Eddard

Wie ein reißender Fluß von Gold und Silber und poliertem Stahl strömten die Besucher durch die Tore der Burg, dreihundert Mann, eine Pracht von Vasallen und Rittern, von Gefolgsmännern und freien Rittersleuten. Über ihren Köpfen peitschte ein Dutzend goldener Banner im Nordwind hin und her, verziert mit dem gekrönten Hirschen von Baratheon.

Ned kannte viele der Reiter. Dort kam Ser Jaime Lannister mit Haar so hell wie Blattgold, und dort Sandor Clegane mit seinem grauenhaft verbrannten Gesicht. Der große Junge neben ihm konnte nur der Kronprinz sein, und dieser verkrüppelte, kleine Mann an seiner Seite war sicher der Gnom Tyrion Lannister.

Doch der mächtige Mann an der Spitze der Kolonne, flankiert von zwei Rittern in den schneeweißen Umhängen der Königsgarde, erschien Ned fast wie ein Fremder… bis er mit altbekanntem Aufschrei vom Rücken seines Pferdes sprang und ihn mit knochenberstender Umarmung an sich drückte.»Ned! Wie gut es tut, dein gefrorenes Gesicht zu sehen. «Der König musterte ihn von oben bis unten und lachte.»Du hast dich nicht verändert.«

Hätte Ned nur dasselbe sagen können… Vor fünfzehn Jahren, als sie aufgebrochen waren, um einen Thron zu erobern, war der Lord von Storm's End glattrasiert gewesen, klaren Blickes und muskulös wie der Traum junger Mädchen. Mit seinen sechseinhalb Fuß Größe überragte er die anderen Männer, aber wenn er seine Rüstung anlegte und den großen, geweihbesetzten Helm seiner Familie aufsetzte, wurde er zum wahren Riesen. Und Riesenkräfte besaß er auch. Seine Lieblingswaffe war ein dornbesetzter, eiserner Streithammer, den Ned kaum heben konnte.

In jenen Tagen damals hatten ihn Leder und Blut wie Duftwasser eingehüllt.

Nun war es Duftwasser, das ihn wie Duftwasser einhüllte, und sein Umfang entsprach seiner Größe. Zuletzt hatte Ned den König vor neun Jahren während Balon Greyjoys Rebellion gesehen, als sich Hirsch und Schattenwolf getroffen hatten, um den Ansprüchen des selbsternannten Königs von Iron Islands ein Ende zu bereiten. Seit jenem Abend, als sie Seite an Seite in Greyjoys gefallener Festung standen, in welcher Robert die Kapitulation des rebellischen Lords entgegennahm und Ned dessen Sohn Theon als Geisel und Mündel bekam, hatte der König erheblich zugelegt. Ein Bart — grob und schwarz wie Eisendraht — bedeckte sein Gesicht, um das Doppelkinn und die hängenden, königlichen Wangen zu verhüllen, doch nichts konnte den Wanst oder die dunklen Ringe unter seinen Augen verbergen.

Aber heute war Robert Neds König und nicht mehr nur ein Freund, und daher sagte er:»Majestät, Winterfell ist Euer.«

Mittlerweile stiegen auch die anderen ab, und Stallburschen liefen zu den Pferden vor. Roberts Königin Cersei Lannister kam zu Fuß mit ihren Kindern in den Hof. Die Karosse, in der sie gefahren waren, eine riesenhafte Doppeldeckerkutsche aus geölter Eiche und vergoldetem Metall, die von vierzig schweren Pferden gezogen wurde, war zu breit, um durch das Tor der Burg zu passen. Ned kniete im Schnee und küßte den Ring der Königin, während Robert Catelyn wie eine verlorengeglaubte Schwester umarmte. Dann hatte man die Kinder vorgeschickt, vorgestellt und gegenseitig gelobt.

