lächerlich vorkommen.«

»Vielleicht sind sie’s«, sagte er mit einem kleinen Lächeln.

Dieses Lächeln löste in Angélique, die das Bedürfnis hatte, ihn zu ohrfeigen, eine wunderliche Rührung aus. Er lächelte . Warum lächelte er so selten? Sie hatte das Gefühl, daß es nur ihr allein gelingen würde, ihn zu verstehen und ihn so zum Lächeln zu bringen.

»Ein Dummkopf«, sagten die einen. »Ein Scheusal«, sagten die andern. Und Ninon de Lenclos: »Wenn man ihn gut kennt, merkt man, daß er viel weniger nett ist, als er aussieht. Aber wenn man ihn besser kennt, merkt man, daß er viel netter ist, als er aussieht ... Er ist ein Aristokrat ... Er gehört nur dem König und sich selbst .«

»Und mir gehört er auch«, dachte sie jäh.

Die Unterhaltung, die sie geführt hatten, ließ ihn völlig kühl. Sie wurde wütend. Brauchte er denn Pulvergeruch, um aus seiner Gleichgültigkeit herauszufinden? Schön, den Krieg konnte er haben, wenn er ihn unbedingt wollte. Sie knuffte nervös Chrysanteme, der an den Schließen ihres Mantels knabberte, dann mühte sie sich, ihren Ärger zu beherrschen, und sagte in munterem Ton:

»Wenn es sich nur darum handelt, Euer Wappen neu zu vergolden, Philippe, warum heiratet Ihr mich nicht? Ich habe viel Geld, das nicht der Gefahr ausgesetzt ist, infolge schlechter Ernten gepfändet zu werden. Es sind gesunde, solide Geschäfte, die etwas einbringen.«

»Euch heiraten?« wiederholte er.

Seine Verblüffung war ehrlich. Er brach in ein unangenehmes Gelächter aus.

»Ich? Eine Schokoladenverkäuferin heiraten!« sagte er mit tiefer Verachtung.

Angélique schoß heiß das Blut in die Wangen. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, daß sie sich nach allem Erlebtem die Fähigkeit bewahrt hatte, so zu erröten. Diesem Philippe würde es immer gelingen, sie vor Scham und Zorn außer Fassung zu bringen.

Mit funkelnden Augen sagte sie:

»Vergeßt nicht, daß ich Angélique de Ridouët de Sancé de Monteloup heiße. Mein Blut ist genauso rein wie das Eurige, Vetter, und noch älter, denn meine Familie geht auf die ersten Capetinger zurück, während Ihr Euch väterlicherseits nur eines gewissen Bastards Heinrichs II. rühmen könnt.«

Ohne eine Miene zu verziehen, betrachtete er sie eine ganze Weile, und in seinem blassen Blick schien leises Interesse zu erwachen.

»Ihr habt mir früher schon einmal dergleichen erzählt. Ich erinnere mich. Es war auf Monteloup, in Eurer baufälligen Festung. Ein kleines, ungekämmtes, zerlumptes Greuel erwartete mich am Fuß der Treppe, um mich darauf aufmerksam zu machen, daß sein Blut älter als das meine sei. Es war wirklich recht komisch und lächerlich.«

Angélique sah sich in den eisigen Flur von Monteloup zurückversetzt. Sie erinnerte sich, wie kalt ihre Hände gewesen waren, wie ihr Kopf gefiebert, ihr Leib geschmerzt hatte, während sie ihren Vetter die große Steintreppe hatte herabsteigen sehen. Ihr ganzer, vom Mysterium der Pubertät aufgewühlter junger Körper hatte vor der Erscheinung des schönen, blonden Jünglings gebebt. Sie war ohnmächtig geworden. Als sie in dem großen Bett ihres Zimmers wieder zu sich gekommen war, hatte ihre Mutter ihr erklärt, sie sei nun kein kleines Mädchen mehr. Ein Wunder habe sich in ihr vollzogen.

Daß Philippe so mit den ersten Kundgebungen ihres fraulichen Lebens verquickt war, beunruhigte sie nach all den Jahren noch immer. Ja, er hatte recht, es war albern, aber es lag auch etwas Köstliches darin.

Sie sah ihn ein wenig unsicher an und bemühte sich zu lächeln. Wie an jenem Abend fühlte sie sich bereit, vor ihm zu erbeben. Leise und beschwörend murmelte sie:

»Philippe, heiratet mich. Ihr sollt soviel Geld haben, wie Ihr wollt. Ich bin von adliger Herkunft, und daß ich eine Geschäftsfrau war, wird man rasch vergessen. Im übrigen befassen sich heutzutage viele Adlige mit Handelsgeschäften, ohne daß es ihrer Standesehre Abbruch tut. Monsieur Colbert .«

Sie hielt inne. Er hörte ihr nicht zu. Vielleicht dachte er an etwas anderes ... oder an gar nichts. Hätte er sie gefragt: »Warum wollt Ihr mich heiraten?«, dann hätte sie ihm ins Gesicht geschrien: »Weil ich Euch liebe!« Denn in diesem Augenblick entdeckte sie, daß sie ihn mit derselben schwärmerischen und naiven Liebe liebte, mit der sie ihre Kindheit ausgeschmückt hatte. Doch er stellte keine Frage, und sie fuhr ungeschickt und von Verzweiflung erfaßt fort:

»Versteht mich doch ... ich will in mein Milieu zurückkehren, einen Namen, einen großen Namen tragen ... Bei Hofe vorgestellt werden ... in Versailles.«

So hätte sie nicht reden dürfen. Sie bereute alsbald ihr Geständnis, hoffte, er habe nicht zugehört. Aber er murmelte mit dem blassen Anflug eines Lächelns: »Man könnte das Heiraten ja auch als etwas anderes ansehen als eine Geldangelegenheit!«

Dann fügte er in einem Ton hinzu, als lehne er eine dargereichte Konfektdose ab:

»Nein, meine Liebe, nein, wirklich .«

Sie begriff, daß es unwiderruflich war, und schwieg. Sie hatte verloren.

Gleich darauf machte Philippe sie darauf aufmerksam, daß sie den Gruß Madamoiselle de Montpensiers nicht erwidert habe. Die Kutsche war, wie Angélique bemerkte, in die jetzt sehr belebten Alleen des Cours-la-Reine zurückgekehrt, und sie begann, die ihr zugedachten Begrüßungen mechanisch zu erwidern. Es kam ihr vor, als sei die Sonne erloschen, als schmecke das Leben nach Asche. Daß Philippe neben ihr saß und sie so völlig entwaffnet war, bedrückte sie. War denn wirklich nichts mehr zu machen? Man konnte einen Mann nicht zur Heirat zwingen, wenn er einen weder liebte noch begehrte und wenn bei einer anderen Lösung genausoviel für ihn heraussprang. Einzig die Angst konnte ihn zwingen, aber welche Angst würde die Stirn des Gottes Mars zu beugen vermögen?

»Da ist Madame de Montespan«, sagte Philippe. »Gestern hat sie in Versailles getanzt. Der König hatte sie eingeladen.«

Angélique überwand sich zu der Frage, ob das bedeute, daß Mademoiselle de La Vallière nächstens den Abschied erhalten werde. Sie ertrug diesen Hofklatsch nur mit Widerwillen. Es war ihr vollkommen gleichgültig, daß Monsieur de Montespan Hahnrei wurde und ihre wagemutige Freundin Mätresse des Königs: Sorgen einer Welt, die ihr für immer verschlossen sein würde.

»Der Fürst Condé macht Euch ein Zeichen«, murmelte ihr Gefährte.

Mit ihrem Fächer winkte Angélique zurück.

»Ihr scheint die einzige Frau zu sein, der Seine Exzellenz noch einige Galanterie erweist«, stellte der Marquis mit einem Lächeln fest, von dem sich nicht sagen ließ, ob es spöttisch oder bewundernd gemeint war. »Nach dem Tode seiner zärtlichen Freundin, Mademoiselle Le Vigean, schwor er, von nun an von den Frauen nur noch rein physisches Vergnügen zu verlangen. Ich möchte wissen, was er früher anderes von ihnen verlangen konnte.«

Und nachdem er ein Gähnen unterdrückt hatte:

»Seine Exzellenz hat nur noch einen Wunsch: wieder ein militärisches Kommando zu bekommen. Seitdem von einem neuen Feldzug die Rede ist, bleibt sein Platz am Spieltisch des Königs nie leer, und er begleicht seine Verluste mit Goldpistolen.«

»Welch ein Heroismus!« sagte Angélique brüsk und mit spöttischem Lachen. Allmählich geriet sie in Zorn über Philippes blasierten und preziösen Ton. »Was tut dieser vollendete Höfling nicht alles, um wieder in Gnaden aufgenommen zu werden? Wenn man bedenkt, daß es einmal eine Zeit gab, in der er versuchte, den König und seinen Bruder zu vergiften!«

»Was sagt Ihr da, Madame?« protestierte Philippe empört. »Daß Seine Exzellenz sich gegen Monsieur de Mazarin aufgelehnt hat, leugnet er nicht. Sein Abscheu hat ihn weiter getrieben, als ihm selbst lieb war. Aber dem König nach dem Leben zu trachten, das ist ihm nie im Traum eingefallen. Das übliche törichte Frauengeschwätz, weiter nichts.«

»Oh, spielt doch nicht den Ahnungslosen, Philippe! Ihr wißt so gut wie ich, daß es wahr ist, denn das Komplott wurde in Eurem eigenen Schloß geschmiedet.«

Er schwieg, und sie spürte, daß sie ihn zutiefst getroffen hatte.

»Ihr seid wahnsinnig!« flüsterte er erregt.

Angélique wandte sich ihm jäh zu. Hatte sie so rasch den Weg zu seiner Angst gefunden, seiner einzigen Angst .?

Sie sah, daß er bleich geworden war, sah in den Augen, die sie belauerten, endlich den Ausdruck gespannten Interesses. Wilde Freude keimte in ihr auf, und sie sagte mit leiser Stimme:

»Ich war dort. Ich habe sie belauscht. Ich habe sie gesehen. Ihn, den Mönch Exili, die Herzogin von Beaufort, Euren Vater und viele andere, die heute noch am Leben sind und die sich jetzt bei Hofe beliebt zu machen suchen. Ich habe gehört, wie sie sich Monsieur Fouquet verkauften.«

»Das ist nicht wahr!«

Mit halbgeschlossenen Augen zitierte sie:

»>Ich, Ludwig II., Herzog von Enghien, Fürst Condé, gebe Monseigneur Fouquet die Versicherung, daß ich nie zu jemand anderem als zu ihm halten, ausnahmslos nur ihm gehorchen, ihm meine Städte, Befestigungen und sonstiges übergeben werde, wann immer ...<«

»Schweigt!« schrie er entsetzt.

>»Gegeben zu Plessis-Bellière am 20. September 1649.<«

Frohlockend sah sie ihn erblassen.

»Kleine Törin«, sagte er mit verächtlichem Achselzucken, »was grabt Ihr diese alten Geschichten aus? Was vergangen ist, ist vergangen. Selbst der König würde sich weigern, ihnen Glauben zu schenken.«

»Der König hat noch nie solche Beweisstücke in Händen gehabt. Er hat nie erfahren, wie weit die Verräterei der Großen gehen kann.«

Sie hielt inne, um die Kalesche Madame d’Alençons zu grüßen, dann fuhr sie in überaus sanftem Tone fort:

»Es sind noch keine fünf Jahre vergangen, Philippe, seitdem Monsieur Fouquet verurteilt wurde .«

»Und? Worauf wollt Ihr hinaus?«

»Darauf, daß dem König auf lange Zeit hinaus alle die verhaßt sein werden, die mit Monsieur Fouquet in Verbindung standen.«

»Er wird sie nicht sehen. Diese Dokumente sind vernichtet worden.«

»Nicht alle.«

Der junge Mann rückte ihr auf der gepolsterten Bank näher. Sie hatte sich eine solche Geste erträumt, aber dies war ja wohl kaum der Augenblick für einen Liebeskuß. Er griff nach ihrem Handgelenk und preßte es in seiner schmalen Hand. Angélique biß sich vor Schmerz in die Lippen, aber das Gefühl der Freude war mächtiger. Tausendmal lieber sah sie ihn so, gewalttätig und roh, als geistesabwesend, ausweichend, unangreifbar in seiner verachtungsvollen Zurückhaltung.

Unter der dünnen Schminkeschicht, die er aufzulegen pflegte, war das Gesicht des Marquis du Plessis aschfahl.

»Das Kästchen mit dem Gift ...?« flüsterte er. »Ihr also habt es beseitigt!«

»Gewiß.«

»Dirne! Verdammte kleine Dirne! Ich bin immer überzeugt gewesen, daß Ihr etwas wißt. Mein Vater wollte es nicht glauben. Das Verschwinden jenes Kästchens hat ihn bis an sein Lebensende gequält. Und Ihr wart es! Habt Ihr es noch?«

»Ich habe es noch.«

Mit zusammengebissenen Zähnen begann er zu fluchen, und Angélique bereitete der Rosenkranz von Verwünschungen, der da zwischen diesen schönen, frischen Lippen hervorquoll, inniges Vergnügen.

»Laßt mich los«, sagte sie. »Ihr tut mir weh.«

In seinen Augen blitzte es sekundenlang, bevor er sich langsam zurückzog. Die junge Frau erfaßte den Sinn.

»Ja, Ihr möchtet mir gern noch mehr weh tun. Mir weh tun, bis ich auf immer schweige. Aber Ihr würdet dadurch nichts gewinnen, Philippe. Am Tage meines Todes wird man dem König mein Testament übergeben, der darin die notwendigen Aufklärungen finden wird, samt einem Hinweis, wo jene Dokumente versteckt liegen.«

Mit gespielter Behutsamkeit löste sie die goldene Kette von ihrem Handgelenk, deren Glieder Philippes Finger in ihr Fleisch eingepreßt hatten.

»Ihr seid ein Rohling, Philippe«, sagte sie obenhin.

Dann gab sie sich, als schaue sie durchs Fenster. Sie war jetzt ganz ruhig.

Die Sonne näherte sich dem Horizont. Noch war es hell, aber bald würde die Nacht hereinbrechen. Angélique spürte die durchdringende Feuchtigkeit unter dem Dach der Bäume und fröstelte. Ihr Blick kehrte zu Philippe zurück. Weiß und regungslos wie eine Statue saß er da, aber sie bemerkte, daß sein blonder Schnurrbart feucht von Schweiß war.

»Ich habe den Fürsten gern, und mein Vater war ein rechtschaffener Edelmann«, sagte er, in seinen banalen Ton zurückfallend. »Ich meine, man kann ihnen das nicht antun. Wieviel Geld wollt Ihr für diese Dokumente? Ich werde mir welches leihen, wenn es nötig ist.«

»Ich will kein Geld.«

»Was wollt Ihr dann?«

»Ich habe es Euch vorhin gesagt, Philippe. Daß Ihr mich heiratet.«

»Niemals!«

Philippes Weigerung traf sie härter als seine Flüche. War sie ihm denn so zuwider? Immerhin hatten zwischen ihnen andere als nur rein gesellschaftliche Beziehungen bestanden. Hatte er nicht auf ungewöhnliche Weise Umgang mit ihr gesucht? Sogar Ninon hatte eine Bemerkung in diesem Sinne gemacht.

Sie schwiegen eine Weile. Erst als die Kutsche vor der Toreinfahrt des Hôtel d’Aumont hielt, wurde Angélique sich bewußt, daß man nach Paris zurückgekehrt war. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden, und sie sah Philippes Gesicht nicht mehr. Es war besser so.

Sie brachte de Mut auf, in bissigem Ton zu fragen:

»Nun, Marquis, wie weit seid Ihr in Euren Überlegungen gediehen?«

Er rührte sich nicht und schien aus einem üblen Traum zu erwachen.

»Gut, Madame, ich werde Euch heiraten! Seid so gütig, Euch morgen abend in meinem Palais in der Rue Saint-Antoine einzufinden. Ihr werdet dort mit meinem Verwalter die Vertragsbedingungen besprechen.«

Angélique reichte ihm nicht die Hand. Sie wußte, daß er sie verweigern würde.

Sie verschmähte die Mahlzeit, die der Diener ihr servieren wollte, und ging entgegen ihrer Gewohnheit nicht zu den Kindern hinauf, sondern zog sich sogleich in ihr Zimmer zurück.

»Laß mich allein«, sagte sie zu Javotte, die hereinkam, um sie zu entkleiden.

Sie löschte die Kerzen, denn sie hatte Angst, in einem der Spiegel ihr Bild zu erblicken. Lange Zeit lehnte sie regungslos in der Nische des Fensters. Aus dem schönen Garten drangen durch das Dunkel die Düfte fremdländischer Blüten zu ihr herein.

Belauerte sie das schwarze Gespenst des Großen Hinkenden mit der eisernen Maske?

Aber sie versagte es sich, sich umzuwenden, in ihr Inneres zu blicken. »Du hast mich allein gelassen! Was konnte ich da tun?« schrie sie dem Gespenst ihrer Liebe zu. Sie sagte sich, daß sie bald die Marquise du Plessis-Bellière sein würde, aber es lag keine Freude in diesem Triumph. Sie spürte nur, daß es wie ein Riß durch ihr ganzes Sein ging, daß ihr etwas Unwiederbringliches verlorengegangen war.

»Was du da getan hast, ist unwürdig, ist grauenhaft ...!«

Tränen rannen über ihre Wangen, und während sie die Stirn an die Scheiben lehnte, auf denen eine frev-lerische Hand das Wappen des Grafen Peyrac gelöscht hatte, schwor sie sich, daß dies die letzten Tränen der Schwäche sein sollten, die sie jemals vergießen würde.

Als Madame Morens sich am folgenden Abend im Palais der Rue Saint-Antoine einfand, hatte sie einiges von ihrem Stolz zurückgewonnen. Sie war entschlossen, nicht durch nachträgliche Skrupel die Folgen einer Handlung aufs Spiel zu setzen, die zu vollbringen sie soviel Überwindung gekostet hatte.

»Wer A sagt, muß auch B sagen«, hätte Meister Bourgeaud sicherlich festgestellt.

Erhobenen Hauptes betrat sie einen großen Salon, der nur vom Kaminfeuer erleuchtet wurde. Es war niemand im Raum. Sie konnte in Ruhe ihren Mantel ablegen, sich demaskieren und ihre Hände über das Feuer halten. Obwohl sie sich jeglicher Beklemmung erwehrte, spürte sie, daß ihre Hände kalt waren und daß ihr Herz klopfte.

Nach einer Weile hob sich eine Portiere, und ein alter, schlicht in Schwarz gekleideter Mann näherte sich ihr und begrüßte sie ehrerbietig. Angélique hatte keinen Augenblick daran gedacht, daß der Verwalter der du Plessis-Bellière der Sieur Molines sein könne. Als sie ihn erkannte, stieß sie einen Ausruf der Überraschung aus und ergriff spontan seine beiden Hände.

»Oh, Monsieur Molines! Ist das denn möglich: Wie bin ich glücklich, Euch wiederzusehen!«

»Ihr ehrt mich sehr, Madame«, erwiderte er, indem er sich abermals verbeugte. »Wollt gefälligst auf diesem Sessel Platz nehmen.«

Er selbst setzte sich an ein vor den Kamin gerücktes Tischchen, auf dem Schreibtafeln, ein Tintenzeug und ein Sandbecher verteilt waren.

Während er eine Feder zuschnitt, betrachtete ihn Angélique, noch immer verblüfft über diese Erscheinung. Er hatte sich nicht sehr verändert. Seine Züge waren fest geblieben, sein Blick war noch immer lebhaft und prüfend. Nur sein Haar, auf dem ein Käppchen aus schwarzem Tuch saß, war vollkommen weiß geworden. Unwillkürlich stellte sich Angélique neben ihm die robuste Gestalt ihres Vaters vor, der so oft in das Heim des hugenottischen Verwalters gekommen war, um mit ihm über die Zukunft seiner Kinderschar zu beratschlagen.

