lazarett verlassen!«
«Über acht Monate hinweg?«Dr. Blandy sprang auf.»Das ist undurchführbar, Jack!«
«Es ist dein Problem, Paul! Betrachte sie als Gefangene.«
«Selbst ein Gefangener hat es besser als sie. Sie werden dem nächsten Versorgungsschiff übergeben!«
«Und genau das können wir nicht. «Nicholson drehte sich herum. Seine Augen waren grau und kalt, aber in den Mundwinkeln zitterte die verborgene Erregung.»Für uns gibt es kein Versorgungsschiff. Du hast es den Mädchen vorhin selbst gesagt: Wir sind Gespenster! Es gibt nirgendwo eine Liste unserer Besatzung. Wir stehen auf keiner Gehaltsliste. Es gibt keine Unterlagen über uns. Jetzt sind wir fünf Gespenster mehr. Das ist alles.«
«Wir sollten sie wenigstens als Gäste der Offiziere betrachten, Jack.«
Nicholson schüttelte langsam den Kopf.»Nein! Das Wichtigste an Bord ist unsere Kameradschaft, ist das Vertrauen zueinander, ist die Zusammengehörigkeit aller, vom Matrosen bis zum Commander, für das große Ziel, das man uns gestellt hat.«
«Hipp-hipp-hurra!«sagte Dr. Blandy mit schiefem Gesicht.»Man hört den Admiral Lewis Adam. Jack, du bist ein Mensch und kein programmierter Roboter!«
«Warten wir es ab. «Nicholson erhob sich und zog die Schultern hoch, als stehe er in einem kalten Windzug.»Kein Bazillus, kein Virus, kein Gift ist gründlicher und tödlicher als eine Frau allein unter Männern! Und wir haben jetzt fünf davon.«
Dr. Blandy grinste.»Das war der Fanfarenstoß des ewigen Junggesellen.«
«Und du denke daran«, Nicholson tippte Dr. Blandy gegen den gewaltigen Brustkasten,»daß du in New Orleans eine Frau und drei Kinder sitzen hast.«
Er wandte sich ab, ging hinüber zur Kommandozentrale, nahm die Meldung von Oberleutnant Cornell entgegen, daß Kurs und Ge-schwindigkeit in Ordnung seien. Er verglich die letzten automatischen Aufzeichnungen und sprach kurz mit Collins. Dann sah er auf die Uhr.
Oben, über dem Wasser, begann jetzt die Abenddämmerung. In der Messe wurde der Tisch gedeckt, die Ordonnanzen servierten im weißen Jackett. Aus der kleinen Borddruckerei war die Speisekarte gekommen wie jeden Tag, so, als lebe man in einem Grandhotel neuester Art. Ein Unterwasserhotel, jawohl, genau das hatte noch gefehlt.
Gemüsecremesuppe — gebratener Truthahn mit Rosenkohl und Äpfeln — Kartoffelbrei — Caramelpudding mit Vanillesauce.
«Bernie, übernehmen Sie das Schiff«, sagte Nicholson zu Cornell.»Und entschuldigen Sie mich bei den Offizieren. Ich lege mich hin.«
«Ohne Essen, Sir?«
«Ohne. Gute Nacht.«
«Gute Nacht, Sir.«
Cornell sah dem Kommandanten nach. Er ging gerade wie bisher, auch jetzt während dieser Jahresübung korrekt gekleidet. Die etwas eckigen Schultern drückten sich durch den Uniformstoff, der Haaransatz über dem Kragen begann grau zu schimmern. Als die Tür des Commanderraumes leise zufiel, setzte sich Bernie Cornell auf den Stuhl der Bootszentrale.
«Auf Befehl des Commanders übernehme ich das Boot!«sagte er in die Sprechanlage, wobei er alle Knöpfe drückte, damit jede Abteilung ihn hörte.»Kurs wie bisher.«
«Kein gemeinsames Abendessen?«fragte Collins zurück.
«Nein!«Cornell schaltete alles ab bis zum Navigationsraum.»Frank, der Alte macht ein Gesicht, als habe er zwei Torpedos gefressen! Wir schleichen uns also nicht an die Küste heran?«
«Nein!«
«Wir nehmen die Mädchen also wirklich mit?«
«Ja.«
«O Maria und Joseph!«
«Die können hier am allerwenigsten helfen!«Collins lachte.»Bis nachher zum Essen, Bernie.«
In der Nacht wurde Commander Nicholson geweckt. Dr. Blandy rüttelte ihn an den Schultern, so heftig, daß Nicholson zweimal mit dem Kopf gegen die Kojenwand schlug.
