Karlsson ist kein Gespenst, sondern nur Karlsson

Diesen Abend würde Lillebror nie vergessen. Fräulein Bock saß auf dem Stuhl und weinte, und Karlsson stand ein Stück entfernt und sah fast aus, als schäme er sich. Keiner sprach ein Wort. Es war das reinste Elend.

„Von so was kriegt man Falten auf der Stirn", dachte Lillebror, denn das sagte Mama manchmal. Wenn zum Beispiel Birger drei schlechte Noten auf einmal nach Hause brachte oder wenn Betty eine kleine, kurze Schaffelljacke haben wollte und Papa mußte gerade den Fernsehapparat bezahlen oder wenn Lillebror auf dem Schulhof mit Steinen geworfen und dabei eine Fenster-scheibe zertrümmert hatte, dann seufzte Mama und sagte: „Von so etwas kriegt man Falten auf der Stirn."

Genauso war es Lillebror augenblicklich zumute. Uh, wie war doch alles unbehaglich! Fräulein Bock weinte, daß es sprühte.

Und weshalb? Nur, weil Karlsson kein Gespenst war.

„Jetzt ist mein Spukprogramm in die Binsen gegangen", sagte sie und starrte Karlsson böse an. „Und dabei hatte ich Frieda schon erzählt..."

Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte so sehr, daß niemand verstehen konnte, was sie Frieda erzählt hatte.

„Ich bin doch aber ein schöner und grundgescheiter und ziemlich dicker Mann in den besten Jahren", versuchte Karlsson sie zu trösten. „Ich könnte doch ohne weiteres in diese Büchse kommen - vielleicht mit dem einen oder anderen kleinen Schnuckelchen zusammen oder so!"

Fräulein Bock nahm die Hände vom Gesicht und blickte Karlsson an. Sie schnaubte.

„Ein schöner und grundgescheiter und ziemlich dicker Mann, das ist schon was Rechtes, dem Fernsehen das anbieten zu wollen, davon haben sie selber haufenweise."

Sie blickte Karlsson böse und mißtrauisch an, diesen kleinen Dicksack. Er war bestimmt ein Junge, wenn er auch aussah wie ein kleiner Mann. Sie fragte Lillebror:

„Was ist das eigentlich für ein Kerl?"

Und Lillebror sagte, wie es auch der Wahrheit entsprach:

„Es ist mein Spielkamerad."

„Das konnte ich mir ja denken", sagte Fräulein Bock.

Dann weinte sie von neuem. Lillebror war betroffen. Da hatten Mama und Papa sich nun eingebildet, es würde ein fürchter-licher Aufruhr entstehen, wenn jemand Karlsson sähe, und alle würden angestürzt kommen und ihn im Fernsehen zeigen wollen. Die einzige aber, die ihn wirklich gesehen hatte, die weinte und fand, Karlsson sei ohne Wert, weil er kein Gespenst war. Daß er einen Propeller hatte und fliegen konnte, das machte keinen Eindruck auf sie. Karlsson stieg gerade in die Luft, um sein Gespenstergewand von der Lampe herunterzuholen, aber Fräulein Bock starrte ihn nur noch böser an als zuvor und sagte:

„Die Kinder heutzutage müssen ja Schrauben und Propeller und wer weiß was alles haben! Bald fliegen sie wohl auch zum Mond, ehe sie noch in die Schule kommen."

Sie redete sich immer mehr in Zorn, denn jetzt begriff sie, wer die Wecken genommen und vor dem Fenster gemuht und den Geisterspruch an die Wand in der Küche geschrieben hatte.

Nicht zu fassen, daß man Kindern Apparate schenkte, mit denen sie umherfliegen und auf diese Weise alte Leute zum Narren halten konnten! Der ganze Spuk, über den sie an das Schwedische Fernsehen geschrieben hatte, war nichts weiter als ein Jungenstreich, und sie konnte es nicht ertragen, den kleinen dicken Nichtsnutz noch länger vor Augen zu haben.

„Raus mit dir, du ... wie heißt du doch gleich?"

„Karlsson", sagte Karlsson.

„Das weiß ich", sagte Fräulein Bock wutschnaubend, „aber du hast ja wohl auch einen Vornamen?"

„Ich heiße Karlsson mit Vornamen und Karlsson mit Nach-namen", sagte Karlsson.