»Könnt Ihr mir etwas über meinen Vater berichten, Monsieur Molines?«

Er blies die kleinen Hornsplitter vom Tisch, die er abgeraspelt hatte.

»Dem Herrn Baron geht es ausgezeichnet, Madame.«

»Und die Maulesel?«

»Die vom letzten Jahr machen sich sehr gut. Ich glaube, daß der Herr Baron mit diesem kleinen Geschäft recht zufrieden ist.«

Angélique sah sich wieder als unberührtes, ein wenig starrsinniges, aber lauteres junges Mädchen neben Molines sitzen. Er war es gewesen, der ihre Heirat mit dem Grafen Peyrac ausgehandelt hatte. Heute trat er ihr als Philippes Sachwalter gegenüber. Wie eine Spinne, die geduldig Fäden webt, war Molines stets mit ihrem Lebensfaden verknüpft gewesen. Es war beruhigend, ihm hier wieder zu begegnen; es war das Zeichen, daß ihr Leben wieder seine ursprüngliche Richtung einschlug.

»Erinnert Ihr Euch«, sagte sie versonnen, »Ihr wart am Abend meiner Hochzeit in Monteloup bei uns. Ich war schrecklich böse auf Euch. Und dennoch habe ich es Euch zu verdanken, daß ich eine Zeitlang sehr glücklich gewesen bin.«

Der Greis warf ihr einen Blick über seinen dicken Schildpattkneifer zu. »Sind wir hier, um uns in rührselige Betrachtungen über Eure erste Ehe zu verlieren oder um den Vertrag für die zweite auszuhandeln?«

Die junge Frau errötete.

»Ihr seid hart, Molines.«

»Auch Euch muß ich hart nennen, Madame, wenn ich an die Mittel denke, mit denen Ihr meinen jungen Herrn dahin gebracht habt, Euch zu heiraten.«

Angélique holte tief Atem, aber ihr Blick wandte sich nicht ab. Sie fühlte, daß die Zeit vorüber war, da sie noch als schüchternes Kind, als armes junges Mädchen zu dem allmächtigen Molines aufgeschaut hatte, der das Schicksal ihrer Familie in seinen Händen hielt.

Sie war eine Geschäftsfrau, mit der sich zu unterhalten Monsieur Colbert nicht für unter seiner Würde hielt und deren klare Vernunftschlüsse den Bankier Pennautier entwaffnet hatten.

»Molines, Ihr habt mir einmal gesagt: >Wenn man ein Ziel erreichen will, muß man bereit sein, etwas von seiner eigenen Person zu opfern.< So glaube ich, daß ich bei dieser Angelegenheit etwas sehr Kostbares verlieren werde: meine Selbstachtung ... Aber was hilft’s! Ich habe ein Ziel vor mir.«

Der Greis verzog seine strengen Lippen zu einem feinen Lächeln.

»Wenn meine bescheidene Billigung Euch ein wenig zu trösten vermag, Madame, so gewähre ich sie Euch.«

Nun lächelte auch Angélique. Sie würde sich immer mit Molines verstehen. Diese Gewißheit gab ihr Mut für die Verhandlungen über den Kontrakt.

»Madame, in dieser Angelegenheit müssen wir uns um größtmögliche Klarheit bemühen. Der Herr Marquis hat mir zu verstehen gegeben, daß dabei sehr viel auf dem Spiele steht. Deshalb werde ich Euch zunächst die verschiedenen Bedingungen darlegen, zu denen Ihr Eure Zustimmung geben sollt. Dann werdet Ihr mir die Eurigen nennen. Alsdann setze ich den Kontrakt auf und verlese ihn vor den beiden Parteien. Zuvor, Madame, werdet Ihr noch einen feierlichen Eid ablegen, daß Ihr das Versteck eines gewissen Kästchens kennt, in dessen Besitz der Herr Marquis zu gelangen wünscht. Erst nach dieser eidlichen Versicherung erlangt das Schriftstück Gültigkeit ...«

»Ich bin bereit, es zu tun«, versicherte Angélique.

»In wenigen Augenblicken wird Monsieur du Plessis mit seinem Hausgeistlichen erscheinen. Inzwischen wollen wir die Situation klären. Im guten Glauben also, daß Madame Morens ein Geheimnis bewahrt, an dem er höchlichst interessiert ist, erklärt sich der Marquis du Plessis-Bellière bereit, Madame Morens, geborene Angélique de Sancé de Monteloup, zu ehelichen, und zwar unter den folgenden Bedingungen: Nach vollzogener Eheschließung, das heißt sofort nach der kirchlichen Trauung, werdet Ihr das besagte Kästchen in Gegenwart zweier Zeugen übergeben, die vermutlich der Priester, der die Trauung vornimmt, und ich selbst, Euer ergebener Diener, sein werden. Alsdann wünscht der Herr Marquis, frei über Euer Vermögen verfügen zu können.«

»Oh, Verzeihung!« sagte Angélique scharf. »Der Herr Marquis wird über soviel Geld verfügen, wie er mag, und ich bin bereit, die Summe der Rente festzulegen, die ich ihm jährlich zukommen lasse. Aber ich bleibe alleinige Besitzerin und Verwalterin meiner Habe. Ich lehne es ab, ihn auf irgendeine Weise daran teilnehmen zu lassen, denn ich möchte nicht so hart gearbeitet haben, um plötzlich, wenn auch mit einem großen Namen, wieder völlig verarmt dazustehen. Ich weiß zu gut, wie groß diese hochmögenden Herrn im Verschwenden sind!«

Ohne eine Miene zu verziehen, änderte Molines den Wortlaut einiger Zeilen. Darauf bat er Angélique, ihm einen möglichst detaillierten Bericht über die verschiedenen Geschäfte zu geben, die sie betreibe, und ihm einige bedeutende Persönlichkeiten zu nennen, von denen er sich die Richtigkeit ihrer Aussagen bestätigen lassen könne. Diese Vorsichtsmaßregel empfand Angélique nicht als kränkend, denn seitdem sie sich mit den Gebräuchen des Finanz- und Handelswesens vertraut gemacht hatte, wußte sie nur zu gut, daß jedes Wort nur in dem Maße Gültigkeit besaß, in dem kontrollierbare Fakten es stützten. Einigermaßen stolz berichtete sie dem Verwalter von ihren Unternehmungen und genoß es, daß sie sich bei dieser Unterhaltung dem schlauen alten Fuchs gewachsen fand. Sie sah, daß seine Augen bewundernd aufleuchteten, nachdem sie ihm ihre gegenwärtigen Beziehungen zur Ostindischen Gesellschaft geschildert hatte, und wie sie dazu gekommen war.

»Gebt zu, daß ich meine Sache nicht schlecht gemacht habe, Monsieur Molines.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das habt Ihr nicht. Ich muß anerkennen, daß Eure Berechnungen nicht ungeschickt sind. Natürlich hängt alles davon ab, was Ihr zu Anfang hineingesteckt habt.«

»Hineingesteckt? Ich hatte nichts, Molines, weniger als nichts. Die Armut, in der wir auf Monteloup lebten, war nichts im Vergleich zu dem Elend, das ich nach dem Tode Monsieur de Peyracs erfuhr.«

Das Nennen dieses Namens bewirkte ein Schweigen, das lange anhielt. Da das Feuer nachließ, nahm Angélique ein Holzscheit aus dem neben dem Kamin stehenden Kasten und legte es auf die Glut.

»Ich muß Euch noch von Eurer Silbermine berichten«, sagte Molines schließlich im gleichen ruhigen Ton. »Sie hat in diesen letzten Jahren viel zum Unterhalt Eurer Familie beigetragen, aber es ist nur billig, daß nun, nachdem Ihr wieder aufgetaucht seid, Euch und Euren Kindern deren Erträgnisse zufließen.«

»Ist denn die Mine nicht enteignet und andern zugeteilt worden wie alle Güter des Grafen Peyrac?«

»Sie ist der Raffgier der königlichen Kontrolleure entgangen. Diese Mine stellte damals Eure Mitgift dar. Die Eigentumsverhältnisse sind einigermaßen unklar geblieben .«

»Wie alle Dinge, mit denen Ihr Euch befaßt, Meister Molines«, sagte Angélique lachend. »Ihr habt ein beachtliches Geschick, gleichzeitig mehreren Herren zu dienen.«

»Durchaus nicht«, protestierte der Verwalter mit leicht gekränkter Miene, »ich habe nicht mehrere Herren, sondern mehrere Geschäfte.«

»Ich erfasse und würdige die Nuance, Meister Molines. Reden wir von dem Geschäft du Plessis-Bellière Sohn. Ich erkläre mich mit der mir auferlegten Verpflichtung bezüglich des Kästchens einverstanden. Ich bin bereit, mir die Summe der dem Herrn Marquis auszusetzenden Rente zu überlegen. Als Gegenleistung fordere ich die Ehe und die Anerkennung als Marquise und Mitbesitzerin der meinem Gatten gehörigen Ländereien und Titel. Ebenso verlange ich, seiner Verwandt- und Bekanntschaft als seine legitime Frau vorgestellt zu werden. Ich verlange auch, daß meine beiden Söhne im Hause ihres Stiefvaters Aufnahme und Schutz finden. Schließlich möchte ich über das Vermögen und die Sachwerte aufgeklärt werden, über die er verfügt.«

»Hm . da werdet Ihr freilich nur sehr geringe Vorteile entdecken, Madame. Ich will Euch nicht verhehlen, daß mein junger Herr sehr verschuldet ist. Er besitzt außer diesem Palais zwei Schlösser, das eine in der Touraine, das er von seiner Mutter geerbt hat, das andere im Poitou, aber die Ländereien beider Schlösser sind verpfändet.«

»Solltet Ihr etwa die Geschäfte Eures Herrn schlecht geführt haben, Monsieur Molines?«

»Ach, Madame! Selbst Monsieur Colbert, der täglich fünfzehn Stunden arbeitet, um die Finanzen des Königreichs wieder in Ordnung zu bringen, vermag nichts gegen die Verschwendungssucht des Königs, die alle seine Berechnungen über den Haufen wirft. Ebenso verpraßt der Herr Marquis die durch den Aufwand seines Herrn Vaters ohnehin schon zusammengeschmolzenen Einkünfte mit kriegerischen Unternehmungen oder höfischen Vergnügungen. Der König hat ihm zu wiederholten Malen einträgliche Ämter zukommen lassen. Aber er hat sie alsbald wieder verkauft, um eine Spielschuld zu bezahlen oder eine Equipage zu kaufen. Nein, Madame, das Geschäft du Plessis-Bellière ist für mich kein interessantes Geschäft. Ich widme mich ihm aus ... sagen wir, sentimentaler Gewohnheit. Erlaubt mir, Eure Bedingungen niederzuschreiben, Madame.«

Eine Zeitlang hörte man im Raum nur das Kratzen der Feder, das das Echo zum Knistern des Feuers bildete.

»Wenn ich heirate«, dachte Angélique, »wird Molines mein Verwalter. Wie seltsam! Das hätte ich nie gedacht. Er wird bestimmt versuchen, seine langen Finger in meine Geschäfte zu stecken. Ich werde auf der Hut sein müssen. Aber im Grunde ist es sehr gut so. Ich werde in ihm einen glänzenden Berater haben.«

»Darf ich mir erlauben, Euch eine zusätzliche Klausel vorzuschlagen?« fragte Molines, indem er den Kopf hob.

»Zu meinen oder zu seinen Gunsten?«

»Zu Euren Gunsten.«

»Ich dachte, Ihr vertretet die Interessen Monsieur du Plessis’?«

Der Greis lächelte, ohne zu antworten, und nahm seinen Kneifer ab. Dann lehnte er sich in seinen Sessel zurück, richtete den gleichen lebhaften und durchdringenden Blick auf Angélique wie zehn Jahre zuvor und sagte:

»Ich halte es für eine sehr gute Sache, daß Ihr meinen Herrn heiratet. Ich glaubte nicht, Euch jemals wieder zu begegnen. Doch Ihr seid da, jeder Wahrscheinlichkeit zum Trotz, und Monsieur du Plessis sieht sich gezwungen, Euch zu heiraten. Ihr werdet mir zubilligen, Madame, daß ich nichts mit den Umständen zu schaffen habe, die Euch zu diesem Entschluß führten. Aber es geht jetzt darum, daß diese Verbindung ein Erfolg wird: in seinem Interesse, im Eurigen und, meiner Treu, im meinigen, denn das Glück des Herrn ist zugleich das des Dieners.«

»Ich bin ganz Eurer Ansicht, Molines. Worin besteht also diese Klausel?«

»Daß Ihr die Vollziehung der Ehe fordert .«

»Die Vollziehung der Ehe?« wiederholte Angélique und riß die Augen auf wie ein eben aus der Klosterschule entlassener Zögling.

»Mein Gott, Madame ... ich nehme doch an, Ihr versteht, was ich meine?«

»Ja ... freilich ... ich verstehe«, stammelte Angélique, »aber Ihr habt mich überrascht. Es ist doch selbstverständlich, daß Monsieur du Plessis, wenn er mich heiratet .«

»Es ist absolut nicht selbstverständlich, Madame. Wenn Monsieur du Plessis Euch heiratet, geht er keine Neigungsehe, sondern vielmehr eine Zwangsehe ein. Wird es Euch sehr verwundern, wenn ich Euch anvertraue, daß die Gefühle, die Ihr in Monsieur du Plessis weckt, von Liebe weit entfernt sind, daß sie eher an Unwillen, ja geradezu an Wut grenzen?«

»Ich kann es mir denken«, murmelte Angélique mit einem gespielt gleichgültigen Achselzucken. Aber zugleich fühlte sie sich peinlich berührt bei dem Gedanken an Schmähungen, mit denen Philippe sie bedacht haben mußte, als er seinem Verwalter anvertraut hatte, in welcher Falle er gefangen saß.

In heftigem Ton rief sie aus:

»Nun und? Was macht es mir schon aus, daß er mich nicht liebt! Alles, was ich von ihm will, ist sein Name, sind seine Titel. Das übrige kümmert mich nicht. Soll er mich verschmähen und mit der Stallmagd schlafen, wenn es ihm Vergnügen macht. Ich jedenfalls werde ihm nicht nachlaufen!«

»Das wäre falsch, Madame. Ich glaube, Ihr kennt diesen Edelmann schlecht, den Ihr zu heiraten gedenkt. Im Augenblick ist Eure Position sehr stark, deshalb haltet Ihr ihn für schwach. Aber später müßt Ihr ihn auf irgendeine Weise beherrschen, andernfalls ...«

»Andernfalls ...?«

». werdet Ihr unsagbar unglücklich sein.«

Ein harter Ausdruck trat in das Gesicht der jungen Frau. Sie sagte kalt:

»Ich bin bereits unsagbar unglücklich gewesen, Molines. Ich habe nicht die Absicht, es von neuem zu werden.«

»EbendeshalbbieteichEucheinVerteidigungsmittel. Hört mich an, Angélique. Ich bin alt genug, um schonungslos mit Euch zu reden. Nach Eurer Vermählung werdet Ihr über Philippe du Plessis keine Macht mehr haben. Dann wird er im Besitz des Geldes und des Kästchens sein. Das Argument des Herzens hat für ihn keinerlei Bedeutung. Deshalb müßt Ihr es erreichen, ihn durch die Sinne zu beherrschen.«

»Das ist eine gefährliche Macht, Meister Molines, und eine sehr verwundbare.«

»Es ist eine Macht. An Euch liegt es, sie unverwundbar zu machen.«

Angélique fühlte sich aufgewühlt. Es fiel ihr nicht ein, sich über derartige Ratschläge aus dem Munde eines strengen Hugenotten zu ärgern. Molines’ ganzes Wesen war von einer listigen Weisheit geprägt, die sich nie von Prinzipien hatte leiten lassen, sondern einzig von den Schwankungen der den materiellen Interessen verhafteten menschlichen Natur. Auch diesmal hatte er sicherlich recht. Angélique erinnerte sich plötzlich der Anwandlungen von Angst, die Philippe in ihr ausgelöst hatte, und auch des Gefühls der Hilflosigkeit, das sie angesichts seiner Gleichgültigkeit, seiner eisigen Ruhe empfand. Sie wurde sich bewußt, daß sie insgeheim die Absicht hatte, ihn schon in der Hochzeitsnacht zu unterwerfen. Wenn eine Frau einen Mann in ihren Armen hält, ist sie sehr mächtig. Immer kommt einmal der Augenblick, da die Abwehr des Mannes angesichts des Abgrunds der Lust erlahmt. Er wird schwach und blind. Eine Frau muß diesen Augenblick zu nutzen wissen. Später wird selbst der härteste Mann wider seinen Willen immer zur Quelle seiner Wollust zurückkehren wollen. Angélique wußte es: Wenn sich Philippes wundervoller Körper mit dem ihren vereinigte, wenn dieser gleich einer Frucht nachgiebige und frische Mund mit dem ihren verschmolz, würde sie die feurigste und wissendste aller Geliebten werden. Gemeinsam würden sie in der Anonymität des Liebeskampfes Wonnen genießen, die Philippe am nächsten Tag vielleicht abstreiten würde, die sie aber sicherer miteinander verbinden mußten als irgendeine leidenschaftliche Erklärung.

Ihr Blick kehrte zu Molines zurück. Er mußte ihre Gedankengänge von ihrem Gesicht abgelesen haben, denn er lächelte ironisch und sagte: »Ich meine auch, Ihr seid schön genug, um die Partie zu wagen. Vorausgesetzt freilich, daß es überhaupt dazu kommt.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Mein Herr macht sich nichts aus Frauen. Gewiß, er hat sie gekostet, aber für ihn ist eine Frau eine bittere, Übelkeit erregende Frucht.«

»Immerhin sagt man ihm eine ganze Menge Abenteuer nach. Und jene berüchtigten Orgien während seiner Feldzüge, in Norgen .«

»Reflexe eines vom Krieg berauschten Haudegens. Er nimmt die Frauen, wie er ein Haus in Brand stek-ken, wie er mit einem Degenstoß den Leib eines Kindes durchbohren würde ... aus purer Bosheit.«

»Molines, Ihr redet schreckliche Dinge!«

»Ich will Euch nicht erschrecken, sondern warnen. Ihr stammt aus einer adligen, aber gesunden und bäuerlichen Familie. Ihr scheint nicht zu wissen, wie ein junger Edelmann aufwächst, dessen Eltern reich und weltmännisch sind. Von Kindheit an ist er das Spielzeug der Zofen und Lakaien, dann der hochadligen Herren, bei denen man ihn als Pagen unterbringt. Die natürlichen und widernatürlichen Liebespraktiken, die er dort kennenlernt .«

»Oh, schweigt! All das ist so unerfreulich«, murmelte Angélique und blickte verlegen ins Kaminfeuer.

Molines ließ es dabei bewenden und setzte seinen Kneifer wieder auf.

»Soll ich also diese Klausel hinzufügen?«

»Fügt hinzu, was Ihr wollt, Molines, ich .«

Sie wurde durch das Geräusch einer sich öffnenden Tür unterbrochen. Im Halbdunkel des Salons wirkte die in blasse Seide gekleidete Gestalt Philippes wie eine Statue aus Schnee. Weiß und blond, über und über mit Gold bedeckt, schien er im Begriff, zu einem Ball aufzubrechen. Er grüßte Angélique mit einer kühl-nachlässigen Kopfbewegung.

»Wie weit seid Ihr mit Euren Verhandlungen, Molines?«

»Madame Morens ist mit den gestellten Bedingungen vollkommen einverstanden.«

»Ihr seid bereit, auf das Kreuz zu schwören, daß Ihr das Versteck jener Schatulle tatsächlich kennt?«

»Ich kann es beschwören.«

»Monsieur Carette .«

Der Geistliche, dessen schmale, dunkle Silhouette hinter der strahlenden Erscheinung des Marquis kaum zu erkennen gewesen war, trat mit einem Kruzifix in der Hand vor, auf das Angélique schwur, tatsächlich das Versteck der Schatulle zu kennen und sich zu verpflichten, sie nach der Eheschließung Monsieur du Plessis zu übergeben. Sodann nannte Molines die Summe der Rente, die Angélique später ihrem Gatten gewähren sollte. Die Summe war reichlich hoch, aber sie entsprach wohl der Summe der Ausgaben, die der Verwalter jährlich für seinen jungen Herrn errech-nete. Angélique hob ein wenig die Augenbrauen, aber sie fügte sich: Wenn ihre Geschäfte florierten, würde sie es schon schaffen. Andererseits, wenn sie erst Marquise du Plessis war, würde sie schon dafür sorgen, daß man aus Philippes Besitzungen ein Maximum an Erträgnissen herausholte.

