Während der folgenden Woche nach Morredeths Verlegung in die Pathologie fiel Hewlitt auf, daß sich die anderen ihm gegenüber etwas merkwürdig verhielten, doch gab es keinen bestimmten Anlaß, der ihm Grund zur Beschwerde gegeben hätte. Chefarzt Medalont wechselte nur wenige Worte mit ihm und wenn doch, dann drehten sich die Gespräche praktisch nie um seine Krankheit. Oberschwester Leethveeschi legte eine ungeahnte Höflichkeit an den Tag. Die hudlarische Schwester war wie immer freundlich, wenngleich weniger gesprächig als sonst, und als er versuchte, mit Horrantor und Bowab zu dritt Scremman zu spielen, taten sie fast so, als hätte es ihnen die Sprache verschlagen. Um es mit einer Redensart, die seine Großmutter einst gern verwendet hatte, auszudrücken: Alle führten um ihn herum den reinsten Eiertanz auf.
Offenbar war Lioren das einzige Wesen, das sich ausführlicher mit ihm zu unterhalten bereit war, obwohl die Besuche des Padre immer in langen und häufig auch hitzig geführten religiösen Debatten zu enden schienen; auch wenn Hewlitt diese als ungläubiger Mensch lieber als philosophische Streitgespräche bezeichnete. Auf jeden Fall verkürzten sie ihm die Tage und beschäftigten ihn gedanklich bis tief in die dazwischenliegenden Nächte hinein, und dafür war er sehr dankbar. Obwohl der Padre nicht unbedingt seine erste Wahl in der nach oben hin offenen Richter-Skala unterhaltsamer Gesprächspartner gewesen wäre. Erst recht nicht, wenn Lioren wie jetzt wieder einmal versuchte, die Unterhaltung auf das immer langweiliger werdende Thema zu lenken, was genau mit Morredeths Fell passiert sein könnte.
»Als ich vorhin mit Morredeth gesprochen habe, hat sie mir gesagt, die Pathologie habe nichts gefunden, was zu beanstanden sei, und in ihrem wiederhergestellten Fell gebe es auch keinerlei Anzeichen für eine Verschlechterung. Ihrer Auffassung nach gingen Thornnastor allmählich die Gründe dafür aus, sie noch länger unter Beobachtung zu halten, so daß er sie bald nach Hause entlassen müsse. Sollte Morredeth Sie nicht mehrsehen können, so läßt sie Ihnen die besten Wünsche ausrichten und darüber hinaus ein großes Dankeschön, falls Sie etwas getan haben sollten, um sie zu heilen und …«
»Aber ich habe lediglich mit ihr ein wenig gerungen, sonst nichts!« unterbrach ihn Hewlitt. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß Sie ihr das ausrichten sollen.«
»Das habe ich auch getan«, erwiderte der Padre. »Morredeth hat auch nur gesagt, falls Sie etwas getan haben sollten, wäre sie Ihnen dankbar. Wie alle anderen hat auch sie Probleme, an Wunder zu glauben.«
»Es gibt keine Wunder!« stellte Hewlitt nicht zum ersten Mal klar. »Es gibt bloß Naturgesetze, die wir nicht verstehen oder noch nicht erforscht haben. Da wir zum Beispiel wissen, wie dieses Ding hier funktioniert, können wir dieses Wunder auch mehrmals am Tag vollbringen, ohne weiter darüber nachzudenken, stimmt's?«
Während des Sprechens hatte Hewlitt den Kommunikator neben dem Bett eingeschaltet und den Code für das Bibliotheksmenü eingegeben, und jetzt fragte er sich, ob Lioren diesen Wink verstehen und endlich gehen würde. Bei früheren Anlässen hatte er es jedenfalls nicht getan, und wenn der Padre eins war, dann ein Musterexemplar an Beständigkeit, was sein Sitzfleisch betraf.
