Schön und grundgescheit und ziemlich dick...

Den ganzen Nachmittag war Lillebror bei Karlsson auf dem Dach. Er hatte Karlsson klargemacht, weshalb sie Fräulein Bock jetzt in Frieden lassen müßten.

„Sie backt eine Sahnetorte, weißt du, weil Mama und Papa und Birger und Betty morgen nach Hause kommen."

Das war etwas, was Karlsson verstand.

„Wenn sie eine Sahnetorte backt, ja, dann muß man sie in Frieden lassen. Es ist gefährlich, Hausböcke zu tirritieren, wenn sie gerade dabei sind, Sahnetorte zu backen, dann wird die Schlag-sahne nämlich sauer — und die Hausböcke übrigens auch!"

Auf diese Weise waren die letzten Stunden, die Fräulein Bock bei der Familie Svanteson zubrachte, recht friedlich, genauso, wie sie es sich gewünscht hatte.

Lillebror und Karlsson hatten es oben in Karlssons Haus vor dem Feuer ebenfalls friedlich und schön. Karlsson war vorher schnell auf den Gemüsemarkt geflogen und hatte Äpfel einge-kauft.

„Und sie allesamt ehrlich bezahlt, mit fünf Öre", sagte er. „Ich will doch nicht, daß eine Marktfrau durch mich Schaden hat, denn ich bin der Ehrlichste der Welt."

„Fand die Marktfrau, daß fünf Öre genug waren?" wollte Lillebror wissen.

„Das konnte ich sie nicht fragen", sagte Karlsson. „Sie war nämlich gerade weg und trank irgendwo Kaffee."

Karlsson zog die Äpfel auf einen Draht und briet sie über dem Feuer.

„Der beste Apfelbrater der "Welt, rate, wer das ist!" sagte Karlsson.

„Du, Karlsson", sagte Lillebror.

Und sie streuten Zucker auf ihre Äpfel und saßen vor dem Feuer und aßen, während die Dämmerung niedersank. So ein Feuer war etwas Schönes, fand Lillebror, denn das Wetter war schon kühler geworden. Man merkte, daß der Herbst gekommen war.

„Ich werde wohl bald mal aufs Land hinausfliegen und bei irgendeinem Bauern ein bißchen mehr Holz kaufen", sagte Karlsson. „Die passen allerdings ganz gemein auf, und Gott weiß, wann die Kaffee trinken."

Er schob ein paar große Birkenscheite in die Flammen. „Aber ich will es im Winter warm und schön haben, sonst mach' ich nicht mit. Das sollen sie sich gesagt sein lassen, die Bauersleute."

Als das Feuer heruntergebrannt war, wurde es in Karlssons kleinem Hause dunkel. Nun zündete er die Petroleumlampe an, die über der Hobelbank von der Decke hing. Sie verbreitete ein warmes und behagliches Licht im Raum und über allen Sachen, die Karlsson auf der Hobelbank und überall übereinander-getürmt hatte.

Lillebror fragte, ob sie nicht irgend etwas mit Karlssons Sachen anstellen sollten, und damit war Karlsson einverstanden.

„Du mußt mich aber fragen, ob du sie dir leihen darfst. Manchmal sage ich ja und manchmal sage ich nein. Meistens sage ich nein, denn es sind immerhin meine Sachen, und die will ich für mich haben, sonst mach' ich nicht mit."

Und als Lillebror oft genug gefragt hatte, durfte er eine alte, kaputte Weckuhr ausleihen, die er auseinanderschraubte und wieder zusammensetzte. Es machte Spaß, Lillebror konnte sich kein besseres Spielzeug vorstellen.

Dann aber wollte Karlsson, daß sie statt dessen etwas tisch-lerten.

„Es macht doch am meisten Spaß, und man kann so viel Schönes machen", sagte Karlsson. „Ich jedenfalls."

Er kehrte alle Sachen von der Hobelbank herunter und zerrte Bretter und Holzklötze hervor, die unter dem Sofa lagen. Und dann hobelten sie und hämmerten und nagelten, daß es nur so dröhnte.

Lillebror nagelte zwei Stücke Holz zusammen, das war ein Dampfer. Als Schornstein setzte er einen kleinen Klotz oben darauf. Es war wirklich ein feiner Dampfer.

Karlsson sagte, er wolle einen Nistkasten machen und ihn am Hausgiebel anbringen, so daß die kleinen Vögel darin wohnen könnten. Aber es wurde kein Nistkasten, sondern etwas anderes, man konnte nicht so recht erkennen, was. „Was soll denn das sein?" fragte Lillebror. Karlsson legte den Kopf schief und betrachtete, was er da zusammengetischlert hatte.

