3. Kapitel



Zwar hatte Hewlitt schon etliche Fotos von Melfanern gesehen, und während der Fahrt zur Krankenstation waren ihm auch einige dieser Wesen in voller Lebensgröße in den Korridoren begegnet, aber dieser hier war der erste, der ihm so bedrohlich nahe kam und der zudem keinerlei Regung zeigte. Selbst aus der Nähe betrachtet, sah dieses Wesen immer noch wie eine übergroße Krabbe mit einem Ektoskelett aus, wenngleich ihm dieses Mal die sechs röhrenförmigen Beine, die aus den schmalen Öffnungen ragten, wo sich der knöcherne Panzer und die Körperunterseite miteinander verbanden, kaum auffielen, denn er starrte auf den Kopf mit seinen großen Augen und den senkrecht stehenden Lidern, dem gewaltigen Unterkiefer und den Zangen, die an den Stellen hervorstießen, an denen eigentlich Ohren hätten sein müssen. Die beiden Fühler, die aus den Mundwinkeln herausragten, waren derart lang, dünn und zerbrechlich, daß sie im Vergleich zum restlichen Körper geradezu albern wirkten. Der scheußliche Kopf dieser Kreatur bewegte sich plötzlich auf ihn zu und sprach ihn unweigerlich an: »Na, wie geht's uns denn, Patient Hewlitt?«


Genauso unweigerlich, wenn auch sehr viel knapper, antwortete Hewlitt: »Gut.«


»Sehr schön. Ich bin übrigens Doktor Medalont«, stellte sich ihm der Melfaner vor. »Falls Sie nichts dagegen haben, möchte ich an Ihnen eine Voruntersuchung durchführen und Ihnen ein paar Fragen stellen. Bitte schlagen Sie die Decke zurück, und legen Sie sich auf den Bauch. Die Kleidung können Sie ruhig anbehalten, die Scannerdarstellungen werden dadurch nicht beeinträchtigt. Während der Untersuchung werde ich Ihnen alles erklären.«


Der Scanner war ein flaches rechteckiges Gerät, das Hewlitt von der Form her an ein Buch aus alten Zeiten erinnerte. Wie Medalont ihm erklärte, befanden sich an der Seitenblende die Regler für Vergrößerungseffekte und die Tiefenschärfe, während die mattschwarze Unterseite, die gerade langsam über jeden Zentimeter seines Körpersgeführt wurde, mit Mikrosensoren ausgestattet war, so daß auf der Oberseite des Scanners eine Darstellung der darunterliegenden organischen Strukturen erschien. Ein vergrößertes Scannerbild wurde auf den Bildschirm neben dem Bett übertragen, wahrscheinlich als Information für die Krankenschwester. Hewlitt verrenkte sich fast den Hals, um selbst einmal einen Blick aufsein › Innenleben‹ werfen zu können.


»Hören Sie bitte auf, so herumzuzappeln, Patient Hewlitt!« ermahnte ihn der Arzt. »So, und jetzt legen Sie sich bitte auf den Rücken. Danke.«


Eine der Zangen des Melfaners griff behutsam nach Hewlitts Handgelenk und bog seinen Arm gerade. Ein Fühler krümmte sich herunter und legte sich senkrecht in die Armbeuge, während ihm der andere wie eine flauschig weiche Feder über Mund und Nase strich, so daß er gegen den plötzlichen Drang zu niesen ankämpfen mußte. Einige Minuten später zog der Arzt Zange und Fühler zurück und richtete sich wieder auf.


