ACHTZEHN

Gminskis Limousine machte auf der Canal Street eine plötzliche Kehrtwendung, als gehörte die Straße ihr allein, und hielt dann vor dem Sheraton an. Beide Hintertüren flogen auf. Gminski war zuerst draußen, rasch gefolgt von drei Gehilfen, die mit Reisetaschen und Aktenkoffern hinter ihm hereilten.

Es war kurz vor zwei Uhr morgens, und der Direktor hatte es offensichtlich sehr eilig. Er blieb nicht an der Rezeption stehen, sondern steuerte direkt auf die Fahrstühle zu. Die Gehilfen rannten hinter ihm her und hielten ihm die Fahrstuhltür auf, und niemand sprach, als sie sechs Stockwerke hochfuhren.

In einem Eckzimmer warteten drei seiner Agenten. Einer von ihnen öffnete die Tür, und Gminski stürmte ohne ein Wort der Begrüßung hindurch. Die Gehilfen warfen das Gepäck auf eines der Betten. Der Direktor entledigte sich seines Jacketts und warf es auf einen Stuhl.

«Wo ist sie?«fuhr er einen Agenten namens Hooten an. Ein anderer, der Swank hieß, zog die Vorhänge auf, und Gminski trat ans Fenster.

Swank deutete auf das Marriott, einen Block entfernt auf der anderen Straßenseite.»Sie ist im fünfzehnten Stock, drittes Zimmer von der Straße aus, Licht noch an.«

Gminski starrte auf das Marriott.»Sind Sie sicher?«

«Ja. Wir sahen sie hineingehen, und sie hat mit einer Kreditkarte bezahlt.«

«Armes Kind«, sagte Gminski, als er sich vom Fenster zurückzog.»Wo war sie vorige Nacht?«

«Im Holiday Inn an der Royal. Hat mit einer Kreditkarte bezahlt.«»Haben Sie jemanden gesehen, der ihr gefolgt ist?«fragte der Direktor.

«Nein.«

«Ich möchte ein bisschen Wasser«, sagte er zu einem der Gehilfen, der zum Eiskübel sprang und mit Würfeln klirrte.

Gminski setzte sich auf die Bettkante, verschränkte die Finger ineinander und ließ jeden nur möglichen Knöchel knacken.»Was meinen Sie?«fragte er Hooten, den ältesten der drei Agenten.

«Sie sind hinter ihr her. Sie drehen jeden Stein um. Sie benutzt Kreditkarten, und in achtundvierzig Stunden wird sie tot sein.«

«Ganz dumm ist sie nicht«, warf Swank ein.»Sie hat sich das Haar abgeschnitten und es schwarz gefärbt. Sie bleibt nie lange an einem Ort. Offensichtlich hat sie fürs erste nicht die Absicht, die Stadt zu verlassen. Ich gebe ihr zweiundsiebzig Stunden, bis sie sie gefunden haben.«

Gminski trank von seinem Wasser.»Das bedeutet, dass ihr kleines Dossier den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Und es bedeutet, dass unser Freund jetzt vor nichts mehr zurückschrecken wird. Wo ist er?«

Hooten antwortete schnell.»Wir haben keine Ahnung.«

«Wir müssen ihn finden.«

«Seit drei Wochen hat ihn niemand mehr gesehen.«

Gminski stellte das Glas auf den Schreibtisch und griff nach einem Zimmerschlüssel.»Also, was meinen Sie?«

«Holen wir sie?«

«Das wird nicht so einfach sein«, sagte Swank.»Sie könnte bewaffnet sein, und jemand könnte verletzt werden.«

«Sie ist total verängstigt«, sagte Gminski.»Außerdem ist sie eine Zivilperson und gehört keiner Organisation an. Wir können nicht herumlaufen und Zivilpersonen von der Straße auflesen.«

«Dann wird sie nicht lange überleben«, sagte Swank.

«Wie würden Sie vorgehen?«fragte Gminski.

