Drei

Moondoggy fand die ganze Sache vollkommen uncool.

Es hatte so wie immer angefangen: Moondoggy brauchte Geld für Gras. Das war nichts Ungewöhnliches, weil Moondoggy Schwierigkeiten damit hatte, sich eine einträgliche Anstellung zu sichern. Dealer dagegen hatten damit Schwierigkeiten, ihm Gras zu verkaufen, wenn er nicht dafür zahlen konnte.

Das war nicht fair, er wollte ja arbeiten. Michael James Verlander hatte beschlossen sich ‚Moondoggy‘ zu nennen, nachdem er zu kiffen begonnen hatte und vor sechs Jahren nach San Francisco gezogen war. Er fand nur diese ganze ‚Anweisungen ausführen‘-Szene nicht so hip. Das hatte seine Karriere als Roadie aus der Bahn geworfen. Er war sogar gut gewesen und hatte für Dead, Ten Years After und ein paar andere gearbeitet.

In letzter Zeit aber bekam er nicht mehr so viele Gigs.

Aber in einem war Moondoggy schon immer gut gewesen – im Finden von Sachen.

Als Albert Chao sich eines Nachts in der Bar an seinen Tisch setzte und ihm erzählte, dass er nach einem Papier suche, das zu einem Zauberspruch gehöre, war er dabei. Seine Ex war Kellnerin in dieser Bar und Albert war Stammgast.

Moondoggy kannte ein paar Leute, die mit dieser Art von unheimlichem Zeug arbeiteten. Albert versprach einen ganzen Batzen Kohle und das bedeutete, dass Moondoggy wieder mehr Gras kaufen konnte.

Zuerst ging er zu dem Head-Shop in Haight-Ashbury, wo Ziggy seine Comics verkaufte. Ziggy war die ganze Zeit auf der Jagd nach irgendwelchem freakigen Zeug, bis zu seiner Beinverletzung. Jetzt lief er auf Krücken und schrieb und zeichnete Comics über einen Typen, der Monster jagte.

Moondoggy kaufte sich einen seiner Comics und im Austausch dafür nannte ihm Ziggy den Namen eines Kerls in der Tenderloin Street. Der Tenderloin-Typ sagte ihm im Austausch für den Comic einen weiteren Namen. Das kam Moondoggy gelegen, weil er Ziggys Comics hasste und ihn sowieso weggeworfen hätte.

Dann stieß er auf Schwierigkeiten.

Der Tenderloin-Typ hatte ihn zu ’ner Braut namens Sunflower zurück in die Haight Street geschickt, die nach echt gutem LSD suchte. Ihr üblicher Dealer war von den Bullen hopsgenommen worden und ihre anderen hatten nur Stoff, der schon durch zu viele Hände gewandert war.

Das war aber nicht die Schwierigkeit. Moondoggy schlug sich nie mit Acid herum – dem Zeug, das deinen Geist erweitern sollte. Er zog es eher vor, seinen zu betäuben. Aber er wusste, wo man das beste LSD der Bay Area bekam. Im Austausch dafür, dass er Sunflower dem Acid-King vorstellte, konnte Moondoggy sich endlich das Zauberspruchfragment für Albert Chao sichern.

Moondoggy ging die 25th Street entlang, die Novemberluft war kalt und er rieb sich die Arme. Er näherte sich einer beeindruckenden viktorianischen Fassade, einen halben Block entfernt. Er trug nur seine Schlaghosen, Birkenstock-Latschen und ein Batik-T-Shirt, das ihm seine Ex zum Geburtstag geschenkt hatte, bevor sie Schluss gemacht hatten. Er hatte mal eine Jeansjacke gehabt, aber die war irgendwann verschwunden. Vielleicht hatte er sie sogar für etwas Gras verkauft. Er konnte sich nicht erinnern.

Die Wohnung, auf die er aufpasste, war im Inner Mission District, an der Guerrero, nahe der 22nd. Es war nur ein Spaziergang von zehn Minuten nach Dolores Park, hätte aber auch auf einem anderen Planeten sein können. Es waren kaum Leute auf der Straße und die wenigen, die er traf, gingen direkt von ihren schicken Sportwagen zur Haustür. Andere beobachteten ihn hinter ihren Spitzengardinen.

