Einundzwanzig

„Du sagtest also, dieser Emperor Norton war verrückt, Alter?“

Sam nickte und ging auf ihr Hotelzimmer zu. Es war tatsächlich besser als einige der Löcher, in denen sie bereits abgestiegen waren, aber das hieß nichts. Die Tapete sah so aus, als hätte sie schon dort geklebt, als ihr Vater hier abgestiegen war. Das Telefon hatte noch eine Wählscheibe. Als er sich auf das Bett neben der Tür setzte, stach Sam eine lose Feder in den Hintern.

„Ja“, antwortete Sam auf Deans Frage, „völlig durchgeknallt.“

„Hm, er hatte auch ’n schlechten Innenausstatter“, sagte Dean, als er seine Tasche am Fußende des anderen Betts fallen ließ und sich hinlegte. „Ich denke mal, das chinesische Restaurant öffnet nicht vor dem Mittagessen – oder?“, fragte er in Richtung Zimmerdecke.

„Ich werde es rausfinden.“

Sam zog den Laptop aus der Tasche und setzte sich an den winzigen Schreibtisch. Er öffnete ihn und suchte unter dem Tisch nach einer Steckdose. Dort waren nur zwei, in denen eine Lampe und der Fernseher eingestöpselt waren. Er zog den Lampenstecker heraus.

Er wusste, dass er besser nichts am Fernseher machte.

Wie auf Kommando nahm Dean die Fernbedienung vom Nachttisch und zappte ungeduldig durch die Kanäle.

Es dauerte länger als eine Minute, bis Sams Laptop hochgefahren war. Er seufzte und wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie einen neuen brauchten. Dieser hier war schon ein paar Jahre alt, und es war so viel Zeugs auf der Festplatte, dass es ein Wunder war, dass er überhaupt noch funktionierte.

Leider waren ihre einzigen Einkommensquellen das Pokern, ihre Billard-Tricksereien und die milden Gaben von Bobby. Aber seit Bobby im Rollstuhl saß, war er nicht mehr so großzügig wie früher. Außerdem brauchten sie Sprit für den Impala und selbst etwas zu essen. Es war unwahrscheinlich, dass sie rund tausend Scheine für einen ordentlichen Laptop auftreiben konnten.

Als der Computer endlich hochgefahren war, fand die WLAN-Karte ein ungesichertes Netzwerk, das dem Hotel gehörte. Das war ein Vorteil, wenn man in billigen Absteigen wohnte – die meisten hatten inzwischen kostenloses WLAN. Die schicken Hotels berechneten obszöne Gebühren für Internetzugänge.

Als Erstes prüfte Sam die Öffnungszeiten des Restaurants und sah, dass es um zwölf Uhr mittags öffnete. Dann lud er seine Mails runter und suchte im Netz nach etwas, das er im Tagebuch seines Vaters gelesen hatte.

Bingo.

„Hey Dean“, sagte er. „Ich habe etwas gefunden, das vielleicht nützlich sein könnte. Erinnerst du dich, dass Dad sich mit einem Professor aus Berkeley getroffen hat?“

„Ja, ich glaub schon“, antwortete Dean. „Warum?“

„Nun, er ist immer noch dort. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Abteilung für Asiatische Studien. Wäre vielleicht ’ne gute Idee, mal mit ihm zu reden.“

Dean zuckte mit den Schultern, während er vom Bett aufstand.

„Kann nichts schaden“, sagte er. „Andererseits, wenn wir Glück haben, gehen wir einfach ins Restaurant, sprechen den Zauber, besorgen uns ein bisschen Hühnchen Chow Fun und gehen wieder.“

Sam starrte ihn einfach nur an.

„Alter – haben wir je so viel Glück gehabt?“

Dean griff in seine Tasche und zog das Hakenschwert heraus.

„Stimmt auch wieder.“ Er stellte das Schwert zur Seite und legte sich wieder zurück aufs Bett. „Dann ruf doch besser den Typen an.“

Während Dean sich in die Folge von Dr. Sexy M.D. der vergangenen Woche vertiefte, rief Sam die Universität an und navigierte durch eine irritierende Anzahl von automatischen Nachrichten. Das Wählscheibentelefon war dabei nicht gerade eine Hilfe. Endlich landete er auf Marcus Wallace’ Anrufbeantworter.

