Einundzwanzigstes Kapitel


Beim Tennis

Einige Tage waren verstrichen. Katherine hatte eines Morgens einen einsamen Spaziergang gemacht, und als sie zurückkehrte, grinste Lenox ihr erwartungsvoll entgegen.

«Dein Verehrer hat angerufen, Katherme!»

«Wen meinst du?»

«Einen neuen — Rufus Van Aldins Sekretär. Du scheinst da einen ziemlichen Eindruck hinterlassen zu haben. Aus dir wird noch eine richtige Herzensbrecherin. Zuerst Derek Kettering und jetzt dieser junge Knighton. Das Lustige an der Geschichte ist, ich erinnere mich noch gut an ihn. Er war in Mutters Lazarett, das sie hier draußen hatte. Da war ich noch ein Kind, so um die acht.»

«War er schwer verwundet?»

«Ein Beinschuss, wenn ich mich nicht irre — ziemlich scheußliche Sache. Ich glaube, die Ärzte haben da einiges versaut. Sie haben gesagt, er würde nichts davon zurückbehalten, aber als er von hier wegging, hinkte er immer noch.»

Lady Tamplin kam heraus und gesellte sich zu ihnen.

«Hast du Katherine von Major Knighton erzählt?», fragte sie. «So ein netter Kerl! Zuerst habe ich mich nicht an ihn erinnert — es gab ja so viele —, aber jetzt ist mir wieder alles gegenwärtig.»

«Damals war er auch ein bisschen zu unwichtig, um sich an ihn zu erinnern», sagte Lenox. «Heute, wo er Sekretär des amerikanischen Millionärs ist, liegen die Dinge ganz anders.»

«Liebling!», sagte Lady Tamplin in ihrem vage tadelnden Ton.

«Warum hat Major Knighton angerufen?», erkundigte sich Katherine.

«Er fragte, ob du Lust hättest, heute Nachmittag zum Tennis zu kommen. Wenn ja, würde er dich mit dem Auto abholen. Mutter und ich haben in deinem Namen angenommen, avec empressement. Und wenn du mit dem Sekretär eines Millionärs herumflirtest, könntest du mir doch eine Chance mit dem Millionär verschaffen, Katherine. Er muss so um die sechzig sein, nehme ich an, also wird er bestimmt gerade nach einem süßen jungen Ding wie mir suchen.»

«Ich würde Mr Van Aldin gern kennen lernen», sagte Lady Tamplin ernst, «man hat so viel von ihm gehört. Diese prächtigen rauen Gestalten aus dem Westen», sie brach ab, «faszinierend.»

«Major Knighton hat ausdrücklich betont, dass es Mr Van Aldins Einladung ist», sagte Lenox. «Er hat das so oft gesagt, dass es mir verdächtig vorkam. Du und Knigh-ton, ihr würdet ein sehr hübsches Paar abgeben. Meinen Segen habt ihr, Kinder.»

Katherine lachte und ging nach oben, um sich umzuziehen.

Knighton kam bald nach dem Mittagessen und ließ Lady Tamplins Szene des Wiedererkennens mannhaft über sich ergehen.

Als sie unterwegs nach Cannes waren, sagte er zu Ka-therine: «Lady Tamplin ist wunderbar unverändert.»

«In der Art oder im Aussehen?»

«Beides. Ich nehme an, sie muss gut über vierzig sein, aber sie ist noch immer eine bemerkenswert schöne Frau.»

«Das stimmt», sagte Katherine.

«Ich freue mich sehr, dass Sie heute mitkommen können», fuhr Knighton fort. «Monsieur Poirot wird auch dort sein. Was für ein außerordentlicher kleiner Mann! Kennen Sie ihn gut, Miss Grey?»

Katherine schüttelte den Kopf. «Ich habe ihn erst im Zug kennen gelernt, auf dem Weg hierher. Ich las gerade einen Detektivroman und habe beiläufig gesagt, dass so etwas im wirklichen Leben nicht passiert. Natürlich hatte ich keine Ahnung, wer er ist.»