„Das ist - ein Gerät", sagte er. „Ein riesig feines kleines Gerät.

Rate, wer der beste Gerätemacher der Welt ist!" „Du, Karlsson", sagte Lillebror.

Jetzt war es Abend. Lillebror mußte heim und ins Bett. Er mußte Karlsson und sein kleines Zimmer verlassen, das so behaglich war mit allen seinen Sachen und seiner Hobelbank und seiner blakenden Petroleumlampe und seinem Holzverschlag und sei-

nem Kamin, wo noch die Glut vom Feuer lag und wärmte und leuchtete. Es war schwer, sich loszureißen, aber er wußte ja, daß er wiederkommen durfte. Oh, wie war er froh, daß Karlsson sein Haus gerade auf seinem Dach hatte und nicht auf irgendeinem anderen!

Sie traten auf den Treppenvorplatz hinaus, Karlsson und Lillebror. Und da funkelte der Sternenhimmel über ihnen. Nie hatte Lillebror die Sterne so groß und so zahlreich und so nahe gesehen. Nein, natürlich nicht nahe, sie waren ja tausend Meilen weit weg, das wußte er, und trotzdem — oh, ein solches Sternendach, das Karlsson über seinem Hause hatte, nah und zugleich weit entfernt!

„Was glotzt du da an?" fragte Karlsson. „Ich friere. Willst du fliegen oder willst du nicht?"

„Doch, ja, bitte", sagte Lillebror.

Und der Tag darauf—welchem Tag! Zuerst kamen Birger und Betty, dann kam Papa, und zuletzt und am allermeisten kam Mama. Lillebror warf sich ihr in die Arme und drückte sie ganz fest. Nie mehr durfte sie von ihm wegreisen. Alle standen um sie herum, Papa und Birger und Betty und Lillebror und Fräulein Bock und Bimbo.

„Bist du jetzt nicht mehr überanstrengt?" fragte Lillebror. „Wie ist das so schnell weggegangen?"

„Es ging weg, als ich deinen Brief bekam", sagte Mama. „Als ich hörte, wie krank und isoliert ihr alle miteinander wart, da merkte ich, ich würde erst ernstlich krank werden, wenn ich nicht nach Hause führe."

Fräulein Bock schüttelte den Kopf.

„Das war wirklich nicht sehr vernünftig. Aber ich könnte doch hin und wieder kommen und Ihnen helfen, Frau Svanteson, wenn Sie eine Hilfe brauchen. Jetzt aber", sagte Fräulein Bock, „jetzt muß ich sofort gehen, ich soll ja heute abend im Fernsehen mitmachen."

Da staunten sie alle, Mama und Papa und Birger und Betty.

„Tatsächlich?" fragte Papa. „Das müssen wir uns ansehen!

Unbedingt!"

Fräulein Bock warf stolz den Kopf in den Nacken.

„ Ja, das hoffe ich. Ich hoffe, das ganze schwedische Volk sieht es sich an."

Sie hatte es sehr eilig.

„Ich muß vorher zum Friseur und muß ein Bad nehmen und eine Gesichtsbehandlung machen lassen und Maniküre, und dann will ich neue Senkfußeinlagen anprobieren. Man muß ja hübsch und gepflegt aussehen, wenn man im Fernsehen auftritt."

Betty lachte.

„Senkfußeinlagen - die sieht man doch aber im Fernsehen nicht?"

Fräulein Bock warf ihr einen strafenden Blick zu.

„Habe ich das behauptet? Ich brauche trotzdem neue. Man fühlt sich sicherer, wenn man weiß, daß man von Kopf bis Fuß in Ordnung ist. Das verstehen aber gewöhnliche Leute wahrscheinlich nicht. Wir aber, die wir im Fernsehen mitmachen, wir wissen das."

Dann verabschiedete sie sich schnell und sauste los.

„So, der Hausbock ist weg", sagte Birger, als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel.

Lillebror nickte sinnend vor sich hin.

„Ich mochte sie ganz gern", sagte er.

Und die Sahnetorte, die sie gebacken hatte, war gut. Sie war groß und hoch und mit Ananas belegt.

„Wir essen sie heute abend zum Kaffee, während wir Fräulein Bock im Fernsehen zuschauen", sagte Mama.

Und so wurde es gemacht. Als der spannende Augenblick herankam, läutete Lillebror nach Karlsson. Er zog an der Schnur hinter der Gardine, ein einziges Mal, was bedeutete: „Komm sofort her!"

Und Karlsson kam. Da saß die ganze Familie bereits vor dem Fernsehapparat, das Kaffeetablett war fertig, und die Sahnetorte stand auf dem Tisch.