Der junge Mann erhob keine Einwendungen. Er setzte eine gelangweilte Miene auf. »Es ist gut, Molines«, sagte er, während er ein Gähnen unterdrückte. »Sorgt dafür, daß diese unerfreuliche Angelegenheit so rasch wie möglich in Ordnung kommt.«

Der Verwalter hüstelte und rieb sich verlegen die Hände.

»Da ist noch eine Klausel, Herr Marquis, die die hier anwesende Madame Morens in den Kontrakt eingefügt haben möchte. Nämlich: Die finanziellen Regelungen sind nur bei Vollziehung der Ehe gültig.«

Philippe schien nicht gleich zu begreifen, dann rötete sich sein Gesicht.

»Oh, das ist .«, sagte er, »nein, wirklich .«

Er rang so nach Worten, daß Angélique wieder jenes wunderliche, aus Mitleid und Rührung gemischte Gefühl verspürte, das er ihr zuweilen einflößte.

»Das ist ja wirklich die Höhe!« stieß er schließlich hervor. »Schamlosigkeit mit Frechheit gepaart!«

Nun wurde er kreidebleich vor Wut. »Und könnt Ihr mir vielleicht sagen, Molines, wie ich der Welt beweisen soll, daß ich das Bett dieser Person beehrt habe? Etwa dadurch, daß ich die Jungfräulichkeit einer Dirne raube, die bereits zwei Kinder hat und sich zu jedem Musketier und Finanzmann ins Bett legt? Oder daß ich mich der Kammer präsentiere wie jener Idiot, der vor zehn Personen seine Mannbarkeit zu beweisen hatte? Hat Madame Morens die Zeugen benannt, die dieser Zeremonie beiwohnen sollen?«

Molines machte mit beiden Händen eine beruhigende Geste.

»Ich begreife nicht, Herr Marquis, weshalb diese Klausel Euch in einen solchen Zustand versetzt. Sie ist für Euch tatsächlich, wenn ich so sagen darf, ebenso interessant wie für Eure zukünftige Gattin. Ihr müßt bedenken, daß Madame Morens, falls Ihr Euch in einer Laune oder wohlverständlichen Anwandlung von Groll dazu hinreißen ließet, Eure ehelichen Pflichten zu vernachlässigen, schon in kurzer Frist das Recht hätte, die Annullierung der Eheschließung zu verlangen und Euch in einen peinlichen und kostspieligen Prozeß zu verwickeln. Ich gehöre der reformierten Religion an, aber ich glaube zu wissen, daß die Nichtvollziehung der Ehe einer der von der Kirche anerkannten Annullierungsgründe ist. Nicht wahr, Herr Pfarrer?«

»Ganz recht, Monsieur Molines. Die christliche und katholische Ehe hat nur ein Ziel: die Fortpflanzung.«

»Aha«, sagte der Verwalter in leise ironischem Ton. »Was den Beweis Eures guten Willens betrifft, so ist der beste wohl der, daß Eure Gattin Euch alsbald einen Stammhalter schenkt.«

Philippe wandte sich Angélique zu, die während dieses Gesprächs gelassen zu bleiben versuchte. Als er sie jedoch anstarrte, hob sie unwillkürlich die Augen zu ihm auf. Der tückische und harte Ausdruck dieses schönen Gesichts ließ sie erschauern.

»Also, es ist abgemacht«, sagte Philippe träge, während sich seine Lippen zu einem grausamen Lächeln verzogen. »Ich werde sehen, was sich machen läßt .«

»Ihr habt mich eine abscheuliche Rolle spielen lassen«, sagte Angélique zu Molines.

»Ein bißchen mehr oder weniger abscheulich, was macht das schon aus? Wenn man sich zu einer abscheulichen Rolle entschlossen hat, soll man sich nicht um Nuancen kümmern, sondern seine Position sichern.«

Er geleitete sie zu ihrer Kutsche zurück. Mit seinem schwarzen Käppchen, der ein wenig verschmitzten Art, seine trockenen Hände zu reiben, war er wie ein vertrautes Symbol ihrer frühen Jugend.

»Ich kehre zu den Meinen zurück«, sagte sich Angélique in einem Gefühl der Fülle, das die durch Philippes Verhalten verursachten Wunden schloß. »Ich werde wieder Fuß fassen, in meine frühere Welt wieder Einlaß finden.«

Auf der Türschwelle schien der Verwalter angelegentlich den bestirnten Himmel zu betrachten, während Madame Morens’ Kutsche umständlich im Hof wendete, bevor sie endlich vor ihnen hielt.

»Ich frage mich«, sagte er bekümmert, »wie ein solcher Mann sterben konnte.«

»Welcher Mann, Molines?«

»Der Herr Graf Peyrac .«

Angéliques Herz krampfte sich zusammen. Seit einiger Zeit fügten sich der Verzweiflung, die sie jedesmal erfaßte, wenn sie an Joffrey dachte, unklare Gewissensbisse zu. Auch ihre Augen wanderten unwillkürlich zum nächtlichen Firmament.

»Glaubt Ihr, daß ... er mir böse ist ... wenn ich Philippe heirate?« fragte sie kindlich.

Der Greis schien sie nicht zu hören.

»Daß ein solcher Mann sterben mußte, geht über jeden Menschenverstand«, fuhr er kopfschüttelnd fort. »Vielleicht hat der König das rechtzeitig eingesehen .«

Angélique griff in einer impulsiven Aufwallung nach seinem Arm.

»Molines ... wißt Ihr etwas?«

»Ich habe sagen hören, daß der König ihn begnadigt hatte ... im letzten Augenblick.«

»Ach, ich habe ihn mit eigenen Augen auf dem Scheiterhaufen brennen sehen!«

»Dann wollen wir die Toten begraben sein lassen«, sagte Molines mit einer pastoralen Gebäude, die gut zu ihm paßte. »Möge das Leben sich erfüllen!«

In der Kutsche, die sie nach Hause brachte, preßte Angélique ihre beringten Hände zusammen. »Joffrey, wo bist du? Was soll dieser Hoffnungsschimmer, da doch die Flammen des Scheiterhaufens seit so vielen Jahren erloschen sind? Wenn du noch auf Erden umherirrst, kehr zu mir zurück!«

Sie verstummte, erschrocken über die Worte, die sie murmelte. Die Straßenlaternen warfen huschende Lichtflecke auf ihr Kleid. Sie grollte ihnen, weil sie die Dunkelheit zerteilten, in die sie sich blind versenken wollte. Sie hatte Angst. Angst vor Philippe, Angst vor Joffrey, einerlei, ob er tot war oder lebendig .!

Im Hôtel du Beautreillis kamen ihr Florimond und Cantor entgegen. Beide waren in rosafarbene Seide gekleidet und trugen Spitzenkragen, winzige Degen und Hüte mit rosafarbenen Federn. Sie stützten sich auf eine große Dogge mit fuchsrotem Fell, die Cantor fast überragte.

Sie blieb stehen, und ihr Herz klopfte angesichts der Grazie dieser kleinen Wesen. Wie ernst und selbstbewußt sie waren! Wie gemessen sie sich bewegten, um ihre schönen Kleider nicht zu zerknittern!

Zwischen Philippe und dem Geist Joffreys tauchten sie auf, stark in ihrer Schwäche. »Möge das Leben sich erfüllen«, hatte der alte hugenottische Verwalter gesagt. Und das Leben, das waren sie. Für sie mußte sie ihren Weg weitergehen, stetig, ohne zu ermatten.

Man hatte die Kinder in ihren Sonntagsstaat gekleidet, um Madame de Sévigné zu begrüßen, die im großen Salon seit einer Stunde auf Angélique wartete.

Zum großen Ärgernis der Lakaien ließ sich Angélique auf die Knie nieder, breitete ihre Arme aus und drückte die beiden Pagen samt der Dogge an ihr Herz.

Von dem Grauen und den Skrupeln, die Angélique in dieser Zeit überfielen, ahnten ihre Umgebung und ihre Freundinnen nichts. Nie hatte sie so schön, so ausgeglichen gewirkt. Sie trotzte mit einem zugleich herablassenden und völlig natürlichen Lächeln der Neugier der Salons, in denen sich zur gleichen Zeit wie ein Lauffeuer die Kunde von ihrem zukünftigen Marquisat und ihrer aristokratischen Herkunft verbreitete.

Madame Morens, die Schokoladenfabrikantin, eine Sancé, Angehörige einer im Laufe der letzten Jahrhunderte zwar verschollenen, aber durch ein Geflecht glorreicher Seitenlinien mit den Montmorency, ja sogar mit den Guise verschwägerten Familie? Die letzten Schößlinge dieser Familie hatten begonnen, ihr neuen Glanz zu verleihen. Hatte nicht Anne von Österreich jenen großen Jesuiten mit den feurigen Augen an ihr Sterbebett rufen lassen, den R. P de Sancé, den alle vornehmen Damen des Hofs so gern in Gewissensangelegenheiten um Rat angegangen wären? Madame Morens, deren frühere Existenz und überstürzter Aufstieg, wenn man es auch nicht wahrhaben wollte, einiges Ärgernis erregte, sollte die leibliche Schwester dieses schon geradezu berühmten Geistlichen sein? Man wollte es nicht glauben. Doch bei einem von Madame d’Albert veranstalteten Empfang beobachtete man, wie der Jesuit die zukünftige Marquise du Plessis-Bellière umarmte, sie ostentativ duzte und sich in brüderlich-scherzhaftem Ton mit ihr unterhielt.

Angélique war übrigens am Tage nach ihrer Begegnung mit Molines zu Raymond geeilt. Sie wußte, daß sie in ihm einen sicheren Bundesgenossen hatte, der ganz unauffällig ihre gesellschaftliche Rehabilitierung organisieren würde. Was auch geschah.

Noch war keine Woche vergangen, als die zwischen ihrem angeblichen Bürgerstand und der Sympathie der adligen Damen des Marais errichtete Mauer der Arroganz einstürzte. Man sprach ihr von der bezaubernden Marie-Agnès de Sancé, deren Grazie den Hof entzückt hätte. Künftighin würde also der Hof durch die Gegenwart einer weiteren Sancé beehrt werden, deren Schönheit der der ersteren in nichts nachstand und deren Geist bereits allüberall gerühmt wurde.

Infolge eines allgemein eingehaltenen stillschweigenden Übereinkommens schienen die letzten Jahre von Angéliques Existenz wie in einem dunklen Loch zu versinken. Sie selbst nahm es halb ängstlich, halb erleichtert hin. Eines Abends, nachdem sie wieder einmal den Dolch Rodogones des Ägypters hervorgeholt und betrachtet hatte, wurde ihr klar, daß all dies nur ein wüster Traum gewesen war, an den sie nicht mehr denken durfte. Ihr Leben mündete wieder in den Weg ein, den Geburt und Überlieferung ihr vorgezeichnet hatten, den Weg einer gewissen Angélique de Sancé, Edelfräuleins aus dem Poitou, dem, wie es scheinen wollte, Philippe du Plessis-Bellière schon vor Zeiten anverlobt worden war.

Indessen vollzog sich dieses Verlöschen einer Phase ihrer Existenz nicht ohne einige Widrigkeiten. Eines Morgens, als sie eben mit ihrer Toilette beschäftigt war, ließ sich der Haushofmeister des Grafen Soissons, Audiger, melden. - Im Begriff, ein Kleid

überzustreifen und hinunterzugehen, um ihn zu begrüßen, besann sie sich eines andern und blieb vor ihrem Frisiertisch sitzen. Eine große Dame konnte einen Besucher geringeren Standes sehr wohl im Morgenrock empfangen.

Als er eintrat, wandte sie sich nicht um, sondern fuhr fort, mit einer riesigen, stäubenden Quaste ihren Hals zu pudern. In dem vor ihr stehenden ovalen Spiegel konnte sie beobachten, wie er sich, in einen schlichten, schwarzen Anzug gezwängt, näherte. Sein Gesicht zeigte den strengen Ausdruck, den sie so gut an ihm kannte, den gleichen, der früher stets dem Ausbruch jener »ehelichen Szenen« zwischen ihnen vorausgegangen war.

»Tretet näher, Audiger«, sagte sie herzlich, »und setzt Euch neben mich auf diesen Schemel. Wir haben uns lange nicht gesehen, aber unsere Geschäfte gehen dank dem tüchtigen Marchandeau so gut, daß es nicht nötig war.«

»Ich bedaure es immer, wenn sich längere Zeit keine Gelegenheit ergibt, Euch zu begegnen«, sagte der junge Mann mit verhaltener Stimme, »denn Ihr pflegt es auszunützen, um Dummheiten zu machen. Stimmt es, was man sich erzählt, daß Ihr Euch vom Marquis du Plessis-Bellière heiraten lassen wollt?«

»Es entspricht haargenau den Tatsachen, mein Freund«, erwiderte Angélique lässig, während sie mit einer kleinen, weichen Bürste den überschüssigen Puder von ihrem Hals entfernte. »Der Marquis ist ein Vetter von mir, und ich glaube, ich bin von jeher in ihn verliebt gewesen.«

»So ist es Euch also endlich gelungen, Eure ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen! Ich habe schon lange erkannt, daß für Euch nichts zu hoch ist. Um jeden Preis wolltet Ihr dem Adel angehören ...«

»Ich gehöre ja dem Adel an, Audiger, und ich habe es immer getan, selbst als ich die Gäste Meister Bourgeauds bediente. Ihr, der Ihr immer über alle Klatschgeschichten informiert seid, habt gewiß in diesen letzten Tagen auch erfahren, daß ich in Wirklichkeit Angélique de Sancé de Monteloup heiße.«

Im Gesicht des Haushofmeisters zuckte es. Er war feuerrot geworden.

»Er sollte sich schröpfen lassen«, dachte Angélique.

»Ich habe es tatsächlich erfahren, und es hat mir Euer geringschätziges Verhalten verständlich gemacht. Deshalb also habt Ihr Euch geweigert, meine Frau zu werden? Ihr habt Euch meiner geschämt.«

Er löste seinen Kragen, der ihn in seinem Zorn zu ersticken drohte. Nachdem er tief Atem geschöpft hatte, fuhr er fort:

»Ich weiß nicht, aus welchen Gründen Ihr, die Ihr von so hoher Abkunft seid, einen so tiefen Fall getan habt, daß ich Euch als arme Magd kennenlernte, die sich sogar vor ihrer eigenen Familie versteckte. Aber ich kenne die Welt gut genug, um zu ahnen, daß Ihr das Opfer schmutziger und verbrecherischer Intrigen gewesen seid, wie sie in Adelskreisen gang und gäbe sind. Und nun wollt Ihr in diese Welt zurückkehren .? Nein, ich kann mich noch nicht damit abfinden. Deshalb spreche ich weiterhin in einem vertraulichen Ton mit Euch, der Euch vielleicht schon zuwider ist ... Nein, Ihr werdet nicht verschwinden, grausamer noch, als wenn Ihr gestorben wärt. Wie könnt Ihr, deren Scharfsinn und gesunden Menschenverstand ich bewundert habe, für die Schwächen dieser Welt, auf die Ihr Euch beruft, so blind sein? Die gesunde Atmosphäre, deren Ihr bedürft, um Euch zu entfalten, das brüderliche, herzliche Wohlwollen, dem Ihr bei uns begegnet seid - seht, ich stehe nicht an, mich mit einem Meister Bourgeaud auf die gleiche Stufe zu stellen -, wie könnt Ihr das so leichten Herzens von Euch weisen? Ihr werdet vereinsamen zwischen diesen Intriganten, deren Seichtheit und Gemeinheit Euren Wirklichkeitssinn, Eure Freimütigkeit verkümmern lassen werden, oder Ihr verkommt gleich ihnen .«

Angélique legte ihre silberne Bürste gelassen auf den Frisiertisch. Sie hatte Audigers Eheszenen satt. Wie lange würde sie sich wohl noch die Sermone des Haushofmeisters anhören müssen? Sie warf einen Blick auf dessen volles, glattes Gesicht mit den ehrlichen Augen, den schönen Lippen, und fand, es sei schade um einen Mann, der zugleich so sympathisch und so engherzig sei. Mit einem entschlossenen Seufzer stand sie auf.

»Mein lieber Freund .«

Er erfaßte die Bedeutung ihrer Geste und erhob sich gleichfalls.

»Die Frau Marquise bedeutet dem Haushofmeister, daß er verabschiedet ist .?«

Er wurde bleich. Sein Gesicht verhärtete sich, seine Stimme bebte.

»Illusionen!« sagte er grollend. »Ich habe mir immer nur Illusionen über Euch gemacht. Wie konnte ich nur daran denken ... Ihr, meine Frau! Armer Tor, der ich war! Es ist schon so ... Ihr paßt in Eure Welt. Eine Dirne, die sich herumzerren läßt.«

Mit zwei Schritten war er bei ihr, faßte sie um die Taille und stieß sie auf den Diwan. Keuchend, in rasendem Zorn, packte er mit der einen Hand ihre Handgelenke und preßte sie gegen die Brust der jungen Frau, während er mit der andern den Morgenrock, das feine Hemd aufriß, um sie zu entblößen.

Im ersten Augenblick hatte Angélique sich aufgebäumt, aber alsbald erstarrte sie und blieb regungslos liegen. Der Mann, der mit einem Kampf gerechnet hatte, wurde sich allmählich bewußt, wie sinnlos und lächerlich seine Heftigkeit war, und lockerte verstört die Umklammerung. Seine scheuen Augen suchten Angéliques Gesicht, das aber gleich dem einer Toten still und starr blieb.

»Warum wehrt Ihr Euch nicht?« stammelte er.

Sie starrte ihn aus ihren grünen Augen an. Nie war Audigers Gesicht dem ihren so nah gewesen. Ernst tauchte sie in diesen bronzefarbenen Blick, in dem nacheinander Verwegenheit, Verzweiflung, Leidenschaft aufglühten und erloschen.

»Ihr seid ein sehr nützlicher Gehilfe gewesen, Audiger«, murmelte sie, »das muß ich anerkennen. Wenn es das ist, was Ihr wollt, so nehmt mich. Ich werde mich nicht verweigern. Ihr wißt ja, ich zögere nie, wenn die Stunde gekommen ist, meine Schulden zu begleichen.«

Er betrachtete sie stumm. Nur langsam drang der Sinn ihrer Worte in sein Bewußtsein. Unter sich spürte er diesen geschmeidigen, festen Körper, dessen zugleich fremder und vertrauter Duft ihm die Besinnung raubte. Sie war vollkommen ruhig. Aber selbst diese Hingabe hatte etwas Kränkendes. Es war eine seelenlose Hülle, die sie ihm darbot.

Er erfaßte es. Mit einem erstickten Schluchzer richtete er sich auf und wich taumelnd ein paar Schritte zurück. Er ließ sie nicht aus den Augen.

Sie hatte sich nicht gerührt und lag halb auf dem Diwan ausgestreckt, ohne auch nur den Versuch zu machen, mit der zerrissenen Spitze ihres Morgenrocks die Brust zu bedecken oder das Hemd herunterzuziehen, das er ungestüm bis zu den schönen, perlmutterglänzenden Schenkeln hochgezogen hatte. Er konnte die Beine sehen, die genauso vollkommen waren, wie er sie sich vorgestellt hatte, lang, wohlgeformt, mit sehr kleinen Füßen, die sich vom Samt der Kissen wie köstliches Schnitzwerk aus rosigem Elfenbein abhoben. Audiger atmete tief.

