22.

Der Rückweg kam ihm weiter vor als der Weg hinunter.

Skar fror mit jeder Minute stärker. Der nasse Mantel begann auf seiner Haut zu trocknen, und die Kälte kroch allmählich in seinen Körper hinein und nagte an seinen letzten verbliebenen Kraftreserven. Er lief schneller und rannte schließlich den steil ansteigenden Weg hinauf, aber selbst die Bewegung vermochte die beißende Kälte nicht vollends aus seinen Gliedern zu vertreiben. Sein Herz hämmerte, als das Stollenende schließlich vor ihm auftauchte. Er blieb stehen, atmete ein paarmal tief durch und ging langsamer weiter. Die Höhle, in der Herger und die anderen zurückgeblieben waren, lag jetzt direkt vor ihm. Eigentlich hätte er ihre Stimmen hören müssen (oder wenigstens irgendwelche Laute). Aber vor ihm war nichts.

Skar blieb stehen. Er spürte, daß dort vor ihm irgend etwas nicht stimmte. Es war zu still, zu ruhig, selbst wenn er annahm, daß die Zurückgebliebenen sich bemühten, keinen Lärm zu machen. Elf Personen konnten einfach nicht so vollkommen lautlos sein, auch wenn sie es wollten.

Langsam ging er weiter. Seine Hand glitt unter den nassen Umhang und tastete nach dem Griff des Tschekal. Das Leder war klamm, vollgesogen mit Wasser und Kälte, und das beruhigende Gefühl von Sicherheit und Stärke, das ihn normalerweise immer überkam, wenn er die Waffe berührte, blieb diesmal aus.

Ein schwacher, süßlicher Geruch wehte ihm entgegen, als er weiterging. Im ersten Moment erkannte er nicht, was es war, aber er wurde stärker, je näher er der Höhle kam, und schließlich gewahrte er einen dunklen, formlosen Schatten unmittelbar vor ihrem Eingang.

Skar blieb abermals stehen, warf einen sichernden Blick über die Schulter zurück und zog die Waffe aus dem Gürtel. Das Geräusch, mit dem die Klinge aus der schmalen Lederscheide glitt, erschien ihm in der lastenden Stille überlaut; wer immer hier lauern mochte, mußte es hören.

Unsinn, dachte er zornig. Es gibt niemanden, der hier lauerte. Dieser Weg in die Verbotene Stadt braucht keinen Wächter; er bewacht sich selbst; besser, als es jeder Posten könnte.

Skar verscheuchte den Gedanken mit einem unwilligen Kopfschütteln, wechselte das Schwert von der Rechten in die Linke und ging weiter. Der Geruch wurde stärker.

Blut.

Es war Blutgeruch; jenes schwere, süßliche, auf morbide Art beinahe angenehme Aroma, das er von so vielen Schlachtfeldern und aus so vielen Arenen kannte, und zwar zu gut, um sich einzureden, daß es etwas anderes sein konnte. Es war Blutgeruch, und der dunkle Umriß vor ihm war ein Körper. Der Körper eines Quorrl.

Skar ließ sich neben dem Schuppenkrieger auf ein Knie nieder, legte das Schwert, lautlos und so nahe, daß er es mit einem raschen Griff sofort wieder erreichen konnte, auf den Boden und drehte den Quorrl um.

Er war tot. In seinen pupillenlosen Fischaugen war ein Ausdruck ungläubigen Schreckens festgefroren, ein Schrecken, der schlimmer gewesen sein mußte als der körperliche Schmerz. Sein rechter Arm war fort - an seiner Schulter gab es nur noch einen zerrissenen Stumpf, aus dem überraschend wenig Blut floß. Der Quorrl war weder verblutet noch an einer anderen Verletzung gestorben. Was ihn getötet hatte, war der Schock gewesen, eine Furcht, die sich selbst im Tode noch tief in seine Züge gegraben hatte.

Aber was konnte ein Wesen wie einen Quorrl im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode erschrecken?

Skar nahm sein Schwert auf, sah sich - nun wirklich mehr in Angst als beunruhigt - noch einmal um und ging weiter. Seine Schritte wurden langsamer.