Kaum waren diese Begrüßungsformalitäten beendet, da sagte der König zu seinem Gastgeber gewandt:»Bring mich in eure Krypta, Eddard. Ich möchte ihnen meinen Respekt zollen.«

Dafür liebte Ned ihn, weil er sich nach all den Jahren noch ihrer erinnerte. Er bat um eine Laterne. Sonst waren keine

Worte nötig. Schon hatte die Königin zum Protest angesetzt. Seit dem Morgengrauen waren sie unterwegs, allesamt müde und durchgefroren, und sicher müßten sie sich erst einmal erfrischen. Die Toten würden warten. Nicht mehr als das hatte sie gesagt. Robert hatte ihr einen Blick zugeworfen, und ihr Zwillingsbruder Jaime hatte sie still in den Arm genommen, und dann hatte sie nichts mehr gesagt.

Gemeinsam stiegen sie in die Gruft hinab, Ned und dieser König, den er kaum noch kannte. Die steinerne Wendeltreppe war schmal. Ned ging mit der Laterne voraus.»Ich fing schon an zu glauben, wir würden Winterfell nie mehr erreichen«, klagte Robert.»Unten im Süden, so wie da über meine Sieben Königslande gesprochen wird, vergißt man fast, daß deine Last so groß ist wie die aller anderen sechs zusammen.«

«Ich hoffe, Ihr habt Eure Reise genossen, Majestät.«

Robert schnaubte.»Sümpfe und Wälder und Felder, und kaum ein vernünftiges Wirtshaus nördlich vom Neck. Nie zuvor habe ich derart ausschweifende Leere gesehen. Wo ist dein Volk?«

«Wahrscheinlich waren die Leute zu scheu, um aus ihren Löchern zu kommen«, scherzte Ned. Er spürte die Kälte, welche die Stufen heraufkroch, kalter Atem aus dem Inneren der Erde.»Könige sind im Norden ein seltener Anblick.«

Robert schnaubte.»Wahrscheinlicher ist, daß sie sich unter dem Schnee versteckt haben. Schnee, Ned!«Der König legte eine Hand an die Mauer, um sich abzustützen.

«Spätsommerliche Schneefälle sind nichts Ungewöhnliches«, sagte Ned.»Ich hoffe, sie haben Euch keine Unbill bereitet. Für gewöhnlich sind sie mild.«

«Mögen die Anderen deine milden Schneefälle holen«, fluchte Robert» Wie soll es hier erst im Winter werden? Beim bloßen Gedanken daran friert es mich.«

«Die Winter sind hart«, räumte Ned ein.»Doch die Starks

halten durch. Wie wir es immer schon getan haben.«

«Du solltest in den Süden kommen«, erklärte Robert.»Du brauchst etwas Sommer, bevor er uns ganz entflieht. In Highgarden gibt es Felder voll goldener Rosen, so weit das Auge reicht. Das Obst ist so reif, es explodiert einem schier im Mund… Melonen, Pfirsiche, Feuerpflaumen, so Liebliches hast du noch nie gekostet. Du wirst es sehen, denn ich habe dir ein paar davon mitgebracht. Selbst in Storm's End, bei dem kräftigen Wind von der See, sind die Tage so heiß, daß man sich kaum rühren kann. Und du solltest die Städte sehen, Ned! Überall Blumen, die Märkte quellen über vor Speisen, der Sommerwein ist so billig und gut, und man ist schon benebelt, wenn man nur atmet. Jedermann ist dick und trunken und reich. «Er lachte und versetzte seinem stattlichen Wanst einen Schlag.»Und die Mädchen, Ned!«rief er mit leuchtenden Augen aus.»Ich schwöre dir: Frauen legen alle Scham in dieser Hitze ab. Sie schwimmen nackt im Fluß, gleich unterhalb der Burg. Selbst in den Straßen ist es viel zu heiß für Wolle oder Pelz, und deshalb laufen sie in diesen kurzen Kleidern herum, aus Seide, wenn sie das Silber dafür haben, aus Leinen, wenn nicht; doch macht es keinen Unterschied, wenn sie schwitzen und der Stoff an ihrer Haut klebt, könnten sie ebensogut nackt sein. «Der König lachte selig.

