Das neunte und letzte Kapitel

Freundschaft auf den ersten Blick /Mielchen kocht Quatsch mit Soße< / Mrs. Simpson will fort und bleibt / Was sind männliche Knopflöcher? / Polterabend und Aschermittwoch / Mäxchen und Mielchen sagen nicht, worüber sie gelacht haben.


Als Mrs. Jane Simpson (aus Fairbanks, Alaska) in Kloten bei Zürich aus dem Flugzeug stieg und an der Sperre ihren Pass stempeln ließ, wunderte sich kein Mensch, dass sie nur fünfzig Zentimeter groß war. Auf internationalen Flugplätzen hat man sich das Wundern längst abgewöhnt.

Sogar wenn jemand mit zwei Köpfen ankäme oder ganz und gar ohne Kopf, auch dann gäbe es nicht die mindeste Aufregung. Wenn im Pass unter der Rubrik >Besondere Kennzeichen< >zwei Köpfe< oder >kopflos< stünde, wäre alles in bester Ordnung.

Wie gesagt, über die bloß einen halben Meter große Mrs. Simpson in ihrem Mantel aus Seehundfell wunderte sich niemand. Es bemerkte auch keiner, wie sie dem Jokus rasch und ängstlich etwas in die Hand drückte und wie er dieses Etwas behutsam in die Brusttasche steckte. Erst danach fand die förmliche Begrüßung statt. Mrs. Simpson hatte vor lauter Dankbarkeit Tränen in den Augen. Rosa Marzipan meinte munter, das sei übertrieben. Und der Professor winkte einem Taxi.

Nun steckten also zwei Däumlinge in seiner Brusttasche, hoffentlich haben sie genügend Platz<, dachte er. >Ich muss mit meinem Schneider darüber sprechen.< Dann reckte er den Hals, drehte die Augen nach unten und versuchte, sich in die eigne Brusttasche zu blicken. Er sah Mäxchens Wuschelkopf und, gleich daneben, eine winzige Pferdeschwanzfrisur mit einem roten Samtbändchen. Das war also Miss Emily Simpson.

Der kleine Mann und die kleine Miss staunten einander an und sagten kein einziges Wort, doch dann lächelten beide. Später spürte Mäxchen, wie sich eine Hand in seine Hand schob. Da drückte er herzhaft zu.

Es war Freundschaft auf den ersten Blick, und das ist ja auch kein Wunder. Das große Los zieht man nicht alle Tage, sondern nur einmal im Leben, und nicht einmal das ist ganz sicher. Die meisten ziehen Nieten, oder sie erwischen mit Ach und Krach einen Trostpreis. Doch wir wollen nicht neidisch sein. Neid verdirbt den Teint.

Im Zug nach Lugano waren sie immer noch sehr scheu und schüchtern. Eigentlich hatte Mäxchen mit ihr zusammen die vielen Tunnels zählen wollen. Aber dann traute er sich doch nicht, den Mund aufzumachen. Ihm war zumute, als habe man ihm ein Heftpflaster draufgeklebt.

Erst in dem zehn Minuten langen Gotthardtunnel fasste er sich ein Herz. »Ich werde dich Mielchen nennen«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Da lachte sie leise und flüsterte: »Mäxchen und Mielchen, das klingt hübsch.«

»Und Mielchen und Mäxchen«, sagte er, »das klingt noch hübscher. Außerdem ist es höflicher.«

Sie kicherte. »Du bist ein regelrechter Gentleman.«

In diesem Augenblick fuhr der Zug aus dem Tunnel mitten in die südliche Sonne hinein. Sie blinzelten und lächelten. »So schön kann es also sein«, sagte Mielchen und wunderte sich. Glück war ihr völlig neu.

Am nächsten Abend feierten sie Silvester. Tags darauf feierten sie das neue Jahr. Und auch die Wochentage, die dann folgten, sahen Feiertagen zum Verwechseln ähnlich. Natürlich schlug man nicht in einem fort Kobolz. Und Mielchen und Mäxchen hopsten auch nicht pausenlos im Weihnachtsbaum herum. Schon deswegen nicht, weil die kleine Miss leicht schwindlig wurde. Als Mäxchen mit ihr auf der Taube Emma ein paar Runden gedreht hatte, musste sie sich eine Viertelstunde hinlegen.

»Schade«, sagte Mäxchen, »eine Artistin wirst du nicht.«

»Es muss auch Zuschauer geben«, meinte Mielchen. Und ich halte es für ausgeschlossen, dass zu diesem Thema Treffenderes zu sagen wäre. Wenn sie in der >Villa Glühwürmchen< kochte, war die kleine Miss völlig schwindelfrei. Sie kochte, backte und briet, dass es nur so rauchte. Und wenn sie wirklich nicht mehr weiterwusste, rief sie von dem kleinen Telefon aus ihre Mutter an, die in der großen Villa für die Großen kochte.

Mäxchen saß gern in der Küche und schaute Mielchen zu. Manchmal las er ihr auch etwas vor. Und manchmal kochten sie, absichtlich, dummes Zeug. »Heute Mittag gibt’s >Quatsch mit Soße<«, sagten sie dann begeistert, oder >Unsinn mit rechteckigem Kartoffelsalat< oder >Veilchenpastillen mit Dill vom Grill<, und was das Tollste ist: Es schmeckte ihnen auch noch!