«Bist du wahnsinnig?«schnaufte Nicholson und setzte sich.
«Jack, du hast einen Schlaf wie ein Grizzlybär im Winter! Du mußt sofort raus!«
Nicholson schnellte hoch. Er lauschte… das Boot lag ruhig im Wasser, die Elektromotoren waren kaum zu hören. Kein fremder Laut, kein alarmierendes Geräusch. Er drückte die Knöpfe der Rundsprechanlage. Auf allen Stationen herrschte Nachtruhe. Nicholson sah Dr. Blandy fragend an.
«Schalt aus, Jack«, sagte Blandy leise.
Nicholson stellte die Sprechanlage aus und angelte seine Jacke von der Stuhllehne.
«Es ist nicht das Boot. «Dr. Blandy holte tief Atem.»Es ist. Jack, ich wollte es nicht allein regeln, du hättest es doch bald erfahren. Die Weiber sind weg aus dem Lazarett.«
«Paul!«Nicholson fuhr herum. Er knöpfte sich gerade den Rock zu. Seine harten Augen waren in diesem Moment selbst für Blandy unerträglich… er blickte zur Seite.»Du hast die Verantwortung übernommen.«
«Ich weiß, ich weiß. Aber auch ein Paul Blandy muß mal schlafen. Oder soll ich mich wie ein Hund vor die Tür legen? Das hat Sanitätsmaat White getan. Komm mit und sieh dir das an. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht sagen.«
Sie liefen den Hauptgang hinab, bogen um die Ecke und öffneten die Tür des Hospitalvorraums, in dem Sanitätsmaat White als Wachhabender der Station sein Bett stehen hatte.
White lag auf der Decke, fachmännisch mit Mullbinden gefesselt, an Händen und Füßen, im Mund einen Knebel aus Zellstoff. Er starrte aus weiten Augen den Commander an und begann laut zu ächzen und sich im Liegen krampfhaft zu bewegen. Aber die Fesseln saßen fest und verrutschten nicht einen Millimeter.
«Mullbinden sind etwas Herrliches«, sagte Dr. Blandy ironisch.»Die sitzen wie angewachsen.«
Nicholson beugte sich über White und holte ihm den völlig durchspeichelten Zellstoffknebel in Stücken aus dem Mund. White atmete tief durch, sein Atem röchelte ein wenig, dann sagte er laut:»So eine Sauerei, Sir — «
«Wer war das, White?«fragte Nicholson mit einer gefährlichen, eisigen Ruhe.
«Wenn ich das wüßte, Sir. «White setzte sich im Bett auf. Dr. Blan-dy hatte ihm die Hand- und Fußfesseln durchschnitten.»Ich liege hier und lese eine harmlose Krimigeschichte, da haut mir jemand über den Schädel, und Funkstille ist. Sir, ich habe keinen hereinkommen sehen, ich hatte ja die Tür im Auge. Es muß eines der Mädchen gewesen sein.«
«Die Tür war auch abgeschlossen, White!«röhrte Dr. Blandy.»Ich selbst habe sie. White! Waren Sie im Raum zwei?«
«Ja, Sir.«
«Warum?«
«Miß Hankow rief über das Zimmertelefon, ihr sei schlecht geworden. Da habe ich ihr ein Mittel gebracht.«
«Und vergessen, die Tür wieder abzuschließen.«
«Es muß so sein, Sir. «White saß mit Unglücksmiene im Bett.»Als ich aufwachte, war ich gefesselt.«
«Natürlich! Wenn Weiber sich eine Jacht mieten, um zu den Eskimos zu segeln, können sie auch anständige Knoten machen!«Dr. Blandy gab White einen Stoß vor die Brust, der kippte nach hinten und blieb wie ein geschlagener Junge ängstlich und demütig liegen.
«Komm!«sagte Nicholson und wandte sich ab.
«Wohin, Jack?«
«Auf die Suche. Ich will sehen, wo die Süßen geblieben sind.«
«Und wenn du's weißt? Was willst du tun?«
«Das wird die Situation ergeben!«
Nicholson schlug die Tür des Lazaretts zu und starrte den langen Gang hinunter. Links, in einem Quergang, lagen die Räume der Offi-ziere, rechts die Zimmer der technischen Besatzung. Die Tür zur Offiziersmesse stand offen. Das Schott zum Mannschaftsteil war geschlossen. Nicholson ging zum Telefon und drückte den Knopf ZENTRALE.