»Sicher, vor einigen Jahrhunderten wäre eine Bildübertragung ein großes Wunder gewesen«, stimmte Lioren ihm zu. »Daß Morredeth ungeheuer erleichtert und froh ist, muß ich Ihnen ja nicht erst sagen, aber vor allem ist sie enorm stolz auf den Zustand ihres Fells. Sie hat sogar darauf bestanden, daß ich meine Hände auf ihre Flanken lege, um die Dichte und Beweglichkeit zu spüren, und sie hat behauptet, daß es sich noch nie zuvor so gut angefühlt habe. Auf Tarla macht man so etwas nur, wenn man miteinander sehr vertraut ist und eine tiefe emotionale Bindung teilt, aber Morredeth wollte unbedingt, daß ich ihr Fell berühre. Na ja, offen gesagt, war mir das ziemlich unangenehm, denn bei solchen Anlässen kann ich mich in moralischer Hinsicht als ein ganz schöner Feigling entpuppen. Auf alle Fälle war es ein sehr seltsames und höchst unerwartetes Gefühl, das nur sehr schwer zu beschreiben ist. Ich kam mir dabei ziemlich… nun ja, wie soll ich das mal ausdrücken… ?«
»Kamen Sie sich vielleicht ein bißchen lächerlich vor?« half Hewlitt aus. »So ist es mir jedenfalls ergangen, als mir dasselbe mit Horrantor passiert ist. Medalont hat mich nämlich gebeten, meine Hände für einen medizinischen Versuch auf die verletzte Gliedmaße der Tralthanerin zu legen. Nach Aussage des Chefarztes gebe es mit Horrantors Beinverletzung Komplikationen, und die Genesung würde nur sehr langsam voranschreiten. Da offenbar befürchtet wurde, daß etwas Dramatisches passieren könnte, standen Medalont, Leethveeschi, zwei orligianische Krankenschwestern und das komplett angetretene Reanimationsteam bereit. Ich nehme an, daß letztendlich alle, sogar Horrantor selbst, heilfroh waren, daß sich trotz meines Handauflegens nichts tat.
Tja, mit einem zweiten Wunder kann ich also nicht dienen, Padre. Tut mir leid.«
»Sie brauchen sich deswegen wahrhaftig nicht zu entschuldigen«, meinte Lioren. »Außerdem empfinde ich ähnlich wie meine Kollegen; wenn ein solch vermeintliches Wunder geschieht, fühle ich mich immer sehr unwohl in meiner Haut, und es verunsichert mich in dem, an was ich glaube und an was ich nicht glaube, und ich muß umgehend beweisen, daß nichts dergleichen geschehen ist.«
»Natürlich gibt es keine Wunder, Padre«, versicherte ihm Hewlitt nochmals. »Können wir jetzt bitte über etwas anderes reden?«
»Es muß sehr schön sein, sich seiner Sache so sicher zu sein«, sagte Lioren und machte dabei mit den mittleren Armen eine ungestüme Geste, die ein anderer Tarlaner wahrscheinlich hätte deuten können. »Trotzdem frage ich mich, ob in der Schöpfung – in der ungeheuren Weite von Raum und Zeit, den unveränderlichen Gesetzen von Ursache und Wirkung und dem perfekten Gleichgewicht der Kräfte – kein Platz für ein gelegentliches Wunder ist. Doch warum ist es ausgerechnet hier geschehen?«
Hewlitt schüttelte den Kopf und seufzte schwer; anscheinend gab es keine Möglichkeit, den Padre von diesem endlosen Thema überMorredeths Fell und den unvermeidlichen religiösen Debatten abzubringen. »Hier ist gar nichts geschehen. Es gibt keine Wunder, Padre! Würde es welche in Ihrem großen, komplizierten und dennoch wohlgeordneten Universum geben – oder von mir aus auch in der Schöpfung, wie Sie es nennen -, dann wären sie fehl am Platz. Ein Defekt in einem ansonsten so perfekten System. Im Universum ist nun mal kein Platz für Wunder.«
»Ein interessanter, philosophischer Gedanke«, sann Lioren laut nach. »Er läßt darauf schließen, daß unsere Schöpfung fehlerhaft ist, da ja ganz offensichtlich hier im Orbit Hospital ein übernatürliches Ereignis stattgefunden hat. Wenn man sich die hypothetischen Eigenschaften des höchsten Wesens vor Augen hält, warum sollte er, sie oder es irgendeine Form der Unvollkommenheit erschaffen haben?«