Einmal wollte eine Amsel unbedingt durchs offene Küchenfenster und mitessen. Das war eine Aufregung! Mäxchen schickte Mielchen zum Telefon und hielt den Vogel inzwischen mit einem Bratenmesser in Schach. Die Amsel schimpfte. Der Junge schrie: »Hau ab, oder ich mache dich zu Geflügelsalat!«

Doch das war glücklicherweise nicht nötig. Denn mitten in der Redeschlacht kam der Jokus über die Wiese gerannt, als wolle er den Weltrekord im Wiesenlauf unterbieten, und die Amsel suchte das Weite. Das Weite? Sie flog auf den nächsten Baum und schimpfte.

Es ist wirklich merkwürdig: Wenn Amseln singen, singen sie so süß wie Nachtigallen. Womöglich noch süßer und einfallsreicher. Doch wenn sie schimpfen, dann schimpfen und zetern sie wie Autofahrer bei Blechschaden.

Als die Zankamsel endlich davongeflogen war, bückte sich der Jokus und fragte: »Was gibt’s denn zu Mittag?«

»Gänseleber vom Huhn mit Meerrettich und noch mehr Meerrettich«, meldete Mielchen. »Wollen Sie mal kosten?« Sie hielt ihm einen Löffel voll durchs Fenster.

Er kostete, musste husten und meinte: »Eine scharfe Sache.«

»Aber gesund«, sagte Mielchen. »Meerrettich reinigt die Luftwege.«

»Und noch mehr Meerrettich reinigt die Luftwege noch mehr«, erklärte Mäxchen. »Außerdem ist es ein lustiges Essen, weil man dabei weint.«

»Ihr solltet eure Rezepte aufschreiben und ein >Kochbuch für Kinder< herausgeben«, meinte Jokus. »Das würde Aufsehen erregen.«

»Lieber nicht«, sagte Mielchen. »Sonst kämen alle Eltern angerückt und zögen uns die Hosen straff.«

Mäxchen war trotzdem für das Kochbuch. »Dabei lernst du Lesen und Schreiben, und Spaß haben wir außerdem. Über unsere Rezepte wird man ziemlich staunen.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte der Jokus. »Und nun wünsche ich euch guten Appetit. Bei uns drüben gibt’s Sahnegulasch mit Semmelknödeln. Wenn’s dunkel wird, hole ich euch ab. Auf Wiedersehen.«

Als er über die Wiese stelzte, tat ihm das Kreuz weh. Das kommt davon, wenn man sich so lange und so tief bückt, um fremde Küchen zu bewundern.

Nach dem ebenso lustigen wie tränenreichen Menü mit Meerrettich und noch mehr Meerrettich setzten sich die kleine Miss und der kleine Mann in die Bibliothek und tranken aus ihren klitzekleinen Porzellantassen Schokolade. Dazu gab es Mandelsplitter und gehackte Rosinen. »Es war mir ein Festessen«, sagte Mäx-chen. »Du bist die geborene Hausfrau. Aber nun erkläre mir einmal, wieso du nicht lesen und schreiben kannst.«

»Wer hätte mir’s denn beibringen sollen?«

»Deine Mutter.«

»Aber Mäxchen, sie stand doch von früh bis spät im Laden, und abends war sie todmüde.«

»Gab es denn sonst niemanden? Keinen Lehrer? Keine Kindergärtnerin? Keinen Jungen aus der Nachbarschaft, der in eine richtige Schule ging? Wo du doch ein so niedliches Mädchen bist? Kannst du mir das erklären?«

Mielchen sah ihm fest in die Augen und nickte. »Ich kann dir’s erklären. Aber nur, wenn du mir schwörst, es keinem Menschen weiterzusagen.«

»Ich schwöre es. Bei Jakob Hurtigs Schulranzen. Er ist mein Freund und noch toller schwören kann ich nicht.«

»In Fairbanks wusste doch überhaupt niemand, dass es mich gab«, flüsterte Mielchen geheimnisvoll. »Ich habe nicht einmal einen Geburtsschein.«

Er saß und staunte.

»Als ich zur Welt gekommen war und mein Vater sah, wie klein ich war, lief er doch fort. Ich weiß nicht, wo er ist und ob er noch lebt, und ich will’s auch gar nicht wissen. Ein paar Wochen später fuhr Mutti nach Fairbanks und mietete von ihrem letzten Geld ein Kolonialwarengeschäft. Dazu gehörte eine Ladenstube. Und dort hat sie mich versteckt, bis wir hierher gekommen sind.«

Da nahm Mäxchen seine Porzellantasse und schmetterte sie an die Wand. »Neun Jahre in der Ladenstube?«, schrie er. »Das war gemein! Das durfte sie nicht! Niemals!«

Mielchen kniete am Boden, sammelte die Scherben und sagte: »Schade um die schöne Tasse.«

»Ach was!«, rief Mäxchen wütend. »Um die neun Jahre ist es schade!« Doch wie er die kleine Miss auf dem Teppich zwischen den Scherben hocken sah, sprang er vom Stuhl, schlang den Arm um sie und drückte sie fest an sich. So saßen sie eine ganze Weile. Mielchen weinte, und diesmal lag es nicht am Meerrettich. Der Junge wischte ihr die Tränen von den Backen, betrachtete seine Hände und sagte: »Ausgerechnet heute habe ich dreckige Finger.«

»Das macht nichts«, meinte sie und lächelte schon wieder ein bisschen.

Ich weiß ja nicht, wie ihr darüber denkt. Mäxchens erste Wut war begreiflich, und diese erste Wut war nicht seine letzte. Wochenlang konnte er Mielchens Mutter vor lauter Zorn nicht in die Augen sehen. Und sagen durfte er nichts. Er hatte bei Jakob Hurtigs Schulranzen geschworen, das wollen wir nicht vergessen. Andrerseits ...