«Es gibt verschiedene Möglichkeiten«, antwortete Hooten.»Sie auf der Straße festnehmen. In ihr Zimmer gehen. Wenn ich sofort losginge, könnte ich in weniger als zehn Minuten in ihrem Zimmer sein. Das ist nicht schwierig. Sie ist kein Profi.«

Gminski wanderte langsam im Zimmer herum, und alle beobachteten ihn. Er sah auf die Uhr.»Ich bin nicht dafür, sie festzunehmen. Wir werden vier Stunden schlafen und uns um halb sieben wieder hier treffen. Wenn ihr mich dann überzeugen könnt, dass wir sie festnehmen sollten, sage ich, dass ihr es tun sollt. Okay?«

Sie nickten gehorsam.

Der Wein erfüllte seinen Zweck. Sie nickte auf dem Stuhl ein, dann legte sie sich ins Bett und schlief tief und fest. Das Telefon läutete. Die Decke hing auf den Boden herab, und ihre Füße lagen auf dem Kopfkissen. Das Telefon läutete. Ihre Lider waren verklebt. Ihr Verstand war gelähmt und in Träume versunken, aber irgendwo in den tiefsten Winkeln ihres Gehirns funktionierte etwas und sagte ihr, dass das Telefon läutete.

Die Augen gingen auf, sahen aber nur wenig. Die Sonne war aufgegangen, die Lichter brannten, und sie starrte auf das Telefon. Nein, sie hatte nicht darum gebeten, geweckt zu werden. Sie dachte eine Sekunde darüber nach, dann war sie sicher. Kein Weckanruf. Sie setzte sich auf die Bettkante und hörte dem Läuten zu. Fünfmal, zehn, fünfzehn, zwanzig. Es wollte nicht aufhören. Vielleicht hatte jemand die falsche Nummer gewählt, aber nach dem zwanzigsten Läuten würde er es aufgeben.

Es war keine falsche Nummer. Die Spinnweben lichteten sich, und sie bewegte sich näher an das Telefon heran. Außer dem Mann an der Rezeption und vielleicht seinem Chef und dem

Zimmerservice wusste keine lebendige Seele, dass sie sich in diesem Zimmer befand. Sie hatte Essen bestellt, aber sonst niemanden angerufen.

Es hörte auf zu läuten. Gut, falsche Nummer. Sie ging ins Badezimmer, und es läutete abermals. Sie zählte. Nach dem vierzehnten Läuten nahm sie den Hörer ab.»Hallo?«

«Darby, hier ist Gavin Verheek. Sind Sie okay?«

Sie setzte sich aufs Bett.»Woher haben Sie die Nummer?«

«Wir haben Möglichkeiten. Hören Sie, haben…«

«Einen Moment, Gavin. Eine Minute. Lassen Sie mich nachdenken. Die Kreditkarte, stimmt’s?«

«Ja. Die Kreditkarte. Die Papierspur. Es ist das FBI, Darby. Wir haben Möglichkeiten. Das ist nicht sonderlich schwierig.«

«Dann könnten sie es auch schaffen.«

«Vermutlich. Halten Sie sich an die kleinen Hotels und zahlen Sie bar.«

In ihrem Magen war ein dicker Knoten, und sie streckte sich auf dem Bett aus. Einfach so. Nicht schwierig. Die Papierspur. Sie könnte längst tot sein. Auf der Papierspur umgebracht.