»Gewiß werde ich es mein ganzes Leben lang bedauern«, sagte er mit erstickter Stimme, »aber ich werde mich wenigstens nicht verachten müssen. Adieu, Madame! Ich will kein Almosen von Euch.«

Und er ging hinaus.

Angélique blieb noch eine Weile liegen, tief in Nachdenken versunken. Dann richtete sie sich langsam auf und musterte ihre mitgenommene Kleidung. Ihr Spitzenkragen war verdorben.

»Der Teufel hole die Männer!« murmelte sie verärgert.

Sie erinnerte sich, wie sehr sie auf dem Ausflug nach der Javel-Mühle gewünscht hatte, Audiger möge ihr Liebhaber werden. Aber damals hatten die Dinge anders gelegen. Zu jener Zeit war Audiger reicher als sie gewesen, und der Kragen, den sie an jenem Tag trug, hatte sie nicht drei Livres gekostet .

Mit einem kleinen Seufzer setzte sie sich wieder vor ihren Frisiertisch.

»Ninonde Lenclos hat recht«, dachte sie bei sich. »Was in der Liebe die meisten Mißverständnisse verursacht, ist die Tatsache, daß die Uhren der Begierde nicht immer im gleichen Augenblick schlagen.«

Am nächsten Morgen überbrachte ihr eine Bedienerin der Schokoladenstube zur »Spanischen Zwergin« eine kurze Botschaft Audigers, der sie bat, abends in das Lokal zu kommen, um mit ihm die Bücher zu prüfen. Der Vorwand kam ihr recht fadenscheinig vor. Der arme Junge hatte offenbar nach einer schlaflosen Nacht seine Würde und Seelengröße zum Teufel gejagt und versuchte nun, doch noch in den Genuß des Almosens zu kommen, das sie ihm angeboten hatte. Angélique wich nicht aus. Entschlossen, ihm durch diese erste und letzte Willfährigkeit ihre Dankbarkeit zu bezeigen, begab sie sich zu der Verabredung.

Sie traf den Haushofmeister in dem kleinen, neben der Gaststube liegenden Büro an. Er war in Reithosen und Jagdstiefeln und wirkte sehr ruhig, ja geradezu munter. Er vermied jede Anspielung auf das Scharmützel vom Abend zuvor und begann völlig ungezwungen zu reden.

»Vergebt mir, Madame, daß ich Euch bemüht habe, aber es schien mir angebracht, vor meiner Abreise alle Fragen unserer Schokoladefabrikation durchzusprechen, wenn wir auch unserem Geschäftsführer Marchandeau volles Vertrauen schenken können.«

»Ihr wollt verreisen?«

»Ja. Ich habe soeben eine Verpflichtung für die Franche-Comté unterzeichnet, wo Seine Majestät in diesem Frühjahr, wie es heißt, irgendeine Stadt erobern will. Ich breche erst in acht Tagen auf, aber inzwischen soll ich mich um die Verproviantierung des Regiments von Monsieur du Bellay kümmern. So werde ich in dieser letzten Woche wohl keine Zeit für eine Zusammenkunft mit Euch finden, und deshalb wollte ich den letzten freien Abend dazu benützen, gemeinsam mit Euch festzustellen, wie unsere Geschäfte stehen.«

Über eine Stunde lang gingen sie zusammen mit Marchandeau die Kontobücher durch, worauf sie sich in den Fabrikationsraum begaben, um die Maschinen zu prüfen, und in die Vorratskammern, um die Reserven an Kakao, Zucker und Gewürzen zu kontrollieren. In einem passenden Augenblick stand Audiger auf und ging hinaus, als müsse er einen andern Faszikel mit Rechnungen holen. Doch wenige Augenblicke darauf hörte Angélique den Trab eines sich entfernenden Pferdes, und sie begriff, daß Audiger aufgebrochen war und daß sie ihn nie wiedersehen würde.

Sie schrieb einen Brief an ihren Lieferanten in La Rochelle zu Ende, löschte und versiegelte ihn und nahm sodann ihre Maske und ihren Mantel. Für einen Augenblick lauschte sie dem Lärm, der aus der überfüllten Gaststube kam, denn ein Platzregen hatte kurz zuvor die Gäste aus den Lauben unter Dach und Fach gescheucht. Der süßliche Duft der Schokolade, vermischt mit dem gerösteter Mandeln, drang bis in dieses Büro, in dem Angélique, zwei Jahre lang in schwarzem Kleid, weißem Kragen und weißen Ärmelaufschlägen, eine Gänsefeder in der Hand, über endlosen Rechnungen gesessen hatte.

Wie üblich trat sie schließlich an die zum Saal führende Tür und beobachtete »ihre« Gäste durch den Schlitz der Portiere. In nächster Nähe bemerkte sie einen Mann, der allein vor einer dampfenden Tasse saß und melancholisch Pistazien zerkrümelte. Er kam ihr bekannt vor, und nachdem sie ihn ein Weilchen beobachtet hatte, stieg in ihr der Verdacht auf, daß diese recht vornehm gekleidete Person der Polizist Desgray sein müsse, der sich auf geschickte Weise unkenntlich gemacht habe. Sie verspürte eine kindliche Freude. Zwischen dem eisigen Groll ihres zukünftigen Gatten, den Vorwürfen Audigers, der Neugier ihrer Freunde war Desgray der einzige Mensch, mit dem sie im Augenblick würde reden können, ohne Komödie spielen zu müssen.

Sie trat aus ihrem Versteck hervor und näherte sich ihm.

»Mir scheint, man hat Euch versetzt, Meister Desgray«, sprach sie ihn mit gedämpfter Stimme an. »Darf ich mit meinen bescheidenen Mitteln versuchen, die Grausame zu ersetzen, die Euch im Stich gelassen hat?«

Er blickte auf und erkannte sie.

»Nichts kann ehrenvoller für mich sein, als die Herrin dieser bezaubernden Stätte an meiner Seite zu haben.«

Sie setzte sich lachend neben ihn und bedeutete einem der beturbanten kleinen Negerlein, ihr eine Tasse Schokolade und Gebäck zu bringen.

»Auf wen macht Ihr in meinem Gehege Jagd, Desgray? Auf einen giftigen Pamphletisten?«

»Nein. Nur auf seine weibliche Entsprechung, nämlich auf eine Giftmischerin.«

»Puh, das ist aber recht banal! Ich kenne welche«, sagte Angélique, die an Madame de Brinvilliers dachte.

»Wenn ich Eurer Auskünfte bedarf, werde ich mich an Euch wenden«, bemerkte Desgray mit einer ironischen Grimasse. »Ich weiß, daß Ihr sie mir bereitwillig anvertraut.«

Angélique erinnerte sich nicht gern der Folter, der sie der Polizist seinerzeit ausgesetzt hatte. Sie erwiderte daher nichts und gab sich ganz dem Genuß des heißen Getränks hin, das der Negerknabe Tom ihr eben eingeschenkt hatte.

»Was haltet Ihr von dieser Schokolade, Monsieur Desgray?«

»Eine wahre Strafe! Aber schließlich weiß man ja, daß man ein paar kleine Prüfungen solcher Art bestehen muß, wenn man einen Fall verfolgt. Ich muß jedoch zugeben, daß ich im Laufe meiner Karriere sehr häufig unerfreulichere Lokalitäten als diesen Schokoladeausschank habe betreten müssen. Er ist gar nicht so übel .«

Die junge Frau war überzeugt, daß Desgray über ihr Heiratsprojekt Bescheid wußte, aber da er nichts sagte, war es ihr peinlich, das Thema anzuschneiden. Doch der Zufall kam ihr zu Hilfe, indem er Philippe selbst inmitten einer munteren Gesellschaft von Edelleuten und Damen hereinführte. Angélique, die maskiert war und in einem entlegenen Winkel saß, brauchte nicht zu befürchten, von ihm erkannt zu werden.

Sie sagte, indem sie Desgray auf ihn aufmerksam machte:

»Seht Ihr jenen Edelmann im himmelblauen Seidengewand? Nun, ich werde ihn heiraten.«

Desgray tat überrascht. »Was? Aber ist das denn nicht der kleine Vetter, der an einem gewissen Abend in der Schenke zur >Roten Maske< mit Euch spielte?«

»Doch«, bestätigte Angélique mit einer herausfordernden Kopfbewegung. »Nun, was meint Ihr?«

»Wozu? Zu der Heirat oder zu dem kleinen Vetter?«

»Zu beiden.«

»Das Heiraten ist eine delikate Angelegenheit, und ich überlasse es Eurem Beichtvater, Euch darüber aufzuklären, mein Kind«, sagte Desgray in weisem Ton. »Was den kleinen Vetter betrifft, so stelle ich mit Bedauern fest, daß er absolut nicht Euer Typ ist.«

»Wieso? Er ist doch sehr schön?«

»Eben deshalb. Die Schönheit ist bestimmt das letzte, was Euch an den Männern zu reizen vermag. Was Ihr an ihnen liebt, sind nicht die Eigenschaften, die sie mit den Frauen gemein haben, sondern im Gegenteil diejenigen, die sie von ihnen trennen: ihre spezifische Intelligenz, ihre Lebenseinstellung, die nicht immer richtig sein mag, die Euch aber ungewöhnlich erscheint, und auch das Mysterium ihrer männlichen Funktionen. Jawohl, Madame, so seid Ihr. Ihr braucht mich hinter Eurer Maske gar nicht so schockiert anzuschauen. Ich möchte noch hinzusetzen: Je mehr sich ein Mann von der großen Herde löst, desto eher seid Ihr geneigt, ihn als Gebieter anzuerkennen. Deshalb habt Ihr eine Vorliebe für die Originale, die Parias, die Rebellen. Nun, der dort ist nicht dumm, aber er besitzt keinen Scharfsinn. Wenn er Euch liebt, lauft Ihr Gefahr, Euch fürchterlich zu langweilen.«

»Er liebt mich nicht.«

»Um so besser. Ihr könnt ja zu Eurer Unterhaltung immerhin versuchen, Liebe zu erwecken. Aber was die körperliche Liebe betrifft, möchte ich wetten, daß er noch weniger subtil ist als ein Bauer. Hat man mir doch berichtet, daß er in den Kreisen Monsieurs verkehrt! Er soll früher der Geliebte des Chevaliers de Lorraine und des Fürsten Ligne gewesen sein.«

»Ich mag es nicht, daß man so über Philippe redet«, sagte Angélique mißmutig. »Oh, Desgray, es ist mir peinlich, Euch diese Frage zu stellen. Aber können solche Gewohnheiten einen Mann nicht hindern . Kinder zu zeugen, beispielsweise?«

»Das kommt ganz darauf an, um was für eine Art Mann es sich handelt«, antwortete Desgray lachend. »So wie dieser Bursche mir gebaut scheint, hat er wohl alles, was man braucht, um eine Frau glücklich zu machen und ihr zu einem Stall voll Kinder zu verhelfen. Aber bei ihm ist es das Herz, das fehlt. Wenn er einmal tot ist, kann sein Herz gewiß nicht kälter sein als heute. Pah! Ich sehe, daß Ihr Schönheit kosten wollt. Nun denn, kostet sie, beißt herzhaft in sie hinein, und vor allem: bereut nichts. So, und nun werde ich Euch verlassen.« Er stand auf, um ihr die Hand zu küssen.

»Meine Giftmischerin ist nicht gekommen. Ich be-daure es lebhaft. Gleichwohl danke ich Euch für Eure angenehme Gesellschaft.«

Während er sich zwischen den Tischen entfernte, blieb Angélique wie erstarrt sitzen. Angst und Kummer schnürten ihr plötzlich die Kehle zu.

»Und nun werde ich Euch verlassen«, hatte Desgray gesagt. Mit einem Male begriff sie, daß sie in dem Milieu, in das sie zurückzukehren gedachte - am Hof, in Versailles, in Saint-Germain, im Louvre -, nie mehr dem Polizisten Desgray und seinem Hund Sorbonne begegnen würde. Sie würden verschwinden, wieder in jener Welt der Diener, der Kaufleute, des einfachen Volkes untertauchen, die um die Großen kreist und nicht von ihnen beachtet wird.

Auch Angélique stand auf und eilte zu der Tür, durch die er verschwunden war.

Sie entdeckte ihn auf dem Gartenweg und lief ihm nach.

»Desgray!«

Er blieb stehen und drehte sich um.

Angélique drängte ihn in das Halbdunkel einer Laube und schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Umarmt mich, Desgray!«

Er zuckte zurück.

»Was habt Ihr? Wollt Ihr wieder einen Pamphletisten retten?«

»Nein . aber ich .«

Sie wußte nicht, wie sie ihm die panische Angst erklären sollte, die sie bei dem Gedanken erfaßt hatte, daß sie ihm nie wieder begegnen würde. Verwirrt und schmeichelnd rieb sie ihre Wange an Desgrays Schulter.

»Ihr begreift doch, ich werde heiraten. Danach wird es mir kaum mehr möglich sein, meinen Gatten zu betrügen.«

»Im Gegenteil, Liebste. Eine große Dame darf sich nicht dadurch lächerlich machen, daß sie ihren Gatten liebt und ihm treu ist. Aber ich verstehe Euch schon. Wenn Ihr die Marquise du Plessis-Bellière seid, wird es Euch nicht eben gut anstehen, unter Euren Liebhabern einen Polizisten namens Desgray zu haben!«

»Oh, warum sucht Ihr nach Gründen?« protestierte Angélique.

Sie hätte gern gelacht, aber es gelang ihr nicht, ihrer Bewegung Herr zu werden. Und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie von neuem murmelte:

»Warum nach Gründen suchen? Wer vermag das Herz einer Frau und das Warum ihrer Leidenschaften zu ergründen?«

Er erkannte das Echo seiner eigenen rauhen, erschöpften Stimme von damals, als er im Gerichtssaal aufgestanden war, um den Grafen Peyrac zu verteidigen.

Stumm schloß er seine Arme um sie und drückte sie an sich.

»Ihr seid mein Freund, Desgray«, murmelte sie mit klagender Stimme. »Ich habe keinen besseren und werde nie einen besseren haben. Sagt mir, Ihr, der Ihr alles wißt, sagt mir, daß ich seiner nicht unwürdig geworden bin. Er war ein Mann, der sein Mißgeschick und die Armut in solchem Maße überwunden hatte, daß er die Geister der andern beherrschte, wie wenige Menschenwesen es vermögen ... Aber ich, was habe nicht auch ich alles überwunden? Ihr allein wißt, von wo ich zurückkehre, Desgray. Erinnert Euch und sagt mir: Bin ich jenes einzigartigen Willenphänomens unwürdig, das der Graf Peyrac war? Wird er nicht in der Kraft, die ich entwickelt habe, um seine Söhne dem Elend zu entreißen, die seine wiedererkennen, wenn er wiederkäme .?«

»Oh, zerbrecht Euch doch nicht den Kopf, meine Liebe!« sagte Desgray in seinem trägen Ton. »Wenn er wiederkäme . nun ja, wenn er wiederkäme, würde er, soweit ich diesen Mann kenne, Euch zunächst einmal eine hübsche Tracht Prügel verabfolgen. Alsdann würde er Euch in seine Arme nehmen und Euch so liebhaben, daß Ihr um Gnade winselt. Danach würdet Ihr beide Euch nach einem ruhigen Fleckchen Erde umsehen, um dort auf Eure goldene Hochzeit zu warten. Beruhigt Euch, mein Engel. Und geht Euren Weg weiter.«

»Ist es nicht wunderlich, Desgray, daß ich die Hoffnung nicht in mir ersticken kann, ihn eines Tages wiederzusehen? Es ist behauptet worden, daß ... nicht er es gewesen sei, den man auf der Place de Grève verbrannt habe.«

»Hört nicht auf Schwätzereien«, sagte er hart. »Man neigt immer dazu, ein außergewöhnliches Wesen mit einem Kranz von Legenden zu umgeben. Er ist tot, Angélique. Gebt Euch keinen törichten Hoffnungen mehr hin, das nutzt die Seele ab. Blickt nach vorn und heiratet Euren kleinen Marquis.«

Sie erwiderte nichts. Ihr Herz wurde von einem maßlosen, kindlichen Schmerz gepeinigt.

»Ich kann nicht mehr!« stöhnte sie. »Ich bin zu traurig. Umarmt mich, Desgray!«

»Oh, diese Frauen!« brummte er. »Sie erzählen einem von ihrer größten Liebe, von einem einzigartigen Wesen. Und im nächsten Augenblick bitten sie einen, sie zu umarmen. Was für eine Sippschaft!«

Ein wenig brutal streifte er die Ärmel ihres Mieders bis zu den Ellbogen hoch, und sie spürte, wie seine behaarten Hände unter ihre Achseln glitten, deren heimliche Wärme er zu genießen schien.

»Ihr seid verteufelt appetitanregend, das kann ich nicht leugnen, aber ich werde Euch nicht umarmen.«

»Weshalb?«

»Weil ich Besseres zu tun habe, als Euch zu lieben. Und wenn ich Euch einmal genommen habe, so nur, um Euch einen Dienst zu erweisen. Ihr hattet meinen Seelenfrieden einmal zuviel strapaziert.«

Langsam zog er seine Hände zurück, wobei er sich die Zeit nahm, unterwegs über ihre Brüste zu streichen.

»Grollt mir nicht, meine Schöne, und gedenkt meiner ... zuweilen. Ich werde es Euch danken. Viel Glück, Marquise der Engel!«

Schon zu Anfang hatte Philippe ihr gesagt, daß die Hochzeit auf Schloß Plessis stattfinden würde. Es lag ihm nichts daran, die Zeremonie sonderlich prunkvoll zu gestalten. Das paßte vortrefflich zu Angéliques Absichten, denn es gab ihr die Möglichkeit, das berüchtigte Kästchen unauffällig aus seinem Versteck zu holen. Manchmal brach ihr der kalte Schweiß aus, wenn sie sich fragte, ob es sich wohl noch am gleichen Platz befinde, im Ziertürmchen des Schlosses. Wenn jemand es nun entdeckt hatte? Aber das war wenig wahrscheinlich. Wer konnte schon auf den Gedanken gekommen sein, sich auf einer Dachrinne herumzutreiben, die kaum für ein Kind breit genug war, und in das Innere eines Türmchens von so harmlosem Aussehen zu spähen? Und sie wußte, daß im Laufe der letzten Jahre am Schloß Plessis keinerlei bauliche Veränderungen vorgenommen worden waren. Es bestand also alle Aussicht, daß sie den Einsatz für ihren Triumph an seinem Platz vorfinden würde. Am Tage der Hochzeit würde sie ihn Philippe übergeben können. Die Vorbereitungen für die Abreise nach dem Poitou verursachten eine Folge unruhiger Tage. Man nahm Florimond und Cantor samt ihrem ganzen »Hofstaat« mit: Barbe, Javotte, Flipot, Leichtfuß, die Hunde, den Affen, die Papageien. Mit den Koffern und der Dienerschaft wurden eine Kutsche und zwei Wagen benötigt. Daran sollte sich Philippes Gefolge anschließen.

Er selbst tat, als habe er mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen, und besuchte weiterhin die Bälle und Empfänge des Hofs. Wenn man auf seine Heirat anspielte, runzelte er verwundert die Stirn, als müsse er sich erst besinnen, und rief dann in verächtlichem Ton: »Ach so, ja, richtig!«

Während dieser letzten Woche sah Angélique ihn kein einziges Mal. Durch kurze Briefchen, die Molines übermittelte, gab er ihr seine Anweisungen. Sie habe an dem und dem Datum aufzubrechen. Er werde sie an dem und dem Tage treffen. Er werde mit dem Abbé und Molines erscheinen. Die Trauung werde dann sofort stattfinden.

Angélique spielte zunächst die fügsame Gattin. Später, beschloß sie, würde man diesem Grünschnabel schon einen anderen Ton beibringen. Schließlich brachte sie ihm ein Vermögen zu, und durch die Trennung von der kleinen Lamoignon hatte sie ihm das Herz nicht gebrochen. Sie würde ihm zu verstehen geben, daß sie zwar ein wenig brutal habe vorgehen müssen, daß dies ihnen beiden aber von Nutzen sein werde und sein sauertöpfisches Gehaben deshalb lächerlich sei.