Immer gibt es dieses ruhelose Einerseits und Andrerseits. Es plagt einen noch, wenn man graue Haare oder überhaupt keine Haare mehr hat. Andrerseits, meine ich, war doch Mrs. Jane Simpson nicht so schlimm wie die beiden Eltern, die, weil sie nichts zu essen hatten, Hänsel und Gretel nachts ganz einfach in den Wald schickten!

Sie hatte sich abgerackert und in ihrem armseligen Laden Konserven und Schnaps an Eskimos und Indianer, an Lachsfischer und Pelzhändler verkauft. Auch an amerikanische Flieger und Mechaniker, die in der Nähe stationiert waren und mitunter nach Fairbanks kamen, um eine Nacht durchzubummeln.

»Sperr deinen blöden Laden zu«, hatten sie gegrölt. »Mit einem Fräulein, das nur einen halben Meter groß ist, wollten wir schon lange mal tanzen gehen.« Einer hatte sogar nach der Ladenkasse gegriffen. Und wenn sie damals nicht mit dem spitzen Büchsenöffner zugeschlagen hätte ...

Doch wozu soll ich euch mit solchen abenteuerlichen Geschichten langweilen? Ich versuche ja nur, euch und mir selber zu erklären, warum Mrs. Simpson ihr Kind so lange versteckt und totgeschwiegen hatte. Es war doch das reine Wunder, dass Mielchen trotz der neun einsamen Jahre ein gesundes und normales Kind geblieben war. Hatte das die Mutter denn nicht bedacht?

Ich kann es einfach nicht glauben. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns anhören, was sie, etwa zur gleichen Zeit, im Wohnzimmer der >Villa Sorgenklein< erzählte.

Rosa Marzipan und der Jokus saßen auf dem Sofa. Mrs. Simpson saß ihnen gegenüber auf einem Sessel, ließ den Kopf hängen und wirkte wie ein Schulmädchen aus der vierten oder fünften Klasse. Doch wenn sie den Kopf hob, sah man ein müdes und abgehärmtes Frauengesicht.

»Alles, was ich getan habe, war falsch«, erklärte sie. »Ich wollte einen großen Mann und große Kinder haben. Ist das eine Sünde? Sind es zwei Sünden? Sind es siebenundachtzig Sünden?«

»Nein«, sagte Rosa. »Aber ...«

»Ich fand den großen Mann. Aber ich bekam ein fünf Zentimeter kleines Kind. Der Mann lief vor Schreck auf und davon. Er hielt mich für verhext. Ich hatte Angst. Angst vor mir selber, Angst vor dem Baby, Angst um das Baby, Angst vor der Farm mit den Blaufüchsen, Angst vor der Kälte. Und in dem Laden in Fairbanks gab es neue Angst. Wenn ich nun krank geworden wäre? Oder Emily? Und die Angst vor den betrunkenen Männern im Laden ...« Mrs. Jane Simpson, geborene Pichelsteiner, hob den Kopf und blickte das Paar auf dem Sofa traurig an. »Ich bin kein schlechter Mensch, aber ich war keine gute Mutter. Können Sie meine Tochter hier behalten?«

»Natürlich bleibt sie hier«, sagte der Jokus. »Mäxchen würde uns den Kragen umdrehen, wenn Mielchen nicht bliebe. Aber warum fragen Sie?«

Rosa Marzipan beugte sich vor. »Sie wollen doch nicht etwa ...?«

»Doch, ich will fort. Ich bin ein überflüssiger Mensch. Nicht einmal das Kind wird mich vermissen.«

»Das glauben Sie ja selber nicht«, meinte der Jokus. »Kein Quadrat ist rund und keine Mutter ist überflüssig.«

»Sie müssen bleiben«, sagte Rosa. »Nicht nur Mielchen zuliebe, sondern auch wegen Ihrer Semmelknödel.«

»Außerdem muss jemand das große und das kleine Haus hüten, während wir mit dem Zirkus unterwegs sind.« Der Jokus zündete sich eine Zigarette an. »Wir wollen uns doch noch nicht endgültig zur Ruhe setzen. Kurz und gut, meine liebe Mrs. Simpson, Sie bleiben, weil wir Sie brauchen, und damit basta!«

Die Aussprache hatte Mielchens Mutter gut getan. Das merkte man schon nach ein paar Tagen. Sie war nicht mehr so schüchtern und niedergedrückt wie zu Anfang. Es kam sogar vor, dass sie lächelte, wenn die anderen lachten, und da sah man erst, wie hübsch sie eigentlich war.

Einmal holte Rosa den Jokus aus dem Arbeitszimmer, legte den Finger vor den Mund und machte an der Küchentür Halt. Sie hörten Tellergeklapper, weil Mrs. Simpson das Geschirr abwusch, aber sie hörten noch etwas. Sie sang!

Da schlichen sie wieder ins Arbeitszimmer zurück, und der Professor sagte: »Na also. Das hätten wir geschafft. Sie ist über den Berg.«

»Und morgen schleppe ich sie zum Friseur«, teilte Rosa Marzipan mit. »Eine neue Frisur verleiht uns Frauen neue, ungeahnte Kräfte.«

Am selben Abend, gleich nach dem Essen, sagte Mrs. Simpson, sie wolle Rosa und Mielchen etwas zeigen. So kam es, dass der Jokus und Mäxchen allein waren.

»Eine günstige Gelegenheit für ein Gespräch unter Männern«, meinte der Jokus.

Mäxchen fühlte sich geehrt. »Ich bin ganz Ohr.«

»Du hast Mrs. Simpson in den letzten Tagen so unverhohlen wütend angestarrt, dass ich dachte, du wolltest ihr den Kopf abbeißen.« Weil der Junge schwieg, fuhr der Professor fort: »Vermutlich hast du ein paar Dinge aus Fairbanks erfahren. Zum Beispiel über Ladenstuben. Und sicher hast du geschworen, den Mund zu halten.«

Mäxchen schwieg noch immer.