«Darby, sind Sie noch da?«

«Ja. «Sie warf einen Blick auf die Tür, um sich zu vergewissern, dass die Kette vorgelegt war.»Ja, ich bin noch da.«

«Sind Sie in Sicherheit?«

«Das hatte ich mir eingebildet.«

«Wir haben einige Informationen für Sie. Morgen nachmittag um drei findet auf dem Campus ein Gedenkgottesdienst statt und hinterher die Beisetzung in der Stadt. Ich habe mit seinem Bruder gesprochen, und die Familie möchte, dass ich den Sarg mit trage. Ich komme heute abend, und ich meine, wir sollten uns treffen.«»Weshalb sollten wir das?«

«Sie müssen mir vertrauen, Darby. Ihr Leben ist in Gefahr, und Sie müssen sich anhören, was ich Ihnen zu sagen habe.«

«Was führt ihr im Schilde?«

Eine kleine Pause.»Wie meinen Sie das?«

«Was hat Direktor Voyles gesagt?«

«Ich habe nicht mit ihm gesprochen.«

«Ich dachte, Sie wären sein Rechtsberater, sozusagen. Was ist los, Gavin?«

«Im Augenblick unternehmen wir nichts.«

«Und was bedeutet das, Gavin? Reden Sie.«

«Deshalb müssen wir uns ja treffen. Ich kann darüber nicht am Telefon sprechen.«

«Das Telefon funktioniert bestens, und es ist alles, was Sie im Augenblick bekommen. Also reden Sie endlich, Gavin.«

«Weshalb trauen Sie mir nicht?«Er war verletzt.

«Ich lege jetzt auf. Das gefällt mir nicht. Wenn ihr wisst, wo ich bin, dann könnte jemand anders schon auf dem Flur auf mich warten.«

«Unsinn, Darby. Denken Sie doch ein bisschen nach. Ich habe Ihre Zimmernummer seit einer Stunde und nichts getan, als Sie anzurufen. Wir sind auf Ihrer Seite, ich schwöre es.«

Sie dachte darüber nach. Es klang einleuchtend, aber sie hatten sie so mühelos gefunden.»Ich höre zu. Sie haben nicht mit dem Direktor gesprochen, und das FBI unternimmt nichts. Weshalb nicht?«

«Das weiß ich nicht genau. Voyles hat gestern beschlossen, dass uns das Pelikan-Dossier nichts mehr angeht, und Anweisung gegeben, die Finger davon zu lassen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

«Das ist nicht gerade viel. Weiß er von Thomas? Weiß er, dass ich eigentlich schon tot sein sollte, weil ich es geschrieben habe, und dass sie, wer immer sie sein mögen, achtundvierzig Stunden, nachdem Thomas es Ihnen, seinem alten Studienfreund, gegeben hatte, versucht haben, uns beide umzubringen? Weiß er das alles?«

«Ich glaube nicht.«

«Das heißt nein, nicht wahr?«

«Ja. Es heißt nein.«

«Okay, hören Sie zu. Glauben Sie, dass er um des Dossiers willen umgebracht wurde?«

«Vermutlich.«

«Das heißt ja, nicht wahr?«

«Ja.«

«Danke. Wenn Thomas um des Dossiers willen ermordet wurde, dann wissen wir, wer ihn umgebracht hat. Und wenn wir wissen, wer Thomas umgebracht hat, dann wissen wir auch, wer Rosenberg und Jensen umgebracht hat. Richtig?«

Verheek zögerte.

«Sagen Sie endlich ja, verdammt noch mal«, fuhr Darby ihn an.

«Ich würde sagen, vermutlich.«

«Fein. Vermutlich heißt bei einem Anwalt ja. Ich weiß, mehr können Sie nicht sagen. Es ist ein sehr starkes Vermutlich, und trotzdem erzählen Sie mir, dass das FBI in bezug auf meinen kleinen Verdächtigen nichts unternimmt.«

«Beruhigen Sie sich, Darby. Lassen Sie uns heute abend zusammenkommen und darüber reden. Ich könnte Ihnen das Leben retten.«

Sie legte den Hörer unter ein Kissen, ging ins Badezimmer, putzte sich die Zähne und bürstete das, was von ihrem Haar noch übrig war. Dann warf sie ihre Toilettensachen und eine

Garnitur Kleidung in eine neue Segeltuchtasche. Sie zog den Parka über, setzte die Mütze und die Sonnenbrille auf und machte leise die Tür hinter sich zu. Der Flur war leer. Sie ging zwei Stockwerke hinauf bis zum siebzehnten, fuhr dann mit dem Fahrstuhl in den zehnten, dann ging sie zu Fuß die zehn Treppen hinunter ins Foyer. Das Foyer schien leer zu sein. Die Treppenhaustür lag dicht neben den Waschräumen, und sie verschwand schnell in der Damentoilette. Sie betrat eine Kabine, verriegelte die Tür und wartete eine Weile.