„Reize mich nicht, damit ich nicht böse werde, das bin ich nämlich schon", sagte Fräulein Bock. „Der Vorname, das ist der, mit dem man gerufen wird - weißt du das nicht? Wie nennt dein Vater dich, wenn er dich ruft?"

„Strolch", sagte Karlsson zufrieden.

Fräulein Bock nickte zustimmend.

„Da hat dein Vater ein wahres Wort gesprochen."

Und Karlsson gab ihr recht.

„O ja, als man klein war, da war man ein richtiger Strolch! Aber das ist längerer, augenblicklich ist man ja der Bravste der Welt!"

Fräulein Bock hörte jetzt nicht mehr hin. Sie saß stumm da und grübelte und schien ein wenig ruhiger zu werden.

„Na ja", sagte sie schließlich, „ich weiß doch jedenfalls eine, die sich über diese Geschichte freut."

„Wer denn?" fragte Lillebror.

„Frieda", sagte Fräulein Bock grimmig. Dann verschwand sie mit einem Seufzer in die Küche hinaus, um den Fußboden trok-ken zu wischen und die Wanne wegzustellen.

Karlsson und Lillebror fanden es schön, daß sie endlich wieder allein waren.

„Was so Leute sich über Kleinigkeiten aufregen", sagte Karlsson und zuckte die Schultern. „Ich hab' ihr doch schließlich nichts getan!"

„Nööö", sagte Lillebror, „bloß sie vielleicht ein bißchen tirri-tiert. Aber nun wollen wir ganz brav sein."

Das fand Karlsson auch.

„Natürlich sind wir jetzt brav. Ich bin immer der Bravste der Welt. Aber Spaß muß ich haben, sonst mach' ich nicht mit."

Lillebror überlegte, welchen Spaß er für Karlsson ersinnen könne. Aber es war überflüssig, das besorgte Karlsson schon selbst. Er sauste in Lillebrors Wandschrank hinein.

„Warte mal, als ich Gespenst war, habe ich hier drinnen einen komischen Gegenstand gesehen."

Er kam mit einer Mausefalle in der Faust zurück. Die hatte Lillebror bei der Großmutter auf dem Lande gefunden und mit in die Stadt genommen.

„Ich möchte nämlich gern eine Maus fangen und sie zahm machen, und die soll mir gehören", hatte Lillebror Mama erklärt. Mama hatte aber gesagt, in Stadtwohnungen gäbe es Gott sei Dank keine Mäuse, jedenfalls nicht in ihrer. Lillebror erzählte das Karlsson, aber Karlsson sagte:

„Eine Maus kann kommen, ohne daß man es merkt. Eine kleine Überraschungsmaus, die hierher trippelt, nur damit deine Mama eine Freude hat."

Er erklärte Lillebror, wie schön es wäre, wenn sie diese Überraschungsmaus fangen könnten. Dann würde Karlsson sie mit in sein Haus auf dem Dach hinaufnehmen, und wenn sie Junge bekäme, könnte mit der Zeit eine ganze Mäusefarm daraus werden.

„Und dann setze ich eine Anzeige in die Zeitung", sagte Karlsson. „Brauchen Sie Mäuse, so läuten Sie sofort Karlssons Mäusefarm an!"

„Ja, und dann könnten auch die Stadtwohnungen Mäuse kriegen", sagte Lillebror befriedigt. Er zeigte Karlsson, wie man die Falle aufstellte.

„Man muß natürlich ein Stückchen Käse hineinlegen oder eine Speckschwarte, sonst geht die Maus nicht hinein."

Karlsson fuhr mit der Hand in die Hosentasche und holte eine kleine Speckschwarte heraus.

„Da war es ja nur gut, daß ich die hier vom Mittagessen aufgehoben habe. Zuerst wollte ich sie eigentlich in den Müllschacht werfen."

Er befestigte die Speckschwarte und stellte die Mausefalle unter Lillebrors Bett auf.

„So, siehst du! Nun kann die Maus kommen, wann sie will."

Fräulein Bock hatten sie fast vergessen. Da hörten sie Klappern in der Küche.

„Es hört sich an, als ob sie Essen machte", sagte Karlsson. „Sie klappert mit Bratpfannen."

Und in der Tat. Aus der Küche drang bald ein schwacher, aber sehr guter Duft von Fleischklößen zu ihnen.

„Sie brät die Fleischklöße auf, die vom Mittagessen übriggeblieben sind", sagte Lillebror. „Oh, habe ich einen Hunger!"