»Halte dein Wort und halte den Mund«, sagte der Jokus. »Das ist völlig in Ordnung. Ich habe aber niemandem Stillschweigen versprochen. Deshalb darf ich wenigstens zu dir über Mielchens Mutter sprechen. Du tust ihr Unrecht.«

»Nein!«, rief Mäxchen empört. Er zitterte vor Zorn.

»Doch, doch«, sagte der Jokus. »Vor ein paar Tagen hat sie uns alles erzählt. Hier in diesem Zimmer.«

»Weil sie ein schlechtes Gewissen hatte.«

»Ganz sicher. Aber auch, weil sie fortwollte.« »Fort? Wohin denn?«

»Ich weiß es nicht. Und sie wusste es ebenso wenig.«

»Mit Mielchen?« Mäxchen war sehr blass geworden.

»Nein«, sagte der Jokus. »Allein. Sie sei ein überflüssiger Mensch.«

»Und warum ist sie .?«

»Warum sie nicht fortgegangen ist? Weil ich ihr befohlen habe hier zu bleiben.«

Damit war das ernste Männergespräch zu Ende. Denn das Marzipanfräulein und Mrs. Jane Simpson kamen ins Zimmer, setzten sich und schienen recht vergnügt zu sein. Der Junge blickte von einer zur anderen und fragte: »Wo ist denn Mielchen?«

Da legte Mrs. Simpson eine halb offene Streichholzschachtel auf den Tisch. In der Streichholzschachtel lag die kleine Miss und schlief.

Das heißt, sie tat nur so, als ob sie schliefe. Und Mäxchen tat, als ärgere er sich. »Das ist ja der Gipfel«, schimpfte er. »Wenn man einer Frau den kleinen Finger gibt, nimmt sie gleich die ganze Schachtel! Und was hat die freche Person an? Einen meiner Pyjamas! Man merkt es ganz deutlich an den männlichen Knopflöchern.«

»Um alles in der Welt, was sind denn männliche Knopflöcher?«, fragte der Jokus.

»Wir Männer haben die Knopflöcher links und die Knöpfe rechts. Und die Frauen erkennt man daran, dass es bei ihnen genau umgekehrt ist«, erklärte Mäxchen eifrig. »Also hat sie den Schlafanzug gestohlen. Ich rufe die Funkstreife.«

Da setzte sich Mielchen mit einem Ruck hoch. Ihre Augen blitzten vor Übermut. »Aber die Streichholzschachtel ist meine eigne Schachtel, und die Matratze, das Plumeau und die Kissen hat meine Mutter extra für mich genäht. Merk dir das, du . du ... du männliches Knopfloch!« Und dann streckte sie ihm, man sollte es nicht für möglich halten, die Zunge heraus. »Bäh!«

Mäxchen wollte sich nicht lumpen lassen. Doch der Jokus hielt ihm den Mund zu und sagte: »Morgen bestelle ich mir beim Schneider ein Jackett mit zwei Brusttaschen, einer auf der linken und einer auf der rechten Seite, damit ihr euch wenigstens nicht zanken könnt, wenn wir unterwegs sind.«

»Da hast du’s«, meinte der Professor später, als er sich voller Wohlbehagen im Bett ausstreckte. »Sie ist gar keine schlechte Mutter. Sie hatte vor lauter Freude rote Backen.«

Mäxchen, der in seiner Streichholzschachtel saß, nickte. »Einmal hat sie sogar ganz richtig gelacht.«

»Seit neun Jahren wahrscheinlich zum ersten Male. Ihr beiden wart aber auch sehr ulkig«, sagte der Jokus. »Merkwürdig, mir ist, als lebte dieses Mädchen schon seit einer Ewigkeit bei uns. Dabei haben wir sie doch erst vor einer Woche am Flugplatz abgeholt! Rosa begreift es genauso wenig.«

Plötzlich machte es >Klick<, und sie lagen im Dunkeln. Der Junge hatte die Lampe ausgeknipst.

»Nanu, bist du denn schon müde?«, fragte der Jokus.

»Nein.«

»Sondern?«

»Ich bin über Mielchen sooo froh, dass ich’s bei elektrischem Licht gar nicht sagen könnte. Nicht einmal dir.«

Sie lagen eine ganze Weile still. Vorm Fenster zauste der Wind die Zypressen. Es war der Südwind, der aus Italien kam und über die Alpen nach Norden wollte, wo es seine Leibspeise gab: frisch gefallenen Schnee.

Der Jokus glaubte schon, der Junge sei eingeschlafen.

Doch mit einem Male fing Mäxchen wieder zu reden an. »Da ist noch etwas. Noch ein Gespräch ohne Licht. Hörst du zu?«

»Freilich.«

»Ich weiß, warum ihr nicht geheiratet habt.«

»So?«

»Mir zuliebe. Ich tat euch Leid. Ihr dachtet, ich käme mir sonst zu einzeln vor.«

»Werde nicht melodramatisch«, warnte der Jokus. »Sonst knipse ich die Lampe an.«

»Bitte nicht!«

»Na schön. Ich frage dich also im Dunkeln: Warum glaubst du, wir hätten deinetwegen nicht geheiratet?«

»Weil es wahr ist«, erklärte Mäxchen. »Du hast es selber gesagt: zweimal, als der Zirkus in Glasgow gastierte, einmal in London, zweimal im Schloss von Breganzona und einmal hier, in der Silvesternacht.«

»Da hört doch alles auf«, meinte der Jokus. »Dass du schwindelst, ist schon hart genug. Dass du dabei aber auch noch mit Orts- und Zeitangaben um dich wirfst .«

»Du sprichst nämlich im Schlaf!«, sagte Mäxchen laut. Kein Wort weiter. Aber das genügte. Daraufhin war es lange Zeit sehr still. Wenigstens in dem dunklen Zimmer. Draußen rumorte der Südwind heftiger als zuvor. Die Bäume bogen sich und stöhnten und seufzten, als hätten sie Rückenschmerzen. In der Ferne pfiff ein Zug.