„Hi, Professor, hier ist Sam Winchester. Mein Bruder Dean und ich sind in San Francisco. Ich glaube, Sie haben vor zwanzig Jahren unseren Vater, John Winchester, kennengelernt und ich glaube, Sie kennen auch Bobby Singer. Wir sind hier, weil wir glauben, dass das Herz des Drachen zurück ist, und wir brauchen Ihre Hilfe. Wenn Sie mich zurückrufen könnten, wäre das toll.“

Sam gab ihm seine Handynummer und beendete das Gespräch.

Dann rief er Bobby an, um zu sehen, ob etwas passiert war.

„Der Engel hat vorbeigeschaut und meinte, er würde irgendwann bei euch vorbeikommen“, sagte Bobby und in seiner Stimme klang Bitterkeit mit. In seinem Zustand verübelte er Castiel, dass er die Fähigkeit zum Heilen verloren hatte. Für seinen Teil glaubte er, dass es Castiel einfach nicht wichtig genug war – was ihn nur noch wütender machte. „Ich lasse den Bastard wissen, dass ihr angekommen seid und wo ihr wohnt, für den Fall, dass ihr ein bisschen himmlischen Beistand benötigt.“

„Okay, Bobby, danke.“ Sam war sich nicht sicher, ob Bobby es Castiel überhaupt mitteilen musste, aber Bobby das zu sagen wäre, als würde man Salz in die Wunde des verkrüppelten Mannes reiben. Also legte er einfach auf.

Dann suchte er weiter im Internet, um zu sehen, ob in den vergangenen beiden Tagen etwas Auffälliges passiert war. Im San Francisco Chronicle stand ein Bericht über zwei bisher unidentifizierte Leichen – eine Frau und ein Mann – die in der Nähe des Lake Lloyd im Golden Gate Park gefunden worden waren. Die Frau war regelrecht geröstet worden und wies lange Schnittwunden am ganzen Körper auf. Den Mann hatte man seltsamerweise ohne sichtbare Verletzungen gefunden.

„Wir haben noch ein verbranntes Opfer“, sagte Sam. „Und die Wunden stimmen mit …“

Sam verstummte, als er ein wohlbekanntes Schnarchen hörte. Es war Dean, der vor dem Fernseher eingedöst war. Er blickte über die Schulter und sah, wie Dr. Sexy eine Ohrfeige von einer seiner Krankenschwestern bekam. Sam zuckte mitfühlend zusammen, ging zum Bett hinüber und zog vorsichtig die Fernbedienung aus Deans gelockertem Griff. Er schaltete den Fernseher aus, damit er in Ruhe am Computer arbeiten konnte.

Das ließ Dean auffahren.

„Hey, ich habe mir das gerade angesehen!“, bellte er.

„Sorry, Alter“, sagte Sam leise. Er schaltete wieder ein und gab Dean die Fernbedienung zurück. Dean musste erneut durch die Kanäle schalten, um die Sendung wiederzufinden.

Bevor er den Sender finden konnte, trat jemand die Tür ein.

„Also, das eine Mädchen packt das andere Mädchen und zieht sie an den Haaren. Mein erster Gedanke ist jetzt ‚Hey, es ist eine Party‘. Natürlich weiß ich, dass sie irgendwann die Kontrolle verlieren und ich denke, dass ich einschreiten muss.“

James ‚Tiny‘ Deng grunzte, als er mit Albert Chaos SUV auf die Ellis Street abbog und sich nach einem Parkplatz umsah. Er hasste es regelrecht, wenn er mit Jake Leung zusammenarbeiten musste. Jake hielt einfach nie die Klappe.

„Also halte ich sie auseinander und eine von ihnen – die mit den langen Haaren – krallt sich in meinen Arm. Schau mal, was sie mit mir gemacht hat.“ Jake hielt einen Arm hoch, um die Kratzer zu zeigen, aber Tiny sah gar nicht richtig hin.