»Falls ich mich an die Anatomie und die Herz-Kreislauf-Funktionen der DBDG-Terrestrier richtig erinnere«, begann Medalont und fügte eine Reihe leiser und unübersetzbarer Schnalzlaute hinzu, die womöglich dem verhaltenen Lachen eines Melfaners entsprachen, »dann bin ich geneigt, mit Ihrer Selbstdiagnose übereinzustimmen. Mit Ausnahme einer geringfügigen allgemeinen Muskelverspannung, die in Anbetracht der Umstände verständlich ist, sind Sie in einer sehr guten körperlichen Verfassung.«


Wie Hewlitt befürchtet hatte, hielt ihn also auch dieser Arzt für gesund, und somit endete diese Untersuchung mit demselben Ergebnis wie sämtliche anderen, die an ihm über all die Jahre vorgenommen worden waren. Anfangs war er sogar von einigen Ärzte ausgelacht worden, oder sie hatten ihm vorgeworfen, daß er nur ihre Zeit vergeude. Obwohl dieser Medalont ein Extraterrestrier war, schien er doch einigermaßen höflich zu sein, und nach Hewlitts Erfahrung würde er sich wahrscheinlich gleich Klarheit verschaffen, indem er laut überlegte, was der Patient hier zu suchen haben könnte.


Doch zu seiner Verwunderung sagte der Melfaner: »Ich würde Ihnen nun gern ein paar Fragen stellen, Patient Hewlitt. Dabei handelt es sich umFragen, die Ihnen bestimmt schon oft gestellt worden sind und deren Antworten bereits in der Krankenakte festgehalten wurden. Dennoch besteht die Möglichkeit, daß diese Antworten gerade aufgrund der ständigen Wiederholungen ungenau oder unvollständig geworden sein könnten, und vielleicht gelingt es mir, die von meinen Vorgängern übersehenen Informationen aufzudecken. Abgesehen davon, daß Sie als Säugling und als kleines Kind auf Etla gewesen sind, haben Sie nie Reisen außerhalb der Erdatmosphäre unternommen, richtig?«


»Ja«, antwortete Hewlitt.


»Hatten Sie auf Etla irgendwelchen Kontakt mit anderen Spezies?«


»Ich kann mich zwar daran erinnern, einige Extraterrestrier gesehen zu haben, aber nicht so genau, als daß ich sie jetzt beschreiben könnte. Ich war gerade mal vier Jahre alt und hatte Angst vor ihnen. Meine Eltern haben mir zwar damals gesagt, daß ich meine Abneigung eines Tages ablegen würde, aber jedesmal, wenn wir Besuch von anderen Spezies bekamen, haben sie mich von ihnen ferngehalten. Offensichtlich habe ich diese Angst bis heute nie richtig überwinden können.«


»Nun, es ist noch nicht zu spät dafür«, ermutigte ihn Medalont. »Hatten Sie irgendwelche Kinderkrankheiten? Wenn ja, dann beginnen Sie bitte mit der ersten, an die Sie sich erinnern können.«


»Soweit ich weiß, bin ich nicht oft krank gewesen«, antwortete Hewlitt. »Wie ich später erfuhr, soll ich als Kleinkind ziemlich gesund gewesen sein. Aber als meine Eltern bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen, wurde beschlossen, mich zu meinen Großeltern auf die Erde zurückzubringen, wo ich die üblichen Impfungen gegen terrestrische Kinder- und Erwachsenenkrankheiten erhielt. Danach begannen die eigentlichen Probleme. Damals lebten nur sehr wenige Terrestrier auf Etla, und da meine Eltern nicht vorgehabt hatten, zur Erde zurückzukehren, hielten sie es auch nicht für notwendig, mich vorsorglich impfen zu lassen.«


»Kennen Sie denn den wahren Grund dafür?« hakte der Arzt nach.