Karlsson sauste zur Tür.

„Auf, marsch in die Küche!" rief er.

Lillebror fand Karlsson wirklich mutig, daß er hinauszugehen wagte, aber er wollte ihm nicht nachstehen. Zögernd folgte er ihm.

Karlsson war schon in der Küche.

„Hoho, ich glaube, wir kommen gerade zu einem kleinen Nachtessen zurecht."

Fräulein Bock stand am Herd und schüttelte die Bratpfanne mit den Fleischklößen. Jetzt stellte sie sie aber hin und ging auf Karlsson los. Sie sah böse und gefährlich aus.

„Verschwinde!" rief sie. „Raus hier, raus!"

Da zog Karlsson die Mundwinkel herunter und schmollte.

„Ich mach' nicht mit, wenn du so eklig bist. Ich darf doch wohl auch 'n paar Fleischklöße haben. Kannst du dir nicht denken, daß man Hunger bekommt, wenn man einen ganzen Abend so herumsaust und spukt?"

Er machte einen Satz auf den Herd zu und schnappte sich einen Fleischkloß aus der Bratpfanne. Das hätte er aber lieber nicht tun sollen. Fräulein Bock schrie auf und stürzte sich auf ihn. Sie packte ihn beim Kragen und warf ihn zur Hintertür hinaus.

„Verschwinde!" schrie sie. „Geh nach Hause und steck deine Nase hier nicht noch einmal herein!"

Lillebror wurde fuchsteufelswild und kreuzunglücklich. Wie konnte jemand es wagen, seinen geliebten Karlsson so zu be-handeln?

„Pfui, wie sind Sie abscheulich, Fräulein Bock", sagte er.

„Karlsson ist mein Spielkamerad, er darf wohl hier sein," Das Weinen war ihm nahe.

Weiter kam er nicht, da tat sich die Hintertür wieder auf. Herein schritt Karlsson, jetzt ebenfalls wütend wie eine Wespe.

„Ich mach' nicht mit", rief er. „Ich mach' nicht mit, wenn es so gedacht ist! Mich zur Hintertür rauszuwerfen - da mach' ich einfach nicht mit!"

Er rannte auf Fräulein Bock zu und stampfte mit dem Fuß auf den Erdboden.

„Hintertür, pfui! Durch die Vordertür will ich rausgeworfen werden wie alle feinen Leute!"

Fräulein Bock packte Karlsson von neuem beim Kragen.

„Meinetwegen gern", sagte sie, und obgleich Lillebror hinter-herrannte und weinte und protestierte, schleppte sie Karlsson durch die ganze Wohnung und stieß ihn zur Vordertür hinaus, damit er seinen Willen bekäme.

„So", sagte sie, „ist das nun fein genug?"

„Ja, jetzt ist es fein", sagte Karlsson, und dann schlug Fräulein Bock die Tür hinter ihm zu, daß es im ganzen Hause dröhnte.

„Endlich", sagte sie und ging in die Küche zurück. Lillebror lief hinter ihr her und schimpfte.

„Pfui, wie sind Sie abscheulich und ungerecht! Karlsson darf doch in der Küche sein!"

Und das war er auch! Als Fräulein Bock und Lillebror hin-kamen, stand Karlsson am Herd und aß Fleischklöße.

„O gewiß doch, ist ja klar, daß ich durch die Vordertür rausgeworfen werden will", erklärte er, „damit ich durch die Hintertür wieder reinkommen und mir ein paar gute Fleischklöße holen kann."

Da ergriff Fräulein Bock ihn beim Genick und warf ihn zum drittenmal hinaus, diesmal durch die Hintertür.

„Es ist doch nicht zu fassen", sagte sie, „so eine Schmeißfliege!

Wenn ich aber die Tür abschließe, dann schaffe ich es vielleicht, dich loszuwerden."

„Das wird man ja sehen", sagte Karlsson sanftmütig.

Die Tür klappte hinter ihm zu, und Fräulein Bock vergewisserte sich, daß sie auch wirklich ordentlich abgeschlossen war.

„Pfui, wie sind Sie abscheulich, Fräulein Bock", sagte Lillebror.

Aber sie hörte nicht auf ihn. Mit raschen Schritten ging sie zum Herd, wo die Fleischklöße herrlich in der Pfanne brutzelten.