«Hier spricht der Commander. Wer ist im Kommandoraum?«
«Fähnrich zur See Duff, Sir«, sagte eine jugendliche Stimme.
Nicholson zog die Unterlippe zwischen die Zähne.»Wo ist Oberleutnant Cornell?«
«Ich habe ihn abgelöst, Sir.«
«Warum nicht Leutnant Curtis?«
«Ich habe auf Wunsch von Leutnant Curtis die dritte Wache gegen die zweite getauscht, Sir.«
«Danke. «Nicholson hängte ein und blickte auf die Türen der Offiziersräume. Dr. Blandy legte ihm vorsichtig die Hand auf den Arm.»Jack, leg dich hin«, sagte er fast väterlich.»Im Augenblick kannst du doch nichts ändern.«
«Ich will es sehen, Paul. Ich will sehen, wozu meine Offiziere fähig sind. Männer, die man als die Elite der Navy betrachtet, die man aus Tausenden herausgesucht hat als die Besten und Härtesten. Erst dann glaube ich es, wenn ich es gesehen habe.«
«Jack, bleib hier«, sagte Dr. Blandy noch einmal eindringlich.
Nicholson schüttelte Blandys Hand ab und ging mit steifen Schritten den dämmerigen Gang hinunter. An Bernie Cornells Tür blieb er stehen und legte die Hand auf die Klinke. Dann drückte er sie hinunter und riß die Tür mit einem Ruck auf. Die Kajüte war nur durch eine Nachttischlampe erhellt, aber das Licht reichte aus, um Joan Hankow zu erkennen, die, eng an Bernie geschmiegt, zufrieden schlief. Ihr schwarzes Haar war um seine rechte Hand gewickelt. Es schien, als ob beide im Nachspiel ihrer Liebe eingeschlafen wären. Die Decke war verschoben und gab Joans Rückenlinie bis zu den schönen Hügeln der Pogegend frei.
Cornell schien Nicholsons harten Blick im Schlaf wie einen Stich zu fühlen. Er schlug die Augen auf, erstarrte und blieb liegen. Vorsichtig versuchte er, seine rechte Hand aus Joans Haaren zu lösen.
«Oberleutnant Cornell, Sie melden sich morgen früh um acht bei mir. Das Mädchen bringen Sie sofort zurück ins Lazarett.«
«Aye, aye, Sir.«, stammelte Cornell. Er bekam einen roten Kopf, und es war echte Scham, die ihn lähmte. Nicholson warf die Tür zu und strich sich über die Augen. Sie brannten plötzlich. Dr. Blan-dy hakte sich bei ihm unter.
«Komm zurück, Jack«, sagte er leise.»Genügt das nicht?«
«Nein! Ich mache keine halben Sachen!«Nicholson ging zur nächsten Tür, hinter der Leutnant Curtis hauste. Auch sie war nicht abgeschlossen, wie es an Bord befohlen war, damit die Leute im Falle eines Alarms sofort hinausstürzen konnten.
Curtis war wach und rauchte eine Zigarette, als die Tür aufflog. Neben ihm saß nackt und mit wilden Haaren Lili Petersen und knabberte an einem Stückchen Schokolade. Sie war keinesfalls verlegen. Sie nickte dem Commander sogar freundlich zu. Curtis sprang aus dem Bett und nahm Haltung an. Ein verrücktes Bild! Ein nackter Offizier, der salutiert.
«Sir, ich. «Curtis setzte zu einer Rede an. Nicholson winkte ab.
«Um acht Uhr früh bei mir!«sagte der Commander knapp.»Das Mädchen zurück zum Lazarett, marsch, marsch!«
«Aye, aye, Sir. «Curtis blieb stramm stehen, während Lili kicherte und die Schokolade von den Fingern leckte. Nicholson sah sie kurz an. Es war ein Blick, den sogar Lili verstand. Das Lachen war ihr plötzlich vergangen.
«Ich bin keine Hure, Commander«, sagte sie.