»Sicher«, antwortete Hewlitt leicht verdutzt.»Dann sagen Sie ihn mir bitte«, forderte Medalont ihn auf. »Wenn wir uns darüber unterhalten, nimmt Ihnen das vielleicht auch ein wenig von Ihrer Besorgnis, hier von Extraterrestriern umgeben zu sein.«


Hewlitt mochte es nicht, wenn man sich lustig über ihn machte. Weder war er ein kleines Kind, noch ein seniler Greis, und es ärgerte ihn, wenn ein medizinischer Besserwisser ihm unterstellte, daß er geistlos oder, schlimmer noch, ungebildet war. »Wenn Sie niesen, kann ich mich durch ihre melfanischen Bazillen nicht anstecken, und umgekehrt gilt dasselbe, wie sich übrigens alle artfremden Lebensformen hier im Krankenhaus gegenseitig nicht anstecken können. Das hängt mit der Evolution und den Umweltbedingungen zusammen. Krankheitserreger, die sich auf dem Planeten X entwickelt haben, können Wesen, die vom Planeten Y stammen, nicht befallen. Wie es heißt, soll es auf der Erde immer noch einige zumeist sehr alte oder schlecht geführte Krankenhäuser geben, in denen man sich bei anderen Menschen anstecken kann, obwohl man eigentlich darauf hofft, die eigene Krankheit loszuwerden.


Ist das auch der Grund, weshalb es auf dieser Station immer nur jeweils einen Patienten einer Spezies gibt? Soll auf diese Weise das Risiko ausgeschlossen werden, daß sich Patienten derselben Spezies gegenseitig anstecken?« fragte Hewlitt abschließend.


Doktor Medalont blinzelte so heftig mit den Augen, daß Hewlitt das Klimpern der Lider hören konnte, dann antwortete er: »Offiziell würde man das im Orbit Hospital zwar niemals zugeben, aber darüber hinaus gibt es wirklich noch andere Grunde. Nun, in medizinischer Hinsicht scheinen Sie ja recht gut informiert zu sein, dennoch wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich darüber unterrichten könnten, wann die Symptome Ihrer Krankheit zum ersten Mal aufgetreten sind.«


»Wenn Sie wüßten, wie viele Ärzte in all den Jahren über meinen Fall diskutiert haben, dann würden Sie sich nicht wundern, daß ich einiges davon verstehe«, erwiderte Hewlitt. »Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Als ich damals noch vor meiner Rückkehr zur Erde eine erste Impfung erhielt, wurde mir gesagt, daß mein Körper ausgesprochenheftig reagiert habe. Ich soll unter Fieber, Hautausschlag und Schleimhautentzündung gelitten haben. Diese Symptome müssen allerdings nach ein paar Tagen verschwunden sein, und wie man mir später erzählte, seien sie auch keine typische Reaktion auf die Impfung gewesen. Nachdem ich auf der Erde eingetroffen war, erkrankte ich erneut, wobei andere Symptome auftraten und der Genesungsprozeß immer länger dauerte. Und ich kann mich daran erinnern, daß es mir häufig sehr schlecht ging. Ich wurde oft schlagartig müde, auch wenn ich mich beim Spielen nicht besonders verausgabt hatte, oder mir wurde ohne ersichtlichen Grund übel, und ich mußte mich übergeben oder hatte leichtes Fieber oder bekam einen Ausschlag. Dennoch waren die Krankheiten nicht schwer genug, als daß ich mich an die genauen Einzelheiten erinnern könnte oder daran, wie lange sie anhielten. Meine Großeltern beobachteten mich zwar genau, aber sie waren nie ernsthaft besorgt um mich. Sie brachten mich zu einem Arzt in unserem Ort, der mit ihnen die Meinung teilte, daß ich einfach nur ein kränkliches Kind sei, das sich anscheinend jedes Virus einfing, das gerade im Schwange war.