Auf der Ellis Street war weit und breit kein Parkplatz zu sehen, aber Tiny fand eine Lücke vor einem Hydranten. Er zuckte die Schultern und parkte dort. Dann zog er einen Zettel aus dem Handschuhfach und legte ihn auf das Armaturenbrett. Dort stand in Blockbuchstaben SFPD – EINSATZ. Tiny hatte keine Ahnung, wo der Boss das Teil herhatte, aber es war nützlich, wenn man keinen Parkplatz fand.

Soweit Tiny sich erinnern konnte, war erst einmal jemand trotzdem abgeschleppt worden, und der Boss hatte das Auto wiederbekommen, ohne einen einzigen Penny zu bezahlen.

So machte man Geschäfte.

„Egal, ich wollte der Schlampe ’ne Lektion erteilen, also habe ich …“

Zu dieser Zeit hatte sein Partner seine zwei Meter fünf große Gestalt bereits aus dem SUV bewegt und starrte ihn einfach nur an, weil er noch angeschnallt auf dem Beifahrersitz saß.

„Äh, Jake? Wir sind da.“

„Häh?“ Jake sah sich um und wurde sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass der Wagen angehalten hatte. „Richtig.“ Er öffnete die Tür und sprang auf den Gehweg. Dabei konnte er gerade noch dem Hydranten ausweichen. „Also. Was suchen wir noch mal?“

Tiny grunzte erneut. Er hatte es ihm bereits erklärt, aber Jake hörte so gern den Klang seiner eigenen Stimme, dass er sonst nicht viel mitbekam.

„Wir suchen zwei Typen in diesem Hotel“, sagte er. „Die haben so ein Schwert und wir sollen’s für den Boss holen. Er hat gesagt, wir sollen jeden abmurksen, der uns in die Quere kommt.“

„Okay. Das machen wir. Lass uns hoffen, dass sie keine Schlampen dabeihaben. Ich will keine neuen Kratzer.“ Er blickte bedauernd auf seinen Arm, der, soweit Tiny sehen konnte, keine Schramme aufwies.

Tiny sah sich um. Er entdeckte eine dreistöckige Fassade mit einem Laden für Bilderrahmen im Erdgeschoss und einem Zeichen neben der Tür, das nach oben deutete.

„Sieht so aus, als wäre es hier – lass uns mal nachsehen.“

Tiny ging auf die Tür zu, Jake folgte ihm. Nachdem sie eine schmale Treppe hinaufgestiegen waren, standen sie in einer kleinen Lobby mit rissigen Ledersofas und kaputten Tapeten. Zwei Flure mit ausgeblichenen Teppichen führten nach hinten. Hinter einer abgewrackten Theke saß ein aknebedeckter Junge, der Entertainment Weekly las. Auf dem Namensschild auf seiner Brust stand ELMER.

Ohne auch nur von seiner Zeitung aufzusehen, sagte Elmer mit gelangweilter Stimme: „Kann ich Ihnen helfen?“

Tiny tauschte einen kurzen Blick mit Jake und zog seine .45er, Jake tat es ihm nach. Während Tiny eine Kimber Ultra Refined Carry Pistole Modell II bei sich trug, musste Jake es wie üblich mit seiner Para-Ordnance Nite-Tac ACP übertreiben. Meistens dienten die Waffen sowieso nur zum Drohen. Wenn jemand in den Lauf einer solchen Handfeuerwaffe blickte, taten alle für gewöhnlich, was ihnen befohlen wurde.

Als er keine Antwort bekam, ließ Elmer sein Magazin sinken, sprang von seinem Hocker und stieß ihn aus Versehen nach hinten um.

„Oh, Gott, bitte töten Sie mich nicht, bitte nicht …“

„Schnauze!“, brüllte Jake. „Du hörst dich an wie ’ne Schlampe. Ich hasse Schlampen.“

„Nur eine Frage“, sagte Tiny und ignorierte seinen Partner. „Ist heute jemand angekommen? Vielleicht zwei Typen Mitte zwanzig?“

Elmer konnte seine Augen nicht vom Lauf von Tinys Kimber lösen.