Freitagmorgen im French Quarter. Die Luft war kühl und klar, ohne den sonst üblichen Geruch nach Essen und Sünde. Acht Uhr — zu früh, als dass schon Leute unterwegs gewesen wären.

Sie ging ein paar Blocks, um ihren Kopf klarzubekommen und den Tag zu planen. Auf der Duma ine fand sie in der Nähe des Jackson Square ein Cafe, das sie schon früher gesehen hatte. Es war fast leer, und hinten gab es einen Münzfernsprecher. Sie schenkte sich Kaffee ein und setzte sich an einen Tisch in der Nähe des Telefons. Hier konnte sie sprechen.

Verheek war in weniger als einer Minute am Apparat.»Ich höre«, sagte er.

«Wo wollen Sie übernachten?«fragte sie und beobachtete dabei die Eingangstür.

«Im Hilton, unten am Fluss.«

«Ich weiß, wo es liegt. Ich rufe am späten Abend oder morgen früh an. Spüren Sie mir nicht wieder nach. Ich bezahle von jetzt an bar. Kein Plastik mehr.«

«Gute Idee, Darby. Bleiben Sie in Bewegung.«

«Vielleicht bin ich schon tot, bevor Sie ankommen.«

«Nein, bestimmt nicht. Können Sie da unten eine Washington Post auftreiben?«

«Vielleicht. Weshalb?«

«Besorgen Sie sich eine. Die Morgenausgabe. Hübsche Story über Rosenberg und Jensen und den, der es vielleicht getan hat.«

«Ich kann’s kaum erwarten. Ich rufe später wieder an.«

Der erste Zeitungsstand hatte die Post nicht. Sie wanderte im Zickzackkurs zur Canal, verwischte ihre Spur, achtete auf Verfolger, die St. Ann hinunter, an den Antiquitätengeschäften auf der Royal vorbei, zwischen den schäbigen Kneipen auf beiden Seiten der Bienville hindurch und schließlich über Decatur und North Peters zum French Market. Sie war flink, aber gelassen. Sie verhielt sich, als ginge sie irgendwelchen Geschäften nach, und hinter der Sonnenbrille schossen ihre Augen in alle Richtungen. Wenn sie irgendwo da hinten im Schatten waren und sie beobachteten und ihr folgten, dann waren sie gut.

Sie kaufte von einem Straßenhändler eine Post und eine Times-Picayune und fand einen Tisch in einer leeren Ecke des Cafe du Monde.

Titelseite. Unter Berufung auf eine vertrauliche Quelle berichtete die Story über die Legende Khamel und seine Verwicklung in die Morde. In jüngeren Jahren, hieß es, hatte er aus Überzeugung gemordet, aber jetzt tat er es nur noch für Geld. Massenhaft Geld, vermutete ein Geheimdienstexperte im Ruhestand, der zwar gestattet hatte, dass man ihn zitierte, aber keinesfalls beim Namen genannt werden wollte. Die Fotos waren verschwommen und undeutlich, aber nebeneinander gestellt äußerst dubios. Sie konnten nicht die gleiche Person darstellen. Aber schließlich, sagte der Experte, war er nicht zu identifizieren und seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr fotografiert worden.

Endlich kam ein Kellner vorbei, und sie bestellte Kaffee und ein Croissant. Der Experte sagte, viele glaubten, er wäre tot. Interpol glaubte, er hätte noch vor sechs Monaten gemordet. Der Experte bezweifelte, dass er mit einer Linienmaschine fliegen würde. Auf der Liste des FBI stand er an erster Stelle.

