Das zweite Kapitel

Direktor Brausewetter wechselt die Handschuhfarbe /Rosa Marzipan leiht Mister Drinkwater ein Opernglas / Filmgespräche im Blauen Salon / Manche dürfen nachts nicht schlafen, manche können es nicht, und manche wollen es nicht.


Mister Drinkwater war ein unermüdlicher Mann. »Ich schlafe nur zweimal im Jahr«, pflegte er zu sagen, »einmal im Juli und das zweite Mal im Dezember, dann aber den ganzen Monat hindurch, Tag für Tag vierundzwanzig Stunden lang, da kenne ich kein Erbarmen.«

Wenn die Reporter staunten und fragten, ob er denn nicht wenigstens gelegentlich aufstehe, um eine Kleinigkeit zu essen, antwortete er: »Nein. Von halben Sachen halte ich nichts. Ich verbringe die Schlafmonate auf meiner Jacht >Sleepwell< und habe, außer dem Kapitän und der Besatzung, zwei zuverlässige Angestellte an Bord. Der eine muss für mich essen und der zweite muss sich statt meiner waschen.« Ob er log oder nicht, war ihm nicht anzumerken. Denn er verzog dabei keine Miene.

Wie dem auch sei: Hier in Berlin machte John Foster Drinkwater, der große und lange Filmboss aus den USA, keinen schläfrigen Eindruck. Er telefonierte mit Jokus von Pokus. Er telefonierte mit Zirkusdirektor Brausewetter. Er telefonierte mit Kriminalkommissar Steinbeiß, dem das, weil er noch auf dem Sofa lag, gar nicht recht war. Er telefonierte mit dem amerikanischen Generalkonsul. Er telefonierte mit der Deutschen Bank. Und er telefonierte mit der Frankfurter Filiale seiner Filmgesellschaft. Dann wusch er sich. Diesmal eigenhändig, denn es war ja weder Juli noch Dezember. Später aß er in der >Golden City-Bar< des Hotels, auch das persönlich, ein mit Käse überbackenes Ragoüt fin.

Und zu Beginn der Zirkusvorstellung saß er in der für ihn reservierten Loge.

Direktor Brausewetter begrüßte ihn überschwänglich, trug blütenweiße Glacehandschuhe und erkundigte sich, ob er dem restlos ausverkauften Hause den interessanten Gast vorstellen dürfe.

»Warum fragen Sie ausgerechnet mich?«, meinte Drinkwater. »Fragen Sie ihn doch selber!«

Direktor Brausewetter schlug die weißen Handschuhe über dem Kopfe zusammen. »Welch ein Missverständnis!«, rief er bekümmert. »Der interessante Gast sind doch Sie.«

»Unterstehen Sie sich«, sagte Drinkwater ärgerlich. »Ich bin als Geschäftsmann hier. Verfrühte Reklame verteuert den Einkauf. Wollen Sie mir einen Gefallen tun?«

»Selbstverständlich.«

»Dann halten Sie sich, bis unser Vertrag perfekt ist, mit Ihren hübschen weißen Handschuhen den Mund zu.«

»Ich hoffe, Sie meinen das nur bildlich«, bemerkte Direktor Brausewetter spitz. »Und jetzt gehe ich.«

Mister Drinkwater blätterte im Programmheft und sagte nebenbei: »Ich dachte, Sie seien schon weg.«

In der Garderobe des Professors erzählte der Zirkusdirektor tief gekränkt, was er eben erlebt hatte. »So ein ungeschliffener Patron!«, schimpfte er. »Den Mund soll ich mir zuhalten!«

»Sehr höflich war das nicht«, meinte der Jokus. »Aber im Grunde hat er natürlich Recht. Er will nicht, dass die Konkurrenz aufmerksam wird und uns mehr Geld bietet als er.«

»Was geht denn das uns an?« Der Direktor zwirbelte seine Schnurrbartspitzen hoch. »Wir sollten mit dem abschließen, der am meisten zahlt.«

Der Jokus schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir werden mit dem besten Mann abschließen. Das ist Mister Drinkwater. Darf ich Ihr Gedächtnis auffrischen, lieber Brausewetter! Vor einiger Zeit, es ist noch gar nicht so lange her, hatte die Nummer >Der große Dieb und der kleine Mann< in der Zirkuswelt einen sensationellen Erfolg. Die Gagen, die man den zwei Artisten von anderer Seite bot, waren immens. Und? Rannten sie hinter dem Geld her?«