«Und mein Boot ist kein Puff!«
Er stampfte hinaus und warf die Tür zu. Dr. Blandy hielt ihn fest, aber Nicholson riß sich mit einem Ruck wieder los.»Ich weiß, was du mir erklären willst, Paul«, sagte er heiser.»Und wenn sie zwei oder drei Jahre keine Frau gehabt haben — von einem Offizier verlange ich, daß er immer Vorbild bleibt. Was in dieser Nacht passiert ist, ist für unser Boot tödlicher als eine magnetische Wasserbombe!«
Vorbild, dachte Nicholson. Mein Gott, glaube ich denn selbst daran? Wie glatt die großen Worte von den Lippen kommen! Er ging langsam weiter und dachte an die letzten Stunden, an seine Gedanken, die sich mit Monika Herrmann beschäftigt hatten. Er sah sie ganz deutlich vor sich, wie sie schlank und mit blanken blauen Augen vor ihm stand, und wie sich die Formen ihres Körpers durch das dünne Bettuch drückten. Mit diesem Bild war er eingeschlafen, und jetzt lief er herum und suchte sie, in irgendeinem Bett, an einen Mann geschmiegt und glücklich.
Nicholson atmete einmal tief durch. Sein Herz begann zu schmerzen. Was mache ich, wenn ich sie finde, dachte er. Wenn ich eine Tür aufreiße, und sie liegt vor mir?
Vorbild sein.
Es war ein fürchterlicher Gang, den Nicholson jetzt durch sein Boot machte. Er riß jede Tür auf, blickte in die Kojen und knallte sie wieder zu, bevor die Männer aus den Betten springen und strammstehen konnten. Nur McLaren schlief weiter. Er hatte im Maschinenraum bis nach Mitternacht Dienst gemacht. Er war verliebt in sein kleines Atomkraftwerk, und Jimmy Porter, der Bulle, behauptete, wenn es möglich wäre, würde er mit seiner Maschine lauter kleine Atombrennerchen zeugen.
Chief Collins' Tür war verschlossen. Nicholson zog an der Klinke und hieb dann mit der Faust gegen das Holz. Von innen kam ein knurrender Laut.
«Wer ist da?«fragte Collins schließlich, nachdem Nicholson noch dreimal gegen die Tür gedonnert hatte.
«Der Commander.«
«Ich habe jetzt keinen Dienst, Sir!«rief Collins zurück.
«Machen Sie auf, Collins! Sie wissen, daß es verboten ist, an Bord die Türen abzuschließen!«
«Ich habe nichts zu berichten, Sir!«
«Machen Sie auf, verdammt, sonst tret ich die Tür ein!«brüllte Nicholson. Sie ist drin, durchzuckte es ihn. Monika Herrmann bei Frank Collins! Ich kann jetzt verstehen, daß man aus Eifersucht töten kann. So idiotisch es ist, aber es gibt im Leben Sekunden, da die
Vernunft wie weggeblasen ist.
«Machen Sie auf, Collins!«schrie Nicholson. Seine Stimme hatte sich verändert. sie war so hell und laut wie eine Fanfare.
Collins machte die Tür einen Spalt auf. Er trug eine knappe Badehose, sonst nichts; und er roch nach Whisky. Seine Fahne verschlug Nicholson beinahe die Sprache.
Nicholson warf sich gegen die Tür, schleuderte damit Collins zurück und stürzte ins Zimmer. Im Bett lag süß und mit angezogenen Beinen das kleine Luderchen Dorette Palandre. Auf ihren spitzen Knien balancierte sie ein Glas Whisky.
«Sie sind ein grober Mensch, Sir«, sagte sie, als Nicholson sie anstarrte. Daß er gleichzeitig tief aufatmete, sah sie nicht.»Ich habe Ihnen doch gesagt, was ich brauche. Seife, Lippenstift und einen Mann. Franky ist wirklich ein süßer Boy.«
Nicholson drehte sich herum. Collins lehnte an der Wand, sein schiefer Pfeifenmund drohte nun vollends aus den Fugen zu geraten.
«Sie war plötzlich in meinem Bett«, sagte er.»Sir, ich bin kein Stein!«
«Um acht Uhr bei mir, Süßer!«sagte Nicholson kochend vor Wut.»Das Mädchen raus — aber dalli!«
Er warf die Tür zu, ehe Collins antworten konnte. Wo ist sie? dachte er und spürte, wie Schweiß auf seine Stirn trat. Das war die letzte Offizierskammer. Es fehlten noch zwei: Das rote Früchtchen Evelyn Darring und sie. sie!
Er dachte an seine Matrosen, an die Betten übereinander und Reihe neben Reihe, und mitten unter ihnen, von Koje zu Koje wandernd, wie man eine Schnapsflasche weiterreicht von Mund zu Mund.
Ihm wurde plötzlich so elend, daß er stehenblieb und sich an irgendeinem Leitungsrohr festhielt. Dr. Blandy kam schnell zu ihm.