Sie schlug langsam die Zeitung aus New Orleans auf. Thomas stand nicht auf der Titelseite, aber auf Seite zwei fand sie sein Bild mit einer langen Story. Die Polizei ging von Mord aus, hatte aber nicht viel in der Hand. Eine weiße Frau war kurz vor der Explosion in der Nähe gesehen worden. Die juristische Fakultät stand unter Schock, sagte der Dekan. Die Polizei ließ wenig verlauten. Der Gedenkgottesdienst fand morgen auf dem Campus statt. Es handelte sich um einen grauenhaften Irrtum, sagte der Dekan. Wenn es Mord war, dann musste jemand die falsche Person umgebracht haben.

Ihre Augen waren feucht, und plötzlich hatte sie wieder Angst. Vielleicht war es wirklich ein Irrtum gewesen. Es war eine gewalttätige Stadt, in der es viele Verrückte gab, und vielleicht hatte jemand etwas durcheinandergebracht und sich den falschen Wagen ausgesucht. Vielleicht war überhaupt niemand draußen, der ihr folgte.

Sie setzte die Sonnenbrille auf und betrachtete sein Foto. Sie hatten es aus dem Jahrbuch der Fakultät, und auf seinem Gesicht lag das herablassende Grinsen, das er immer aufsetzte, wenn er der Professor war. Er war glattrasiert und sah so gut aus.

Granthams Khamel-Story versetzte Washington am Freitagmorgen in helle Aufregung. In ihr wurden weder das Memo noch das Weiße Haus erwähnt; deshalb war das hitzigste Spiel in der Stadt das Spekulieren über die Quelle, aus der sie stammte.

Besonders hitzig war das Spiel im Hoover Building. Im Büro des Direktors wanderten Eric East und K. O. Lewis nervös hin und her, während Voyles zum dritten Mal in zwei Stunden mit dem Präsidenten sprach. Voyles fluchte, nicht direkt auf den Präsidenten, aber auf alle in seiner Umgebung. Er verfluchte Coal, und als der Präsident zurückzufluchen begann, schlug

Voyles vor, den Lügendetektor aufzustellen, jeden einzelnen seiner Mitarbeiter, mit Coal angefangen, daraufzuschnallen und auf diese Weise festzustellen, wer nicht dichtgehalten hatte. Ja, auch er selbst, Voyles, würde sich diesem Test unterwerfen, und überhaupt alle, die im Hoover Building arbeiteten. Und das Wüten ging weiter, hin und zurück. Voyles war rot und schwitzte, und die Tatsache, dass er in den Hörer schrie und dass es der Präsident war, der am anderen Ende der Leitung saß und sich das alles anhören musste, spielte nicht die geringste Rolle. Er wusste, dass Coal irgendwo mithörte.

Offensichtlich gelang es dem Präsidenten, bei dem Gespräch die Oberhand zu gewinnen, und er gab einen langatmigen Sermon von sich. Voyles wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn, ließ sich auf seinem alten Lederdrehstuhl nieder und zwang sich zu kontrolliertem Atmen, um Blutdruck und Puls zu senken. Er hatte einen Herzinfarkt überlebt und musste mit einem zweiten rechnen, und er hatte K. O. Lewis oft genug erklärt, dass Fletcher Coal und sein Idiot von einem Boss eines Tages seinen Tod bedeuten würden. Aber das hatte er auch schon über die letzten drei Präsidenten gesagt. Er kniff sich in die dicken Falten auf seiner Stirn und ließ sich tiefer in seinen Stuhl sinken.»Das können wir tun, Mr. President. «Er war jetzt fast liebenswürdig. Er war ein Mann, der zu schnellen und radikalen Stimmungsumschwüngen imstande war, und plötzlich war er die Höflichkeit selbst.»Danke, Mr. President. Ich werde morgen da sein.«

Er legte sanft den Hörer auf und sprach mit geschlossenen Augen.»Er will, dass wir diesen Reporter von der Post überwachen. Sagt, dergleichen hätten wir schon füher getan, würden wir es also wieder tun? Ich habe ihm gesagt, wir würden.«

«Welche Art von Überwachung?«fragte K. O.