Direktor Brausewetter blickte gequält auf die Spitzen seiner Lackschuhe. »Nein. Aber der neue Vertrag, den Sie mit mir abschlössen, war auch nicht von Pappe.«

»Das hätte gerade noch gefehlt«, sagte der Jokus. »Meine Devise heißt: der bestmögliche Vertrag mit dem bestmöglichen

Mann. Das galt für Sie, und das gilt für Mister Drinkwater. Sind wir uns einig?«

»Zu Befehl, Herr Professor!« Brausewetter schlug die Hacken zusammen, machte kehrt und marschierte zur Tür. Dort stieß er mit Rosa Marzipan zusammen.

Sie trug Trikot und Gazeröckchen, weil sie in die Manege und aufs Trampolin musste, um dort Luftsprünge zu machen. »Bleibt es dabei?«, rief sie. »Soll ich mich in der Pause zu unserem Filmzaren setzen?«

»Seien Sie vorsichtig«, warnte Direktor Brausewetter. »Der Filmzar beißt.«

»Mich nicht«, sagte Rosa und drehte eine Pirouette.

»Setz dich ruhig in seine Loge, Liebling«, meinte der Jokus. »Und wenn er dich beißen sollte, beiße ich ihn wieder.«

»Ich werd’s ihm ausrichten.« Sie machte einen tiefen Knicks und hüpfte in die Stallgasse.

Das Programm verlief, wie sich das für ein Programm gehört, programmgemäß. Die Artisten, die Clowns, die Pferde und sogar die Tiger gaben sich besondere Mühe. Die Zuschauer waren bester Laune. Und auch Mister Drinkwater fühlte sich gut unterhalten. Manchmal machte er sich Notizen. Es sah aus, als gäbe er Zensuren. Wahrscheinlich rechnete er. Geschäftsleute haben das so an sich. Sie rechnen sogar im Traum. Es scheint sich zu lohnen.

Jetzt kam die große Pause, und die meisten standen auf, aber er blieb sitzen. Doch dann kam Rosa Marzipan, blond und in einem silbernen Kleid, und nun stand er auf. »Sie waren sehr gut«, stellte er fest. »Und Sie sind sehr hübsch.«

Sie gab ihm amüsiert die Hand. »Es tut wohl, richtig beurteilt zu werden.« Nachdem sich beide gesetzt hatten, holte sie ein Opernglas aus der Abendtasche und hielt es ihm hin.

Er nahm es, betrachtete Rosa durch das Glas und nickte. »Sogar ganz besonders hübsch!«

»Sie sind ein Schwerenöter, Mister Drinkwater«, sagte sie. »Hindurchschauen sollen Sie doch erst, wenn der Jokus und Mäxchen auftreten!«

»Schade«, meinte er.

Nun, die zweite Programmhälfte geriet noch glänzender als die erste. Das war ja auch kein Wunder. Alles wartete fieberhaft auf die Sensation, auf die Nummer >Der große Dieb und der kleine Mann<. Und als Professor Jokus von Pokus unter donnerndem Beifall die Manege betrat, presste Mister Drinkwater Rosa Marzipans Opernglas fest an die Augen. Er ließ es erst wieder sinken, nachdem die Taube Emma, mit Mäxchen auf dem Rücken, von ihrem Flug in die Zirkuskuppel zurückgekehrt und wohlbehalten auf der Hand des Professors gelandet war.

Er war achtundzwanzig Minuten lang nicht der berühmte Filmproduzent Drinkwater gewesen, sondern einer unter ein paar tausend verzauberten Zuschauern. Er hatte mit ihnen gelacht. Er hatte wie sie gestaunt. Er hatte ihre Angst geteilt. Er hatte wie sie geklatscht.

Und er stürzte, als das Rundgitter aus der Versenkung hochstieg, wie die anderen zur Manege, um den kleinen Mann, der ihnen allen zuwinkte, endlich zu sehen. Denn: Gesehen hatte er ihn, trotz Opernglas, nicht eine Sekunde.

Das Marzipanfräulein hatte den Herrn aus Hollywood nicht aus den Augen gelassen. Ihr war nichts entgangen. Sie wusste nun, dass er nicht nur der kühle Kaufmann war, der statt des Lebens Zahlen sah, statt der Menschen ihre Gehaltsansprüche und statt eines Blumenstraußes dessen Ladenpreis.