„Hier kommen wir, Karlsson und ich", sagte Lillebror, als sie ins Wohnzimmer traten.

„Hier komme ich", sagte Karlsson und warf sich in den besten Sessel. „Aha, endlich gibt es hier im Haus ein bißchen Sahnetorte, es wird auch Zeit. Kann ich gleich etwas kriegen -

oder besser: viel!"

„Der Kleinste kommt zuletzt", sagte Mama. „Im übrigen ist das mein Platz. Ihr beide könnt auf dem Fußboden vor dem Apparat sitzen, du und Lillebror, dann gebe ich euch die Torte dorthin."

Karlsson drehte sich zu Lillebror um.

„Hast du das gehört? Springt sie immer so mit dir um, armes Kind?"

Dann schmunzelte er zufrieden.

, „Es ist schön, daß sie auch mit mir so umspringt, denn gerecht muß es zugehen, sonst mach' ich nicht mit."

Und sie saßen auf dem Fußboden vor dem Fernsehapparat, Karlsson und Lillebror, und aßen viel Torte, während sie auf Fräulein Bock warteten.

„Jetzt kommt sie", sagte Papa.

Und wahrlich, da kam sie! Herr Peck ebenfalls. Er leitete die Sendung.

„Der Hausbock leibhaftig", sagte Karlsson. „Hoho, jetzt wird's lustig."

Fräulein Bock zuckte zusammen. Es wirkte beinahe, als habe sie gehört, was Karlsson sagte. Oder war sie ohnehin nervös, weil sie jetzt vor dem ganzen schwedischen Volk stand und zeigen sollte, wie man „Hildur Bocks gutes Kuddelmuddel" machte?

„Erzählen Sie mir doch mal", sagte Herr Peck, „wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, gerade dieses Kuddelmuddel zu machen?"

„Das will ich Ihnen sagen", sagte Fräulein Bock. „Wenn man eine Schwester hat, die nicht das kleinste bißchen vom Kochen versteht..."

Weiter kam sie nicht. Karlsson streckte eine kurze dicke Hand aus und stellte den Apparat ab.

„Der Hausbock kommt und geht, ganz wie ich will", sagte er.

Aber da sagte Mama:

„Dreh sofort wieder an - und tu das nicht noch einmal, sonst fliegst du raus!"

Karlsson knuffte Lillebror in die Seite und flüsterte:

„Darf man in diesem Haus gar nichts mehr machen?"

„Still, wir wollen Fräulein Bock sehen", sagte Lillebror.

„Es muß tüchtig gesalzen und gepfeffert und gecurryt werden, dann wird es gut", sagte Fräulein Bock.

Und sie salzte und pfefferte und curryte, daß es nur so stäubte, und als das Kuddelmuddel fertig war, schaute sie schelmisch aus dem Bildschirm heraus und sagte:

»Möchten Sie vielleicht ein wenig kosten?"

„Danke, ich nicht", sagte Karlsson. „Wenn du mir aber Namen und Adressen gibst, dann hole ich dir einige von diesen Feuerfresserkindern."

Hinterher dankte Herr Peck Fräulein Bock, daß sie gekommen war und gezeigt hatte, wie sie ihr gutes Kuddelmuddel machte, und dann war die Zeit offenbar um, aber da sagte Fräulein Bock:

„Ach bitte, könnte ich nicht meiner Schwester zu Hause einen Gruß senden?"

Herr Peck zögerte.

„Nun ja — wenn es schnell geht."

Und da winkte Fräulein Bock aus dem Bildschirm heraus und sagte:

„Guten Tag, Frieda, wie geht es dir? Ich hoffe, daß du nicht vom Stuhl gefallen bist."

„Das hoffe ich auch", sagte Karlsson. „Denn jetzt ist es genug mit Erdbeben im nördlichen Norrland."

„Was meinst du damit?" fragte Lillebror. „Du weißt doch gar nicht, ob Frieda ebenso riesig ist wie Fräulein Bock."

„Denk mal, das weiß ich doch", sagte Karlsson. „Ich war nämlich bei ihr zu Hause und habe hin und wieder gespukt."

Dann aßen Karlsson und Lillebror noch mehr Sahnetorte und sahen sich einen Jongleur im Fernsehen an, der fünf Teller auf einmal in die Luft schleudern konnte, ohne einen einzigen fallen zu lassen. Lillebror fand Jongleure eigentlich langweilig, Karlsson aber sah mit funkelnden Augen zu, und da war Lillebror glücklich.

Alles war jetzt gerade so schön, und es war so herrlich, sie alle beisammen zu haben, Mama und Papa und Birger und Betty und Bimbo - und dann Karlsson.

