Der Duft des rankenden Geißblatts war berauschend.

»Singt weiter«, sagte sie.

Die warme Stimme erklang von neuem, doch weicher und wie gedämpft. Es war kein Anruf mehr, sondern ein Lied der Zärtlichkeit, eine heimliche Mitteilung, ein Geständnis.

»Madame«, unterbrach sich der Musikant, »vergebt mir meine Kühnheit. Ich möchte Euch ein paar Verse in die französische Sprache übersetzen, zu denen mich der Reiz Eurer Augen inspiriert.«

Angélique neigte den Kopf. Sie wußte nicht mehr, wie lange sie schon hier war. Nichts hatte mehr Bedeutung. Die Nacht gehörte ihnen.

Er präludierte lange, als suche er den Faden seiner Melodie, dann stieß er einen langen Seufzer aus und begann:

»Die grünen Augen sind von der Farbe des Meers. Die Wogen haben sich über mir geschlossen.

Ein Schiffbrüchiger der Liebe, so irre ich durch den tiefen Ozean ihres Herzens.«

Angélique hatte die Augen geschlossen. Mehr noch als die glühenden Worte erfüllte sie die Stimme mit einer Wonne, die sie nie zuvor empfunden hatte.

»Wenn sie ihre grünen Augen aufschlägt,

spiegeln sich in ihnen die Sterne

wie auf dem Grund eines Frühlingsgewässers.«

»Jetzt, in diesem Augenblick, muß er kommen«, sagte Angélique zu sich, »denn dieser Augenblick kehrt nicht wieder. Dies kann man nicht zweimal erleben. Dies, das endlich so ganz all den Liebesgeschichten gleicht, die wir damals im Kloster einander erzählten.«

Die Stimme war verstummt. Der Unbekannte glitt auf die Bank. An dem festen Arm, der sie ergriff, an der Hand, die ihr Kinn mit gebieterischer Sanftheit nach oben bog, erkannte Angéliques Instinkt einen Meister, der mehr als nur einen zärtlichen Sieg errungen haben mußte. Sie empfand ein klein wenig Reue, doch als die Lippen des Sängers die ihren berührten, erfaßte sie ein Schwindel. Sie hatte nicht gewußt, daß Männerlippen diese Blütenfrische, diese schmelzende Weichheit haben konnten. Ein muskulöser Arm preßte sie, doch der Mund bebte noch von den betörenden Worten, und diese Betörung und diese Kraft rissen Angélique in einen Strudel, in dem sie vergeblich einen Gedanken zu fassen versuchte.

»Ich darf das nicht tun ... Es ist unrecht! Wenn Joffrey uns überrascht .!«

Dann stürzte alles ein. Die Lippen des Mannes schlossen die ihren auf. Sein heißer Atem erfüllte ihren Mund, teilte ihren Adern ein köstliches Lustgefühl mit. Mit geschlossenen Augen überließ sie sich dem endlosen Kuß, wollustzeugender Eroberung, die schon nach Neuem rief. Die Wogen der Lust durchliefen sie, einer ihrem jungfräulichen Körper so fremden Lust, daß sie plötzlich etwas wie Widerwillen und Schmerz empfand und in heftigem Erschauern zurückwich.

Es war ihr, als müsse sie ohnmächtig werden oder in Tränen ausbrechen. Sie sah, daß die Finger des Mannes ihre nackte Brust streichelten, die er während der Umarmung heimlich entblößt hatte.

Sie löste sich von ihm und brachte ihr Kleid wieder in Ordnung.

»Verzeiht mir«, stammelte sie. »Ihr müßt mich recht töricht finden, aber ich wußte nicht ... ich wußte nicht .«

»Was wußtet Ihr nicht, mein Herz?«

Da sie schwieg, flüsterte er:

»Daß ein Kuß so süß sein kann?«

Angélique erhob sich und lehnte sich an den Eingang der Laube. Draußen verfärbte sich der Mond golden, während er über dem Fluß unterging. Angélique kam es vor, als sei sie schon viele Stunden lang in diesem Garten. Sie war glücklich, unsagbar glücklich.

»Ihr seid für die Liebe geschaffen«, murmelte der Troubadour, »das spürt man, wenn man nur Eure Haut berührt. Wer Euren bezaubernden Körper zu erwecken versteht, wird Euch zum Gipfel der Wollust führen.«

»Schweigt! Ihr dürft nicht so reden. Ich bin verheiratet, das wißt Ihr, und der Ehebruch ist eine Sünde.«

»Daß eine so schöne Dame sich einen solchen hinkenden Edelmann zum Gatten erwählt, ist eine noch größere Sünde.«

»Ich habe ihn nicht erwählt. Er hat mich gekauft.«

Sie bereute sofort diese Worte, die die frohe Stunde trübten.

»Singt weiter«, bat sie. »Einmal noch, und dann werden wir uns trennen.«

Er stand auf, um seine Gitarre in die Hand zu nehmen, aber in seiner Bewegung lag etwas Unheimliches, das Angélique beunruhigte. Sie schaute ihn forschend an. Sie wußte nicht weshalb, aber plötzlich hatte sie Angst.

Während er ganz leise ein Lied sang, starrte sie ihn an. Vorhin, während des Kusses, hatte sie einen kurzen Augenblick das Gefühl einer vertrauten Gegenwart verspürt, und jetzt erinnerte sie sich: im Atem des Sängers vermischte sich der Duft des Veilchens mit dem typischen Aroma des Tabaks ... Der Graf Peyrac kaute zuweilen auch Veilchenpastillen . Ein furchtbarer Verdacht stieg in Angélique auf. Eben, als er aufgestanden war, um die Gitarre zu ergreifen, hatte sich der Sänger merkwürdig unsicher bewegt ...

Angélique stieß einen Schrei des Entsetzens aus, dem ein Schrei des Zorns folgte. »Oh, das geht zu weit«, rief sie, »das geht zu weit! Das ist ungeheuerlich ... Nehmt Eure Maske ab, Joffrey de Peyrac! Laßt diese Maskerade, oder ich kratze Euch die Augen aus, ich erdroßle Euch, ich .«

Das Lied brach ab. Die Gitarre gab ein grelles Crescendo von sich. Unter der Samtmaske erglänzten die weißen Zähne des Grafen Peyrac in einem schallenden Gelächter.

Er näherte sich ihr mit seinen ungleichmäßigen Schritten. Angélique war erschrocken, aber mehr noch empört.

»Ich kratze Euch die Augen aus«, wiederholte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

Immer noch lachend, griff er nach ihren Handgelenken.

»Was bleibt denn dann noch übrig von dem gräßlichen hinkenden Edelmann, wenn Ihr ihm auch noch die Augen auskratzt?«

»Ihr habt in unerhörter Schamlosigkeit gelogen. Ihr habt mich glauben lassen, Ihr wäret der . die Goldene Stimme des Königreichs.«

»Aber ich bin ja die Goldene Stimme des Königreichs!«

Und da sie ihn sprachlos anstarrte:

»Was ist daran Ungewöhnliches? Ich hatte eine gewisse Begabung. Ich habe mit den berühmtesten italienischen Maestri gearbeitet. Gesang ist eine Kunst für die Geselligkeit, die heute viel geübt wird. Ehrlich, Liebste, gefällt Euch meine Stimme nicht?«

Angélique wandte sich ab und trocknete die Zornestränen, die über ihr Gesicht liefen.

»Wie ist es möglich, daß ich bis heute nichts geahnt habe?«

»Ich hatte gebeten, Euch nichts zu sagen. Und vielleicht habt Ihr Euch auch nicht recht bemüht, meine Talente zu entdecken?«

»Oh, das ist zuviel!« wiederholte Angélique.

Aber nachdem die erste Wut verflogen war, ver-spürte sie plötzlich das Bedürfnis zu lachen. Da hatte er also den Zynismus so weit getrieben, daß er sie ermunterte, ihn zu betrügen! Er hatte wirklich den Teufel im Leib .! Er war der Teufel in Person!

»Diese üble Komödie werde ich Euch nie verzeihen«, sagte sie, indem sie die Lippen zusammenpreßte und ihre ganze Würde zusammennahm.

»Ich liebe das Komödienspielen. Seht, Liebste, das Leben ist nicht immer nachsichtig mit mir umgegangen, und man hat so oft über meinen Gang gewitzelt, daß es mir meinerseits unendliches Vergnügen bereitet, mich über die andern lustig zu machen.«

Gegen ihren Willen hob sie ihren ernsten Blick zu dem maskierten Gesicht.

»Habt Ihr Euch wirklich über mich lustig gemacht?«

»Nicht nur, und das wißt Ihr sehr wohl«, erwiderte er.

Ohne ein Abschiedswort wandte sich Angélique um und ging.

»Angélique! Angélique!«

Er rief ihr mit leiser Stimme nach. Wie ein italienischer Harlekin stand er an der Schwelle der Laube und legte den Finger auf die Lippen.

»Habt die Güte, Madame, und redet zu niemandem von dieser Geschichte, auch nicht zu Eurer Zofe. Wenn man erfährt, daß ich meine Gäste im Stich ließ, daß ich mich verkleidete und maskierte, nur um meiner eigenen Frau einen Kuß zu stehlen, wird man weidlich über mich spotten.«

»Ihr seid unerträglich!« rief sie, raffte ihre Röcke zusammen und lief durch die Allee zurück. Auf der Treppe entdeckte sie, daß sie lachte. Sie entkleidete sich, wobei sie in ihrer Nervosität die Agraffen abriß und sich an den Nadeln stach, wälzte sich zwischen den Laken fiebernd von einer Seite zur andern und konnte keinen Schlaf finden. Immer wieder tauchte das maskierte Gesicht, das verunstaltete Gesicht, das Profil mit den reinen Zügen vor ihr auf. Welches Rätsel verbarg sich hinter diesem trügerischen Manne? Dann wieder begehrte sie auf gegen den Zwang dieses Bildes, und schließlich übermannte sie die Erinnerung an die Lust, die sie in seinen Armen empfunden hatte.

»Ihr seid für die Liebe geschaffen, Madame .«

Sehr spät schlummerte sie ein. Im Schlaf erschienen ihr die Augen Joffrey de Peyracs, und sie sah Flammen in ihnen tanzen.

Angélique saß in der venezianischen Spiegelgalerie des Palastes. Sie war sich noch nicht klar darüber, welche Haltung sie einnehmen sollte. Seit ihrer Rückkehr vom Lusthaus an der Garonne heute morgen hatte sie Joffrey de Peyrac nicht mehr gesehen. Der Haushofmeister Clément hatte ihr berichtet, der Herr Graf habe sich mit Kouassi-Ba in den Gemächern des rechten Flügels eingeschlossen, dort, wo der Herr Graf sich seinen alchimistischen Studien zu widmen pflege. Angélique nagte zornig an ihren Lippen. Joffrey würde vermutlich viele Stunden ausbleiben. Übrigens hatte sie auch gar nichts dagegen. Sie war noch viel zu empört über die Täuschung, deren Opfer sie am vorhergehenden Abend geworden war.

Diejunge Frau beschloß, sich in die Vorratskammern zu begeben, wo man heute den ersten Likör der Jahreszeit in Flaschen füllte.

Doch kaum hatte sie die vom Duft der Orangen, des Anis und der aromatischen Gewürze erfüllte Küche betreten, als eines ihrer Negerlein atemlos angestürzt kam und meldete, Baron Benoît de Fontenac, Erzbischof von Toulouse, bitte, sie sowie ihren Gatten begrüßen zu dürfen.

Verwirrt und leicht beunruhigt über einen Besuch zu so unüblicher Stunde, nahm Angélique das Vorstecktuch ab, das sie eben an ihr Kleid geheftet hatte, und ging eilends zurück, wobei sie mit den Händen ihr Haar ordnete.

Sie trug es jetzt nach der Mode ziemlich lang, und die Locken fielen weich auf ihren Spitzenkragen hinunter.

Als sie die Eingangshalle erreichte, sah sie auf der obersten Stufe der Freitreppe die hohe Gestalt des Erzbischofs in roter Robe und weißem Kragen aufragen.

Angélique sank vor ihm in die Knie, um den Hirtenring zu küssen, doch der Erzbischof hob sie auf und küßte seinerseits ihre Hand, durch diese weltliche Geste andeutend, daß sein Besuch kein förmlicher war.

»Ich bitte Euch, Madame, laßt mich durch Eure Reverenz nicht allzu sehr fühlen, welch betagter Mann ich gegenüber Eurer Jugend bin.«

»Eminenz, ich wollte Euch nur den Respekt bezeigen, den ich einem erlauchten Mann gegenüber empfinde, der seine priesterliche Würde von Seiner Heiligkeit dem Papst und Gott selbst empfangen hat .«

Jedesmal, wenn Angélique derlei Worte äußerte, erschien ihr das Bild der Mutter Sainte-Anne, ihrer Lehrerin für weltliche Erziehung im Kloster von Poitiers. Mutter Sainte-Anne wäre mit ihrer Schülerin, die sich einst doch so ungelehrig gezeigt hatte, gewiß zufrieden gewesen.

Indessen legte der Erzbischof Hut und Handschuhe ab und übergab sie einem jungen Geistlichen seiner Begleitung, ihn zugleich mit einer Geste verabschie-dend.

»Meine Leute werden draußen auf mich warten. Ich möchte mich mit Euch, Madame, fern von leichtfertigen Ohren unterhalten.«

Angélique warf einen spöttischen Blick auf den kleinen Geistlichen, der beschuldigt wurde, leichtfertige Ohren zu haben, und deshalb errötete.

Nachdem der Erzbischof sich nachdenklich die Hände gerieben hatte, versicherte er, es bereite ihm großes Vergnügen, jene junge Frau wiederzusehen, die sich im Erzbischöflichen Palais recht rar gemacht habe seit dem bereits weit zurückliegenden Tage, da sie von ihm in der Kathedrale Saint-Severin getraut worden sei.

»Ich sehe Euch beim Hochamt und muß Euren Eifer bei den Andachten der Fastenzeit loben. Doch ich gestehe, meine Tochter, daß es mich einigermaßen enttäuscht hat, Euch nie in meinem Beichtstuhl zu begegnen.«

»Ich habe als Beichtvater den Kaplan der Visitan-dinerinnen, Eminenz.«

»Ein ehrenwerter Priester, ohne Zweifel, aber angesichts Eurer Stellung, Madame, scheint mir .«

»Verzeiht mir, Eminenz«, rief Angélique lachend aus, »aber ich möchte Euch meinen Standpunkt darlegen: Ich begehe allzu geringfügige Sünden, um sie einem Manne von Eurer Bedeutung zu beichten. Ich würde mich genieren.«

»Mir scheint, mein Kind, Ihr befindet Euch, was das eigentliche Wesen des Sakraments der Buße be-

trifft, im Irrtum. Nicht dem Sünder kommt es zu, die Schwere seiner Verfehlungen zu bemessen. Und wenn das Echo der Stadt mir von den Zügellosigkeiten kündet, deren Schauplatz dieses Haus ist, so bezweifle ich stark, daß eine so hübsche und reizende junge Frau davon völlig unberührt geblieben sein kann.«

»Ich bilde mir das nicht ein, Eminenz«, murmelte Angélique, während sie die Augen senkte, »aber ich glaube, das Echo übertreibt. In Wirklichkeit sind unsere Feste harmlos fröhlich. Man reimt, man singt, man trinkt, man spricht von der Liebe, und man lacht viel. Aber ich bin nie Zeuge von Zügellosigkeiten gewesen, die mein Gewissen hätten beunruhigen können ...«

»Laßt mich bei dem Glauben, daß Ihr wohl naiv, aber nicht scheinheilig seid, mein Kind. Ihr wart zu jung, als man Euch in die Hände eines Gatten gab, dessen Worte mehr als einmal an Häresie grenzten und dessen bei den Frauen erworbene Gewandtheit und Erfahrung ihm erlaubten, Euren noch willfährigen Geist mühelos zu formen. Ich brauche nur an die Minnehöfe zu denken, die er alljährlich in seinem Palais veranstaltet und zu denen sich nicht nur die Edelleute der Stadt begeben, sondern auch Bürgerfrauen und junge Adlige aus der Provinz, um mir mit Erschauern des täglich wachsenden Einflusses bewußt zu werden, den er dank seines Reichtums auf die Stadt gewinnt.«

»Glaubt Ihr wirklich, daß meine und meines Gatten Seele ernstlich in Gefahr sind, Eminenz?«

fragte Angélique, indem sie ihre wasserklaren Augen weit öffnete.

»Weiß ich es?« seufzte er nach einigem Zögern. »Ich weiß nichts. Was in diesem Palais vorgeht, ist mir lange ein Geheimnis geblieben, und es wird mir von Tag zu Tag mehr Anlaß zur Beunruhigung.«

Unvermittelt fragte er: »Seid Ihr über die alchimistischen Studien Eures Gatten im Bilde, Madame?«

»Nicht eigentlich«, erwiderte Angélique, ohne die Ruhe zu verlieren. »Graf Peyrac hat eine Neigung für die Wissenschaften .«

»Man sagt sogar, er sei ein großer Gelehrter.«

»Ich glaube es. Er verbringt viele Stunden in seinem Laboratorium, aber er hat mich nie dorthin mitgenommen. Vermutlich meinte er, Frauen interessierten sich nicht für solche Dinge.«

Sie öffnete ihren Fächer und spielte mit ihm, um ein Lächeln zu verbergen, vielleicht auch eine gewisse Verlegenheit, die sich ihrer unter dem durchdringenden Blick des Bischofs zu bemächtigen begann.

»Es ist mein Beruf, in den Herzen der Menschen zu forschen«, sagte dieser, als habe er ihre Unruhe gespürt. »Aber seid ohne Sorge, meine Tochter. Ich erkenne an Euerm Blick, daß Ihr aufrichtig seid und für Euer zartes Alter einen ungewöhnlich ausgeprägten Charakter besitzt. Und für Euern Gatten ist es vielleicht noch nicht zu spät, seine Verfehlungen zu bereuen und seine Ketzerei abzuschwören.«

Angélique stieß einen kleinen Schrei aus.

»Aber ich schwöre Euch, daß Ihr Euch irrt, Eminenz! Mein Gatte mag nicht das Leben eines vorbildlichen Katholiken führen, aber er gibt sich durchaus nicht mit der Reformation und anderen hugenottischen Glaubenslehren ab. Ich habe sogar gehört, wie er sich über die >trübsinnigen Bärte von Genf< lustig machte, die, wie er sagte, vom Himmel offenbar den Auftrag bekommen hätten, der Menschheit die Lust zum Lachen zu nehmen.«

»Trügerische Worte«, erklärte der Erzbischof düster. »Sieht man nicht immer wieder bei ihm, bei Euch, Madame, notorische Protestanten einkehren?«

»Das sind Gelehrte, mit denen er sich über wissenschaftliche Dinge unterhält, nicht über religiöse.«

»Wissenschaft und Religion sind eng miteinander verknüpft. Kürzlich haben mich meine Leute darüber informiert, daß der berühmte Italiener Bernalli ihm einen Besuch abgestattet hat. Wißt Ihr, daß dieser Mann, nachdem er um gottloser Schriften willen mit Rom in Konflikt geraten war, in der Schweiz Zuflucht suchte und dort zum Protestantismus übertrat? Aber halten wir uns nicht bei diesen enthüllenden Zeichen einer Geistesverfassung auf, die ich beklage. Wenden wir uns einer Frage zu, die mich seit langen Jahren verfolgt. Graf Peyrac ist sehr reich und wird von Tag zu Tag reicher. Woher kommt ein solcher Überfluß an Gold?«

»Aber Eminenz, gehört er nicht einer der ältesten Familien des Languedoc an, verwandt mit den einstigen Grafen von Toulouse, die damals ebensoviel Macht über Aquitanien hatten wie die Könige über die Ile-de-France.«

Auf dem Gesicht des Bischofs erschien ein kleines, verächtliches Lächeln.

»Das ist wohl richtig. Aber die Eltern Eures Gatten waren so arm, daß das prächtige Palais, in dem Ihr heute herrscht, noch vor kaum fünfzehn Jahren völlig verfallen dastand. Hat Euch Monsieur de Peyrac nie von seiner Jugend erzählt?«

»N ... ein«, murmelte Angélique, selbst verwundert über ihre Unwissenheit.

»Er war der Jüngste der Familie und so arm, ich wiederhole es, daß er sich mit siebzehn Jahren nach fernen Ländern einschiffte. Man sah ihn viele Jahre lang nicht und hielt ihn für tot, bis er eines Tages wieder auftauchte. Seine Eltern und sein älterer Bruder waren gestorben; ihre Gläubiger teilten sich in den Landbesitz. Er kaufte alles zurück, und seither ist sein Vermögen unaufhörlich gewachsen. Nun, er ist ein Edelmann, den man nie bei Hofe sah, der sogar damit prahlt, sich ihm fernzuhalten, und der keinerlei königliche Einkünfte bezieht.«

»Aber er hat Grundbesitz«, warf Angélique ein, »er hat Schafherden im Gebirge, die ihm Wolle liefern, eine große Tuchfabrik, in der diese Wolle verarbeitet wird, Ölmühlen, Seidenwurmzüchtereien, Gold-und Silbergruben ...«

»Ihr sagtet Gold und Silber?«

»Ja, Eminenz, Graf Peyrac besitzt zahlreiche Steinbrüche in Frankreich, aus denen er angeblich eine Menge Gold und Silber gewinnt.«

»Wie richtig Ihr Euch ausgedrückt habt, Madame!« sagte der Geistliche mit süßlicher Stimme. »Aus denen er angeblich Gold und Silber gewinnt .!

Genau das wollte ich hören. Die fürchterliche Vermutung wird zur Gewißheit.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Eminenz? Ihr erschreckt mich.«

Der Erzbischof von Toulouse fixierte sie mit jenem allzu klaren Blick, der zuweilen die Härte des Stahls annahm.

Er sagte gemessen:

»Ich bezweifle nicht, daß Euer Gatte einer der größten Gelehrten unserer Zeit ist, und eben deshalb glaube ich, Madame, daß er tatsächlich den Stein der Weisen entdeckt hat, nämlich Salomons Geheimnis des Goldmachens. Doch welchen Weg ist er gegangen, um dahin zu gelangen? Ich fürchte sehr, er hat diese Macht durch einen Handel mit dem Teufel erlangt!«

Abermals hielt Angélique den Fächer über ihre Lippen, um nicht in Gelächter auszubrechen. Sie hatte Anspielungen auf den vom Grafen betriebenen Handel erwartet, in den sie durch Molines und ihren Vater Einblick bekommen hatte: da sie wußte, daß solche Betätigung bei einem Edelmann anrüchig genug war, um sein Haus in Mißkredit zu bringen, war sie ein wenig besorgt gewesen. Aber die bizarre Anschuldigung des Erzbischofs, der im Rufe großer Intelligenz stand, schien ihr im ersten Augenblick geradezu komisch. Meinte er es wirklich ernst?

Plötzlich kam ihr in einem jähen Gedankensprung zum Bewußtsein, daß Toulouse noch immer das Hauptquartier der Inquisition beherbergte. Die schreckliche Institution des Ketzertribunals genoß hier Vorrechte, die nicht einmal die Autorität des Königs selbst anzufechten wagte.

Toulouse, die lachende Stadt, war auch die rote Stadt, die im vergangenen Jahrhundert die meisten Hugenotten massakriert hatte. Lange vor Paris hatte sie ihre Bartholomäusnacht gehabt. Unter dem ersten Bogen der Saint-Michel-Brücke war ein eiserner Käfig angebracht, in dem man die Protestanten so lange ins Wasser zu tauchen pflegte, bis sie tot waren oder abschworen. Und zuweilen trug der Wind von der Place des Salins, wo man wieder einmal irgendeinen störrischen Hugenotten oder eine Hexe verbrannte, den Geruch verkohlten Fleisches bis zum Palais des Grafen Peyrac.

Die in den Wirbel genußfrohen Lebens gezerrte Angélique hatte sich nicht mit diesem Aspekt von Toulouse befaßt. Aber sie wußte sehr wohl, daß der Erzbischof selbst, dieser Mann, der da vor ihr in dem hohen Polstersessel saß und ein Glas eisgekühlter Limonade zum Munde führte, der Großmeister dieser Martern war.

»Eminenz«, murmelte sie, ehrlich entrüstet, »es ist doch nicht möglich, daß Ihr meinen Gatten ernstlich der Hexerei beschuldigt? Das Goldmachen erübrigt sich in diesem Lande, über das Gott seine Gaben im Überfluß ausgestreut hat und in dem sich das Gold im reinen Zustand in der Erde findet!« Listig fügte sie hinzu:

»Ich habe mir sagen lassen, daß Ihr selbst Goldwäscher angestellt habt, die den Kies der Garonne in Körben waschen und Euch ihre Ausbeute an Goldsand und Körnern bringen, mit der Ihr manche Not lindert.«

»Euer Einwurf ist nicht ganz unberechtigt, meine Tochter. Aber eben weil ich weiß, was die Goldsuche einbringen kann, vermag ich dies zu versichern: Würde man den Kies aller Flüsse und Bäche des Languedoc waschen, so würde man nicht die Hälfte dessen ernten, was Graf Peyrac zu besitzen scheint. Glaubt mir, ich bin genau informiert.«

»Ich zweifle nicht daran«, dachte Angélique, »und tatsächlich ist da seit langem dieser Handel mit dem spanischen Gold und den Mauleseln .«

Die kalten blauen Augen erspähten ihre Nachdenklichkeit. Sie klappte ein wenig nervös ihren Fächer zusammen.

»Ein Gelehrter ist nicht notwendigerweise ein Gehilfe des Teufels. Heißt es doch, daß es bei Hofe Gelehrte gibt, die ein Fernrohr aufgestellt haben, um die Sterne und die Gebirge des Mondes zu betrachten, und daß Monsieur Gaston d’Orléans, der Onkel des Königs, sich derlei vom Abbé Picard geleiteten Beobachtungen widmet.«

»Allerdings. Ich kenne übrigens den Abbé Picard. Er ist nicht nur Astronom, sondern auch Geometer des Königs.«

»Da seht Ihr also .«

»Die Kirche, Madame, ist großzügig. Sie läßt alle Arten von Forschungen zu, selbst höchst gewagte wie die des Abbé Picard, die Ihr erwähnt. Ich gehe noch weiter. Zu meinen Mitarbeitern im Erzbischöflichen Palais gehört ein sehr gelehrter Geistlicher vom Orden der Cluniazenser, der Mönch Becher. Seit Jahren betreibt er Forschungen über die Umwandlung von Metallen in Gold, jedoch mit meiner und Roms Billigung. Ich muß gestehen, daß mich das bisher viel Geld gekostet hat, besonders gewisse Produkte, die ich aus Spanien und Italien kommen lassen muß. Dieser Mann, der die ältesten Überlieferungen seiner Kunst kennt, bestätigt, daß man, um zum Ziel zu gelangen, eine höhere Eingebung empfangen muß, die nur von Gott oder vom Satan kommen kann.«

»Und ist er zum Ziel gelangt?«

»Noch nicht.«

»Der Ärmste! Er scheint also bei Gott wie beim Satan schlecht angeschrieben, trotz Eurer hohen Protektion.«

Im gleichen Augenblick bereute Angélique ihre boshafte Bemerkung. Sie glaubte ersticken und Dummheiten sagen zu müssen, um diese Beklemmung loszuwerden. Die Unterhaltung kam ihr ebenso töricht wie gefährlich vor. Dann wandte sie sich erleichtert zur Tür um, denn sie hörte die ungleichmäßigen Schritte ihres Gatten in der Galerie.