Als er sich aber durch die aufgeregte Menge durchgequält hatte und in die Loge zurückkam, war er schon wieder der kühle Rechner. »Die Zeltkuppel wird sich schlecht ausleuchten lassen«, sagte er verdrossen. »Aber den Flug auf der Taube muss ich, scharf wie durch die Lupe, im Kasten haben. Gibt es denn bei euch keine festen Häuser? Zirkusgebäude aus Stein? Mit stabilen Rampen für die Scheinwerfer in der Kuppel? Und für meine Kameraleute? Außerdem sind für Aufnahmen in Viermastzelten die Versicherungsprämien blödsinnig hoch.«

Rosa lachte. »Wenn das nicht so wäre, müssten nicht wir Zirkusleute, sondern die Versicherungsangestellten in Zelten arbeiten.«

»Eine wundervolle Idee!«, sagte Mister Drinkwater und schloss genießerisch die Augen. »Es wäre ihnen von Herzen zu gönnen.«

Dann wurde Rosa sachlich. Beispielsweise in München, berichtete sie, gäbe es den Zirkus Krone. Am Marsplatz. Nicht weit vom Hauptbahnhof. Ein stabiles und vor wenigen Jahren renoviertes Gebäude.

»Kann man den Zirkus mieten?«, fragte Drinkwater.

»Wozu?«, fragte das Marzipanfräulein. »Wir gastieren dort sowieso. Noch in diesem Jahr.«

»Hoffentlich nicht im Dezember, denn dann schlafe ich.«

»Direktor Brausewetter hat für Oktober und November abgeschlossen«, sagte Rosa.

»Allright«, meinte Drinkwater. »München ist gut. Und zwei Monate sind gut. Den Zirkus drehen wir im Zirkus, die Atelierszenen bei der >Bavaria< in Grünwald, und Pichelstein liegt, glaube ich, auch in der Nähe.«

»Was wollen Sie denn in Pichelstein?«

»Aber dort beginnt doch unser Film!«, erklärte er. »In dem kleinen Dorf mit den kleinen Häusern und den kleinen Einwohnern und Turnern und mit Mäxchens kleinen Eltern, wie sie beide mit ihren kleinen Koffern zu dem kleinen Bahnhof marschieren, um in der großen Welt ihr Glück zu versuchen. Oder wissen Sie einen besseren Anfang?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Es gibt keinen besseren, Mister Drinkwater.«

»Nennen Sie mich John«, sagte er vergnügt.

Die Zuschauer rundum wurden unruhig. Sie machten »Psst!« und »Schscht!«. Einer sagte sogar: »Nun halten Sie endlich die Klappe!«

Nach der Vorstellung traf man sich im Blauen Salon des Hotels, in dem der Jokus und Mäxchen wohnten. Anwesend waren, um das vorwegzunehmen, fünf Personen: Rosa Marzipan, John F. Drinkwater, der kleine Mann, Jokus von Pokus und - verlegen in eine Ecke geklemmt - Direktor Brausewetter. Er trug mausgraue Handschuhe. Sozusagen Halbtrauer. Die pomadisierten Schnurrbartspitzen trug er auf halbmast. Vielleicht war der Filmonkel aus Amerika noch immer auf ihn böse.

»O warte!«, flüsterte Mäxchen hingerissen, als Mister Drink-water auftauchte. »Der Mann hört ja oben gar nicht auf! Das wär was für mich! Die geborene Kletterstange!«

»Benimm dich!«, sagte der Jokus streng. Der kleine Mann saß auf dem Tisch und löffelte heiße Schokolade.

»Zu Befehl, Herr Professor«, wisperte Mäxchen.

Drinkwater zündete sich eine große schwarze Zigarre an und erklärte dann: »Ich möchte Mäxchen Pichelsteiners Lebensgeschichte verfilmen, und er muss die Rolle natürlich selber spielen. Auch die anderen Hauptrollen will ich nicht mit Schauspielern besetzen, sondern mit Ihnen. Gute Artisten sind fast immer brauchbare Schauspieler.«

»Und wer spielt den Zirkusdirektor?«, fragte Direktor Brausewetter vorsichtig.

