Karlsson vom Dach fliegt wieder


Die Welt ist so groß, und es gibt so viele Häuser. Große Häuser und kleine Häuser gibt es, hübsche Häuser und häßliche Häuser, alte Häuser und neue Häuser. Und dann gibt es ein ganz, ganz kleines Haus für Karlsson vom Dach. Es ist das beste Haus der Welt, findet Karlsson, und genau das richtige für den besten Karlsson der Welt. Das findet Lillebror auch.

Lillebror wohnt mit Mama und Papa und mit Birger und Betty in einem ganz gewöhnlichen Haus in einer ganz gewöhnlichen Straße in Stockholm. Aber oben auf dem Dach gleich hinter dem Schornstein, da steht das kleine Karlssonhaus. Auf dem Türschild steht:

KARLSSON VOM DACH

Der beste Karlsson der Welt

Man findet es vielleicht sonderbar, daß jemand auf dem Dach wohnt, aber Lillebror sagt:

„Was ist denn da Komisches dran? Die Leute dürfen doch wohnen, wo sie wollen!"

Mama und Papa finden ebenfalls, die Leute dürften wohnen, wo sie wollen. Anfangs glaubten sie nicht, daß es den Karlsson gäbe. Birger und Betty glaubten es auch nicht. Sie konnten nicht glauben, daß da oben ein kleiner dicker Mann wohnte, der einen Propeller auf dem Rücken hatte und fliegen konnte.

„Du schwindelst, Lillebror", sagten Birger und Betty. „Karlsson ist nur eine Einbildung."

Lillebror fragte sicherheitshalber Karlsson, ob er eine Einbildung sei, aber da sagte Karlsson:

„Die sind selber 'ne Einbildung."

Mama und Papa meinten, Karlsson sei nur ein erdachter Spiel-gefährte von Lillebror, wie ihn sich manche Kinder zulegen, wenn sie sich einsam fühlen.

„Der arme Lillebror", sagte Mama. „Birger und Betty sind so viel älter. Er hat niemand zum Spielen. Deshalb phantasiert er von diesem Karlsson."

„Ja, wir werden ihm wohl einen Hund schenken müssen", sagte Papa. „Den hat er sich schon so lange gewünscht. Und wenn er den erst hat, wird er Karlsson völlig vergessen."

So ging es zu, daß Lillebror Bimbo bekam. Er bekam einen Hund, der ihm ganz allein gehörte. Und zwar an dem Tag, als er acht Jahre alt wurde.

Es war auch genau der Tag, an dem Mama und Papa und Birger und Betty endlich Karlsson mit eigenen Augen sahen. Wahrhaftig, sie sahen ihn mit eigenen Augen! Und das ging so zu: Lillebror feierte in seinem Zimmer Geburtstag. Er hatte Krister und Gunilla eingeladen. Die gingen mit ihm in dieselbe Klasse. Als nun Mama und Papa und Birger und Betty hörten, wie drinnen bei Lillebror gelacht und geplappert wurde, da sagte Mama:

„Hört nur, wie lustig sie da drinnen sind! Kommt, wir schauen mal hinein!"

„Ja, das machen wir", sagte Papa.

Und was sahen sie, als sie die Tür öffneten und in Lillebrors Zimmer hineinguckten? Wer saß da an der Geburtstagstafel mit Sahnetorte im ganzen Gesicht und futterte, daß er schier platzen wollte? Wer anders als ein dicker kleiner Mann, der juchzte und schrie:

„Heißa hopsa, mein Name ist Karlsson vom Dach. Ihr habt wohl noch nicht die Ehre gehabt, mich kennenzulernen, glaube ich."

Es fehlte nicht viel, und Mama wäre ohnmächtig umgesunken.

Und Papa wurde ganz unruhig.

„Erzählt das bloß keinem Menschen", sagte er. „Unter gar keinen Umständen."

„Weshalb denn nicht?" fragte Birger.