»Es ist unverzeihlich, Monsieur«, erklärte der Graf, als er den Raum betreten und den Besucher begrüßt hatte, »daß ich Euch so lange warten ließ. Ich gebe zu, daß man mich bereits vor einer Stunde von Euerm Besuch in Kenntnis setzte, aber es war mir unmöglich, eine gewisse Retorte im Stich zu lassen.«

Er trug noch seinen Alchimistenkittel, der bis zur Erde reichte. Es war eine Art Hemd, auf dem sich die gestickten Tierkreiszeichen mit vielfarbigen Säureflecken vermengten. Angélique wußte genau, daß er dieses Kleidungsstück absichtlich nicht abgelegt hatte, um seinen Besucher herauszufordern; aus dem gleichen Grunde redete er auch den Erzbischof von Toulouse mit »Monsieur« an und stellte sich damit auf gleiche Ebene mit dem Baron Benoît de Fontenac.

Graf Peyrac gab einem Bedienten im Vorzimmer ein Zeichen, ihm beim Ablegen des Kittels behilflich zu sein. Ein Sonnenstrahl ließ sein dunkles Haar aufleuchten, das er sorgfältig pflegte und das es an Lockenfülle mit den Pariser Perücken aufnehmen konnte, die allmählich in Mode kamen.

»Er hat das schönste Haar der Welt«, sagte sich Angélique.

Ihr Herz klopfte mehr, als sie wahrhaben wollte. Das Bild der Szene vom Vorabend erschien vor ihren Augen.

»Es ist nicht wahr«, wiederholte sie für sich. »Es war ein anderer, der gesungen hat. Oh, ich werde ihm nie verzeihen!«

Inzwischen hatte Graf Peyrac einen hohen Schemel heranrücken lassen und setzte sich schräg hinter Angélique.

So sah sie ihn nicht, aber sie wurde von einem Atem angerührt, dessen Duft sie nur zu sehr an einen berauschenden Augenblick erinnerte. Überdies spürte sie deutlich, daß Joffrey, während er mit dem Erzbischof belanglose Worte wechselte, es sich nicht versagte, mit seinen Blicken ihren Nacken und ihre Schultern zu streicheln, ja, daß er sogar verwegen in das süße Dunkel des Mieders tauchte, wo junge Brüste ruhten, von deren Vollkommenheit er sich am Abend zuvor überzeugt hatte. Ein Treiben, das er im Angesicht des Kirchenfürsten, dessen Tugend als unerschütterlich galt, aus Bosheit noch eigens unterstrich.

Angélique drängte es, sich nach ihrem Gatten umzuwenden und ihn zu beschwören: »Ich bitte Euch, seid vorsichtig!«

Zu gleicher Zeit genoß sie diese stumme Huldigung. Ihre unberührte, der Liebkosungen entwöhnte Haut sehnte sich nach einer nachdrücklicheren Berührung, der von wissenden Lippen, die sie zur Wollust erweckten. Und wie sie sehr aufrecht, ein wenig steif dasaß, fühlte sie eine Flamme in ihre Wangen aufsteigen. Sie kam sich lächerlich vor und sagte sich, daß es bei alldem nichts gebe, was dem Erzbischof mißfallen könne, denn schließlich war sie die Frau dieses Mannes, sie gehörte ihm. Das Verlangen überkam sie, sich ernst, mit geschlossenen Augen, seiner stürmischen Umarmung hinzugeben.

Zweifellos entging Joffrey ihre Verwirrung nicht, er würde sich wohl höchlichst darüber amüsieren. »Er spielt mit mir wie die Katze mit der Maus. Er rächt sich für meine Verachtung«, sagte sie sich hilflos.

Um über ihre Verlegenheit hinwegzukommen, rief sie endlich einen der kleinen Neger, der auf einem Kissen in einem Winkel des Raumes schlummerte, und befahl ihm, die Konfektdose zu bringen. Als der Kleine ihr den Kasten aus Ebenholz mit Perlmuttereinlagen reichte, der kandierte Nüsse und Früchte, Gewürzplätzchen und Rosenzucker enthielt, hatte Angélique ihre Kaltblütigkeit zurückgewonnen, und sie folgte mit verstärkter Aufmerksamkeit der Unterhaltung der beiden Männer.

»Nein, Monsieur«, sagte Graf Peyrac, während er nachlässig einige Veilchenpastillen knabberte, »glaubt nicht, daß ich mich den Wissenschaften mit dem Ziel hingegeben habe, die Geheimnisse der Macht und der Gewalt kennenzulernen. Ich habe immer eine natürliche Neigung für diese Dinge gehabt.«

»Ihr sprecht von Macht, Monsieur de Peyrac«, sagte der Erzbischof, »Macht über die Menschen, Macht über die Dinge. Habt Ihr nie daran gedacht, daß die ungewöhnliche Verbesserung Eurer Lebensverhältnisse vielen verdächtig erscheinen könnte, vor allem dem stets wachsamen Auge der Kirche? Euer Reichtum, der mit den Jahren anschwillt, Eure wissenschaftlichen Arbeiten, die Euch Gelehrte aus aller Herren Ländern zuführen? Ich habe im vergangenen Jahr einen dieser gelehrten Herrn, einen Deutschen, gesprochen. Er konnte es gar nicht fassen, daß es Euch gelungen sein sollte, geradezu spielend Probleme zu lösen, über welche die größten Geister dieser Zeit vergeblich gegrübelt haben. Ihr sprecht zwölf Sprachen ...«

»Pico della Mirandola im vergangenen Jahrhundert hat achtzehn gesprochen.«

»Ihr besitzt eine Stimme, die den großen italienischen Sänger Maroni vor Neid erblassen ließ, Ihr dichtet aufs trefflichste, Ihr seid - verzeiht mir, Madame - ein Meister in der Kunst, die Frauen zu verführen .«

»Und das hier .?«

Angélique ahnte beklommenen Herzens, daß Joffrey die Hand an seine versehrte Wange geführt hatte.

Die Verlegenheit des Erzbischofs löste sich in einer Grimasse der Ungeduld. »Nun, Ihr macht es - ich weiß nicht, auf welche Weise - vergessen. Ihr habt zu viele Talente, glaubt mir.«

»Eure Vorwürfe verwundern mich und bringen mich in Verlegenheit. Ich habe nicht gewußt, daß ich in solchem Maße Neid errege. Es schien mir im Gegenteil, als sei ich mit einem schlimmen Fluch beladen.«

Er beugte sich vor, und seine Augen funkelten, als habe er eben die Gelegenheit zu einem hübschen Scherz entdeckt.

»Wißt Ihr, Eminenz, daß ich in gewisser Hinsicht ein hugenottischer Märtyrer bin?«

»Ihr ein Hugenotte?« rief der Kirchenfürst entsetzt aus.

»Ich sagte: in gewisser Hinsicht. Hier die Geschichte. Nach meiner Geburt vertraute mich meine Mutter einer Amme an, bei deren Wahl sie sich nicht vom Gesichtspunkt der Religion, sondern von dem der kräftigsten Brüste leiten ließ. Nun, die Amme war Hugenottin. Sie nahm mich in ihr Cevennendorf mit, das zur Herrschaft eines reformierten Adligen gehörte. Nicht weit davon entfernt gab es, wie das so zu sein pflegt, einen weiteren Adelssitz und katholische Dörfer. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, jedenfalls war ich drei Jahre alt, als Katholiken und Hugenotten sich in die Haare gerieten.

Meine Amme und die Frauen ihres Dorfs hatten im Schloß des reformierten Edelmanns Schutz gesucht. Mitten in der Nacht nahmen es die Katholiken im Sturm. Allen Bewohnern wurde der Hals abgeschnitten, und das Schloß wurde in Brand gesteckt. Mich selbst beförderte man, nachdem man mir das Gesicht mit drei Säbelhieben gespalten hatte, durchs Fenster, und ich fiel zwei Stockwerke tief in einen von Schnee erfüllten Hof. Der Schnee bewahrte mich vor den glühenden Funken, die allenthalben herabregneten. Am Morgen fand mich einer der Katholiken, der zum Plündern zurückkam, erinnerte sich, daß ich das Kind toulousanischer Adliger war, hob mich auf und steckte mich zusammen mit meiner Milchschwester Margot, der einzigen Überlebenden des Blutbads, in seine Kiepe. Der Mann mußte mehrere Schneestürme

über sich ergehen lassen, bis er die Ebene erreichte. Als er in Toulouse ankam, lebte ich noch. Meine Mutter brachte mich auf eine besonnte Terrasse, entkleidete mich und ließ keinen Arzt zu mir, denn sie sagte, sie würden mich zugrunde richten. Erst in meinem zwölften Lebensjahr konnte ich gehen. Mit siebzehn schiffte ich mich ein. Dies ist der Grund, warum ich die Muße hatte, soviel zu studieren. Dank der Krankheit und der Bewegungslosigkeit zuerst, dank meiner Reisen danach. Darin liegt wohl nichts Verdächtiges.«

Nachdem der Erzbischof eine Weile geschwiegen hatte, sagte er nachdenklich:

»Euer Bericht macht vieles verständlich. Ich wundere mich nicht mehr über Eure Sympathie für die Protestanten.«

»Ich habe keine Sympathie für die Protestanten.«

»Sagen wir also: über Eure Antipathie gegenüber den Katholiken.«

»Ich habe keine Antipathie gegenüber Katholiken. Ich habe lediglich Abscheu vor allem Sektiererischen, Unechten, Engherzigen. Ich bin, Monsieur, ein Mann der Vergangenheit und finde mich in unserer Epoche der Intoleranz schwer zurecht. Ich hätte ein oder zwei Jahrhunderte früher auf die Welt kommen sollen, in jener Zeit der Renaissance, als die französischen Barone Italien entdeckten und hinter ihm das leuchtende Erbe der Antike: Rom, Griechenland, Ägypten, die Länder der Bibel .«

Seine Eminenz machte eine kaum merkliche Bewegung, die Angélique nicht entging.

»Er hat ihn dorthin gebracht, wo er ihn haben wollte«, sagte sie sich.

»Reden wir von den Ländern der Bibel«, erklärte sanft der Erzbischof. »Sagt uns doch die Heilige Schrift, daß König Salomon einer der ersten Magier war und daß er Schiffe nach Ophyr schickte, wo er, sicher vor neugierigen Blicken, durch die Transmutation gemeine Metalle in edle verwandeln ließ. Die Geschichte berichtet, daß er seine Schiffe goldbeladen zurückbrachte.«

»Die Geschichte berichtet auch, daß Salomon nach seiner Rückkehr die Steuern verdoppelte, was beweist, daß er nicht viel Gold mitgebracht haben kann, und vor allem, daß er nicht wußte, wann er seinen Vorrat würde ergänzen können. Wäre er wirklich der Methode des Goldmachens auf die Spur gekommen, hätte er gewiß weder die Steuern erhöht noch sich die Mühe gemacht, seine Schiffe nach Ophyr zu schik-ken.«

»Seine Weisheit hat ihn davon abgehalten, seine Untertanen in Geheimnisse einzuweihen, mit denen sie Mißbrauch getrieben hätten. Eine gewisse Tarnung war notwendig. Lacht nicht, Monsieur«, rief der Erzbischof ziemlich scharf. »Die Grundwahrheiten der Kirche dulden keine Verspottung.«

»Ich lache nicht über die in der Bibel geschilderten Tatsachen, sondern über ihre sophistische Auslegung.«

»Hütet Euch, Monsieur, über die geheiligten Dinge zu lästern.«

»Ich hege tiefe Ehrfurcht vor ihnen. Aber ich wiederhole: ich lehne es ab, sie mit jenen Problemen zu vermengen. Ich möchte sogar noch weitergehen: Salomon konnte die Transmutation der Metalle in Gold nicht kennen, denn die Transmutation ist ein unmögliches Phänomen. Die Alchimie ist eine Kunst, die nicht existiert, eine unglückselige Farce, die aus dunklen Zeiten stammt und von ganz allein der Lächerlichkeit verfallen wird, denn niemand wird jemals die Transmutation bewerkstelligen.«

»Und ich sage Euch«, rief der Erzbischof erbleichend aus, »daß ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, wie Becher einen zinnernen Löffel in ein Produkt dieser Zusammenstellung tauchte und ihn in Gold verwandelt wieder herauszog.«

»Er war nicht in Gold verwandelt, er war mit Gold überzogen. Hätte der gute Mann sich die Mühe gemacht, diese oberste Schicht mit einem Stichel abzukratzen, wäre er sofort auf das darunterliegende Zinn gestoßen.«

»Das ist richtig, aber Becher versichert, das sei der Anfang der Transmutation gewesen, das erste Stadium des eigentlichen Phänomens.«

Es entstand eine Pause. Joffreys Hand glitt über die Lehne von Angéliques Sessel und streifte den Arm der jungen Frau. Lässig sagte er:

»Wenn Ihr überzeugt seid, daß Euer Mönch die Zauberformel gefunden hat, was war dann der Zweck Eures heutigen Besuches?«

Der Erzbischof verzog keine Miene.

»Becher ist überzeugt, daß Ihr das letzte Geheimnis kennt, das die Vollendung der Transmutation erlaubt.«

Graf Peyrac lachte hellauf.

»Nie habe ich eine komischere Behauptung gehört. Ich sollte mich mit so kindlichen Versuchen abgeben? Armer Becher! Ich überlasse ihm gern alle Aufregungen und Hoffnungen der falschen Wissenschaft, die er ausübt, und .«

Ein fürchterliches Geräusch, ähnlich einem Donnerschlag oder einem Kanonenschuß, unterbrach ihn. Joffrey richtete sich auf und erbleichte.

»Das ... das ist im Laboratorium. Mein Gott, wenn nur Kouassi-Ba nicht getötet worden ist!«

Er stürzte nach der Tür.

Der Erzbischof war ebenfalls aufgesprungen und stand nun aufgereckt wie ein Hüter der Gerechtigkeit da. Schweigend fixierte er Angélique.

»Ich gehe, Madame«, sagte er schließlich. »Mir will scheinen, als tue in diesem Hause Satan bereits seinen Zorn über die Tatsache meiner Gegenwart kund. Erlaubt, daß ich mich zurückziehe.«

Und er entfernte sich mit großen Schritten. Man hörte das Knallen der Peitschen und die Rufe der Kutscher, während die bischöfliche Kutsche gleich darauf über den großen Vorhof rollte.

Angélique konnte sich nicht schlüssig werden, was sie tun sollte. Es drängte sie, in den Flügel des Schlosses hinüberzulaufen, aus dem das donnerähnliche Geräusch gekommen war. Joffrey schien ernstlich besorgt gewesen zu sein. Ob es Verletzte gegeben hatte? Ihre Pflicht war es, sich zu vergewissern. Dennoch rührte sie sich nicht von der Stelle. Das Geheimnis, mit dem der Graf seine Arbeiten umgab, hatte ihr mehr als einmal klargemacht, daß dies der einzige Bezirk war, den er vor der Neugier der Uneingeweihten verschloß. Nur aus Rücksicht auf die Persönlichkeit seines Besuchers hatte er sich zu einigen oberflächlichen Erklärungen bereit gefunden. Genügten sie, um den Argwohn des Erzbischofs zu beschwichtigen?

Angélique erschauerte. »Hexerei!« Sie blickte umher. In dieser bezaubernden Umgebung wirkte das Wort wie ein böser Scherz. Aber es gab da noch zu viele Dinge, die Angélique nicht durchschaute.

»Ich werde dort drüben nachsehen«, beschloß sie. »Auf die Gefahr hin, daß er böse wird.«

Aber sie hörte den Schritt ihres Gatten, und gleich darauf betrat er den Salon. Seine Hände waren rußverschmiert. Gleichwohl lächelte er.

»Gottlob nichts Ernstes. Kouassi-Ba hat nur ein paar Hautwunden abbekommen, aber er hatte sich so gut unter dem Tisch verborgen, daß ich zuerst glaub-te, die Explosion habe ihn zerfetzt. Hingegen sind die materiellen Schäden beträchtlich. Meine wertvollsten Retorten aus besonderem böhmischen Glas liegen in Scherben. Nicht eine einzige ist übriggeblieben!«

Auf seinen Wink trugen zwei Pagen ein Becken und eine goldene Wasserkanne herbei. Er wusch sich die Hände, dann schüttelte er seine Spitzenmanschetten zurecht.

Angélique nahm all ihren Mut zusammen.

»Ist es nötig, Joffrey, daß Ihr diesen gefährlichen Experimenten so viele Stunden widmet?«

»Es ist nötig, Gold zum Leben zu haben«, sagte der Graf und wies mit einer schweifenden Geste auf den prächtigen Salon, dessen vergoldete Holzdecke er kürzlich neu hatte bemalen lassen. »Aber darum geht es gar nicht. Ich empfinde bei diesen Studien ein Vergnügen, das nichts anderes mir verschaffen kann. Darin liegt der Zweck meines Lebens.«

Angélique gab es einen Stich ins Herz, als beraubten sie solche Worte eines kostbaren Guts, aber da sie bemerkte, daß ihr Mann sie prüfend betrachtete, bemühte sie sich um eine gleichgültige Miene, während er fortfuhr:

»Darin liegt der einzige Zweck meines Lebens, abgesehen von dem, Euch zu erobern«, schloß er mit einer höfischen Verbeugung.

»Ich will absolut nicht in Rivalität mit Euern Phiolen und Retorten treten«, sagte Angélique eine Spur zu lebhaft, »aber die Worte Seiner Eminenz haben einige Unruhe in mir ausgelöst, wie ich Euch gestehen muß.«

»Wirklich?«

»Habt Ihr in ihnen keine verborgene Drohung gespürt?«

Er antwortete nicht sogleich. Ans Fenster gelehnt, sah er nachdenklich über die flachen Dächer der Stadt hinweg, die sich so eng aneinanderdrängten, daß sie mit ihren runden Ziegeln einen riesigen Teppich in den Farbtönen des Klees und des Mohns bildeten.

Da ihr Gatte verstummt war, kehrte Angélique zu ihrem Sessel zurück, und ein Negerknabe stellte das Kästchen aus Korbgeflecht neben sie, in dem die schimmernden Seidenfäden ihrer Handarbeit in buntem Wirrwarr durcheinanderliefen.

Es herrschte Stille im Palast an diesem Tage nach dem Fest. Angélique dachte daran, daß sie bei der Mittagstafel allein dem Grafen Peyrac gegenübersitzen würde, sofern sich der unvermeidliche Bernard d’Andijos nicht einstellte ...

»Habt Ihr die Taktik des Herrn Großinquisitors beobachtet?« fragte der Graf plötzlich. »Er spricht zunächst von der Moral, streift im Vorbeigehen die >Orgien< in unserm Hause, spielt auf meine Reisen an und führt uns von da aus zu Salomon. Kurz, man steht plötzlich vor der Tatsache, daß Baron Benoît de Fontenac, Erzbischof von Toulouse, mich auffordert, mit ihm mein Geheimnis des Goldmachens zu teilen, andernfalls werde er mich wie einen Hexenmeister auf der Place des Salins verbrennen lassen.«

»Das ist eben die Drohung, die ich herauszuhören glaubte«, sagte Angélique verängstigt. »Meint Ihr, daß er sich wirklich einbildet, Ihr wäret mit dem Teufel im Bunde?«

»Er? Nein. Das überläßt er seinem naiven Becher. Der Erzbischof besitzt eine zu nüchterne Intelligenz und kennt mich zu genau. Nur ist er überzeugt, daß ich das Geheimnis in Händen halte, auf künstlichem Wege Gold und Silber zu mehren. Er möchte es auch kennen, um es selbst nutzen zu können.«

»Er ist ein verworfener Mensch!« rief die junge Frau aus. »Dabei wirkt er so würdig, so aufrichtig, so großmütig.«

»Das ist er auch. Seine Geldmittel fließen den barmherzigen Werken zu. Er hält täglich freien Tisch für die armen Kirchenbeamten. Er kümmert sich um die Brandgeschädigten, um die Findelkinder und so fort. Er ist durchdrungen von der Unschuld der Seelen und der Größe Gottes. Aber er ist auch vom Dämon der Herrschsucht besessen. Er sehnt sich nach der Zeit zurück, da der einzige Herr einer Stadt, ja selbst einer Provinz der Bischof war, den Krummstab in der Hand, Recht sprechend, strafend, belohnend. Er erträgt es einfach nicht, zusehen zu müssen, wie mein Einfluß wächst. Wenn die Dinge sich so weiterentwickeln, wird es in ein paar Jahren der Graf Peyrac sein, Euer Gatte, meine liebe Angélique, der Toulouse beherrscht. Gold und Silber verleihen Macht, und hier fällt nun die Macht in die Hände eines Gehilfen des Satans. Da gibt es für Seine Eminenz kein Zögern. Entweder wir teilen die Macht oder .«

»Was wird geschehen?«

»Ängstigt Euch nicht, meine Liebe. Wenn sich auch die Intrigen eines Mannes in seiner Stellung für uns unheilvoll auswirken können, sehe ich doch nicht ein, warum es dazu kommen müßte. Er hat seine Karten auf den Tisch gelegt. Er will das Geheimnis des Goldmachens wissen. Ich werde es ihm gerne ausliefern.«

»Ihr besitzt es also?« murmelte Angélique mit aufgerissenen Augen.

»Wir wollen die Dinge nicht verwechseln. Ich besitze keine Zauberformel, um Gold zu machen. Mein Ziel ist es weniger, Reichtümer zu schaffen, als vielmehr die Kräfte der Natur wirken zu lassen.«

»Aber ist dieser Gedanke nicht schon ein wenig ketzerisch, wie Seine Eminenz sagen würde?«

Joffrey lachte.

»Ich sehe, daß man Euch mit Erfolg gepredigt hat. Ihr beginnt Euch in dem Spinngewebe seiner Scheinargumentationen zu verwickeln. Ach ja, ich gebe zu, daß es schwer ist, in diesen Dingen klar zu sehen. Schließlich hat die Kirche früherer Jahrhunderte die Müller nicht exkommuniziert, für die der Wind oder das Wasser die Flügel der Mühlen drehte. Aber die heutige würde sich auf die Hinterbeine stellen, wenn ich mich unterfinge, auf einer Anhöhe in der Umgebung von Toulouse das gleiche Modell einer Dampfpumpe zu errichten, das ich in Eurer Silbermine aufstellen ließ! Wenn ich einen Behälter aus Glas oder Steingut über ein Hüttenfeuer setze, ist damit ja wohl nicht gesagt, daß Luzifer schnurstracks hineinschlüpft .«

»Immerhin war die Explosion von vorhin ziemlich eindrucksvoll. Seine Eminenz schien darüber höchst erregt zu sein, und in diesem Fall, glaube ich, war er ehrlich. Habt Ihr es absichtlich getan, um ihn aufzubringen?«

»Nein, ich habe eine Fahrlässigkeit begangen. Ich habe ein Knallgold-Präparat, das ich mit Hilfe von Königswasser aus Blattgold gewonnen und danach mit Ammoniak niedergeschlagen hatte, zu lange trocknen lassen. Es kam bei diesem Vorgang zu keinerlei Urzeugung. Aber ich langweile Euch .«

»Nein, bestimmt nicht«, sagte Angélique mit leuchtenden Augen. »Ich könnte Euch stundenlang zuhören.«

Über sein Gesicht huschte ein Lächeln, das durch die Narben seiner linken Wange einen ironischen Akzent erhielt.

»Welch verwunderliches kleines Köpfchen! Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, eine Frau könne sich für diese Dinge erwärmen. Auch mir macht es Freude, Euch davon zu sprechen. Ich habe den Eindruck, daß Ihr alles zu begreifen vermögt. Gleichwohl ... wart Ihr nicht nahe daran, mir dunkle Kräfte zuzuschreiben, als Ihr nach Languedoc kamt? Flöße ich Euch noch immer soviel Angst ein?«

Angélique fühlte sich erröten, aber sie erwiderte tapfer seinen Blick.

»Nein! Ihr seid noch ein Unbekannter für mich, und das kommt, glaube ich, daher, daß Ihr niemandem gleicht, aber Ihr flößt mir keine Angst mehr ein.«

Er humpelte schweigend zu dem Stuhl hinter ihr, auf dem er während des bischöflichen Besuchs gesessen hatte. Wenn er sich auch in gewissen Momenten nicht scheute, auf geradezu herausfordernde Weise sein versehrtes Gesicht ins volle Licht zu heben, so suchte er in andern den Schatten und das Dunkel. Seine Stimme bekam dann einen neuen Klang, als könne die von ihrer körperlichen Hülle befreite Seele Joffrey de Peyracs sich endlich ungehemmt äußern.

So fühlte Angélique neben sich die unsichtbare Gegenwart des »roten Mannes«, der sie so sehr erschreckt hatte. Wohl war es derselbe Mensch, aber ihr Verhältnis zu ihm hatte sich verändert. Fast hätte sie die bange weibliche Frage gestellt: »Liebt Ihr mich?«

Doch dann bäumte sich ihr Stolz auf, denn sie erinnerte sich der Stimme, die zu ihr gesagt hatte: »Ihr werdet kommen ... Sie kommen alle.«

Um ihre Verwirrung zu überwinden, lenkte sie die Unterhaltung wieder auf wissenschaftliches Gebiet, wo seltsamerweise ihre Geister einander begegnet waren und wo ihre Freundschaft sich bestätigt hatte.

»Wenn Ihr Euch nicht scheut, Euer Geheimnis preiszugeben - weshalb weigert Ihr Euch da, den Mönch Becher zu empfangen, auf den Seine Eminenz so große Stücke zu halten scheint?«

»Pah! In diesem Punkt könnte ich ihn schon zufriedenstellen. Aber das Heikle dabei ist nicht, mein Geheimnis zu enthüllen, sondern es ihm verständlich zu machen. Ich werde ihm vergeblich zu beweisen versuchen, daß man die Materie transformieren, aber nicht transmutieren kann. Die Köpfe, die uns umgeben, sind für solche Offenbarungen nicht reif. Und der Ehrgeiz dieser falschen Gelehrten ist so groß, daß sie Zeter und Mordio schreien werden, wenn ich ihnen erkläre, daß die beiden wertvollsten Helfer bei meinen Forschungen ein Mohr und ein derber sächsischer Bergmann gewesen sind.«

»Kouassi-Ba und der alte Bucklige von der Silbermine, Fritz Hauer?«

»Ja. Kouassi-Ba hat mir erzählt, daß er, als er noch ein Kind war und frei, irgendwo im Innern seines wilden Afrikas gesehen hat, wie nach alten, von den Ägyptern übernommenen Verfahren Gold gewonnen wurde. Die Pharaonen und König Salomon hatten dort sogar Goldminen. Aber ich frage Euch, Liebste, was wird Seine Eminenz sagen, wenn ich ihm anvertraue, daß mein Neger Kouassi-Ba es ist, der das Geheimnis des Königs Salomon bewahrt? Und doch war er es, der mich bei meinen Laboratoriumsarbeiten beraten und mir den Gedanken eingegeben hat, ein gewisses, unsichtbares Gold enthaltendes Gestein zu behandeln. Fritz Hauer aber ist der Bergmann par excellence, der Mann der Stollen, der Maulwurf, der nur im Schoß der Erde atmen kann. Vom Vater zum Sohn vererben diese sächsischen Bergleute ihre Verfahren, dank derer ich mich endlich in den bizarren Mystifikationen der Natur zurechtfinden und mit allen meinen verschiedenen Ingredienzen ins klare kommen konnte:

Blei, Gold, Silber oder Vitriol, Quecksilber-Sublimat und anderen.«

»Es ist Euch geglückt, Quecksilber-Sublimat und Vitriol herzustellen?« fragte Angélique, für die diese Worte immerhin ungefähre Begriffe darstellten.