Als die Torte alle war, ergriff Karlsson die Tortenplatte. Er leckte sie ganz sauber ab. Dann warf er sie in die Luft, so wie es dieser Jongleur mit seinen Tellern getan hatte.

„Alle Wetter", sagte er, „dieser Bursche in der Büchse, der war gar nicht so übel. Rate aber, wer der beste Tellerwerfer der Welt ist!"

Er schleuderte die Tortenplatte hoch, daß sie fast bis an die Decke flog, und Lillebror bekam Angst.

„Nein, Karlsson, laß das!"

Mama und die anderen sahen sich jetzt eine Tänzerin im Fernsehen an und achteten nicht darauf, was Karlsson trieb. Und es nützte nichts, daß Lillebror „Laß das!" sagte. Karlsson warf un-bekümmert weiter.

„Es ist übrigens eine schöne Tortenplatte, die ihr habt", sagte Karlsson und schleuderte sie von neuem in die Luft. „Gehabt habt, sagen wir mal lieber", sagte er und bückte sich, um die Scherben aufzulesen. „Na ja, das stört ja keinen großen Geist..."

Mama hatte jedoch das Krachen gehört, als die Platte entzwei-ging. Sie drehte sich um und gab Karlsson einen tüchtigen Klaps auf sein Hinterteil.

„Es war meine beste Tortenplatte, und es stört durchaus einen großen Geist", sagte sie.

Lillebror war es nicht recht, daß man mit dem besten Tellerwerfer der Welt so umging, aber er verstand wiederum, daß Mama wegen ihrer Platte traurig war, und er beeilte sich, sie zu trösten.

„Ich nehme Geld aus meinem Sparschwein und kaufe dir eine neue."

Da aber steckte Karlsson stolz die Hand in die Tasche und zog ein Fünförestück heraus, das er Mama überreichte.

„Ich bezahle selber, was ich entzweischlage. Hier! Bitte sehr!

Kauf dir eine Tortenplatte, und das Geld, das übrigbleibt, kannst du behalten."

„Danke, lieber Karlsson", sagte Mama.

Karlsson nickte befriedigt.

„Oder kauf ein paar billige Vasen dafür, mit denen kannst du dann nach mir schmeißen, wenn ich herkomme und du böse auf mich wirst."

Lillebror schmiegte sich an Mama.

„Du bist doch nicht böse auf Karlsson, Mama?"

Da streichelte Mama Karlsson und Lillebror und sagte, sie sei nicht böse.

Dann verabschiedete sich Karlsson.

„Heißa hopsa, ich muß jetzt nach Hause, sonst komme ich zu spät zum Abendbrot."

„Was gibt's bei dir zum Abendbrot?" fragte Lillebror.

„Karlsson vom Dachs gutes Kuddelmuddel", sagte Karlsson.

„Nicht solch Fuchsgift wie das vom Hausbock, das schwör' ich dir. Der beste Kuddelmuddler der Welt - rate, wer das ist!"

»Du, Karlsson", sagte Lillebror.

Eine Weile später lag Lillebror in seinem Bett und Bimbo im Körbchen daneben. Sie waren alle bei ihm gewesen und hatten gute Nacht gewünscht, Mama und Papa und Birger und Betty.

Jetzt wurde Lillebror allmählich müde. Aber er lag da und dachte an Karlsson und fragte sich, was Karlsson wohl jetzt gerade mache. Vielleicht war er dabei, irgend etwas zu tischlern, einen Nistkasten oder dergleichen.

„Morgen, wenn ich aus der Schule komme", dachte Lillebror, „läute ich nach Karlsson und frage ihn, ob ich nicht raufkommen und auch wieder ein bißchen tischlern darf. — Nur gut, daß Karlsson diese Klingelleitung gelegt hat", dachte er weiter. „Ich kann sogar jetzt gleich läuten, wenn ich will." Und da merkte er plötzlich, daß das eine ausgezeichnete Idee war.

Er sprang aus dem Bett und lief auf bloßen Füßen ans Fenster, und dann zog er an der Schnur. Dreimal. Dieses Zeichen sollte heißen: „Denk nur, daß es einen in der Welt gibt, der so schön und grundgescheit und ziemlich dick und mutig und in jeder Weise in Ordnung ist wie gerade du, Karlsson!"

Lillebror blieb am Fenster stehen, nicht weil er auf eine Antwort wartete, nein, er stand nur einfach da. Aber da kam Karlsson wahrhaftig an.

„Ja, denk nur", sagte er.

Mehr sagte er nicht. Dann flog er zurück zu seinem kleinen grünen Haus auf dem Dach.

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