«Nein!«sagte Grisswald.»Nur über meine Leiche!«Er ballte die Faust und ließ sie wuchtig auf die Schreibtischplatte krachen, um seinen Worten gehörigen Nachdruck zu verleihen.
Vielleicht hätte er das besser nicht tun sollen, denn gleich darauf verzog er schmerzhaft das Gesicht, und einer der beiden Regierungsbeamten machte eine Miene, als denke er ernsthaft darüber nach, Grisswalds Vorschlag wörtlich zu nehmen. Der andere lächelte unverändert weiter, so wie er es die ganze Zeit getan hatte. Er hatte Indiana mit diesem Lächeln begrüßt, und es hatte sich nicht um einen Deut geändert, obwohl Indy jetzt bereits seit fast einer halben Stunde dasaß und ihn beobachtete.
Er war mittlerweile fast sicher, daß der Beamte mit diesem dämlichen Grinsen auf dem Gesicht geboren worden war und daß es sein größtes und womöglich einziges Kapital darstellte.
Grisswald jedenfalls schien es langsam, aber sicher in den Wahnsinn zu treiben. Er tat Indiana beinahe leid. Es gab wohl kaum etwas Schlimmeres, als sich mit jemandem streiten zu müssen, der unentwegt lächelte, ganz egal, was man ihm an den Kopf warf. Vor allem, wenn dieser Jemand in einer Position war, wo er sich dieses überhebliche Lächeln leisten konnte.
Und das waren die beiden Regierungsbeamten. Indiana hätte nicht einmal ihre Ausweise sehen müssen, um das zu wissen.
Im Laufe der Jahre hatte er für so etwas ein feines und beina he untrügliches Gespür entwickelt.
«Dr. Jones, bitte sagen Sie doch auch einmal etwas!«Griss-wald begann fast verzweifelt die Hände zu ringen.»Ich flehe Sie an, seien Sie wenigstens vernünftig!«
Indiana genoß den Moment wie einen Schluck kostbaren Wein. Es kam sehr selten vor, daß Grisswald ihn um etwas bat.
Und im Moment bettelte er regelrecht. Deshalb zögerte er seine Antwort auch so lange heraus, wie es gerade noch möglich war.
«Vernünftig bin ich schon, Mr. Grisswald«, sagte er.»Aber was soll ich machen, wenn das Vaterland mich ruft. Als guter Patriot und Amerikaner kann ich meine Hilfe kaum verwei gern.«
Grisswalds Gesicht verlor auch noch das letzte bißchen Farbe, und Indiana schenkte ihm nicht nur sein herzlichstes Lächeln, sondern gönnte sich auch noch weitere zehn Sekunden, in denen Grisswald sich in ungesunder Nähe eines Schlaganfalles bewegte, ehe er, an die beiden Regierungsbeamten gewandt, fortfuhr:»Andererseits müssen Sie Mr. Grisswald verstehen, meine Herren. Ich war in letzter Zeit … ziemlich häufig abwesend. Und neben allem anderen bin ich auch noch Angestellter dieser Universität. Meine Studenten freuen sich zwar immer, wenn ich ihnen von meinen Abenteuern erzähle, aber das ist nicht der Grund, weswegen sie diese Universität besuchen. Sie wollen meine Vorlesungen hören, und sie haben ein Recht darauf.«
Grisswald war für einen Moment völlig perplex. Ganz offen sichtlich hatte er mit allem gerechnet; nur nicht damit, daß Indiana Jones sich auf seine Seite schlug.
Was Indiana auch nicht wirklich getan hatte. Grisswald war ihm herzlich egal. Aber seine Worte entsprachen der Wahrheit.
Er hatte in letzter Zeit tatsächlich ein paar Vorlesungen mehr ausfallen lassen, als er vor sich selbst verantworten konnte.