Schließlich seufzte der Jokus, als habe auch er Rückenschmerzen, und sagte: »Ab morgen stopfe ich dir jeden Abend vorm Schlafengehen Watte in die Ohren.«

Mäxchen lachte leise. »Wozu denn?«, fragte er. »Seit Mielchen da ist, bin ich ja nicht mehr einzeln! Jetzt könnt ihr doch heiraten, ohne dass euch das Gewissen beißt! Mielchen ist ganz meiner Meinung.«

»Was denn? Du hast mit ihr über Rosa und mich und das alles gesprochen?«

»Ich wollte gar nicht. Aber sie hat es herausgekriegt.«

»Was soll das heißen? Herausgekriegt?«

»Nun ja, das kam so . Wir aßen bei uns zu Mittag. Es gab Sternsuppenschnupfen, nein, Sternschnuppensuppe mit Grüßklößchen. Dann legte ich mich für Nureinviertelstündchen aufs Sofa und schlief ein. Mielchen saß daneben. Sie häkelte an einem Topflappen aus Topflappland. Das gibt es natürlich gar nicht.«

»Und?«, fragte der Jokus ungeduldig. »Weiter?«

»Mielchen häkelte und hörte mir zu.«

»Wieso hörte sie dir zu? Ich denke, du schliefst?«

»Lieber Jokus, sei nicht böse«, sagte Mäxchen ängstlich, »und auslachen darfst du mich auch nicht. Aber .«

»Was aber?«

». mir geht es ganz genau wie dir. Und ich habe es genauso wenig gewusst. Bis es Mielchen gemerkt hat. Ich ... ich spreche auch im Schlaf!«

Da begann der Jokus zu lachen, dass die Fensterscheiben klirrten. Es klang, als könne er nie wieder aufhören. Mäxchen fing auch an. Und so lachten sie zweistimmig, bis jemand die Tür aufriss und das Licht einschaltete.

Es war Rosa Marzipan. Sie trug einen hellblauen Pyjama, hatte bereits geschlafen und fragte entgeistert: »Was soll denn dieses Höllengelächter? Noch dazu im Dunkeln? Seid ihr übergeschnappt?«

»Nein, das nicht«, fing der Jokus an. Doch dann packte ihn die Lachlust von neuem, und auch Mäxchen stimmte wieder ein und zog sich vor Wonne an den Haaren.

Das Marzipanfräulein setzte sich auf die Bettkante, nahm die Hand des Professors, fühlte ihm den Puls und sagte, sanft wie eine Krankenschwester: »Lasst euch bitte nicht stören. Ich habe Zeit.«

Alles hat einmal ein Ende. Auch ein Gelächter, das nicht enden will. So erfuhr Rosa nach und nach, worüber die beiden im Dunkeln gesprochen hatten.

»Na schön«, meinte sie fröhlich, »da werde ich also meine Marzipanjahre einmotten und Frau Hokuspokus werden.«

»Aber vorher musst du bei mir um seine Hand anhalten«, erklärte Mäxchen. »Am besten ist, du tust es gleich. Dann haben wir’s hinter uns.«

»Jetzt?«, fragte sie. »Im Pyjama? Schickt sich das?«

»Jetzt!«, befahl Mäxchen.

Und der Jokus sagte: »Sonst bleibst du Fräulein.«

Da stand sie rasch auf, machte vor der Streichholzschachtel auf dem Nachttisch einen tiefen Hofknicks und deklamierte: »Allerwertester Herr von Pichelsteiner, ich bitte Sie trotz der vorgerückten Stunde um die berühmte Hand des berühmten Taschendiebes Jokus von Pokus.«

Mäxchen war aus seiner Schachtel herausgeklettert, verbeugte sich vor Rosa Marzipan und sagte: »Es sei. Ich händige Ihnen hiermit seine Hand aus.«

»Ich möchte nicht unbescheiden sein«, fuhr sie fort, »aber daran erinnern, dass er zwei Hände hat.«

»Da hast du’s, mein Kleiner«, seufzte der Jokus. »Erst bat sie nur um eine Hand. Nun will sie beide. In spätestens einer Minute will sie auch noch die Füße.«

»Selbstverständlich halte ich auch um seine Füße an«, sagte Rosa und machte einen zweiten Knicks. »Ferner um seine Kniekehlen, Schlüsselbeine und Bandscheiben .«

»Sie will mich an die Anatomie verkaufen«, rief der Professor.

Rosa Marzipan knickste in einem fort und zählte dabei weiter auf. »Auch bitte ich um seinen Schnurrbart, seine Augenbrauen, Ohrläppchen und Sorgenfalten. Ich werde ihm eine gute Frau sein, und wenn seine Schädeldecke eines Tages zu dünn werden sollte, häkle ich ihm eine neue.« Damit versank sie in einem abgrundtiefen Knicks und erhob sich erst, als Mäxchen es gnädig erlaubte.

»Sie haben«, erklärte er salbungsvoll, »um seine Hand und alles Übrige angehalten. Das genügt, und jetzt ist alles in Butter. Miss Emily Simpson aus Alaska schließt sich meinem Jawort von Ja bis Z an.«

»Besten Dank, Exzellenz«, flüsterte Rosa.