»Jawohl, und das hat mich in die Lage versetzt, die Unsinnigkeit der ganzen Alchimie darzutun, denn aus dem Quecksilber-Sublimat kann ich nach Belieben entweder reines Quecksilber oder gelben und roten Hermes gewinnen, und diese letzteren Stoffe lassen sich ihrerseits in Quecksilber zurückverwandeln. Das Ausgangsgewicht erhöht sich dabei nicht nur nicht, es verringert sich vielmehr, denn es entstehen Verluste durch Verdampfung. Ebenso kann ich durch verschiedene Verfahren das Silber aus dem Blei ausscheiden und das Gold aus bestimmtem, scheinbar taubem Gestein. Aber wenn ich über die Tür meines Laboratoriums die Worte setze: >Nichts geht verloren, nichts wird erschaffen<, schiene meine Philosophie höchst gewagt, ja sogar im Widerspruch zum Geist der Genesis stehend.«

»Gelangen nicht mit Hilfe eines ähnlichen Verfahrens die mexikanischen Goldbarren, die Ihr in London kauft, in die Silberminen von Monteloup?«

»Ihr seid ein Schlaukopf, und ich finde Molines reichlich geschwätzig. Gleichviel, wenn er geredet hat, dann bedeutet das, daß er Euch vertraut. Ja, die spanischen Barren können in einem Schmelzofen mit Schwefelkies oder Bleiglanz umgeschmolzen werden. Sie nehmen dann das Aussehen einer dunkelgrauen Schlacke an, die auch dem gewiegtesten Zöllner nicht verdächtig erscheint. Und dieser >Rohstein< ist es, den die guten kleinen Maulesel Eures Herrn Vaters von England nach dem Poitou transportieren oder von Spanien nach Toulouse, wo er von mir oder meinem Sachsen Hauer abermals in schönes, schimmerndes Gold verwandelt wird.«

»Das ist Betrug am Fiskus«, sagte Angélique ziemlich streng.

»Ihr seid herrlich, wenn Ihr so sprecht. Dieser Betrug schadet weder dem Königreich noch Seiner Majestät, und er macht mich reich. Überdies werde ich binnen kurzem Fritz zurückkommen lassen, damit er die Ausbeutung jener Goldader vorbereitet, die ich in einer Salsigne genannten Gegend entdeckt habe, in der Nachbarschaft von Narbonne. Dank dem Golde jenes Bergs und dem Silber aus dem Poitou werden wir auf die amerikanischen Edelmetalle verzichten können, infolgedessen auch auf diesen Betrug, wie Ihr es nennt.«

»Warum habt Ihr Euch nicht bemüht, den König für Eure Entdeckungen zu interessieren? Es wäre doch möglich, daß es noch weitere Gebiete in Frankreich gibt, die man mit Hilfe Eurer Verfahren ausbeuten könnte, und der König wäre Euch dankbar dafür.«

»Der König ist fern, Liebste, und ich bin nicht zum Höfling geboren. Nur Leute dieser Art können einigen Einfluß auf die Geschicke des Königreichs nehmen. Mazarin ist der Krone ergeben, ich leugne es nicht, aber er ist vor allem ein internationaler Intrigant. Fouquet aber, der den Auftrag hat, das Geld für den Kardinal Mazarin aufzutreiben, ist ein Genie der finanziellen Kombinationen, doch auf die Bereicherung des Landes durch eine richtig verstandene Ausbeutung seiner natürlichen Schätze legt er, vermute ich, keinen Wert.«

»Fouquet!« rief Angélique aus. »Ja, jetzt erinnere ich mich, wo ich von römischem Vitriol und Quecksilber habe reden hören! Es war auf Schloß Plessis.«

Die ganze Szene lebte vor ihren Augen auf. Der Italiener in der Mönchskutte, die nackte Frau zwischen den Spitzen, der Fürst Condé und das Kästchen aus Sandelholz, in dem ein smaragdgrünes Fläschchen schillerte.

»Vater«, hatte der Fürst Condé gesagt, »ist es Monsieur Fouquet, der Euch schickt?«

Angélique fragte sich unversehens, ob sie nicht dem Schicksal in den Arm gefallen war, als sie jenes Kästchen versteckt hatte.

»Woran denkt Ihr?« fragte Graf Peyrac.

»An ein seltsames Abenteuer, das ich früher einmal erlebt habe.«

Und sie, die so lange geschwiegen hatte, sie erzählte ihm plötzlich die Geschichte des Kästchens, deren sämtliche Einzelheiten in ihrem Gedächtnis eingegraben geblieben waren.

»Die Absicht des Fürsten Condé richtete sich gewiß darauf, den Kardinal und vielleicht sogar den König und seinen jungen Bruder zu vergiften«, schloß sie, »aber was ich nicht recht verstanden habe, sind jene Briefe, die eine Art unterzeichneter Verpflichtung enthielten. Der Fürst und andere Edelleute sollten sie Fouquet übergeben. Wartet! Der Text ist mir nicht ganz gegenwärtig. Er lautete ungefähr folgendermaßen: >Ich verpflichte mich, daß ich nur zu Monsieur Fouquet halten und meinen Besitz zu seiner Verfügung stellen werde .«

Joffrey de Peyrac hatte ihr schweigend zugehört. Am Schluß lachte er höhnisch.

»Da habt Ihr unsere schöne Welt! Wenn man bedenkt, daß Fouquet damals nichts als ein obskurer Parlamentarier war! Trotzdem konnte er bei seiner Geschicklichkeit in finanziellen Dingen schon die Fürsten in seinen Dienst zwingen. Jetzt ist er der reichste Mann im Königreich, neben Mazarin, versteht sich. Was beweist, daß in der Sonne Seiner Majestät Platz für alle beide war. Ihr habt also Eure Verwegenheit so weit getrieben, Euch des Kästchens zu bemächtigen? Ihr habt es versteckt?«

»Ich habe es .«

Eine Warnung ihres Instinkts verschloß ihr plötzlich die Lippen.

»Nein, ich habe es in den Seerosenteich des großen Parks geworfen.«

»Und glaubt Ihr, daß Euch jemand der Beseitigung verdächtigt hat?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, daß man meiner kleinen Person sonderliche Bedeutung beimaß. Gleichwohl habe ich nicht unterlassen, vor dem Fürsten Condé aufjenes Kästchen anzuspielen.«

»Wie? Aber das war ja Wahnsinn!«

»Ich mußte doch für meinen Vater die Befreiung vom Wegezoll für die Maultiere erwirken. Oh, das ist eine lange Geschichte«, sagte sie lachend, »und ich weiß jetzt, daß Ihr indirekt in sie verwickelt wart. Aber ich würde mit Vergnügen von neuem Dummheiten solcher Art begehen, nur um noch einmal die entsetzten Gesichter dieser hochnäsigen Leute zu sehen.«

Als sie ihm von ihrem Scharmützel mit dem Fürsten erzählt hatte, schüttelte ihr Gatte den Kopf.

»Ich wundere mich geradezu, daß ich Euch noch lebendig neben mir sehe. Ihr müßt tatsächlich sehr harmlos gewirkt haben. Es ist nämlich eine gefährliche Sache, als Statist in die Intrigen der Leute vom Hof verstrickt zu werden. Sie würden sich nichts daraus machen, bei Gelegenheit auch mal ein kleines Mädchen zu beseitigen.«

Während des Redens erhob er sich und trat leise auf einen nahen Türvorhang zu, den er rasch zur Seite schob. Mit enttäuschtem Gesichtsausdruck wandte er sich zurück.

»Ich bin nicht flink genug, um Neugierige zu ertappen.«

»Hat uns jemand belauscht?«

»Ich bin dessen gewiß.«

»Ich habe schon öfter den Eindruck gehabt, daß jemand unseren Unterhaltungen zuhört. Es ist sehr lästig.«

»Es ist unvermeidlich. Das Spionieren ist die Stärke der Regierungen, und unsere Epoche hat diese üble Tätigkeit zur Institution erhoben. So gibt es in diesem Palais mindestens drei Spione unter unseren Lakaien und Pagen. Einen im Dienst des Gouverneurs, einen im Dienst des Königs, einen im Dienst des Erzbischofs. Ich kenne den letzteren: es ist Alphonso. Deshalb jage ich ihn nicht fort, denn ich habe längst mit ihm abgesprochen, was er seinem Herrn erzählen soll. Aber der beunruhigendste ist der vierte, der, den man nicht ausmachen kann. Ich spüre ihn seit einiger Zeit hier herumschleichen.«

»Was für ein komisches Leben!« seufzte Angélique, die nicht recht wußte, ob sie die Worte ihres Gatten ernst nehmen sollte, denn es war seine Art, alles gleichsam wie im Scherz zu sagen.

Er nahm wieder seinen Platz hinter ihr ein. Die Hitze wurde drückender, und plötzlich begann die Stadt unter dem Dröhnen der tausend Glocken zu erbeben, die zum Angelus läuteten. Die junge Frau bekreuzigte sich andächtig und murmelte das Gebet zur Jungfrau Maria. Die klingende Flut schlug über ihnen zusammen, und während einer guten Weile konnten sie, die am offenen Fenster saßen, kein Wort wechseln. So blieben sie stumm, und diese Intimität, die sich nun häufiger zwischen ihnen ergab, bewegte Angélique tief.

»Seine Gegenwart mißfällt mir nicht nur nicht, ich bin sogar glücklich«, sagte sie sich verwundert. »Würde es mir unangenehm sein, wenn er mich wieder küßte?«

Wie vorhin während des Besuchs des Erzbischofs hatte sie das Bewußtsein, daß Joffrey auf ihren weißen Nacken blickte.

»Nein, mein Liebling, ich bin kein Zauberer«, murmelte er. »Ich habe vielleicht von der Natur gewisse Kräfte empfangen, aber vor allem wollte ich lernen. Begreifst du?« fuhr er in einschmeichelndem Tone fort, der sie bezauberte, »ich war begierig, alle schwierigen Dinge zu erforschen: die Naturwissenschaften, die Literatur und auch das Herz der Frauen. Ich habe mich mit Lust diesem bezaubernden Mysterium hingegeben. Man glaubt, hinter den Augen einer Frau gebe es nichts, und man entdeckt eine Welt. Oder aber man erwartet eine Welt und entdeckt nichts ... als ein kleines Narrenglöckchen. Was ist hinter deinen grünen Augen, die an unberührte Wiesen und an den stürmischen Ozean erinnern? - Ich lasse dich in meine Karten sehen. Ich habe nur ein Verlangen: dich zu verführen, denn du bist mir als die schönste und liebenswerteste, als die Dame meines Herzens erschienen .«

Sie hörte ihn sich bewegen, und das reiche, schwarze Haar glitt über ihre bloße Schulter wie ein warmes, seidiges Fell. Sie erbebte vor der Berührung der Lippen, die ihr gebeugter Nacken unbewußt erwartete. Mit geschlossenen Augen, den langen, glühenden Kuß kostend, der sich zur Sättigung Zeit nahm, fühlte Angélique die Stunde ihrer Niederlage nahen. Dann würde sie, zitternd, zögernd noch, aber unterjocht, wie die andern kommen und sich der Umschlingung dieses wunderlichen Mannes darbieten.

Das Pferd folgte langsamen Schrittes dem Flußufer und wirbelte den Staub des sich dahinschlängelnden Weges auf. In einiger Entfernung folgten drei bewaffnete Lakaien, aber Angélique war sich deren Gegenwart nicht bewußt. Es schien ihr, als sei sie völlig allein unter dem Sternenhimmel, allein in den Armen Joffrey de Peyracs, der sie vor sich quer über den Sattel gesetzt hatte und nun zum Lusthaus an der Garonne ritt, um dort die erste Liebesnacht mit ihr zu erleben.

Er trieb seine Stute nicht an und ließ in der einen Hand die Zügel schleifen, während sein anderer Arm den Körper der jungen Frau an sich preßte. In wohligem Hingegebensein empfand sie zum zweitenmal jene bezwingende Kraft, die sich an einem gewissen Abend einen mit Abscheu verwehrten Kuß hatte ertrotzen wollen. Aber all das war fern und unwirklich. Nur auf den gegenwärtigen Augenblick kam es an. Bar jeden Gedankens und wie ausgelöscht schmiegte sie sich an, barg sie ihr Gesicht in dem knisternden Samt des Gewandes.

Er schaute sie nicht an, sondern starrte auf das vorbeieilende Gewässer. Dabei öffneten sich seine Lippen ein wenig, und er summte ein Lied in der alten Sprache, dessen Übersetzung sie kannte.

»Wie der Jäger die endlich erjagte Beute nach Hause trägt,

so trag’ ich mein Liebchen nach Haus, besiegt und fügsam

meiner Lust.«

Das Mondlicht lag voll auf seinem verwegenen Gesicht. Doch Angélique dachte:

»Er hat die schönsten Augen, die schönsten Zähne, die schönsten Haare der Welt. Die zarteste Haut, die schönsten Hände ... Wie konnte ich ihn abstoßend finden .? Ist dies denn die Liebe .? Der Zauber der Liebe ...?«

Im Lusthaus an der Garonne blieben die von ihrem anspruchsvollen Herrn sorgsam geschulten Diener unsichtbar. Das Zimmer war gerichtet. Auf der Terrasse lagen neben dem Ruhebett Früchte bereit, und in einem bronzenen Becken waren Flaschen kühlgestellt, doch alles wirkte verlassen.

Angélique und ihr Gatte schwiegen. Es war die Stunde der Stille. Gleichwohl murmelte sie, als er sie in dumpfer Ungeduld an sich zog:

»Warum lächelt Ihr nicht?«

Er atmete tief.

»Ich kann nicht lächeln, denn ich habe zu lange auf diesen Augenblick gewartet, und er macht mich fast schmerzhaft beklommen. Ich habe nie eine Frau wie dich geliebt, Angélique, und es will mir scheinen, als hätte ich dich schon geliebt, bevor ich dich kannte. Und als ich dich sah ... Du warst es, auf die ich wartete. Aber du gingst stolz an mir vorüber, unnahbar wie eine Moornixe. Und ich machte dir scherzhafte Geständnisse, aus Furcht vor einer Geste des Abscheus oder einer spöttischen Bemerkung.

Nie habe ich auf eine Frau so lange gewartet, noch soviel Geduld aufgebracht. Und dabei gehörtest du mir. Hundertmal war ich drauf und dran, Gewalt zu gebrauchen, aber ich wollte nicht nur deinen Körper, ich wollte deine Liebe. Und jetzt, da du endlich mein wirst, jetzt grolle ich dir ob all der Qualen, die du mir bereitet hast. Ich grolle dir«, wiederholte er in heißer Leidenschaft.

Sie hielt tapfer dem Ausdruck seines Gesichts stand, das sie nun nicht mehr erschreckte, und lächelte. »Räche dich«, flüsterte sie.

Er erbebte und lächelte auch.

»Du bist weiblicher, als ich dachte. Ach, fordert mich nicht heraus! Ihr werdet um Gnade bitten, schöne Feindin!«

Von diesem Augenblick an gehörte Angélique nicht mehr sich selbst. Den Lippen wiederbegegnend, die sie schon einmal trunken gemacht hatten, geriet sie von neuem in den Strudel ungekannter Empfindungen, die in ihrem Fleisch ein unbestimmtes Verlangen hinterlassen hatten. Alles wurde wach in ihr, und in Erwartung einer Wonne, der nichts sich in den Weg würde stellen können, nahm ihr Glücksgefühl eine Heftigkeit an, die sie erschreckte.

Keuchend bog sie sich zurück, versuchte sie, diesen Händen auszuweichen, deren jede einzelne Bewegung neue Quellen der Lust anschlug; und dann begannen der Sternenhimmel, die dunstige Ebene um sie zu kreisen, durch die die Garonne ihre silbernen Schleifen zog.

An Leib und Seele gesund, war Angélique wie für die Liebe geschaffen, aber das plötzliche Sichbewußt-werden ihres Körpers raubte ihr den Atem, und sie fühlte sich, innerlich mehr noch als äußerlich, von einem wilden Ansturm bedrängt und umklammert. Erst später, als sie erfahrener war, konnte sie ermessen, wie sehr Joffrey dennoch sein eigenes Verlangen gezügelt hatte, um sie völlig zu zähmen.

Ohne daß sie sich dessen bewußt wurde, entkleidete er sie und legte sie auf das Ruhebett. Mit beharrlicher Geduld überwand er ihren Widerstand, preßte er die mählich fügsamer Werdende immer wieder an sich. Bald entzog sie sich, bald schmiegte sie sich ihm an, doch als die Erregung, deren sie nicht Herr zu werden vermochte, ihren Höhepunkt erreicht hatte, trat eine plötzliche Entspannung ein. Angélique war es, als überkäme sie ein Wohlgefühl, in das sich eine köstliche Erregung mischte; sie begab sich ihres Schamgefühls und bot sich willenlos den kühnsten Liebkosungen dar. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich vom Strom der Wollust mitreißen. Sie bäumte sich nicht mehr gegen den Schmerz auf, denn schon verlangte jede Faser ihres Körpers wild nach der Beherrschung durch den Herrn. Als er in sie drang, schrie sie nicht auf, doch ihre Augenlider öffneten sich weit, und die Sterne des Frühlingshimmels spiegelten sich in ihren grünen Augen.

»Schön!« flüsterte Angélique. - Ausgestreckt lag sie auf dem Ruhebett und kam langsam wieder zur Besinnung. Ein weicher indischer Shawl schützte ihren heißen Körper vor dem nächtlichen Windhauch. Sie betrachtete Joffrey, der aufgestanden war und den kühlen Wein in Becher goß. Er mußte lachen.

»Hübsch langsam, mein Herz! Ihr seid zu sehr Neuling, als daß ich mir eine noch längere Unterrichtsstunde erlauben dürfte. Die Zeit für ausgedehntere Genüsse wird schon noch kommen. Trinken wir inzwischen!«

Er stützte ihren schlanken Oberkörper, während sie trank, und sie betonte ihre Abspannung und Müdigkeit, indem sie sich instinktiv kokett und hilfsbedürftig an ihn lehnte. Sie genoß skrupellos das warme Gefühl, das sie in diesem Manne erspürte, der so blasiert und übersättigt hätte sein können und der doch in vollem Maße das Geschenk zu würdigen wußte, das sie ihm dargebracht hatte. Er verbarg jugendliche Glückseligkeit hinter scherzhaften Bemerkungen, aber die feinhörige Angélique fühlte sich jetzt über ihn allmächtig. Sicher würde sie damit keinen Mißbrauch treiben. Sie würde ihn innig lieben, ihm Kinder schenken und unter dem Himmel von Toulouse glücklich mit ihm leben!

Mit den Fingern strich er über die weiße und feste Wölbung ihres Leibes. Sie lächelte und stieß einen langen Seufzer des Wohlbehagens aus. Man hatte ihr immer gesagt, die Männer seien nach der Befriedigung brutal oder gleichgültig. Aber Joffrey war ja nie den andern Männern ähnlich. Er legte sich dicht neben sie auf das Ruhebett, und sie hörte ihn ganz leise lachen.

»Wenn ich mir vorstelle, daß der Erzbischof gerade jetzt vom Turm seines Bischofspalastes auf unser Haus herunterschaut und meinen lockeren Lebenswandel verflucht! Wenn er wüßte, daß ich zu eben dieser Stunde die sträfliche Lust< mit meiner eigenen Frau genieße, deren Ehebund er selbst gesegnet hat!«

»Ihr seid unverbesserlich. Er hat allen Grund, Euch mit seinem Argwohn zu verfolgen. Denn wenn man eine Sache auf zweierlei Weise machen kann, erfindet Ihr eine dritte. So könntet Ihr entweder Ehebruch begehen oder ganz brav Euren ehelichen Pflichten nachkommen. Aber nein, Ihr müßt Eure Hochzeitsnacht so einrichten, daß ich in Euren Armen ein Gefühl von Schuld empfinde!«

»Ein höchst angenehmes Gefühl, nicht wahr?«

»Schweigt! Ihr seid der Teufel in Person!«

»Und Ihr, Angélique, seid eine anbetungswürdige, nackte kleine Nonne! Und ich zweifle nicht, daß meiner Seele zwischen Euren Händen Absolution zuteil wird. Aber wir wollen die Annehmlichkeiten des Lebens nicht bekritteln. So viele andere Völker haben andere Sitten und sind doch nicht weniger großherzig oder glücklich. Nein, Angélique, mein Täubchen, ich empfinde keine Gewissensbisse und gehe nicht zur Beichte .«

An den folgenden Tagen kam Angélique sich vor, als sei sie über Nacht in eine andere Welt versetzt, in eine Welt der Fülle und der zauberhaften Entdeckungen. Ihre Verliebtheit wuchs, ihr Teint nahm einen rosigen Ton an, ihr Lachen bekam etwas Ungezwungenes. Joffrey fand sie jeden Tag gieriger, bereitwilliger, und sie verweigerte sich nicht mehr jäh wie eine junge Diana, wenn er neue Liebesspiele erfand.

Nur allzu ungern kehrte sie nach einer Woche mit Joffrey ins Palais zurück. Sie war bekümmert, daß diese köstlichen Tage ihr Ende fanden. Solche Augenblicke des Glücks erlebte man kein zweites Mal. Niemals, das fühlte Angélique plötzlich ganz klar, niemals würde diese berauschende, von allem Irdischen befreite Zeit wiederkehren.

Gleich am ersten Abend schloß sich Joffrey in sein Laboratorium ein.

Diese Geschäftigkeit empörte Angélique, und sie wälzte sich vergeblich wartend in ihrem großen Bett wütend von einer Seite zur anderen.

»So sind die Männer«, sagte sie sich bitter. »Sie geruhen, einem im Vorbeigehen ein paar Augenblicke zu schenken, aber nichts vermag sie im Grunde zu fesseln als ihre persönlichen Steckenpferde. Für die einen ist es das Spiel, für andere der Krieg. Für Joffrey sind es seine Retorten. Früher hat es mich interessiert, wenn er mir davon sprach, weil er mir dann freundschaftliche Gefühle entgegenzubringen schien, aber jetzt hasse ich dieses Laboratorium.«

Grollend schlief sie schließlich dennoch ein.

Sie erwachte, als der Schein einer Kerze auf sie fiel, und erblickte Joffrey, der sich gerade ausgezogen hatte, neben dem Bett. Sie setzte sich brüsk auf und verschränkte die Arme um die Knie.

»Muß das sein?« fragte sie. »Ich höre schon die Vögel im Garten erwachen. Findet Ihr es nicht besser, Ihr würdet diese so wohl begonnene Nacht vollends in Euerm Laboratorium verbringen und eine dickbäuchige Glasretorte an Euer Herz drücken?«

Er lachte, ohne die geringste Zerknirschung zu bekunden.

»Ich bin untröstlich, Liebste, aber ich war in ein Experiment vertieft, das ich unmöglich im Stich lassen konnte. Wißt Ihr, daß unser gräßlicher Erzbischof gewissermaßen wieder daran schuld ist? Er hat mir ein Ultimatum gestellt, seinem idiotischen Mönch Becher mein Geheimnis zu enthüllen. Und da ich ihn schließlich nicht über meinen spanischen Handel aufklären kann, habe ich beschlossen, Becher nach Salsigne mitzunehmen, wo er der Förderung und der Umwandlung des goldhaltigen Gesteins beiwohnen soll. Vorher werde ich den Sachsen Fritz Hauer zurückbeordern und außerdem einen Boten nach Genf schicken. Bernalli brennt darauf, diese Vorgänge kennenzulernen, und wird bestimmt kommen.«

»Das interessiert mich alles gar nicht«, unterbrach Angélique verstimmt. »Ich will schlafen.«

Sie war sich wohl bewußt, daß sie mit ihren weich über das Gesicht fallenden Haaren und in ihrem Hemdchen, dessen Spitzenvolant über ihren bloßen Arm heruntergeglitten war, sehr viel weniger streng wirkte als ihre Worte.

Er streichelte die zarte, weiße Schulter, aber mit einer raschen Kopfbewegung grub sie ihre spitzen Zähne in seine Hand. Er gab ihr einen Klaps und warf sie in geheucheltem Zorn auf das Bett zurück. Sie kämpften eine kurze Weile, dann unterlag Angélique Joffreys Kraft, die sie jedesmal mit der gleichen Überraschung empfand. Doch ihr Widerstandsgeist war noch nicht erlahmt, und sie wehrte sich gegen die Umklammerung, bis ihr Blut rascher zu kreisen begann. Ein Funke der Wollust entzündete sich in ihrem tiefsten Innern und teilte sich ihrem ganzen Wesen mit. Sie kämpfte weiter, doch sie suchte in keuchender Begier das wunderliche Gefühl zurückzugewinnen, das sie eben verspürt hatte. Ihr Körper fing Feuer. Die Wogen der Lust trugen sie von Gipfel zu Gipfel, in einem Rausch, wie sie ihn noch nie empfunden hatte.

»O Joffrey!« seufzte sie. »Mir ist, als müsse ich sterben. Warum ist es jedesmal wunderbarer?«

»Weil die Liebe eine Kunst ist, in der man sich vervollkommnet, Liebste, und weil Ihr eine wunderbare Schülerin seid.«

Gesättigt suchte sie jetzt den Schlaf, indem sie sich an ihn schmiegte. Wie braun Joffreys Brust zwischen den Spitzen des Hemdes wirkte! Und wie so ganz besonders und berauschend dieser leise Tabakgeruch doch war!

Angélique dachte, daß sie ewig glücklich sein würden ...

Ungefähr zwei Monate danach bewegte sich eine kleine Reitertruppe, der eine Kutsche mit dem Wappen des Grafen Peyrac folgte, auf einer Uferstraße dem kleinen Ort Salsigne im Departement Aude zu.

Angélique, der diese Reise zunächst großes Vergnügen bereitet hatte, begann zu ermüden. Es war sehr heiß und staubig. Und da der wiegende Schritt ihres Pferdes sie zum Nachsinnen veranlaßte, hatte sie zuerst mit einigem Mißfallen den Mönch Conan Becher beobachtet, der auf einem Maultier saß und seine langen, dürren Beine herunterhängen ließ, und sodann über die Folgen des starrköpfigen Grolls des Erzbischofs nachgedacht. Und als schließlich bei dem Gedanken an Salsigne die vierschrötige Gestalt Fritz Hauers vor ihrem geistigen Auge auftauchte, war ihr der Brief ihres Vaters eingefallen, den der Sachse ihr gebracht hatte, nachdem er in Toulouse mit seinem Gepäckwagen, seiner Frau und seinen drei blonden Kindern angekommen war, welch letztere trotz des langen Aufenthalts im Poitou nur einen rauhen deutschen Dialekt sprachen.

Angélique hatte beim Empfang dieses Briefs bittere Tränen vergossen, denn ihr Vater teilte ihr den Tod des alten Wilhelm Lützen mit. Sie war in einen dunklen Winkel gegangen und hatte sich ausgeweint. Selbst Joffrey konnte sie nicht erklären, was sie empfand und warum ihr weh ums Herz wurde, wenn sie sich das alte, bärtige Gesicht mit seinen hellen, strengen Augen vergegenwärtigte, die gleichwohl die kleine Angélique so sanft angeschaut hatten. Doch als am Abend ihr Gatte sie gestreichelt und sanft umschmeichelt hatte, ohne Fragen zu stellen, hatte sich ihr Schmerz ein wenig gemildert. Die Vergangenheit blieb eben Vergangenheit. Aber der Brief des Barons Armand hatte die Vorstellung von kleinen, barfüßigen Geistern mit Haarschöpfen voller Stroh in den eisigen Gängen des Schlosses Monteloup geweckt, in deren Schatten sich im Sommer die Hühner flüchteten.