«Wir folgen ihm einfach durch die Stadt. Rund um die Uhr mit zwei Leuten. Stellen fest, wo er abends hingeht, mit wem er schläft. Er ist ledig, stimmt’s?«

«Wurde vor sieben Jahren geschieden«, antwortete Lewis.

«Passt genau auf, dass wir nicht erwischt werden. Nehmt Leute in Zivil und wechselt sie alle drei Tage aus.«

«Glaubt er wirklich, dass wir es waren, die nicht dichtgehalten haben?«

«Nein, das wohl nicht. Wenn er meinte, dass das Leck bei uns liegt, weshalb würde er dann verlangen, dass wir den Reporter beschatten? Ich glaube, er weiß, dass es seine eigenen Leute waren. Und er will wissen, wer dahintersteckt.«

«Es ist ein kleiner Gefallen, den wir ihm tun können«, erklärte Lewis hilfsbereit.

«Ja. Aber wir dürfen nicht dabei erwischt werden, okay?«

Das Büro von L. Matthew Barr lag versteckt im dritten Stock eines armseligen, verfallenden Bürohauses an der M Street in Georgetown. An den Türen hingen keine Hinweisschilder. Ein bewaffneter Wachmann mit Jackett und Krawatte hinderte Unbefugte am Verlassen des Fahrstuhls. Der Teppich war abgeschabt, das Mobiliar bunt zusammengewürfelt und verstaubt. Es war offensichtlich, dass die Einheit kein Geld für häusliche Zwecke ausgab.

Barr leitete die Einheit, bei der es sich um eine inoffizielle, geheime Nebenabteilung des Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten handelte. Das Komitee verfügte über eine große, elegante Bürosuite jenseits des Flusses in Rosslyn. Dort gab es Fenster, die man öffnen konnte, und Sekretärinnen, die lächelten, und Frauen, die jeden Abend saubermachten. Aber nicht in diesem Loch.

Fletcher Coal trat aus dem Fahrstuhl und nickte dem Wachmann zu, der das Nicken erwiderte, ohne ein Wort zu sagen. Sie waren alte Bekannte. Er durchquerte das kleine

Labyrinth schäbiger Büros, hinter denen das von Barr lag. Coal bemühte sich immer, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, und ehrlicherweise sagte er sich, dass er in ganz Washington vor keinem Menschen Angst hatte, Matthew Barr vielleicht ausgenommen. Manchmal hatte er Angst vor ihm, manchmal nicht. Aber bewundern tat er ihn immer.

Barr war ein ehemaliger Marineinfanterist, ein ehemaliger CIA-Agent, ein ehemaliger Spion, der zweimal wegen Sicherheitsaffären verurteilt worden war, bei denen er Millionen beiseite geschafft und das Geld vergraben hatte. Er hatte ein paar Monate in einem der Country Clubs abgesessen, aber nicht sonderlich viele. Coal hatte Barr persönlich als Leiter der Einheit rekrutiert, die offiziell überhaupt nicht existierte. Sie hatte ein Jahresbudget von vier Millionen, alles bar aus verschiedenen Schmiergeldfonds, und Barr leitete eine kleine Gruppe hochqualifizierter Ganoven, die unauffällig die Arbeit der Einheit taten.

Barrs Tür war immer verschlossen. Er öffnete sie, und Coal trat ein. Die Unterredung würde kurz sein, wie gewöhnlich.