Schon immer war Robert Baratheon ein Mann von mächtigem Appetit gewesen, ein Mann, der wußte, wie man sich vergnügte. Das war nichts, was man von Eddard Stark hätte sagen können. Doch konnte Ned nicht übersehen, welchen Tribut diese Vergnügungen vom König forderten. Robert atmete schwer, als sie das untere Ende der Treppe erreichten, und sein Gesicht leuchtete rot im Lampenschein, während sie die dunkle Gruft betraten.

«Majestät«, sagte Ned respektvoll. Er schwang die Laterne in weitem Halbkreis. Schatten taumelten und schwankten. Flackerndes Licht fiel auf die Steine zu ihren Füßen und strich über eine lange Prozession von Granitpfeilern, die paarweise in die Dunkelheit vorausmarschierten. Zwischen den Säulen saßen die Toten auf ihren steinernen Thronen an den Wänden, mit den Rücken an die Grabstätten gelehnt, die ihre sterblichen Überreste bargen.»Sie ist hinten am Ende, bei Vater und Branden.«

Er lief zwischen den Säulen voraus, und Robert folgte wortlos, fror in der unterirdischen Kälte. Hier unten war es stets kalt. Ihre Schritte hallten im Gewölbe über ihnen nach, während sie sich unter die Toten des Hauses Stark mischten. Die Lords von Winterfell sahen sie vorüberziehen. Ihre Ebenbilder waren in den Stein gemeißelt, der die Gräber versiegelte. In langen Reihen saßen sie da, starrten mit blinden Augen in ewige Finsternis, während große, steinerne Schattenwölfe sich um ihre Füße scharten. Die schwankenden Schatten ließen die Steinfiguren aussehen, als bewegten sie sich, wenn die Lebenden vorübergingen.

Aus alter Sitte hatte man jedem, der Lord von Winterfell gewesen war, ein eisernes Langschwert auf den Schoß gelegt, um die rachsüchtigen Geister in ihrer Gruft zu halten. Das älteste war lange schon vom Rost zerfressen, und nur noch ein paar rote Flecken waren zurückgeblieben, wo das Metall auf Stein gelegen hatte. Ned fragte sich, ob es bedeutete, daß sich diese Geister nun frei in seiner Burg bewegen konnten. Er hoffte es nicht. Die ersten Lords von Winterfell waren so hart wie das Land gewesen, über das sie herrschten. In den Jahrhunderten, bevor die Dragonlords über das Meer kamen, hatten sie sich niemandem unterwerfen müssen und sich selbst zu Königen des Nordens gemacht.

Schließlich blieb Ned stehen und hob die Öllaterne in die Höhe. Die Gruft führte noch weiter in die Finsternis vor ihnen, doch von hier an waren die Gräber leer und unverschlossen. Schwarze Gruben erwarteten ihre Toten, warteten auf ihn und seine Kinder. Daran mochte Ned nicht denken.»Hier«, erklärte

er seinem König.

Robert nickte leise, kniete nieder und neigte den Kopf.

Es waren drei Gräber, Seite an Seite. Lord Rickard Stark, Neds Vater, hatte ein langes, ernstes Gesicht. Der Steinmetz hatte ihn gut gekannt. In stiller Würde saß er da, die steinernen Finger hielten das Schwert auf seinem Schoß, doch im Leben hatten Schwerter ihm kein Glück gebracht. In zwei kleineren Gräbern zu beiden Seiten lagen seine Kinder.

Brandon war zwanzig gewesen, als er starb, erdrosselt auf Befehl des Irren Königs Aerys Targaryen, nur wenige kurze Tage, bevor er Catelyn Tully von Riverrun heiraten sollte. Seinen Vater hatte man gezwungen zuzusehen, wie er starb. Brandon war der wahre Erbe gewesen, der Älteste, zum Herrschen geboren.

Lyanna war erst sechzehn gewesen, ein unvorstellbar liebreizendes Kind von einer Frau. Ned hatte sie von ganzem Herzen geliebt. Robert hatte sie sogar noch mehr geliebt. Sie hatte seine Braut werden sollen.