Erleichtert und zugleich enttäuscht, daß er nicht kam, bemühte sie sich, nicht allzuviel an ihn zu denken. Das »Problem Philippe« trübte ihre Freude, und wenn sie nachdachte, wurde sie sich bewußt, daß sie Angst hatte. Es war besser, nicht nachzudenken.

Die Wagen legten die Strecke nach Poitiers in weniger als drei Tagen zurück. Die Straßen waren vom Frühlingsregen aufgeweicht, aber es gab keine Zwischenfälle, abgesehen von einem Achsenbruch kurz vor der Ankunft in Poitiers. Vierundzwanzig Stunden blieben sie dort. Am Morgen des übernächsten Tages begann sich Angélique in der Gegend, durch die sie rollten, zurechtzufinden. Man kam ziemlich nahe an Monteloup vorbei, und sie mußte sich zurückhalten, um dort nicht schnell einen Besuch abzustatten, aber die Kinder waren müde und verschmutzt. Man hatte in der vergangenen Nacht in einer schlechten, von Flöhen und Ratten heimgesuchten Herberge geschlafen. Auf Plessis würde man den nötigen Komfort vorfinden.

Angélique legte den Arm um die Schultern ihrer kleinen Jungen und atmete beglückt die reine Luft der blühenden Fluren. Es kam ihr unbegreiflich vor, daß sie so viele Jahre in einer Stadt wie Paris hatte leben können. Sie stieß immer wieder Freudenlaute aus und nannte die Namen der Weiler, durch die sie fuhren und deren jeder ihr eine Episode aus ihrer Kindheit ins Gedächtnis rief.

In den letzten Tagen hatte Angélique ihren Söhnen ausführlich von Monteloup und den herrlichen Spielen erzählt, mit denen man sich dort vergnügen konnte. Florimond war fast davon überzeugt, daß man im alten Schloß ein kleines Mädchen namens Madelon und einen kleinen Jungen namens Gontran vorfinden würde.

Endlich tauchte Plessis auf, weiß und verwunschen am Rande seines Teichs. Es kam Angélique, die inzwischen die prunkvollen Residenzen von Chantilly und die Pariser Paläste kennengelernt hatte, kleiner vor, als sie es in ihrer Erinnerung sah. Einige Dienstboten fanden sich ein. Obwohl die Herrschaft sich nicht um ihr Provinzschloß kümmerte, befand es sich dank Molines’ Fürsorge in gepflegtem Zustand. Aber Angélique spürte nicht das erwartete Glücksgefühl. Vielleicht hätte sie in Tränen ausbrechen, vielleicht hätte sie einen Freudentanz aufführen und Florimond und Cantor abküssen sollen. Da sie all das nicht konnte, fühlte sie sich wie gelähmt.

Sie erkundigte sich nach dem Schlafraum der Kinder, kümmerte sich persönlich um deren Unterbringung und verließ sie erst, als sie, gebadet und frisch gekleidet, vor ihrem Milchbrei saßen.

Dann begab sie sich nach dem Zimmer im Nordflügel, das sie für sich selbst hatte richten lassen - das Zimmer des Fürsten Condé.

Sie mußte sich noch in Javottes Hilfeleistungen fügen und die Begrüßungen der beiden Diener erwidern, die Bottiche mit heißem Wasser in die anstoßende Badestube trugen.

Auf ihr ungehobeltes Französisch antwortete sie unwillkürlich in der heimatlichen Mundart, und sie sperrten vor Verwunderung Mund und Nase auf, als sie diese vornehme Dame aus Paris, deren äußerliche Aufmachung ihnen höchst extravagant vorkam, sich in ihrem Jargon ausdrücken hörten, als sei er ihr von der Wiege an vertraut.

»Es ist schon so«, sagte Angélique lachend zu ihnen. »Erkennt ihr mich nicht wieder? Ich bin Angélique de Sancé. Und du, Guillot, ich erinnere mich, daß du aus dem Dorf Maubuis in der Nähe von Monteloup stammst.«

Der Angeredete, mit dem sie vor Zeiten an schönen Sommertagen in Brombeeren und Vogelkirschen geschwelgt hatte, lächelte verzückt.

»Und Ihr seid das also, die unsern Herrn geheiratet hat?«

»Freilich bin ich das.«

»Oh, da sind wir aber alle froh. Wir haben schon ein bißchen Angst gehabt, wie die neue Herrin wohl sein würde.«

So waren also die Leute hierzulande nicht im Bilde. Oder vielmehr, was sie wußten, war irrig, denn sie glaubten, die Trauung habe schon in Paris stattgefunden.

»Schade, daß Ihr nicht gewartet habt«, fuhr Guillot fort, während er seinen struppigen Kopf schüttelte. »Das wäre eine schöne Hochzeit gewesen!«

Angélique wagte nicht, Philippe zu desavouieren, indem sie diesem gutmütigen Tölpel sagte, daß die Trauung hier stattfinden sollte und daß sie selbst sich auf die Lustbarkeiten freue, weil sie bei dieser Gelegenheit die alten Bekannten aus der Umgebung wiedersehen würde.

»Es wird trotzdem Festlichkeiten geben«, versprach sie.

Dann drängte sie Javotte ungeduldig, sich ein wenig zu beeilen, und als die kleine Zofe endlich gegangen war, sah sich Angélique in ihrem Räume um.

Die Einrichtung hatte in den vergangenen zehn Jahren keine Veränderung erfahren, aber Angélique sah sie nicht mehr mit den geblendeten Augen des kleinen Mädchens von damals und fand die schweren Möbel im holländischen Stil und das Bett mit den vier plumpen Säulen reichlich altmodisch. An das gepflegte Parkett ihres Zimmers gewöhnt, kamen ihr die mit Blumen und frischem Gras bestreuten Fliesen für eine zukünftige Marquise ein wenig bäurisch vor. Das Bild des Olymps an der Wand hatte seinen verwirrenden Reiz verloren.

Die junge Frau ging zum Fenster und öffnete es. Als sie sah, wie schmal der Sims war, auf dem sie sich damals so leichtfüßig bewegt hatte, erschrak sie. »Ich bin viel zu dick geworden. Nie im Leben komme ich bis zu dem Türmchen«, sagte sie sich verzweifelt.

Nach einigem Überlegen beschloß sie, Javotte zu holen.

»Javotte, mein Kind, du bist schmal, klein und geschmeidiger als ein Schilfrohr. Du wirst versuchen, auf diesen Sims zu steigen und bis zu dem Ecktürmchen zu gelangen. Gib acht, daß du nicht hinunterpurzelst, sei so gut.«

»Gern, Madame«, erwiderte Javotte, die durch ein Nadelöhr geschlüpft wäre, um ihrer Herrin einen Gefallen zu erweisen.

Aus dem Fenster gebeugt, beobachtete Angélique ängstlich, wie die Kleine sich entlang der Dachrinne vorwärts bewegte.

»Schau ins Innere des Türmchens. Siehst du etwas?«

»Ich sehe etwas Dunkles, einen Kasten«, erwiderte Javotte alsbald.

»Gut so. Nimm ihn heraus und bring ihn mir vorsichtig.«

Ein paar Augenblicke später hielt Angélique die Schatulle des Mönchs Exili in ihren Händen. Eine Staubkruste bedeckte sie, aber sie bestand aus Sandelholz, und weder Tiere noch Schimmel hatten ihr etwas anhaben können.

»Geh«, sagte Angélique mit ausdrucksloser Stimme zu Javotte, »und schwatze nicht über das, was du eben getan hast. Wenn du den Mund hältst, bekommst du eine Haube und ein neues Kleid.«

»O Madame, mit wem sollte ich denn schwatzen?« protestierte Javotte. »Ich verstehe ja die Sprache dieser Leute hier gar nicht.«

Sie hatte Paris ungern verlassen und gesellte sich nun zu Barbe, um sich mit ihr über gemeinsame Bekannte zu unterhalten, insbesondere über den Sieur David Chaillou.

Angélique säuberte indessen das Kästchen. Die verrostete Sprungfeder wollte nicht funktionieren. Endlich hob sich der Deckel, und die smaragdgrüne Giftphiole erschien, auf die Schriftstücke gebettet. Nachdem sie sie genugsam betrachtet hatte, schloß sie das Kästchen wieder. Wo sollte sie es bis zu Philippes Ankunft und zu der Stunde verstecken, in der sie es ihm im Austausch mit dem Trauring übergeben würde? Sie schob es in denselben Sekretär, aus dem sie es fünfzehn Jahre zuvor so impulsiv herausgenommen hatte.

»Wenn ich damals nur geahnt hätte .! Aber kann man mit dreizehn Jahren die Folgen seiner Handlungen ermessen?«

Als sie den Schlüssel des Sekretärs in ihr Mieder geschoben hatte, sah sie sich aufs neue verzweifelt um. Diese Stätte erregte nur Kummer in ihr. Infolge des unbesonnenen Diebstahls, den sie hier begangen hatte, war Joffrey, ihre einzige Liebe, verurteilt, ihrer beider Leben zerstört worden .!

Sie zwang sich, ein wenig zu ruhen. Als das Gezwitscher junger Stimmen auf dem Rasen unten ihr verkündete, daß ihre Kinder erwacht waren, lief sie hinunter und hieß sie, zusammen mit Barbe, Javotte, Flipot und Leichtfuß, eine alte Kutsche besteigen, die sie selbst lenkte. Und die ganze Gesellschaft fuhr vergnügt nach Monteloup.

Die Sonne war schon im Sinken und warf ein safran-farbenes Licht auf die weiten, grünen Wiesen, auf denen die Maultiere weideten. Die Trockenlegung der Sümpfe war weit vorangeschritten und gab der Landschaft ein ungewohntes Aussehen.

Aber als sie über die Zugbrücke fuhren, auf der die Truthähne wie früher herumstolzierten, sah Angélique, daß das Schloß ihrer Kindheit sich nicht verändert hatte. Der mäßige Wohlstand, dessen sich der Baron und seine Familie erfreuten, hatte ihnen nicht erlaubt, an dem alten Gebäude alle notwendigen Reparaturen durchführen zu lassen. Der Turm, die zinnengekrönten Einfassungsmauern zerfielen weiterhin unter ihrer dichten Efeuverkleidung, und der Haupteingang führte immer noch durch die Küche. Dort trafen sie den alten Baron neben der Zwiebeln schälenden Amme an. Die Amme war noch genauso groß und beweglich wie einst, aber sie hatte fast alle ihre Zähne verloren, und mit ihrem schlohweißen Haar wirkte sie so braun wie eine Maurin.

War es Einbildung? Angélique kam es vor, als habe die Freude, mit der ihr Vater und die alte Frau sie begrüßten, etwas Gezwungenes, wie es so oft der Fall ist, wenn man nach langer Zeit unverhofft jemandem begegnet, den man tot geglaubt hatte. Wohl hatte man ihn betrauert, aber das Leben war weitergegangen, und nun war man gezwungen, ihm einen neuen Platz einzuräumen.

Florimonds und Cantors Gegenwart half über die Verlegenheit hinweg. Die Amme drückte »die süßen Spätzchen« an ihr Herz. Innerhalb von drei Minuten hatten sie von ihren Küssen rote Wangen und die Hände voller Äpfel und Nüsse.

Cantor, der auf den Tisch geklettert war, sang ihr sein ganzes Repertoire vor.

»Und die alte kleine Dame von Monteloup, das Gespenst, geht sie immer noch um?«

»Ich habe sie lange nicht mehr gesehen«, sagte die Amme kopfschüttelnd. »Seitdem Jean-Marie, der Jüngste, aufs Gymnasium gegangen ist, hat sie sich nicht mehr gezeigt. Ich hab’s mir immer gedacht, daß sie ein Kind gesucht hat .«

Im düsteren Salon saß Tante Jeanne noch immer gravitätisch über ihren Stickarbeiten wie eine dicke, schwarze Spinne inmitten ihres Netzes.

»Sie hört nicht mehr gut, und ihr Geist ist verwirrt«, sagte der Baron.

Die Alte erkannte Angélique indessen, nachdem sie sie eine Weile angestarrt hatte, und sagte mit brüchiger Stimme:

»Kommt der Hinkende auch? Ich dachte, man habe ihn verbrannt?«

Es war das einzige Mal, daß man in Monteloup eine Anspielung auf ihre erste Ehe machte. Diesen Abschnitt ihres Lebens ließ man im Dunkel. Vielleicht stellte sich der alte Baron überhaupt nicht viele Fragen. Im Laufe dieser Jahre waren seine Kinder ausgeflogen, sie hatten sich verheiratet, waren zurückgekehrt oder auch nicht zurückgekehrt, und nun verwechselte er die verschiedenen Schicksale. Er sprach viel von Denis, dem Offizier, und von JeanMarie, dem Jüngsten. Er beschäftigte sich nicht mit Hortense und wußte offenbar nicht, was aus Gontran geworden war. Sein Lieblingsthema blieben immer die Maulesel.

Nachdem Angélique durch das ganze Schloß gegangen war, fühlte sie sich aufgeheitert. Monteloup hatte sich tatsächlich nicht verändert. Alles war noch wie damals: ein wenig düster, ein wenig armselig, aber so herzerwärmend!

Beglückt stellte sie fest, daß ihre Kinder sich in der Küche von Monteloup so zu Hause fühlten, als seien sie zwischen dem Dampf der Kohlsuppe und den Geschichten der Amme zur Welt gekommen.

Sie wären gar zu gern zum Abendbrot und zum Schlafen geblieben, aber Angélique brachte sie nach Plessis zurück, da sie fürchtete, daß Philippe inzwischen ankommen und sie nicht vorfinden könne.

Am nächsten Tage jedoch kehrte sie, da noch immer kein Bote gekommen war, allein zu ihrem Vater zurück. Mit ihm zusammen wanderte sie über die Felder, und er machte sie auf alle Verbesserungen aufmerksam, die er hatte vornehmen lassen.

Es war ein köstlicher Nachmittag. Angélique war so aufgeräumt, daß sie am liebsten gesungen hätte.

Am Ende des Spaziergangs, dicht vor dem Schloß, blieb der Baron plötzlich stehen und betrachtete seine Tochter. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.

»So bist du also zurückgekehrt, Angélique?« sagte er.

Er legte seine Hand auf ihre Schulter und wiederholte mehrmals: »Angélique, meine Tochter Angélique .«

Ihre Augen wurden feucht. Bewegt sagte sie:

»Ich bin zurückgekehrt, Vater, und wir werden einander oft sehen können. Ihr wißt, daß bald meine Hochzeit mit Philippe du Plessis-Bellière stattfinden wird, für die Ihr uns Eure Zustimmung übersandt habt.«

»Aber ich dachte, die Hochzeit habe bereits stattgefunden?« versetzte er verwundert.

Angélique preßte die Lippen zusammen und erwiderte nichts. Was bezweckte Philippe damit, daß er die Leute der Umgebung und ihre eigene Familie bei dem Glauben ließ, die Trauung sei in Paris vollzogen worden .?

Auf dem Heimweg war sie ziemlich unruhig, und ihr Herz klopfte rascher, als sie im Hof die Kutsche des Marquis erkannte.

Die Lakaien sagten ihr, er sei vor über zwei Stunden schon angekommen. Eilig schritt sie dem Eingang zu. Als sie die Treppe hinaufstieg, hörte sie die Kinder schreien.

»Gewiß ein Jähzornanfall Florimonds oder Can-tors«, dachte sie verärgert. »Die Landluft bringt sie außer Rand und Band.«

Ihr zukünftiger Stiefvater durfte nicht zu dem Eindruck gelangen, daß sie unerträgliche Wesen seien. Sie hastete also nach dem Zimmer der Kleinen, um energisch Ordnung zu schaffen, und erkannte im Näherkommen Cantors Stimme. Er schrie in Tönen unsagbaren Entsetzens, und in sein Geschrei mischte sich wütendes Hundegebell.

Angélique stieß die Tür auf und blieb wie versteinert stehen.

Vor dem brennenden Kamin standen, eng aneinandergedrückt, Florimond und Cantor. Sie wurden von drei riesigen, kohlrabenschwarzen Wolfshunden bedrängt, die sie wütend anbellten, während sie wild an ihren Koppelriemen zerrten. Die Enden der Koppelriemen fanden sich in der Hand des Marquis du Plessis vereinigt, der sich höchlichst über die Angst der Kinder zu amüsieren schien. Auf dem Fußboden entdeckte Angélique den in einer Blutlache liegenden Kadaver einer der Doggen der kleinen Jungen, die offenbar bei dem Versuch, sie zu beschützen, erwürgt worden war.

Cantor schrie, sein rundes Gesicht war tränen-überströmt. Florimonds bleiche Miene dagegen zeigte einen außerordentlich mutigen Ausdruck. Er hatte seinen kleinen Degen gezogen und richtete ihn auf die Meute, um seinen Bruder zu verteidigen.

Angélique kam nicht dazu, einen Schrei auszustoßen. In einer impulsiven Aufwallung griff sie nach einem schweren Schemel und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die Hunde, die vor Schmerz aufheulten und zurückwichen.

Schon hatte sie Florimond und Cantor in ihre Arme gerissen. Sie klammerten sich an sie, und Cantor verstummte sofort.

»Philippe«, sagte sie keuchend, »Ihr dürft die Kinder nicht so erschrecken ... Sie hätten rückwärts ins Feuer fallen können. Seht, Cantor hat sich schon an einer herausschlagenden Flamme die Hand verbrannt.«

Der junge Mann richtete seine harten, klaren Augen auf sie.

»Eure Söhne sind zimperlich wie alte Weiber«, sag-te er träge.

Seine Gesichtsfarbe schien dunkler als gewöhnlich, und er schwankte leicht.

»Er hat getrunken«, sagte sie sich.

In diesem Augenblick kam Barbe atemlos hereingestürzt, die Hand an ihre Brust gepreßt, um ihr klopfendes Herz im Zaum zu halten. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, während sie von Philippe zu Angélique und schließlich zu dem leblos auf dem Boden liegenden Hunde wanderten.

»Madame möge mir verzeihen. Ich war in die Speisekammer gegangen, um Milch für die Mahlzeit der Kleinen zu holen. Ich hatte sie unter Flipots Obhut gelassen. Ich ahnte nicht .«

»Es ist nichts Schlimmes geschehen, Barbe«, unterbrach Angélique sie ruhig. »Die Kinder sind an den Anblick so blutgieriger Jagdhunde nicht gewöhnt. Sie müssen sich damit vertraut machen, wenn sie später wie richtige Edelmänner den Hirsch und das Wildschwein jagen wollen.«

Die zukünftigen Edelmänner warfen wenig begeisterte Blicke auf die drei Tiere, aber da sie von Angéliques Armen umschlossen waren, hatten sie keine Angst mehr.

»Ihr seid kleine Toren«, sagte sie in sanft scheltendem Ton zu ihnen.

In seinem Reisekostüm aus goldbraunem Samt stand Philippe breitbeinig da und betrachtete schweigend die Gruppe der Mutter mit ihren Kindern. Plötzlich schwang er die Peitsche über den Hunden,

zog sie zurück und verließ den Raum.

Barbe beeilte sich, die Tür zu schließen.

»Flipot hat mich geholt«, flüsterte sie. »Der Herr Marquis hatte ihn aus dem Zimmer gejagt. Ihr könnt mir nicht ausreden, daß er die Kinder von seinen Hunden auffressen lassen wollte ...«

»Red keine Dummheiten, Barbe«, fiel Angélique ihr ins Wort. »Der Herr Marquis ist an Kinder nicht gewöhnt. Er wollte spielen.«

»Ja, ja, die Spiele der vornehmen Leute. Man weiß, wie weit das gehen kann. Ich kenne einen armen Jungen, dem sie teuer zu stehen kamen.«

Angélique erschauerte bei dem Gedanken an Linot. War der blonde Philippe mit dem nachlässigen Gang nicht auch unter den Peinigern des kleinen Oblatenverkäufers gewesen? Zumindest hatte er taube Ohren für dessen verzweifeltes Flehen gehabt ...