«Er ist ein ganz bemerkenswerter Mensch», sagte Knighton langsam, «und hat einige außerordentliche Dinge getan. Er ist ein Genie darin, den Dingen auf den Grund zu kommen, und bis zum Schluss hat niemand eine Ahnung, was er wirklich denkt. Ich weiß noch, wie ich einmal zu Besuch in einem Haus in Yorkshire war, als Lady Clanravons Schmuck gestohlen wurde. Zuerst schien es ein ganz gewöhnlicher Diebstahl zu sein, aber die dortige Polizei war absolut ratlos. Ich wollte, dass sie Hercule Poirot hinzuziehen, und habe ihnen gesagt, er wäre der Einzige, der ihnen helfen kann, aber sie haben ihr Vertrauen auf Scotland Yard gesetzt.»

«Und was geschah weiter?», fragte Katherine neugierig.

«Der Schmuck wurde nie gefunden», sagte Knighton trocken.

«Sie glauben also wirklich an ihn?»

«Ja, unbedingt. Der Comte de la Roche ist ziemlich gerissen. Er hat seinen Kopf schon aus einigen Schlingen gezogen, aber in Hercule Poirot wird er seinen Meister finden.» «Der Comte de la Roche», sagte Katherine nachdenklich, «Sie meinen also wirklich, dass er es getan hat?»

«Natürlich.» Knighton sah sie erstaunt an. «Sie nicht?»

«O doch», sagte Katherine eilig, «das heißt, ich meine, wenn es kein gewöhnlicher Bahnraub war.»

«Das könnte natürlich sein», stimmte er zu, «mir scheint aber, dass der Comte de la Roche bemerkenswert gut ins Bild passt.»

«Aber er hat ein Alibi.»

«Ach, Alibis!» Knighton lachte; sein Gesicht zeigte ein angenehm jungenhaftes Lächeln.

«Sie gestehen, dass Sie gern Detektivromane lesen, Miss Grey. Dann müssten Sie doch eigentlich wissen, dass jeder, der ein perfektes Alibi hat, besonders verdächtig ist.»

«Glauben Sie, dass es im wirklichen Leben so ist?», fragte Katherine lächelnd.

«Warum nicht? Dichtung beruht auf Wahrheit.»

«Ist ihr aber weit überlegen», sagte Katherine.

«Vielleicht. Jedenfalls hätte ich, wenn ich ein Verbrecher wäre, nicht gern Hercule Poirot auf den Fersen.»

«Ich auch nicht», sagte Katherine und lachte.

Als sie ankamen, wurden sie von Poirot empfangen. Da es ein warmer Tag war, trug er einen weißen Leinenanzug mit einer weißen Kamelie im Knopfloch.

«Bonjour, Mademoiselle», sagte Poirot. «Ich sehe sehr englisch aus, nicht wahr?»

«Sie sehen wunderbar aus», sagte Katherine taktvoll.

«Sie machen sich lustig über mich», sagte Poirot gut gelaunt, «aber das macht nichts. Papa Poirot lacht immer zuletzt.»

«Wo ist Mr Van Aldin?», fragte Knighton.

«Wir treffen ihn bei unseren Sitzplätzen. Um die Wahrheit zu sagen, mein Freund, ist er nicht besonders zufrieden mit mir. Oh, diese Amerikaner — Ruhe, Entspannung, so etwas kennen sie nicht. Monsieur Van Aldin hätte am liebsten, dass ich mich auf der Jagd nach Verbrechern in alle Winkel und Gassen von Nizza stürze.»

«Ich würde sagen, dass das kein schlechter Plan wäre», bemerkte Knighton.

«Sie irren sich», sagte Poirot, «bei solchen Dingen braucht man nicht Energie, sondern Finesse. Auch beim Tennis trifft man viele Menschen. Das ist sehr wichtig. Ah, da ist Mr Kettering.»

Derek kam direkt auf sie zu. Er sah rastlos und verärgert aus, als sei etwas geschehen, was ihn aus der Ruhe gebracht hatte. Knighton und er begrüßten einander recht kühl. Einzig Poirot schien keinerlei Missstimmung zu bemerken und plauderte munter weiter, in dem löblichen Versuch, alle aufzuheitern. Er verteilte kleine Komplimente.

«Es ist erstaunlich, Monsieur Kettering, wie gut Sie Französisch sprechen», bemerkte er, «so gut, dass man Sie für einen Franzosen halten könnte, wenn Sie wollten. Das ist eine seltene Leistung für einen Engländer.»