Der Baron beklagte sich auch. Das Leben war noch immer schwierig, wenn auch jedermann dank dem Maultierhandel und der Großzügigkeit des Grafen Peyrac das Notwendigste hatte. Aber das Land war von einer furchtbaren Hungersnot heimgesucht worden; dies zusammen mit den Verfolgungen der Salzschleichhändler durch die Fiskalbeamten hatte zu einer Revolte der Bewohner des Moorgebiets geführt. Sie waren plötzlich aus ihrem Schilf aufgetaucht, hatten mehrere Marktflecken geplündert, die Abgaben verweigert und Steuereintreiber umgebracht. Man hatte die Soldaten des Königs gegen sie, die sich »wie Aale in den Wassergräben davonmachten«, einsetzen müssen. Es gab viele Gehängte an den Straßenkreuzungen.

Angélique erkannte mit einem Male, was es bedeutete, eines der größten Vermögen der Provinz zu »sein«. Sie hatte diese unterdrückte, von der Angst vor den Steuern und der Zwangseintreibung verfolg-te Welt vergessen. War sie im Glanz ihres Glücks und ihres Luxus nicht sehr egoistisch geworden? Vielleicht hätte sich der Erzbischof weniger querköpfig gezeigt, wenn sie ihn zu umgarnen verstanden und sich seinen mildtätigen Werken gewidmet hätte?

Sie hörte den armen Bernalli stöhnen.

»Oh, diese Straße! Das ist ja schlimmer als unsere Abruzzen! Und Eure schöne Kutsche! Es werden nur Späne von ihr übrigbleiben. Ein wahres Verbrechen!«

»Ich habe Euch ja beschworen, sie zu besteigen«, sagte Angélique. »Dann wäre sie wenigstens zu etwas nütze gewesen.«

Doch der galante Italiener protestierte, nicht ohne sich die schmerzende Hüfte zu reiben.

»Pfui über Euch, Signora! Ein Mann, der dieses Namens würdig ist, kann sich nicht in einer Kutsche breitmachen, während eine junge Dame zu Pferde reist.«

»Eure Skrupel sind altmodisch, mein guter Bernalli. Heutzutage macht man keine solchen Umstände mehr. Ich kenne Euch allmählich gut genug, um zu wissen, daß Ihr nur unsere wippende und Wasser ausschleudernde hydraulische Maschine zu erblicken braucht, um alsbald von Eurer Zerschlagenheit kuriert zu sein.«

Das Gesicht des Gelehrten hellte sich auf.

»Wirklich, Madame, Ihr erinnert Euch meiner Vernarrtheit in jene Wissenschaft, die ich Hydraulik nenne? Euer Gatte hat mich geködert, indem er mir mitteilte, er habe in Salsigne eine Maschine konstruiert, die das Wasser eines in einer tiefen Schlucht fließenden Gebirgsbachs hochpumpt. Mehr brauchte es nicht, um mich wieder auf die Landstraßen zu jagen. Ich frage mich, ob er da nicht das Perpetuum mobile entdeckt hat.«

»Ihr täuscht Euch, mein Lieber«, sagte hinter ihnen die Stimme Joffrey de Peyracs, »es handelt sich lediglich um eine Nachahmung jener Stoßheber, die ich in China gesehen habe und die das Wasser aus einer Tiefe von mehr als hundertfünfzig Klaftern heraufzuschaffen vermögen. Aha, seht dort drüben! Wir sind angelangt.«

Sie hatten das Ufer eines kleinen Gießbachs erreicht und bemerkten in einiger Entfernung eine Art Wippkasten, der sich in beträchtlicher Geschwindigkeit um eine Achse drehte und periodisch in einer schönen Parabel einen Wasserstrahl hochschleuderte. Dieser Wasserstrahl fiel in ein höher liegendes Bassin zurück, dessen Inhalt wiederum durch hölzerne Leitungen sanft abfloß.

Ein künstlicher Regenbogen verlieh dieser Vorrichtung mit seinen irisierenden Farben einen gewissen Nimbus, und Angélique fand den Stoßheber sehr hübsch, während Bernalli enttäuscht schien und vorwurfsvoll erklärte:

»Ihr verliert da neunzehn Zwanzigstel des Bachwassers. Das hat mit dem Perpetuum mobile absolut nichts zu tun!«

»Es kommt mir gar nicht darauf an, Wasser und Kraft zu verlieren«, bemerkte der Graf. »Die Hauptsache ist, daß ich hier oben Wasser habe, und das kleine Quantum genügt mir, um mein zerschrotetes goldhaltiges Gestein zusammenzubacken.«

Der Besuch des Bergwerks wurde auf den folgenden Tag verschoben. Bescheidene, aber ausreichende Unterkünfte waren vom Dorfschulzen vorbereitet worden. Ein Gepäckwagen hatte Betten und Koffer gebracht. Der Graf stellte die Häuser Bernalli, dem Mönch Becher und Andijos zur Verfügung, während er selbst den Schutz eines großen Zeltes mit doppeltem Dach vorzog, das er aus Syrien mitgebracht hatte.

»Ich glaube, wir haben von den Kreuzfahrern die Vorliebe für das Biwakieren geerbt. Ihr werdet sehen, Angélique, daß man bei dieser Hitze und in diesem Land, das das trockenste ganz Frankreichs ist, in einem Zelt besser aufgehoben ist als in einem Bau aus Steinen und gestampfter Erde.«

Tatsächlich genoß sie, als es Abend wurde, die frische Luft, die von den Bergen herabkam. Die hochgeschlagenen Zeltbahnen erlaubten den Blick auf den von der untergehenden Sonne rosig verfärbten Himmel, und vom Ufer des Gebirgsbachs klangen die traurigen und getragenen Lieder der sächsischen Bergleute herüber.

Joffrey de Peyrac schien entgegen seiner Gewohnheit besorgt.

»Ich mag diesen alchimistischen Mönch nicht«, rief er plötzlich heftig aus. »Er wird nicht nur nichts begreifen, sondern alles seiner verschrobenen Mentalität gemäß auslegen. Ich hätte mich lieber noch dem Erzbischof gegenüber erklärt, aber der will einen wissenschaftlichen Zeugen<. Was für ein Witz! Jeder andere wäre besser als dieser Kuttenträger!«

»Immerhin«, protestierte Angélique ein wenig schockiert, »habe ich sagen hören, daß viele hervorragende Wissenschaftler ebenfalls Ordensgeistliche seien.«

Der Graf unterdrückte mühsam eine ärgerliche Geste.

»Ich leugne es nicht, und ich gehe sogar noch weiter. Ich möchte sagen, daß die Kirche jahrhundertelang das kulturelle Erbe der Welt verwaltet hat. Aber augenblicklich verdorrt sie in der Scholastik. Die Wissenschaft ist Erleuchteten ausgeliefert, die bereit sind, in die Augen springende Tatsachen zu leugnen, sobald sie keine theologische Erklärung für ein Phänomen finden, das sich einzig auf natürliche Weise deuten läßt.«

Er verstummte, und während er unvermittelt seine Frau an seine Brust drückte, sprach er einen Satz aus, den sie erst später begreifen sollte:

»Auch Euch habe ich als Zeugen gewählt.«

Am nächsten Morgen fand sich der Sachse Fritz Hauer ein, um die Besucher zum Goldbergwerk zu führen.

Dieses bestand aus einer weiträumigen Ausschachtung am Fuße der Vorberge von Corbières. Ein riesiges, linsenförmiges Terrain von fünfzig Klafter Länge und fünfzehn Klafter Breite war abgetragen, und seine graue Gesteinsmasse hatte man mittels hölzerner und eiserner Keile in kleinere Blöcke zerteilt, die dann auf Karren geladen und zu den Mühlsteinen transportiert wurden.

Hydraulische Stößer erregten Bernallis besondere Aufmerksamkeit.

»Ich habe sie nur den Chinesen nachgemacht, bei denen diese Vorrichtungen, wie man mir dort versicherte, seit drei- oder viertausend Jahren im Gebrauch sind«, erklärte der Graf. »Sie benützen sie vor allem, um den Reis zu schälen, der ihre Hauptnahrung darstellt.«

»Aber wo ist bei all dem das Gold?« bemerkte der Mönch Becher. »Ich sehe da nur ein graues, schweres Pulver, das Eure Arbeiter aus dem zerstoßenen grünen und grauen Gestein gewinnen.«

»Ihr werdet die Erklärung im sächsischen Gießhaus finden.«

Die kleine Gruppe begab sich ein Stück abwärts, wo in einem mauerlosen Schuppen gedeckte Frischfeueröfen installiert waren.

Von jeweils zwei jungen Burschen betätigte Blasebälge erzeugten einen heißen, erstickenden Lufthauch. Zuckende Flammen, die einen scharfen Knoblauchgeruch verbreiteten, sprangen zuweilen aus den geöffneten Mäulern der Öfen und hinterließen eine Art rußigen, schweren Dampfs, der sich in der ganzen Umgebung in Form weißen Schnees niederschlug.

Angélique nahm etwas von diesem Schnee in die Hand und wollte ihn wegen des Knoblauchgeruchs, der sie verwunderte, zum Munde führen, doch ein menschliches Wesen, das wie ein dem Erdinnern entsprungener Berggeist wirkte und eine Lederschürze trug, hinderte sie durch einen heftigen Faustschlag daran. Bevor sie noch reagieren konnte, knurrte der Berggeist auf deutsch:

»Gift, Euer Gnaden.«

Verwirrt trocknete sich Angélique die Hand ab, während der Blick des Mönchs Becher auf ihr ruhte.

»Bei uns«, sagte er leise, »arbeiten die Alchimisten mit einer Maske.«

Doch Joffrey hatte zugehört und schaltete sich ein:

»Bei uns gibt es ja gar keine Alchimie, wenn auch alle diese Ingredienzen weder zum Essen noch zum Berühren da sind. Teilt Ihr regelmäßig Milch an alle Eure Leute aus, Fritz?« fragte er auf deutsch.

»Die sechs Kühe sind schon vor unserer Ankunft hierhergebracht worden, Euer Gnaden.«

»Schön, und vergeßt nicht, daß sie zum Trinken und nicht zum Verkaufen bestimmt ist.«

»Wir haben das nicht nötig, Euer Gnaden, und wir möchten auch so lange wie möglich am Leben bleiben«, sagte der alte, bucklige Werkmeister.

»Kann man erfahren, Herr Graf, was das für eine breiige Schmelzmasse ist, die ich da in diesem Höllenofen sehe?« fragte Becher, indem er sich bekreuzigte.

»Das ist der gleiche schwere, gewaschene und getrocknete Sand, der, wie Ihr beobachtet habt, aus der Grube gewonnen wird.«

»Und dieses graue Pulver enthält nach Eurer Ansicht Gold? Ich habe nicht das geringste Körnchen schimmern sehen, nicht einmal vorhin bei der Prozedur des Waschens.«

»Es handelt sich gleichwohl um goldhaltiges Gestein. Bring mal eine Schaufelvoll, Fritz.«

Der Werkmeister stieß seine Schaufel in einen riesigen Haufen graugrünen, feinkörnigen Sandes von unbestimmbarem, metallischem Aussehen. Vorsichtig nahm Becher eine Probe davon in seine hohle Hand, beschnüffelte sie, schmeckte sie und erklärte, nachdem er sie rasch wieder ausgespien hatte:

»Arsenik. Höchst giftig. Hat aber nichts mit Gold zu tun. Im übrigen kommt das Gold im Kiesel vor und niemals im Felsgestein. Und der Steinbruch, den wir vorhin besichtigt haben, enthält kein Atom Kiesel.«

»Sehr richtig bemerkt, verehrter Kollege«, bestätigte Joffrey de Peyrac und wandte sich zu dem sächsischen Werkmeister.

»Tu dein Blei hinzu, wenn es soweit ist!«

Man mußte sich jedoch noch eine ganze Weile gedulden. Die Masse im Ofen rötete sich mehr und mehr, sie schmolz und brodelte. Die schweren, weißen Dämpfe wallten noch immer und schlugen sich überall, sogar auf der Kleidung, zu einem weißlichen, pulverförmigen Überzug nieder.

Dann, als die Dampfentwicklung nahezu aufhör-te und das Feuer nachließ, führten zwei Sachsen in Lederschürze auf einem Karren mehrere Bleibarren heran und schwangen sie in die breiige Masse.

Das Bad schmolz und beruhigte sich. Der Sachse rührte es mit einer langen grünen Stange.

Blasen stiegen auf, dann bildete sich Schaum. Fritz Hauer schäumte mehrmals mit riesigen Sieben und eisernen Tiegelhaken ab und rührte weiter. Schließlich beugte er sich über eine Öffnung, die unten am Rührfaß angebracht war. Er zog den Steingutstöpsel heraus, und ein silbriger Strahl begann in die vorher bereitgestellten Gießflaschen zu strömen.

Der Mönch trat neugierig näher und sagte dann:

»Alles das ist nichts anderes als Blei.«

»Wir sind noch immer einer Ansicht«, bestätigte Graf Peyrac.

Doch plötzlich stieß der Mönch einen durchdringenden Schrei aus: »Ich sehe die drei Farben!«

Er keuchte und deutete auf das beim Erkalten der Masse sich vollziehende Farbenspiel.

Seine Hände zitterten, und er flüsterte:

»Das Große Werk, ich habe das Große Werk gesehen!«

»Er schnappt über, der gute Mönch«, bemerkte Andijos respektlos.

Mit nachsichtigem Lächeln erklärte Joffrey de Pey-rac:

»Die Alchimisten messen dem Auftreten der >drei Farben< bei der Gewinnung des Steins der Weisen und der Transmutation der Metalle großen Wert bei. Dabei ist es ein Phänomen ohne sonderliche Bedeutung, demjenigen des Regenbogens nach dem Regen verwandt.«

Doch ungeachtet seiner Worte fiel der Mönch vor dem Gatten Angéliques auf die Knie und dankte ihm stammelnd dafür, daß er ihn an diesem großen Augenblick habe teilnehmen lassen.

Verärgert über diese lächerliche Kundgebung sagte der Graf trocken:

»Erhebt Euch, Vater. Ihr habt ja eigentlich noch gar nichts gesehen, und Ihr werdet Euch selbst davon überzeugen können. Hier gibt es keinen Stein der Weisen, und ich bedaure das um Euretwillen.«

Fritz Hauer verfolgte die Szene mit einem unwilligen Ausdruck auf seinem seltsamen, von Staub und Gesteinssplittern verfärbten Gesicht.

»Soll ich das Blei vor diesen Herrschaften kupellie-ren?«

»Tu, als ob ich allein hier wäre.«

Angélique sah, wie der noch warme Barren mittels nasser Tücher auf einen Karren gehoben wurde. Man fuhr ihn zu einem kleinen, bereits rotglühenden Ofen.

Die Mauersteine des zentralen Hohlraums waren sehr weiß, leicht und porös. Sie wurden aus den Knochen von Tieren hergestellt, deren in der Nachbarschaft aufgestapelte Kadaver einen furchtbaren Gestank verbreiteten. Zusammen mit dem Knoblauch- und Schwefelgeruch benahm er einem den Atem.

Der von Hitze und Erregung gerötete Mönch erblaßte, als er den Kadaverhaufen bemerkte und begann sich zu bekreuzigen und Teufelsbeschwörungen zu murmeln.

Der Graf mußte lachen und sagte zu Bernalli:

»Seht Euch die Wirkung unserer Arbeiten auf diesen modernen Gelehrten an! Wenn ich daran denke, daß schon zu Zeiten der Römer und Griechen das Kupellieren auf Knochenasche ein Kinderspiel war!«

Doch Becher entzog sich dem beängstigenden Schauspiel nicht. Während er fortfuhr, die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger laufen zu lassen, wich sein Blick nicht von den Vorbereitungen des alten Sachsen und seiner Gehilfen. Einer von ihnen schüttete glühende Kohlen in den Feuerkessel. Der andere betätigte mit dem Fuß einen Blasebalg, während das Blei schlagartig zu schmelzen begann und sich im runden Hohlraum des Schmelzofens sammelte.

Auf ein Zeichen des Werkmeisters erschien ein junger Bursche mit einem Blasebalg, dessen Ende in einem Rohr aus Asbest steckte. Er legte diese Spitze auf den Rand des Behälters und blies kalte Luft auf die dunkelrote Oberfläche des geschmolzenen Bleis.

Mit einem pfeifenden Geräusch hellte sich der Fleck, an dem der Luftstrom das flüssige Metall traf, auf, das Leuchten wurde immer intensiver, ging in strahlendes Weiß über und breitete sich auf die ganze Metallmasse aus.

Rasch entfernten die jungen Gehilfen jetzt die Glut unter dem Ofen. Auch der Luftstrom wurde unterbrochen.

Der Kupellierungsprozeß ging allein vor sich: das Metall brodelte und glitzerte. Von Zeit zu Zeit überzog es sich mit einem dunklen Schleier. Dann zerriß dieser Schleier unter Bildung dunkler Flecke, die auf der Oberfläche der leuchtenden Flüssigkeit tanzten, und wenn eine dieser schwimmenden Inseln an den Rand des Beckens gelangte, wurde sie wie durch Zauberkraft von den Mauersteinen aufgesogen, und die Oberfläche erschien klarer und heller denn je zuvor.

Zu gleicher Zeit schmolz das mondsichelförmige Metall zusehends zusammen, schrumpfte zur Gestalt eines großen Krapfens, wurde dunkler und entzündete sich in einem plötzlichen Aufblitzen. In seinem Licht sah Angélique deutlich, daß der Metallrest heftig zitterte, um schließlich zu erstarren und ganz dunkel zu werden.

»Das ist das von Vulpius beschriebene Phänomen des Aufblitzens«, sagte Bernalli. »Ich bin sehr glücklich, daß ich einem metallurgischen Vorgang beiwohnen konnte, den ich bisher nur aus Büchern kannte.«

Der Alchimist schwieg. Sein Blick war abwesend und ziellos.

Indessen ergriff Hauer den Klumpen mit einer Zange, tauchte ihn ins Wasser und reichte ihn seinem Herrn, gelb und glänzend.

»Reines Gold«, murmelte der Mönch respektvoll.

»Gleichwohl ist es nicht völlig rein«, sagte Peyrac, »sonst hätten wir nicht das Phänomen des Aufblitzens beobachtet, das das Zeichen für Silberbeimischung ist.«

Nachdem der Mönch sich von seinem Staunen erholt hatte, fragte er, ob er eine Probe dieses Produktes haben könne, um sie seinem Wohltäter, dem Erzbischof, zu übergeben.

»Bringt ihm ruhig diesen Klumpen rohen Goldes aus dem Schoß unserer Corbières-Berge mit«, sagte Graf Peyrac, »und erklärt ihm, daß dieses Gold aus einem Gestein kommt, das schon welches enthält, und daß es an ihm liegt, auf seinem Grund die eine oder andere Lagerung zu entdecken, die ihn reich machen wird.«

Conan Becher wickelte den Klumpen, der mindestens zwei Pfund wog, sorgfältig in ein Taschentuch und erwiderte nichts.

Die Heimreise wurde durch einen Zwischenfall unterbrochen, der scheinbar unbedeutend war, in der Folgezeit jedoch eine gewisse Rolle im Leben Angéliques und ihres Gatten spielen sollte.

Auf halbem Wege nach Toulouse, am zweiten Reisetag, begann die Stute, auf der Angélique ritt, zu lahmen, da sie sich an einem Kieselstein der Straße verletzt hatte. Es gab kein Ersatzpferd, falls man nicht eines von der Kutsche nehmen wollte, die mit vieren bespannt war; aber Angélique mochte keins der derben Zugtiere besteigen. So suchte sie in der Kutsche Zuflucht, in der Bernalli bereits Platz genommen hat-te. Sie wußte, welch kümmerlicher Reiter er war, und bewunderte um so mehr, daß er so lange Reisen unternahm, um einen Stoßheber zu betrachten oder über die Schwerkraft der Körper zu diskutieren. Überdies war der aus verschiedenen Ländern verbannte Italiener arm und reiste ohne Diener auf gemieteten Pferden. Trotz der schaukelnden Bewegung des Wagens war er entzückt über das, was er einen »bemerkenswerten Komfort« nannte, und als Angélique ihn lachend um ein Plätzchen bat, zog er verwirrt seine Beine zurück, die er unter der Bank ausgestreckt hatte.

Der Graf und Bernard d’Andijos ritten eine Weile neben der Kutsche her, aber als die Straße eng wurde, mußten sie, vor allem wegen des von der Equipage aufgewirbelten Staubs, etwas zurückbleiben. Zwei berittene Diener zogen dieser voraus.

Die Straße wurde immer enger und gewundener. Am Ausgang einer scharfen Biegung blieb die Kutsche knarrend stehen, und ihre Insassen sahen eine Gruppe von Reitern vor sich, die ihnen den Weg zu versperren schien. »Beunruhigt Euch nicht, Madame«, sagte Bernalli, während er zum Fenster hinausschaute. »Es sind nur die Lakaien einer andern Kalesche, die aus der entgegengesetzten Richtung kommt.«

»Aber wir können doch auf dieser schmalen Straße nicht ausweichen!« rief Angélique aus.

Vorn erhob sich Gelärm, da sich die Diener der beiden Parteien einander ausgiebig beschimpften. Die Neuhinzugekommenen verlangten in herausforderndem Ton, die Kutsche von Madame de Peyrac solle zurückfahren, und um deutlich zu machen, daß sie des Rechts auf Vorfahrt sicher seien, begann einer der Lakaien heftige Peitschenhiebe auszuteilen, die wahllos die Leute der Gegenpartei und die Pferde des Gespanns trafen. Die Tiere bäumten sich, der Wagen schwankte, und Angélique hatte das Gefühl, in den Abgrund gerissen zu werden. Sie stieß einen Schrei aus.

Inzwischen war Joffrey de Peyrac auf dem Schauplatz erschienen. Mit zorniger Miene ritt er auf den Mann mit der Peitsche zu und schlug ihm mit seiner Reitgerte mitten ins Gesicht. In diesem Augenblick kam der zweite Wagen an und blieb mit knirschender Bremse stehen. Ihm entstieg ein beleibter, apoplekti-scher Mann, der in ein Spitzen- und Bänderjabot gezwängt und mit ebensoviel Puder wie Staub bedeckt war. Er fuchtelte mit einem Stock durch die Luft, um den eine Seidenrosette befestigt war, und schrie:

»Man wagt es, meine Leute zu schlagen! Wißt Ihr nicht, Ihr Tölpel von einem Reiter, daß Ihr es mit dem Präsidenten des Parlaments von Toulouse zu tun habt, Baron Masseneau, Grundherrn von Pouillac und andern Besitzungen? Ich fordere Euch auf, Euch davonzumachen und uns vorbeifahren zu lassen.«

Der Graf wandte sich um und grüßte den Ankömmling übertrieben ehrerbietig.

»Sehr erfreut, mein Herr. Seid Ihr verwandt mit einem Sieur Masseneau, einem Notariatsschreiber, von dem man mir erzählt hat?«

»Monsieur de Peyrac!« rief der andere ein wenig verlegen aus. Doch sein von der Mittagssonne zusätzlich angefachter Zorn legte sich deswegen noch lange nicht, und sein Gesicht verfärbte sich violett.

»Damit Ihr Bescheid wißt, möchte ich bemerken, daß mein Adel nicht minder verbrieft ist als der Eurige, Graf! Ich könnte Euch das Diplom der Königlichen Kammer zeigen, das meine Erhebung in den Adelsstand bestätigt.«

»Ich vertraue Euch, Messire Masseneau. Der Staat stöhnt noch darüber, daß er Euch so hoch erhoben hat.«

»Ich verlange, daß Ihr mir über diese Anspielung Rechenschaft gebt. Was habt Ihr mir vorzuwerfen?«

»Findet Ihr nicht, daß dies ein schlecht gewählter Ort für eine solche Unterhaltung ist?« fragte Joffrey de Peyrac, der alle Mühe hatte, sein Pferd zu bändigen, das durch die Hitze und den dicken, roten Mann, der da vor ihm mit einem Stock in der Hand gestikulierte, unruhig geworden war. Doch Baron Masseneau gab sich nicht geschlagen.

»Es steht Euch nicht eben wohl an, vom Staat zu reden, Herr Graf! Denn Ihr geruht ja nicht einmal mehr zu den Versammlungen des Parlaments zu erscheinen.«

»Ich interessiere mich nicht mehr für ein Parlament ohne Autorität. Ich würde dort nur Arrivierten und Emporkömmlingen begegnen, die danach gieren, von Monsieur Fouquet oder Kardinal Mazarin ihre Adelstitel zu kaufen, indem sie gleichzeitig die letzten Sonderfreiheiten des Languedoc hingeben.«

»Monsieur, ich bin einer der höchsten Beamten der Justiz des Königs. Das Languedoc ist seit langem ein Bestandteil des Staats und mit der Krone verbunden. Es ist unschicklich, in meiner Gegenwart von Sonderfreiheiten zu reden.«

»Es ist im Interesse des Wortes Freiheit selbst unschicklich, es in Eurer Gegenwart auszusprechen. Ihr seid unfähig, seinen Sinn zu erfassen. Ihr taugt nur dazu, von den Zuwendungen des Königs zu leben. Das ist es, was Ihr ihm dienen nennt.«

»Das ist immerhin eine Weise, während Ihr ...«

»Ich verlange nichts von ihm, aber ich schicke ihm ohne jeden Verzug die Steuern meiner Leute, und ich bezahle sie ihm in gutem, reinem Gold, das ich aus meinem Boden gezogen oder durch meinen Handel verdient habe. Wißt Ihr, Monsieur Masseneau, daß ich bei der Million Livres, die das Languedoc auf bringt, mit einem Viertel beteiligt bin? Dies den viertausendfünfhundert Edelleuten und elftausend Bürgerlichen der Provinz zur Kenntnisnahme.«

Der Parlamentspräsident hatte sich nur eins gemerkt.

»Durch Handel verdienen!« rief er in entrüstetem Tone aus. »Es stimmt also, daß Ihr Handel treibt?«

»Ich treibe Handel und produziere. Und ich bin stolz darauf. Denn es liegt mir nicht, dem König die Hand hinzuhalten.«

»Oh, Ihr spielt den Stolzen, Monsieur de Peyrac. Aber macht Euch das eine klar: das Bürgertum und der junge Adel sind es, die die Zukunft und die Stärke des Königreichs darstellen.«

»Ich bin entzückt darüber«, sagte der Graf, der wieder zu seinem ironischen Ton zurückfand. »Möge der neue Adel also zeigen, was sich gehört, indem er die Höflichkeit hat, sich zu entfernen, um die Kutsche vorbeizulassen, in der Madame de Peyrac ungeduldig wartet.«

Doch der neue Baron stampfte eigensinnig in den Staub und den Pferdemist.