„Da wa-wa-waren-diese, äh, diese zwei Kerle. In, äh, Raum 102.“

„Danke“, sagte Tiny. Er nickte in Richtung der Treppe. „So, jetzt hau hier ab und komm erst in ungefähr einer Stunde wieder, nicht früher. Wenn du irgendjemandem was sagst, werden wir dich finden und dir den Kopf wegpusten.“

Elmer lief blitzschnell hinunter und floh aus der Haustür.

Tiny drehte sich um und ging vor Jake den Flur hinunter. Er folgte dem Zeichen für die Zimmer 100 bis 150. Seine riesige Gestalt füllte die gesamte Breite des engen Korridors aus.

Als sie vor Zimmer 120 standen, hielt Tiny drei Finger hoch.

Dann zwei.

Dann einen.

Dann trat er die Tür ein.

Im Zimmer befanden sich zwei winzige weiße Männer. Natürlich waren aus seiner Perspektive alle winzig …

Einer hatte wirres dunkles Haar und saß am Schreibtisch. Der andere hatte sich auf dem Bett niedergelassen, das näher am Fenster stand. Er hielt ein Schwert – mit Sicherheit das, das sie für den Boss holen sollten.

Er erhob seine .45er.

„Keine Bewegung.“

„Wir bewegen uns nicht“, sagte der am Schreibtisch schnell, stand auf und erhob die Hände.

„Keiner wird verletzt, in Ordnung?“, sagte Jake. „Wir sind nur hier, um diesen kleinen Zahnstocher da abzuholen. Wisst ihr, ihr könntet euch damit ein Auge ausstechen.“

Der Typ, der auf dem Bett saß, betrachtete Jake misstrauisch.

„Ihr wollt dieses Schwert?“

„Das stimmt. Also, mach deinen hässlichen Kopf zu und schieb es rüber!“

Jake ging zu ihm.

Tiny hielt seine Waffe auf den gerichtet, der am Schreibtisch stand.

Jake trat neben den anderen mit dem Schwert und drückte ihm die .45er an die Schläfe. Dann streckte er seine freie Hand aus.

„Gib es mir.“ Er versuchte, bedrohlich zu klingen. „Versuch hier bloß nichts Dummes, oder ich schwöre bei Gott, ich jage dir eine Kugel in den Kopf.“

Tiny wusste es besser und wünschte, sein Partner würde aufhören zu reden. Wenn Jake wirklich abdrückte, würde ihn der Rückstoß auf diese Distanz zu Boden werfen. Außerdem würde der Schuss sonst wohin gehen. Das einzige Mal, dass Jake je die Waffe abgefeuert hatte, war auf dem Schießstand in Pression gewesen, auf unbewegliche Ziele. Plötzlich schlug der Typ Jakes Hand weg, griff nach dem Lauf und schlug ihm den Griff des Schwerts ins Gesicht.

Tiny reagierte eine Sekunde lang nicht. Er war seit Jahren Geldeintreiber und hatte noch nie gesehen, dass irgendjemand irgendwas tat, außer sich nass zu machen, wenn er eine .45er auf sich gerichtet sah.

Er war sich ziemlich sicher, dass das alles nicht passiert wäre, wenn Jake für eine halbe Sekunde die Klappe gehalten hätte.

Der am Schreibtisch sprang ihn an und Tiny versuchte, einen Schuss zu platzieren, aber die Kugel landete in der Decke. Billiger Gips regnete auf sie herunter, während der Typ ihn umrannte.

Oder es zumindest versuchte, denn Tiny wog mindestens dreihundert Pfund und das meiste davon waren Muskeln.

Der Typ boxte Tiny ein paar Mal gegen die Brust.

Tiny lächelte nur.

Dann schlug er den Typen mit voller Kraft ins Gesicht, sodass er quer durch den Raum gegen den Schreibtischstuhl flog und zusammenbrach. Er lag bewusstlos auf dem Boden.

Tiny drehte sich um und sah, dass sein Bruder jetzt die .45er in der Hand hielt und auf Jake zielte. Im Gegensatz zu Jake, der nicht viel mehr tun konnte, als in Strömen zu schwitzen, zielte er aus sicherer Distanz. Jake setzte sich auf das Bett neben der Tür.

Scheiße.

Der Kurzhaarige legte das Schwert aufs Bett und griff die .45er mit beiden Händen.

