Als Mister Jenkins nicht mehr als ein paar Schritte auf den Tisch der Hoch- und Großmeister-Hexe zumarschiert war, übertönte ein schriller Schrei alle anderen Geräusche im Saal, und im gleichen Augenblick sah ich, wie die Hoch- und Großmeister-Hexe in die Höhe schoss.
Sie stand jetzt auf ihrem Stuhl und schrie aus vollem Halse... Jetzt war sie auf dem Tisch und wedelte mit den Armen... «Was geschieht denn da um Himmels willen, Großmama?»
«Wart's ab», entgegnete meine Großmutter. «Schweig stille und schau zu!»
Plötzlich fingen alle anderen Hexen, insgesamt über achtzig, ebenfalls zu schreien an und fuhren von ihren Stühlen hoch, als ob ihnen Nadeln in den Popo gejagt würden. Einige standen auf den Stühlen, andere waren auf die Tische gesprungen, und alle miteinander zappelten und verrenkten sich und schwenkten auf merkwürdige Art und Weise ihre Arme.
Dann wurden sie plötzlich vollkommen stumm. Dann erstarrten sie. Jede einzelne Hexe stand so steif und starr wie eine Leiche da. Eine Totenstille senkte sich auf den ganzen Saal. «Sie schrumpfen, Großmama», sagte ich. «Sie schrumpfen genauso, wie ich es getan habe!» «Ich weiß, ich sehe es», antwortete meine Großmutter.
«Es ist der Mäusemacher!», rief ich. «Sieh doch nur! Bei ein paar Hexen wächst das Fell schon auf dem Gesicht! Warum wirkt das nur so rasch, Großmama?»
«Ich will es dir sagen, warum das so schnell geht», erwiderte meine Großmutter. «Weil jede von ihnen eine erhebliche Überdosis verpasst bekommen hat, genauso wie du. Das hat den Wecker wieder auf den Kopf gestellt.»
Alle Gäste im Speisesaal waren jetzt aufgesprungen, um besser sehen zu können. Die Leute schoben sich neugierig näher. Sie fingen an, sich um die beiden langen Tafeln zu drängen. Meine Großmutter hob Bruno und mich in die Höhe, damit uns auch nichts entging. In ihrer Aufregung sprang sie sogar auf ihren Stuhl, damit sie über die Köpfe der Menge hinwegschauen konnte.
Nach ein paar Sekunden waren alle Hexen vollkommen verschwunden, und auf beiden Tischen wimmelte es von kleinen braunen Mäusen.
Im ganzen Speisesaal kreischten jetzt die Frauen, und selbst starke Männer erblassten und stammelten: «Das ist verrückt! Das kann nicht sein! Lasst uns bloß hier raus! Schnell!»
Die Kellner droschen mit Stühlen und Weinflaschen auf die Mäuse ein und mit allen anderen Gegenständen, die ihnen in die Hände gerieten. Ich sah, wie ein Koch mit seiner hohen weißen Mütze aus der Küche stürmte und eine Bratpfanne schwang, und ein zweiter, der ihm dicht auf den Fersen war, fuhr ihm mit dem Küchenmesser über dem Kopf herum, und alle schrien: «Mäuse! Mäuse! Mäuse! Wir müssen die Mäuse verscheuchen!»
Nur die Kinder im Saal hatten wirklich ihren Spaß daran. Sie schienen allesamt instinktiv zu begreifen, dass genau vor ihrer Nase etwas Gutes geschehen war, und sie klatschten in die Hände und schrien hurra und lachten wie verrückt.
«Es ist Zeit für uns, aufzubrechen», sagte meine Großmutter. «Unsere Arbeit ist getan.» Sie kletterte von ihrem Stuhl, nahm ihre Handtasche und hängte sie sich an den Arm. Mich hatte sie in ihrer rechten Hand und Bruno in der linken. «Bruno», sagte sie, «jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem du in den sprichwörtlichen Schoß der Familie zurückkehren wirst.»
«Meine Mami mag aber keine Mäuse», sagte Bruno.
