Kapitel 4

Irgendwo gab es ein Leck. - Binnen einer Woche sprachen alle flüsternd von «Graf Fontainebleau» und seinen unglaublichen Reichtümern. Außerdem hieß es, der Graf mache Mary Gray eindeutig den Hof und sie werde von John Gray - heftig - und seiner Frau - mäßig - dazu gedrängt, die gräfliche Werbung wohlwollend zu betrachten.

In Wahrheit saß Mary in der Klemme. Sie tat, was sie konnte, um sich den Wünschen ihrer Eltern zu beugen, doch des Nachts küßte sie immer wieder heimlich ein gewisses Bild und vergoß Tränen über einer gewissen Locke.

Eines Tages saß der Graf ein Stündchen bei David Gray im Büro und plauderte über dies und das. Er brachte das Gespräch allmählich auf das Thema Heirat und wollte gerade dazu kommen, daß er sich einige Hoffnungen auf Mary Gray machte, als David plötzlich nach draußen gerufen wurde. Der Graf vertrieb sich die Zeit damit, alle möglichen Blätter und Dokumente zu betrachten, die herumlagen oder aus halb offenen Schubladen schauten. Ein Papier las er mit besonderem Interesse und sagte dann: «Nur gut, daß ich’s noch mal überprüft habe; jetzt bin ich beruhigt. War also doch nur ein Gerücht.»

Er machte sich auf zu John Grays Haus. Als er nach Mary fragte, erfuhr er, sie sei im Obstgarten. Dort schlenderte er über die Wege, bis er in einer abgelegenen Ecke den Zipfel eines Kleides bemerkte, der hinter einem Baum hervorlugte; an dieser Stelle stand eine rustikale Gartenbank, groß genug für zwei Personen, die sich in den letzten zwölf Monaten gelegentlich als sehr nützlich erwiesen hatte. Er näherte sich und stand plötzlich vor Mary. Hastig versteckte sie Hugh Gregorys Bild in ihrem Ausschnitt und sprang auf, sich die Augen tupfend - denn sie weinte.

«Mary, meine verehrte, meine angebetete Freundin», sagte der Graf und nahm ihre Hand, formvollendet wie immer. «Es bricht Ihnen das Herz, und ich bin schuld daran. Welch Unglück, daß ich Sie sah, bevor ich sah, daß Sie - ihn lieben. Sie zu sehen und Sie zu lieben war eins. Dagegen ließ sich nichts ausrichten. Später, als ich erfuhr, daß Ihr Vater diese Heirat verboten hatte, erschien mir meine Liebe nicht mehr unrecht Ihnen oder dem armen Hugh gegenüber und ich gab mich der Wahnvorstellung hin, Sie könnten mir vielleicht nach und nach einen Platz in Ihrem Herzen gewähren. Doch ich fürchte, es kann nicht sein. Ihre Tränen, Ihr Kummer gelten Hugh, und er ist es weiß Gott auch wert. Ich muß versuchen, Sie aufzugeben. Um Ihretwillen, die ich mehr liebe als Leben, Vermögen und Ruf - mehr als meine Seele! -, muß ich das Unmögliche versuchen! Sagen Sie nichts, ich beschwöre Sie! -Ich kann den süßen Klang Ihrer Stimme nicht hören, ohne meinem Entschluß untreu zu werden. Mein Wesen gehorcht dem Impuls. Der Anblick Ihres Jammers, dessen Zeuge ich soeben wurde, hat blitzartig die Kraft in mir geweckt, dieses Opfer darzubringen, und ebenso blitzartig muß ich meinem Entschluß folgen und mich dem Anblick Ihres Gesichts und dem Klang Ihrer Stimme entziehen, sonst muß ich scheitern. Ich gehe ich gebe mein Bestes - möge Gott mir einen schnellen Tod gönnen - mehr will ich nicht! Und kein Wort! Nicht ein Wort, ich flehe Sie an! Meine Geliebte, meine Geliebte, leben Sie wohl, und Gott schütze Sie!»

Sein Taschentuch vors Gesicht gepreßt, eilte er einen Augenblick später zum Haus zurück. Mary Gray stand da wie eine Salzsäule und starrte ihm nach, bis er verschwunden war. Dann schluchzte sie: «Oh, wie hab’ ich ihn verkannt! Er ist von tausendmal edlerem Wesen, als das vornehmste Blut und der älteste Stammbaum ihn machen könnten. Vor fünf Minuten noch hätte ich ihn fast gehaßt. Und jetzt - ja, jetzt könnte ich ihn fast - lieben! Oh, wie ich dich respektieren, ehren, verehren werde, solang ich lebe - du großes, reines, edles Herz!»

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