»Es besteht keinerlei Veranlassung, daß ich mich als erster zurückziehe. Ich wiederhole, daß mein Adel dem Euren ebenbürtig ist.«

»Aber ich bin reicher als Ihr, einfältiger Affe«, donnerte Joffrey. »Und da bei den Bürgerlichen einzig das Geld zählt, zieht Euch zurück, Monsieur Masseneau, laßt das Vermögen vorbei.«

Er galoppierte drauflos und sprengte die Diener des Beamten auseinander. Dieser hatte eben noch Zeit, zur Seite zu weichen, um der anrollenden Kutsche mit dem Wappen des Grafen zu entrinnen. Der Kutscher, der nur auf ein Zeichen seines Herrn gewartet hatte, war glücklich, über das Bedientenpack eines gemeinen Bürgers zu triumphieren.

Im Vorbeifahren sah Angélique einen kurzen Augenblick das puterrote Gesicht des Sieur Masse-neau, der, seinen bebänderten Stock schwingend, schrie:

»Ich werde einen Bericht machen ... Ich werde zwei Berichte machen . Monseigneur d’Orléans, der Statthalter des Languedoc, wird in Kenntnis gesetzt

werden ... und der Ministerrat des Königs dazu.«

Eines Morgens, als Angélique mit ihrem Gatten die Bibliothek des Palastes betrat, entdeckte sie Clément Tonnel, den Haushofmeister, der damit beschäftigt war, auf Wachstafeln Büchertitel zu notieren. Er schien verlegen und suchte Tafeln und Stift zu verbergen.

»Naseweiser Bursche, Ihr scheint Euch wahrhaftig für das Latein zu interessieren!« rief der Graf mehr überrascht als verärgert aus.

»Ich habe immer etwas für die Gelehrsamkeit übrig gehabt, Herr Graf. Mein Ehrgeiz war es, Notariatsschreiber zu werden, und es bedeutet eine große Freude für mich, dem Hause nicht nur eines großen Herrn, sondern auch eines ausgezeichneten Gelehrten anzugehören.«

»Es sind wohl kaum meine alchimistischen Bücher, die Euch über rechtliche Dinge zu belehren vermögen«, sagte Joffrey stirnrunzelnd, denn die verschlagene Art des Bedienten hatte ihm nie gefallen. Als einzigen von allen seinen Leuten duzte er ihn nicht.

Nachdem Tonnel sich entfernt hatte, sagte Angélique nachdenklich:

»Ich kann mich über die Dienste dieses Clément nicht beklagen, aber ich weiß nicht, weshalb mich seine Anwesenheit zunehmend bedrückt. Wenn ich ihn anschaue, habe ich das Gefühl, daß er mich an etwas Unangenehmes erinnert; und doch habe ich ihn aus dem Poitou mitgebracht.«

»Pah!« machte Joffrey, indem er mit den Schultern zuckte. »Es fehlt ihm ein wenig an Diskretion, aber solange ihn seine Wißbegierde nicht dazu verführt, in meinem Laboratorium herumzuschnüffeln . Im übrigen wird mein Mohr schon aufpassen. Clément muß der Sohn von Bauern oder sehr kleinen Handwerkern und mit der Absicht in Dienst gegangen sein, voranzukommen und sich zu bilden. Für einen beweglichen und aufgeschlossenen Geist gibt es kein besseres Mittel, die Umgangsformen der Großen kennenzulernen.«

Trotz dieser Worte fühlte sich Angélique auch weiterhin unerklärlich beunruhigt. Oftmals im Lauf des Tages drängte sich das pockennarbige Gesicht des Haushofmeisters in ihre Gedanken. Und doch war dieser Mann das einzige Stück »Heimat« in Languedoc, ein vorzüglich geschulter Diener, der sich nie einen Tadel zugezogen hatte. Er war zurückhaltend und ziemlich still, aber das Hausgesinde fürchtete ihn. Man erkannte seine Erfahrung und seine Fähigkeiten an, und immer gab es einen Schwarm junger Burschen, die als Küchenjungen in das Palais des Grafen Peyrac aufgenommen werden wollten, um unter der Leitung Clément Tonnels ihre Lehrzeit durchzumachen. Indessen mochte man ihn nicht, und das war verständlich, denn er stammte aus einer andern Gegend und hatte ein steifes Wesen.

Kurze Zeit danach erbat er Urlaub, um zur Regelung von Erbschaftsangelegenheiten nach Niort zurückzukehren. »Er hört offenbar nie auf zu erben«, dachte Angélique. Sie erinnerte sich, daß er schon einmal aus dem gleichen Grunde eine Stelle hatte verlassen müssen. Meister Clément versprach, im kommenden Monat zurück zu sein, aber als sie ihn sorgfältig das Gepäck auf seinem Pferd verschnüren sah, überkam Angélique eine Ahnung, daß sie ihn nicht so bald wiedersehen würde. Ihre Absicht, ihm einen Brief für ihre Familie anzuvertrauen, gab sie im letzten Augenblick auf.

Als er abgereist war, wurde sie plötzlich von dem unerklärlichen Verlangen erfaßt, Monteloup und das Heimatland wiederzusehen. Dabei sehnte sie sich nicht einmal so sehr nach ihrem Vater. Obzwar sie sehr glücklich geworden war, grollte sie ihm immer noch ein wenig wegen der Art, in der er sie verheiratet hatte. Ihre Brüder und Schwestern waren in alle Winde verstreut. Der alte Wilhelm war tot, und den Briefen, die sie bekam, entnahm sie, daß die Tanten zänkisch und kindisch und die Amme immer despotischer wurden. Ihre Gedanken wanderten kurz zu Nicolas, aber Nicolas war nach ihrer Hochzeit aus der Gegend verschwunden.

Angélique ging ihrem Wunsch auf den Grund und wurde sich bewußt, daß nur der Gedanke sie in die Heimat trieb, Schloß Plessis aufzusuchen und festzustellen, ob sich das berüchtigte Giftkästchen noch in seinem Versteck befand. Eigentlich bestand kein Grund, warum es nicht mehr dort sein sollte.

Es war höchstens zu entdecken, wenn man das Schloß abtrug. Wie kam es, daß diese alte Geschichte sie plötzlich so beschäftigte? Die damaligen Rivalitäten lagen weit zurück. Kardinal Mazarin, der König und sein jüngerer Bruder waren noch am Leben. Monsieur Fouquet war zu Macht und Ehren gekommen, ohne ein Verbrechen begehen zu müssen. Und wurde nicht von einer Rückkehr des Fürsten Condé in Gnaden gesprochen?

Sie schüttelte ihre Bedenken ab und gewann bald ihre Ruhe zurück.

Im Hause Angéliques wie im ganzen Königreich herrschte eitel Freude. Und der Erzbischof von Toulouse, der für den Augenblick wichtigere Sorgen hatte, hörte für eine Weile auf, seinen Rivalen, den Grafen Peyrac, argwöhnisch zu bespitzeln. Seine Eminenz war nämlich zugleich mit dem Erzbischof von Bayonne eingeladen worden, Mazarin auf seiner Reise nach den Pyrenäen zu begleiten.

Ganz Frankreich erzählte sich die Neuigkeit: Mit einem Aufgebot an Gefolge, als wolle er die Welt aus den Angeln heben, begab sich der Herr Kardinal auf eine Insel des Flusses Bidassoa im Baskenland, um dort mit den Spaniern den Frieden auszuhandeln. Es würde also vorbei sein mit dem ewigen Krieg, der alljährlich zusammen mit den Frühlingsblumen wiederauflebte. Doch mehr noch als diese so ersehnte Nachricht erfüllte ein unglaubliches Projekt auch den bescheidensten Handwerker des Königreichs mit Genugtuung. Als Friedenspfand bot das stolze Spanien dem jungen König von Frankreich seine Infantin als Gattin an. So warf sich, allem Groll und allen neidischen Blicken zum Trotz, beiderseits der Pyrenäen jedermann in die Brust, denn im damaligen Europa, zwischen dem im Aufruhr befindlichen England, den winzigen deutschen und italienischen Fürstentümern und jenen bürgerlichen Völkern, die man »die Seeleute« nannte: Flamen und Holländer, waren allein diese beiden Fürsten einander würdig.

Welchen anderen König konnte man schon für die Infantin ausersehen, die einzige Tochter Philipps IV., das reine Idol mit der perlmutterglänzenden Haut, die im Schatten düster-prunkvoller Paläste aufgewachsen war?

Und welche andere Prinzessin bot diesem jungen, fünfzehnjährigen Prinzen, der Hoffnung einer der größten Nationen, so viele Garantien für Adel und sonstige Vorzüge?

Seit Jahren hatte Monsieur de Lionne, der Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, in wachsender Verlegenheit die Porträts sämtlicher heiratsfähiger Prinzessinnen der Christenheit geprüft. Eine Zeitlang hatte die Große Mademoiselle in Frage gestanden, die sechs Jahre ältere Kusine des Königs, das einzige wirklich reiche Mädchen der Familie. Doch durch den Kanonenschuß, den die enragier-te Fronde-Anhängerin auf die königlichen Truppen abfeuern ließ, hatte dieses schöne Projekt einiges an Glanz eingebüßt.

Dann sprach man von Margarete von Savoyen, und der Hof machte sich nach Lyon auf den Weg. Doch während man dort tanzte und sich allmählich zu erwärmen begann, erschien ein anonymer Bote an einer Geheimtür; er wurde von Monsieur Colbert, dem Intendanten des Kardinals, in einem Winkel empfangen und durch dunkle Gänge in ein abgelegenes Kabinett geführt. Dort gesellte sich der Kardinal hinzu, und es wurde lange geflüstert. Dann kehrte Mazarin zur Königin Anna von Österreich unter die funkelnden Lüster zurück und flüsterte ihr zwischen zwei Gängen zu:

»Die Infantin gehört uns. Wir haben hier nichts mehr zu suchen.«

Natürlich kommentierten die Provinzhöfe diese Ereignisse mit Leidenschaft, und die Damen von Toulouse sagten, der König weine heimlich sehr viel, denn er sei unsterblich in eine kleine Kindheitsfreundin verliebt, die braune Marie Mancini, Nichte des Kardinals. Doch die Staatsraison ließ nicht mit sich spaßen. Bei dieser Gelegenheit bewies der Kardinal auf schlagende Weise, daß der Ruhm seines königlichen Zöglings und das Wohl des Königreichs vor allem anderen den Vorrang hatten.

Er wollte den Frieden als Krönung der Intrigen, die seine geschickten italienischen Hände seit Jahren spannen. Seine Familie wurde unbarmherzig beiseite geschoben. Ludwig XIV. würde die Infantin heiraten.

So näherte sich der Kardinal mit acht Kutschen für seine eigene Person, zehn Wagen für sein Gepäck, vierundzwanzig Maultieren, hundertfünfzig livrierten Dienern, hundert Reitern und zweihundert Fußsoldaten den smaragdgrünen Ufern von Saint-Jean-de-Luz. Unterwegs forderte er die Erzbischöfe von Bayonne und Toulouse mit ihrem gesamten Gefolge an, um die pompöse Wirkung der Abordnung zu steigern. Währenddessen überquerte auf der andern Seite des Gebirges Don Luis de Haro, der Vertreter

Seiner Allerchristlichsten Majestät, der so großem Aufwand nur stolze Schlichtheit entgegensetzte, das Hochplateau von Kastilien; er führte in seinen Truhen lediglich Wandteppiche mit sich, deren Szenen jedermann an den Ruhm des alten Königreichs Karls V. erinnern sollten.

Niemand hatte es eilig, denn keiner der beiden wollte als erster ankommen und sich der Demütigung aussetzen, auf den andern warten zu müssen. Zuletzt trottete man Meter für Meter dahin, und durch ein wahres Wunder der Etikette erreichten der Italiener und der Spanier am selben Tage, zur selben Stunde die Ufer der Bidassoa. Darauf verging die Zeit in Unentschlossenheit. Wer würde als erster den Kahn zu Wasser lassen, um zur kleinen Fasaneninsel in der Mitte des Stroms überzusetzen, wo die Begegnung stattfinden sollte? Jeder fand die Lösung, die seinen Stolz schonte. Der Kardinal und Don Luis ließen einander gleichzeitig mitteilen, sie seien krank. Da die List infolge zu großer Übereinstimmung fehlgeschlagen war, mußte man hübsch abwarten, bis die »Krankheiten« sich ausgetobt hatten, doch fürs erste wollte keiner gesunden.

Die Welt wurde ungehalten. Würde es zum Frieden kommen? Würde es zur Heirat kommen? Die geringste Geste wurde mit ausführlichen Kommentaren gewürdigt.

In Toulouse verfolgte Angélique die Dinge nur aus der Ferne. Sie war über ein persönliches Ereignis freudig erregt, das ihr viel wichtiger erschien als die Heirat des Königs.

Da ihr Verhältnis zu Joffrey von Tag zu Tag inniger wurde, war der glühende Wunsch in ihr aufgekeimt, ein Kind zu bekommen. Erst dann, so wollte ihr scheinen, würde sie wirklich seine Frau sein. Er mochte ihr immer wieder versichern, seine Liebe sei noch nie so weit gegangen, daß er einer Frau sein Laboratorium gezeigt und ihr von Mathematik geredet habe - sie blieb skeptisch und bekam nachträgliche Eifersuchtsanfälle, die ihn zum Lachen brachten und ihn insgeheim beglückten.

Sie wußte jetzt, welche Sensibilität sich hinter diesem anscheinend so verwegenen Charakter verbarg, sie ermaß die Kraft, die er aufgeboten hatte, um mit seiner Häßlichkeit und seinem Gebrechen fertig zu werden. Es kam ihr vor, als hätte sie ihn nicht so leidenschaftlich zu lieben vermocht, wäre er schön und unverwundbar gewesen. Sie wollte ihm ein Kind schenken, um ihn glücklich zu machen. Doch die Zeit verging, und sie begann schon zu fürchten, sie könne unfruchtbar sein.

Als sie sich schließlich zu Beginn des Winters 1658 schwanger fühlte, weinte sie vor Glück.

Joffrey verbarg seine Begeisterung und seinen Stolz nicht. In jenem Winter, da man sich in die Vorbereitungen der noch gar nicht feststehenden königlichen Hochzeit stürzte, zu der alle Edelleute der Provinz zu reisen hofften, war das Leben sehr still im Palais von Toulouse. Graf Peyrac teilte seine Zeit zwischen seinen Studien und seiner jungen Frau und gab die großzügige Geselligkeit auf, die er bis dahin in seinem Heim gepflegt hatte. Nebenbei und ohne Angélique etwas davon zu sagen, nützte er die Abwesenheit des Erzbischofs, um zur großen Befriedigung eines Teils der Ratsherrn und der Bevölkerung das öffentliche Leben von Toulouse wieder in die Hand zu nehmen.

Für die Niederkunft begab sich Angélique auf ein kleines Schloß, das der Graf im Béarn besaß, auf den Ausläufern der Pyrenäen, wo es kühler war als in der Stadt.

Natürlich diskutierten die zukünftigen Eltern im voraus viel über den Vornamen, den man diesem Sohn, dem Erben der Grafen von Toulouse, geben würde. Joffrey wollte ihn Cantor nennen - nach dem berühmten Troubadour des Languedoc, Cantor de Marmont, aber da er mitten in der Festzeit auf die Welt kam, als die Blumenspiele in Toulouse stattfanden, bekam er den Namen Florimond.

Es war ein brauner, kleiner Bursche mit dichtem, schwarzem Haar. Ein paar Tage lang trug Angélique ihm die Ängste und Schmerzen der Niederkunft nach. Die Hebamme versicherte ihr jedoch, für einen Erstling sei die Sache sehr gut vonstatten gegangen. Aber Angélique war selten krank gewesen, und körperlicher Schmerz war ihr unbekannt. Im Verlauf der langen Stunden des Wartens hatte sie das Gefühl empfunden, ganz allmählich von dieser elementaren Qual überwältigt zu werden, und ihr Stolz bäumte sich dagegen auf. Sie war allein auf einem Wege, auf dem weder Liebe noch Freundschaft ihr helfen konnte, beherrscht von dem unbekannten Kind, das sie schon völlig in Anspruch nahm. Die Gesichter, die sie umgaben, wurden ihr fremd.

Diese Stunden waren für sie der Vorgeschmack jener bitteren Einsamkeit, der sie eines Tages gegenüberstehen sollte. Sie wußte es nicht, aber ihr ganzes Wesen wurde von einer Vorahnung erfaßt, und während vierundzwanzig Stunden beunruhigte sich Joffrey über ihre Blässe, ihre Verschlossenheit und ihr gezwungenes Lächeln.

Dann, am Abend des dritten Tages, als Angélique sich neugierig über die Wiege beugte, in der ihr Sohn schlief, erblickte sie ein Gesicht mit ausgeprägten Zügen, wie es ihr zuweilen das nicht verunstaltete Profil Joffreys offenbart hatte. Sie glaubte zu sehen, wie ein grausamer Säbel auf dieses Engelsgesichtchen niederfuhr, wie der zarte Körper aus einem Fenster geschleudert wurde und im Schnee zerschellte.

Die Vision war so deutlich, daß sie vor Entsetzen aufschrie. Sie nahm das Neugeborene und preßte es krampfhaft an sich. Ihre Brüste schmerzten, denn die Milch stieg, und die Hebamme hatte sie eng geschnürt. Die vornehmen Damen stillten ihre Kinder nicht. Eine junge Amme sollte Florimond in ihre Berge mitnehmen, wo er die ersten Jahre seines Daseins verbringen würde.

Doch als die Hebamme an jenem Abend das Zimmer der Wöchnerin wieder betrat, hob sie entsetzt die Arme gen Himmel, denn Florimond lag vergnügt an der Brust seiner eigenen Mutter.

»Madame, Ihr seid nicht bei Trost! Was soll nun mit Eurer Milch geschehen? Ihr werdet Fieber bekommen und eine verhärtete Brust.«

»Ich werde ihn selbst nähren«, erklärte Angélique entschlossen. »Ich will nicht, daß man ihn aus einem Fenster wirft!«

Man sprach mit Entrüstung über diese Edelfrau, die sich wie eine Bäuerin benahm. Schließlich einigte man sich dahin, daß die Amme trotzdem im Hause der Gräfin Peyrac blieb, um das Stillen Florimonds, der sich als überaus gierig erwies, zu ergänzen.

Als die Milchfrage noch sämtliche Gemüter des zum Schloß gehörenden Dorfs beschäftigte, erschien plötzlich Bernard d’Andijos auf der Bildfläche. Graf Peyrac hatte ihn zum ersten Kavalier seines Hauses ernannt und nach Paris geschickt, um dort sein Palais für einen Besuch vorzubereiten, den er der Hauptstadt abzustatten gedachte.

Zurückgekehrt, war Andijos sofort nach Toulouse geeilt, um den abwesenden Grafen bei den Festlichkeiten der Blumenspiele zu vertreten. Jedenfalls erwartete man ihn nicht im Béarn.

Nun war er gekommen und schien sehr erregt. Nachdem er die Zügel seines Pferdes einem Lakaien zugeworfen hatte, sprang er, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und brach in Angéliques Zimmer ein. Diese lag in ihrem Bett, während Joffrey am Fenster saß und summend auf seiner Gitarre zupfte. Da der Abend kühl war, hatte man Feuer im Kamin gemacht. Die Amme, die auf den Fliesen neben dem Korb des Säuglings hockte, rollte Gazebinden auf, mit denen sie später den Neugeborenen so fest wie einen Dreikönigskuchen wickeln würde.

Andijos hatte für das stimmungsvolle Familiengemälde keinen Blick übrig. »Der König kommt!« rief er atemlos.

»Wohin denn?«

»Zu Euch, ins Palais, nach Toulouse ...!«

Dann ließ er sich in einen Sessel fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Nun«, sagte Joffrey, nachdem er auf seiner Gitarre eine kleine Weise gespielt hatte, um ihn zu Atem kommen zu lassen, »laßt uns nicht den Kopf verlieren. Man hat mir wohl berichtet, der König, seine Mutter und der Hof hätten sich auf den Weg gemacht, um den Kardinal in Saint-Jean-de-Luz zu treffen, aber weshalb sollten sie über Toulouse reisen?«

»Das ist eine lange Geschichte! Es scheint, als hätten Don Luis de Haro und Mazarin vor lauter Höflichkeitsbezeigungen noch gar nicht das Thema der Heirat angeschnitten. Im übrigen wird die Atmosphäre, wie man sagt, immer gespannter. Man kann sich in der Angelegenheit des Fürsten Condé nicht einig werden. Spanien wünscht, daß man ihn mit offenen Armen empfängt und daß man nicht nur die Verrätereien der Fronde vergißt, sondern auch die Tatsache, daß dieser Fürst aus französischem Geblüt jahrelang spanischer General war. Die Pille ist bitter und schwer zu schlucken. Das Erscheinen des Königs wäre unter diesen Umständen grotesk. Mazarin hat zur Reise geraten. Man reist. Der Hof begibt sich nach Aix, wo die Gegenwart des Königs zweifellos die Revolte dämpfen wird, die kürzlich dort ausgebrochen ist. Aber diese ganze schöne Gesellschaft kommt durch Toulouse. Und Ihr seid nicht dort! Und der Erzbischof ist nicht dort! Die Ratsherrn sind völlig kopflos!«

»Es ist ja schließlich nicht das erstemal, daß sie eine hohe Persönlichkeit empfangen.«

»Ihr müßt unbedingt dort sein«, sagte Andijos beschwörend. »Ich bin eigens hierhergekommen, um Euch zu holen. Als der König erfuhr, daß man durch Toulouse kommen würde, soll er gesagt haben: >Endlich werde ich diesen Großen Hinkefuß des Languedoc kennenlernen, von dem man mir bis zum Überdruß erzählt hat!<«

»Oh, ich möchte nach Toulouse reisen!« rief Angélique und richtete sich mit einem Ruck in ihrem Bett auf. Doch im nächsten Augenblick ließ sie sich mit schmerzverzerrter Miene zurücksinken. Sie war wirklich noch zu schwach, um auf den schlechten Gebirgsstraßen eine Reise zu unternehmen und die Anstrengungen eines großen Empfangs durchzuhalten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Enttäuschung.

»Oh! Der König in Toulouse! Der König in unserm Palais, und ich kann nicht dabei sein!«

»Weint nicht, Liebste!« sagte Joffrey. »Ich verspreche Euch, so zuvorkommend und liebenswürdig zu sein, daß man gar nicht umhin kann, uns zur Hochzeit einzuladen. Ihr werdet den König in Saint-Jean-de-Luz sehen, nicht als staubbedeckten Reisenden, sondern in all seinem Glanz.«

Während der Graf hinausging, um Anweisungen für seine Abreise in der Frühe des nächsten Morgens zu geben, ließ es sich der gute Andijos angelegen sein, sie zu trösten.

»Euer Gatte hat recht, meine Schöne. Der Hof! Der König! Pah! Was ist das alles schon! Eine einzige Mahlzeit in Eurem Palais wiegt ein Fest im Louvre reichlich auf. Glaubt mir, ich bin im Louvre gewesen, und im Vorzimmer des Rats war es dermaßen kalt, daß mir der Tropfen an der Nase zu Eis gefroren ist. Man könnte meinen, der König von Frankreich habe keine Wälder, um sich Holz zu beschaffen. Und was die Offiziere des königlichen Hauses angeht, so habe ich sie in zerrissenen Hosen herumlaufen sehen, bei deren Anblick die Damen der Königin, die ja nicht gerade schüchtern sind, die Augen niederschlagen.«

»Es heißt immer, der Kardinal-Erzieher habe seinen königlichen Zögling nicht an einen Luxus gewöhnen wollen, der in keinem Verhältnis zu den Mitteln des Landes steht?«

»Ich weiß nicht, welches die Absichten des Kardinals waren, der es sich für seine Person nie versagt hat, rohe oder geschliffene Diamanten, Gemälde, Bibliotheken, Wandteppiche und Stiche zu kaufen. Aber ich glaube, daß seine Majestät hinter einem schüchternen Gehabe die Ungeduld verbirgt, diese Vormundschaft abzuschütteln. Er hat die Bohnensuppe und die Ermahnungen seiner Mutter satt. Er hat es satt, für das ausgeplünderte Frankreich zu büßen, und das ist bei einem hübschen Burschen begreiflich - und bei einem König erst recht. Die Zeit ist nicht fern, wo er seine Löwenmähne schütteln wird.«

»Wie ist er? Beschreibt ihn mir«, bat Angélique neugierig.

»Nicht übel! Nicht übel! Er hat ein stattliches Aussehen, etwas Majestätisches. Aber durch das ewige Reisen von einer Stadt zur andern während der Zeit der Fronde ist er unwissend wie ein Stallknecht geblieben, und wäre er nicht König, würde ich Euch sagen, daß ich ihn für ein wenig tückisch halte. Außerdem hat er die Blattern gehabt, und sein Gesicht ist voller Narben.«

»Ach, Ihr versucht nur, mich abzuschrecken!« rief Angélique aus. »Und Ihr redet wie einer dieser Narren von Gaskognern, Béarnern oder Albigensern, die sich nicht darüber beruhigen können, daß Aquitanien kein unabhängiges Königreich mehr ist. Für Euch gibt es nur Toulouse und Eure Sonne. Aber ich komme um vor Begierde, Paris kennenzulernen und den König zu sehen.«

»Ihr werdet ihn bei seiner Hochzeit sehen. Vielleicht läutet diese Zeremonie die tatsächliche Mündigkeit unseres Souveräns ein. Aber wenn Ihr nach Paris geht, dann macht in Vaux Station und begrüßt Monsieur Fouquet. Das ist der wahre König der Stunde. Welcher Luxus, Freunde! Welcher Glanz!«

»So habt auch Ihr diesen wurmstichigen und ungebildeten Finanzmann hofiert?« fragte der zurückkehrende Graf Peyrac.

»Unvermeidlicherweise, mein Lieber. Weil man nämlich nur dann Aussicht hat, überall in Paris empfangen zu werden, denn die Fürsten sind ihm ergeben. Außerdem gebe ich zu, daß ich darauf brannte, den großen Finanzverwalter des Königreichs in seinem Rahmen zu sehen - er ist jetzt zweifellos die erste Persönlichkeit des Landes nach Mazarin.«

»Geht getrost weiter und scheut Euch nicht zu sagen: vor Mazarin. Jedermann weiß, daß der Kardinal bei den Geldverleihern keinen Kredit hat, selbst wenn es sich um das Wohl des Landes handelt, während Fouquet das allgemeine Vertrauen genießt.«

»Aber der gewiegte Italiener ist nicht eifersüchtig. Fouquet läßt das Geld in die königliche Schatzkammer fließen, um die Kriegskosten zu bezahlen, mehr verlangt er nicht von ihm - im Augenblick. Es läßt ihn kalt, daß dieses Geld von den Wucherern zu fünfundzwanzig oder gar fünfzig Prozent geborgt ist. Der Hof, der König, der Kardinal leben von diesen Machenschaften. Man wird ihm nicht so bald Einhalt gebieten können! Und er wird weiterhin sein Emblem, das Eichhörnchen, und seinen Wappenspruch >Quo non ascendat?< zur Schau stellen.«

Joffrey und Andijos diskutierten noch eine Weile über die ungewöhnliche Karriere Fouquets, der zuerst Berichterstatter über die Bittschriften im Staatsrat, sodann Mitglied des Parlaments von Paris gewesen war, aber nichtsdestoweniger der Sohn eines gewöhnlichen bretonischen Piraten blieb. Angélique war nachdenklich geworden, denn wenn die Rede auf Fouquet kam, mußte sie an das Giftkästchen denken, und diese Erinnerung bedrückte sie jedesmal mehr.

