Kapitel 8. Die Beichte des Grafen

Zum Tode verurteilt für den Mord an David Gray, den ich vor einem Jahr beging, zeichne ich hiermit den wahren Bericht meines Lebens auf. Ich heiße Jean Mercier, geboren in einem Dorf in Südfrankreich. Mein Vater war Barbier. Ich erlernte den Beruf und übte ihn eine Zeitlang aus. Doch ich war begabt und ehrgeizig. Ohne fremde Hilfe erwarb ich mir eine Art Universalbildung. Ich lernte viele Sprachen, machte gute Fortschritte in den Naturwissenschaften und wurde auch so etwas wie ein Erfinder und Mechaniker. Ich eignete mir die Grundbegriffe der Seefahrt an. Mit der Zeit versuchte ich mich als Führer - als Reiseleiter. Ich begleitete Touristen durch die ganze Welt. Schließlich fiel ich in einer bösen Stunde einem gewissen Monsieur Jules Verne in die Hände, einem Schriftsteller. Damit fing der Verdruß an. Er zahlte mir einen üppigen Lohn und schickte mich in allen möglichen unangenehmen Fahrzeugen hierhin und dorthin, hin und zurück. Dann ließ er sich meine Abenteuer erzählen und machte aus jeder meiner Reisen ein Buch. Das wäre ja noch angegangen, wenn er sich an die Tatsachen gehalten hätte; aber nein, nichts war ihm gut genug, er mußte alles ausschmücken. Er verdrehte meine schlichten Erlebnisse zu extravaganten Wundertaten. Das demütigte mich mehr, als ich sagen kann, denn ich nahm es empfindlich genau mit der Wahrheit und aufrichtigem Gebaren - damals jedenfalls. Alle meine Freunde wußten, wo ich angestellt war; sie glaubten, diese Geschichten wären genau so aufgezeichnet worden, wie ich sie erzählt hätte - und einer nach dem anderen erkannten sie mich plötzlich nicht mehr, sie schnitten mich regelrecht. Zu wiederholten Malen protestierte ich bei Monsieur Verne - es hatte keinen Zweck. Dieser Mann schickte mich mit einem lecken alten Sandkahn die Seine hinunter; als ich zurückkehrte, hörte er sich meine Geschichte an, machte sich an die Arbeit und walzte sie zu jenem unerträglichen Buch namens Zwanzigtausend Meilen unter den Meeren aus. Als nächstes kaufte er einen alten, gebrauchten Fesselballon und schickte mich darin in die Lüfte. Die alte Blase ging ungefähr zweihundert Meter hoch, dann platzte sie, und ich stürzte in eine Ziegelei und brach mir das Bein. Das literarische Ergebnis dieses Ausflugs hieß Fünf Wochen im Ballon. Er schickte mich noch auf ein oder zwei kurze, alberne Flüge mit dem abgewrackten Ding und verwertete das für seine überspannten Bücher. Jedenfalls dauerte es nicht lange, da schickte er mich mit einem Ochsenkarren von Paris den ganzen Weg bis in eine Bettlerstadt am äußersten, hintersten Ende Spaniens. Fast ein Jahr war ich unterwegs und wäre bald an Niedergeschlagenheit und Hunger gestorben, bevor ich wieder zu Hause war. Was war das Resultat? Freilich, Reise um die Welt in fünfundachtzig Tagen! Er flickte seinen elenden Ballon und schickte mich wieder los. Ich hing drei Tage lang, ohne mich rühren zu können, in den Wolken über Paris fest und wartete auf einen Windhauch, dann stürzte ich in den Fluß, holte mir eine fiebrige Erkältung und lag mindestens ein Vierteljahr im Bett. Während ich dalag, brütete ich über meinem Unglück, und mit der Zeit wurde mir der Gedanke an Mord immer vertrauter, ja willkommener, kann ich sagen. Als ich wieder gesund war, sagte er, er hätte den Ballon vollkommen überholen lassen, die nächste Reise würde er zusammen mit mir unternehmen. Ich war froh. Ich hoffte, wir würden uns beide den Hals brechen. Er schaffte seine lederne Reisetasche, seinen Pelzmantel und all seinen feinen Plunder in den Ballon, dazu eine Menge Proviant, Spirituosen und wissenschaftliche Instrumente. Und gerade als wir lossegelten, drückte er mir die Verfälschung meiner letzten Reise in die Hand - ein Buch namens Die geheimnisvolle Insel! Ich warf einen Blick hinein - und es reichte mir. Das war mehr, als ein Mensch erdulden kann. Ich warf ihn aus dem Ballon! Er muß bestimmt dreißig Meter tief gefallen sein. Ich hoffe, es hat ihn umgebracht, aber ich weiß es nicht. Natürlich wollte ich nicht an den Galgen, deshalb warf ich noch die wissenschaftlichen Instrumente hinterher, um Ballast loszuwerden; dann zog ich Monsieur Vernes gute Kleider an und machte es mir mit seinem Essen und seinen Weinen gemütlich. Doch ich hatte zuviel Ballast abgeworfen. Der Ballon flog so hoch, daß mich der Schlaf übermannte, dann die Ohnmacht. Danach weiß ich nichts mehr, bis zu dem Augenblick, als ich mitten im Schnee in John Grays Prärie erwachte. Ich weiß nicht, was aus dem Ballon geworden ist. Aber ich weiß, von den Daten her, daß die Reise von Frankreich nach Missouri zwei Tage und einundzwanzig Stunden gedauert hat. Und nun wird John Gray verstehen, wie ich seine Prärie überqueren konnte, ohne eine Spur zu hinterlassen - das hat ihn immer neugierig gemacht, den Armen; aber ich dachte, wenn ich ihm das erzähle, bekommt die Geschichte Flügel und landet in der Zeitung, dringt nach Frankreich und lockt irgendeinen Naseweis an, der gern wissen möchte, ob dieser fremde Ballonflieger nicht etwas Erhellendes über die letzten Minuten des Monsieur Verne zu sagen hat.