Und Papa erklärte es ihnen:

„Stellt euch vor, was es hier für einen Trubel gäbe, wenn die Leute das mit Karlsson merkten. Bestimmt käme er dann ins Fernsehen. Wir würden im Treppenhaus über Fernsehdrähte und Filmkameras stolpern, und alle halbe Stunde würde ein Presse-fotograf kommen und Karlsson und Lillebror fotografieren wollen. Der arme Lillebror, er würde ,der Junge, der Karlsson vom Dach entdeckt hat', werden - wir hätten in unserem ganzen Leben keine ruhige Stunde mehr."

Das sahen Mama und Birger und Betty ein, und darum ver-sprachen sie sich gegenseitig in die Hand, keinem jemals von Karlsson zu erzählen.

Am Tage nach seinem Geburtstag sollte Lillebror zu seiner Großmutter aufs Land fahren und dort den ganzen Sommer bleiben. Darauf freute er sich sehr, aber er machte sich Sorgen wegen Karlsson. Was konnte Karlsson nicht unterdessen alles einfallen! Man stelle sich vor, wenn er verschwände und weg-bliebe!

„Lieber, lieber Karlsson, es ist doch ganz sicher, daß du noch auf dem Dach wohnst, wenn ich von meiner Großmutter zurückkomme?" fragte Lillebror.

„Das kann man nie wissen", sagte Karlsson. „Ich fahre auch zu meiner Großmutter. Die ist viel großmuttriger als deine, und sie findet, ich bin der beste Enkel der Welt. Man kann daher nie wissen ... Sie wäre ja dumm, wenn sie den besten Enkel der Welt weglassen würde, nicht wahr?"

„Wo wohnt deine Großmutter?" erkundigte sich Lillebror.

„In einem Haus", erwiderte Karlsson. „Glaubst du, sie rennt nachts immer draußen herum?"

Mehr erfuhr Lillebror nicht. Und am nächsten Tag reiste er zu seiner Großmutter. Bimbo nahm er mit. Auf dem Lande war es schön. Lillebror spielte den ganzen Tag. An Karlsson dachte er nicht so häufig. Als aber die Sommerferien zu Ende waren und er nach Stockholm zurückkehrte, da fragte er nach Karlsson, kaum daß er zur Tür hereingekommen war.

„Mama, hast du Karlsson mal gesehen?"

Die Mutter schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe ihn nicht gesehen. Er ist sicher weggezogen."

„Red doch nicht so", sagte Lillebror. „Ich will, daß er immer weiter auf dem Dach wohnt, er muß zurückkommen."

„Du hast doch aber Bimbo", sagte Mama. Sie hoffte, ihn damit zu trösten. Sie fand es ganz schön, Karlsson los zu sein.

Lillebror streichelte Bimbo.

„Ja, gewiß. Und er ist so ein guter Hund. Aber er hat keinen Propeller und kann nicht fliegen, und mit Karlsson kann man besser spielen."

Lillebror lief in sein Zimmer und machte das Fenster auf.

„Karlsson, bist du da oben?" schrie er so laut, wie er konnte. Es kam aber keine Antwort. Und am nächsten Tag fing die Schule wieder an. Lillebror ging jetzt in die zweite Klasse. Jeden Nachmittag saß er in seinem Zimmer und machte seine Schulaufgaben. Er hatte das Fenster geöffnet, damit er hören könnte, ob irgendein Motor brummte, der wie Karlssons klang.

Das einzige Brummen aber, das er hörte, kam von den Autos unten auf der Straße und manchmal von einem Flugzeug oben über den Dächern. Nie hörte er das Brummen von Karlssons Motor.

„Ja, er ist sicher weggezogen", sagte Lillebror betrübt vor sich hin. „Er kommt wohl nie mehr zurück."

Wenn er abends ins Bett gegangen war, dachte er an Karlsson, und mitunter weinte er leise ein bißchen unter der Bettdecke, weil Karlsson nicht mehr da war. So vergingen die Tage mit der Schule und den Schularbeiten und keinem Karlsson.