Das Gespräch wurde durch einen Pagen unterbrochen, der auf einem Tablett einen Imbiß für den Marquis brachte.

»Au!« machte der, als er sich die Finger an kleinen heißen Brioches verbrannte, die wunderbarerweise eine Nuß aus gefrorener Gänseleber bargen. »Nur hierzulande bekommt man solche Wunderdinge zu essen. Hier und in Vaux, genau gesagt. Fouquet hat einen unerhörten Koch, einen gewissen Vatel.«

Er tat einen jähen Ausruf:

»Oh, das erinnert mich an eine erstaunliche Begegnung. Ratet, wen ich ebendort bei einer ausgiebigen Unterhaltung mit Sieur Fouquet, Herrn von Belle-Isle und andern Besitzungen und quasi Vizekönig der Bretagne, überraschte! Nun, erratet Ihr es?«

»Das ist schwierig. Er kennt so viele Leute.«

»Ratet gleichwohl. Es ist jemand aus Eurem Hause ... sozusagen.«

Nach einigem Überlegen meinte Angélique, es müsse sich wohl um ihren Schwager, den Mann ihrer Schwester Hortense, handeln, der Gerichtsherr in Paris sei, genau wie einstmals der berühmte Oberintendant. Aber Andijos schüttelte den Kopf.

»Ach, wenn ich vor Eurem Gatten nicht solche Angst hätte, würde ich Euch die Aufklärung nur gegen einen Kuß geben, denn Ihr werdet es nie erraten.«

»Nun denn, nehmt den Kuß - das gehört ja wohl zum guten Ton, wenn man eine junge Wöchnerin zum erstenmal wiedersieht - und redet endlich, denn Ihr spannt mich auf die Folter.«

»Also ich habe Euren ehemaligen Haushofmeister Clément Tonnel bei einem vertraulichen Gespräch mit dem Oberintendanten überrascht.«

»Ihr müßt Euch getäuscht haben. Er war nur ins Poitou gereist«, sagte Angélique in plötzlicher Hast. »Und es ist höchst unwahrscheinlich, daß er mit hohen Persönlichkeiten Umgang pflegt. Wofern er nicht in Vaux eine Stellung sucht.«

»Das glaubte ich ihrem Gespräch zu entnehmen. Sie unterhielten sich über Vatel, den Küchenmeister des Oberintendanten.«

»Ihr seht«, stellte Angélique mit einer Erleichterung fest, die sie sich nicht zu erklären vermochte, »er wollte einfach unter diesem Vatel arbeiten, der genial sein soll. Ich finde nur, er hätte uns mitteilen können, daß er nicht mehr ins Languedoc zurückzukehren gedenkt.«

»Gewiß, gewiß!« sagte Andijos, der an etwas anderes zu denken schien. »Aber es war da ein Umstand, der mir bemerkenswert vorkam. Ich bin unversehens in den Raum geraten, in dem sich der Oberintendant im Gespräch mit besagtem Clément befand. Ich gehörte zu einer Gruppe mehr oder minder angeheiterter Edelleute. Wir entschuldigten uns und zogen uns wieder zurück, aber zuvor hatte ich beobachtet, daß unser Mann sich auf recht vertrauliche Art mit Fouquet unterhielt und daß er bei unserm Eintritt rasch eine servilere Haltung annahm. Er hat mich erkannt. Als wir hinausgingen, hörte ich ihn einige hastige Worte zu Fouquet sagen. Dieser richtete seinen kalten Schlangenblick auf mich und sagte dann: >Ich glaube, daß es bedeutungslos ist.<«

»Du bist es also, den man für bedeutungslos hielt, mein Freund?« fragte Peyrac, der lässig auf seiner Gitarre klimperte.

»So kam’s mir vor.«

»Welch kluges Urteil!«

Andijos tat, als wolle er seinen Degen ziehen, und die Unterhaltung endete in Gelächter.

»Ich muß mich unbedingt auf diese Sache besinnen«, sagte Angélique zu sich. »Es ruht irgendwo auf dem Grunde meines Gedächtnisses, aber ich weiß, daß es sehr wichtig ist. Ich muß es herausbekommen!«

Sie legte ihr Gesicht in beide Hände, schloß die Augen und konzentrierte sich. Die Sache lag weit zurück. Sie hatte sich auf Schloß Plessis ereignet; das wußte sie noch genau, aber dann verwirrte sich alles.

Die Kaminflamme erhitzte ihre Stirn. Sie schob einen Schirm aus bemalter Seide schützend davor und bewegte automatisch ihren Fächer. Draußen in der Nacht tobte das Unwetter, ein Frühlings- und Gebirgsunwetter ohne Blitze, das aber ganze Wolken von Hagelkörnern prasselnd gegen die Scheiben jagte. Da sie nicht schlafen konnte, hatte sich Angélique vor den Kamin gesetzt. Ihr Rücken schmerzte sie ein wenig, und sie ärgerte sich, daß sie nicht rascher wieder zu Kräften kam. Die Hebamme erklärte ihr immer wieder, diese Schwäche sei die Folge ihres Eigensinns, selbst stillen zu wollen, aber Angélique stellte sich taub; jedesmal, wenn sie ihr Kindchen aufnahm und ihm beim Trinken zuschaute, wuchs ihre Freude. Sie blühte auf. Das Bild des Kindes an ihrer Brust rührte sie tief. Sie sah sich schon als würdige, nachgiebige, von einer quengelnden Enkelschar umgebene Matrone. Warum mußte sie so oft an ihre Kindheit denken, da doch in ihrem Innern die kleine Angélique langsam dahinschwand? Es war keine dumpfe, unerklärliche Beklemmung mehr. Ganz allmählich nahm die Frage eine klare Form an: Da war etwas, auf das sie sich unbedingt besinnen mußte!

An diesem Abend erwartete sie die Rückkehr ihres Gatten. Er hatte einen Boten vorausgeschickt, ihn anzumelden, aber vermutlich war er durch das Unwetter aufgehalten worden und kam erst morgen.

Sie war darüber bis zu Tränen enttäuscht: so ungeduldig erwartete sie den Bericht über den Empfang des Königs. Es hieß, das Mahl und das Fest seien großartig gewesen. Welch ein Jammer, daß sie nicht hatte dabei sein können, sondern dasaß und sich den Kopf zermarterte, um einen Fetzen Erinnerung an die Oberfläche zu zerren, eine Einzelheit, die ganz gewiß keine Bedeutung hatte.

»Es war auf Schloß Plessis. Im Zimmer des Fürsten Condé . Während ich durch das Fenster schaute. Ich muß mir alles von jenem Augenblick an vergegenwärtigen, Punkt für Punkt .«

Eine Tür ging, und man hörte Stimmengewirr in der Halle des kleinen Schlosses. Angélique sprang auf und stürzte aus dem Zimmer. Sie erkannte Joffreys Stimme.

»O Liebling, endlich! Wie bin ich froh!«

Sie lief die Treppe hinunter, und er schloß sie in seine Arme.

»Ihr seid ja beflügelt wie eine Elfe, schöne Fee.«

»Ihr seid ganz durchnäßt. Ihr hättet im letzten Dorf Station machen sollen.«

»Ich hatte Euch meine Rückkehr für heute abend versprochen.«

»Und ich habe mich so nach Euch gesehnt.«

Sie führte ihn in das angenehm warme Zimmer, rief einen Diener, der ihm die nassen Stiefel ausziehen sollte, während Kouassi-Ba die Reisekiste heraufbrachte.

Der Graf wechselte rasch seine Kleidung, trank ein Glas roten Bordeaux, erklärte jedoch, er habe unterwegs gegessen, und man habe im übrigen seit acht Tagen dermaßen geschlemmt, daß er entschlossen sei, sich künftig nach gesunder béarnischer Sitte nur von Brotkanten und Knoblauchzehen zu nähren.

»Und Florimond? Weiß er die Knoblauchzehen und den Wein von Jurançon gleich dem guten König Heinrich IV. zu schätzen?«

»Ich habe versucht, ihm die Lippen einzureihen, wie es der Großvater König Heinrichs bei dessen Geburt getan hat, aber das behagte ihm nicht.«

»Ist er immer noch so schön, unser Florimond?«

»Er wird von Tag zu Tag schöner!«

Sie saß auf einem Kissen zu seinen Füßen und schmiegte sich lachend an ihn. Als die Dienstboten hinausgegangen waren, bat sie ungeduldig: »Erzählt.«

»Nun, es ging sehr gut«, sagte Joffrey und naschte ein paar Weinbeeren. »Die Stadt hat sich tüchtig angestrengt, aber ohne mich zu brüsten, kann ich sagen, daß der Empfang in unserm Palais alles andere übertroffen hat. Ich konnte rechtzeitig einen Mechaniker aus Lyon kommen lassen, der uns etwas sehr Hübsches für die Festtafel konstruierte: ein Schiff aus Zuckerwerk und Konfekt und einen Felsen von der gleichen Masse, aus dem Wein und Riechwasser hervorsprudelten. Dann barsten Schiff und Felsen, und ein riesiger Blumenkorb kam zum Vorschein, aus dem lebendige Vögel von allen Farben flatterten. Die Leute wußten sich vor Bewunderung nicht zu fassen.«

»Und der König? Der König?«

»Nun ja, der König ist ein hübscher junger Mann, der die Ehren zu genießen scheint, die man ihm erweist. Er hat volle Wangen, zärtliche braune Augen und sehr viel Würde. Ich glaube ihm sein wehes Herz. Die kleine Mancini hat ihm eine Liebeswunde beigebracht, die sich nicht so bald schließen wird, aber da er eine hohe Auffassung von seiner Königspflicht besitzt, beugt er sich vor der Staatsräson. Ich habe die Königin-Mutter gesehen, schön, traurig und ein bißchen wichtigtuerisch. Ich habe die Grande Mademoiselle und den kleinen Monsieur über Fragen der Etikette disputieren hören. Was soll ich Euch noch sagen? Ich habe zu viele schöne Namen und häßliche Gesichter gesehen .! Eigentlich kam nichts dem Vergnügen gleich, dem kleinen Péguillin wiederzubegegnen, Ihr wißt doch, dem Chevalier de Lauzun, Neffen des Herzogs von Gramont, des Statthalters von Béarn? Ich habe ihn als kleinen Pagen in Toulouse gehabt, bevor er nach Paris ging. Ich sehe ihn noch mit seinem Katzengesicht, damals, als ich Madame de Vérant beauftragte, ihn aufzuklären.«

»Joffrey!«

»Aber er hat gehalten, was er versprach, und die Lehren unserer Kollegs über die Liebe in die Praxis umgesetzt. Denn ich konnte feststellen, daß er der Liebling aller Damen war. Und sein Witz bringt ihm die Freundschaft des Königs ein, der seine Scherze nicht missen mag.«

»Und der König? Erzählt mir vom König! Hat er Euch seine Befriedigung über den Empfang ausgedrückt, den Ihr ihm bereitet habt?«

»Auf überaus huldvolle Weise. Und zu wiederholten Malen hat er Eure Abwesenheit bedauert. Ja, der König war befriedigt ... allzu befriedigt.«

»Wieso allzu befriedigt? Weshalb sagt Ihr das mit Eurem bissigen, kleinen Lächeln?«

»Weil man mir die folgende Betrachtung hinterbrachte: Während der König wieder in die Karosse gestiegen sei, habe ein Höfling ihm gegenüber die Bemerkung fallenlassen, unser Fest könne es mit dem Glanz derjenigen Fouquets aufnehmen. Worauf Seine Majestät geantwortet habe: Jawohl, tatsächlich, und ich frage mich, ob es nicht allmählich an der Zeit ist, diese Leute hier zum Ausspucken ihrer Reichtümer zu bringen!< Darauf sei die arme Königin recht empört gewesen: >Was für ein Gedanke, mein Sohn, inmitten einer Euch zu Gefallen veranstalteten Lustbarkeit!< - >Ich bin es satt<, habe ihr der König erwidert, >daß meine eigenen Untertanen mich mit ihrem Prunk erdrücken.<«

»Das ist ja unerhört! So ein neidischer Bursche!« rief Angélique empört aus. »Ich kann es gar nicht glauben. Seid Ihr ganz sicher, daß solche Worte gefallen sind?«

»Mein getreuer Alphonso, der den Wagenschlag öffnete, hat sie mir hinterbracht.«

»Der König kann nicht von sich aus solche erbärmlichen Gefühle hegen. Gewiß sind es seine Höflinge, die ihn gegen uns aufgestachelt haben. Seid Ihr ganz sicher, daß Ihr Euch ihnen gegenüber nicht allzu herausfordernd verhalten habt?«

»Ich war zuckersüß, das versichere ich Euch, mißtrauische Gemahlin! Ich habe sie mit größtmöglicher Zuvorkommenheit behandelt, einer Zuvorkommenheit, die so weit ging, daß ich ins Zimmer eines jeden der Edelleute, die im Schloß logierten, eine Börse mit Goldstücken legte. Und ich schwöre Euch, keiner der Herren hat sie mitzunehmen vergessen.«

»Ihr schmeichelt ihnen, aber Ihr verachtet sie, und sie spüren es«, sagte Angélique und schüttelte nachdenklich den Kopf.

Sie erhob sich, setzte sich auf die Knie ihres Gatten und lehnte sich an ihn. Draußen tobte noch immer das Unwetter.

»Jedesmal, wenn der Name dieses Fouquet fällt, erschaure ich«, murmelte Angélique. »Ich sehe das Giftkästchen wieder vor mir, das ich so lange vergessen hatte und das nun zu einem wahren Alpdruck wird.«

»Ihr seid gar sehr empfindlich, Liebste! Werde ich in Zukunft eine Gattin haben, die bei jedem Windhauch zittert?«

»Ich muß mich auf etwas besinnen«, seufzte die junge Frau, schloß die Augen und rieb ihre Wange an den warmen, duftenden Haaren ihres Mannes, deren feuchtes Gelock sich kräuselte.

»Wenn Ihr mir doch helfen könntet, mich zu erinnern ... Aber das ist unmöglich. Ich glaube, wenn ich mich entsinnen könnte, wüßte ich, woher die Gefahr kommt.«

»Es gibt keine Gefahr, meine Schöne. Die Geburt Florimonds hat Euch ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht.«

»Ich sehe das Zimmer ...«, fuhr Angélique mit geschlossenen Augen fort. »Der Fürst Condé ist aus dem Bett gesprungen, weil jemand an die Tür geklopft hatte ... Aber ich hatte das Klopfen nicht gehört. Der Fürst hüllte sich in seinen Schlaf rock und rief: >Ich bin in Gesellschaft der Herzogin von Beaufort ...!< Doch im Hintergrund des Raums öffnete der Diener die Tür und ließ den Mönch mit der Kapuze herein . Dieser Mönch hieß Exili .«

Sie hielt inne und schaute plötzlich so starr vor sich hin, daß der Graf erschrak.

»Angélique!« rief er aus.

»Jetzt erinnere ich mich«, sagte sie dumpf. »Joffrey, ich erinnere mich ... Der Diener des Fürsten Condé war ... Clément Tonnel.«

»Ihr seid nicht bei Sinnen, Liebste«, sagte er lachend. »Jahrelang ist dieser Mann in unserm Dienst gewesen, und Ihr solltet jetzt erst diese Ähnlichkeit feststellen?«

»Ich habe ihn damals nur einen Augenblick im Halbdunkel gesehen. Aber dieses pockennarbige Gesicht, diese verschlagene Art ... Doch, Joffrey, ich bin sicher, daß er es war. Jetzt kann ich mir auch erklären, warum er mir, während er in Toulouse bei uns war, immer Widerwillen einflößte. Erinnert Ihr Euch dessen, was Ihr eines Tages sagtet: >Der gefährlichste Spion ist der, den man nicht in Verdacht hat.< Und Ihr hattet schon gespürt, wie er ums Haus schlich. Der unbekannte Spion - er war es.«

»Für eine Frau, die sich für die Wissenschaften interessiert, seid Ihr recht romantisch.«

Er strich über ihre Stirn. »Habt Ihr nicht ein wenig Fieber?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Spottet nicht. Der Gedanke quält mich, daß dieser Mensch mir seit Jahren nachspürt. In wessen Auftrag handelt er? Des Fürsten Condé? Fouquets?«

»Ihr habt nie zu jemandem von dieser Sache gesprochen?«

»Zu Euch . einmal, und er hat uns gehört.«

»Das alles liegt so weit zurück. Beruhigt Euch, Liebste, ich meine, das sind abwegige Gedanken.«

Er redete ihr lange in diesem Tone zu, und allmählich löste sich ihre Spannung unter seinen Liebkosungen und zärtlichen Worten. Da die Tage ohne Zwischenfälle verrannen und ihre Kräfte zurückkehrten, schwanden ihre Besorgnisse. Sie lächelte zuweilen darüber.

Einige Monate danach, als sie eben Florimond entwöhnt hatte, sagte jedoch eines Morgens ihr Gatte beiläufig zu ihr:

»Ich möchte Euch nicht zwingen, aber es wäre mir lieb, zu wissen, daß Ihr jeden Morgen dies hier bei Euerm Frühstück einnehmt.«

Er öffnete die Hand, und sie sah darin eine kleine, weiße Pastille glänzen.

»Was ist denn das?«

»Gift ... In einer winzigen Dosis.«

Angélique sah ihn an.

»Was befürchtet Ihr, Joffrey?«

»Nichts. Aber es ist eine Gewohnheit, mit der ich immer gut gefahren bin. Der Körper gewöhnt sich allmählich an das Gift.«

»Ihr glaubt, jemand könne darauf ausgehen, mich zu vergiften?«

»Ich glaube gar nichts, meine Liebe ... Jedenfalls nicht an die Wirkung des Horns vom Einhorn.«

Im nächsten Mai wurden Graf Peyrac und seine Frau zur Königshochzeit geladen. Sie sollte in Saint-Jean-de-Luz am Ufer der Bidassoa stattfinden. König Philipp IV von Spanien führte seine Tochter, die Infantin Maria-Theresia, selbst dem jungen König Ludwig XIV zu. Der Friede war unterzeichnet ... oder doch beinahe. Der französische Adel machte sich auf den Weg nach der kleinen baskischen Stadt.

Zwei Kutschen und drei Fuhrwerke, dazu ein paar beladene Maultiere fand Angélique ein bißchen wenig für das riesige Reisegepäck. Joffrey hatte einen berühmten Kaufmann aus Lyon kommen lassen, der mit einer förmlichen kleinen Karawane erschienen war. Die schönsten Stoffe der Seidenstadt waren für die Toiletten der jungen Gräfin verarbeitet worden. Man mußte sich nicht nur auf die zahlreichen Hochzeitszeremonien einrichten, sondern auch auf den triumphalen Einzug des Herrscherpaars in Paris. Angélique und ihr Gatte wollten mit dem Hof bis nach Paris zurückreisen.

Man brach von Toulouse am frühen Morgen vor den heißen Stunden auf. Natürlich war Florimond mit von der Partie, samt seiner Amme, seiner Wiege und dem Negerknaben, der den Auftrag hatte, ihn zum Lachen zu bringen. Er war jetzt ein Knirps von blühender Gesundheit, freilich ein bißchen zu gut gepolstert, mit einem reizenden, spanischen Christusgesicht: schwarzen Augäpfeln und Locken.

Die unentbehrliche Zofe Marguerite bewachte in einem der Fuhrwerke die Kleidertruhe ihrer Herrin. Kouassi-Ba, für den man drei Livreen hatte anfertigen lassen, eine prächtiger als die andere, saß in der Haltung eines Großwesirs auf einem Pferd, das genauso schwarz wie seine Haut war. Dann waren da noch Alphonso, der Spion des Erzbischofs, nach wie vor treu, vier Spielleute, darunter ein kleiner Violinist, Giovanni, für den Angélique eine Vorliebe hatte, und ein gewisser François Binet, ein Barbier und Perückenmacher, ohne den Joffrey de Peyrac nie reiste. Diener, Mägde und Lakaien vervollständigten das Gefolge, dem die Trupps Bernard d’Andijos’ und Cerbalands vorauszogen.

Noch ganz in der Aufregung und den Sorgen des Aufbruchs befangen, bemerkte Angélique kaum, daß man die Bannmeile von Toulouse verließ. Als die Kutsche über eine Garonnebrücke holperte, stieß sie einen kleinen Schrei aus und drückte die Nase an die Scheibe.

»Was habt Ihr, Liebe?« fragte Joffrey.

»Ich möchte Toulouse noch einmal sehen«, antwortete Angélique.

Sie betrachtete die an den Ufern des Flusses hingebreitete Stadt mit ihren Kirchen und ihren ragenden Türmen, und ein plötzliches Gefühl der Angst preßte ihr das Herz zusammen.

»Oh, Toulouse«, murmelte sie, »oh, unser Palais!«

Eine Vorahnung sagte ihr, daß sie nie mehr zurückkehren würde.

»Nein! In meinem tiefen Weh muß ich auch noch von einfältigen Menschen umgeben sein! Wäre ich nicht meines Standes bewußt, nichts könnte mich zurückhalten, mich von diesem Balkon hinunterzustürzen, um endlich diesem Leben ein Ende zu machen.«

Die von einer jammervollen Stimme ausgerufenen bitteren Worte veranlaßten Angélique, auf den Balkon ihres eigenen Zimmers zu eilen. Sie entdeckte auf einem benachbarten Altan eine große Frau im Nachtgewand, die ihr Gesicht in einem Taschentuch barg.

Eine Dame trat zu der schluchzenden Person, die sich bei deren Annäherung wie eine Windmühle gebärdete.

»Laßt mich, sage ich Euch! Dank Eurer Ungeschicklichkeit werde ich nie fertig werden. Im übrigen ist das ja auch ganz gleichgültig. Ich bin in Trauer und habe mich in meinen Schmerz zu vergraben. Was macht es schon aus, wenn ich wie eine Vogelscheuche frisiert bin!«

Sie zerzauste ihr reiches Haar und zeigte ihr trä-nenüberströmtes Gesicht. Es war eine Frau mit edlen, aristokratischen, aber schon ein wenig altersschlaffen Zügen.

»Wer wird mich frisieren, wenn Madame de Valbonne krank ist?« fuhr sie in dramatischem Ton fort. »Ihr habt ja alle plumpere Pfoten als ein Bär auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain!«

»Madame ...«, mischte sich Angélique ein.

Die beiden Balkons berührten sich fast in dieser engen Straße von Saint-Jean-de-Luz mit den von Höflingen überfüllten schmalen Häusern. Jeder nahm an dem teil, was beim Nachbarn vorging, und obwohl der Morgen eben erst dämmerte, summte die Stadt bereits wie ein Bienenkorb.

»Madame«, setzte Angélique abermals an, »kann ich mich Euch nützlich erweisen? Ich höre, daß Ihr wegen Eures Haarputzes in Verlegenheit seid. Ich habe einen geschickten Friseur mit seinen Eisen und verschiedenen Pudersorten hier. Er steht zu Eurer Verfügung.«

Die Dame betupfte ihre lange, rote Nase und stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Ihr seid sehr gütig, meine Liebe. Meiner Treu, ich nehme Euer Angebot an. Meine Leute sind heute morgen nicht zu gebrauchen. Die Ankunft der Spanier bringt sie völlig außer Rand und Band. Und dabei frage ich Euch, was ist schon der König von Spanien?«

»Eben der König von Spanien«, sagte Angélique lachend.

»Pah! Genau besehen, kommt seine Familie an Adel der unsrigen nicht gleich. Schön, sie haben Gold die Fülle, aber sie sind Rübenesser, langweiliger als Krähen.«

»O Madame, nehmt mir nicht meine Freude! Ich bin so beglückt, all diese Fürstlichkeiten kennenzulernen. König Philipp IV und seine Tochter, die Infantin, sollen ja heute am spanischen Ufer eintreffen.«

»Mag sein. Jedenfalls werde ich sie nicht begrüßen können, denn bis dahin bin ich niemals mit meiner Toilette fertig.«

»Geduldet Euch, Madame, bis ich mich schicklich angekleidet habe, dann werde ich Euch meinen Friseur bringen.«

Eilends kehrte sie ins Innere ihres Zimmers zurück, wo ein unbeschreibliches Durcheinander herrschte. Margot und die Mägde legten die letzte Hand an das prächtige Kleid, das Angélique später anziehen sollte. Die Truhen standen offen wie auch die Schmuckkästchen, und Florimond kroch mit nackten Hinterbäckchen auf allen vieren zwischen den Köstlichkeiten herum.

»Joffrey muß mir sagen, welchen Schmuck ich zu diesem Kleid aus golddurchwirktem Stoff tragen soll«, dachte Angélique, während sie ihren Morgenrock ablegte und in ein schlichtes Kleid samt einem Umhang schlüpfte.

Sie traf Meister François Binet im Erdgeschoß ihrer Unterkunft an, wo er die Nacht damit verbracht hatte, toulousanischen Damen, den Freundinnen Angéliques, ja sogar den Zofen, die auch schön sein wollten, die Haare zu kräuseln. Er nahm sein Kupferbecken - für den Fall, daß irgendein Edelmann rasiert zu werden wünschte -, seinen von Kämmen, Eisen, Salben und falschen Zöpfen überquellenden Kasten und betrat in Begleitung eines Gehilfen, der das Kohlenbecken trug, hinter Angélique her das Nachbargebäude, das noch überfüllter schien als das Haus, in dem Graf Peyrac von einer weitläufigen Verwandten aufgenommen worden war.

Angélique bemerkte die schöne Livree der Diener und stellte für sich fest, die in Tränen aufgelöste Dame müsse eine Person von hohem Stand sein. Zur Sicherheit verneigte sie sich tief, als sie ihr gegenübertrat.

»Das ist reizend von Euch«, sagte die Dame in schmerzlichem Ton, während Meister Binet seine Utensilien auf einem Schemel ausbreitete. »Ohne Euch hätte ich mir das Gesicht verweint.«

»Das ist kein Tag zum Weinen«, protestierte Angélique.

»Was wollt Ihr, meine Liebe, ich bin nicht in der Stimmung für solche Lustbarkeiten. Habt Ihr mein schwarzes Kleid nicht bemerkt? Ich habe kürzlich meinen Vater verloren.« - »Oh, das tut mir leid .« - »Wir haben einander so verabscheut und uns so oft gestritten, daß ich seinen Tod doppelt beklage. Wie ärgerlich, sich bei einem solchen Fest in Trauer zu befinden! Da ich den bösartigen Charakter meines Vaters kenne, habe ich ihn im Verdacht .«

Sie hielt inne, um ihr Gesicht in die Tüte zu tauchen, die Binet ihr hinhielt, während er das Haar seiner Klientin ausgiebig mit parfümiertem Puder bestreute. Angélique mußte niesen.

». habe ich ihn im Verdacht, daß er es absichtlich getan hat«, fuhr die Dame fort, nachdem sie den Inhalt der Tüte geprüft hatte.

»Absichtlich getan? Was denn, Madame?«

»Zu sterben, natürlich! Aber gleichviel. Ich vergesse alles. Ich bin immer großmütig gewesen, was man auch reden mag. Und mein Vater ist auf christliche Art gestorben. Das ist ein großer Trost für mich. Aber was mich ärgert, ist, daß man seinen Leichnam nur von ein paar Gardisten und Geistlichen nach Saint-Denis hat begleiten lassen, ohne Pomp und ohne Aufwand ... Findet Ihr das schicklich?«

»Gewiß nicht«, versicherte Angélique, der es allmählich dämmerte, daß sie fast eine Unschicklichkeit begangen hatte. Dieser Edelmann, der in Saint-Denis beigesetzt worden war, mußte ein Mitglied der königlichen Familie gewesen sein. Wofern sie sich nicht verhört hatte .