«Sie war hübscher als das«, sagte der König nach einigem Schweigen. Sein Blick ruhte auf Lyannas Gesicht, als konnte er sie mit seinem Willen wieder zum Leben erwecken.

Schließlich erhob er sich, unbeholfen wegen seines Gewichts.»Ach, verflucht, Ned, mußtest du sie an einem solchen Ort begraben?«Seine Stimme war heiser vor Trauer.»Sie verdient besseres als diese Dunkelheit…«

«Sie war eine Stark von Winterfell«, erwiderte Ned leise.»Sie gehört hierher.«

«Sie sollte irgendwo auf einem Hügel liegen, unter einem Obstbaum, mit der Sonne und den Wolken über ihr, und dem Regen, der sie reinwäscht.«

«Ich war bei ihr, als sie starb«, erinnerte Ned den König.»Sie wollte heimkehren und neben Brandon und Vater ruhen.«

Manchmal konnte er ihre Worte noch hören. Versprich es mir, hatte sie geweint, in einem Zimmer, das nach Blut und Rosen roch. Versprich es mir, Ned. Das Fieber hatte ihr die Kraft geraubt, und ihre Stimme war schwach wie ein Flüstern gewesen, doch als er ihr das Versprechen gab, war die Angst in den Augen seiner Schwester verflogen. Ned erinnerte sich daran, wie sie ihn angelächelt hatte, wie fest ihre Finger die seinen umfaßten, als sie das Leben losließ, ihr die Rosenblätter aus der Hand glitten, tot und schwarz. Danach erinnerte er sich an nichts mehr. Man hatte ihn gefunden, mit der Toten im Arm, schweigend vor Trauer. Howland Reed, der kleine Pfahlbaumann, hatte ihre Hand aus seiner gelöst. Daran konnte Ned sich nicht erinnern.»Ich bringe ihr Blumen, wann immer ich kann«, sagte er.»Lyanna war… sie liebte Blumen.«

Der König berührte ihre Wange, und seine Finger strichen so sanft über den groben Stein, als wäre dieser lebendige Haut.»Ich habe geschworen, Rhaegar für das zu töten, was er ihr angetan hat.«

«Du hast es getan«, erinnerte Ned ihn.

«Einmal nur«, sagte Robert bitter.

Sie waren sich an der Furt des Trident begegnet, während um sie herum die Schlacht tobte, Robert mit seinem Streithammer und dem großen Geweihhelm, der Targaryen ganz in schwarzer Rüstung. Auf seiner Brustplatte war der dreiköpfige Drache seines Geschlechts zu sehen, mit Rubinen überzogen, die im Sonnenlicht wie Feuer blitzten. Rot färbten sich die Fluten des Trident um die Hufe ihrer Rösser, als sie einander umkreisten und aufeinanderprallten, wieder und immer wieder, bis endlich ein berstender Hieb von Roberts Hammer den Drachen und die Brust darunter traf. Als Ned schließlich hinzukam, lag Rhaegar tot im Strom, während Männer beider Armeen in den tosenden Fluten nach den Rubinen scharrten, die aus seinem Panzer gebrochen waren.

«In meinen Träumen töte ich ihn jede Nacht«, gestand Robert.»Tausende Tode wären noch immer weniger, als er verdient.«

Es gab nichts, was Ned dazu hätte sagen können. Nach einigem Schweigen meinte er:»Wir sollten umkehren, Majestät. Eure Frau wird schon warten.«

«Sollen die Anderen meine Frau holen«, murmelte Robert säuerlich, doch machte er sich mit schweren Schritten auf den Weg, den sie gekommen waren.»Und wenn ich noch einmal Majestät von dir höre, lasse ich deinen Kopf auf einen Stecken spießen. Wir bedeuten einander mehr als das.«

«Ich habe es nicht vergessen«, erwiderte Ned leise. Als der König nicht antwortete, sagte er:»Erzähl mir von Jon.«