»Was weiß ich?« antwortete Hewlitt. »Das ist zwar nicht mein Fachgebiet, aber vielleicht kann man davon ausgehen, daß dieses Universum nur als Modellfall erschaffen wurde – eine Art Prototyp, der dann und wann einer Änderung oder kleinen Feinabstimmung bedarf. Das Eindringen von zufälligen übernatürlichen Ereignissen in ein Universum, das angeblich auf Naturgesetzen basiert, könnte der Beweis für solch eine Form der Unvollkommenheit sein. Na, aber Gott sei dank… huch! Das war nur so eine terrestrische Redensart, Padre. So was rutscht mir nur selten raus…«
»Wenn Sie glauben, daß…«
»Ich glaube an gar nichts, Padre. Ich habe das nur so gesagt.« Der Tarlaner schwieg für einen Augenblick, dann sagte er: »Wenn dieses Universum unvollkommen ist und die Ewigkeit das ist, was sie ist, nämlich ohne Anfang und Ende, folgt doch daraus, daß es auch ein vollkommenes Universum gibt oder gegeben hat oder geben wird. Haben Sie Lust, ein wenig darüber zu philosophieren… ahm… nur so, meine ich?«
»Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, diesen Gedankengang zu Ende zu führen«, antwortete Hewlitt lächelnd. »Also werde ich versuchen, dies nachzuholen, während ich darüber spreche. Im Gegensatz zu diesem Universum wäre alles perfekt. Es gäbe keine Naturgesetze, wenn esnämlich welche geben würde, hieße das, daß es auch Fehler hätte und gelegentlicher Korrekturen bedürfte. Es gäbe weder Zeit noch Raum und auch keine physikalischen oder mentalen Einschränkungen, so daß jedes Ereignis, das stattgefunden hat, ein Wunder wäre. Ich vermute mal, daß Sie und die anderen Gläubigen, die in dieser unvollkommenen Schöpfung leben, so etwas als Himmel bezeichnen würden.«
»Fahren Sie fort«, ermunterte ihn Lioren. »Das Problem, das ich und sehr viele andere Leute mit den verschiedenen Religionen haben, ist, daß keine davon auch nur ansatzweise erklären kann, warum es so viel Elend oder, genauer gesagt: tragische Unfälle, Naturkatastrophen und Krankheiten gibt, und warum sich einzelne Personen oder ganze Gruppen so entsetzlich feindselig gegeneinander verhalten, kurz gesagt: warum es so viel Leid in diesem Universum gibt. In einer unvollkommenen Schöpfung zu leben bedeutet, daß man weit ausholen müßte, um zu erklären, warum diese Dinge geschehen, besonders dann, wenn man die Erwartung hegt, nach dem Tod in ein vollkommenes Universum zu gelangen.
Das ist natürlich eine ausgesprochen ketzerische Theorie«, beendete Hewlitt seine Ausführungen. »Ich hoffe, daß Sie sich durch meine Respektlosigkeit nicht beleidigt fühlen, Padre.«
»Sicherlich hört sich das ketzerisch und respektlos an, allerdings ist das nicht völlig neu für mich«, räumte Lioren ein. »Um hier meine Arbeit einigermaßen vernünftig verrichten zu können, benötige ich ein umfassendes Wissen über die religiösen Überzeugungen und Gewohnheiten vieler Wesen, und häufig werden auf einem einzigen Planeten gleich mehrere Religionen parallel ausgeübt. Mir fallen gerade die Schriften eines terrestrischen Theologen namens Augustinus ein, der mit Vorliebe laut nachgedacht haben soll, obwohl er in Wahrheit auf diese Weise seinem Gott nur höfliche, wenngleich lästige Fragen gestellt hat. Eine der Fragen lautete: ›Was hast du vor der Erschaffung des Universums getan?‹ Zwar gibt es keine Aufzeichnungen von diesem Augustinus, ob er jemals eine Antwort erhalten hat, zumindest nicht zu seinen Lebzeiten auf der Erde, aber mit Ihrem Vorschlag, der Schöpfer aller Dinge könne vorläufig nureinen Prototypen erschaffen haben, den wir immer noch bewohnen, haben Sie schon eine Stufe weiter gedacht.