«Ich wollte, ich könnte das», sagte Katherine. «Mir ist nur zu klar, dass mein Französisch von der schrecklichen britischen Art ist.»

Sie erreichten ihre Plätze und setzten sich, und fast sofort bemerkte Knighton seinen Dienstherrn, der ihn von der anderen Seite des Platzes zu sich winkte. Er ging sofort zu ihm hinüber.

«Mir gefällt der junge Mann», sagte Poirot und schickte dem davoneilenden Sekretär ein strahlendes Lächeln nach, «und Ihnen, Mademoiselle Grey?»

«Ich finde ihn sehr nett.»

«Und Sie, Monsieur Kettering?»

Eine schnippische Antwort lag Derek auf der Zunge, aber er verschluckte sie, als ob ihn etwas in den zwinkernden Augen des kleinen Belgiers plötzlich gewarnt hätte. Er sprach vorsichtig, wog seine Worte ab.

«Knighton ist ein anständiger Bursche.»

Einen kurzen Moment kam es Katherine so vor, als blicke Poirot enttäuscht drein.

«Übrigens ist er ein großer Verehrer von Ihnen, Monsieur Poirot», sagte sie und berichtete einiges von dem, was Knighton erzählt hatte. Es machte ihr Spaß zu beobachten, wie der kleine Mann sich förmlich aufplusterte, sich in die Brust warf und dabei eine gespielte Bescheidenheit zur Schau trug, die niemanden täuschen konnte.

«Dabei fällt mir ein, Mademoiselle Grey», sagte er plötzlich, «dass ich eine kleine geschäftliche Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen habe. Als Sie sich im Zug mit dieser armen Dame unterhielten, müssen Sie wohl ein Zigarettenetui verloren haben.»

Katherine wirkte sehr erstaunt. «Ich glaube nicht», sagte sie. Poirot zog aus der Tasche ein Zigarettenetui aus weichem blauem Leder, das mit einem goldenen K geschmückt war.

«Nein, das gehört nicht mir», sagte Katherine.

«Ah, ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Dann gehört es sicher Madame selbst. K steht natürlich für Kettering. Wir haben daran gezweifelt, weil sich in ihrer Handtasche ein anderes Zigarettenetui befand, und es schien uns merkwürdig, dass sie zwei bei sich hatte.» Er wandte sich plötzlich an Derek. «Ich nehme an, Sie wissen nicht, ob dieses Etui Ihrer Frau gehört hat oder nicht?»

Derek schien einen Moment verblüfft. Bei seiner Antwort stotterte er ein bisschen: «Ich — ich weiß es nicht. Ich nehme es an.»

«Ihnen gehört es nicht zufällig?»

«Bestimmt nicht. Wenn es mir gehörte, hätte es sich wohl kaum im Besitz meiner Frau befunden.»

Poirot sah naiver und kindlicher drein denn je.

«Ich dachte, Sie hätten es vielleicht verloren, als Sie im Abteil Ihrer Frau waren», erklärte er harmlos.

«Da war ich nie. Das habe ich der Polizei schon ein Dutzend Mal gesagt.»

«Ich bitte tausendfach um Pardon», sagte Poirot mit überaus zerknirschter Miene. «Es war Mademoiselle hier, die erwähnte, dass sie Sie hineingehen sah.»

Sichtlich verlegen hielt er inne.

Katherine blickte Derek an. Sein Gesicht war ziemlich weiß geworden, aber vielleicht bildete sie sich das nur ein. Denn als er lachte, klang es ganz natürlich.

«Sie müssen sich geirrt haben, Miss Grey», sagte er leichthin. «Aus dem, was mir die Polizei gesagt hat, entnehme ich, dass mein Abteil nur eine oder zwei Türen von dem meiner Frau entfernt war — was ich zu dieser Zeit allerdings nicht ahnte. Sie müssen mich wohl gesehen haben, als ich in mein Abteil gegangen bin.» Er stand rasch auf, als er Van Aldin und Knighton kommen sah.

«Ich verlasse Sie jetzt», kündigte er an. «Meinen Schwiegervater kann ich um keinen Preis vertragen.»

Van Aldin begrüßte Katherine sehr höflich, war aber offensichtlich in schlechter Laune.

«Sie scheinen ja gern beim Tennis zuzusehen, Monsieur Poirot», knurrte er.

