18

Marcus und ich schlichen ganz langsam und mit geschwärzten Gesichtern durch das Gras und näherten uns aus verschiedenen Richtungen der gegnerischen Stellung. In der Nacht zuvor hatten wir das Gebiet erforscht. Es gab fünf Posten und eine Hütte, die ein paar hundert Meter weiter hinten stand; dort bewahrten die Kopfgeldjäger ihre schrecklichen Trophäen auf. Vor zwei Nächten hatten wir den Rand des Sumpfes erkundet. Mitten im Rence am Deltarand trieben zwei Leichen im Wasser; sie waren zur Hälfte verwest und angefressen, vermutlich von kleinen Fischen und Tharlarion. Anscheinend brachten die Kopfgeldjäger ihre Opfer in den Sumpf, nachdem sie die Köpfe entfernt hatten, die sie brauchten, um ihr Kopfgeld zu erhalten. Eine der Leichen war ein Cosianer gewesen. Kopfgeldjäger sind manchmal nicht besonders wählerisch, welche Köpfe sie sammeln, und ihre Auftraggeber können natürlich nicht feststellen, ob es der Kopf eines Arers, eines Cosianers oder etwa eines Rencebauern ist.

In der Dunkelheit sind alle Sinne angespannt, so ist es schwierig, nicht schon auf das geringste Geräusch zu reagieren.

Marcus mußte mittlerweile seine Stellung bezogen haben. Ich war jedenfalls an Ort und Stelle, keinen Meter von dem Mann entfernt. Die Umrisse seines Kopfes hoben sich von der Dunkelheit ab.

Ein Laut ertönte, fast unhörbar, ein winziges klickendes Geräusch, nicht unähnlich den schnalzenden Lauten einiger Sprachen, die östlich von Schendi gesprochen werden. Marcus hatte es verursacht. Sofort wandte sich der Mann der Quelle des Geräuschs zu. Ich näherte mich von der anderen Seite und schnitt ihm die Kehle durch.

Marcus gesellte sich zu mir.

»Das dürfte der letzte gewesen sein«, flüsterte ich, »von dem Kerl – oder den Kerlen – in der Hütte abgesehen.«

»Hier ist sein Sack«, erwiderte Marcus und hob einen Gegenstand hoch.

Ich sagte: »Ich habe eine Idee.«


Ich gab mir nicht die geringste Mühe, mein Näherkommen zu verbergen. Ich ging geradewegs auf die Hütte zu. Ein paar Schritte hinter mir kam Marcus. Wir trugen beide Kleidung, die wir den Kopfgeldjägern ausgezogen hatten. Sie brauchten sie nicht länger. Ich hatte mir den Umhang übergeworfen. Der Sack ruhte auf meiner Schulter.

Ich stieß die Tür auf.

In ihrem Innern hielt sich nur ein Mann auf, und der hockte am anderen Ende vor einem kleinen Feuer im Kamin und rührte in einem Topf. Der Geruch des einfachen Eintopfs brachte mich beinahe um den Verstand. Es war lange her, daß ich etwas Gekochtes gegessen hatte. Ich glaubte nicht, daß er etwas dagegen hätte, wenn ich mit ihm den ›Kessel teilte‹, wie es auf Gor heißt. Er drehte sich bei unserem Eintreten nicht einmal um.

»Glück gehabt?« fragte er.

Ich warf den Sack neben ihm zu Boden.

»Der ist aber schwer«, sagte er aufgeregt. »Wie viele?« Er drehte sich um. Ich stand neben ihm, die tief ins Gesicht gezogene Kapuze verbarg meine Züge. Ich hielt die Hand hoch.

»Fünf«, sagte der Kopfgeldjäger. »Ausgezeichnet! Gute Arbeit für eine Nacht.«

Der Meinung war ich auch.

Er öffnete gierig den Sack. »Hoffentlich sind es alles Arer«, sagte er. »Anesidemus wird allmählich mißtrauisch.«

Er leerte den Sackinhalt auf den Steinboden neben dem Kamin. Ich glaube nicht, daß er dabei hörte, wie ich das Schwert zog.

Er hielt einen der Köpfe an den Haaren hoch. »Barsis!« rief er aus. Entsetzt betrachtete er die anderen Köpfe, die er zweifellos erkannte. Dann drehte er sich zu mir um, im nächsten Augenblick war er tot.

»Komm herein«, sagte ich zu Marcus.

Mein junger Freund betrat die Hütte.

»Wir haben hier noch eine Leiche für den Sumpf«, sagte ich. »Soweit ich es beurteilen kann, sind es nicht einmal Söldner, sondern irgendwelche Straßenräuber.«

»Anscheinend waren sie recht erfolgreich in ihrer Arbeit«, sagte Marcus, nachdem er sich umgesehen hatte.

»Wir werden alles im Sumpf versenken«, sagte ich. »Sollten irgendwelche Cosianer vorbeikommen, werden sie keinen Hinweis auf das Schicksal finden, das wir für diese Kerle angebracht hielten. Da sie von solchen Typen weder Disziplin noch Verläßlichkeit erwarten, gehen sie vermutlich von der Annahme aus, daß sie entweder einfach weitergezogen sind oder sich ihren Lohn abholen wollten.«

»Warum sollten dazu nicht einer oder zwei ausreichen?«

»Wären sie Männer von Ehre, würde es reichen, um die Beute fortzuschaffen.«

»Ich verstehe«, sagte Marcus. »Sie sollen alle dabeisein, wenn die Bezahlung winkt.«

»Ganz genau.«

»Nun haben wir einen Weg aus dem Delta hinaus freigemacht«, sagte Marcus.