Ich bin nicht beleidigt oder gar überrascht, Patient Hewlitt. Was die religiösen Überzeugungen anderer Spezies anbelangt, kann mich eigentlich so gut wie nichts mehr erschüttern. Dem VTXM-Telfaner, den ich während der vergangenen Tage des öfteren besucht habe, wäre das allerdings dennoch beinahe gelungen. Dieser Telfaner, der sich stets mit anderen Angehörigen seiner Spezies zu einem Gruppenwesen formiert, einer sogenannten ›Gestalt‹, vertritt die Überzeugung, Gott habe sie nach seinem Ebenbild erschaffen. Ihr allwissender und allmächtiger Schöpfer setzt sich demnach aus einer unendlichen Anzahl kleiner, schwacher und jede für sich unwissender Kreaturen zusammen – wie sie selbst also -, die erst gemeinsam das höchste Wesen ergeben, mit dem sie sich eines Tages, so hoffen sie, vereinigen können.
Für eine Spezies, die Intelligenz und Zivilisation entwickelt hat, indem sie sich zu einer Gestalt aus individuell spezialisierten Wesen zusammenfügt, ist es verständlich, warum sie an so etwas glaubt. Dennoch ist es mir anfänglich sehr schwer gefallen, den Telfaner zu verstehen und mit ihm über die unendliche Anzahl von Personen zu sprechen, die seinen einen Gott ausmachen, oder ihm den geistlichen Trost zu spenden, den er braucht. Natürlich gibt es viele Religionen, die der Meinung sind, ein kleiner Teil Gottes stecke in jeder denkenden Kreatur … Kennen Sie eigentlich die Telfaner?«
»Ein wenig«, antwortete Hewlitt, der immer noch versuchte, den Padre von theologischen Themen und damit einhergehenden Gedanken an Wunder abzubringen. »In der nichtmedizinischen Bibliothek gibt es in der Auflistung der Föderationsmitglieder einen kurzen Eintrag. Telfaner arbeiten gruppenweise als Kontakttelepathen, um ihre geistigen und physischen Fähigkeiten zu vereinigen. Sie leben von der direkten Umwandlung radioaktiver Strahlung, die überall auf ihrem Heimatplaneten herrscht, da sich dieser seine Bahn sehr nahe um eine äußerst strahlungsintensive Sonne beschreibt. Bei interstellaren Reisen muß diese Strahlung auf dem Schiffkünstlich erzeugt werden. Wenn diese Wesen bei einer hin und wieder vorkommenden Fehlfunktion ihres Lebenserhaltungssystems das Glück haben, gerettet zu werden, landen sie hier im Orbit Hospital. Da es sich bei den Telfanern um Strahlenverwerter handelt, kann sich ihnen aber kein gewöhnliches Wesen nähern, um mit ihnen zu reden, ohne dabei nicht selbst in Lebensgefahr zu geraten. Haben Sie einen Kommunikator benutzt oder einen Schutzanzug getragen?«
»Na, vielen Dank auch für die indirekte Andeutung, daß es sich bei mir um ein außergewöhnliches Wesen handeln könnte, Patient Hewlitt«, scherzte der Padre und gab dabei ein unübersetzbares tarlanisches Geräusch von sich. »Aber die Antwort lautet: weder noch. Medizinische Laien gehen häufig von der falschen Annahme aus, man könne sich den Telfanern ohne ferngesteuerte Greifvorrichtungen weder nähern, noch sie berühren. Um leben zu können, müssen sie die auf ihrem Planeten herrschende natürliche Strahlung aufnehmen. Wenn diese Wesen allerdings der Strahlung aus medizinischen Gründen für einige Tage nicht ausgesetzt sind und sie vom Hunger geschwächt sind, sinken ihre eigenen radioaktiven Emissionen auf ein völlig harmloses Niveau. Als während meines Besuchs einer der Telfaner aus dem Behandlungszimmer gebracht wurde, war ich dicht genug dran, um ihn berühren zu können, und das tat ich dann auch.