«Es macht Vergnügen, ja», antwortete Poirot gelassen.

«Gut für Sie, dass Sie in Frankreich sind», sagte Van Aldin. «In den Staaten sind wir aus härterem Holz geschnitzt. Dort kommt zuerst das Geschäft, dann das Vergnügen.»

Poirot war keineswegs beleidigt; tatsächlich lächelte er den erzürnten Millionär sanft und vertraulich an.

«Geraten Sie nicht in Zorn, ich bitte Sie! Jeder nach seiner eigenen Methode. Ich habe es immer als angenehme und erfreuliche Idee empfunden, Vergnügen und Geschäft miteinander zu verbinden.»

Er streifte die beiden anderen mit einem Blick. Sie waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Poirot nickte befriedigt, beugte sich dann zu dem Millionär und sagte mit gedämpfter Stimme:

«Ich bin aber nicht nur zum Vergnügen hier, Monsieur Van Aldin. Sehen Sie den großen, alten Mann da drüben — den mit dem gelben Gesicht und dem würdevollen Bart?»

«Was ist mit ihm?»

«Das», sagte Poirot, «ist Monsieur Papopoulos.»

«Ein Grieche, wie?»

«Wie Sie sagen — ein Grieche. Er ist ein Antiquitätenhändler von Weltruf. Er hat einen kleinen Laden in Paris, und die Polizei verdächtigt ihn, noch etwas ganz anderes zu sein.»

«Was denn?»

«Ein Hehler, vor allem für Juwelen. Was das Neuschleifen und Neufassen von Edelsteinen angeht, gibt es nichts, was er nicht weiß. Er macht Geschäfte mit den Höchsten in Europa und dem niedrigsten Abschaum der Unterwelt.»

Van Aldin musterte Poirot mit plötzlich geweckter Aufmerksamkeit.

«Und?», fragte er in einem ganz neuen Tonfall.

«Ich frage mich», sagte Poirot, «ich, Hercule Poirot, frage mich» — er schlug sich dramatisch an die Brust. «Warum ist Monsieur Papopoulosplötzlich nach Nizza gekommen ?»

Van Aldin war beeindruckt. Einen Moment lang hatte er an Poirot gezweifelt und vermutet, der kleine Mann tauge längst nicht mehr für seinen Beruf, sei nur noch ein poseur. Von einem Augenblick zum anderen kehrte er wieder zu seiner früheren Meinung zurück. Er sah den Detektiv direkt an.

«Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Monsieur Poi-rot.»

Poirot tat die Entschuldigung mit einer extravaganten Geste ab. «Bah!», rief er, «das ist ohne Bedeutung. Jetzt hören Sie gut zu, Monsieur Van Aldin, ich habe Neuigkeiten für Sie.»

Der Millionär schaute ihn scharf an, sein Interesse war geweckt.

Poirot nickte.

«Es ist so, wie ich sage. Es wird Sie interessieren. Wie Sie wissen, Monsieur Van Aldin, wird der Comte de la Roche seit seinem Gespräch mit dem luge d’ Instruction von der Polizei überwacht. Einen Tag danach hat man in seiner Abwesenheit in der Villa Marina eine Haussuchung vorgenommen.»

«Und?», sagte Van Aldin. «Hat man irgendetwas gefunden? Ich wette, nein.»

Poirot machte eine leichte Verbeugung.

«Ihr Scharfsinn irrt nicht, Monsieur Van Aldin. Man hat nichts Belastendes gefunden. Das war auch nicht zu erwarten. Der Comte de la Roche ist, wie Ihre schöne Wendung sagt, nicht von gestern. Er ist ein listenreicher Gentleman mit großer Erfahrung.»

«Weiter», knurrte Van Aldin.

«Es ist natürlich möglich, dass der Comte nichts Belastendes zu verbergen hatte. Wir dürfen aber die Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Wenn er also etwas zu verbergen hat — wo ist es? In seinem Hause nicht — die Polizei hat gründlich gesucht. In seinen Taschen sicher auch nicht, denn er muss jeden Augenblick damit rechnen, verhaftet zu werden. Es bleibt — sein Auto. Wie gesagt, er wurde beschattet. Man ist ihm nach Monte Carlo gefolgt. Von dort fuhr er nach Menton. Sein Auto ist sehr stark, er hat die Verfolger abgeschüttelt, und etwa eine Viertelstunde lang haben sie ihn vollkommen aus den Augen verloren.»