Eines Nachmittags saß Lillebror in seinem Zimmer und beschäftigte sich mit seinen Briefmarken. Er hatte schon eine ganze Menge in seinem Briefmarkenalbum, aber ziemlich viele warteten noch darauf, eingeklebt zu werden. Lillebror machte sich an die Arbeit und war fast fertig mit dem Einkleben. Nur eine Briefmarke war noch übrig, die allerschönste, die hatte er sich bis zuletzt aufgehoben. Es war eine deutsche Marke mit Rotkäppchen und dem Wolf darauf, oh, Lillebror fand sie so hübsch. Er legte sie vor sich auf den Tisch.

Im selben Augenblick hörte er ein Brummen draußen vor dem Fenster. Ein Brummen, das so klang wie ja, tatsächlich, es klang wie Karlsson. Und es war Karlsson. Er dröhnte geradewegs zum Fenster herein und schrie:

„Heißa hopsa, Lillebror!"

„Heißa hopsa, Karlsson!" rief Lillebror. Er sprang auf und stand ganz glücklich da und sah zu, wie Karlsson ein paar Runden um die Deckenlampe machte, bis er mit einem kleinen Bums vor Lillebror landete. Sobald Karlsson den Motor abgestellt hatte -

er mußte dafür an einem kleinen Knopf drehen, den er auf dem Bauch hatte -, wollte Lillebror auf ihn zustürzen und ihn umarmen. Da stieß Karlsson ihn aber mit seiner kurzen dicken Hand zurück und sagte:

„Ruhig, nur ruhig! Gibt's was zu essen? Ein paar Fleischklöße oder dergleichen? Oder vielleicht ein bißchen Sahnetorte?"

Lillebror schüttelte den Kopf.

„Nööö, heute hat Mama keine Fleischklöße gemacht. Und Sahnetorte haben wir nur, wenn Geburtstag ist."

Karlsson schnaubte.

„Was ist das eigentlich für eine Familie? ,Nur wenn Geburtstag ist?' Wenn aber ein lieber alter Freund kommt, den man monatelang nicht gesehen hat? Man sollte doch meinen, deine Mama könnte sich dann ein bißchen anstrengen."

„Ja, aber wir wußten nicht...", begann Lillebror.

„Wußten nicht", sagte Karlsson. „Ihr hättet die Hoffnung haben können. Ihr hättet die Hoffnung haben können, daß ich eines Tages käme, und das hätte deiner Mama genügen müssen, mit der einen Hand Klöße zu drehen und mit der anderen Sahne zu schlagen."

„Wir hatten Bratwurst zu Mittag", sagte Lillebror beschämt.

„Vielleicht möchtest du ..."

„Bratwurst! Wenn ein lieber alter Freund kommt, den man monatelang nicht gesehen hat!"

Karlsson schnaubte abermals.

„Nun ja, will man in diesem Haus verkehren, dann muß man lernen, sich in allerlei zu fügen . .. Her mit der Bratwurst!"

Lillebror rannte, so schnell er konnte, in die Küche. Mama war nicht zu Hause, sie war beim Arzt, er konnte sie daher nicht fragen. Er wußte aber, daß er Karlsson zu Bratwurst einladen durfte. Auf einem Teller lagen fünf Stücke, die übriggeblieben waren, und die nahm er für Karlsson mit. Und Karlsson stürzte sich darauf wie ein Habicht. Er stopfte sich den Mund mit Bratwurst voll und sah ganz zufrieden aus.

„Naja",sagte er, „für Bratwurst schmeckt sie gar nicht so übel.

Natürlich nicht so wie Fleischklöße, aber von manchen Leuten darf man nicht zuviel verlangen."

Lillebror verstand, daß er „manche Leute" war, und daher beeilte er sich, von etwas anderem zu reden.

„Hattest du es schön bei deiner Großmutter?" fragte er.

„Ich hatte es so schön, daß man es gar nicht erzählen kann", sagte Karlsson. „Und darum habe ich mir auch vorgenommen, nichts davon zu erzählen." Und er biß hungrig in seine Wurst.

„Ich hatte es auch schön", sagte Lillebror. Er begann, Karlsson zu erzählen, was er alles bei seiner Großmutter gemacht hatte.