Keiner von ihnen wagte sich in die Kälte. Wetter war etwas, an dem sich Bauern störten.

Jede Minute, das wusste er einfach, würde jetzt einer die Bullen rufen.

Seine knubbeligen Knie wurden weich. Er ging auf die viktorianische Haustür zu, die jemand kotzgrün angestrichen hatte.

Als er an die Tür klopfte, fühlte er einen eisigen Hauch, der nichts mit dem Wind zu tun hatte, der von der Bucht her blies. Die Tür klang beim Klopfen hohl, als ob er an einen Sarg klopfte.

Mehrere Sekunden antwortete niemand. Das wurde Moondoggy jetzt langsam alles zu heavy.

Als er gerade aufgeben, zu seiner Bude zurückkehren und überlegen wollte, was er Albert sagen sollte, öffnete jemand die Tür einen Spalt. Sie quietschte schneidend laut und er zuckte zusammen.

Jemand stand auf der anderen Seite, aber es war dort dunkel, und Moondoggy konnte kein Gesicht erkennen.

„Hey, Mann, was geht ab?“, sagte er zögernd. „Sunflower schickt mich.“

„Bist du Moondoggy?“, antwortete eine Stimme, die wie zerknittertes Papier klang.

„Äh, ja, Mann, das bin ich. Ich bin nur hier, um das Zauberspruchfragment abzuholen.“

„Dir ist klar, dass das, was ich dir aushändige, nicht vollständig ist?“

Jetzt, da er seinen Mut wiedergefunden hatte, wurde er langsam ungeduldig.

„Schau mal, Mann, ich bin ja nicht zum College gegangen oder so, aber ich weiß, was das Wort ‚Fragment‘ bedeutet, okay? Ich bin nur hier, um das Teil abzuholen, weißt du, was ich meine?“

Einen Moment schwiegen beide.

„Warte hier“, sagte die zerknitterte Papierstimme und schloss die Tür mit einem lauten Knall, der die Haare in Moondoggys Bart erbeben ließ.

„Hätte mich ja wenigstens mal reinlassen können“, murmelte er und rieb sich erneut die Arme. „Hätte Albert im Voraus bezahlen lassen sollen.“

Er war nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war – Moondoggy hatte nie eine Uhr besessen, was ein weiterer Grund dafür war, dass seine Karriere als Roadie nicht von langer Dauer gewesen war. Dann öffnete sich endlich wieder quietschend die grüne Tür.

Diesmal öffnete sich die Tür weiter, sodass Moondoggy einen Blick auf den Kerl auf der anderen Seite erhaschen konnte. Er hatte eine Haut, die faltiger war als die eines Zirkuselefanten und dürre weiße Haarbüschel auf dem großteils kahlen Kopf. Leberflecken bedeckten seinen Scheitel.

An der Wand waren Konzertposter, was Moondoggy überraschte. Er hatte nicht gedacht, dass Kerle, die mit Zaubersprüchen handelten, gute Musik mochten, aber da war ein Poster von Dead, als sie im Februar und März im Filmore gespielt hatten.

War es dieses oder letztes Jahr gewesen? Er war noch nie gut mit Jahreszahlen gewesen. Eine knorrige Hand streckte sich ihm entgegen und hielt ein Stück Papier, das ebenso zerknittert war, wie die Stimme des Mannes klang.

„Geh umsichtig damit um“, sagte der Mann. „Das ist ein Teil eines Spruchs, der einen bösen Geist aus den tiefsten Tiefen der Hölle heraufbeschwören kann.“

„Oh, ja. Heftig.“ Moondoggy nahm den hingehaltenen Schnipsel und sah ihn sich an. Das sah aus wie ein Haufen Nonsens. Er konnte keine anderen Sprachen sprechen außer Englisch und Spanisch, und das sah wie keine von beiden aus. Mit einem Schulterzucken schob er das Papierstück in die Tasche seiner Schlaghosen.

„Danke, Mann. Hey, warst du bei der Show von Dead im Filmore? Weil die …“

Die Tür schlug wieder zu.

„Wohl nicht.“ Er drehte sich um und ging die Treppe hinunter. Mit jedem Schritt wuchs sein Bedürfnis, so weit weg wie nur möglich von diesem düsteren viktorianischen Haus zu kommen.