Drinkwater lächelte. »Selbstverständlich Sie! Oder wissen Sie einen besseren? Nein? Ich auch nicht.«

Brausewetters welke Schnurrbartspitzen richteten sich wieder auf. Dann zog er, heimlich unterm Tisch, seine grauen Handschuhe aus und steckte sie weg. Kurz darauf trug er schneeweiße Handschuhe! Das war keine Hexerei, sondern er hatte immer ein weißes, ein graues und ein schwarzes Paar bei sich. Und er wechselte sie je nach der Laune, in der er sich befand. Das brauchte er zum Leben. Warum auch nicht? Es gibt schlechtere Gewohnheiten. Und die meisten sind teurer.

Mister Drinkwater erzählte ausführlich, wie er sich den Film vorstelle. Wann und wo er ihn drehen wolle. Dass er selbst die Regie übernehmen werde. Welche zwei Schauspieler er für die beiden Kinderdiebe im Auge habe, weil, so scherzte er, die echten Halunken, Bernhard und der Kahle Otto, vom Gefängnisdirektor höchstwahrscheinlich keinen Filmurlaub bekämen. So weit sei ihm alles klar. »Nur etwas fehlt mir noch«, meinte er. »Etwas sehr Wichtiges. Eine Liebesgeschichte. Denn eine Liebesgeschichte gehört in jeden Film. Aber die wird mir schon noch einfallen.«

Da lachte Mäxchen und hätte sich fast an der heißen Schokolade verschluckt.

»Vielleicht können wir Ihnen helfen«, sagte Rosa Marzipan und verzog keine Miene. »Wie wär’s, wenn sich in Ihrem Film eine der drei Luftspringerinnen in den Zauberkünstler verliebte? Und der Zauberkünstler in die hübsche blonde Luftspringerin?«

Drinkwater zog an seiner Havanna und dachte nach. »Keine schlechte Idee. Aber da fehlt noch der dramatische Konflikt. Der ist das Wichtigste. Den braucht das Publikum. Glück ohne Schwierigkeiten ist nichts fürs Kino.«

»Auch das ließe sich machen«, meinte Direktor Brausewetter, während er den linken weißen Handschuh zärtlich mit dem rechten streichelte. »Wenn zum Beispiel einer der Clowns auf den Zauberkünstler eifersüchtig wäre und in der Artistengarderobe dessen Frack mit dem des Kunstreiters vertauschte ...«

»Ich bin ganz Ohr«, sagte Drinkwater gespannt.

»Und wenn der Kunstreiter im Zauberfrack in die Manege ritte, ohne von dem Tausch etwas zu ahnen ... Und wenn dann plötz-

lich aus dem falschen Frack die großen Papierblumensträuße und die zwei dressierten Tauben herausflögen, und das weiße Kaninchen spränge in die Manege ... Und der Hengst würde kopfscheu, und der berühmte Kunstreiter fiele in den Sand .«

»Wundervoll!«, rief Drinkwater. »Das ist die Lösung! Liebe, Eifersucht, Spannung, vertauschte Fräcke, komische Szene vor ausverkauftem Haus, der Kunstreiter verprügelt den Clown, der Zauberkünstler küsst die appetitliche Blondine, mehr kann man nicht verlangen! Die Frage ist nur, ob ein so seriöser Herr wie Professor Jokus von Pokus die Rolle des Liebhabers spielen will.« Er blickte zu dem >seriösen Herrn< hinüber und riss die Augen auf.

Denn das Marzipanfräulein, von Beruf Luftspringerin, hatte sich zärtlich an den Zauberkünstler geschmiegt und meinte: »Er wird schon wollen.«

Und der Jokus fügte, ein bisschen verlegen, hinzu: »Ich werde wohl müssen.«

»Oha«, sagte Drinkwater. »Allmählich dämmert’s mir. Die Wirklichkeit war früher da als ich.«

»Stimmt.« Direktor Brausewetter freute sich wie ein Kind. »Auch der Clown und die vertauschten Fräcke und der Sturz vom Pferd - ich habe nichts erfunden, sondern alles ist neulich in meinem Zirkus passiert!«

»Hoch lebe die Wirklichkeit«, erklärte Mister Drinkwater vergnügt. »Manchmal hat das Leben fast so gute Einfälle wie die Filmleute.« Da lachten die anderen und er lachte fleißig mit.