Die Höhle war voll von Toten. Er hatte es erwartet - nicht erwartet: gewußt -, aber der Anblick traf ihn trotzdem wie ein Hieb. Der winzige Raum glich einem Schlachthaus - überall war Blut, waren tote, zerfetzte Körper, abgerissene Arme, Beine ... Skar unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte die Szene schon einmal erlebt. Verstümmelte. Menschen, die mit gnadenloser Brutalität ermordet - geschlachtet - worden waren. Er schob sein Schwert in den Gürtel zurück, trat vorsichtig über den verkrümmt daliegenden Leichnam eines Quorrl hinweg und sah sich um. Der Anblick ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Übelkeit und Haß.

Er wußte, wer dieses Gemetzel angerichtet hatte.

Der Wolf war hier, ganz in seiner Nähe. Er belauerte ihn, so, wie er ihn die ganze Zeit belauert hatte. Er hockte vielleicht gerade jetzt irgendwo in der Dunkelheit des Ganges vor ihm und starrte ihn aus leblosen Augen an.

Skar entdeckte Herger am anderen Ende des Raumes. Er lag auf dem Gesicht, die Hände zu Klauen verkrümmt, als hätte er versucht, sich in seiner Angst in den felsigen Boden zu graben. Die rechte Hälfte seines Kopfes war abgebissen. Der zersplitterte Schädelknochen zeigte Spuren von Zähnen, gewaltigen, einwärts gekrümmten Zähnen. Zähne aus Stein, dachte Skar, aus schwarzem, auf unselige Weise zum Leben erwachtem Granit, der beseelt war von einer Magie, die seit Äonen vergessen war und ihrer Welt schon einmal den Untergang gebracht hatte.

Skars Hände begannen plötzlich zu zittern. Er schloß die Augen, senkte das Haupt und preßte die Kiefer so heftig zusammen, daß es schmerzte. Aber es half nichts. Der körperliche Schmerz vermochte die andere, tiefergehende Qual, die in seiner Seele gelauert hatte und wie ein böser Alpdruck jetzt wieder zum Leben erwachte, nicht zu vertreiben.

Jetzt erst, in diesem Moment, als er vor Hergers verstümmeltem, ausgeblutetem Leichnam kniete, wurde ihm klar, wie sehr er den Hehler gemocht hatte. Er hatte sich nur eingeredet, ihn zu verabscheuen, hatte versucht, sich das selbst glaubhaft zu machen, weil er gewußt hatte, daß dies geschehen würde, weil er - ohne daß er den Gedanken jemals wirklich bewußt gedacht hätte - Angst vor diesem Augenblick gehabt hatte, vor dem Moment, in dem er sich seiner wahren Gefühle für Herger bewußt werden würde. Vor dem Moment, in dem er sich eingestand, Herger zu mögen. Er hatte gewußt, daß ihn der Wolf töten würde, in genau diesem Augenblick.

So wie der Wolf alles vernichtete, was er, Skar, liebte.

»Warum bringst du mich nicht um?« flüsterte er. »Warum kommst du nicht endlich aus deinem Versteck heraus und stellst dich zum Kampf?« Die gekrümmte Decke über Skars Kopf fing den Klang seiner Worte auf und warf ihn als verzerrtes Echo durch den Gang, und für einen Moment glaubte er fast, ein höhnisches Lachen als Antwort zu bekommen. Er sah auf. Der Tunnel vor ihm war voller Schwärze, Schwärze und Furcht, die aus seiner Seele heraufgekrochen war und in der wabernden Finsternis Gestalt anzunehmen begann.