Da sie sah, daß die Kinder sich beruhigt hatten, kehrte sie in ihre Gemächer zurück. Sie setzte sich vor den Frisiertisch und ordnete ihr Haar. Was hatte dieser Auftritt eben zu bedeuten? Mußte man ihn ernst nehmen? Philippe war betrunken, das sah man auf den ersten Blick. Wieder nüchtern geworden, würde er sich entschuldigen, solche Aufregung verursacht zu haben ... Aber ein Wort ihrer Schwester Marie-Agnès kam auf Angéliques Lippen: »Ein Rohling!« Ein heimtückischer, erbarmungsloser Rohling. »Wenn er sich an einer Frau rächen will, schreckt er vor nichts zurück.«

»Er wird jedenfalls nicht so weit gehen, sich an meinen kleinen Kindern zu vergreifen«, sagte sie sich, während sie den Kamm auf den Tisch zurücklegte und erregt aufstand.

Im selben Augenblick ging die Tür, und Philippe stand auf der Schwelle. Er warf einen düsteren Blick auf sie.

»Habt Ihr jenes Giftkästchen?«

»Ich werde es Euch am Tage unserer Hochzeit übergeben, Philippe, wie es im Kontrakt festgelegt worden ist.«

»Wir werden heute abend heiraten.«

»Dann werde ich es Euch heute abend übergeben«, erwiderte sie und bemühte sich, ihre Verwirrung nicht zu zeigen.

Sie lächelte und bot ihm die Hand.

»Wir haben uns noch nicht guten Tag gesagt, Philippe.«

»Ich sehe keine Veranlassung dazu«, antwortete er und schlug die Tür wieder zu.

Angélique biß sich auf die Lippen. Offensichtlich war der Gebieter, den sie sich erwählt hatte, nicht durch schmeichlerische Töne zu gewinnen. Molines’ Ratschlag fiel ihr ein: »Versucht, ihn durch die Sinne zu unterjochen.« Doch zum erstenmal zweifelte sie an ihrem Sieg. Diesem eiskalten Manne gegenüber fühlte sie sich machtlos. Und im Augenblick hatte er auch keinerlei Reiz mehr für sie.

»Er hat gesagt, wir würden heute abend heiraten. Er weiß nicht mehr, was er spricht. Nicht einmal mein Vater ist verständigt worden .«

Sie war noch in ihre Gedanken versunken, als jemand zaghaft an die Tür klopfte. Angélique öffnete und entdeckte ihre Söhne, die sich noch immer auf rührende Weise eng aneinanderschmiegten. Doch diesmal dehnte Florimond seinen Beistand auf den Affen Piccolo aus, den er auf dem Arm hielt.

»Mama«, sagte er mit dünner, aber entschlossener Stimme, »wir möchten zu unserm Herrn Großvater gehen. Hier haben wir Angst.«

»Angst ist ein Wort, das ein Junge, der den Degen trägt, nicht aussprechen sollte«, sagte Angélique streng. »Seid ihr gar wirklich so zimperlich, wie man es euch vorhin vorgeworfen hat?«

»Monsieur du Plessis hat schon Parthos getötet. Womöglich wird er auch Piccolo töten.«

Cantor brach in unterdrücktes Schluchzen aus. Cantor, der beherrschte Cantor, außer Fassung geraten! Das war mehr, als Angélique ertragen konnte. Es kam nicht darauf an, ob es töricht war oder nicht: Die Kinder hatten Angst, und sie hatte sich geschworen, daß sie nie mehr Angst empfinden sollten.

»Gut, ihr werdet mit Barbe nach Monteloup gehen, und zwar sofort. Ihr müßt mir nur versprechen, daß ihr sehr artig sein werdet.«

»Mein Großvater hat mir versprochen, daß ich auf einem Maulesel reiten darf«, zirpte Cantor, bereits getröstet.

»Pah! Mir wird er ein Pferd schenken«, versicherte Florimond.

Knapp eine Stunde später verstaute Angélique sie und die Dienstboten außer Javotte sowie ihren Reisekoffer in der Kutsche. In Monteloup gab es genügend Betten für sie und ihr Gefolge. Die Dienstboten schienen gleichfalls froh zu sein, der unerträglichen Atmosphäre zu entrinnen, die Philippes Gegenwart erzeugte. Der schöne junge Mann, der am Hof des Sonnenkönigs den Liebenswürdigen spielte, führte auf seinem einsamen Herrensitz ein despotisches Regiment.

Barbe flüsterte:

»Madame, wir können Euch doch nicht allein hierlassen mit diesem ... diesem Mann.«

»Welchem Mann?« fragte Angélique streng. Sie setzte hinzu:

»Barbe, du scheinst über den jetzigen bequemen Verhältnissen gewisse Episoden unseres gemeinsamen Lebens vergessen zu haben. Erinnere dich, daß ich mit allem und jedem fertig zu werden weiß.«

Und sie küßte die Magd auf ihre guten, runden Wangen, denn ihr Herz war beklommen.

Als die Glöckchen der kleinen Kutsche im bläulich getönten Abend verklangen, kehrte Angélique langsamen Schrittes ins Schloß zurück. Sie war erleichtert, ihre Kinder unter den schützenden Fittichen von Monteloup zu wissen, aber das Schloß Plessis erschien ihr um so verlassener, ja geradezu feindselig.

Im Vestibül verneigte sich ein Lakai vor ihr und meldete, daß das Souper angerichtet sei. Sie begab sich ins Speisezimmer. Fast gleichzeitig erschien Philippe und ließ sich wortlos am einen Ende des Tisches nieder. Angélique nahm am andern Platz. Sie waren allein und wurden von zwei Lakaien und einem Küchenjungen bedient, der die Schüsseln hereintrug.

Die Flammen dreier Leuchter spiegelten sich in den kostbaren Silbergeräten. Während der ganzen Mahlzeit waren nur das Geräusch der Löffel und das Klingen der Gläser zu hören, die zuweilen vom durchdringenden Ruf der Grillen auf dem Rasen übertönt wurden. Die geöffnete Fenstertür ließ den Blick in den Park frei, über den die Nacht mählich herniedersank.

Angélique, die erwartet hatte, keinen Bissen schlucken zu können, aß dank den wunderlichen Reaktionen ihrer Konstitution mit gutem Appetit. Sie bemerkte, daß Philippe nicht wenig trank, aber weit davon entfernt, mitteilsamer zu werden, schien ihn das Getränk nur noch abweisender und starrsinniger zu machen.

Als er aufstand, ohne die Nachspeise angerührt zu haben, blieb ihr nichts übrig, als ihm in den anstoßenden Salon zu folgen. Dort fand sie Molines und den Hausgeistlichen vor sowie eine sehr alte Bauersfrau, die, wie sie später erfuhr, Philippes Amme war.

»Ist alles vorbereitet, Abbé?« fragte Philippe, endlich sein Schweigen brechend.

»Jawohl. Herr Marquis.«

»Dann wollen wir in die Kapelle gehen.«

Angélique erschauerte. Die Hochzeit, ihre Hochzeit mit Philippe, konnte doch nicht unter so unseligen Umständen stattfinden?

Sie erhob Einspruch.

»Ihr wollt doch nicht behaupten, daß alles für unsere Hochzeit vorbereitet sei und daß sie jetzt gleich begangen werden soll?«

»Ich behaupte es, Madame«, erwiderte Philippe spöttisch. »Wir haben den Kontrakt in Paris unterzeichnet. Der Herr Abbé hier wird uns trauen, und wir werden unsere Ringe tauschen. Weitere Vorbereitungen scheinen mir nicht erforderlich.«

Der Blick der jungen Frau glitt unschlüssig über die Zeugen dieser Szene. Eine einzige Kerze beleuchtete sie, die die alte Frau hielt. Draußen war es völlig Nacht geworden. Das Gesinde hatte sich zurückgezogen. Wäre Molines nicht gewesen, der rauhe, der harte Molines, der gleichwohl Angélique mehr als seine eigene Tochter liebte, sie hätte gefürchtet, in eine Falle gegangen zu sein.

Sie suchte den Blick des Verwalters, doch der Greis senkte die Augen in jener ihm eigenen Unterwürfigkeit, die er seiner Herrschaft gegenüber immer zur Schau trug.

So fügte sie sich.

In der von zwei dicken, gelben Wachskerzen erhellten Kapelle brachte ein verschüchterter, in ein Chorknaben-Meßgewand gekleideter Bauernjunge das Weihwasser.

Angélique und Philippe nahmen auf den bereitgestellten Betstühlen Platz. Der Priester trat eilfertig vor sie hin und sprach mit monotoner Stimme die üblichen Gebete und Formeln:

»Philippe du Plessis-Bellière, seid Ihr gewillt, Angélique de Sancé de Monteloup zur Ehefrau zu nehmen?«

»Ja.«

»Angélique de Sancé de Monteloup, seid Ihr gewillt, Philippe du Plessis-Bellière zum Ehemann zu nehmen?«

Sie sagte ihr »Ja« und streckte Philippe die Hand entgegen, damit er ihr den Ring überstreife. Und die Erinnerung an die gleiche Geste ein paar Jahre zuvor in der Kathedrale von Toulouse durchzuckte sie.

Damals war ihr nicht minder bang zumute gewesen als heute, aber die Hand, die die ihre ergriffen hatte, hatte sie leise gedrückt, um sie zu beruhigen. In ihrer Beklommenheit hatte sie die Bedeutung jenes heimlichen Drucks nicht erfaßt. Jetzt fiel ihr diese Einzelheit wieder ein, und sie zerriß ihr Herz wie ein Dolchstoß, während sie sah, wie Philippe, halb betrunken und blind gemacht durch den Weindunst, vergeblich versuchte, ihr den Ring über den Finger zu streifen. Endlich gelang es ihm. Die Zeremonie war beendet.

Die Gruppe verließ die Kapelle.

»Nun seid Ihr an der Reihe, Madame«, sagte Philippe und starrte sie mit seinem unerträglichen, eisigen Lächeln an.

Sie bat ihn, ihr in ihr Zimmer zu folgen.

Dort entnahm sie dem Sekretär das Kästchen, ließ den Mechanismus spielen, der es verschloß, und übergab es ihrem Gatten. Die Kerzenflammen spiegelten sich in der Phiole.

»Ja, das ist das verlorene Kästchen«, erklärte Philippe nach kurzem Schweigen. »Alles ist in Ordnung, Messieurs.«

Der Hausgeistliche und der Verwalter unterzeichneten ein Schriftstück, in dem sie bestätigten, Zeugen der Übergabe des Kästchens durch Madame du Plessis gewesen zu sein, gemäß den Bestimmungen des Ehekontrakts. Dann verneigten sie sich abermals vor dem Paar und entfernten sich samt der alten Frau, die ihnen leuchtete, mit kleinen Schritten.

Angélique unterdrückte ihr Verlangen, Molines zurückzuhalten. Es war lächerlich. Die panische Angst, die sie verspürte, war gewiß unbegründet. Es war nicht angenehm, dem zornigen Groll eines Mannes trotzen zu müssen, aber vielleicht würde es zwischen ihr und Philippe doch einen Weg zur Verständigung, zum Waffenstillstand geben.

Sie beobachtete ihn verstohlen. Er beugte sein makellos reines, nur oberhalb der Lippe durch den blonden Schnurrbart unterbrochenes Profil über das berüchtigte Kästchen. Seine langen Wimpern warfen einen leichten Schatten auf seine Wangen, aber er war röter als gewöhnlich, und der starke Weingeruch, der von ihm ausging, war ihr widerlich.

Als er mit unsicherer Hand die Giftphiole herausnahm, sagte Angélique warnend:

»Seht Euch vor, Philippe. Der Mönch Exili behauptete, ein einziger Tropfen dieses Gifts könne einen Menschen auf immer verunstalten.«

»Wirklich?«

Er starrte sie an, und seine Augen glänzten tückisch. Seine Hand schwenkte die Phiole. Blitzartig erfaßte sie, daß er versucht war, sie ihr ins Gesicht zu schleudern. Von Entsetzen gelähmt, verzog sie keine Miene und gab seinen Blick ruhig und beherzt zurück.

Er lächelte spöttisch, dann verschloß er die Phiole wieder im Kästchen. Wortlos nahm er Angéliques Handgelenk und zog sie mit sich aus dem Zimmer.

Das Schloß lag still und dunkel. Doch der Mond war aufgegangen, und in seinem Licht zeichneten sich die Schatten der hohen Fensterkreuze auf den Fliesen des Fußbodens ab.

Philippe umklammerte das zarte Handgelenk der jungen Frau so fest, daß sie ihren Puls schlagen fühlte, aber seine Roheit ließ sich immer noch eher ertragen als seine gespenstische Teilnahmslosigkeit. In seinem Schloß nahm Philippe eine Haltung an, die er bei Hof nicht hatte. Wahrscheinlich verhielt er sich so im Kriege, wo er die Hülle des schönen, verträumten Höflings ablegte, um sich in seiner wahren Gestalt als tapferer, zuverlässiger, wenn auch barbarischer Krieger zu zeigen.

Sie stiegen die Treppe hinab, durchquerten das Vestibül und traten in den Park hinaus. Silbriger Nebel schwebte über dem Teich. An der kleinen Anlegestelle aus weißem Marmor schob Philippe die junge Frau in den Kahn.

»Steigt ein!« befahl er barsch.

Auch er nahm Platz und stellte das Kästchen behutsam auf eine der Bänke. Sie hörte, wie das Halteseil ins Wasser klatschte, dann löste sich das Boot langsam vom Ufer. Philippe hatte eins der Ruder ergriffen und steuerte den Kahn auf die Mitte des Teiches zu. Die Mondreflexe spielten über sein seidig aufschimmerndes Gewand. Die Szene hatte etwas Unwirkliches und Bezwingendes. Nur das Geräusch des an den dichten Seerosenblätter-Inseln vorbeistreifenden Bootsrumpfs war zu vernehmen. Die Frösche waren ängstlich verstummt.

Als sie ins schwarze, klare Wasser der Teichmitte gelangten, bremste Philippe den Kahn ab. Er schien sich aufmerksam umzusehen. Sie waren weitab vom Ufer, und das weiße Schloß war nur noch eine ferne Vision. Schweigend ergriff der Marquis du Plessis abermals das Kästchen, dessen Verschwinden seine Familie jahrelang Tag und Nacht beunruhigt hatte. Entschlossen warf er es ins Wasser. Es versank, und rasch glätteten sich die Wellenkreise, die von der Stelle seines Falls ausgingen.

Dann glitt Philippes Blick zu Angélique, und sie erzitterte. Er stand langsam auf und setzte sich neben sie. Diese Geste, die zu solcher Stunde und in einer so zauberhaften Szenerie die eines Verliebten hätte sein können, ließ sie vor Angst erstarren.

Langsam, mit jener Grazie, die jeder seiner Bewegungen eigen war, hob er beide Hände und legte sie um Angéliques Hals.

»Und jetzt werde ich Euch erwürgen, meine Schöne«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »und Ihr werdet zusammen mit Eurem verfluchten Kästchen auf den Grund des Wassers sinken.«

Sie zwang sich, sich nicht zu rühren. Er war betrunken oder wahnsinnig. Jedenfalls war er zu allem fähig, und sie war ihm ausgeliefert. Sie konnte weder rufen noch sich wehren. Mit einer fast unmerklichen Bewegung lehnte sich ihr Kopf an seine Schulter. An ihrer Stirn fühlte sie die Berührung einer Wange, die zu dieser späten Stunde rauh geworden war, einer wohltuenden Männerwange. Alles versank ins Nichts ... Der Mond wanderte am Himmel, das Kästchen ruhte auf dem Grunde des Wassers, der letzte Akt der Tragödie hob an, und es war ganz in der Ordnung, daß Angélique de Sancé so durch die Hand eines jungen Mannes starb, der schön war wie ein Gott und Philippe du Plessis hieß.

Plötzlich kam sie wieder zu Atem, und die Umklammerung, die sie zu ersticken drohte, löste sich. Philippe starrte sie mit zusammengebissenen Zähnen und wutverzerrtem Gesicht an.

»Zum Teufel!« fluchte er. »Vermag denn keine Angst Euren verdammten, stolzen, kleinen Kopf zu beugen, Euch zum Schreien, zum Winseln zu bringen? Nur Geduld, wir werden es schon schaffen!«

Brutal stieß er sie von sich und ruderte zurück.

Als sie von neuem festen Boden unter den Füßen hatte, widerstand sie der Versuchung davonzulaufen. Sie wußte nicht mehr, was tun. Sollte sie Philippe ermuntern, noch mehr zu trinken, damit er sie in Ruhe ließ? Sollte sie ihn hart anfahren oder im Gegenteil versuchen, ihm ins Gewissen zu reden? Ihre Gedanken blieben wirr. Ihr Hals schmerzte sie heftig, und sie bedeckte ihn mit den Händen.

Er beobachtete sie mit argwöhnischer Aufmerksamkeit. Diese Frau schien nicht von der üblichen Art zu sein. Weder Tränen noch Schreie; sie zitterte nicht einmal. Sie trotzte ihm, obgleich er der Beleidigte war. Sie hatte ihn erpreßt, gedemütigt, wie kein Mann es hinnehmen konnte. Auf eine solche Kränkung mußte ein Edelmann mit dem Degen antworten. Aber was tat man mit einer Frau? Welche Genugtuung sollte man von diesem aalglatten, schlaffen, scheinheiligen Geschlecht verlangen, das einen mit Worten listig einwickelte, bis man am Ende genarrt dastand und sich womöglich noch selbst schuldig vorkam?

Oh, sie blieben nicht immer Sieger! Er wußte, wie man sich an ihnen rächte. Er hatte sich an ihren Tränen geweidet, am demütigen Flehen jener Mädchen und Frauen, denen er an den Abenden nach den Schlachten Gewalt antat, um sie dann seinen Männern zu überlassen.

Das war seine Rache für die Demütigungen, die sie ihm in seinen Jünglingsjahren zugefügt hatten.

Aber diese da, wie konnte man sie niederzwingen? Hinter dieser gewölbten, glatten Stirn, hinter diesem meergrünen Blick verbargen sich alle weiblichen Listen, versteckte sich die ganze gewitzte Kraft ihres Geschlechts. Jedenfalls glaubte er das. Er wußte nicht, daß Angélique zitterte und sich zu Tode erschöpft fühlte. Wenn sie ihm trotzte, so deshalb, weil sie es gewohnt war, den Schmerzen zu trotzen, unablässig zu kämpfen.

Wie ein grober Wächter packte er sie am Arm und brachte sie ins Schloß zurück. Als sie die große Treppe hinaufstiegen, gewahrte sie, daß er im Vorbeigehen nach einer an der Wand hängenden Hundepeitsche griff.

Angélique zuckte zurück.

»Wir wollen uns hier trennen, Philippe. Ihr seid betrunken. Wozu uns länger streiten. Morgen .«

»Oh, nicht doch!« sagte er sarkastisch. »Vergeßt nicht, daß ich noch meine ehelichen Verpflichtungen zu erfüllen habe. Aber zuvor sollt Ihr ein wenig gezüchtigt werden, damit Euch die Lust am Erpressen vergeht. Denkt daran, Madame, daß ich Euer Gebieter bin und alle Macht über Euch habe.«

Sie wollte sich ihm entwinden, aber er hielt sie fest und versetzte ihr einen Schlag mit der Peitsche, als habe er eine widerspenstige Hündin vor sich.

Angélique stieß einen Schrei aus, der eher eine Reaktion der Empörung als des Schmerzes war.