Trotzdem bin ich kein kränkelndes Kind gewesen, wie man es mir manchmal vorwarf«, erzählte Hewlitt weiter, wobei er sich noch im nachhinein über derlei ungerechtfertigte Anschuldigungen ärgern mußte. »Zwischendurch bin ich sogar immer wieder in die Schulmannschaft berufen worden und hab an Laufwettbewerben teilgenommen, und das … «


»Patient Hewlitt«, unterbrach ihn Medalont. »Soweit Sie es damals einschätzen konnten, standen also die Übelkeit, der leichte Hautausschlag und all die anderen Symptome nicht im direkten Zusammenhang mit irgendwelchen Impfungen, richtig? Könnte es sein, daß diese Erscheinungen durch die Verabreichung anderer Medikamente ausgelöst wurden? Vielleicht durch leichte Palliative gegen Kopfschmerzen oder ein Schmerzmittel, das Ihnen nach einer Sportverletzung verabreicht wurde, und woran Sie sich aufgrund der damaligen Aufregung nicht mehr erinnern können? Oder haben Sie etwas gegessen, das Sie nicht vertragen haben, wie zum Beispiel rohe oder unreife Früchte oder Pflanzen?«»Nein«, widersprach Hewlitt. »Wenn mir damals jemand während eines Spiels in die Knochen getreten oder ich mich sonstwie verletzt hätte, würde ich mich noch heute daran erinnern. Und wenn ich etwas gegessen hätte, wovon mir schlecht geworden wäre, würde ich mich ebenfalls noch daran erinnern und hätte es mit Sicherheit nie wieder angefaßt. Ich bin doch nicht dumm, und das bin ich übrigens auch schon damals nicht gewesen.«


»Das glaube ich Ihnen gern«, besänftigte ihn der Arzt. »Aber bitte erzählen Sie weiter.«


Ungeduldig und leicht verärgert fuhr Hewlitt mit seiner Krankheitsgeschichte fort, die er schon so oft in der Vergangenheit etlichen Medizinern erzählt hatte, von denen die meisten nur halbherzig versucht hatten, beim Zuhören ihre Ungeduld zu verbergen. Er beschrieb den plötzlichen Ausbruch einer Vielzahl von Symptomen, für die es scheinbar keine Ursache gegeben hatte, und obwohl sie ihm lästig und manchmal auch peinlich gewesen waren, war er durch sie doch nie so stark beeinträchtigt worden, daß er durch sie ans Bett gefesselt gewesen wäre. Mit neun Jahren, also fünf Jahre nach seiner Rückkehr zur Erde, war er von seiner Tante zum Hausarzt der Familie gebracht worden. Dieser schon etwas ältere Arzt faßte damals den ersten richtigen - oder vielleicht auch völlig falschen – Beschluß, Hewlitt keine Medikamente mehr zu verabreichen, wann immer diese unerklärlichen und relativ schmerzfreien Symptome bei ihm auftraten. Er vertrat nämlich die Auffassung, daß die Anzahl und die Vielfalt der Symptome im direkten Zusammenhang mit der medikamentösen Behandlung stehen könnten, so daß es am vernünftigsten sei, nichts zu verschreiben und das Ergebnis abzuwarten. Zwar konnte er den Arzt jederzeit aufsuchen, wenn die Symptome wieder auftraten, doch von da an pflegten sie sich lediglich darüber zu unterhalten.


Man hatte ihn sogar zu einem Psychiater geschickt, der ihm über einige Wochen aufmerksam und mit viel Mitgefühl zugehört hatte, um dann seiner Großmutter mitzuteilen, daß Hewlitt ein völlig gesunder, hochintelligenter und sehr phantasievoller Junge sei, der mit Erreichen der Geschlechtsreife seine Probleme überwinden würde.»… später wurde mir klar«, fuhr Hewlitt fort, »daß mich niemand von denen wirklich für krank gehalten hat. Der Psychiater drückte das zwar nicht direkt so aus, aber unser Hausarzt tat das einzig Richtige, indem er gar nichts unternahm. Nach drei Jahren seiner ›Nichtbehandlung‹ traten die Krankheitssymptome nämlich seltener und weniger heftig auf, so daß ich sie niemandem gegenüber mehr erwähnte, es sei denn, ich bekam einen Ausschlag oder etwas Ähnliches auf einem sichtbaren Körperteil. Als ich dann in die Pubertät kam, ging der Ärger allerdings alle paar Wochen wieder von vorn los, und einige der Symptome waren ausgesprochen unangenehm. Dennoch blieb der Hausarzt bei seiner Methode und verabreichte mir keine Medikamente, und später brach die Krankheit auch tatsächlich wieder seltener aus. Von meinem vierzehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahr wurde ich nur insgesamt dreimal richtig krank, wenngleich die Symptome und einige der Dinge, die dazwischen geschahen, sehr bedrückend und auch sehr peinlich waren… «