»Jubeln Sie nicht zu früh«, warnte Mäxchen. »Unser Jawort hängt von zweierlei ab.«

»Ich habe geahnt, dass etwas dahinter steckt«, seufzte der Jokus. »Also? Heraus mit der Sprache.«

»Ihr müsst einen richtigen Polterabend machen. Mit Blindekuh und Knallbonbons und anderem Unsinn. Ja?«

»Genehmigt. Und zweitens?«

»Der Polterabend soll am Faschingsdienstag stattfinden. Mielchen hat beides noch nie erlebt. Und wenn man beides am gleichen Tage feiert, wird es billiger. Mielchen will für sich und mich rote Pappnasen machen. Das kann sehr lustig werden.«

»Davon bin ich überzeugt«, meinte der Jokus. »Nur an eines habt ihr nicht gedacht. Ihr seid zwar ein geriebenes Pärchen, aber ihr habt vergessen, welcher Tag auf den Faschingsdienstag folgt.«

»Wieso? Der nächste Tag ist der Aschermittwoch. Und?«

»Und an einem so traurigen Tage sollen wir heiraten?«, fragte Rosa.

»Das ist ein sehr praktischer Tag«, erklärte Mäxchen. »Da ist das Standesamt nicht so überfüllt.«

Der Polterabend am Faschingsdienstag wurde ein großer Erfolg. Dazu trugen nicht nur Mäxchen und Mielchen mit ihren karminroten Pappnasen bei, sondern auch die Brautleute und, nicht zuletzt, die Trauzeugen, die pünktlich eingetroffen waren: Mister John F. Drinkwater und Zirkusdirektor Brausewetter. Auch den Kriminalkommissar Steinbeiß hatte man eingeladen, aber er musste in Berlin einen Banküberfall aufklären. Das ging vor.

Weil Fasching war, hatten sich alle verkleidet. Mrs. Simpson zum Beispiel erschien als Eskimomädchen, Mister Drinkwater als algerischer Seeräuber, Rosa Marzipan als dressierter weißer Pudel - aber den ersten Preis erhielt dann doch, noch dazu einstimmig, Direktor Brausewetter. »Mich wird keiner erkennen«, hatte er schon am Nachmittag verkündet, und er behielt Recht. Denn er kam abends völlig ohne Handschuhe!

Da riefen alle: »Das kann unmöglich unser lieber Brausewetter sein«, und damit hatte er gewonnen. Als Preis wurde ihm vom Jo-kus ein Paar eiserner Handschuhe aus der Ritterzeit überreicht, und er war selig. Eiserne Handschuhe besaß er noch nicht.

Weil nicht nur Faschingsdienstag, sondern gleichzeitig Polterabend war, wurde selbstverständlich auch mächtig gepoltert. Vor allem beim Topf schlagen.

Es ist gar nicht so einfach, mit einem Stock einen Topf zu treffen, wenn man die Augen verbunden hat, und es wurde viel danebengehauen. Mister Drinkwater schlug versehentlich so sehr daneben, dass er, statt des Topfes, Direktor Brausewetters Zylinder traf!

Na, der arme Brausewetter sah ziemlich merkwürdig aus, mit dem Zylinder bis über die Nase! Und es dauerte fünf Minuten, bis man ihn befreit hatte.

Mäxchen rief: »Sie sahen aus wie der Schwarze Prinz!«

»Hauptsache, dass es dir gefallen hat«, sagte Direktor Brausewetter und massierte sich die Ohren.

Anschließend gab es heiße Würstchen aus Breganzona. König Bileam hatte zwanzig Dosen geschickt. In jeder Dose steckten

sechs Paar. Und so blieben schließlich, trotz heißem Bemühen, elf Dosen übrig.

»Für unsere silberne Hochzeit«, sagte Rosa zum Jokus.

Am Aschermittwoch fuhren alle miteinander nach Lugano hinunter. Zum Standesamt. Mäxchen hatte Recht gehabt: Das Rathaus war so leer, dass sich der Beamte geradezu freute, als er Besuch bekam.

Er prüfte die Papiere. Das Brautpaar und die Zeugen schrieben ihre Namen. Mäxchen und Mielchen durften neben dem Tintenfass sitzen. Der Beamte hielt eine schwungvolle italienische Ansprache und schüttelte allen die Hand, dann war es überstanden. Fräulein Marzipan hieß nun Frau von Pokus. Aber sonst hatte sie sich glücklicherweise überhaupt nicht verändert.

Das Festessen fand im Ristorante Bianchi statt. Der Tisch war wunderschön gedeckt. Er war mit so vielen Blumen dekoriert, dass Brausewetter, beim Filet Cafe de Paris, drei Blümchen mitaß, weil er dachte, es sei die Gemüsebeilage. Den kleinen Irrtum bemerkte nur der Oberkellner, und er ließ sofort frische Blumen bringen.

Am Nachmittag saßen die Großen, von all den festlichen Anstrengungen erschöpft, im Wohnzimmer der >Villa Sorgenklein< und tranken starken Kaffee. Mister Drinkwater berichtete über den Erfolg der Fernsehserie >Der kleine Mann< sowie über den für Ostern geplanten Start des Films in tausend Kinos. Und er erzählte auch, dass die Reportage über Senor Lopez großes Aufsehen erregt habe. Die Interpol sei ihm dicht auf den Fersen.

»Er wird wieder Fersengeld zahlen«, meinte Direktor Brausewetter, »reich genug ist er ja.« Nun war das zwar kein umwerfender Witz, doch weil er von ihm selbst war, lachte er, bis ihm der Magen wehtat. Vielleicht lag es aber auch an den Tischblumen. Wer kann das wissen? Es ist schwer, in das Innere eines Menschen zu blicken.