„Sie ist so gut, so gut, meine Großmutter", sagte Lillebror. „Und du kannst dir nicht denken, wie sie sich freute, als ich kam. Sie drückte mich, so sehr sie konnte."

„Warum denn?" fragte Karlsson.

„Weil sie mich gern hat. Verstehst du das nicht?" sagte Lillebror.

Karlsson hörte auf zu kauen.

„Und du denkst natürlich, meine Großmutter hat mich nicht besonders gern, was? Du glaubst natürlich nicht, daß sie mich hochhob und mich drückte, bis ich blau im Gesicht wurde, nur weil sie mich so gern hat, das glaubst du nicht, was? Ich will dir aber mal was sagen: Meine Großmutter hat ein Paar kleine Fäuste, so hart wie Eisen, und wenn sie mich nur ein einziges Gramm mehr gemocht hätte, dann säße ich jetzt nicht hier, dann wär's mit mir aus gewesen."

„So so", sagte Lillebror, „die Großmutter, die konnte aber mächtig drücken."

So sehr hatte seine Großmutter ihn allerdings nicht gedrückt, aber sie hatte ihn doch gern, und sie war auch immer gut zu ihm gewesen. Das erklärte er Karlsson.

„Sie kann aber auch so nörglig sein wie keine auf der Welt", sagte Lillebror, nachdem er ein wenig überlegt hatte. „Sie nörgelt immerzu und immerzu, man soll die Strümpfe wechseln, und man soll sich nicht mit Lasse Jansson zanken und so was alles."

Karlsson schleuderte den Teller weg, als er ihn leergegessen hatte.

„Und du glaubst natürlich, meine Großmutter wäre gar nicht nörglig, was? Du glaubst natürlich nicht, daß sie den Wecker gestellt hat und jeden Morgen um fünf Uhr hochgespritzt ist, nur um lange genug nörgeln zu können, ich solle die Strümpfe wechseln und mich nicht mit Lasse Jansson zanken?"

„Kennst du denn Lasse Jansson?" fragte Lillebror verwundert.

„Nein, Gott sei Dank nicht", sagte Karlsson.

„Warum sagte denn aber deine Großmutter ...", erkundigte sich Lillebror.

„Weil sie die nörgligste Großmutter der Welt ist", sagte Karlsson. „Vielleicht kapierst du es jetzt endlich. Du kennst Lasse Jansson und willst dann behaupten, deine Großmutter wäre so nörglig wie keine auf der ganzen Welt? Aber meine Großmutter, die nörgelt den ganzen Tag, daß ich mich nicht mit Lasse Jansson zanken soll, obgleich ich den Bengel nie gesehen habe und von ganzem Herzen hoffe, ich brauche ihn auch nie zu sehen."

Lillebror grübelte. Es war wirklich sonderbar: Ihm hatte es sehr wenig gefallen, wenn die Großmutter an ihm herumnörgelte, aber jetzt hatte er plötzlich das Gefühl, er müsse Karlsson über-trumpfen und die Großmutter nörgliger machen, als sie war.

„Sowie ich nur ein ganz, ganz klein wenig nasse Füße hatte, fing sie an zu nörgeln, ich solle die Strümpfe wechseln", versicherte Lillebror.

Karlsson nickte.

„Und du glaubst natürlich, meine Großmutter wollte nicht, daß ich die Strümpfe wechsele, was? Du glaubst natürlich nicht, daß sie durch das ganze Dorf angeprescht kam, sowie ich draußen war und in eine Wasserpfütze trat, und nörgelte und nörgelte: , Wechsle die Strümpfe, Karlssonchen, wechsle die Strümpfe!'

Das glaubst du wohl nicht, was?"

Lillebror drehte und wand sich.

„Doch, das kann schon sein ..."

Karlsson drückte ihn auf einen Stuhl und stellte sich vor ihn, die Hände in die Seiten gestemmt.