»Komm heraus«, flüsterte er. »Komm endlich heraus und zeige dich, du verdammte Bestie!« Seine Hände krallten sich in den blutigen Stoff von Hergers Jacke, aber er merkte es nicht einmal. »Ich weiß nicht, was du von mir willst«, flüsterte er, »aber du kannst es haben. Komm her und stell dich zum Kampf, du Ungeheuer!« Aber die Dunkelheit vor ihm blieb stumm. Allmählich begann er zu begreifen, daß es etwas Schlimmeres als Verzweiflung gab - Ohnmacht. Nicht einmal gegenüber Vela, die sein Leben zerstört und alles, woran er glaubte und wofür er kämpfte, in den Schmutz getreten hatte, hatte er dieses Gefühl in solcher Stärke verspürt. Gegen sie konnte er wenigstens kämpfen, auch wenn er kaum eine Chance hatte, diesen Kampf jemals zu gewinnen.

Seine Hand schloß sich durch den Stoff des Mantels hindurch um den Schwertgriff so fest, daß seine Knöchel knackten. Es wäre leicht - eine rasche Bewegung, ein kurzer, heißer Schmerz; vielleicht nicht einmal das. Trotz allem hatte er es bisher nicht zugeben wollen, aber es gab nichts mehr, wofür er noch leben konnte. Mit Herger war der letzte Mensch gestorben, der ihm noch irgend etwas bedeutet hatte.

Aber auch diesen letzten Ausweg würde ihm der Wolf nicht lassen.

Er war da, irgendwo ganz in seiner Nähe, lautlos und lauernd. Er wartete auf eine neue Blöße, einen neuen Schmerz, den er ihm zufügen konnte. Er würde es verhindern, so wie er verhindert hatte, daß Tantor ihn tötete, und wie er Velas Armee vernichtet hatte, ehe er sich und sie umbringen konnte.

Nein - nicht einmal diese letzte Gnade würde er ihm gewähren. Vielleicht war dies der Preis, den er für den Frevel, den er Combat angetan hatte, bezahlen mußte. Vielleicht würde er bis ans Ende seiner Tage ein Gejagter bleiben, ein Mann, dessen Freundschaft Leid und dessen Liebe Tod bedeuteten.

Hinter seinem Rücken wurde ein erschrockener Ausruf laut. Skar sprang auf die Füße und riß das Schwert aus dem Gürtel. Aber es war nur Mork. Der Quorrl stand, starr vor ungläubigem Schrecken, unter dem Tunnelausgang und starrte abwechselnd ihn und die Toten zu seinen Füßen an.

»Was ist... hier passiert?« keuchte er. Seine Stimme zitterte so stark, daß Skar die Worte mehr erriet, als er sie wirklich verstand. »Ich weiß es nicht«, sagte Skar. Er trat rasch einen halben Schritt zur Seite und auf den Quorrl zu, so daß Hergers Leichnam seinen Blicken entzogen war. Er wollte nicht, daß Mork sah, wie grausam der Wolf den Hehler gestraft hatte, gestraft dafür, daß er sein Freund hatte sein wollen. »Die Männer müssen vollkommen überrascht worden sein. Es scheint keinen Kampf gegeben zu haben«, sagte er. Er sprach sehr schnell, um den Quorrl abzulenken. Er wußte nicht, ob Laynanya oder Legis ihm von Combats Wächter erzählt hatten, und er wollte auch nicht, daß er es nun erfuhr. »Die Errish«, flüsterte Mork. »Das war diese Hexe, Skar.« Skar schüttelte den Kopf und trat über die Toten hinweg. »Sie haben sich nicht einmal gewehrt, Mork. Sie hatten überhaupt keine Chance. Sieh doch selbst«, sagte er mit einem Fingerzeig auf einen von Morks Kriegern. Das Schwert des Toten steckte noch in seinem Gürtel.

Aber der Quorrl schien Skars Worte gar nicht zu hören. »Sie war es«, murmelte er dumpf. »Es war diese Errish, Skar. Es ... es war kein Zufall, daß die Männer gerade hier zurückgeblieben sind. Es war eine Falle.« Er stöhnte. Seine mächtige Brust hob und senkte sich in schnellen, hektischen Stößen. »Es war eine Falle«, wiederholte er. »Sie wußte, daß das passieren würde. Sie hat sie umgebracht.«

»Red keinen Unsinn, Mork«, sagte Skar ruhig. »Sieh dich doch um - das hier waren keine Menschen. Wenn sie von Wächtern überrascht worden wären, hätten sie sich gewehrt. Aber sie hatten nicht die geringste Chance.«