Also ging er so schnell er konnte in den Inner Mission District. Hier fühlte Moondoggy sich zu Hause. Hier waren Leute auf der Straße und keiner sah ihn komisch an. Und das Beste von allem: Hier gab es keine unheimlichen alten Kerle mit fiesen Stimmen und Zauberspruchfragmenten.

Endlich kam er zu Hause an.

Natürlich war das eigentlich nicht Moondoggys Zuhause. Die Bude gehörte eigentlich seinem Kumpel Freddy, der im August nach Osten zum Woodstock Festival gefahren war. Dann hatte er sich entschieden, in New York zu bleiben und ein berühmter Folkmusiker zu werden. Das Letzte, was Moondoggy von ihm gehört hatte, war, dass er einen Gig in Gerde’s Folk City in Greenwich Village bekommen hatte. Viele Leute hatten ihren Durchbruch im Folk City gehabt. Bob Dylan, Arlo Guthrie, Judy Collins und Doc Watson, also hatte Freddy gedacht, was die können, kann ich auch.

Natürlich wusste Freddy nicht mal, wie er seine Gitarre richtig stimmen konnte, also hatte Moondoggy nicht viel Hoffnung. Aber solange Freddy seinen Traum verwirklichte, hatte er einen Platz zum Übernachten, und das war alles, was zählte.

Er hoffte nur, dass Freddy nicht herausfinden würde, was mit seinem echt abgefahrenen Becher passiert war. Freddy hatte verkündet, dass er das Koffein runtergefahren hatte, also würde er es vermutlich nicht mal bemerken.

Er erklomm eine wacklige Treppe und fummelte in der Hosentasche nach den Schlüsseln. Sein Abkommen war klasse – Freddy nahm ihm keine Miete ab. Er hatte ihn lediglich gebeten, seine Katze Viola Lee zu füttern, und das war seit Wochen kein Thema mehr.

Als er an seinem Ziel angekommen war, streckte er die Hand nach dem Türknauf aus.

Aber sie öffnete sich von selbst.

„Abgefahren“, murmelte Moondoggy und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Aber er beruhigte sich schnell wieder. „Musst vergessen haben, abzuschließen.“ Das wäre sicherlich nicht das erste Mal. Das war genau der Grund, warum er sich nicht länger Gedanken um Viola Lee machen musste.

Als er eintrat, hörte er, dass eine Led-Zeppelin-Platte auf seinem – okay, Freddys – Plattenspieler lief. Da wusste Moondoggy, dass hier was nicht stimmte. Erstens, er hasste Zeppelin. Dazu kam, dass er ein paar Stunden weg gewesen war. Wenn er also eine Platte angelassen hätte, wäre die Nadel schon lange am Ende der Seite angekommen. Sie würde auf keinen Fall mehr spielen.

Er ging vorsichtig durch den kurzen Flur ins winzige Wohnzimmer der Bude und sah jemanden auf der Couch sitzen.

„Albert?“, fragte Moondoggy und man konnte seine Erleichterung geradezu spüren. „Du bist ja früh dran, Mann. Nicht, dass ich mich beschweren will oder so.“ Er erinnerte sich vage, dass er seinen Nachbarn gebeten hatte, nach Albert Ausschau zu halten. Timing war nicht gerade eine von Moondoggys Stärken.

Albert lächelte nur. Er war ein junger Asiate und wenn Moondoggy sich recht erinnerte, war er halb Chinese, halb Japaner. Sein dunkles Haar mit der Pilzkopffrisur verlieh ihm das Aussehen eines asiatischen Paul McCartney mit flachem Gesicht. Oder zumindest so, wie Paul McCartney ausgesehen hatte, bevor er sich einen Vollbart wachsen ließ. Die Nasenspitze stand ein bisschen vor, was irgendwie komisch wirkte. Albert trug eine weiße Nehrujacke und schwarze Hosen. Er wirkte viel zu elegant, um in so einem Loch herumzuhängen.

Er stand auf.

„Ich arbeite nach einem Zeitplan, Doggy. Weißt du, Zaubersprüche wirken am besten in der Neumondnacht.“ Sein Gesichtsausdruck besagte, dass er sich eine Wirkung von dieser Äußerung erhoffte.