Robert schüttelte den Kopf.»Noch nie habe ich gesehen, wie ein Mann so schnell verfallen ist. Wir hatten ein Turnier am Namenstag meines Sohnes. Hättest du Jon da gesehen, hättest du geschworen, daß er ewig lebt. Vierzehn Tage später war er tot. Die Krankheit erhob sich wie eine Feuersbrunst in seinem Gedärm. Sie hat sich geradewegs durch ihn hindurchgebrannt. «An einer Säule blieb er stehen, vor dem Sarg eines lang verstorbenen Stark.»Ich habe den alten Mann geliebt.«

«Das haben wir beide getan. «Ned wartete einen Moment.»Catelyn fürchtet um ihre Schwester. Wie trägt Lysa ihre Trauer?«

Um Roberts Mund erschien ein bitterer Zug.»Nicht gut, um die Wahrheit zu sagen«, gestand er.»Ich glaube, Jon zu verlieren, hat die Frau um den Verstand gebracht, Ned. Sie hat den Jungen mit zurück auf die Eyrie genommen. Gegen meinen Wunsch. Ich hatte gehofft, ich könnte ihn Tywin Lannister in Casterly Rock anvertrauen. Jon hat keine Brüder, keine weiteren Söhne. Sollte ich zulassen, daß er von Frauen aufgezogen wird?«

Ned hätte ein Kind eher einer Schlange als Lord Tywin anvertraut, doch ließ er seine Zweifel unausgesprochen. Manch alte Wunde heilt niemals wirklich und blutet beim leisesten Wort.»Die Frau hat ihren Mann verloren«, sagte er vorsichtig.»Vielleicht fürchtete die Mutter, den Sohn nun ebenfalls zu verlieren. Der Junge ist noch sehr klein.«

«Sechs Jahre und kränklich und — mögen uns die Götter gnädig sein — Lord über die Eyrie«, fluchte der König.»Lord Tywin hatte noch nie ein Mündel zu sich genommen. Lysa hätte sich geehrt fühlen sollen. Die Lannisters sind ein großes und edles Geschlecht. Sie weigerte sich, auch nur davon zu hören. Dann reiste sie mitten in der Nacht ab, ohne sich zu verabschieden. Cersei war außer sich. «Er seufzte tief.»Der Junge ist mein Namensvetter, wußtest du das? Robert Arryn. Ich habe geschworen, ihn zu beschützen. Wie kann ich das, wenn seine Mutter ihn verschleppt?«

«Ich werde ihn als Mündel nehmen, wenn Ihr wollt«, sagte Ned.»Damit sollte Lysa einverstanden sein. Sie und Catelyn standen sich als Mädchen sehr nahe, und auch sie wäre uns willkommen.«

«Ein großzügiges Angebot, mein Freund«, sagte der König,»doch kommt es zu spät. Lord Tywin hat bereits sein Einverständnis erklärt. Den Jungen andernorts unterzubringen wäre eine schwere Beleidigung.«

«Das Wohlergehen meines Neffen liegt mir mehr am Herzen als der Stolz der Lannisters«, erklärte Ned.

«Weil du nicht mit einer Lannister schläfst«, lachte Robert. Sein Lachen hallte zwischen den Särgen und kehrte von der gewölbten Decke zurück. Im Dickicht des mächtigen, schwarzen Bartes blitzten weiße Zähne auf, als er lächelte.»Ach, Ned«, sagte er,»du bist noch immer viel zu ernst. «Er legte den massigen Arm um Neds Schulter.»Ich hatte ein paar Tage warten wollen, bis ich mit dir spreche, doch jetzt sehe ich, daß es dafür keinen Grund gibt. Komm, geh ein Stück mit

mir.«

Sie setzten zwischen den Säulen hindurch den Rückweg fort. Blinde, steinerne Augen schienen ihnen zu folgen, wenn sie vorübergingen. Noch immer hatte der König seinen Arm um Neds Schulter gelegt.»Du wirst dich gefragt haben, wieso ich endlich in den Norden nach Winterfell gekommen bin, nach so langer Zeit.«

Ned hatte seine Vermutungen, doch behielt er sie für sich.»Um das Vergnügen meiner Gesellschaft zu haben, nehme ich doch an«, sagte er freudig.»Und dann ist da die Mauer. Die müßt Ihr sehen, Majestät, auf ihren Zinnen spazieren und mit denen sprechen, die sie bemannen. Die Nachtwache ist nur noch ein Schatten dessen, was sie einmal darstellte. Benjen sagt… «