«Und Sie meinen, in der Zwischenzeit hat er etwas am Straßenrand versteckt?», fragte Van Aldin mit gespanntem Interesse.

«Am Straßenrand, nein. Pa n ’estpas pratique. Aber hören Sie zu — ich habe Monsieur Carrege einen kleinen Vorschlag gemacht. Er war so freundlich, ihn zu billigen. In jedem Bureau de Poste in der Umgebung hat man dafür gesorgt, dass jemand dort ist, der den Comte de la Roche vom Sehen kennt. Denn wissen Sie, Monsieur, die beste Art, etwas zu verstecken, ist, es mit der Post wegzuschicken.»

«Und?», fragte Van Aldin, sein Gesicht leuchtete vor Interesse und Erwartung.

«Und — voila!» Mit einem dramatischen Schwung zog Poirot ein lose eingewickeltes braunes Päckchen aus der Tasche, die Schnur hatte man entfernt.

«In der erwähnten Viertelstunde hat unser guter Gentleman das hier aufgegeben.»

«An welche Adresse?», fragte der andere scharf.

Poirot nickte.

«Hätte uns etwas sagen können, sagt uns aber leider nichts. Das Päckchen war an einen dieser kleinen Zeitungsläden in Paris adressiert, wo Briefe und Pakete bis auf Abruf gegen eine kleine Gebühr aufbewahrt werden.»

«Ja, aber was ist drin?», fragte Van Aldin ungeduldig.

Poirot entfernte das Packpapier und enthüllte eine viereckige Pappschachtel. Er sah sich um.

«Der Augenblick ist günstig», sagte er ruhig. «Alle Augen sind beim Tennis. Sehen Sie, Monsieur!»

Er hob den Deckel der Schachtel den Bruchteil einer Sekunde lang. Ein Ausruf äußersten Erstaunens entfuhr dem Millionär. Sein Gesicht wurde kreidebleich.

«Mein Gott!», stieß er hervor, «die Rubine.»

Einen Augenblick lang saß er wie betäubt. Poirot steckte die Schachtel wieder in die Tasche und strahlte gelassen. Dann schien der Millionär plötzlich aus seiner Erstarrung zu erwachen, er beugte sich zu Poirot und drückte dessen Hand so herzhaft, dass der kleine Mann vor Schmerz stöhnte.

«Das ist großartig», sagte Van Aldin. «Großartig! Sie liefern, was Sie versprechen, Monsieur Poirot. Ein für alle Mal, Sie bringen’s!»

«Es ist nichts», sagte Poirot bescheiden. «Ordnung, Methode, auf Eventualitäten gefasst sein — mehr gehört nicht dazu.»

«Und nun hat man den Comte de la Roche verhaftet, nehme ich an?», fuhr Van Aldin eifrig fort.

«Nein», sagte Poirot.

Höchstes Erstaunen zeigte sich auf Van Aldins Zügen. «Aber warum nicht? Was will man denn noch mehr?»

«Das Alibi des Comte ist noch immer unerschüttert.»

«Aber das ist Unsinn!»

«Ja», sagte Poirot, «ich halte es auch eher für Unsinn, aber leider müssen wir beweisen, dass es Unsinn ist.»

«Und unterdessen rutscht er uns durch die Finger!»

Poirot schüttelte sehr energisch den Kopf.

«Nein», sagte er, «das tut er nicht. Das Einzige, was der Comte zu opfern sich nicht leisten kann, ist seine gesellschaftliche Stellung. Er muss um jeden Preis bleiben, wo er ist, und sich auf seine Frechheit verlassen.»

Van Aldin war noch nicht zufrieden.

«Ich sehe aber nicht ein.»

Poirot hob eine Hand. «Einen Augenblick, Monsieur. Ich habe eine kleine Idee. Viele Leute haben sich schon über Hercule Poirots kleine Ideen lustig gemacht — und sich geirrt.»

«Also», sagte Van Aldin, «reden Sie weiter. Was ist das für eine kleine Idee?»

Poirot schwieg einen Augenblick, dann sagte er:

«Ich suche Sie morgen Vormittag um elf in Ihrem Hotel auf. Bis dahin sagen Sie nichts, zu niemandem.»

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