„Vielleicht kriegt man endlich selbst einen Fleischkloß, nach allem, was man heute abend durchgemacht hat", sagte sie.

Da ließ sich eine Stimme vom offenen Fenster vernehmen.

„Guten Abend allerseits. Ist jemand daheim? Und sind noch Fleischklöße übrig?"

Karlsson saß zufrieden schmunzelnd auf dem Fenstersims.

Lillebror lachte laut auf.

„Bist du vom Klopfbalkon abgeflogen?"

Karlsson nickte.

„Ganz recht. Und hier habt ihr mich nun wieder. Da freut ihr euch sicher - vor allem du da hinten am Herd!"

Fräulein Bock hatte gerade einen Fleischkloß zwischen den Fingerspitzen. Sie wollte ihn sich in den Mund stecken, aber als sie Karlsson sah, blieb sie regungslos stehen und starrte ihn nur an.

„So 'n verfressenes Mädchen ist mir noch nie vorgekommen", sagte Karlsson und machte einen Sturzflug über sie hinweg. Im Vorbeifliegen erhaschte er ihren Fleischkloß, verschlang ihn und stieg schnell zur Decke empor.

Jetzt aber kam Leben in Fräulein Bock. Sie stieß einen leisen Schrei aus, dann ergriff sie den Teppichklopfer und setzte hinter Karlsson drein.

„Du Ungeheuer, das wäre ja noch schöner, wenn ich dich hier nicht rauskriegen sollte!"

Karlsson umkreiste juchzend die Deckenlampe.

„Hoho, sollen wir uns nun raufen?" rief er. „So 5n Spaß habe ich seit meiner Kindheit nicht gehabt, als Papachen mich mit der Fliegenklatsche rund um den Mälarsee jagte, hoho, das war eine lustige Sache damals."

Karlsson schwebte in die Diele hinaus, und nun setzte eine wilde Jagd durch die ganze Wohnung ein. Vorauf flog Karlsson, der vor Wonne gluckste und juchzte, hinterdrein kam Fräulein Bock mit dem Teppichklopfer, dann kam Lillebror und als letzter Bimbo mit wildem Gebell.

„Hoho", schrie Karlsson.

Fräulein Bock war ihm dicht auf den Fersen, sobald sie aber zu nahe herankam, kurbelte Karlsson die Geschwindigkeit an und stieg zur Decke empor. Und wie sehr Fräulein Bock auch mit dem Teppichklopfer fuchtelte, es gelang ihr nicht, mehr als nur seine Schuhsohlen zu streifen.

„Hihi, hihi", sagte Karlsson, „nicht unter den Füßen kitzeln, das gilt nicht, dann mach' ich nicht mit!"

Fräulein Bock keuchte und rannte, und ihre großen, breiten Füße klatschten über das Parkett - die Ärmste, sie hatte ja nicht einmal Zeit gehabt, sich Schuhe und Strümpfe anzuziehen bei all dem Gespuke und Gejage hier den ganzen Abend hindurch.

Sie wurde allmählich müde, aber nachgeben wollte sie nicht.

„Warte du nur", rief sie und lief weiter hinter Karlsson her. Ab und zu machte sie einen kleinen Sprung, um ihm mit dem Teppichklopfer eins auszuwischen, aber Karlsson lachte nur und flog ihr davon. Lillebror lachte ebenfalls, er konnte nicht anders.

Er lachte so sehr, daß ihm der Leib weh tat, und als sie bei der Jagd zum drittenmal in sein Zimmer kamen, warf er sich auf sein Bett, um sich ein wenig auszuruhen. Da lag er nun völlig erschöpft, und trotzdem konnte er das Kichern nicht unterdrücken, als er sah, wie Fräulein Bock Karlsson die Wände entlangjagte.

„Hoho", schrie Karlsson.

„Ich werde dir gleich von wegen hoho", keuchte Fräulein Bock.

Sie fuchtelte wild mit dem Teppichklopfer, und es gelang ihr tatsächlich, Karlsson in eine Ecke neben Lillebrors Bett zu drängen.

„So, du", sagte Fräulein Bock, „jetzt habe ich es geschafft!"

Da plötzlich stieß sie einen durchdringenden Klagelaut aus.

Lillebror hörte auf zu kichern.

„O je", dachte er, „jetzt ist Karlsson gefangen!"

Es war aber nicht Karlsson, der gefangen war. Es war Fräulein Bock. Sie war mit ihrem großen Zeh in die Mausefalle geraten.