„Nee, das glaubst du nicht. Aber jetzt hör mal zu, ich werde dir erzählen, wie es war. Ich war draußen und trat in eine Wasserpfütze - kapierst du das? Und ich hatte mächtigen Spaß. Und mittendrin kommt Großmutter angeprescht und schreit, daß es im ganzen Ort zu hören ist: ,Wechsle die Strümpfe, Karlssonchen, wechsle die Strümpfe!'"

„Und was hast du gesagt?" fragte Lillebror.

„,Das tu' ich aber nicht', sagte ich, denn ich bin der Ungehor-samste der Welt", versicherte Karlsson. „Und darum rannte ich Großmutter weg und kletterte auf einen Baum, um Ruhe zu haben."

„Da war sie wohl baff", sagte Lillebror.

„Man merkt, daß du meine Großmutter nicht kennst", sagte Karlsson. „Großmutter kam hinterher."

„Auf den Baum rauf?" fragte Lillebror erstaunt.

Karlsson nickte.

„Du glaubst natürlich, meine Großmutter könnte nicht auf Bäume klettern, was? O doch, du, wenn sie nörgeln will, dann klettert sie so hoch, wie man's nicht für möglich hält. »Wechsle die Strümpfe, Karlssonchen, wechsle die Strümpfe', sagte sie und rutschte auf dem Ast entlang, auf dem ich saß."

„Was hast du da gemacht?" fragte Lillebror.

„Ja, was sollte ich machen", sagte Karlsson. „Ich wechselte die Strümpfe, da war nichts zu wollen. Hoch oben auf dem Baum, auf einem kümmerlichen kleinen Ast, da saß ich und wechselte unter Lebensgefahr die Strümpfe."

„Haha, jetzt hast du aber geschwindelt", sagte Lillebror. „Oben auf dem Baum hattest du doch keine Strümpfe zum Wechseln bei dir."

„Du bist aber schön dumm", sagte Karlsson. „Ich hatte keine Strümpfe zum Wechseln?"

Er zog die Hosen hoch und zeigte auf seine kurzen dicken Beine in heruntergerutschten Ringelstrümpfen.

„Was ist das hier?" sagte er. „Sind das vielleicht keine Strümpfe? Zwei Stück, wenn ich mich nicht irre. Und saß ich etwa nicht da auf meinem Ast und wechselte die Strümpfe, so daß ich den linken Strumpf auf den rechten Fuß zog und den rechten auf den linken Fuß? Das soll ich etwa nicht getan haben? Bloß meiner alten Großmutter zu Gefallen?"

„Ja, aber dadurch kriegtest du doch nicht trocknere Füße", sagte Lillebror.

„Habe ich das behauptet?" fragte Karlsson. „Wie?"

„Ja, aber dann ...", stotterte Lillebror, „dann hast du ja ganz umsonst die Strümpfe gewechselt!"

Karlsson nickte.

„Begreifst du jetzt, wer die nörgligste Großmutter der Welt hat?

Deine Großmutter nörgelt, weil es nötig ist, wenn man einen so verstockten Enkel hat wie dich. Aber meine ist die nörgligste der Welt, die nörgelt nämlich ganz unnötig über midi. Kannst du das endlich in deinen armen Schädel reinkriegen?"

Dann aber brach Karlsson in ein schallendes Gelächter aus und versetzte Lillebror einen kleinen Knuff.

»Heißa hopsa, Lillebror", sagte er. „Nun pfeifen wir auf unsere Großmütter! Jetzt finde ich, wir sollten es uns gemütlich machen."

„Heißa hopsa, Karlsson, das finde ich auch", sagte Lillebror.

„Hast du eine neue Dampfmaschine bekommen?" erkundigte sich Karlsson. „Weißt du noch, was wir für einen Spaß hatten, als wir die alte in die Luft gehen ließen? Hast du keine neue bekommen? Dann könnten wir das noch mal machen."

Lillebror hatte aber keine neue Dampfmaschine bekommen, und Karlsson sah recht ungehalten aus. Da gewahrte er jedoch zum Glück den Staubsauger, den Mama in Lillebrors Zimmer vergessen hatte, als sie hier vor einer Weile saubergemacht hatte. Mit einem kleinen Freudenschrei sprang Karlsson darauf zu und knipste den Schalter an.