»Philippe, Ihr seid wahnsinnig!«

»Ihr werdet mich um Verzeihung bitten«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ihr werdet mich um Verzeihung bitten für das, was Ihr getan habt!«

»Nein!«

Er zerrte sie in ihr Zimmer, verschloß die Tür und begann, mit einer Präzision auf sie einzuschlagen, die auf lange Übung schließen ließ. Die Arme vorm Gesicht, um es zu schützen, wich sie zur Wand zurück und drehte sich unwillkürlich um. Jeder Schlag ließ sie erzittern, und sie biß sich auf die Lippen, um nicht zu stöhnen. Indessen überkam sie ein merkwürdiges Gefühl, und wenn sie anfangs aufbegehrt hatte, so empfand sie die Züchtigung jetzt als eine gerechte Strafe.

Plötzlich rief sie aus:

»Hört auf, Philippe, hört auf! Ich bitte Euch um Verzeihung.«

Und als er, verblüfft über seinen leichten Sieg, innehielt, wiederholte sie:

»Ich bitte Euch um Verzeihung ... Ja, es ist wahr, ich habe Euch unrecht getan.«

Unschlüssig stand er vor ihr. »Sie hält mich noch immer zum besten«, dachte er. »Sie sucht sich durch geheuchelte Unterwürfigkeit meinem Zorn zu entwinden.« Aber in Angéliques Stimme war ein Klang von Aufrichtigkeit gewesen, der ihn verwirrte. Sollte sie doch nicht wie die andern sein .?

Heftig atmend, ließ er die Peitsche fallen. Im Halbdunkel des Raums, in dem das Mondlicht und der Schein des Leuchters gegeneinander stritten, weckte der Anblick dieser weißen, zerschundenen Schultern, dieses zarten Nackens, dieser zerknirscht an die Wand gelehnten Stirn eine heftige, noch nie gespürte Begierde in ihm. Das war nicht mehr nur das animalische, blinde Verlangen. Es war mit einem ein wenig mysteriösen, fast zärtlichen Gefühl vermischt.

Gewiß, er würde sie nehmen, aber vielleicht würde er diesmal etwas anderes kennenlernen, jene unbekannte, ihm bisher verschlossen gebliebene Seite der Liebe. Sie war nicht wie die andern.

Er trat zu ihr und umfing sie leidenschaftlich. Aber nun war sie es, die sich verletzt fühlte. Angélique war ehrlich genug, ihr Unrecht einzusehen, aber zu stolz, als daß die eben erduldete Mißhandlung sie für Liebesgefühle empfänglich gemacht hätte.

Sie riß sich aus den Armen ihres Gatten los.

»O nein, das nicht!«

Dieser Schrei versetzte ihn von neuem in Wut. Das Traumbild verflüchtigte sich wieder. Dies hier war die widerspenstige, berechnende, rachsüchtige Frau, das ewige und schlechte Weib. Er begann, mit der Faust auf sie einzuschlagen, sie zu schütteln, zu beschimpfen. Schließlich brachte er sie zu Fall, preßte sie mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen die eisigen Fliesen. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, die Beute eines losgelassenen Raubtiers geworden zu sein, das sie erbarmungslos marterte. Sie litt unmenschliche Qualen ... Keine Frau konnte dergleichen lebend überstehen. Er würde sie verstümmeln, zugrunde richten! ... Ein Schuft! Ein grauenhafter Schuft!

Als er endlich von ihr ließ, hatte sie nicht mehr die Kraft, sich zu rühren.

Keuchend, das Gesicht von Schweiß bedeckt, betrachtete er sie. Er hatte seine Perücke verloren, und das kurze Haar gab seinem Kopf ein völlig verändertes Aussehen. Zum erstenmal bemerkte Angélique, wie hart und scharf seine Züge in Wirklichkeit waren.

Verächtlich stieß er sie mit dem Fuß und sagte in einem Ton, in dem sich Groll und Enttäuschung mischten:

»Ihr habt nicht einmal geschrien!«

Dann verließ er schwankend den Raum.

Angélique blieb lange Zeit am Boden liegen, obwohl die Nachtkühle ihren entblößten Körper erschauern ließ. Sie fühlte sich völlig zerschlagen und sehnte sich danach, wie ein Kind weinen zu können. Unwillkürlich überkam sie die Erinnerung an ihre erste Hochzeit unter dem Himmel von Toulouse, und sie dachte an Joffrey, den sie jetzt eben zum zweitenmal verloren hatte. Denn sie spürte dunkel, daß sein Geist sie verleugnete, weil sie ihn verraten hatte.

Angélique mußte an den Tod denken, an die dunkle Oberfläche des Teichs unter den Seerosen. Dann fielen ihr die Worte ein, die Desgray ihr gesagt hatte: »Vermeidet es, in jener Asche zu stochern, die man in alle Winde verstreut hat ... Denn jedesmal, wenn Ihr daran denkt, werdet Ihr Euch nach dem Tode sehnen ... Und ich werde nicht immer dasein .«

Um Desgrays, um ihres Freundes, des Polizisten, willen wies sie abermals die Versuchung des letzten Auswegs von sich. Sie wollte Desgray nicht enttäuschen.

Sie stand auf, schleppte sich zur Tür, schob den Riegel vor und ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. Es war besser, nicht zuviel nachzudenken. Hatte Molines ihr im übrigen nicht prophezeit: »Es ist möglich, daß Ihr die erste Runde verliert .«

Das Fieber pochte in ihren Schläfen, und sie wußte nicht, wie sie die brennenden Schmerzen ihres Körpers lindern sollte. Warum verhielten sich alle Männer so schlecht zu ihr? Nein, nicht alle . Aus einem Mondstrahl tauchte das flüchtige Schemen des Poeten vom Pont-Neuf mit dem spitzen Hut und den fahlen Haaren auf. Sie rief es an. Doch schon verschwand es wieder. Sie glaubte Sorbonne bellen und den Schritt Desgrays in der Ferne verhallen zu hören.

Desgray, der Schmutzpoet, sie vermengte die beiden ein wenig in ihrem Geist, den Jäger und den Gejagten. Beide Söhne des großen Paris, beide spöttisch und zynisch. Aber wenn sie auch noch so beschwörend nach ihnen rief, sie verschwanden, verloren den letzten Rest von Wirklichkeit. Sie gehörten nicht mehr zu ihrem Leben. Angélique hatte sich auf immer von ihnen gelöst.

In jähem Erwachen fuhr sie auf, und war sich doch nicht bewußt, eingeschlafen zu sein. Sie horchte gespannt. Das Schweigen des Forsts von Nieul hüllte das weiße Schloß ein. In einem der Zimmer schlief wohl der schöne Peiniger, erschlafft vom Wein. Ein Käuzchen klagte, und sein gedämpfter Ruf trug Angélique die ganze Poesie der Nacht und des Waldes zu.

Eine große Ruhe überkam sie. Sie wandte sich auf die andere Seite und suchte nun bewußt den Schlaf. Wohl hatte sie die erste Runde verloren, aber sie war immerhin die Marquise du Plessis-Bellière geworden.

Der Morgen brachte ihr eine neue Enttäuschung. Als sie hinunterging, nachdem sie sich, um Javottes Neugier zu entgehen, allein angekleidet hatte, erfuhr sie, daß der Marquis, ihr Gatte, im Morgengrauen nach Paris zurückgekehrt sei. Oder vielmehr nach Versailles, wo sich der Hof zu den letzten Festen vor der ruhigen Sommerzeit versammelte.

Angélique schoß das Blut zum Herzen. Bildete Philippe sich etwa ein, daß seine Frau die Absicht habe, in der Provinz zu verkümmern, während man in Versailles Feste feierte .?

Vier Stunden später jagte eine mit sechs Pferden bespannte Kutsche über die steinigen Landstraßen des Poitou dahin.

Auch Angélique kehrte, mit steifen Gliedern, aber gestrafft durch einen trotzigen Willen, nach Paris zurück. Sie hatte nicht gewagt, sich Molines’ scharfem Blick auszusetzen, und ihm nur einen Brief hinterlassen, in dem sie ihn bat, hin und wieder nach ihren Kindern zu sehen. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Florimond und Cantor würden von Barbe, der Amme, dem Großvater und dem Verwalter nur zu sehr umsorgt werden.

In Paris nistete sie sich bei Ninon de Lenclos ein, die seit drei Monaten dem Herzog von Gassempierre zugetan war. Da der Herzog für eine Woche bei Hofe war, fand Angélique bei ihrer Freundin die erhoffte Zuflucht. Achtundvierzig Stunden lang ruhte sie in Ninons Bett, einen Perubalsam-Umschlag auf dem Gesicht, zwei Alaunkompressen auf den Augenlidern, während man ihr den Körper mit verschiedenen Ölen und Salben einrieb.

Sie hatte die zahlreichen blauen Flecke und Hiebwunden, die ihr Gesicht und die Schultern verunstalteten, mit einem unglückseligen Wagenunfall erklärt, und die schöne Kurtisane besaß ein solches Maß an Takt, daß Angélique nie dahinterkam, ob sie es geglaubt hatte oder nicht.

Ninon sprach völlig ungezwungen über Philippe, dem sie begegnet war, als er sich nach Versailles begeben hatte. Man hatte dort ein überaus kurzweiliges und glanzvolles Vergnügungsprogramm aufgestellt: Ringelstechen, Ballette, Komödien, Feuerwerk und andere schöne Dinge. Die Stadt hallte wider von den Prahlereien derer, die geladen waren, und vom Zähneknirschen der andern, die es nicht waren.

Ninon saß an Angéliques Bett und sprach unermüdlich, um ihre Patientin nicht in Versuchung zu führen, selbst den Mund aufzutun, denn sie brauchte Ruhe, um rasch wieder einen rosigen Teint zu bekommen. Ninon meinte, ihr selbst mache es nichts aus, Versailles nicht zu kennen, wo man sie infolge ihres schlechten Rufs nicht empfing. Ihre Domäne war ein anderer Ort, nämlich jenes kleine Palais im Marais, wo sie wie eine wahre Königin herrschte. Es genügte ihr, zu wissen, daß der König bei diesem oder jenem Vorfall am Hofe oder in den literarischen Zirkeln zuweilen fragte: »Und was sagt die schöne Ninon dazu?«

»Aber wenn man Euch in Versailles feiert, werdet Ihr mich doch nicht vergessen, Liebste?« fragte sie.

Unter ihren Pflastern machte Angélique ein verneinendes Zeichen.

Am 21. Juni 1667 machte sich die Marquise du Plessis-Bellière nach Versailles auf. Sie war nicht geladen, besaß aber den größten Wagemut der Welt.

Ihre reich vergoldete, innen und außen mit grünem Samt und goldenen Fransen verzierte Kutsche wurde von zwei kräftigen Apfelschimmeln gezogen. Sie selbst trug ein Kleid aus graugrünem Brokat mit silbernem Blumenmuster. Als Schmuck eine mehrmals um den Hals geschlungene, prachtvolle Perlenkette, die ihr der Fürst Condé geschenkt hatte.

Ihr von Binet geputztes Haar war gleichfalls mit Perlen sowie mit zwei seidig-leichten, makellos weißen Federn geschmückt, die wie ein Schmuck aus Schneegespinst wirkten. Ihr sorgfältig, aber diskret geschminktes Gesicht wies keine Spuren der Gewalttätigkeiten mehr auf, deren Opfer sie einige Tage zuvor gewesen war. Nur an der Schläfe war ein blaues Mal zurückgeblieben, das Ninon durch ein herzförmiges Schönheitspflästerchen verdeckt hatte.

Sie streifte ihre Handschuhe über, schlug ihren handgemalten Fächer auf und beugte sich aus dem Wagenfenster. »Nach Versailles, Kutscher!«

Ihre Spannung und ihre Freude machten sie so nervös, daß sie Javotte mitgenommen hatte, um während der Fahrt mit jemandem plaudern zu können.

»Wir fahren nach Versailles, Javotte«, sagte sie zu der Kleinen, die in Musselinhaube und bestickter Schürze vor ihr saß.

»Oh, da bin ich schon einmal gewesen, Madame! Mit dem Schiff, an einem Sonntag ... um den König speisen zu sehen.«

»Das ist nicht dasselbe, Javotte, aber das kannst du nicht verstehen.«

Die Fahrt kam ihr endlos vor. Die Straße war schlecht, ausgehöhlt von den zweitausend Karren, die täglich von Paris nach Versailles und wieder zurück fuhren, um Steine und Gips für den Bau des Schlosses sowie Bleiröhren und Statuen für die Gärten heranzuschaffen.

Alle Augenblicke steckte Angélique ungeduldig den Kopf durch das Wagenfenster, auf die Gefahr hin, Binets kunstvollen Aufbau zu zerstören und mit Straßenkot bespritzt zu werden.

»Beeil dich, Kutscher, potztausend! Deine Pferde sind die reinen Schnecken!«

Aber schon sah sie am Horizont einen hohen, rosigen, glitzernden Felsen aufragen, der ein blendendes Licht in den Frühlingsmorgen auszustrahlen schien. »Was ist das, Kutscher? Das dort drüben?«

»Madame, das ist Versailles.«

Eine Reihe frisch gepflanzter Bäume beschattete dürftig die letzten Meter der Allee. Kurz vor dem ersten Tor mußte Angéliques Kutsche halten, um eine Equipage vorbeizulassen, die sich in gestrecktem Galopp aus der Richtung von Saint-Cloud her näherte. Das rote, von sechs Pferden gezogene Fahrzeug wurde von Berittenen eskortiert. Man sagte, es sei Monsieur. Madames Kutsche folgte, mit sechs Schimmeln bespannt.

Angélique befahl dem Kutscher, sich den beiden anzuschließen. Sie glaubte nicht mehr an unglückverheißende Befürchtungen, an Behexung. Eine Gewißheit, die stärker war als alle Befürchtungen, sagte ihr, daß die Stunde ihres Triumphs gekommen sei. Sie hatte sie teuer genug bezahlt.

Indessen wartete sie eine Weile, bis sich der durch die Ankunft der hohen Herrschaften verursachte Trubel gelegt hatte, dann verließ sie den Wagen und stieg die Stufen hinauf, die zum Marmorhof führten. Flipot, in die blaugelbe Livree der du Plessis gesteckt, hielt die Schleppe ihres Mantels.

»Wisch dir nicht die Nase an deinem Ärmel ab«, sagte sie zu ihm. »Denk daran, daß wir in Versailles sind.«

»Jawohl, Madame«, seufzte der ehemalige Küchenjunge der »Roten Maske«, der vor Verwunderung über das, was es da ringsum zu sehen gab, den Mund nicht zubekam.

Versailles präsentierte sich noch nicht in der erdrük-kenden Großartigkeit, die ihm die beiden weißen, von Mansart gegen Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. hinzugefügten Flügel verleihen sollten. Es war ein Märchenpalast, der sich da auf dem schmalen, kleinen Erdhügel erhob, mit seiner heiteren, rosa- und mohnfarbenen Architektur, seinen schmiedeeisernen Balkons, seinen hohen, hellen Kaminen. Die Zinnen waren vergoldet und funkelten wie der Juwelenbesatz eines kostbaren Kästchens.

Lebhaftes Treiben herrschte in der Umgebung des Schlosses, und die bunten Livreen der Diener und Lakaien mischten sich mit den dunklen Kitteln der Arbeiter, die mit ihren Schubkarren und ihrem Handwerkszeug kamen und gingen. Das singende Geräusch der den Stein bearbeitenden Meißel antwortete den Schellentrommeln und Querpfeifen einer Kompanie Musketiere, die in der Mitte des großen Hofs paradierte.

Angélique sah sich um, begegnete aber keinem bekannten Gesicht. Schließlich betrat sie das Schloß durch eine Tür des linken Flügels, durch die viele Leute aus und ein gingen. Eine breite Treppe aus farbigem Marmor führte in einen Salon, in dem sich eine Menge einfach gekleideter Menschen drängte, die sie verwundert betrachteten. Sie erkundigte sich. Man sagte ihr, sie befinde sich im Saal der Wache, wohin jeden Montag die Bittsteller kämen, um ihre Gesuche abzugeben oder sich die Antworten auf ihre letzten Anträge abzuholen. Im Hintergrund des Raums vertrat ein vergoldeter Behälter in Form eines Kirchenschiffs die Person des Königs, aber man hoffte, Seine Majestät werde persönlich erscheinen, wie er es zuweilen tat.

Angélique kam sich mit ihren Federn und ihrem Pagen zwischen den ausgedienten Soldaten, Witwen und Waisen recht deplaciert vor und wollte sich eben zurückziehen, als sie Madame Scarron entdeckte. Sie fiel ihr um den Hals, froh, endlich jemand Bekannten zu begegnen.

»Ich suche die Hofgesellschaft«, sagte sie zu ihr. »Mein Gatte muß wohl beim Lever des Königs sein, und ich möchte zu ihm.«

Madame Scarron, ärmlicher und bescheidener denn je, schien wenig geeignet, ihr über das Tun und Lassen der Höflinge Auskunft zu geben. Aber seitdem sie danach trachtete, eine Rente zu bekommen, und zu diesem Zweck regelmäßig die königlichen Vorzimmer aufsuchte, war sie über das Programm des Hofs genauer im Bilde als der Neuigkeitskrämer Loret, der mit seiner Protokollierung beauftragt war.

Zuvorkommend zog sie Angélique zu einer anderen Tür, die zu einer Art breitem Balkon führte, hinter dem man die Gärten erblickte.

»Ich glaube, das Lever des Königs ist zu Ende«, sagte sie. »Er ist soeben in sein Kabinett gegangen, wo er sich eine Weile mit den Damen königlichen Geblüts unterhalten wird. Dann geht er in den Park hinunter, so er nicht hierher kommt. Jedenfalls tut Ihr am besten, wenn Ihr dieser offenen Galerie folgt. Ganz am Ende, zu Eurer Rechten, werdet Ihr das Vorzimmer finden, das zum Kabinett des Königs führt. Jedermann begibt sich zu dieser Stunde dorthin. Ihr werdet mühelos Euren Gatten finden.«

Angélique warf einen Blick auf den Balkon, der, abgesehen von einigen Wachen, nahezu verlassen war.

»Ich komme um vor Angst. Wollt Ihr mich nicht begleiten?«

»O meine Liebe, wie könnte ich das?« sagte Françoise bestürzt und warf einen verlegenen Blick auf ihr dürftiges Kleid.

Angélique wurde sich jetzt erst des Kontrastes ihrer Kleidung bewußt.

»Warum seid Ihr hier als Bittstellerin? Habt Ihr immer noch Geldsorgen?«

»Ach, mehr denn je! Der Tod der Königin-Mutter hat die Streichung meiner Rente zur Folge gehabt. Ich komme in der Hoffnung, daß man sie mir aufs neue gewährt. Monsieur d’Albert hat mir seine Fürsprache zugesagt.«

»Ich wünsche Euch, daß Ihr Erfolg haben mögt. Ich bin untröstlich ...« Madame Scarron lächelte freundlich und streichelte ihr die Wange.

»Das sollt Ihr nicht sein. Es wäre schade. Ihr wirkt so wunderbar glücklich, und Ihr verdient Euer Glück, Liebste. Ich freue mich, daß Ihr so hübsch ausseht. Der König ist sehr empfänglich für Schönheit. Ich zweifle nicht, daß er von Euch bezaubert sein wird.«

»Aber ich fange an, daran zu zweifeln«, dachte Angélique, deren Herz unruhig klopfte. Die Pracht von Versailles brachte ihr die Verwegenheit ihres Beginnens zum Bewußtsein. Wirklich, sie war nicht bei Sinnen. Aber was tat es schon! Sie würde es nicht dem Läufer gleichtun, der kurz vor dem Ziel zusammenbrach .

Nachdem sie Madame Scarron zaghaft zugelächelt hatte, machte sie sich auf den Weg über die Galerie, und in ihrer Erregung strebte sie so rasch voran, daß Flipot hinter ihr außer Atem geriet. Vom anderen Ende her schien ihr eine Gruppe entgegenzukommen, in deren Mitte Angélique selbst auf diese Entfernung unschwer die von Höflingen umgebene majestätische Gestalt des Königs erkannte.