»Ihr Drachen«, stammelte Mork. Er war am Ende seiner Beherrschung, und es hätte Skar nicht einmal mehr überrascht, wenn er plötzlich in hysterisches Gelächter ausgebrochen wäre oder etwas ähnlich Sinnloses getan hätte. »Sie hat ihren Drachen auf sie gehetzt.«

»Es müßte schon ein sehr kleiner Drache gewesen sein, um in diesen Gang zu passsen«, versetzte Skar ruhig. »Glaub mir, Legis hat nichts damit zu tun.«

Hinter dem Quorrl schienen zwei winzige rotglühende Funken in der Dunkelheit aufzuglimmen. Wolfsaugen.

Skar schüttelte das Bild mühsam ab und schob die Waffe in den Gürtel. »Warum bist du überhaupt hierhergekommen?« fragte er, um das Thema zu wechseln.

»Du bist nicht zurückgekommen«, murmelte Mork. Er sah Skar nicht an. Sein Blick hing noch immer wie gebannt an den Toten, wanderte von einem zum anderen und glitt über den blutbesudelten Boden. Die Furcht in seinen Augen wuchs.

Skar hatte nicht gemerkt, wieviel Zeit vergangen war. Erst jetzt spürte er, daß er endlose Minuten neben Hergers Leichnam gekniet hatte, ohne das Verstreichen der Zeit, ohne überhaupt irgend etwas zu spüren, ja selbst ohne zu denken.

»Laß uns gehen«, sagte er. »Wer immer das hier getan hat, ist noch hier. Und ich möchte ihm nicht begegnen.«

Mork nickte mühsam. Er hatte den ersten Schrecken überwunden, aber das, was danach kam, war schlimmer. Skar ging rasch auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sei vernünftig, Mork«, sagte er. »Legis hat nichts damit zu tun. Wenn wir sie nicht begleitet hätten, dann wären wir jetzt so tot wie diese Männer.«

Die Worte gingen ihm glatt über die Lippen, so glatt, daß er sich dafür haßte. Wenn er nicht mitgegangen wäre, dann wären diese Männer und Quorrl noch am Leben.

Mork nickte, rührte sich aber immer noch nicht, und Skar mußte ihn wie ein willenloses Kind vor sich herschieben. Der Quorrl begann zusammenhanglose Worte in seiner Muttersprache zu stammeln, während sie durch den Gang zurückgingen, und hätte Skar ihn nicht fast gewaltsam mitgezerrt, wäre er stehengeblieben.

Der Anblick erschütterte Skar. Er paßte nicht zu dem Bild, das er sich von Mork gemacht hatte - nicht zu diesem gewaltigen schuppigen Wesen, das nur aus Kraft und kaum gebändigter Wildheit zu bestehen schien und dem man keine anderen Gefühle als Haß und Mordlust zutraute. Für einen Moment bedauerte er fast, daß er Mork nicht unter anderen Umständen kennengelernt hatte. Sie hätten viel voneinander lernen können.

Aber dieser Gedanke war falsch - wären er und Mork sich zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen begegnet, dann hätten sie nichts anderes als Todfeinde sein können.

Erst als sie die Drachenhöhle beinahe erreicht hatten, erwachte Mork aus seiner Erstarrung. Er blieb stehen, schlug Skars Hand mit einem schmerzhaften Hieb beiseite und funkelte ihn wütend an.

»Es ist gut«, sagte er böse. »Du brauchst mich nicht zu führen wie ein Kind.«

Skar nickte, und Mork fuhr mit einer heftigen Bewegung herum und stürmte weiter. Er floh - nicht vor der Gefahr, die hinter ihnen lauerte, sondern vielmehr vor der Blöße, die er sich gegeben hatte. Für einen Moment hatte er Skar hinter sein starres Schuppengesicht blicken lassen und ihm gezeigt, daß der Unterschied zwischen Menschen und Quorrl vielleicht nicht einmal annähernd so groß war, wie es bisher den Anschein gehabt hatte. Aber Skar wußte nicht, ob es wirklich gut war. Es konnte sein, daß Mork ihn später dafür haßte. Wenn es ein »Später« gab ... Legis kniete noch immer hinter dem Felsen, hinter dem sie Deckung gesucht hatte, als Skar gegangen war. Auf ihrem Gesicht erschien ein überraschter Ausdruck, als sie sah, daß Skar und der Quorrl allein zurückkamen.