»Wäre ich dabeigewesen, so wäre die Sache anders vonstatten gegangen, das könnt Ihr mir glauben«, schloß die Dame mit einer stolzen Kopfbewegung. Sie schwieg, um sich im Spiegel zu betrachten, den François Binet ihr kniend vorhielt, und ihr Gesicht strahlte.

»Aber das ist ja ausgezeichnet!« rief sie. »Euer Friseur ist ein wahrer Künstler, meine Gute. Dabei weiß ich sehr wohl, daß ich recht widerspenstiges Haar habe.«

»Eure Hoheit haben feines, aber schmiegsames und reiches Haar«, sagte der Friseur in fachmännischem Ton, »und gerade mit einem solchen lassen sich die schönsten Frisuren formen.«

»Wirklich? Ihr schmeichelt mir. Ich werde Euch hundert Silberstücke geben lassen. Meine Damen!

. Meine Damen! Dieser Mann muß unbedingt den Kleinen die Haare kräuseln.«

Mit Mühe zerrte man aus einem anstoßenden Raum, in dem Kammerzofen und Mägde schwatzten, die »Kleinen«, zwei junge Mädchen im Backfischalter.

»Das sind gewiß Eure Töchter, Madame?« erkundigte sich Angélique.

»Nein, das sind meine kleinen Schwestern. Sie sind unerträglich. Schaut Euch die jüngere an: Das einzig Schöne an ihr ist der Teint, und sie hat es fertiggebracht, sich von einer tückischen Mückenart stechen zu lassen. Nun ist sie völlig verschwollen; zudem heult sie in einem fort.«

»Sicher ist sie auch über den Tod ihres Vaters traurig.«

»Keine Spur. Aber man hat ihr zu oft gesagt, sie würde den König heiraten; man nannte sie nur die >kleine Königin<. Jetzt ist sie verstört, weil er eine andere nimmt.«

Während Meister Binet sich mit den Mädchen beschäftigte, ließ sich ein Geräusch auf der engen Treppe vernehmen, und ein junger Edelmann erschien auf der Türschwelle. Er war von sehr kleinem Wuchs und hatte ein Puppengesicht, das aus einem Spitzenjabot herausragte. Auch an den Ärmeln und Knien trug er mehrere Spitzenbesätze. Trotz der frühen Morgenstunde war er höchst gepflegt gekleidet.

»Kusine«, sagte er in geziertem Ton, »ich habe gehört, hier sei ein Friseur, der wahre Wunder verrichte.«

»O Philippe, Ihr seid hellhöriger als eine eitle Frau. Sagt mir wenigstens, daß Ihr mich schön findet.«

Der junge Mann kräuselte seine allzu roten und fleischigen Lippen und prüfte mit halbgeschlossenen Augen die Frisur.

»Ich muß zugeben, daß dieser Künstler Eurem Gesicht einen Vorteil abgewonnen hat, den man nicht erhoffen konnte«, sagte er schließlich mit durch ein kokettes Lächeln kaum gemilderter Unverschämtheit.

Er kehrte in den Vorplatz zurück und beugte sich über das Treppengeländer.

»De Guiche, Liebster, kommt nur herauf. Wir sind hier richtig.«

In dem eintretenden Edelmann - einem hübschen, schlanken und sehr brünetten Jüngling - erkannte Angélique den Grafen de Guiche, den ältesten Sohn des Herzogs von Gramont. Der besagte Philippe nahm de Guiche beim Arm und lehnte sich zärtlich an seine Schulter.

»Oh, wie bin ich glücklich! Wir werden bestimmt die bestfrisierten Leute des Hofs sein. Péguillin und der Marquis d’Humières werden vor Neid erblassen. Ich habe gesehen, wie sie sich verzweifelt auf die Suche nach ihrem Barbier machten, den de Vardes ihnen dank seiner gewichtigeren Geldbörse abspenstig gemacht hatte.«

Er brach in ein etwas zu hohes Gelächter aus, strich sich mit der Hand über das frischrasierte Kinn und streichelte dann mit graziöser Geste die Wange des Grafen de Guiche. Ganz hingegeben lehnte er sich an den jungen Mann und schaute ihn schmachtend an. Graf de Guiche lächelte geckenhaft und ließ sich die Huldigung ungeniert gefallen.

Angélique hatte noch nie zwei Männer sich in solcher Weise gebärden sehen, und sie geriet darüber fast in Verlegenheit. Auch der Herrin des Hauses schien es zu mißfallen, denn sie rief plötzlich:

»Ach, Philippe, ich mag dieses Getue hier bei mir nicht. Eure Mutter würde mich wieder einmal beschuldigen, ich begünstige Eure perversen Instinkte. Seit jenem Fest in Lyon, wo wir - Ihr, ich und Mademoiselle de Villeroy - uns als bretonische Bauernmädchen verkleideten, verfolgt sie mich mit solchen Vorwürfen. Und erzählt mir nicht, daß der kleine Péguillin in Verlegenheit ist, sonst schicke ich jemanden auf die Suche nach ihm und lasse ihn hierherbringen. Ich will doch schauen, ob ich ihn nicht entdecke. Er ist der bemerkenswerteste junge Mann, den ich kenne, und ich bete ihn an.«

Auf ihre lärmende und impulsive Art stürzte sie neuerdings zum Balkon, wich jedoch sofort zurück und preßte die Hand auf ihren ausladenden Busen.

»O mein Gott, da ist er!«

»Péguillin?« erkundigte sich der kleine Herr.

»Nein, dieser Edelmann aus Toulouse, der mir so große Angst einflößt.«

Angélique trat ihrerseits auf den Balkon und erblickte ihren Gatten, der in Begleitung Kouassi-Bas die Straße herunterkam.

»Aber das ist doch der Große Hinkefuß aus dem Languedoc!« rief der kleine Herr aus, der sich zu ihnen gesellt hatte. »Warum fürchtet Ihr Euch vor ihm, Kusine? Er hat die sanftesten Augen, eine zärtliche Hand und einen funkelnden Geist.«

»Ihr redet wie eine Frau«, sagte die Dame mit Abscheu. »Es heißt, alle Frauen seien hinter ihm her.«

»Außer Euch.«

»Ich habe mich nie in Sentimentalitäten verloren. Ich sehe, was ich sehe. Findet Ihr nicht, daß dieser düstere und hinkende Mann mit dem Mohren, der so schwarz wie die Hölle ist, etwas Beängstigendes hat?«

Graf de Guiche warf bestürzte Blicke auf Angélique, und zweimal machte er den Mund auf, um etwas zu sagen. Doch sie bedeutete ihm zu schweigen. Die Unterhaltung belustigte sie höchlichst.

»Deutlich herausgesagt: Ihr wißt die Männer nicht mit weiblichen Augen zu betrachten«, erklärte der junge Philippe. »Ihr erinnert Euch, daß dieser Edelmann sich geweigert hat, vor Monsieur d’Orléans das Knie zu beugen, und das genügt, um Euch zu erbosen.«

»Er hat allerdings früher eine seltene Unverfrorenheit an den Tag gelegt .«

In diesem Augenblick sah Joffrey zum Balkon auf. Er blieb stehen, nahm seinen Federhut ab und grüßte mehrmals höchst ehrerbietig.

»Seht Ihr, wie unrecht die bösen Zungen haben!« sagte der junge Edelmann. »Man behauptet, dieser Mann sei voller Dünkel, und dabei . Kann man mit größerem Anstand grüßen? Was meint Ihr, Liebster?«

»Gewiß, Graf Peyrac de Morens besitzt ausnehmend höfliche Umgangsformen«, beeilte sich de Guiche zu antworten, der nicht wußte, wie er die peinliche Situation retten sollte. »Und erinnert Euch des wunderbaren Empfangs, der uns in Toulouse zuteil wurde.«

»Nun, der König selbst denkt mit recht gemischten Gefühlen daran zurück. Was nicht hindert, daß Seine Majestät darauf brennt festzustellen, ob die Frau dieses Hinkenden wirklich so schön ist, wie behauptet wird. Es kommt ihm unbegreiflich vor, daß man ihn lieben könne ...«

Angélique zog sich leise zurück, nahm François Binet beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: »Dein Herr ist zurück und wird nach dir rufen. Laß dich nicht durch die Silberstücke all dieser Leute verführen, sonst bekommst du eine Tracht Prügel.«

»Seid beruhigt, Madame. Ich frisiere diese junge Dame fertig und schlüpfe hinaus.«

Sie stieg eilig hinunter und lief in ihr Haus hinüber. Dabei gestand sie sich ein, daß sie diesen Binet gern mochte, nicht nur seines Geschmacks und seiner Geschicklichkeit, sondern auch seiner Schlauheit und seiner Untergebenenphilosophie wegen. Er hatte ihr einmal anvertraut, daß er alle Adligen mit »Hoheit« anrede, um sicherzugehen, niemanden zu kränken.

Im Schlafzimmer, wo die Unordnung noch schlimmer geworden war, fand Angélique ihren Gatten mit umgebundenem Handtuch in Erwartung des Barbiers vor.

»Nun, schöne Dame, Ihr nützt ja Eure Zeit!« meinte er. »Ich lasse Euch in tiefem Schlaf zurück, um mich nach Neuigkeiten und dem Programm der Zeremonien zu erkundigen. Und eine Stunde später finde ich Euch in vertrautem Gespräch mit der Herzogin von Montpensier und Monsieur, dem Bruder des Königs, wieder.«

»Die Herzogin von Montpensier! Die Grande Mademoiselle!« rief Angélique aus. »Mein Gott! Ich hätte es mir denken können, als sie von ihrem Vater sprach, den man in Saint-Denis beigesetzt hat.«

Während Angélique sich rasch entkleidete, erzählte sie, auf welche Weise sie zufällig die Bekanntschaft der berühmten Parteigängerin der Fronde gemacht hatte, der alten Jungfer des Regimes, die nun, nach dem Tode ihres Vaters Gaston d’Orléans, die reichste Erbin Frankreichs war.

»Ihre jüngeren Schwestern, Mesdemoiselles de Valois und d’Alençon, die bei der Trauung die Schleppe der Königin halten werden, sind also nur ihre Halbschwestern. Binet hat sie auch frisiert.«

Der Barbier kam atemlos angestürzt und begann, das Kinn seines Herrn einzuseifen. Angélique stand im Hemd da, aber das machte ihr im Augenblick nichts aus. Es ging darum, sich schleunigst zum König zu begeben, der an diesem Vormittag alle Adligen des Hofs zur Begrüßung zu sich beschieden hatte.

Marguerite, den Mund voller Stecknadeln, warf Angélique einen ersten Rock aus schwerem, gold-durchwirktem Stoff über, dann einen zweiten aus hauchzarter Goldspitze, deren Muster durch Edelsteine betont wurde.

»Und Ihr sagt, dieser weibische junge Mann sei der Bruder des Königs?« fragte Angélique. »Er benahm sich dem Grafen de Guiche gegenüber höchst merkwürdig. Man hätte meinen können, er sei verliebt in ihn. O Joffrey, glaubt Ihr wirklich, daß ... daß sie .?«

»Man nennt das auf italienische Art lieben«, sagte der Graf lachend. »Wir verdanken unsern Nachbarn von jenseits der Alpen die Wiedergeburt der Literatur und der Künste, aber auch die Einführung absonderlicher Sitten. Schade, daß ausgerechnet der einzige Bruder des Königs sie sich zu eigen macht.«

François Binet, geschwätzig wie alle Leute seines Berufs, ergriff das Wort. »Ich habe mir sagen lassen, daß der Kardinal Mazarin die Neigungen des kleinen Monsieur unterstützt habe, damit er im Schatten seines Bruders bleibe. Er soll Anweisungen gegeben haben, ihn in Mädchenkleider zu stecken und auch seine kleinen Freunde so zu verkleiden. Man befürchtet immer, als Bruder des Königs könne er nach dem Vorbild des seligen Monsieur d’Orléans, der reichlich unerträglich war, Komplotte schmieden.«

»Du urteilst recht hart über deine Fürsten, Barbier«, sagte Joffrey.

»Das ist das einzige Gut, das ich besitze, Herr Graf:

meine Zunge und das Recht, sie in Bewegung zu setzen.«

»Lügner! Du bist durch mich reicher geworden als der Perückenmacher des Königs.«

»Das ist richtig, Herr Graf, aber ich brüste mich damit nicht. Es ist nicht klug, Neid zu erwecken.«

Joffrey tauchte sein Gesicht in ein mit Rosenwasser gefülltes Becken, um die nach dem Rasieren brennende Haut zu kühlen. Dann begann er sich mit seines Kammerdieners und Alphonsos Unterstützung anzukleiden.

Indessen hatte Angélique ein Mieder aus Goldstoff übergestreift und stand unbeweglich da, während Marguerite den Brusteinsatz befestigte, ein wahres Kunstwerk aus Filigrangold mit Seide untermischt. Eine Goldspitze legte sich wie gleißendes Moos um ihre bloßen Schultern und verlieh ihrer Haut schimmernde Blässe. Sie betrachtete sich im Spiegel und kam sich mit ihren sanft rosigen Wangen, ihren dunklen Wimpern und Brauen, ihrem welligen Haar, das den gleichen Glanz wie ihr Kleid aufwies, der eigentümlichen Klarheit ihrer grünen Augen wie ein seltsames Idol vor, das wie aus den edelsten Stoffen geschaffen wirkte: aus Gold, Marmor, Smaragd.

Als sie sich umwandte, befestigte Graf Peyrac eben seinen Degen am diamantbesetzten Gehänge. Er war völlig in Schwarz und Silber gekleidet. Über dem Mantel aus schwarzem Moire lag eine durch Diamantennadeln festgehaltene Silberspitze. Das Wams aus Silberbrokat war mit schwarzen, sehr feinen Spitzen verziert, die Schuhe mit Diamantenschnallen. Die Halsbinde war nicht zu einem Kragen, sondern zu einem dicken Knoten geschlungen und ebenfalls mit sehr kleinen Diamanten besetzt. Auch an den Fingern trug er eine Menge Diamanten und einen einzigen, sehr großen Rubin.

Sie betrachtete ihn lange, und ein wunderlicher Schauer überlief sie.

»Ich glaube, die Grande Mademoiselle hat nicht ganz unrecht, wenn sie sagt, Ihr sähet furchterregend aus.« - »Es wäre vergebliche Mühe, mein unerfreuliches Äußere zu tarnen«, sagte der Graf. »Würde ich versuchen, mich wie ein Laffe zu kleiden, wäre ich lächerlich und erbarmenswert. So passe ich eben meine Kleidung meinem Gesicht an.«

Sie betrachtete dieses Gesicht. Es gehörte ihr, dachte sie zärtlich; sie hatte es gestreichelt, sie kannte seine kleinsten Fältchen. Sie lächelte und murmelte: »Mein Liebster!«

Draußen vor der Tür war Kouassi-Ba in seinem Wams aus kirschfarbenem Samt, seiner weiten türkischen Hose und seinem Turban, beide aus weißer Seide, Gegenstand der Bewunderung aller Gaffer. Man machte einander auf seinen gekrümmten Säbel aufmerksam. Auf einem Kissen hielt er einen goldbeschlagenen Kasten aus sehr schönem rotem Saffian.

Zwei Sänften erwarteten den Grafen und Angélique.

Sehr rasch erreichte man das Haus, in dem der König, seine Mutter und der Kardinal abgestiegen wa-ren. Wie alle vornehmen Häuser von Saint-Jean-de-Luz war es ein schmales Gebäude in spanischem Stil mit vorgesetzten Balustraden und winzigen Balkons aus vergoldetem Holz. Die Hofleute drängten sich auf dem Platz, wo der Seewind die Federn der Hüte wehen ließ.

Angélique fühlte ihr Herz bis zum Halse schlagen, als sie die Stufen zum Hause emporstieg. »Ich werde den König sehen«, dachte sie, »die Königin-Mutter! Den Kardinal!«

Wie nahe er ihr immer gewesen war, dieser junge König, von dem die Amme erzählt hatte, überfallen vom aufrührerischen Pariser Volk, auf der Flucht durch das von der Fronde verheerte Frankreich, nach der Willkür der Fürstenparteien von Stadt zu Stadt, von Schloß zu Schloß gejagt, verraten, verlassen, schließlich siegreich. Jetzt erntete er die Früchte seiner Kämpfe. Und mehr noch als der König genoß die Frau, die Angélique im Hintergrund des Saales erblickte, die Königin-Mutter in ihren schwarzen Schleiern mit ihrem stumpfen spanischen Teint, in ihrer zugleich unnahbaren und anmutigen Haltung, die Stunde des Triumphs.

Der Zeremonienmeister kündigte an:

»Graf Peyrac de Morens d’Irristru.«

Angélique machte ihren Hofknicks. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Vor ihr ragten eine schwarze und eine rote Gestalt auf: die KöniginMutter und der Kardinal.

Sie dachte: »Joffrey müßte sich tiefer verbeugen. Vorhin hat er die Grande Mademoiselle so schön gegrüßt. Aber vor dem Allergrößten macht er nur einen kleinen Kratzfuß ... Binet hat recht ... Binet hat recht .«

Es war dumm, in diesem Zusammenhang an den guten Binet zu denken und sich immer wieder zu sagen, er habe recht. Weshalb tat sie das eigentlich? Eine Stimme sagte:

»Wir sind erfreut, Euch wiederzusehen, Graf, und Madame zu begrüßen ... zu bewundern, über die man Uns schon so viel Erfreuliches berichtet hat. Aber Wir müssen feststellen, daß die Wirklichkeit alles Lob übertrifft.« Angélique hob die Augen. Sie begegnete einem leuchtenden Blick, der sehr aufmerksam auf ihr ruhte: dem Blick des Königs.

Prächtig gekleidet, war der König von mittlerem Wuchs, aber er hielt sich so gerade, daß er alle seine Hofleute zu überragen schien. Angélique stellte fest, daß seine Haut leicht pockennarbig war, Überbleibsel der Blattern, an denen er in seiner Kindheit gelitten hatte. Seine Nase war zu lang, sein Mund aber kräftig und sinnlich unter dem dünnen, schmalen Schnurrbärtchen. Das kastanienbraune, quellende Haar fiel in welligen Kaskaden herab. Er hatte schöne Beine und wohlgeformte Hände. Unter den Spitzen und Bändern ahnte man einen geschmeidigen, kräftigen, durch Jagd und Gymnastik gestählten Körper.

»Meine Amme würde sagen: Er ist eine schöne Mannsperson und taugt zum Heiraten«, dachte Angé-lique und ärgerte sich alsbald über solch unfeine Gedanken in einem so feierlichen Augenblick ihres Lebens.

Die Königin-Mutter verlangte den Inhalt des Kästchens zu sehen, das Kouassi-Ba eben kniend in der Haltung eines der Heiligen Drei Könige dargeboten hatte.

Man geriet in Begeisterung angesichts des kleinen Handtäschchens mit seinen Döschen und Kämmen, Scheren, Spangen, Petschaften aus purem Gold und Schildpatt. Doch der Reisealtar bezauberte die frommen Damen des Hofstaats der Königin-Mutter noch mehr. Diese lächelte und bekreuzigte sich.

Das Kruzifix und die beiden Statuetten spanischer Heiliger sowie die ewige Lampe und das kleine Weihrauchgefäß waren aus Gold und Silber. Und Joffrey de Peyrac hatte von einem italienischen Maler auf vergoldetem Holz ein Triptychon malen lassen, das Szenen der Passion darstellte. Die Miniaturen waren äußerst zart und von großer Farbenfrische. Anna von Österreich erklärte, die Infantin stehe im Ruf strenger Frömmigkeit und werde über ein solches Geschenk zweifellos entzückt sein.

Sie wandte sich dem Kardinal zu, um ihn die Malereien bewundern zu lassen; der aber nahm eines der Instrumente des Täschchens nach dem andern in die Hand und ließ sie durch die Finger gleiten.

»Man sagt, Euch fließe das Gold aus der hohlen Hand, Monsieur de Peyrac, wie die Quelle aus dem Felsen?«

»Euer Bild ist treffend, Eminenz«, erwiderte der Graf zurückhaltend. »Wie die Quelle aus dem Felsen ... aber aus einem Felsen, den man zuvor mit einem großen Aufgebot an Zündschnüren und Pulver unterminiert, den man bis zu ungeahnten Tiefen ausgegraben, dann gewälzt und zerstoßen hat. Dann allerdings kann dank der Mühe und des Schweißes Wasser aus ihm quellen, und das sogar im Überfluß.«

»Das nenne ich eine hübsche Parabel über die Arbeit, die Früchte trägt. Wir sind es nicht gewohnt, Leute Eures Standes eine solche Sprache führen zu hören, aber ich gestehe, daß es mir nicht mißfällt.«

Mazarin lächelte noch immer. Er hielt einen Spiegel aus dem Täschchen vor sein Gesicht und warf einen flüchtigen Blick hinein. Trotz Schminke und Puder, unter denen er seinen krankhaft gelben Teint zu verbergen suchte, glänzte es feucht vor Schwäche an seinen Schläfen, und die Locken seiner Haare waren verklebt unter seinem roten Kardinalskäppchen.

Seit Monaten zehrte die Krankheit an ihm; er zumindest hatte nicht gelogen, als er seine Blasensteine zum Vorwand nahm, um sich nicht als erster dem spanischen Bevollmächtigten Don Luis de Haro vorstellen zu müssen. Angélique fing einen Blick der Königin-Mutter auf den Kardinal auf, den Blick einer besorgten Frau. Vermutlich hätte sie ihm gar zu gern gesagt: Redet nicht so viel, Ihr strengt Euch zu sehr an. Das ist die Stunde für Euren Kräutertee.

War es wahr, daß sie ihren Italiener geliebt hatte, die so lange von einem allzu keuschen Gatten verschmähte Königin? Alle Welt behauptete es, aber niemand wußte es genau. Ein einziges Wesen kannte vielleicht das Geheimnis, und das war der streng behütete Sohn, der König. Nannten ihn der Kardinal und die Königin in den Briefen, die sie austauschten, nicht den »Mitwisser«? Mitwisser wessen?

»Bei Gelegenheit würde ich mich gerne mit Euch über Eure Arbeiten unterhalten«, sagte der Kardinal.

Der junge König erklärte seinerseits mit einer gewissen Lebhaftigkeit: »Ich ebenfalls. Was ich erfahren habe, hat meine Neugier geweckt.«

»Ich stehe Eurer Majestät und Eurer Eminenz zur Verfügung.«

Die Audienz war beendet.

Angélique und ihr Gatte begrüßten Monseigneur de Fontenac, den sie in der unmittelbaren Umgebung des Kardinals bemerkten. Danach machten sie bei allen hohen Persönlichkeiten und deren Anhang die Runde. Angélique war so angeregt, daß sie keine Müdigkeit verspürte. Die Komplimente, die sie empfing, ließen keinen Zweifel an ihrem Erfolg zu. Es war offenkundig, daß das Paar große Aufmerksamkeit erregte.

Während ihr Gatte sich mit dem Marschall Gra-mont unterhielt, trat ein junger Mann von kleinem Wuchs, aber angenehmem Gesicht auf Angélique zu. »Erkennt Ihr mich, o Göttin, die Ihr eben dem Wagen des Sonnengotts entstiegen seid?«

»Natürlich!« rief sie erfreut. »Ihr seid Péguillin.«

Um gleich darauf entschuldigend fortzufahren: »Ich bin recht formlos, Monsieur de Lauzun, aber was wollt Ihr, ich höre überall von Péguillin reden. Péguillin da, Péguillin dort! Alle Welt hegt so viel Zuneigung für Euch, daß ich mich, ohne Euch inzwischen wiedergesehen zu haben, einfach anpaßte.«

»Ihr seid anbetungswürdig und beglückt nicht nur meine Augen, sondern auch mein Herz. Wißt Ihr, daß Ihr die auffallendste Erscheinung in dieser Versammlung seid? Ich kenne Damen, die im Begriff sind, ihre Fächer kurz und klein zu zerbrechen und ihre Taschentücher zu zerreißen, so neidisch hat sie Euer Kleid gemacht. Wie werdet Ihr erst am Tage der Hochzeit geschmückt sein, wenn Ihr so beginnt?«

»Oh, vermutlich werde ich dann im Prunk der Aufzüge verschwinden. Aber heute hat man mich dem König vorgestellt. Ich bin noch ganz benommen.«

»Habt Ihr ihn liebenswert gefunden?«

»Wie kann man den König nicht liebenswert finden?« sagte Angélique lachend.

»Ich sehe, daß Ihr schon darüber im Bilde seid, was man bei Hofe sagen darf und was nicht. Was mich betrifft, ist es ein wahres Wunder, daß ich noch dazugehöre. Denn der König ist zwar ein reizender Freund, aber Vorsicht! Man darf ihn nicht zu fest anpacken, wenn man mit ihm spielt.«

Er beugte sich zu ihrem Ohr.

»Wißt Ihr, daß ich um ein Haar in die Bastille gesperrt worden wäre?«

»Was hattet Ihr getan?«

»Ich erinnere mich nicht mehr. Ich glaube, ich hatte der kleinen Marie Mancini, in die der König so unsterblich verliebt war, ein bißchen zu sehr den Hof gemacht. Der Verhaftbefehl war bereits unterzeichnet. Ich wurde rechtzeitig gewarnt, warf mich weinend dem König zu Füßen und brachte ihn so zum Lachen, daß er mir verzieh und mich, statt mich ins dunkle Gefängnis zu werfen, zum Hauptmann befördert hat. Ihr seht, er ist ein liebenswerter Freund ... wenn er nicht Euer Feind ist.«

»Weshalb sagt Ihr mir das?« fragte Angélique sofort.

Péguillin de Lauzun machte große, unschuldsvolle Augen, worauf er sich trefflich verstand. »Ach, nur so, meine Teuerste.«

Er nahm sie ungezwungen beim Arm und zog sie fort.

»Kommt, ich muß Euch Freunden vorstellen, die darauf brennen, Euch kennenzulernen.«

Diese Freunde waren junge Leute aus dem Gefolge des Königs. Sie fand es herrlich, sich so auf gleichem Fuße mit den oberen Rängen des Hofes zu bewegen. Saint-Thierry, Brienne, Cavois, Ondedeï, der Marquis d’Humières, den Lauzun als seinen geschworenen Feind vorstellte, Louvigny, der zweite Sohn des Herzogs von Gramont - sie alle wirkten sehr lustig und galant und waren prächtig gekleidet. Sie sah auch de Guiche, an den sich noch immer der Bruder des Königs klammerte. Philippe streifte sie mit einem feindseligen Blick.

»Oh, ich erkenne sie wieder«, sagte er und kehrte ihr den Rücken zu.

»Ärgert Euch nicht über solches Benehmen«, flüsterte Péguillin. »Für den kleinen Monsieur sind alle Frauen Rivalen, und de Guiche war so unbesonnen, Euch einen freundschaftlichen Blick zuzuwerfen.«

»Ihr wißt, daß er nicht mehr der kleine Monsieur genannt sein will«, erklärte der Marquis d’Humières. »Seit dem Tode seines Onkels Gaston d’Orléans muß man kurzweg Monsieur sagen.«

Eine Bewegung entstand in der Menge, der ein Gedränge folgte, und mehrere diensteifrige Hände streckten sich aus, um Angélique zu beschützen.