Tiny setzte seinen bedrohlichsten Tonfall ein und zielte auf seinen Gegner.

„Fallen lassen.“

„Du zuerst, Jackie Chan. Eine Bewegung und ich knipse deinen Freund aus.“

Tiny zuckte die Schultern.

„Mach ruhig. Dann hält er vielleicht endlich mal das Maul.“

„Hey!“, sagte Jake. „Was zur Hölle, Tiny, warum kannst du nicht …?“

Tiny zielte nach unten und schoss Jake viermal in die Brust. Es würde einfach sein, den Boss zu überzeugen, dass es diese beiden Typen gewesen waren.

Was will er schon machen? Die Kugeln analysieren?

Aber er hatte fünf Schüsse gehört und taumelte zurück. Ein stechender Schmerz schoss von der Schulter durch seinen Arm.

Als Tiny Jack erschoss, hatte der Typ auf ihn gefeuert.

Das machte Tiny erst richtig wütend.

Er fand das Gleichgewicht wieder und schwang die Kimber aufwärts. Doch bevor er abfeuern konnte, traf ihn etwas am Kopf.

Er legte eine Hand an die Stirn und fühlte, dass Blut in seine Augen lief. Er konnte nicht mehr klar sehen, erkannte aber, dass der langhaarigere der beiden Brüder auf die Beine kam. Tiny wusste nicht, was er geworfen hatte, aber es tat weh.

Der Typ kam mit einem Satz auf ihn zu, griff nach seinem Arm und hieb ihn nach unten. Das war nicht sonderlich schmerzhaft, aber Tiny ließ reflexartig seine .45er fallen.

Mit seinem freien Arm schlug Tiny ihm noch einmal ins Gesicht. Es war der Arm, in dem bereits eine Kugel steckte, und es schmerzte höllisch.

Als der Typ wieder rückwärts taumelte, fiel Tiny vorwärts aufs Bett. Obwohl er bei Bewusstsein war, rührte er sich nicht.

„Steh auf und versuch gar nicht erst, nach der Waffe zu greifen“, sagte der Kerl, der Jakes .45er hatte.

Aber Tiny wusste nicht einmal, wo seine Waffe geblieben war. Er hatte allerdings eine bessere Idee.

Er steckte seine Finger zwischen Matratze und Rahmen, wuchtete sie hoch und warf sie einfach auf den Kerl mit der Pistole. Dabei hievte er sich mühsam auf die Beine.

Der Schuss aus Jakes .45er hallte durch den Raum, die Kugel schlug ein Loch in die Matratze.

„Dean!“, schrie der andere.

Tiny stieg über Jakes Leiche und griff nach dem Hakenschwert auf dem anderen Bett. Der Größere sprang ebenfalls danach, aber Tiny schlug mit dem Heft nach ihm, so wie dieser Dean Jake geschlagen hatte.

Zuerst wollte Tiny die beiden fertigmachen – dann entschied er sich dagegen. Er hatte keinen genauen Befehl erhalten, nur die Anweisung, nicht zu zögern jemanden zu töten, wenn es notwendig war. Aber jetzt rann ihm Blut in die Augen, er konnte seinen linken Arm nicht richtig bewegen – er tat verschissen weh – und er hatte, weswegen er gekommen war.

Es war Zeit für Schadensbegrenzung.

Er ließ die .45er nicht gern zurück – das war die Standardprozedur für Waffen, die bei einem Verbrechen benutzt worden waren. Irgendwie glaubte er aber, dass diese zwei wahrscheinlich nicht zu den Cops rennen würden.

Während die beiden mit der Matratze beschäftigt waren, schlich er sich aus dem Zimmer.

Zuerst hatte Dean keine Ahnung, wer die beiden Typen waren, die plötzlich im Zimmer standen. Als sie das Schwert haben wollten, war klar, dass sie für Albert Chao arbeiteten. Insbesondere der Kerl mit dem Nacken, der ungefähr den Umfang von Cleveland hatte. Ihm stand geradezu „Mafia-Schläger“ auf die Stirn geschrieben.

Woher zur Hölle wussten die, wo sie waren?