„Abgefahren, Mann“, antwortete Moondoggy nickend. Er hatte dem Mondzyklus nie viel Beachtung geschenkt, also hatte er keine Ahnung, wann vielleicht Neumond war. Er grub mit der Hand in der Hosentasche und zog den Papierfetzen heraus, den der alte Mann ihm gegeben hatte. „Hier, Mann. Hast du auch meine Kohle?“

Albert nahm das zerknitterte Papier aus Moondoggys Hand und betrachtete es aufmerksam.

„Alles zu seiner Zeit, ’Doggy. Ich muss sichergehen, dass das hier die richtige Ware ist.“

Moondoggy nickte.

„Das verstehe ich, Mann.“ Er hatte schon oft Gras gekauft, ohne zu prüfen, ob es gut war, und meistens zu seinem Bedauern. Ist immer gut, zuerst die Ware zu inspizieren.

Albert zog einen viel glatteren Papierstreifen aus seiner Nehrujacke. Er entfaltete ihn und hielt ihn neben das Papier, das Moondoggy ihm gegeben hatte.

Dann fing er an, breit zu grinsen.

Da stimmte etwas mit dem Grinsen nicht.

„Ausgezeichnet.“

„Kann ich jetzt meine Kohle kriegen?“, fragte Moondoggy. Er wollte es endlich hinter sich haben.

Aber Albert hatte scheinbar vollkommen vergessen, dass er da war. Jetzt schien er etwas zu singen, und obwohl Moondoggy die Worte nicht verstand, hatte er das Gefühl, dass es sich um die unheimlichen Worte handelte, die er auf dem Papierstück gesehen hatte.

Obwohl er sich für gewöhnlich damit brüstete, wie locker er drauf war, wurde er jetzt langsam sauer. Er wurde nicht gern ignoriert und hatte zudem wichtige Sachen zu tun.

„Hey Mann, du kannst diesen Zauberspruch doch später bei dir aufsagen. Ich muss mir hier noch Gras besorgen, bevor ich mich mit meiner alten Lady treffe und …“

Dann ging der Couchtisch in Flammen auf.

„Oh, Mann!“, schrie Moondoggy. Freddy würde den Becher vielleicht nicht vermissen und Katzen rannten immerzu weg, darüber würde er sich nicht aufregen, aber der Couchtisch? Das würde er bemerken! Er griff sich eine Decke und versuchte, die Flammen zu ersticken.

Dann erstarrte er.

Der Couchtisch war bereits zu einem Häufchen Asche verbrannt, aber jetzt konnte Moondoggy eine Gestalt im Feuer erkennen. Das Flackern der Flammen warf merkwürdige Schatten.

Albert hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht.

„Ja! Es hat geklappt! Endlich! Es ist sogar besser, als ich dachte!“ Dann sah er Moondoggy bedauernd an. „Ich muss mich entschuldigen, ’Doggy. Weißt du, ich habe dich in die Irre geführt, als ich dir versprochen habe, ich würde dir eine gute Summe zahlen, wenn du den Rest des Zauberspruchs beschaffst.“

Moondoggy konnte seine Augen nicht von der Gestalt im Feuer abwenden. Der Mann sandte Wellen von Bösartigkeit aus und er hielt etwas, das er nicht genau erkennen konnte. Die Flammen züngelten höher bis zur Decke.

Als er Alberts Worte verdaut hatte, wandte sich Moondoggy schaudernd zu seinem Besucher um.

„Was meinst du, Mann?“, sagte er anklagend. „Du willst mich nicht fertigmachen, oder?“

„Ich meine“, sagte Albert langsam, „dass ich, wenn ich genug Geld hätte, um dich zu bezahlen, nicht den Zauberspruch benötigen würde, der das Herz des Drachen bindet.“

„Das was von wem?“ Moondoggy war immer noch gefangen von dem Feuer, das brannte, sich aber nicht bewegte und im Apartment ausbreitete. Und von dem Mann darin. Das war das Heftigste, was er je erlebt hatte.

Dann erhob der Mann die Arme und Moondoggy erkannte ein gebogenes, brennendes Schwert. Der Mann schwenkte das Schwert mehrmals hin und her und ließ es drohend durch die Luft fahren, während das Feuer funkelte und tanzte.

Albert sprach wieder.

„Und es tut mir leid, dass es keine Zeugen für das geben darf, was ich gerade getan habe.“

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