»Nun zu etwas Wichtigerem als Ihrem Magendrücken«, sagte Drinkwater. »Ich habe seit gestern einen Plan.«

»Lass ihn fallen«, erklärte der Jokus.

»Erlaube mal«, rief Drinkwater. »Du kennst doch meinen Plan gar nicht.«

»Selbstverständlich kenne ich ihn. Du willst mit Mielchen und Mäxchen einen Film drehen.«

»Du bist ein Gedankenleser. >Der kleine Mann und die kleine Miss< soll der Film heißen.«

»Das klingt hübsch«, meinte Mrs. Simpson und blickte den Filmonkel aus Amerika erwartungsvoll an.

Mister Drinkwater begann: »Zunächst möchte ich ...«

»Mir geht es genau wie dir«, unterbrach ihn der Professor. »Auch ich möchte noch eine Tasse Kaffee. Wie wäre es, wenn die Dame des Hauses und die Hausdame in die Küche marschierten und einen Mokka brauten, der alle Sprachen spricht? Vielleicht sogar Türkisch?«

»Sehr wohl, mein Gebieter«, flüsterte Rosa und verneigte sich orientalisch. Dann zwinkerte sie dem Gebieter zu und zog Mielchens Mutter aus dem Zimmer.

»Was soll denn das?«, fragte Mister Drinkwater gereizt. »Warum muss ich denn türkischen Mokka trinken?«

»Damit Mrs. Simpson nicht hört, was ich dir jetzt klipp und klar sagen werde«, erklärte der Jokus, und seine Stimme klang sehr energisch. »Diesen Film wirst du nicht drehen! Kaum haben sich Mielchen und ihre Mutter von ihrer Zeit in Alaska erholt, kommst du daher und willst sie, als Schauspieler, noch einmal in das gleiche Elend zurückjagen - was fällt dir eigentlich ein?«

»Im Allgemeinen ist er ja ein guter Kerl«, meinte Direktor Brausewetter. »Nur beim Topfschlagen oder wenn er Filmpläne hat, wird er roh wie ein Fleischerhund.«

Mister Drinkwater nagte eine Minute an der Unterlippe. Dann sagte er: »Okay, gentlemen.«

»Du gibst den Plan auf?«, fragte der Jokus erleichtert.

Drinkwater lächelte. »Darüber unterhalten wir uns in einem Jahr.«

Mielchen und Mäxchen saßen in ihrer >Villa Glühwürmchen< gemütlich am offenen Fenster und übten Faulsein. Es stand als Pflichtfach auf dem Stundenplan, der an der Wand hing. >Faul-sein, täglich 15 bis 16 Uhr, auch sonntags<, hatte der Jokus in Schönschrift eingetragen.

Mäxchen musterte die tickende Pendeluhr überm Sofa. »Noch vier Minuten«, stellte er fest. »Dann können wir wieder Krach machen. Was wollen wir spielen? >Frau Vogelbauer beim FriseurDer Opernsänger hat den Keuchhusten

»Bis die Uhr schlägt, bin ich faul«, sagte Mielchen und betrachtete die Gänseblümchen vorm Fenster. Sie waren so groß wie Mielchen selbst. Und daneben wuchs ein Himmelschlüsselchen, das war sogar einen Kopf größer.

»Oder wir gehen in den Turnsaal«, schlug er vor. »Ich mache am Hochreck die Riesenwelle, und du fängst mich auf. Wie wäre das? Auch nicht?«

Sie legte den Finger vor die Lippen.

»Na schön«, brummte er. »Faul, fauler, am faulsten.« Und dann blickten sie in die Wiese, bis die Wanduhr viermal geschlagen hatte. »So«, rief er tatendurstig, »jetzt geht’s los! Aber was?«

Mielchen lachte ihn an. »Ich weiß was. Wir spielen >Das kleinste Ehepaar der Welt<. Das ist ein Spiel ganz für uns allein, weil andere Kinder dafür viel zu groß sind.«

Mäxchen war Feuer und Flamme. »Jawohl«, rief er. »Womit fangen wir an? Mit dem Polterabend?«

»Bloß nicht«, sagte sie entsetzt. »Geschirr zerschlagen, das könnte dir so passen!«

»Oder: Wir sind schon ein paar Jahre verheiratet, und ich komme von einer Reise zurück. Wir fallen uns um die Hälse, freuen uns, dass wir gesund geblieben sind .«

». und dann fragst du, wo die Kinder stecken«, meinte Mielchen. »Das ist gut.«

»Was denn für Kinder?«, fragte Mäxchen.

»Na hör mal«, sagte sie. »Unsere eignen! Wir sind doch verheiratet und haben zwei. Einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen. Er heißt Fridolin, und sie heißt vielleicht Kunigunde. Ist dir das recht?«

»Fridolin und Kunigunde? Schön. Dann also los!« Und schon flitzte er aus dem Zimmer. Mielchen strich ihr Kleid glatt und stellte sich erwartungsvoll auf den Teppich.

Dann hörte sie im Flur schwere Schritte, und eine Stimme rief: »Hallo! Wo ist denn meine liebe Frau?«

»Hier, mein lieber Mann«, rief sie laut zurück. »Hier ist deine liebe Gemahlin.« Sie breitete die Arme aus, so weit sie konnte.

Mäxchen riss die Tür auf, strahlte und sagte: »Da bin ich wieder.«

»Blühend siehst du aus«, sagte er auch noch. Dann stolperte er versehentlich über den Teppichrand und fiel ihr nicht um den Hals, sondern auf seine Nase. Darüber gerieten sie ins Kichern. Doch das ging vorbei.