«Ist was, Jack?«
«Nein!«Nicholson schüttelte mühsam den Kopf.»Es geht mir nur an die Nieren, begreif das doch. Meine Offiziere. «Er ließ das Rohr los und zog seine Jacke mit einem Ruck gerade.»Zu den Mannschaften, Paul.«
Sie durchliefen die Mannschaftslogis, blickten in die Betten und hasteten weiter, ehe die Schläfer begriffen, was da an ihnen vorbeigestürmt war. Bei den Maaten, die zu viert in einem Raum schliefen, war ebenfalls Ruhe, nur der riesige Neger Bill Slingman war noch wach und starrte vor sich hin. Er sprang auf, als er den Commander erkannte.
«Warum schlafen Sie nicht?«fauchte ihn Nicholson an.
«Ich muß an Alabama denken, Sir. «Der Riese sah Nicholson mit traurigen Augen an.»So ein enges Boot, und immer unter Wasser. Wie schön sind die unendlichen Baumwollfelder in Alabama, Sir.«
Weiter. Von Raum zu Raum. Bei seinen geliebten Torpedos schlief Jimmy Porter, ein Fleischberg, der stark nach Schnaps duftete.
Endlich, im Turbinenraum, den man selten betrat, weil die Turbinen vom Maschinenstand aus kontrolliert wurden, fanden sie den kleinen Belucci. Er hatte seine Decke dabei und lag nun schlafend mit der rothaarigen Evelyn auf dem Boden — zwei Körper, im Schlaf so miteinander verschlungen wie ein vielarmiger Wurzelstock. Nicholson trat Belucci in den Rücken. Der Sizilianer wachte auf, erkannte seinen Commander, wollte hochspringen, aber Evelyns Arme und Beine umklammerten ihn fest.
«Sir.«, stammelte Belucci und schämte sich schrecklich.»Ich kann nicht hoch.«
«Das konnten Sie vorher um so besser!«Nicholson trat zurück.»Um acht Uhr bei mir! Das Mädchen sofort zurück!«
«Aye, aye, Sir!«Belucci grüßte im Liegen, eingefangen von Evelyns Gliedern. Ein Anblick, der selbst Nicholson nicht unbeteiligt ließ. Rasch verließ er den Turbinenraum, denn er konnte sich das Lachen nicht verbeißen.
Wo ist Monika? dachte er. Was bleibt jetzt noch übrig vom Boot? Bei wem ist sie untergekrochen? Haben wir sie übersehen? Liegt sie versteckt in einem Bett bei den Mannschaften?
«Zurück!«sagte Nicholson rauh.»Noch einmal die Logis!«
«Warum?«Dr. Blandy blieb im breiten Gang stehen.»Wir sind durch.«»Ich kann noch bis fünf zählen!«schnaubte Nicholson.»Eine fehlt!«
«Der sportliche Typ? Hab ich dir das nicht gesagt?«Dr. Blandy winkte ab.»Die ist die einzige, die brav in ihrem Bett liegt.«
Nicholson war es, als habe man ihm in den Nacken geschlagen. Ein heißer Strom durchlief ihn. Die Jacke wurde plötzlich zu eng, und er hatte große Lust, sie vom Körper zu reißen.
«Sie ist im Lazarett?«sagte er heiser.
«Ja. Ich dachte, ich hätte dir das gleich am Anfang — «
«Das will ich sehen!«
Sie rannten zum Lazarett zurück, stürmten an dem erschrockenen White vorbei und rissen die Tür zu Raum zwei auf. Monika Herrmann lag in ihrem Bett und las in einem Buch der Bordbibliothek. Die gesammelten Erzählungen von Hemingway.
«Klopfen Sie nie bei einer Dame an, wenn Sie hereinkommen, Sir?«fragte sie.
Nicholson ballte die Fäuste. Ich könnte sie umarmen, dachte er. Ich könnte sie aus dem Bett reißen und hinübertragen in mein Zimmer. Ich könnte auch nur ihre Hand küssen und >Danke< sagen. Vielleicht versteht sie es.
«Warum sind Sie nicht auf Männerjagd wie die anderen?«fragte Nicholson. Er sagte dies grob, um die Zärtlichkeit, die in seiner Kehle lag, zu verbergen.
«Trauen Sie mir so etwas zu, Commander?«sagte sie und warf das Buch auf den Boden.