»Jetzt verstehe ich auch, warum in Ihrer Krankenakte davon abgeraten wird, Medikamente zu verschreiben, ohne sich vorher mit Ihnen unterhalten zu haben«, meinte Medalont. »Ihr ehemaliger Hausarzt hat viel gesunden Verstand bewiesen, an dem es einigen von uns jüngeren und übertrieben leidenschaftlich handelnden Medizinern manchmal mangelt, indem er sich dafür entschied, bei solch einer Ungewissen und nicht lebensbedrohlichen Krankheit lieber nichts zu unternehmen. Aber jetzt, wo die Symptome mehr Anlaß zur Besorgnis geben, sollten Sie uns vertrauen, denn wir werden nicht damit fortfahren, einfach weiterhin abzuwarten, sondern dafür sorgen, Sie zuheilen.«


»Das weiß ich«, pflichtete ihm Hewlitt bei. »Soll ich weitererzählen?«


»Später«, schlug der Arzt vor. »Die Hauptmahlzeit ist nämlich gleich fällig, und Leethveeschi schimpft mit mir, wenn ich einen Patienten absichtlich hungern lasse. Lassen Sie uns bitte das weitere Vorgehen besprechen, Schwester.«


Die beiden Wesen streckten eine Zange beziehungsweise einen mit einem Fingerbüschel besetzten Tentakel aus und drückten damit kurz auf ihrejeweiligen Translatoren. Danach war das Gespräch zwischen dem Arzt und der Schwester für Hewlitt nicht mehr zu verstehen. Zwar riß er sich solange wie möglich zusammen, doch nach drei Minuten gewannen Wut und Enttäuschung die Oberhand.


»He, was reden Sie da über mich?« fuhr er dazwischen. »Sprechen Sie gefälligst so, daß ich Sie verstehen kann, verdammt noch mal! Sie sind genau wie alle anderen. Bestimmt denken Sie auch, daß ich mir das alles nur einbilde und bis auf eine lebhafte Phantasie nichts habe, stimmt's?«


Erneut drückten der Arzt und die Schwester auf die Translatoren, und Medalont antwortete: »Wenn Sie wollen, können Sie uns gern zuhören, Patient Hewlitt. Mit Ausnahme unserer eigenen Verwirrung bezüglich Ihrer Krankheit haben wir nichts vor Ihnen zu verbergen. Ist es Ihnen denn wichtig zu wissen, was andere über Sie denken?«


»Ich habe etwas gegen Leute, die mich für einen Lügner halten oder die meinen, daß mir nichts fehlt«, klärte Hewlitt den Arzt mit etwas ruhigerer Stimme auf.


Medalont schwieg eine Weile, dann antwortete er: »Während der nächsten Tage oder vielleicht auch Wochen werden sich eine Menge fremder Wesen mit Ihnen unterhalten und in der ihnen eigenen fremden Art und Weise über Sie nachdenken, um eine Lösung für Ihr Problem zu finden. Aber eins werden sie mit Sicherheit nicht denken, nämlich daß Sie ein Lügner sind. Wenn Ihnen nichts fehlen würde, dann wären Sie nicht hier.