»Wo sind die anderen?« fragte sie, als Skar geduckt neben ihr anlangte und in den Schatten des Felsens glitt.

»Tot«, antwortete Skar, ohne sie anzusehen.

»Tot?« stieß Legis hervor. »Was heißt das? Wie ...«

»Das heißt, daß sie ermordet worden sind«, mischte sich Mork ein. »Jemand hat sie umgebracht, Errish.«

Skar sah ihn alarmiert an. Der Quorrl wirkte äußerlich gefaßt, aber seine Hände zuckten fast unmerklich, und in seinen Augen stand ein gefährliches Flackern.

»Was willst du damit sagen?« fragte Legis. Ihr Blick glitt fragend von Mork zu Skar und wieder zurück.

»Er will nichts sagen«, warf Skar hastig ein. »Sie sind tot, und wir wissen nicht, wer sie getötet hat.«

Mork fuhr auf. »Es ist genug, Satai«, zischte er. »Du brauchst mir nicht die Worte in den Mund zu legen, die ich zu sagen habe. Ich weiß sehr wohl, was ich meine. Und du auch!«

Die letzten Worte hatte er geschrien. Skar blickte über den Felsen, aber die Drachen unten in der Höhle rührten sich nicht. »Sei leise, bei allen Göttern!« antwortete er scharf. »Und überlege erst einmal - Legis war nicht eine Sekunde allein. Was hätte sie schon tun können, das wir nicht bemerkt hätten?«

Mork wischte seinen Einwand mit einer unwilligen Geste beiseite. »Hexenwerk!« fauchte er leiser, aber keineswegs ruhig. »Sie ist eine Hexe, Satai! Sie hat sie umgebracht!«

Skar bewegte sich ein wenig. Seine Hand glitt unauffällig zum Gürtel und legte sich auf den Schwertgriff. Mork war am Ende seiner Selbstbeherrschung angelangt. Seine Hände zitterten. »Du hast uns verraten, Hexe«, keuchte er. »Und auch wir wären tot, wenn ich nicht darauf bestanden hätte, dich zu begleiten.« Legis schüttelte verwirrt den Kopf. »Das ... das ist nicht wahr, Mork«, sagte sie schleppend. »Ich weiß nicht, was den Männern ...« Sie brach plötzlich ab, und in ihren Augen glomm ein erschrockener Funke auf. Ihr Blick suchte den Skars.

»Du lügst!« brüllte Mork. Mit einer Bewegung, die zu schnell war, als daß Skar sie noch hätte verhindern können, warf er sich auf die Errish und riß sie hoch. Legis schrie, schlug dem Quorrl die geballten Fäuste ins Gesicht und trat um sich. Mork spürte es nicht einmal.

»Laß sie los!« schrie Skar. Er sprang ebenfalls auf, packte die Hände des Quorrl und versuchte seinen Griff zu sprengen. Es war unmöglich. Mork drückte mit der ganzen gewaltigen Kraft seiner Muskeln zu. Legis' Schreie wurden zu einem krächzenden Stöhnen. Ihre Rippen knackten hörbar. Noch wenige Sekunden, und der Quorrl würde ihr den Brustkorb eingedrückt haben.

Skar sprang zurück, riß sein Schwert aus dem Gürtel und schlug mit der flachen Seite der Klinge zu. Der Stahl traf Morks Handgelenk mit erbarmungsloser Wucht. Der Quorrl brüllte, mehr vor Wut als Schmerz, ließ die Errish los und wich zwei, drei Schritte zurück. Sein Blick sprühte vor Haß.