«Zweifelsohne werde ich noch früh genug erfahren, was dein Bruder sagt«, unterbrach ihn Robert.»Die Mauer steht jetzt — wie lange? — seit achttausend Jahren. Sie wird noch ein paar Tage warten können. Ich habe drängendere Probleme. Wir leben in schwierigen Zeiten. Ich brauche gute Männer um mich. Männer wie Jon Arryn. Er hat mir als Lord über die Eyrie gedient, als Wächter des Ostens, als Rechte Hand des Königs. Er wird nicht leicht zu ersetzen sein.«

«Sein Sohn…«, begann Ned.

«Sein Sohn wird ihm auf der Eyrie nachfolgen«, sagte Robert brüsk.»Nicht mehr.«

Das überraschte Ned. Er blieb stehen, verdutzt, und wandte sich um, damit er seinen König ansehen konnte. Die Worte entfuhren ihm, ohne daß er es gewollt hätte.»Stets waren die Arryns Wächter des Ostens. Der Titel gehört zum Besitz.«

«Vielleicht kann man ihm diese Ehre wieder übertragen, wenn er alt genug ist«, sagte Robert.»Ich muß dieses und das nächste Jahr bedenken. Ein Sechsjähriger ist kein Kriegsherr, Ned.«

«In Friedenszeiten ist der Titel nicht mehr als eine Ehre. Laß ihn dem Jungen. Um seines Vaters willen, wenn schon nicht um seiner selbst willen. Das bist du Jon für seine Dienste sicher schuldig.«

Der König war nicht eben erfreut. Er nahm den Arm von Neds Schulter.»Jons Dienste waren die Pflicht, die er seinem Lehnsherrn schuldete. Ich bin nicht undankbar, Ned. Du vor allem solltest das wissen. Aber der Sohn ist nicht der Vater. Ein Kind allein kann den Osten nicht halten. «Dann wurde seine Stimme milder.»Genug davon. Es gibt Wichtigeres zu besprechen, und ich möchte mit dir nicht streiten. «Robert packte Ned beim Ellbogen.»Ich brauche dich, Ned.«

«Ich stehe Euch zur Verfügung, Majestät. Jederzeit. «Es waren Worte, die er sagen mußte, und so sprach er sie aus, besorgt darum, was als nächstes folgen mochte.

Robert schien ihn kaum zu hören.»Jene Jahre, die wir auf der Eyrie verbracht haben… bei den Göttern, das waren gute Jahre. Ich möchte dich wieder an meiner Seite sehen, Ned. Ich möchte dich unten in King's Landing haben, nicht hier oben am Ende der Welt, wo du niemandem nützt. «Robert blickte in die Dunkelheit, einen Moment lang melancholisch wie ein Stark.»Ich schwöre dir: Auf einem Thron zu sitzen ist tausendmal schwerer, als einen zu erobern. Gesetze sind eine öde Angelegenheit, und Kupfermünzen zählen noch viel schlimmer. Und diese Leute.. sie nehmen einfach kein Ende. Ich sitze da auf diesem gottverdammten Eisenstuhl und hör mir ihre Klagen an, bis mein Verstand benebelt und mein Hintern wund ist. Alle wollen irgendwas, Geld oder Land oder Gerechtigkeit. Die Lügen, die sie erzählen… und meine Lords und Ladies sind nicht besser. Ich bin von Schmeichlern und Narren umgeben. Das kann einen Mann in den Wahnsinn treiben, Ned. Die eine Hälfte von ihnen wagt nicht, mir die Wahrheit zu sagen, und die andere Hälfte kann sie nicht finden. Es gibt Nächte, in denen ich mir wünsche, wir hätten am

Trident verloren. Ach nein, nicht wirklich, aber…«

«Ich verstehe«, sagte Ned sanft.