«Das hab ich auch bemerkt», entgegnete meine Großmutter. «Sie muss sich einfach an dich gewöhnen, meinst du nicht auch?»
Es war nicht schwer, Mister und Missis Jenkins zu finden. Die schrille Stimme von Missis Jenkins war im ganzen Saale zu hören. «Herbert!», schrie sie. «Herbert, bring mich hier raus! Überall Mäuse! Sie werden mir unter den Rock krabbeln!» Sie hatte ihre Arme um den Hals ihres Mannes geschlungen, und von meinem Standpunkt sah es so aus, als ob sie an seinem Halse hinge.
Meine Großmutter trat auf sie zu und drückte Bruno Mister Jenkins in die Hand. «Hier ist Ihr kleiner Sohn», sagte sie. «Sie sollten ihn auf Schlankheitsdiät setzen.»
«Hallo, Vati!», sagte Bruno. «Hallo, Mami!»
Missis Jenkins stieß einen noch ohrenbetäubenderen Schrei aus. Meine Großmutter, mit mir in der Hand, wandte sich ab und marschierte aus dem Raum. Sie ging geradewegs durch die Hotelhalle und durch den Haupteingang ins Freie.
Es war ein milder warmer Abend, und ich konnte hören, wie die Wellen nur auf der anderen Seite der Straße an den Strand schlugen.
«Kann ich ein Taxi haben?», fragte meine Großmutter den stattlichen Portier in seiner grünen Uniform.
«Aber gewiss doch, gnädige Frau», antwortete er, schob zwei Finger in den Mund und stieß einen langen schrillen Pfiff aus. Ich betrachtete ihn voller Neid. Wochenlang hatte ich geübt, so zu pfeifen wie er, aber es war mir kein einziges Mal gelungen. Jetzt würde ich es wohl niemals können.
Das Taxi kam. Der Fahrer war ein älterer Mann mit einem dichten schwarzen Schnurrbart, der ihm wie die Wurzeln einer Pflanze über dem Mund hing. «Wohin soll's denn gehn, meine Dame?», fragte er. Dabei fiel sein Blick auf mich, eine kleine Maus, die sich in die Hand der alten Frau schmiegte. «Donnerlittchen!», sagte er, «was ist denn das?»
«Das ist mein Enkelsohn», antwortete meine Großmutter. «Fahren Sie uns bitte zum Bahnhof.»
«Mäuse hab ich immer gemocht», sagte der alte Taxifahrer. «Früher, als ich noch ein kleiner Junge war, da hab ich mir Hunderte gehalten. Mäuse sind die schnellsten Brüter der Welt. Haben Sie das gewusst, meine Dame? Wenn er also Ihr Enkelsohn ist, dann werden Sie wohl in ein paar Wochen außer ihm noch einen ganzen Schwung Urenkel haben.»
«Fahren Sie uns bitte zum Bahnhof», sagte meine Großmutter und spitzte missbilligend die Lippen.
«Jawohl, meine Dame», sagte er. «Sofort.»
Meine Großmutter stieg hinten in die Taxe ein, setzte sich zurecht und nahm mich auf ihren Schoß.
«Fahren wir heim?», fragte ich sie.
«Ja», antwortete sie. «Zurück nach Norwegen.»
«Hurra!», rief ich. «O hurra, hurra, hurra!»
«Ich hab mir gedacht, dass dir das gefallen wird», sagte sie.
«Und was ist mit unserem Gepäck?»
«Wer braucht schon Gepäck?», fragte sie.
Das Taxi fuhr durch die Straßen von Bournemouth, und zu dieser Tageszeit war alles voll von Feriengästen, die ziellos durch die Gegend schlenderten und nichts zu tun hatten. «Wie fühlst du dich, mein Schätzelchen?», fragte meine Großmutter.
«Gut», antwortete ich. «Ganz wunderbar.»
Sie begann, mir das Nackenfell mit einem Finger zu streicheln. «Wir haben heute Großes geleistet», sagte sie.
«Es ist großartig gewesen», sagte ich. «Absolut großartig.»