Jetzt hieß es einfach nur am Leben bleiben.

Glück für ihn, dass der Kleinere so mit Reden beschäftigt war, dass er nicht aufpasste, was er machte. Eines der ersten Dinge, die John ihm und Sam beigebracht hatte – sobald sie alt genug waren – war, wie man sich gegen jemanden mit einer Feuerwaffe verteidigte.

„Das Beste“, hatte John gesagt, „ist, wenn sie ganz nahe herankommen. Wenn sie Distanz halten, bist du in Schwierigkeiten, weil du dann nichts machen kannst. Aber wenn sie dir nahe genug kommen, greifst du den Lauf. Selbst wenn sie abdrücken können, wird deine Hand den Schlitten blockieren. Das wird verdammt wehtun, aber dann kann er nicht mehr schießen.“

Dean und Sam hatten das tausend Mal geübt, mit und ohne ihren Vater. Als der kleinere Typ Dean die Waffe an den Kopf hielt, wollte er ihm fast schon danken.

Drei Sekunden später hatte er ihm die Waffe abgenommen.

Dean hatte allerdings nicht erwartet, dass der Typ mit dem Schilddrüsenproblem seinen Kumpel abknallen würde. Währenddessen gelang es ihm aber, auf den Typ zu feuern.

Das konnte den Großen aber nicht lange abhalten und bevor Dean zur Besinnung kam, klebte er schon an der Matratze.

Dann war der Schläger weg und hatte das Schwert mitgenommen.

Mistkerl!

Dean rannte ihm nach, schob die .45er in den Hosenbund und bedeckte sie mit seinem Flanellhemd. Er würde nicht viel Zeit haben, falls jemand die Bullen gerufen hatte, und er musste das Schwert zurückbekommen.

Als er auf der Straße angekommen war, stieg der Riese gerade in ein Auto, das vor einem Hydranten geparkt war.

Der Impala stand einen Block entfernt und er würde es nie schaffen, ihn zu Fuß einzuholen.

Außerdem würde er sich hüten, einen Schuss mitten auf der Ellis Street abzufeuern.

Als er wieder hineinging, war Sam auf dem Flur. Er kam allerdings nicht hinter Dean her, sondern ging mit einem Eimer Eis zurück ins Zimmer.

Als Dean genau hinsah, konnte er erkennen, dass Sams ganzes Gesicht rot angelaufen war.

„Verdammt – Asia-Hulk hat dich mächtig erwischt, oder?“

Sam nickte wieder und in seiner Stimme klang der Schmerz mit. „Ja, es sieht so aus, als hätte Chao auf uns gewartet – oder zumindest auf das Schwert. Er ist wohl doch nicht einfach nur so ein Schwächling, wie Dad dachte.“

„Oder vielleicht hat er in den letzten zwanzig Jahren dazugelernt. Egal, wir müssen vorsichtiger werden. Und wir brauchen das Schwert zurück.“

„Was meinst du, sollten wir als Nächstes machen?“

„Erst mal lassen wir Jackie Chan hier verschwinden. Dann will ich mir die Leiche von letzter Nacht ansehen, bevor wir zu Shin’s Delight gehen. Dads Aufzeichnungen sind ja ganz gut, aber er hat keine der Leichen selbst gesehen.“

„Ich glaube, diese Sache machst du besser mal allein“, sagte Sam. „Bundesagenten gehen normalerweise nicht in den Einsatz, wenn ihr Gesicht aussieht, wie ein Klumpen Fleisch.“

Dean grinste.

„Ja, wenigstens haben wir auch ein paar Mal getroffen.“ Dean sah auf den toten Körper herunter. „Während ich weg bin, kümmerst du dich um den hier?“

Sam nickte und zuckte dabei vor Schmerz zusammen.

„Bin dabei. Ich brauche nur deine Hilfe, um ihn ins Auto zu bekommen.“

„Ja, das geht.“ Dean warf Sam die Schlüssel zu, der steckte sie in die Tasche. Dann legte er das mit Eis gefüllte Handtuch zur Seite, sodass er die Leiche in die Tagesdecke einwickeln konnte.

Dean zog in der Zwischenzeit seinen Anzug an.

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