Es besteht wohl kaum ein Zweifel«, fuhr er fort und richtete die beiden großen, hervorstehenden Augen auf die Schwester, »daß bei dem Problem des Patienten eine psychologische Komponente eine gewisse Rolle spielt. Wenn wir mit der klinischen Arbeit beginnen, werden wir gleichzeitig eine Untersuchung durch die psychologische Abteilung durchführen lassen. In Anbetracht der Tatsache, daß die Symptome ein gewisses Maß an Xenophobie aufweisen, würde einer der Terrestrier, O'Mara oder Braithwaite, am geeignetsten dafür sein… «


»Bei allem Respekt, Doktor, aber O'Mara würde ich für diese Behandlung lieber nicht heranziehen«, wandte die Schwester ein.»Wahrscheinlich haben Sie recht«, pflichtete ihr Medalont bei. »O'Mara gehört zwar zur selben Spezies und ist ein fähiger Psychologe, aber er ist wahrhaftig nicht gerade das einfühlsamste Wesen. Eine etwas weniger aggressive Persönlichkeit wäre sicher besser geeignet. Dann also Lieutenant Braithwaite.


Vorläufig werden wir es dabei belassen, keine Medikamente einzusetzen, mit Ausnahme leichter Beruhigungsmittel, Ms es der Patient wünscht«, fuhr er fort. »Der Patient hat noch nie zuvor ein Zimmer mit Aliens geteilt und benötigt vielleicht ein Schlafmittel. Aber achten Sie unbedingt darauf, ob das Beruhigungsmittel womöglich die Krankheit erneut zum Ausbruch bringt. Die Symptome können nämlich sehr plötzlich und unverhältnismäßig heftig auftreten. Deshalb möchte ich, daß er neben der visuellen Überwachung auch ein eigenes Sensorenmeßgerät bekommt, das er ständig bei sich trägt, so daß die Daten rund um die Uhr auf dem Stationsmonitor kontrolliert werden können. Der Patient kann, wenn er möchte, jederzeit das Bett verlassen und auf der Station herumlaufen, um seine Neugier zu befriedigen oder um sich mit den anderen Patienten zu unterhalten – natürlich nur, solange seine Anwesenheit an einem anderen Bett medizinisch unbedenklich ist. Bezüglich der Ernährung bedarf es keinerlei Einschränkung, aber vorläufig sollte er seine Mahlzeiten lieber allein im oder am Bett zu sich nehmen.«


Doktor Medalont wandte seine Aufmerksamkeit erneut Hewlitt zu und sagte: »Viele der Wesen, die hierherkommen, empfinden nämlich anfangs eine Abneigung, wenn sie anderen Spezies beim Essen zusehen. Es besteht kein Grund, sich deswegen zu schämen. Als ich das erste Mal Kelgianern beim Essen von Glunce-Eintopf zugesehen habe, hat sich mir auch der Magen umgedreht.«


»Keine Sorge«, winkte Hewlitt ab, wobei er versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. »Ich habe sowieso nicht vor, mit einer dieser Kreaturen zusammen zu essen oder mich gar zu unterhalten, weder jetzt noch in Zukunft. Vor allen Dingen dieses … dieses riesige Elefantenmonster, das ich neben dem Personalraum beim Hereinkommen gesehen habe,blickte mich so an, als ob es mich am liebsten auffressen würde.«


»Patient Cossunallen ist ein Pflanzenfresser«, beruhigte ihn Medalont, »also besteht auch diesbezüglich kein Grund zur Besorgnis. Wir empfehlen lediglich, den Kontakt mit anderen Patienten zu suchen, was aber überhaupt keine Verpflichtung sein soll. Jedoch sollten Sie nicht vergessen, daß Sie gegenwärtig ein ungewöhnlich gesunder Patient sind, der, mit Ausnahme eines gelegentlichen Gangs zur Toilette, bestimmt nicht die ganze Zeit im Bett verbringen möchte. Die Langeweile selbst und nicht das Klinikpersonal wird Sie wahrscheinlich zwangsläufig dazu treiben, sich mit den anderen Patienten zu unterhalten.«


Hewlitt gab ein lautes, abwehrendes Geräusch von sich, das, wie er wußte, nicht zu übersetzen war.