Dabei handelt es sich übrigens um einen Patienten, der wirklich ein Wunder benötigt«, fügte Lioren hinzu.
Offensichtlich tat dem Padre der Telfaner leid, und Hewlitt hatte durchaus Verständnis für Liorens Gefühle, doch wieder einmal drehte sich das Thema um vermeintliche Wunder. Deshalb beschloß er, so vorsichtig wie möglich in die Offensive zu gehen. »Wenn Sie damit vorschlagen wollen, daß ich meine Hände auf einen Telfaner legen soll, dann vergessen Sie's. Für Sie oder den Patienten gibt es nur eine richtige Methode, ein Wunder herbeizuführen – nämlich indem Sie für eins beten. Angeblich ist ein Wunder doch ein übernatürliches Ereignis und ganz bestimmt nicht etwas, das von der Mitarbeit eines atheistischen Durchschnittsterrestriers abhängt. Wenn Sie das nicht glauben, was glauben Sie dann, Padre?«»Ich darf Ihnen nicht sagen, was ich glaube«, erwiderte Lioren. »Im Interesse der Patienten, die übermäßig beeinflußt werden könnten, wenn ich von meinen eigenen Überzeugungen spreche, bin ich verpflichtet, diese Information nicht preiszugeben.«
»Wieso denn das? Was könnten Ihre persönlichen Überzeugungen denn bei einem Ungläubigen so Schlimmes anrichten?«
»Auch das weiß ich nicht, und genau das ist das Problem«, antwortete Lioren. »Ich besitze umfassende Kenntnisse über mehr als zweihundert Religionen, die in der ganzen Föderation ausgeübt oder, besser gesagt, noch häufiger nicht ausgeübt werden. Meine Aufgabe hier besteht in erster Linie darin, schwer oder unheilbar erkrankten Patienten zuzuhören, sie zu beruhigen, zu ermutigen oder ihnen in angemessener Form Trost zu spenden. Aufgrund meiner Erfahrung und meines Hintergrundwissens gibt es immer einige Patienten, die mehr als nur tröstende Worte hören möchten. In ihrer Verzweiflung wenden sie sich an mich und bringen mir ihren Respekt und ihr Vertrauen entgegen, weil sie irrtümlicherweise denken, daß ich mich am besten auskennen müßte. Sie wünschen sich religiöse Gewißheit und glauben, daß ich ihnen diese aufgrund meines breitgefächerten Wissens und meiner Erfahrung beim Umgang mit ihren Problemen geben kann. Doch so etwas kann ich nicht tun, weil ich ihren verwirrten und ängstlichen Zustand nicht ausnutzen darf, um eine Religion mit einer anderen zu vergleichen oder einen Glauben vorzuschlagen, von dem ich denke, daß er der einzig wahre ist. Ganz gleich wie verrückt und unglaublich manche Überzeugungen auch sein mögen, so möchte ich dennoch nicht die Verantwortung dafür übernehmen, ein Wesen dazu zu bringen, auch nur ansatzweise oder vorübergehend seinen Glauben zu wechseln oder an seiner eigenen Religion zu zweifeln. Nur ein einziges Mal habe ich versucht, Gott zu spielen, und das, werde ich garantiert nie wieder tun.«
Der Padre gab erneut ein unübersetzbares Geräusch von sich und fuhr dann fort: »Besonders vorsichtig bin ich bei Ungläubigen. Es wäre zum Beispiel furchtbar, falls Sie allein aufgrund meiner Aussagen irgendwanneinmal religiös werden würden.«
»Also, dazu bedürfte es allerdings eines echten Wunders«, bemerkte Hewlitt lachend.