„Der beste Staubsaugersauger der Welt, rate, wer das ist!"

Und er begann, aus allen Kräften Staub zu saugen.

„Wenn es um mich her nicht ein bißchen säuberlich ist, dann mach' ich nicht mit", sagte er. „Es ist notwendig, daß dieser Schmutz wegkommt. Was ihr für 'n Glück habt, daß ihr den besten Staubsaugersauger der Welt hier habt."

Lillebror wußte, daß Mama das Zimmer überall ganz gründlich gesaugt hatte, und das sagte er. Karlsson aber lachte höhnisch.

„Weibsleute können mit solchen Apparaten nicht umgehen, das weiß doch jedes Kind. Nein, so wird es gemacht", sagte Karlsson und ging daran, die dünnen weißen Gardinen abzusaugen, so daß die eine mit einem kleinen Zischlaut halb in den Staubsauger hineinflutschte.

„Nein, laß das!" schrie Lillebror. „Die Gardine ist zu dünn!

Siehst du nicht, daß sie im Staubsauger hängenbleibt? Laß das!"

Karlsson zuckte mit den Schultern.

„Ja, wenn du in Schmutz und Dreck leben magst, dann meinetwegen", sagte er.

Ohne den Staubsauger abzustellen, begann er, an der Gardine zu zerren und zu ziehen. Die aber saß ganz fest, und der Staubsauger ließ sie nicht los.

„Da hast du dicht aber geirrt", sagte Karlsson zu dem Staubsauger. „Du hast Karlsson vom Dach vor dir, den besten Drachenkämpfer der Welt."

Er riß nun gehörig an der Gardine und bekam sie heraus. Nun war sie ziemlich schwarz und außerdem etwas zerrissen.

„Oh, guck bloß, wie die Gardine aussieht", sagte Lillebror unglücklich. „Guck, sie ist ganz schwarz!"

„Jaja, und du meinst, so eine Gardine brauche nicht abgesaugt zu werden, du kleiner Schmutzfink", sagte Karlsson.

Er streichelte Lillebror den Kopf.

„Aber sei nicht traurig, deswegen kannst du doch ein braver Kerl werden, wenn du auch ein bißchen zum Dreckigsein neigst.

Ich werde dich übrigens mal ein bißchen staubsaugen. Oder hat deine Mama das schon getan?"

„Nein, das hat sie wahrhaftig nicht getan", sagte Lillebror.

Karlsson ging mit dem Staubsauger auf Lillebror los.

„Ja, da siehst du's mal, diese Weibsleute", sagte er. „Saugen das ganze Zimmer und vergessen das allerschmutzigste Stück!

Komm, wir fangen mit den Ohren an!"

Noch nie in seinem Leben war Lillebror abgesaugt worden, aber jetzt wurde er abgesaugt, und es kitzelte so, daß er vor Lachen quiekte. Karlsson machte es gründlich. Er saugte ihm die Ohren und die Haare und den Hals rundherum und saugte unter den Armen und auf dem Rücken und auf dem Bauch und bis ganz zu den Füßen hinunter.

„So was nennt man Großreinmachen", sagte Karlsson.

»Ich kann dir sagen, das kitzelt aber!" sagte Lillebror.

„Ja, dafür müßtest du eigentlich extra bezahlen", sagte Karlsson.

Danach wollte Lillebror bei Karlsson großreinmachen.

„Jetzt bin ich dran. Komm, ich sauge dir deine Ohren!"

„Ist nicht nötig", sagte Karlsson. „Die habe ich erst vorigen Herbst gewaschen. Hier gibt es manches, was es viel nötiger hat."

Er schaute sich im Zimmer um und entdeckte Lillebrors Briefmarke, die auf dem Tisch lag.

„Hier liegen überall garstige Papierchen herum", sagte er. Und bevor Lillebror ihn daran hindern konnte, hatte er Rotkäppchen in den Staubsauger gesaugt.