Und er hatte schlicht und einfach keine Lust, schon wieder zu irgendeinem vergessenen Winkel der Welt zu reisen, um für die Regierung oder sonstwen die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Selbst ein berufsmäßiger Held braucht schließlich ab und zu einmal eine Pause.
«Sie haben Dr. Jones gehört, meine Herren. «Grisswald hatte nicht nur seine Überraschung überwunden, sondern bekam bereits wieder Oberwasser.»Wir können Ihnen nicht helfen. Es tut mir leid.«
Zeit für einen kleinen Dämpfer, dachte Indiana, lächelte Grisswald zu und sagte:»Das habe ich nicht gesagt, Mr. Grisswald. «An die beiden Regierungsbeamten gewandt, fuhr er fort:»Natürlich verweigere ich der Regierung der Vereinig ten Staaten von Amerika nie meine Hilfe. Ich fürchte nur, daß ich Ihnen in diesem konkreten Fall nicht helfen kann.«
«Sie wissen ja noch gar nicht, um was es geht«, antwortete einer der beiden, der mit dem lächelnden Gesicht.
«Ich weiß genug, um zu wissen, daß ich nicht genug weiß«, antwortete Indiana. Das Lächeln seines Gegenübers wirkte plötzlich leicht verkrampft, und auch dessen Kollege und Grisswald hatten sichtlich Schwierigkeiten, den Satz nachzu-vollziehen. Aber das war nun auch der Sinn der Sache gewe sen.
«Sehen Sie, Mr …?«setzte er nach einigen Sekunden neu an.
«Franklin«, antwortete der ewig lächelnde Beamte. Er deutete auf seinen Kollegen.»Das ist Mr. Delano.«
Und wenn ihr noch einen dritten dabeihättet, hieße er Roose-velt, darauf wette ich, dachte Indiana spöttisch. Äußerlich jedoch unbewegt, fuhr er fort:»Sehen Sie, Mr. Franklin, ich bin nicht unbedingt der große Spezialist für Polynesien. Um ehrlich zu sein: Ich habe mich bisher kaum mit diesem Gebiet — «
«Das ist uns bekannt, Dr. Jones«, unterbrach ihn Franklin.
«Aber ich nehme doch an, daß Sie schon einmal etwas von den Osterinseln gehört haben.«
Indiana tauschte einen schnellen, überraschten Blick mit Grisswald. Der Dekan seiner Universität wirkte ebenso überrascht wie er. Allerdings jetzt auch interessiert. Bei dem endlosen Kleinkrieg, den Indiana und Grisswald miteinander führten, vergaß Indy manchmal beinahe, daß Grisswald nicht nur ein Ekel und der sturste Paragraphenreiter war, den er jemals getroffen hatte, sondern auch noch Wissenschaftler. Und nicht unbedingt der schlechteste. Die Osterinseln? Nun, wer hätte nicht davon gehört und von den riesigen, manchmal bis zu fünfzehn Meter hohen Statuen, die an ihren Stränden standen und über das Meer blickten? Es war — Indiana begriff im allerletzten Augenblick, daß er kurz davor stand, den Köder zu schlucken, den ihm Franklin hingeworfen hatte. In Gedan ken rief er sich zur Ordnung. Er mußte aufpassen. Franklin war kein Dummkopf. Sein penetrantes Grinsen ließ ihn harmloser aussehen, als er war.
«Natürlich habe ich das«, antwortete Indiana.»Aber ich muß Sie leider abermals enttäuschen. Ich habe lediglich ein paar Aufsätze darüber gelesen. Interessant, aber nicht mein Gebiet. Es gibt Kollegen, die sehr viel mehr darüber wissen als ich.«
«Niemand weiß viel über die Osterinseln, Dr. Jones«, antwor tete Franklin.»Es gab bisher nur eine einzige wissenschaftliche Expedition dorthin, und die hat sehr viel mehr Fragen als Antworten mitgebracht. Wir brauchen kein Wissen, Dr. Jones, wir brauchen Sie.«
«Wozu?«fragte Grisswald.