Während Legis mit einem qualvollen Wimmern in die Knie brach, zog der Quorrl seine eigene Waffe aus der Scheide und nahm eine gebückte, sprungbereite Kampfhaltung ein. »Du also auch«, grollte er. »Ihr habt das geplant, nicht? Du hast mit ihr gemeinsame Sache gemacht!«

»Sei vernünftig«, antwortete Skar. »Ich verstehe -«

»Nichts verstehst du«, unterbrach ihn Mork. »Aber ich verstehe jetzt, Satai. Ihr habt das von Anfang an geplant, du und diese Hexe. Aber wenn ich schon sterbe, dann gemeinsam mit euch.« Er sprang vor, mit einer Geschmeidigkeit, die Skar diesem Koloß niemals zugetraut hätte. Sein Schwert hackte nach Skars Kopf, verfehlte ihn um Millimeter und schlug Funken aus dem Fels. Skar drehte sich blitzschnell zur Seite, ließ den Quorrl über sein ausgestrecktes Bein stolpern und schlug ihm den Schwertknauf in den Rücken. Mork schrie, taumelte, von seinem eigenen ungestümen Schwung getragen, noch einige Schritte weiter und brach in die Knie.

Aber auch Skar war gestürzt. Der Ansturm des Giganten hatte ihn zu Boden geschleudert. Sein Bein war taub, und als er sich aufraffte, konnte er nur mit Mühe einen Schmerzenslaut unterdrücken. Einen zweiten Angriff dieser Art würde er nicht überleben. Mork war kein normaler Gegner. Skars Erfahrung aus unzähligen Arenakämpfen nutzte ihm hier nicht viel. Der Quorrl war eine lebende Kampfmaschine, ein Gebirge aus Fleisch und Muskeln, gegen das Skars ausgefeilte Kampftechnik beinahe nutzlos war. »Hör auf, Mork«, sagte er keuchend. »Ich will dich nicht töten.« Aber er würde es müssen. Mork war kein Gegner, den er kampfunfähig machen konnte. Wenn Mork das nächste Mal angriff, würde einer von ihnen sterben.

»Hör auf«, sagte Skar noch einmal.

Mork knurrte, wechselte das Schwert blitzschnell von der rechten in die linke Hand und stürmte mit gesenktem Schädel heran. Skar wartete, bis der Quorrl ganz knapp vor ihm war, federte blitzschnell hoch und setzte mit einem halben Salto über den Schuppenkrieger hinweg. Sein Schwert beschrieb eine komplizierte Bahn, traf Mork mit der ganzen gewaltigen Wucht des Sprunges und trennte ihm den Kopf von den Schultern. Der Quorrl stürmte noch ein paar Schritte weiter, brach langsam und beinahe widerwillig in die Knie und sackte dann wie eine haltlose Gliederpuppe in sich zusammen.

Skar ließ schweratmend sein Schwert sinken. In seinen Ohren rauschte das Blut, und hinter seiner Stirn wurde ein hysterisches, lautloses Lachen laut. Ein Gefühl des Irrsinns schoß aus seiner Seele empor und überflutete seine Gedanken.

Erst als ihn Legis an der Schulter berührte, klärten sich seine Gedanken wieder. Er sah auf, blickte in ihr bleiches, erschrockenes Gesicht und wollte etwas sagen. Aber seine Kehle war zugeschnürt, so daß er nur ein unartikuliertes Stöhnen hervorbrachte. »Du hattest keine andere Wahl, Skar«, sagte Legis sanft. Sie schien seine Gedanken zu erraten. »Er war nicht mehr bei Sinnen. Er hätte uns beide getötet, wenn du nicht ihn getötet hättest.« Vielleicht wäre es besser gewesen, dachte Skar. Aber er sagte nichts.

»Wir müssen weiter«, fuhr Legis fort. »Der Aufgang ist dort drüben. Komm jetzt.« Sie deutete in die Dunkelheit vor sich und setzte sich in Bewegung. Skar folgte ihr.

Als sie die Deckung der Felsen verließen, glaubte Skar einen schwarzen, zottigen Schatten hinter sich zu erkennen.

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