Da geriet Lillebror ganz außer sich.

„Meine Briefmarke!" schrie er. „Jetzt hast du Rotkäppchen aufgesaugt! Das verzeihe ich dir nie."

Karlsson stellte den Staubsauger ab und verschränkte die Arme über der Brust.

„Entschuldige", sagte er, „entschuldige, daß man ein guter und hilfsbereiter und reinlicher kleiner Mensch ist, der hier im Leben nur sein Bestes tun möchte. Entschuldige bitte!"

Es klang, als wollte er gleich anfangen zu weinen.

„Es hat gar keinen Zweck", sagte er, und seine Stimme zitterte.

„Man bekommt doch nie einen Dank - nur ausgeschimpft wird man immer."

„Oh", sagte Lillebror, „oh, sei nicht böse, aber du mußt doch verstehen, das Rotkäppchen..."

„Was ist das für 'ne alte Rotkappe, um die du solch ein Geschrei machst?" fragte Karlsson, und nun weinte er nicht mehr.

„Das ist Rotkäppchen, die ist auf der Briefmarke", sagte Lillebror. „Es ist meine schönste Briefmarke."

Karlsson stand still und grübelte. Auf einmal leuchteten seine Augen auf, und er lachte verschmitzt.

„Der beste Spielausdenker der Welt, rate, wer das ist! Und rate, was wir spielen wollen: ,Rotkäppchen und der Wolf! Wir spielen, daß der Staubsauger der Wolf ist, und ich bin der Jäger, der ihm den Bauch aufschlitzt, und, hui, kommt Rotkäppchen raus."

Er sah sich eifrig um.

„Hast du irgendwo ein Beil? So ein Staubsauger, der ist hart wie Eisen."

Lillebror hatte kein Beil, und darüber war er froh.

„Man kann ja den Staubsauger aufmachen und so tun, als hätte man dem Wolf den Bauch aufgeschlitzt."

„Ja, wenn man Pfuscharbeit machen will", sagte Karlsson. „Das ist aber nicht meine Art, wenn ich Wölfe aufschlitze. Da es aber in diesem kümmerlichen Haus kein Handwerkszeug zu geben scheint, müssen wir eben so tun als ob!"

Er warf sich über den Staubsauger und biß in den Handgriff.

„Du dummer Kerl!" schrie er. „Was fällt dir ein, Rotkäppchen aufzusaugen?"

Lillebror fand Karlsson reichlich kindisch, aber wenn man so zuschaute, machte es trotzdem Spaß.

„Ruhig, nur ruhig, kleines Rotkäppchen", rief Karlsson. „Setz dir die Mütze auf und zieh die Gummischuhe an, denn jetzt kommst du raus!"

Und dann öffnete Karlsson den Staubsauger und kippte alles, was darin war, auf dem Teppich aus. Es war ein großer, grauer, garstiger Haufen.

„O weh, du hättest das lieber in eine Papiertüte ausleeren sollen", sagte Lillebror.

„Papiertüte steht das so im Märchen?" fragte Karlsson. „Steht da, daß der Jäger dem Wolf den Bauch aufschlitzte und Rotkäppchen in eine Papiertüte ausleerte? Steht das da?"

„Nöö", sagte Lillebror, „das nicht gerade ..."

„Na, dann sei doch still", sagte Karlsson. „Sag doch nicht so was, was nicht dasteht, sonst mach' ich nämlich nicht mit!"

Dann konnte er nichts mehr sagen, denn vom Fenster kam ein Luftzug, und nun flog ihm eine ganze Menge Staub um die Nase. Er mußte niesen. Er nieste mitten in den Staubhaufen hinein. Dadurch kam ein kleines Stückchen Papier in Bewegung, flog durch das Zimmer und blieb genau vor Lillebror liegen.

„Sieh mal, da ist Rotkäppchen!" rief Lillebror und hob die staubige kleine Briefmarke schleunigst auf.

Karlsson sah zufrieden aus.