Delano blickte ihn an, als nähme er seine Anwesenheit erst jetzt richtig wahr; und er schien nicht unbedingt erfreut. Aber Indiana sah auch den raschen, beredten Blick, den Franklin seinem Kollegen zuwarf, und plötzlich änderte sich etwas in Delanos Gesichtsausdruck.
«Lassen Sie es mich so formulieren, Mr. Grisswald«, begann er umständlich.»Diese sonderbaren Statuen auf den Osterin-seln stellen eine der größten wissenschaftlichen Herausforde rungen dar, die wir kennen. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist entschlossen, diese Herausforderung anzunehmen.
Wir planen eine Expedition, und wer wäre besser geeignet, eine solche Expedition zu leiten, als Dr. Jones?«
«Eine Expedition?«Grisswald wurde hellhörig.»Zu den Osterinseln?«
«Mit voller Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten«, bestätigte Franklin.»Wir haben ein Schiff, wir haben die nötige Ausrüstung und einige gute Männer. Was uns noch fehlt, ist ein fähiger Expeditionsleiter.«
«Und wieso kommen Sie da ausgerechnet auf mich?«fragte Indiana.»Ich kenne ein Dutzend Kollegen, die ihren rechten Arm dafür geben würden — und so ganz nebenbei besser dafür geeignet wären.«
«Und genau das bezweifle ich, Dr. Jones«, antwortete Frank lin lächelnd.»Die Osterinseln sind praktisch unerforschtes Gebiet. Niemand weiß, auf was wir wirklich stoßen werden. Es könnte gefährlich werden, zumindest aber strapaziös. Wissen schaftliche Kapazitäten, noch dazu solche, die über Ihre … äh, speziellen Fähigkeiten verfügen, Dr. Jones, sind dünn gesät.«
«Trotzdem — «, begann Indiana, wurde aber wieder unterbro chen, diesmal von Grisswald.
«Eine Expedition im Auftrag der Regierung?«fragte er aufgeregt.»Aber warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt?
Selbstverständlich wird unsere Universität alles in ihrer Macht Stehende tun, um Sie zu unterstützen. Vorausgesetzt — «
«Natürlich werden Sie und Ihre Universität die ersten sein, die die Ergebnisse der Expedition auswerten dürfen«, sagte Franklin.»Wir garantieren Ihnen sogar strengste Diskretion, Mr. Grisswald. Uns ist nicht daran gelegen, unser Unterneh men an die große Glocke zu hängen und uns einer Armee von Abenteurern und Schatzsuchern gegenüberzusehen, die uns mit Klappspaten zuvorzukommen versuchen.«
Grisswald strahlte.
Indiana starrte ihn fassungslos an. Franklins Geschichte war so dünn, daß ein achtjähriges Kind sie durchschauen konnte.
Grisswald konnte doch unmöglich darauf hereinfallen!
Aber er tat es.
«Dr. Jones wird Ihnen mit großem Vergnügen zur Verfügung stehen, Mr. Franklin«, sagte er. Indiana ächzte.»Aber Grisswald. Sie — «»Und ich auch«, fügte Grisswald hinzu.
«Okay«, sagte Indiana später, als er mit Franklin allein war.
«Worum geht es wirklich? Sie brauchen mich bestimmt nicht, um das Geheimnis irgendwelcher Götterstatuen auf einer menschenleeren Insel zu lösen!«
Sie hatten die Universität unmittelbar nach ihrem Gespräch verlassen, und wenn es noch eines weiteren Beweises dafür bedurft hätte, daß Franklins Geschichte zum Himmel stank, dann wäre es die Eile gewesen, zu der die beiden Regierungs beamten plötzlich drängten. Franklin hatte Indiana höchstper sönlich nach Hause gefahren, damit er ein paar Sachen für die Reise packen konnte, und Delano hatte das gleiche mit Griss-wald getan. Jetzt standen sie in Indianas Schlafzimmer vor einem aufgeklappten Koffer. Indiana machte jedoch keine Anstalten, den zu füllen, sondern sah sein Gegenüber nur herausfordernd an.