Dann aber wurde er todernst, setzte sich kerzengerade und sagte: »Die so genannten künstlerischen Fragen wären damit fürs

Erste erörtert. Auch das musste sein. Doch jetzt beginnt der wichtigere Teil unsrer Konferenz, nämlich der geschäftliche.«

»Ich beantrage Vertagung«, meinte der Jokus. »Der Junge muss ins Bett. Es ist höchste Eisenbahn.«

»Bringen Sie ihn in seine Streichholzschachtel«, riet der Amerikaner. »Dann verhandeln wir weiter.«

Der Jokus schüttelte energisch den Kopf. »Ausgeschlossen. Er ist mein Partner.« Plötzlich zuckte er zusammen. »Wo bist du denn überhaupt?«

Es war, als habe der Blitz eingeschlagen. Alle starrten auf den Tisch. Der kleine Mann war verschwunden!

»Mäxchen!«, rief der Jokus. »Liebling!«, rief Rosa Marzipan. »Kleiner!«, rief Direktor Brausewetter.

Keine Antwort.

»Maxie!«, rief Mister Drinkwater.

Sie saßen still und steif wie hingemalt und hielten die Luft an. Nichts. Kein Laut. Nur draußen vor der Tür ging jemand langsam auf und ab.

Mit einem Satz war der Jokus an der Tür. Er riss sie auf. »Wer sind Sie?«

»Aber Herr Professor«, antwortete der Mann, »Sie kennen mich doch. Ich bin der Hoteldetektiv, der auf Mäxchen aufpasst.«

»Und wo ist er?«

»Die Frage verstehe ich nicht«, meinte der Detektiv perplex. »Er ist bei Ihnen. Ich habe die ganze Zeit die Tür bewacht, damit er nicht wieder gestohlen wird.«

»Er ist fort!«, rief Direktor Brausewetter und zog rasch die weißen Handschuhe aus.

»Das ist ganz unmöglich«, erklärte der Detektiv. »Der Blaue Salon hat nur diese eine Tür, und die habe ich, seit Sie hineingegangen sind, nicht aus den Augen gelassen.«

»Und warum antwortet er nicht, so laut wir auch rufen?«, fragte Drinkwater nervös. »Er ist verschwunden!«

»Ausgeschlossen.« Der Detektiv war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Ihre Krawatte ist auch verschwunden. Trotzdem muss sie noch hier sein.« Tatsächlich. Drinkwaters bunte Krawatte war fort. Keiner hatte es bemerkt.

»Auf geht’s!«, rief Rosa Marzipan zuversichtlich. »In die Knie, meine Herren!«

Und schon krochen vier Männer auf allen vieren im Blauen Salon herum. Schade, dass kein Fotograf in der Nähe war. Es wäre ein prächtiger Schnappschuss geworden.

Rosa Marzipan kroch nicht. Ihr Rock war zu eng. Und sie dachte, vier Männer zu ihren Füßen seien genug. Sie durchforschte die höheren Regionen: die kleinen Ecktische, die Anrichte, den Bücherschrank, die Vitrine mit dem alten Porzellan und den zierlichen Schreibtisch aus der Biedermeierzeit. Eine der Schubladen stand offen und über ihren Rand hing der Zipfel einer bunten Krawatte aus weicher Foulardseide.

Behutsam hob Rosa den Krawattenzipfel hoch und sagte gerührt: »Hier liegt er ja, der Schurke!« Im Nu waren die vier Männer auf den Beinen. Sie drängten zum Schreibtisch, klopften die Hosenbeine sauber und blickten verzückt in die offene Schublade. Mäxchen schlief. Er schlief wie ein Murmeltier. Er wachte auch nicht auf, als der Jokus ihn hochnahm, vorsichtig in die hohle Hand legte und, mit ihm, auf Zehenspitzen den Salon verließ.

Erst als er ihn, oben im Schlafzimmer, in die alte Streichholzschachtel schob, schlug Mäxchen kurz die Augen auf, murmelte: »Ich war ja soo müde«, doch dann schlief er schon wieder.

Im Korridor vorm Schlafzimmer setzte sich der Hoteldetektiv auf einen Stuhl, trank schwarzen Kaffee und hielt Wache. Er durfte nicht schlafen.

Mister Drinkwater fuhr ins Hilton und rechnete. Denn er konnte nicht schlafen.

Und irgendwo in der großen Stadt Berlin saß Monsieur Boileau mit der merkwürdigen Reisegesellschaft aus Paris zusammen. Sie wollten nicht schlafen. Sie hatten finstere Pläne zu besprechen. Für den nächsten Tag. Und mit diesem nächsten Tage, wenn auch nicht gleich mit der merkwürdigen Reisegesellschaft, beginnt ...

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