«Sie gehören zu dem Klub, Miß Herrmann.«
«Ich wußte, warum ich das Buch weggeworfen habe. sonst hätten Sie es jetzt am Schädel!«Monika Herrmann streckte sich aus. Nicholson ahnte ihren nackten Körper unter der dünnen Decke, und sein Blick verfolgte die Linie ihres Leibes und die Wölbungen ihrer Brüste. Vorbild, Jack, sagte er streng zu sich. Vorbild! Für dich ist dieses Mädchen ein geschlechtsloses Wesen.
«Wissen Sie, was Ihre Freundinnen heute nacht getan haben? Ahnen Sie überhaupt die Auswirkungen, die folgen werden?«
«Ich konnte sie nicht zurückhalten, Sir. Sie sind wie Katzen, die mit der Dunkelheit immer munterer werden.«
«Sie nicht?«
«Wie Sie sehen, gehe ich mit Hemingway ins Bett! Ist das auch nicht erlaubt?«
Nicholson starrte auf das Buch. In seinem Kopf brodelte das Blut, aber von außen wirkte er so kühl und abweisend wie immer.»Wollen Sie mir helfen, Monika?«fragte er plötzlich.
«Wie, Commander?«Sie blickte ihn interessiert an.
«Wenn auf diesem Boot die Disziplin zerbricht, können wir uns selbst versenken! Machen Sie das Ihren Freundinnen klar.«
«Sie werden lachen! Für sie ist ein richtiger Mann ein größeres Erlebnis als Ihr dämliches geheimnisvolles Atom-U-Boot. Und an Bord haben Sie dreihundert richtige Männer. Joan, Lili, Evelyn und Do-rette schaffen es schon.«
«Das Boot wird die Hölle werden! Ich werde Sie aussetzen müssen!«
«Dazu ist es zu spät, Jack. «Dr. Blandy schüttelte den Kopf.»Du wirst keinen finden, der das macht, und alle werden es verhindern!«
«Sie tun mir leid, Commander. «Monika Herrmann setzte sich. Sie war in ihre Decke gehüllt bis zum Hals.»Das ist keine Floskel. Sie tun mir wirklich leid. Vor allem muß Sie die Erkenntnis umwerfen, wie verwundbar Amerikas größtes Geheimnis ist! Fünf Mädchenkörper… und die gesamte Strategie bricht zusammen! So idiotisch ist das Kriegsspiel!«
«Ich werde mir etwas einfallen lassen. «Nicholson bückte ich, hob das Buch auf und legte es Monika in den Schoß. Dabei trafen sich ihre Blicke in allernächster Nähe. Und es war, als flösse ein großer warmer Strom vom einen zum andern.
«Sie werden wahrscheinlich neun Monate an Bord bleiben müssen«, sagte Nicholson mit vornehmer Haltung.
«Das kann ja heiter werden. «Sie versuchte ein Lächeln, und er spürte, wie ihr Blick ihn liebkoste.»Wie wollen Sie das aushalten?«
«Ich weiß es nicht«, antwortete er ehrlich.
Ich weiß es wirklich nicht, dachte er und wandte sich ab. Ich kann auch nicht neun Monate lang neben ihr leben und kalt wie eine Panzerplatte sein.
Was ist ein Vorbild?
Ein dummer Clown, wenn es Jack Nicholson heißt.
Um acht Uhr morgens standen sie in großer Uniform im Kommandantenraum. Cornell, Curtis und Collins. Nur Belucci fehlte noch. Er konnte kaum noch in Evelyns Armen liegen, denn Dr. Blandy hatte bereits vor Stunden gemeldet, daß alle Weiber wieder im Raum zwei des Lazaretts versammelt waren.
Stumm, verlegen, aber im Inneren kampfbereit gegen ihren Commander, standen die Offiziere da. Nicholson blickte ein paarmal auf die Uhr und wartete auf den Matrosen Belucci. Auch er trug seine große Uniform mit sämtlichen Orden, und sein kantiges Gesicht war reglos wie ein Stein.
Zwanzig Minuten nach acht befahl er, den Matrosen Belucci im Boot zu suchen und, wie immer man ihn antraf, sofort zum Commander zu bringen. Aber es wurde halb neun, bis der Dritte Offizier, Leutnant Surakki, bleich und verstört im Kommandoraum erschien und mehrmals schluckte, ehe er sprechen konnte.
«Wir haben Belucci gefunden, Sir«, sagte er endlich. Seine Stimme zitterte.»Er kann nicht kommen. Er liegt im Ersatzteillager zwei und hat ein Messer im Rücken.«