«Wieso?«fragte Franklin.»Interessiert es Sie etwa nicht, Dr. Jones?«
«Doch!«antwortete Indiana.»Aber Sie interessiert es nicht die Bohne, Franklin. Und Ihren Kollegen noch viel weniger, darauf verwette ich ein Jahresgehalt. Ich bin sicher, daß Sie vor zwei Tagen nicht einmal wußten, wo die Osterinseln liegen!«
«Wenn ich ganz ehrlich sein soll — so genau weiß ich es auch jetzt noch nicht«, antwortete Franklin mit unverblümter Offenheit.»Das muß ich allerdings auch nicht wissen. Meine und Delanos Aufgabe besteht nicht darin, etwas zu wissen, sondern Leute aufzutreiben, die dieses Wissen haben. «Er deutete auf den offenstehenden Koffer.»Bitte, Dr. Jones, beeilen Sie sich ein wenig. Das Flugzeug wartet.«
«Sie haben es verdammt eilig, finde ich«, sagte Indiana.»Ich frage mich nur, warum. Diese Statuen stehen schon seit einigen hundert Jahren dort. Haben Sie Angst, sie könnten weglaufen, wenn wir jetzt ein paar Minuten zu spät kommen?«
«Vielleicht«, antwortete Franklin.
Ein eisiger Schauer lief über Indianas Rücken. Seine Worte waren spöttisch gemeint gewesen, aber als er in Franklins Gesicht sah, blieb ihm das Lachen im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken.
«Bitte, Dr. Jones«, fuhr Franklin nach einer Weile fort.»Wir haben einen weiten Weg vor uns, und nicht alle Flugzeuge werden auf uns warten. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe keine besondere Lust, unter Umständen zwei Tage in irgendeinem gottverlassenen Hotel hocken zu müssen, nur weil wir jetzt zu lange herumgetrödelt haben.«
«Flugzeuge?«Indiana runzelte mißtrauisch die Stirn, begann aber trotzdem, beinahe wahllos Kleidungsstücke in seinen Koffer zu werfen.»Ich war der Meinung, wir fahren mit einem Schiff.«
«Das werden wir auch. Die HENDERSON wartet in Sydney auf uns.«
«Sydney?«Indiana machte ein übertrieben nachdenkliches Gesicht.»Also, ich war nie sehr gut in Geographie, aber … liegt das nicht in Australien?«
Franklin lachte leise.»Es ist seine Hauptstadt.«
«Aha«, sagte Indiana. Er schwieg zehn Sekunden, dann grübelte er weiter:»Also, wie gesagt, Geographie war nie mein bestes Fach. Aber ist es nicht ein ziemlicher Umweg, über Australien zu den Osterinseln zu reisen?«
«Ein gewaltiger sogar«, antwortete Franklin, der alle Mühe hatte, nicht vor Lachen laut herauszuplatzen.»Deswegen sind wir ja auch so in Eile. Sehen Sie — es ist ein Umweg, aber wir haben alles, was wir für diese Expedition brauchen, auf einem Schiff im Hafen von Sydney. Und es ist einfach leichter, Sie zu diesem Schiff zu bringen als das Schiff zu Ihnen. Ich nehme doch an, daß es in Ihrem Sinne ist, wenn wir dorthin nur drei Tage brauchen, und nicht drei Wochen, oder?«
Indiana knallte den Koffer zu, klemmte sich dabei beide Daumen und verzog schmerzhaft das Gesicht.»Es wäre vor allem in meinem Sinne, endlich die Wahrheit zu erfahren«, maulte er.
Franklin lächelte.