»Ich muß jetzt leider gehen«, fuhr Medalont unbeeindruckt fort. »Falls Sie noch Fragen haben sollten, die das Pflegepersonal wider Erwarten nicht beantworten kann, werde ich noch einmal vor der Schlafenszeit nach Ihnen sehen. Für das Mittagessen wünsche ich Ihnen jedenfalls schon jetzt einen guten Appetit.«


Während kurz darauf das leichte Klappern melfanischer Füße und das lautere, aber dumpfer klingende Geräusch hudlarischer Tentakel in der Station verhallten, starrte Hewlitt auf die rings ums Bett heruntergelassenen Sichtblenden und überlegte mit Grauen, welche schrecklichen Sachen man ihm hier wohl zum Essen auftischen würde. Einige Minuten später schob sich die hudlarische Lernschwester durch die Sichtblenden und stellte ein zugedecktes Tablett auf dem Nachttisch ab.


»Bislang haben wir noch keine Informationen über Ihre bevorzugten Speisen erhalten. Deshalb haben wir eine Mahlzeit zusammengestellt, die zumindest von den meisten terrestrischen Mitarbeitern gern gegessen wird«, erzählte sie beiläufig. »Sie besteht aus einer braunen, flachen Scheibe – Steak genannt -, und dazu gibt es verschiedene klumpige vegetabilische Objekte, welche die Terrestrier als Gemüse bezeichnen. Warten Sie bitte noch mit dem Essen, bis ich diese Geräte an Ihrem Körper angebracht habe. Das Meßgerät auf Ihrer Brust wird uns im Personalraum fortwährendüber Ihren Zustand unterrichten, und der Translator, den ich Ihnen um den Hals hängen werde, ist auf die Sprachen programmiert, die von den Patienten dieser Station und vom Klinikpersonal benutzt werden. Auf diese Weise sind Sie stets darüber informiert, was jemand über Sie und alle anderen sagt.


Da ich davon ausgehe, daß Sie sich beim Essen in optischer Zurückgezogenheit wohler fühlen, zumindest bis Sie sich eingelebt haben, habe ich die Sichtblenden nicht hochgezogen. Ich muß jetzt gehen, aber Sie brauchen nur auf die Ruftaste drücken, falls Sie etwas benötigen. Ist sonst alles in Ordnung mit Ihnen, Patient Hewlitt?«


»Ja ja… ahm… danke auch«, stammelte er. »Moment noch, Schwester, ich… ich…«


Verwirrt hielt er inne, denn er hatte keine Ahnung, warum er sich gegenüber dieser monströsen Kreatur so dankbar fühlte, ja sogar das Bedürfnis verspürte, es nicht nur bei ein paar anerkennenden Worten zu belassen. Vielleicht könnte er ihr ja etwas Schmeichelhaftes sagen.


Die Hudlarerin, die sich gerade durch den Spalt zwischen zwei überlappenden Sichtblenden zurückzog und deren Körperfarbe dabei einen großen Farbklecks auf dem Gewebe hinterließ, blieb stehen. »Ja, was ist denn, Patient Hewlitt?«


»Schwester, ich… ich habe wirklich nicht erwartet, daß sich ein Wesen wie Sie so… nun ja … so rücksichtsvoll mir gegenüber verhält«, begann er etwas unbeholfen. »Ich meine, Sie sehen nicht gerade wie jemand aus, der von der Erde stammt und… «


»Also, das hoffe ich doch«, warf die Hudlarerin ein.


»Na ja, ich meine das natürlich nicht so wörtlich«, erwiderte er. »Ich wollte mich bloß bei Ihnen bedanken und… und Ihnen sagen, daß Ihr Körper-Make-up wirklich sehr hübsch aussieht.«


Die Schwester gab einen kurzen unübersetzbaren Laut von sich, dann sagte sie: »Hudlarer benutzen keine Körperfarben oder Make-up, Patient Hewlitt. Das ist mein Mittagessen.«



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