»Ihr Herren, seht Euch vor!« rief Lauzun und hob warnend den Finger wie ein Magister. »Seid eines im Languedoc berühmten Degens eingedenk!«

Aber das Geschiebe wurde so groß, daß Angélique lachend und ein wenig bestürzt sich unversehens gegen kostbare, bebänderte und nach Iris- und Ambrapuder duftende Wämser gedrückt fühlte.

Die Aufseher vom Tafeldienst des Königlichen Hauses forderten Durchlaß für eine Prozession von Lakaien, die silberne Platten und Schüsseln trugen. Es hieß, Ihre Majestäten und der Kardinal hätten sich soeben für eine Weile zurückgezogen, um einen Imbiß zu sich zu nehmen und sich von den ununterbrochenen Vorstellungen zu erholen. Worauf Lauzun und seine Freunde sich entfernten, da ihr Dienst sie rief.

Angélique hielt Ausschau nach ihren toulousani-schen Bekannten. Sie hatte sich vor einem Zusammentreffen mit der impulsiven Carmencita gefürchtet, aber nun erfuhr sie, daß Monsieur de Mérecourt sich plötzlich auf seine Würde besonnen und seine Frau endlich ins Kloster geschickt hatte.

Während sie sich zwischen den Gruppen hindurchwand, verspürte sie unversehens tüchtigen Hunger. Der Vormittag mußte schon weit vorgeschritten sein, und sie beschloß, nach Hause zu gehen und sich Schinken und Wein servieren zu lassen, falls sie nicht bald aufJoffrey stieß.

Die Leute aus ihrer Provinz hatten sich offenbar irgendwo in der Stadt zum Mittagessen versammelt. Überall sah sie nur unbekannte Gesichter. Diese Stimmen ohne jede Dialektfärbung verursachten ihr ein Gefühl der Fremdheit. Vielleicht hatte auch sie nach so vielen im Languedoc verbrachten Jahren diese singende und rasche Sprechweise angenommen? Sie fühlte sich ein wenig bedrückt.

Sie fand einen stillen Winkel unter der Treppe und setzte sich auf ein Bänkchen, um Atem zu schöpfen. Es war offensichtlich schwierig, aus diesen nach spanischer Art gebauten Häusern mit ihren dunklen Gängen und blinden Türen ins Freie zu gelangen.

Nur wenige Schritte entfernt ließ die mit Teppichen verkleidete Wand eine Spalte erkennen. Ein Hund, der mit einem Knochen im Maul aus dem Nebenraum kam, vergrößerte die Öffnung.

Angélique warf einen Blick hinein und erkannte die königliche Familie, die in Gesellschaft des Kardinals, der beiden Erzbischöfe von Bayonne und Toulouse und des Monsieur de Lionne um einen Tisch versammelt war. Die die Fürstlichkeiten bedienenden Lakaien kamen und gingen durch eine andere Tür.

Der König warf zu wiederholten Malen sein Haar zurück und fächelte sich mit seiner Serviette.

»Die Hitze dieses Landes verdirbt einem die schönsten Feste.«

»Auf der Fasaneninsel ist das Wetter günstiger. Dort weht ein angenehmer Seewind«, sagte Monsieur de Lionne.

»Ich werde es mir ein wenig zunutze machen, da ich der spanischen Etikette gemäß meine Braut erst am Tage der Hochzeit sehen darf.«

»Aber Ihr werdet Euch auf die Fasaneninsel begeben, um dort mit dem König von Spanien, Eurem Oheim, zusammenzutreffen, der Euer Schwiegervater werden wird«, stellte die Königin fest. »Dabei soll auch der Frieden unterzeichnet werden.«

Sie wandte sich an Madame de Motteville, ihre Hofdame.

»Ich bin sehr bewegt. Ich habe meinen Bruder sehr geliebt und regelmäßig mit ihm korrespondiert. Aber bedenkt, daß ich zwölf Jahre alt war, als ich mich an eben jenem Ufer von ihm trennte, und daß ich ihn seitdem nie wiedergesehen habe.«

Man war allgemein gerührt. Niemand schien sich daran zu erinnern, daß dieser selbe Bruder, Philipp IV, der größte Feind Frankreichs gewesen war und daß seine Korrespondenz mit Anna von Österreich diese bei Kardinal Richelieu in den Verdacht des Komplotteschmiedens und des Verrats gebracht hatte. Diese Geschehnisse lagen jetzt weit zurück. Man war im gleichen Maße von Hoffnung erfüllt wie fünfzig Jahre zuvor, als an eben diesem Flusse Bidassoa kleine Prinzessinnen mit runden, in breite, röhrenförmig gefaltete Halskrausen gezwängten Wangen zwischen den beiden Ländern ausgetauscht worden waren: Anna von Österreich, die den jungen Ludwig XIII., und Elisabeth von Frankreich, die den kleinen Philipp IV. ehelichte. Die Infantin Maria-Theresia, die man jetzt erwartete, war die Tochter jener Elisabeth.

Angélique betrachtete in leidenschaftlicher Neugier diese Großen der Welt in ihrem Privatleben.

Der König langte herzhaft, aber mit Würde zu; er trank wenig und ließ mehrmals Wasser in seinen Wein mischen.

»Bei meiner Ehre«, rief er unvermittelt aus, »das Beachtlichste, was ich am heutigen Vormittag sah, war dieses schwarz-goldene Paar aus Toulouse. Was für eine Frau, meine Freunde! Welcher Glanz! Man hatte es mir gesagt, aber ich konnte nicht daran glauben. Und sie scheint ehrlich in ihn verliebt zu sein. Wirklich, aus diesem Hinkefuß werde ich nicht schlau.«

»Keiner, der ihm begegnet, wird schlau aus ihm«, sagte der Erzbischof von Toulouse in bissigem Ton. »Ich, der ich ihn seit mehreren Jahren kenne, gebe es auf, ihn zu durchschauen. Es steckt etwas Teuflisches in ihm.«

»Da fängt er wieder an zu faseln«, dachte Angélique bekümmert. Ihr Herz hatte bei den Worten des Königs freudig geklopft, aber die Einmischung des Erzbischofs weckte ihre Besorgnis. Der Kirchenfürst dachte noch nicht daran, die Waffen zu strecken.

Einer der Edelleute aus dem Gefolge des Monarchen sagte mit höhnischem Lächeln: »In den eigenen Gatten verliebt zu sein - ist das nicht einfach lächerlich? Diese junge Person sollte einmal eine Weile an den Hof kommen. Da würde man ihr die dummen Gefühle schon austreiben.«

»Ihr scheint zu glauben, Monsieur, der Hof sei ein Ort, an dem der Ehebruch das einzige Gesetz ist«, protestierte Anna von Österreich streng. »Es ist jedenfalls gut und natürlich, daß Ehegatten einander in Liebe zugetan sind. An der Liebe ist nichts Lächerliches zu finden.«

»Aber sie ist so selten«, seufzte Madame de Motte-ville.

»Aus dem einfachen Grunde, weil es selten geschieht, daß man sich unter dem Zeichen der Liebe ehelicht«, sagte der König in schmerzlichem Ton. Es trat ein etwas verlegenes Schweigen ein. Die KöniginMutter wechselte mit dem Kardinal einen verzweifelten Blick. Monseigneur de Fontenac hob salbungsvoll die Hand.

»Sire, laßt es Euch nicht verdrießen. Wenn die Wege der Vorsehung unerforschlich sind, so sind es die des kleinen Gottes Eros nicht minder. Und da Ihr ein Beispiel aufgreift, das Euch beeindruckt zu haben scheint, so kann ich Euch versichern, daß dieser Edelmann und seine Frau einander vor dem Tage ihrer Trauung, die ich in der Kathedrale von Toulouse vollzog, nie gesehen hatten. Und nun, nach mehreren, durch die Geburt eines Sohnes gekrönten Jahren der Ehe ist die Liebe, die sie einander entgegenbringen, auch für die minder Eingeweihten augenfällig.«

Anna von Österreich sah ihn dankbar an, und Monseigneur warf sich in die Brust.

»Scheinheilig oder ehrlich?« fragte sich Angélique.

Die ein wenig lispelnde Stimme des Kardinals ließ sich vernehmen:

»Ich hatte heute morgen den Eindruck, im Theater zu sein. Dieser Mann ist häßlich, verunstaltet, kränklich, und trotzdem - als er an der Seite seiner strahlenden Frau erschien, gefolgt von jenem großen Mohren in weißer Seide, sagte ich mir: Wie schön sie sind!«

»In jedem Falle bringt er Abwechslung in die Galerie so vieler langweiliger Gesichter, die heute an uns vorbeizog«, sagte der König. »Stimmt es, daß er eine prachtvolle Stimme hat?«

»Es wird immer wieder versichert.«

Der Edelmann, der schon einmal gesprochen hatte, lachte spöttisch.

»Das ist ja eine äußerst rührende Geschichte, fast ein Märchen. Man muß schon in den Süden kommen, um dergleichen zu hören.«

»Oh, Ihr seid unerträglich mit Euren ewigen Spötteleien!« protestierte abermals die Königin-Mutter. »Euer Zynismus mißfällt mir, Monsieur.«

Der Höfling senkte den Kopf, und als die Unterhaltung wiederaufgenommen wurde, tat er, als interessiere er sich für das Treiben des Hundes, der im Türrahmen an seinem Knochen nagte. Da Angélique sah, daß er auf ihren Schlupfwinkel zukam, stand sie hastig auf, um sich zu entfernen. Sie tat ein paar Schritte in den Vorplatz, aber ihr Mantel verfing sich in den Verzierungen eines Pfeilertischchens.

Während sie sich niederbeugte, um sich frei zu machen, stieß der junge Mann den Hund mit dem Fuß beiseite, trat heraus und schloß die kleine, hinter dem Wandteppich verborgene Tür. Da er sich bei der Königin-Mutter mißliebig gemacht hatte, hielt er es für klug, fürs erste aus ihrem Gesichtskreis zu verschwinden.

Unbekümmert passierte er Angélique, wandte sich dann aber noch einmal um, um sie zu mustern.

»Oh, das ist ja die Frau in Gold!«

Sie sah ihn hochmütig an und wollte weitergehen, aber er versperrte ihr den Weg.

»Nicht so hastig! Laßt mich das Phänomen betrachten. Ihr seid also die Dame, die in ihren Gatten verliebt ist? Und in was für einen Gatten! Einen Adonis!«

Sie fixierte ihn mit stummer Verachtung. Er war größer als sie, schlank und kräftig. Seinem Gesicht fehlte es nicht an Schönheit, aber sein schmaler Mund hatte einen bösen Ausdruck, und seine mandelförmigen Augen waren gelb mit kleinen braunen Tupfen. Die unbestimmte, ziemlich vulgäre Farbe entstellte ihn ein wenig. Er war mit Geschmack und Sorgfalt gekleidet. Seine Perücke von nahezu weißem Blond stand in apartem Gegensatz zur Jugendlichkeit seiner Züge.

Obwohl Angélique seine äußere Erscheinung nicht unsympathisch fand, sagte sie kühl:

»Ihr könnt freilich dem Vergleich schwerlich standhalten. In meiner Gegend nennt man Augen wie die Eurigen >wurmstichige Äpfel<. Ihr versteht, was ich meine? Und was die Haare betrifft: die meines Gatten sind jedenfalls echt.«

Ein Ausdruck von verletztem Stolz verdüsterte die Physiognomie des Edelmanns.

»Das ist nicht wahr«, rief er. »Er trägt eine Perük-ke.«

»Ihr könnt an ihnen ziehen, wenn Ihr den Mut dazu aufbringt.«

Sie hatte ihn sichtlich an einer empfindlichen Stelle getroffen und vermutete, daß er eine Perücke trug, weil er kahl zu werden begann. Aber er gewann rasch seine Kaltblütigkeit zurück.

»Man versucht also zu beißen? Das sind wahrhaftig zu viele Talente für eine kleine Provinzlerin.«

Er schaute sich um, dann packte er sie an den Handgelenken und stieß sie in den Winkel der Treppe.

»Laßt mich!« sagte Angélique. - »Sofort, meine Schöne. Aber vorher müssen wir miteinander eine kleine Rechnung begleichen.«

Bevor sie seiner Geste zuvorkommen konnte, hatte er ihren Kopf nach hinten gebogen und biß heftig in ihre Lippen. Angélique stieß einen Schrei aus. Ihre Hand hob sich unwillkürlich und landete auf der Wange ihres Bedrängers. Die vielen den guten Umgangsformen gewidmeten Jahre hatten einen mit gesunder Kraft verbundenen Rest von bäuerlicher Heftigkeit nicht zu tilgen vermocht. Die Ohrfeige klatschte prächtig, und er schien die Engel im Himmel singen zu hören, denn er wich zurück und preßte eine Hand an die Wange.

»Meiner Treu, eine richtige Waschfrauenohrfeige!«

»Laßt mich vorbei«, wiederholte Angélique, »oder ich richte Euch so zu, daß Ihr nicht mehr vor dem König erscheinen könnt.«

Er spürte, daß sie gewillt war, ihre Drohung in die Tat umzusetzen, und trat einen weiteren Schritt zurück.

»Oh, ich möchte Euch eine ganze Nacht lang in meiner Gewalt haben«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich wette mit Euch, daß Ihr am Morgen mürbe wärt!«

»Gut so«, sagte sie lachend, »meditiert über Eure Rache und reibt indessen Eure Wange.«

Ungehindert entfernte sie sich und gelangte bis zur Tür. Das Gewühl hatte nachgelassen, denn viele Leute waren gegangen, um sich zu erfrischen.

Zornerfüllt und gedemütigt betupfte Angélique mit dem Taschentuch ihre zerschundene Lippe.

»Hoffentlich sieht man es nicht zu sehr ... Was soll ich antworten, wenn Joffrey mir eine Frage stellt?

Man muß verhindern, daß er diesen Flegel aufspießt. Vielleicht lacht er nur darüber . Er ist gewiß der letzte, der sich über diese sauberen Edelleute aus dem Norden Illusionen macht .«

Als sie eben im Gedränge des Platzes ihre Sänfte und ihre Diener zu entdecken versuchte, schob sich unversehens ein Arm unter den ihren.

»Meine Gute, ich habe Euch gesucht«, sagte die Grande Mademoiselle, deren gewichtige Erscheinung neben ihr aufgetaucht war. »Ich mache mir die schlimmsten Gewissensbisse, wenn ich an all die Dummheiten denke, die ich heute früh in Eurer Anwesenheit gesagt habe, ohne zu wissen, wer Ihr seid. Ach, wenn man an einem solchen Festtag nicht die gewohnten Bequemlichkeiten zur Verfügung hat, lassen einen die Nerven im Stich, und die Zunge läuft davon, ohne daß man es sich recht versieht.«

»Eure Hoheit möge sich keine Gedanken machen. Ihr habt nichts gesagt, was nicht wahr oder gar schmeichelhaft wäre. Ich entsinne mich nur der letzten Äußerungen.«

»Ihr seid die Güte selbst. Ich bin beglückt, Euch zur Nachbarin zu haben . Ihr werdet mir doch noch einmal Euern Friseur ausborgen, nicht wahr? Könnt Ihr über Eure Zeit verfügen? Wollen wir zusammen im Schatten ein paar Trauben stibitzen? Was denkt Ihr darüber? Diese Spanier lassen ja ewig auf sich warten .«

»Ich stehe Eurer Hoheit zu Diensten«, erwiderte Angélique mit einem Knicks.

Am folgenden Morgen mußte man zur Fasaneninsel fahren, um den König von Spanien speisen zu sehen. Der ganze Hof drängte sich auf den Barken und machte sich die schönen Schuhe naß. Die Damen stießen kleine Schreie aus, während sie ihre Röcke rafften.

Angélique, in Grün und silberbestickte weiße Seide gekleidet, war von Péguillin mitgenommen worden und saß zwischen einer Prinzessin mit klugem Gesicht und dem Marquis d’Humières. Der kleine Monsieur, ebenfalls mit von der Partie, lachte viel und machte sich über die sauertöpfische Miene seines Bruders lustig, der gezwungen war, auf dem französischen Ufer zu bleiben, da er die Infantin nicht sehen durfte, bevor sie durch Hochzeit in Stellvertretung auf dem spanischen Ufer Königin geworden war. Dann erst würde er auf der Fasaneninsel erscheinen, den Frieden besiegeln und seine märchenhafte Eroberung mitnehmen. Die eigentliche Trauung sollte in Saint-Jean-de-Luz durch den Bischof von Bayonne erfolgen.

Die Barken glitten über das ruhige Wasser dahin, beladen mit ihrer buntschillernden Besatzung, und landeten sanft. Während Angéliques wartete, bis sie an der Reihe war auszusteigen, stellte einer der Edelleute den Fuß auf die Bank, auf der sie saß, und quetschte ihr mit seinem hohen, hölzernen Absatz die Finger. Sie unterdrückte einen Aufschrei. Als sie den Blick hob, erkannte sie den Edelmann vom Vortag, der sie so übel belästigt hatte.

»Das ist der Marquis de Vardes«, sagte neben ihr die Prinzessin. »Natürlich hat er es absichtlich getan.«

»Ein rechter Rohling«, beklagte sich Angélique. »Wie kann man einen so ungehobelten Menschen in der Umgebung des Königs dulden?«

»Er amüsiert den König durch seine Keckheit, im übrigen zieht er Seiner Majestät gegenüber die Krallen ein. Aber er ist berüchtigt bei Hofe.«

Angélique mußte in ihrem Zorn an Joffrey denken. Wo war er? Seit gestern hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er war nach Hause gekommen, um sich umzuziehen und sich rasieren zu lassen, während sie bei der Grande Mademoiselle festgehalten worden war. Sie selbst hatte sich drei- oder viermal in Hast und Erschöpfung umkleiden müssen. Sie hatte kaum ein paar Stunden geschlafen, aber der gute Wein, der bei jeder Gelegenheit gereicht wurde, hielt sie wach. Endlich entdeckte sie Joffrey in der Menge, die sich im Innern des in der Mitte der Insel gelegenen Hauses drängte.

Sie bahnte sich einen Weg bis zu ihm und berührte ihn mit dem Fächer. Er warf ihr einen zerstreuten Blick zu.

»Ah, da seid Ihr ja!«

»Ich sehne mich so schrecklich nach Euch, Joffrey. Aber Ihr scheint wenig beglückt, mich wiederzusehen. Findet Ihr es etwa auch lächerlich, wenn Ehegatten einander in Liebe zugetan sind?«

Er lächelte auf seine herzliche Art und legte den Arm um sie.

»Nein, Liebste. Aber ich sah Euch in so fürstlicher und angenehmer Gesellschaft .«

»Oh, angenehm!« wiederholte Angélique und strich sich über die gequetschte Hand. »Man läuft dabei Gefahr, zum Krüppel zu werden. Was habt Ihr seit gestern getan?«

»Ich habe Freunde getroffen, über dieses und jenes geschwatzt. Habt Ihr den spanischen König gesehen?«

»Nein, noch nicht.«

»Gehen wir in jenen Saal. Gerade wird sein Gedeck aufgelegt. Der spanischen Etikette gemäß muß er allein speisen, unter Beobachtung eines höchst komplizierten Zeremoniells.«

Der Saal war bis zur Decke mit Wandteppichen bespannt, die in gedämpften Farben die Geschichte des Königreichs Spanien erzählten. Es herrschte ein fürchterliches Gedränge.

Die beiden Höfe überboten einander an Luxus und Pracht. Die Spanier waren den Franzosen an Gold und Edelsteinen überlegen, aber diese taten sich durch den Schnitt und die Eleganz ihrer Kleidung hervor. Die jungen Leute aus dem Gefolge Ludwigs XIV trugen an diesem Tage Mäntel aus grauem, mit goldener Spitze bedecktem Moire; das Futter bestand aus Goldleinen, das Wams aus Goldbrokat. Die mit weißen Federn garnierten Hüte waren an der Seite mit Diamantnadeln hochgesteckt.

Lachend machte man einander auf die langausgezogenen, altmodischen Schnurrbärte der spanischen Granden und ihre mit schweren, altertümlichen Stickereien besetzten Gewänder aufmerksam.

»Habt Ihr diese flachen Hüte mit den kümmerlichen kleinen Federn gesehen?« flüsterte Péguillin kichernd.

»Und die Damen? Eine Galerie alter Hopfenstangen, bei denen man die Knochen unter den Mantillen erkennen kann.«

»In diesem Lande halten sich die Ehefrauen im Hause hinter Gittern verborgen.«

»Die Infantin soll noch Hüftpolster tragen und so große eiserne Reifen, daß sie sich seitwärts drehen muß, wenn sie durch eine Tür geht.«

»Ihr Schnürleib zwängte sie dermaßen ein, daß sie gar keinen Busen zu haben scheint, während sie in Wirklichkeit einen sehr schönen haben soll«, steuerte Madame de Motteville bei und bauschte ein paar Spitzen auf, die ihre magere Brust einrahmten.

Joffrey wandte ihr seinen boshaftesten Blick zu.

»Die Madrider Schneider müssen wirklich wenig geschickt sein«, sagte er, »wenn sie das Schöne dermaßen verunstalten, während die Pariser sich doch so glänzend darauf verstehen, das vorzutäuschen, was nicht mehr da ist.«

Angélique kniff ihn in den Samtärmel. Er lachte und küßte mit verständnisinnigem Augenzwinkern ihre Hand. Sie hatte das Gefühl, daß er etwas Unangenehmes vor ihr verbarg, wurde aber abgelenkt und dachte bald nicht mehr daran. Plötzlich trat Stille ein. Der König von Spanien war eingetreten. Angélique, die nicht sehr groß war, gelang es, rasch auf einen Schemel zu klettern.

»Wie eine Mumie«, flüsterte Péguillin.

Der Teint Philipps IV. war tatsächlich pergamentfarben. Mit automatenhaften Schritten begab er sich zu seinem Tisch. Seine großen düsteren Augen blickten starr. Das vorspringende Kinn stützte eine rote Lippe, die zusammen mit dem spärlichen kupferblonden Haar sein kränkliches Aussehen noch unterstrich. Durchdrungen von seiner geradezu göttlichen Größe als Souverän machte er keine Geste, die nicht der strengen Verpflichtung der Etikette entsprach. Gelähmt durch die Fesseln seiner Macht, einsam an seinem kleinen Tisch, speiste er, als hielte er Gottesdienst.

»Wer würde glauben, daß dieses Gespenst mit der Unbekümmertheit eines Hahnes zeugt?« ließ sich der unverbesserliche Péguillin de Lauzun vernehmen, als die Mahlzeit beendet war und man sich draußen wiederfand. »Seine Bastarde greinen auf den Gängen seines Palasts, und seine zweite Frau bringt unaufhörlich schwächliche Kinder zur Welt, die alsbald von ihrer Wiege in die Abdeckerei des Eskorials wandern.«

»Das letzte ist während der Botschaftertätigkeit meines Vaters in Madrid gestorben, als er um die Hand der Infantin bat«, erklärte Louvigny, der zweite Sohn des Herzogs von Gramont. »Ein weiteres ist inzwischen geboren worden, und sein Leben hängt nur an einem Faden.«

Der Marquis d’Humières rief mit Emphase aus: »Es wird sterben, und wer wird damit Erbin des Throns Karls V. werden? Die Infantin, unsere Königin!«

»Das sind wohl allzu kühne Gedankengänge, Marquis«, meinte der Herzog von Bouillon pessimistisch.

»Wer sagt Euch, daß dergleichen nicht von Seiner Eminenz dem Kardinal und sogar von Seiner Majestät vorausbedacht worden ist?«

»Gewiß, aber ein allzu großer Ehrgeiz ist dem Frieden nicht zuträglich.«

»Der Frieden! Der Frieden!« knurrte der Herzog von Bouillon. »In längstens zehn Jahren wackelt er.«

Er tat es nach knapp zwei Stunden. Plötzlich war alles aus, und man flüsterte, die Hochzeit fände nicht statt.

Don Luis de Haro und Kardinal Mazarin hatten zu lange gezögert, die letzten Einzelheiten des Friedensschlusses zu klären und sich über die neuralgischen Punkte zu einigen, die gewisse Dörfer, Straßen und Grenzlinien darstellten. Niemand wollte nachgeben. Der Krieg ging weiter. Ein halber Tag angstvollen Zauderns folgte. Man ließ den Gott der Liebe zwischen den beiden Verlobten, die einander nie gesehen hatten, intervenieren, und Ondedeï gelang es, der Infantin eine Botschaft zuzustecken, in der er ihr zu wissen tat, wie ungeduldig der König sei, sie kennenzulernen. Eine Tochter ist allmächtig über das Herz ihres Vaters. Bei all ihrer Fügsamkeit hatte die Infantin keine Lust, nach Madrid zurückzukehren, nachdem sie der Sonne so nahe gewesen war ...

Sie gab Philipp IV. zu verstehen, daß sie ihren Gatten haben wolle, und die für einen Augenblick in Verwirrung geratenen Zeremonien nahmen ihren Fortgang.

Die in Stellvertretung vorzunehmende Hochzeit fand auf dem spanischen Ufer in San Sebastian statt, und die Grande Mademoiselle nahm Angélique dorthin mit. Die Tochter des Gaston d’Orléans, in Trauer um ihren Vater, durfte nach der Sitte an der Feierlichkeit nicht teilnehmen, doch beschloß sie, »inkognito« zu erscheinen, das heißt, sie schlang ein Seidentuch um ihr Haar und legte keinen Puder auf.

Die Prozession durch die Straßen der Stadt schien den Franzosen wie ein seltsames Bacchanal. Hundert weißgekleidete Tänzer mit Schellen an den Beinen zogen degenschwingend voraus, dann folgten drei riesige, bis zum ersten Stockwerk der Häuser reichende Figuren aus Weidengeflecht, die man als Mohrenkönige ausstaffiert hatte, ein ebenso riesiger heiliger Christophorus, ein schrecklicher Drache, umfänglicher als sechs Walfische, fünfzig maskierte junge Burschen, die auf ihre baskischen Trommeln schlugen, und schließlich, unter einem Baldachin, das Allerheiligste in einer gigantischen goldenen Monstranz, vor der die Menge in die Knie sank.

In der Kirche stieg hinter dem Tabernakel eine mit einer Million Kerzen besteckte Treppe bis hoch ins Gewölbe auf.

Angélique betrachtete geblendet diesen brennenden Wald. Der schwere Weihrauchgeruch verstärkte die ungewöhnliche, morgenländische Atmosphäre der Kathedrale. Im Dunkel der Gewölbe und Seitenschiffe sah man die vergoldeten Balustraden dreier übereinanderliegender Podestreihen schimmern, wo zusammengepfercht auf der einen Seite die Herren, auf der anderen die Damen saßen.

Man mußte lange warten. Die unbeschäftigten Priester unterhielten sich mit den Französinnen, und Madame de Motteville entrüstete sich wieder einmal über die Bemerkungen, die man im Schütze des Halbdunkels an sie richtete.

»Perdone. Dejeme pasar!«[3] sagte plötzlich eine rauhe spanische Stimme neben Angélique.

Sie schaute sich um und erblickte ein bizarres Geschöpf. Es war eine Zwergin, ebenso breit wie hoch, mit einem Gesicht von drolliger Häßlichkeit. Ihre fleischige Hand stützte sich auf den Hals eines großen, schwarzen Hetzhundes. Ein Zwerg folgte ihr, ebenfalls in verbrämtem Gewand und weiter Halskrause, aber er hatte einen verschmitzten Ausdruck, und wenn man ihn anschaute, mußte man lachen.

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