Auf einen Stock aus Elfenbein mit goldenem Knauf gestützt, näherte er sich geschmeidigen Schritts, während er muntere Worte mit den beiden Prinzessinnen wechselte, die sich an seiner Seite befanden: seiner Schwägerin Henriette von England und der jungen Herzogin von Enghien. Heute nahm die offizielle Favoritin, Louise de La Vallière, am Spaziergang nicht teil. Seine Majestät war nicht böse darüber. Das arme Mädchen wurde immer weniger dekorativ. In der Intimität genossen, bot sie zwar noch einige Reize, aber an diesen schönen Vormittagen, an denen sich der ganze Glanz von Versailles entfaltete, fielen ihre Blässe und Magerkeit besonders auf. Besser, sie blieb in ihrer Abgeschiedenheit, wo er sie später aufsuchen und sich nach ihrem Befinden erkundigen würde.

Der Morgen war wirklich köstlich und Versailles wunderbar. Aber war es nicht die Frühlingsgöttin selbst, die in der Gestalt dieser unbekannten Frau auf ihn zukam ...? Die Sonne umgab sie wie mit einem Heiligenschein, und ihre Juwelen rieselten wie Tauperlen bis zu ihrer Taille hernieder .

Angélique hatte sofort eingesehen, daß sie sich durch plötzliches Umkehren lächerlich machen mußte. Sie setzte daher ihren Weg fort, verlangsamte aber ihren Schritt in jenem seltsamen Gefühl von Machtlosigkeit und Fatalismus, das man zuweilen im Traum empfindet. In dem Nebel, der sie umgab, erkannte sie nur noch den König, und sie fixierte ihn wie von einem Magnet angezogen. Sie hätte die Augen senken mögen, wenn sie es nur gekonnt hätte. So nah war sie ihm jetzt wie damals in jenem dunklen Raum des Louvre, in dem sie ihm Trotz geboten hatte, und alles erlosch in ihr außer dieser schrecklichen Erinnerung.

Ludwig XIV. war samt den Höflingen hinter ihm stehengeblieben. Lauzun, der Angélique erkannt hatte, biß sich auf die Lippen und verbarg sich frohlockend hinter den anderen. Man würde einer ungewöhnlichen Szene beiwohnen!

Überaus höflich nahm der König seinen mit feuerroten Federn geschmückten Hut ab. Da er für weibliche Schönheit sehr empfänglich war, verdroß ihn die verhaltene Beherztheit nicht, mit der diese da ihn aus ihren smaragdgrünen Augen anstarrte, sondern sie bezauberte ihn. Wer war sie? Wieso hatte er sie nicht schon früher bemerkt?

Indessen gehorchte Angélique einer plötzlichen Eingebung und versank in eine tiefe Reverenz. Halb kniend, wünschte sie sich, nie wieder aufstehen zu müssen, erhob sich aber dennoch von neuem, während sie, ohne sich dessen bewußt zu sein, den König herausfordernd ansah.

Der König wunderte sich. Es lag etwas Ungewöhnliches in der Haltung dieser Unbekannten, im Schweigen und in der Überraschung der Höflinge. Er blickte umher und runzelte leicht die Stirn, während Angéliques Hände zu zittern begannen. Sie war kraftlos, war wie erstorben.

Da griff eine Hand nach der ihren und preßte sie, daß sie fast aufgeschrien hätte, während Philippes Stimme ganz ruhig sagte:

»Sire, Eure Majestät möge mir verstatten, Ihr meine Frau, die Marquise du Plessis-Bellière, vorzustellen.«

»Eure Frau, Marquis?« sagte der König überrascht. »Die Mitteilung kommt recht unvermittelt. Ich hatte wohl etwas Euch Betreffendes sagen hören, jedoch erwartet, Ihr würdet mich persönlich in Kenntnis setzen .«

»Sire, es schien mir nicht nötig, Eure Majestät über eine solche Bagatelle in Kenntnis zu setzen.«

»Bagatelle? Eine Heirat! Seht Euch vor, Marquis, daß Monsieur Bossuet Euch nicht hört! Und diese Damen desgleichen! Beim heiligen Ludwig, seitdem ich Euch kenne, frage ich mich immer wieder von neuem, aus welchem Stoff Ihr geschaffen seid. Seid Ihr Euch bewußt, daß Eure Verschwiegenheit mir gegenüber geradezu eine Unverschämtheit bedeutet?«

»Sire, ich bin bestürzt, daß Eure Majestät mein Schweigen auf solche Weise auslegt. Die Sache schien so unwesentlich!«

»Schweigt, Monsieur, Eure Gewissenlosigkeit übersteigt jedes Maß, und ich dulde es nicht, daß Ihr in Gegenwart dieser reizenden Person, Eurer Frau, solche häßlichen Reden führt. Auf mein Wort, Ihr seid ein gefühlloser Mensch. Madame, was haltet Ihr von Eurem Gatten?«

»Ich will versuchen, mich an ihn zu gewöhnen, Sire«, antwortete Angélique, die wieder ein wenig Farbe bekommen hatte.

Der König lächelte. »Ihr seid eine vernünftige Frau. Und außerdem sehr schön. Beides findet man selten vereint! Marquis, ich verzeihe Euch um Eures guten Geschmacks . und ihrer schönen Augen willen. Grüne Augen? Eine seltene Farbe, die zu bewundern ich noch nicht oft Gelegenheit hatte. Frauen mit grünen Augen sind .«

Er hielt inne und versank einen Augenblick in Nachdenken, während sein Blick forschend auf Angéliques Gesicht ruhte. Sein Lächeln erlosch, und die Gestalt des Monarchen schien wie vom Blitz getroffen zu erstarren. Vor den Augen der zunächst verblüfften, dann erschrockenen Höflinge erblaßte er. Der Vorgang konnte niemandem entgehen, denn der König hatte die kräftige Hautfarbe der Sanguiniker, und sein Chirurg mußte ihn häufig zur Ader lassen.

»Stammt Ihr nicht aus dem Süden, Madame?« fragte er schließlich in brüskem Ton. »Aus Toulouse .?«

»Nein, Sire, meine Frau stammt aus dem Poitou«, fiel Philippe sofort ein. »Ihr Vater ist der Baron de Sancé de Monteloup, dessen Besitzungen in der Gegend von Niort liegen.«

»O Sire! Wie könnt Ihr eine Bewohnerin des Poitou mit einer Dame aus dem Süden verwechseln!« sagte Athénaïs de Montespan und brach in ihr hübsches Lachen aus.

Der tapfere Einwurf der jungen Frau, die sich dank der erwachenden Gunst des Königs dergleichen Keckheiten erlauben konnte, löste die allgemeine Verlegenheit. Die Farbe kehrte in das Gesicht des Monarchen zurück. Er zwinkerte Athénaïs belustigt zu.

»Freilich vereinigen die Frauen des Poitou alle Reize des Nordens und des Südens in sich«, seufzte er. »Aber nehmt Euch in acht, Madame, daß Monsieur de Montespan nicht genötigt ist, sich mit allen Gaskognern der Nachbarschaft einzulassen, die die ihren Damen zugefügte Beleidigung rächen möchten.«

»Habe ich sie beleidigt, Sire? Das lag nicht in meiner Absicht. Ich wollte nur sagen, daß man, sind auch die Reize beider Rassen gleich attraktiv, sie dennoch nicht miteinander vergleichen kann. Eure Majestät möge mir meine harmlose Bemerkung verzeihen.«

Das Lächeln der großen, blauen Augen war nichts weniger als zerknirscht, aber zweifellos unwiderstehlich.

»Ich kenne Madame du Plessis seit vielen Jahren«, fuhr Madame de Montespan fort. »Wir sind zusammen aufgewachsen. Ihre Familie ist mit der meinen verwandt .«

In ihrem ganzen Leben würde Angélique nie vergessen, was sie Athénaïs de Montespan verdankte. Was für Berechnungen ihrem Vermitteln auch zugrunde liegen mochten - sie hatte ihre Freundin gerettet.

Der König verneigte sich abermals mit einem besänftigten Lächeln vor Angélique du Plessis.

»Nun denn! Versailles ist beglückt, Euch begrüßen zu dürfen, Madame. Seid willkommen!«

Etwas leiser setzte er hinzu: »Wir sind erfreut, Euch wiederzusehen.«

Aus diesem letzten Wort ersah sie, daß er sie erkannt hatte, daß er sie aber trotzdem aufnahm und das Vergangene auslöschen wollte.

Ein letztes Mal zuckte die Flamme eines Scheiterhaufens zwischen ihnen auf.

In eine tiefe Reverenz versunken, fühlte Angélique eine Flut von Tränen in ihre Augen steigen.

Der König hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Sie konnte sich erheben und flüchtig ihre Augen trocknen. Dann warf sie Philippe einen ein wenig verlegenen Blick zu.

»Wie soll ich Euch danken, Philippe?«

»Mir danken?« stieß er unwirsch hervor. »Ich mußte meinen Namen vor der Lächerlichkeit bewahren! Ihr seid meine Frau, zum Teufel! Ich bitte Euch, in Zukunft daran zu denken. Einfach so nach Versailles zu kommen ...! Ohne eingeladen, ohne eingeführt zu sein! Und mit welcher Unverfrorenheit Ihr den König angeschaut habt ...! Kann man Euch denn wirklich Euren teuflischen Trotz nicht austreiben?«

Es schwang beinahe etwas wie Achtung in seiner Stimme.

»Oh, bitte, Philippe«, sagte sie, mit ihrem Fächer spielend, »verderbt mir nicht diesen schönen Tag!«

Sie sah lächelnd zu ihm auf. Die Tränen hatten in ihren Augen einen irisierenden Glanz zurückgelassen. Eine winzige, kaum wahrnehmbare Spur von Spott glitzerte in ihnen, aber noch etwas anderes ruhte in den flimmernden Tiefen ihrer blaugrünen Unergründlichkeit, etwas, das Philippe, sosehr er auch widerstrebte, auf eine ihm unbegreifliche Weise berührte. Es war etwas, das zwischen ihnen Gemeinsames schaffte, sie auf eine Art verband, die er nicht wollte und die er sich auf jeden Fall nicht erklären konnte. Einen flüchtigen Moment lang dachte er an das kleine Mädchen, das ihn vor langer Zeit im Dämmer des Treppenhauses von Monteloup mit zornsprühenden Augen angestarrt hatte. Wenn nichts sonst, war dieses Geschöpf doch von einem beachtlichen Stolz gewesen.

Er straffte die Schultern, wie um die ungewohnten Empfindungen abzuschütteln, und wandte sich zum Gehen.

»Kommt, Madame«, sagte er kühl. »Unser Zurückbleiben fällt auf. Ich habe kein Verlangen, dem Hof das absurde Bild eines jungen Ehemannes zu bieten, der das Bedürfnis verspürt, mit seiner Frau allein zu sein.«

Mit einem leisen Druck ihres Fächers hielt Angélique ihn zurück.

»Und es wäre doch nur das Natürlichste von der Welt«, murmelte sie, »und würde überdies gewiß die Lästerzungen zum Schweigen bringen, die sich schon anschicken, weidlich über uns herzuziehen.«

»Über Euch!«

»Die Eure Gattin ist«, sagte Angélique heiter. »Muß ich Euch daran erinnern, daß ich ebenfalls Euren Namen trage, den Ihr so sehr vor Lächerlichkeit zu bewahren wünscht.«

Philippe griff hart nach ihrem Arm, und für eine Sekunde sah sie jähzornige Funken in seinen hellen Augen aufspringen. Doch schon in der nächsten lok-kerte sich sein Griff. »Ihr seid wahrhaftig unbezahlbar, Madame«, sagte er halblaut. »Mich an die Wahrung meines guten Namens zu erinnern, den nur Ihr in Gefahr gebracht habt.«

Er trat einen halben Schritt zurück, deutete spöttisch eine Verbeugung an und fuhr fort: »Ich könnte fast Eure Haltung bewundern.«

Angélique übersah seinen Spott. Mit schräg geneigtem Kopf blickte sie ihn über die leicht und regelmäßig hin und her wehende Spitzenkante ihres Fächers an.

»Wißt Ihr«, sagte sie nachdenklich, »was mir eine gute Freundin einst über Euch verriet? Ihr wäret viel weniger nett, als Ihr ausseht, wenn man Euch kenne, aber viel netter, als Ihr ausseht, wenn man Euch erst besser kennenlernte.«

Philippe hatte einen ungeduldigen Blick zum Ende der Galerie geworfen, wo die bunte Höflingsschar um den König eben geräuschvoll über die Treppe in den Park hinunter verschwand. Nun starrte er sie argwöhnisch an.

»Was Ihr nicht sagt! Und was soll dieser Orakelspruch Eurer Freundin bedeuten?«

Sie ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie spürte die Unsicherheit, die in ihm war und die auch sein barsches Benehmen nicht verbarg. Er war ein anderer, das fühlte sie genau, als der, der in ihrem Traumschloß Plessis-Bellière in blinder Wut Rache an ihr genommen hatte. Er hatte geglaubt, sie mit seiner Brutalität und Verachtung besiegt, sie ein für allemal in ihre Schranken und aus dem Vordergrund seines Daseins verwiesen, ihr unmißverständlich gezeigt zu haben, welche jämmerliche Rolle sie fürderhin in seinem Schatten spielen würde. Und nun hatte sie ihn durch ihren Auftritt bei Hofe gezwungen, sich in aller Öffentlichkeit, ja sogar vor dem König zu ihr zu bekennen. »Eure Majestät möge mir verstatten, Ihr meine Frau, die Marquise du Plessis-Bellière, vorzustellen ...« Angélique lächelte der Erinnerung zu. Wenn Philippe überhaupt Achtung vor Menschen empfand, dann vor solchen, deren Stolz es nicht zuließ, daß sie sich beugten. Und Achtung war etwas, worauf sich eine Ehe schon aufbauen ließ.

»Nun, ich habe Euch etwas gefragt«, ließ er sich verärgert vernehmen.

Sie nahm seinen Arm und lenkte ihn langsam an der Estrade entlang den anderen nach. Über ihrer hochgetürmten Frisur wehten die seidig-weißen Federn wie fröhliche Wimpel der Zuversicht.

»Ich meinte«, sagte sie, »daß das, was da aus sehr berufenem Munde so hübsch über Euch gesagt wurde, auch auf mich zutreffen könnte. Ihr kennt mich kaum, Philippe, aber ich wünschte von Herzen, daß Ihr mich besser kennenlerntet.«

Sie sah von neuem zu ihm auf, und diesmal war ihr Blick klar und ernst, und nichts war in ihm, das ihn an das Berechnende, Habgierige, Listig-Verschlagene des Weibes gemahnte, das er zu hassen gelernt hatte.

Für einen kurzen überraschenden Augenblick legte sie ihre Stirn an die steife, kühle Seide seiner Brust, und wie in ihrer seltsamen Hochzeitsnacht weckte der zarte, gebeugte Nacken, der da schlank aus der Pracht des grünsilbrigen Brokats herauswuchs, jenes mysteriöse, fast zärtliche Gefühl, das er niemals zuvor gekannt hatte.

»Eure Haltung, Madame«, murmelte er mahnend, und diesmal lag keine Härte in seiner Stimme.

Gleich darauf schritten sie weiter, und während sie sich von ihm der Treppe zuführen ließ, war ihr Herz voller Hoffnung. Sie würde nicht mehr zurückblik-ken. Was gewesen war, war gewesen, so vernichtend sie jener Schlag auch getroffen hatte. Aber darauf kam es nicht an. Es kam darauf an, daß man überwand, daß man nicht liegenblieb, wenn einen das Schicksal zu Boden schleuderte, sondern alle Kräfte zusammenraffte, Schritt für Schritt sich wieder erhob, die Verzweiflung bezwang und das Herz bereit für das Kommende machte. Es würde gewiß nie wieder so sein, wie es einstmals gewesen war, aber auch mit dem dunklen Ballast des Leides würde man leben und froh sein können.

Sie verhielt zögernd den Schritt. Vor ihnen sank die breite Marmorkaskade der Treppe über Terrassen und Absätze in den Park hinab.

Sie hatten sich der Hofgesellschaft wieder angeschlossen und waren im Park angelangt. Das blaue Rieseln des Himmels, das sich mit dem der Wasserspiele mischte, die Sonnenstrahlen, die sich glitzernd auf der glatten Oberfläche der beiden großen Bassins der ersten Terrasse brachen, versetzten Angélique in sprachloses Staunen. Sie glaubte durch ein Paradies zu wandern, in dem sich jede Einzelheit wie in den elysäischen Gefilden der Antike auf geheimnisvolle Weise harmonisch ineinanderfügte.

Von der Terrasse aus konnte sie das herrliche Muster der schachbrettartig angeordneten Baumreihen sehen, die vom Reigen der weißen Marmorstatuen längs der kiesbestreuten Alleen begleitet wurden. Blumenrabatten breiteten sich buntschillernd wie Teppiche bis zum Horizont.

Angélique blieb regungslos stehen und hob in kindlichem Entzücken die Hände zum Mund. Ein sanfter Wind wehte ihr die weißen Federn ihres Kopfputzes ins Gesicht.

Am Fuß der Treppe fuhr die Kalesche des Königs vor. Schon im Begriff, einzusteigen, besann er sich eines andern und stieg noch einmal die Stufen hinauf. Angélique sah ihn plötzlich allein neben sich, denn durch eine kaum wahrnehmbare Geste hatte er die andern zum Zurückbleiben veranlaßt. »Ihr bewundert Versailles, Madame?« erkundigte er sich.

Angélique machte eine Reverenz und erwiderte anmutig:

»Sire, ich danke Eurer Majestät, daß Sie Ihren Untertanen soviel Schönheit vor Augen führt. Die Geschichte wird Ihr dafür dankbar sein.«

Ludwig XIV. schwieg eine Weile. Nicht etwa, weil das Lob, an das er gewöhnt war, ihn verwirrt hätte, sondern weil es ihm schwerfiel, das auszudrücken, was er sagen wollte.

»Seid Ihr glücklich?« fragte er schließlich.

Angélique blickte zur Seite, und in Sonne und Wind wirkte sie plötzlich jünger, fast kindlich, wie ein junges Mädchen, das weder Sorge noch Schmerz kennt.

»Muß man in Versailles nicht glücklich sein?«

»Dann weint nicht mehr«, sagte der König, »und macht mir heute die Freude, zu mir in die Kalesche zu steigen. Ich möchte Euch den Park zeigen.«

Angélique legte ihre Hand in die Ludwigs XIV. Mit ihm zusammen schritt sie langsam die Stufen hinab. Die Höflinge verneigten sich, als sie an ihnen vorüberkamen.

Während sie neben Athénaïs de Montespan Platz nahm, den beiden Prinzessinnen und Seiner Majestät gegenüber, gewahrte sie flüchtig Philippes Gesicht, und es war ihr, als lächle er ihr zu. Ja, er lächelte, sie war dessen gewiß.

Sie hätte sich in die Lüfte schwingen mögen, so leicht fühlte sie sich. Die Zukunft erschien ihr blauer noch als der Horizont. Nun war Wirklichkeit geworden, was Sinn und Absicht ihres Strebens gewesen war: Ihre Söhne würden nie mehr in Armut leben. Sie würden auf der Akademie von Mont-Parnasse zu Edelleuten erzogen werden. Sie selbst würde eine der gefeiertsten Frauen des Hofes sein.

Und da der König es ausdrücklich gewünscht hatte, wollte sie versuchen, die Bitterkeit aus ihrem Herzen zu vertreiben. Im Grunde wußte sie genau, daß das Feuer der Liebe, das sie verzehrt hatte, das furchtbare Feuer, das ihre Liebe verzehrt hatte, nie erlöschen würde.

Doch das Schicksal, das nicht ungerecht ist, wollte, daß Angélique für eine Weile auf dem verwunschenen Hügel haltmachte, um aus dem Rausch der Erfüllung und dem Triumph ihrer Schönheit neue Kräfte zu schöpfen.

Danach würde sie ihren abenteuerlichen Lebensweg weitergehen. Aber heute fürchtete sie nichts mehr. Sie hatte Philippe bezwungen, sie hatte den König gewonnen. Sie war in Versailles!

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