«Lassen Sie mich raten«, begann Barr.»Sie möchten die undichte Stelle finden.«

«Ja, in gewisser Weise. Ich möchte, dass Sie diesem Reporter Grantham folgen, rund um die Uhr, und herausfinden, mit wem er redet. Er bekommt manchmal verdammt gutes Material, und ich fürchte, es kommt von uns.«

«Ihr ganzes Büro besteht aus undichten Stellen.«

«Wir haben ein paar Probleme, aber die Khamel-Story war eine Falle. Ich habe sie selbst geschrieben.«

Barr lächelte.»Das dachte ich mir. Sie kam mir zu prompt und zu sauber vor.«

«Ist Ihnen Khamel jemals über den Weg gelaufen?«

«Nein. Vor zehn Jahren waren wir sicher, dass er tot war. So etwas gefällt ihm. Er hat kein Ego, also wird er nie erwischt werden. Er kann sechs Monate in einem Wellblechschuppen in Sao Paulo von Wurzeln und Ratten leben, dann nach Rom fliegen, um einen Diplomaten umzubringen, dann für ein paar Monate in Singapur untertauchen. Er liest nicht, was die Zeitungen über ihn schreiben.«

«Wie alt ist er?«

«Wieso interessiert er Sie?«

«Er gibt mir zu denken. Ich glaube, ich weiß, wer ihn angeheuert hat, Rosenberg und Jensen umzubringen.«

«Ach, wirklich? Können Sie es mir verraten?«

«Nein. Noch nicht.«

«Er ist zwischen vierzig und fünfundvierzig, was nicht sonderlich alt ist, aber er hat schon mit fünfzehn einen libanesischen General umgebracht. Er hat also langjährige Berufserfahrung. Aber das sind alles Legenden. Er kann mit beiden Händen töten, mit beiden Füßen, mit einem Autoschlüssel, einem Bleistift oder was auch immer. Er ist ein hervorragender Schütze mit allen Waffen. Spricht zwölf Sprachen. All das haben Sie schon gehört, nicht wahr?«

«Ja, aber ich höre es gern noch einmal.«

«Okay. Er gilt als der tüchtigste und teuerste Killer der Welt. In seiner Jugend war er nur ein gewöhnlicher Terrorist, aber viel zu talentiert, um bloß Bomben zu werfen. Also wurde er ein Mietkiller. Jetzt ist er ein bisschen älter geworden und tötet nur noch für Geld.«

«Wie viel Geld?«

«Gute Frage. Er ist vermutlich in der Preislage von zehn bis zwanzig Millionen pro Job, und es gibt meines Wissens nur noch einen einzigen in dieser Klasse. Einer Theorie zufolge lässt er einen Teil des Geldes anderen Terroristengruppen zukommen. Aber Genaues weiß niemand. Lassen Sie mich raten

— Sie wollen, dass ich Khamel finde und ihn lebendig zurückhole.«

«Lassen Sie Khamel in Ruhe. Irgendwie gefällt mir die Arbeit, die er hier getan hat.«

«Er ist sehr talentiert.«

«Ich möchte, dass Sie Grantham folgen und feststellen, mit wem er redet.«

«Irgendwelche Ideen?«

«Mehrere. Da ist ein Schwarzer namens Milton Hardy, der als Hausmeister im Westflügel arbeitet. «Coal warf einen Umschlag auf den Schreibtisch.»Er ist schon sehr lange dort, halb blind, wie es heißt, aber ich glaube, dass er eine Menge sieht und hört. Lassen Sie ihn ein oder zwei Wochen lang beschatten. Jedermann nennt ihn Sarge. Machen Sie Pläne, ihn zu beseitigen.«

«Das ist großartig, Coal. Wir geben eine Menge Geld dafür aus, halbblinde Neger zu beschatten.«

«Tun Sie, was ich gesagt habe. Besser drei Wochen. «Coal erhob sich und ging zur Tür.

«Sie wissen also, wer den Killer angeheuert hat«, sagte Barr.

«Wir kommen der Sache näher.«

«Die Einheit würde Ihnen mit Freuden behilflich sein.«

«Das bezweifle ich nicht.«

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