„So mach' ich das", sagte er. „Ich niese nur ein einziges Mal, und schon schaffe ich Sachen herbei. Vielleicht hörst du jetzt also auf, wegen Rotkäppchen zu zetern!"

Lillebror putzte seine Briefmarke sauber und freute sich sehr.

Da nieste Karlsson noch einmal, und eine Staubwolke wirbelte vom Fußboden auf.

„Der beste Nieser der Welt, rate, wer das ist!" sagte Karlsson.

„Ich kann allen Staub auf den Platz zurückniesen, wo er hinge-hört. Warte, du sollst mal sehen."

Lillebror hörte nicht zu. Er dachte jetzt nur noch an seine Briefmarke, die er schnell einkleben wollte.

Karlsson aber stand inmitten einer Staubwolke und nieste. Er nieste und nieste, und als er fertig geniest hatte, war fast der ganze Staubhaufen vom Fußboden weggeniest.

„Da siehst du, eine Papiertüte ist gar nicht nötig", sagte Karlsson. „Und jetzt liegt aller Staub da, wo er immer liegt. Ordnung muß sein, so gefällt es mir. Wenn ich es nicht ein bißchen säuberlich um mich habe, dann mach' ich nicht mit!"

Lillebror aber betrachtete nur seine Briefmarke. Die war jetzt eingeklebt. Oh, wie schön sie war!

„Muß man dir noch einmal die Ohren aussaugen?" fragte Karlsson. „Du hörst ja nicht zu."

»Was hast du gesagt?" fragte Lillebror.

„Ich habe gesagt: Es ist doch wohl nicht so gedacht, daß ich allein rackern und schuften soll, bis ich Blasen an den Händen kriege. Hier habe ich für dich geputzt und geputzt, da ist es nicht zuviel verlangt, daß du mit raufkommst und jetzt bei mir putzt."

Lillebror warf das Briefmarkenalbum hin. Mit aufs Dach hin-aufgehen - es gab nichts, was er lieber getan hätte! Er war nur ein einziges Mal in Karlssons kleinem Haus oben auf dem Dach gewesen. Damals hatte Mama gewaltigen Lärm geschlagen und die Feuerwehr gerufen, damit die ihn wieder herunterhole.

Lillebror überlegte. Das war lange her, er war jetzt ein so großer Junge geworden, daß er auf jedes beliebige Dach klettern konnte. Ob Mama das aber einsah, das hätte er gern gewußt. Sie war ja nicht zu Hause, daher konnte er sie nicht fragen. Wahrscheinlich war es klüger, wenn man es ließ.

„Na, kommst du mit?" fragte Karlsson.

Lillebror überlegte es sich noch einmal.

„Wenn du mich aber losläßt, während wir fliegen", sagte er besorgt.

Karlsson sah gar nicht besorgt aus.

„Na wenn schon", sagte er, „es gibt so viele Kinder. Eins mehr oder weniger, das stört keinen großen Geist."

Lillebror wurde richtig böse auf Karlsson.

„Bei mir stört es aber wohl einen großen Geist, wenn ich es nämlich bin, der runterfällt."

„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson und streichelte ihm den Kopf. „Du fällst nicht runter. Ich halte dich genauso fest, wie meine Großmutter mich festgehalten hat. Wenn du auch nur ein schmuddeliger kleiner Junge bist, so gefällst du mir gewissermaßen doch ganz gut. Besonders jetzt, wo du großreingemacht worden bist und so."

Er streichelte Lillebror noch einmal.

„Ja, es ist komisch, aber du gefällst mir trotzdem, wenn du auch

'n dummer kleiner Junge bist. Wart nur, bis wir auf dem Dach sind, dann drücke ich dich, daß du blau im Gesicht wirst, genau wie meine Großmutter es mit mir gemacht hat."

Er drehte an den Knopf auf seinem Bauch, der Motor sprang an, und Karlsson umfaßte Lillebror mit festem Griff. Sie flogen zum Fenster hinaus und hinauf ins Blau. Die zerrissene Gardine bauschte sich leicht, so als wollte sie „auf Wiedersehen" sagen.

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