Robert sah ihn an.»Das glaube ich dir. Falls es so ist, bist du der einzige, mein alter Freund. «Er lächelte.»Lord Eddard Stark, ich möchte Euch zur Rechten Hand des Königs ernennen.«

Ned sank auf ein Knie. Das Angebot überraschte ihn nicht. Welchen anderen Grund hätte Robert für diese lange Reise haben können? Die Rechte Hand des Königs war der zweitmächtigste Mann in den Sieben Königslanden. Sie sprach mit der Stimme des Königs, befehligte des Königs Armeen, unterzeichnete die Gesetze des Königs. Gelegentlich saß sie sogar auf dem Eisernen Thron, um königliches Recht zu sprechen, wenn der König abwesend oder krank war, oder sonstwie unpäßlich. Robert bot ihm eine Verantwortung an, die groß war wie das Reich selbst.

Es war das letzte auf der Welt, was er wollte.

«Majestät«, sagte er.»Ich habe diese Ehre nicht verdient.«

Robert knurrte mit gutgelaunter Ungeduld.»Wenn ich dich ehren wollte, würde ich dich in den Ruhestand versetzen. Ich habe vor, dich das Reich und die Kriege führen zu lassen, während ich esse und trinke und mich in ein frühes Grab hure. «Er schlug sich auf den Wanst und grinste.»Kennst du das Sprichwort über den König und seine Rechte Hand?«

Ned kannte das Sprichwort.»Was der König erträumt«, sagte er,»das baut die Rechte Hand.«

«Einmal war ich mit einer Fischhändlerin im Bett, die mir erzählte, daß die von niedriger Geburt eine deftigere Art haben, es auszudrücken. Der König speist, so sagen sie, und an der Rechten Hand bleibt die Scheiße kleben. «Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen. Das Echo hallte durch die Dunkelheit.

Schließlich verklang das Gelächter und erstarb. Ned stützte sich noch immer auf ein Knie, mit erhobenem Blick.»Verdammt, Ned«, klagte der König.»Du könntest mich wenigstens mit einem Lächeln erfreuen.«

«Man sagt, hier oben würde es im Winter so kalt, daß einem das Lachen im Hals erfriert und man daran erstickt«, sagte Ned gleichmütig.»Vielleicht ist das der Grund, wieso die Starks so wenig Humor haben.«

«Komm in den Süden mit mir, und ich zeige dir, wie man lacht«, versprach der König.»Du hast mir geholfen, diesen verdammten Thron zu erobern, jetzt hilf mir, ihn zu halten. Wir sind dafür gemacht, gemeinsam zu herrschen. Wenn Lyanna noch lebte, wären wir Brüder geworden, durchs Blut wie durch Zuneigung verbunden. Nun, es ist noch nicht zu spät. Ich habe einen Sohn. Du hast eine Tochter. Mein Joff und deine Sansa sollen unsere Geschlechter verbinden, wie Lyanna und ich es einst getan hätten.«

«Dieses Angebot erstaunte ihn nun doch.»Sansa ist erst elf.«

Ungeduldig winkte Robert ab.»Alt genug für die Verlobung. Die Heirat kann ein paar Jahre warten. «Der König lächelte.»Nun steh auf und sag ja, verdammt!«

«Nichts würde mir größere Freude bereiten, Majestät«, antwortete Ned. Er zögerte.»Diese Ehrungen kommen allesamt so unerwartet. Habe ich etwas Zeit, sie zu bedenken? Ich muß mich mit meiner Frau besprechen… «

«Ja, ja, natürlich, sag es Catelyn, schlaf drüber, wenn du willst. «Der König streckte eine Hand aus, nahm Ned bei der seinen und zog ihn grob auf die Beine.»Laß mich nur nicht zu lange warten. Ich bin nicht der geduldigste Mensch auf der Welt.«

Einen Moment lang war Eddard Stark von einer schrecklichen Vorahnung erfüllt. Hier war sein Platz, hier im Norden. Er sah sich nach den steinernen Gestalten um und

atmete tief in der kalten Stille der Gruft. Er spürte die Blicke der Toten. Sie alle lauschten, das wußte er. Und der Winter nahte.

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