Als sie, Hand in Hand, auf dem Sofa saßen, fragte sie zärtlich: »Was macht dein Husten? Wie waren die Geschäfte? Hast du großen Hunger? Wie war der Flug? Ist mein Liebling sehr müde? Soll ich dir den Schlafrock holen? Willst du einen Whisky? Oder einen Tom Collins? Warum sagst du denn gar nichts, mein Schatz?«

Mäxchen räkelte sich genüsslich. »Endlich wieder daheim«, meinte er. »Endlich wieder diese himmlische Ruhe in den eignen vier Wänden .«

Sie stieß ihn an und flüsterte: »Jetzt musst du nach den Kindern fragen.«

Er nickte kurz. Dann fragte er laut: »Hatten wir, bevor ich verreiste, nicht ein paar Kinder? Zwei oder drei?«

»Zwei, mein lieber Mann. Den goldigen Fridolin und Kunigunde, unser Zuckerpüppchen.«

»Richtig, meine liebe Frau! Sind sie, während ich fort war, tüchtig gewachsen?«

»Leider nein. Ich habe sie gestern mit dem Lineal nachgemessen. Fridolin und auch Kunigündchen sind nach wie vor nur fünf Millimeter groß. Viel ist das nicht. Dabei essen sie wie die Scheunendrescher.«

»Fünf Millimeter sind ein halber Zentimeter.«

»Gewiss, mein kluger Mann.«

»Und wo stecken sie jetzt, statt an ihrem Vater hochzuklettern?«

»Schimpfe nicht«, bat Mielchen. »Aber ich musste sie in die Schnellwäscherei bringen. Dort hängen sie zum Trocknen auf der Leine.«

Mäxchen schien entsetzt zu sein. »Ist das dein Ernst?«

»Nein«, rief sie. »Das ist nicht mein Ernst, sondern unser Fridolin! Und nach Kunigündchen fragst du gar nicht erst. Es ist ja nur ein Mädchen!«

»Erzähle, was passiert ist, oder ich zerhacke die Kommode«, knurrte er.

»Sie waren plötzlich beide weg. Ich rief und suchte und kroch durchs ganze Haus. Nichts. Endlich fiel mir der Staubsauger ein! Ich hatte alle Zimmer geputzt .«

». und der Staubsauger hatte die Kinder verschluckt?«

»Ja. Sie saßen bis über die Ohren im Dreck, als ich den Beutel aufmachte. Staub und Teppichhaare und Zigarettenasche und Blumenerde - und dazwischen unsere beiden Lieblinge! Nicht zum Wiedererkennen. Verschmiert, verklebt, hustend, mit Rotznasen, und wie sie heulten!«

»Die lieben Kleinen«, meinte Mäxchen ergriffen.

»Ich stopfte sie in eine Tragtüte und sauste zur Schnellwäscherei.«

»Dort hängen sie nun auf der Leine?«

»Sie tropften vorhin noch ein bisschen. Aber in einer Stunde können wir sie abholen. Bis dahin hat man sie auch schon gebügelt. Sie werden wieder wie neu, hat mir der Besitzer versprochen.« Weil Mäxchen nicht antwortete, fragte sie: »Warum spielst du denn nicht weiter?«

Er zeigte in den Garten. »Wir bekommen Besuch.«

Rosa Marzipan, Verzeihung, Frau von Pokus spazierte mit ihrem Ehemann in der Wiese auf und ab. Sie hatten sich untergehakt und schienen mit sich, mit der Welt und den umliegenden Ortschaften restlos zufrieden zu sein.

»Was meinst du«, fragte Mielchen, »ob sie bald ein Baby kriegen?«

»Ob bald, weiß ich nicht«, sagte Mäxchen. »Aber schön wär’s schon. Dann setzen wir uns mit in den Kinderwagen und kitzeln ihn, wenn er heult.«

»Ihn?«, fragte Mielchen. »Den Kinderwagen?«

»Den Jungen!«

»Und wenn’s ein Mädchen wird?«

»Dann kitzeln wir eben das Mädchen. Aber es wird bestimmt ein Junge, verlass dich drauf. Ich habe mir sogar schon einen bildschönen Namen für ihn ausgedacht. Weil der Vater Jokus von Pokus heißt, müsste der Junge ...« Mäxchen flüsterte Mielchen rasch etwas ins Ohr.

»Nicht so schnell. Noch einmal, Joküsschen von .?«

Da flüsterte er ihr den bildschönen Namen zum zweiten Male ins Ohr. Langsamer und deutlicher.

Jetzt hatte sie ihn genau verstanden, rief »Guuut!« und lachte und klatschte in die Hände. Mäxchen lachte tüchtig mit. Und sie lachten noch, als Herr und Frau von Pokus neugierig durchs offene Fenster blickten.

»Euch scheint’s gut zu gehen«, sagte der Jokus. »Das merken sogar Schwerhörige.«

Und Rosa von Pokus fragte: »Worüber lacht ihr denn?«

Aber Mäxchen und Mielchen riefen wie aus einem Munde: »Das verraten wir nicht!«


Liebe Leser,

da saßen nun Herr und Frau von Pokus verdutzt im Gras und hatten nichts zu lachen. Na ja, Hauptsache, dass ihr selber wisst, was Mäxchen der kleinen Miss ins Ohr geflüstert hat.

Wer von euch es nicht wissen sollte, der hat vielleicht die ersten Seiten dieses Buches schon wieder vergessen. Dort erzählt nämlich Jakob Hurtig ... Doch keine Angst, ich fange nicht wieder von vorne an, sondern schreibe, mit kühnem Schwung, das Wörtchen

Ende

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