Ich kam zu dem Schluß, daß es am besten für mich wäre, einen erfundenen Namen anzunehmen und für den Rest meiner Tage in Deer Lick zu bleiben; nur mit der Vorstellung, auf ewig meinen Lebensunterhalt als Lehrer zu verdienen, konnte ich mich nicht abfinden. Und als ich zufällig mit anhörte, daß David Gray seinen gesamten Besitz Mary Gray vermachen wollte, lockte ich ihren Vater mit meinem falschen, fremden Vermögen und Adelstitel und begann mit der Brautwerbung. Eines Tages ließ mich David Gray einen Augenblick allein in seinem Büro, ich stöberte herum und fand ein Testament, in dem als Erbe seiner gesamten Habe ein entfernter Verwandter eingesetzt war, nicht Mary. Meine Liebe kühlte sich ab, und ich ging schnurstracks zu Mary und teilte ihr mit, ich wolle versuchen, mir meine Liebe zu ihr aus dem Herzen zu reißen, um ihretwillen natürlich. Doch als Gregory und David Gray sich in meiner Gegenwart stritten, wurde mir klar, daß ich ein altes Testament entdeckt hatte und daß es ein neueres geben mußte, in dem er tatsächlich alles Mary hinterließ. Also beschloß ich von neuem, Mary zu heiraten, und ich wußte, ich würde es schaffen. Dieser unangenehme alte Mr. Gray wäre heute noch am Leben, und ich würde geduldig warten, bis er auf natürlichem Wege tot umfiele, wenn er nicht so töricht gewesen wäre, laut zu schwören, daß er gleich nach Hause gehen und ein neues Testament machen wolle, um Mary zu enterben. Da hielt ich es für das beste, wenn er seine Schlafstatt so schnell wie möglich zu seinen Vätern verlegte. Einem Menschen, dessen Geist von Torturen, wie sie mir Monsieur Verne zumutete, erschüttert worden ist, fällt das Morden leicht. Ich heuerte ohne Umschweife einen Helfershelfer an, der vor David Grays Tür Wache hielt, während ich mich dieser Person entledigte. Ich hatte meinem Komplizen eine Farm zugesagt. Er hat es nur sich selbst zu verdanken, daß er heute nicht als Landbesitzer in dieser überaus reizenden und hochgeistigen Gemeinde aus frommen Schweinezüchtern lebt. Wie auch immer, gegen Mitternacht lieh ich mir ein Messer von Mr. Gregory aus - dieser Provinzler schläft wie ein Grabstein und schnarcht wie eine Lokomotive -, und binnen einer Viertelstunde hatte sich David Gray aus dem aktiven Geschäftsleben zurückgezogen. Er hatte sein neues Testament gerade erst angefangen - und falls mir seit dem damaligen Tage Mr. und Mrs. Hugh Gregory dafür gedankt haben sollten, daß der erste Satz dieses Dokuments auch der letzte blieb, so muß mir dieser Umstand entfallen sein. Ich trug beim Kampf ein, zwei schlimme Schrammen an den Händen davon, aber da ich stets Handschuhe anzog (eine Angewohnheit, die ich in dieser unzivilisierten Gegend ganz für mich allein hatte), sah sie kein Mensch. Ich gab Mr. Gregory sein Messer zurück - genauer gesagt, ich steckte es in sein Bett; dann lieh ich mir ein Stück seines Rockschoßes aus, um es zu der Leiche zu legen, und nachdem ich ihm gute Nacht gewünscht hatte, was er mit einem Schnarchen quittierte, hinterließ ich noch ein paar kleine Blutflecken auf seinen Beinkleidern und machte mich davon. Ich wußte, daß die Gemeinde aus lauter hirnlosen Zeitgenossen besteht, deshalb würden sie das versteckte Messer und die Blutflecken als vernichtende Beweise gegen den Schnarcher werten. Ein Mensch mit Köpfchen hätte gesagt: «Nur ein Narr würde Blut auf seinen Kleidern lassen und sein Messer in der Matratze verstecken, geschweige denn mit einem Blutfleck auf das Versteck aufmerksam machen.» Lebt wohl, ihr guten Schweinebauern, ich bin bereit zu gehen, denn mich verzehrt ein großes Verlangen danach, meinen Monsieur Verne selig zu fragen, wie viele Kapitel seiner Achtzehn Monate im Höllenofen er schon geschrieben hat und wen er angestellt hat, um herumzulaufen und für ihn die Fakten zusammenzutragen, während er sich in seinen Privatgemächern rösten läßt und hinterher alles ausschmückt. Außerdem wüßte ich gern, wo er nach seinem Sturz wohl gelandet ist.


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