»Einen schmalen Pfad, der wenigstens ein paar Ahn lang auch frei bleibt.«

»Das sollte reichen.«

»Es wird noch immer sehr gefährlich sein«, erinnerte ich ihn.

»Ich werde dir helfen, dies alles hier loszuwerden.«

»Nein«, erwiderte ich. »Hol die anderen.«

»Es gilt, keine Zeit zu verschwenden.«

»Richtig.«

»Und was hast du vor?« fragte ich Labienus in der Hütte der Banditen am Deltarand.

Wir hatten das Essen miteinander geteilt – wenig genug für so viele Menschen. Aber wir hatten etwas Warmes gegessen.

»Ich muß Saphronicus in Holmesk Bericht erstatten«, sagte der Hauptmann.

»Natürlich.« Ich bedauerte zutiefst, daß er den Verstand verloren hatte.

»Plenius und Titus werden mich zu den Linien von Ar bringen.«

Die meisten von uns waren nach dem Essen bereits in alle Himmelsrichtungen aufgebrochen. Wir hatten versucht, den Soldaten der anderen Regimenter, die Marcus verfolgt hatten, durch Erklärungen und Beispiele beizubringen, wie man im Feindesland überleben konnte. Viele von ihnen hatten sich entschieden, das Delta mit einem oder mehreren unserer Männer zu verlassen. Auf diese Weise wurden die Aussichten auf ein Entrinnen aus dem Delta größer, besonders wenn sie nach Osten oder Süden zogen. Natürlich wurde jede Gruppe, je größer sie war, anfälliger für eine Entdeckung.

»Du bestehst darauf, deine Uniform mitzunehmen?« fragte ich Labienus. Falls man ihn anhielt und die Uniform in seinem Bündel fand, war das so gut wie sein Todesurteil.

»Ja«, sagte er. »Ich will sie bei meinem Bericht tragen.«

Ich blickte Plenius an.

»Es ist schon in Ordnung«, sagte er.

»Ihr seid alle tapfere Männer«, sagte ich.

»Wir, also Titus und ich«, sagte er, »werden nach Möglichkeit nur bis zu dem Gebiet mitkommen, das von Ar kontrolliert wird. Dort werden wir ihn mit einem Stock auf die Straße schicken.«

»Trotzdem ist es ein beträchtliches Risiko.«

»Er ist unser Hauptmann.«

»Und danach werdet ihr versuchen, euch auf einem anderen Weg nach Ar durchzuschlagen?«

»Das ist die Stadt meines Heimsteines«, erklärte Plenius.

»Was sie vorhaben, geschieht nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Liebe«, sagte Labienus.

»Ja«, sagte ich, »aber ich finde, es liegt auch viel Ehre in ihrem Handeln.«

»Das stimmt«, sagte Labienus. »Es liegt viel Ehre in ihrem Handeln.«

»Nimmst du die Frau mit?« wollte Plenius wissen.

»Ja.«

Labienus erhob sich. »Ich wünsche dir alles Gute.«

»Ich wünsche dir alles Gute, Hauptmann«, erwiderte ich.

Er ergriff meine Hand. Ich schrie nicht auf, fragte mich aber unwillkürlich, ob er wußte, was er seinen Händen angetan hatte. Es war, als hätte er sie aufgegeben, um diesen Teil von ihm in ein schreckliches Werkzeug zu verwandeln, für das es jedoch keinen vorstellbaren Nutzen gab. Er konnte mit Sicherheit keine Dinge mehr erledigen, die Genauigkeit und Feingefühl erforderten. Er konnte keinen Zeigestock mehr ergreifen. Er konnte kein Schwert mehr schwingen. Als er losließ, war meine Hand blutig, obwohl er sie bestimmt nicht fest ergreifen wollte.

Dann verließ Labienus, geführt von Titus, die Hütte. Plenius blieb noch einen Augenblick lang stehen.

»Ich habe mich sehr in dir getäuscht«, sagte ich. »Jetzt weiß ich, daß du ein Mann von Ehre bist.«

»Man hat mich gelehrt, was Ehre ist«, sagte er.

»Labienus ist ein ausgezeichneter Lehrmeister.«

»Er und andere.«

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich. Es freute mich, daß er von seinen Kameraden etwas über Ehre gelernt hatte.

»Ich wünsche dir alles Gute.«

Er verließ die Hütte.

Ich blickte auf Ina hinab. Sie konnte nicht zu mir aufsehen, da ich sie so gebunden hatte, daß sie mit gesenktem Kopf auf den Knien lag. Bei dieser besonderen Fesselung, die auch unter dem Namen Tharnan-Fessel bekannt ist, legt man die Fußknöchel übereinander und fesselt sie; dann wird der Kopf hinuntergebunden, indem man einen kurzen Riemen um den Hals legt und ihn von vorn zu den Knöcheln durchführt. Der Druck dieses Riemens findet im Nacken statt und nicht an dem empfindlichen, verletzlichen Hals. Dies kann man auch mit einer Kette tun. Die Hände werden ganz einfach auf den Rücken gefesselt.

»Wir sollten aufbrechen«, sagte Marcus. Alle waren gegangen.

»Ja«, sagte ich. »Das sollten wir.«

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