Liorens Antwort wurde durch das unverhoffte Auftauchen Leethveeschis übertönt, die in Richtung des Stationseingangs deutete und ohne große Umschweife zur Sache kam. »Bitte stellen Sie sich darauf ein, gleich von einigen Leuten Besuch zu bekommen, Patient Hewlitt. Die Diagnostiker Thornnastor und Conway, die Chefärzte Medalont und Prilicla sowie die Pathologin Murchison wollen Sie nämlich sehen. Wenn sich eine solch hochkarätige Ansammlung medizinischer Kapazitäten für Ihren Fall interessiert, dann ist abzusehen, daß Sie als Patient nicht mehr lange hierbleiben werden. Prilicla entschuldigt sich übrigens für die Unterbrechung Ihrer Unterhaltung. Er bittet Sie, Padre Lioren, zu den anderen hinüberzugehen und dort kurz zu warten, damit seine Untersuchung nicht durch Ihre Gegenwart beeinträchtigt wird.«
»Selbstverständlich, Schwester«, willigte Lioren sofort ein.
Hewlitt beobachtete, wie der Padre die Station hinaufging und sich zu der Gruppe gesellte, die etwa dreißig Meter entfernt stand und in einem Fall sogar schwebte. Den Tralthaner, Medalont, die terrestrischen Diagnostiker Thornnastor und Conway nahm er kaum wahr und noch nicht einmal die schon etwas in die Jahre gekommene, nichtsdestoweniger aber auffallend hübsche Terrestrierin, bei der es sich um die Pathologin Murchison handeln mußte, weil seine ganze Aufmerksamkeit dem enorm großen, doch zugleich unglaublich zerbrechlichen Insekt galt, das mit drei langsam schlagenden, schillernden Flügelpaaren in seine Richtung flog. Als es schließlich über seinem Bett auf der Stelle schwebte und er den schwachen Luftzug des Flügelschlags im Gesicht spürte, erinnerte er sich daran, daß er schon immer eine Abneigung gegen Insekten gehabt hatte; und je größer diese waren, desto mehr verspürte er das Verlangen, sie totzuschlagen. Dieses Insekt hier war allerdings die zarteste und schönste Kreatur, die er je im Leben gesehen hatte, so daß er vor lauter Staunen keinen Ton herausbrachte.»Vielen Dank, Freund Hewlitt«, begrüßte ihn das Insekt, dessen ruhige trällernde und klickende Sprechweise eine fast musikalische Untermalung der übersetzten Wörter bildete. »Ihre emotionale Ausstrahlung ist sehr angenehm und höchst schmeichelhaft für mich. Mein Name ist übrigens Prilicla.«
»Was… was genau haben Sie mit mir vor?« stammelte Hewlitt, den mit wiedererlangter Stimme auch die Angst erneut gepackt zu haben schien.
»Ich habe bereits alles Notwendige erledigt, Freund Hewlitt. Also gibt es keinen Grund für Sie, Angst zu haben.«
Die anderen, die gewartet hatten, mußten alles mitgehört haben, denn sie kamen plötzlich näher.
Nachdem sie sich um Hewlitts Bett herum aufgestellt hatten, verkündete Prilicla mit erhobener Stimme: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind bei Patient Hewlitt keine Anomalien des Geisteszustands festzustellen, genausowenig wie bei Patientin Morredeth, die ich zuvor untersucht habe und die deshalb umgehend nach Hause entlassen werden sollte. Ich fühle, wie enttäuscht Sie alle verständlicherweise sind, und es tut mir wirklich leid. Was mich anbelangt, so kann ich absolut nichts Ungewöhnliches an dem Patienten feststellen.«
Während Prilicla federleicht auf dem Bettende landete, fuhr er fort: »Was würden Sie eigentlich von einer Fahrt in einem Ambulanzschiff halten, Freund Hewlitt?«
Hewlitt sah, wie Priliclas Körper zu zittern begann, und ihm war klar, daß der Empath die von ihm ausgestrahlten Gefühle von Wut und bitterer Enttäuschung mit ihm teilen mußte – Gefühle, unter denen er schon so oft in der Vergangenheit gelitten hatte.
»Versuchen Sie bloß nicht, mich auf den Arm zu nehmen, verdammt noch mal!« protestierte er. »Sie glauben also auch, daß mir nichts fehlt, und wollen mich nach Hause schicken, wie?«
»Nein, das ist nicht ganz richtig«, besänftigte ihn Prilicla. »Dieses Mal werden Sie mit dem Ambulanzschiff des Orbit Hospitals zumursprünglichen Unfallort fliegen.«