„Auuuu", jammerte Fräulein Bock, „auuuu!"

Sie zog den Fuß zurück und starrte stumm vor Staunen auf das absonderliche Ding, das an ihrem großen Zeh baumelte.

„Ach, ach, ach", sagte Lillebror, „warten Sie, ich mache sie ab-oh, entschuldigen Sie, so war es nicht gemeint."

„Auuu", machte Fräulein Bock, als Lillebror sie befreit hatte und sie endlich wieder sprechen konnte. „Weshalb hast du eine Mausefalle unter deinem Bett?"

Lillebror hatte wirklich Mitleid mit ihr, und er stammelte verzweifelt:

„Weil wir . . . weil wir . . . wir wollten eine Überraschungsmaus damit fangen."

„Aber keine so große", sagte Karlsson, „nur eine kleine, nied-liche mit einem langen Schwanz."

Fräulein Bock warf Karlsson einen Blick zu und stöhnte. „Du -

du - jetzt sollst du hier aber raus!"

Und von neuem setzte sie mit dem Teppichklopfer hinter ihm drein.

„Hoho", schrie Karlsson. Er flog in die Diele hinaus, und dann tobte die Jagd weiter ins Wohnzimmer hinein und aus dem Wohnzimmer heraus, in die Küche hinein und aus der Küche heraus und ins Schlafzimmer hinein ...

„Hoho", schrie Karlsson.

„Ich werde dir was von wegen hoho", keuchte Fräulein Bock und machte einen besonders hohen Satz, um ihm mit dem Teppichklopfer eins überzuziehen. Aber sie hatte all die Möbel vergessen, die sie selbst im Schlafzimmer durcheinandergeschoben hatte, und als sie nun so hoch sprang, fiel sie mit dem Kopf voran über das kleine Bücherregal und landete mit Getöse auf dem Fußboden.

„Ho, jetzt gibt's wieder Erdbeben im nördlichen Norrland", sagte Karlsson.

Lillebror lief ängstlich zu Fräulein Bock hin.

„Oh, wie kam das?" fragte er. „Oh, armes Fräulein Bock!"

„Ich möchte mich aufs Bett legen, hilf mir bitte", sagte Fräulein Bock.

Und das tat Lillebror, er versuchte es zum mindesten. Fräulein Bock war jedoch so groß und schwer, und Lillebror war so klein. Er schaffte es nicht. Da kam Karlsson herabgeflogen.

„Das könnte dir so passen", sagte er zu Lillebror. „Ich darf doch wohl auch mit schleppen helfen. Denn ich bin der Bravste der Welt, das bist du nicht!"

Sie packten mit aller Kraft an, Karlsson und Lillebror, und zuletzt gelang es ihnen wirklich, Fräulein Bock aufs Bett zu helfen.

„Armes Fräulein Bock", sagte Lillebror. „Was haben Sie? Tut es Ihnen irgendwo weh?"

Fräulein Bock lag eine Weile schweigend da und schien nach-zufühlen.

„Ich habe sicher keinen heilen Knochen im Leibe", sagte sie schließlich. „Aber es tut nicht eigentlich weh - außer wenn ich lache."

Und dann fing sie an zu lachen, daß das Bett wackelte.

Lillebror schaute sie angstvoll an. Was war in sie gefahren?

„Man kann sagen, was man will", sagte Fräulein Bock. „Ein paar tüchtige Geschwindmärsche habe ich heute abend machen müssen, und, du guter Moses, wie einen das aufmöbelt!"

Sie nickte nachdrücklich.

„Wartet nur ab! Frieda und ich machen im Hausfrauen verein Gymnastik. Und wartet nur bis zum nächstenmal, dann wird Frieda sehen, wie unsereins rennen kann."

„Ho", sagte Karlsson, „nimm den Teppichklopfer mit, dann kannst du Frieda durch den ganzen Turnsaal jagen und sie auch aufmöbeln."

Fräulein Bock sah ihn streng an.

„Du hast den Mund zu halten, wenn du mit mir redest! Schweig und geh raus und hol ein paar Fleischklöße für mich!"

Lillebror lachte erfreut.

„Ja, man kriegt nämlich Appetit, wenn man rennt", sagte er.

„Und rate, wer der beste Fleischklößeholer der Welt ist."

Karlsson war schon unterwegs in die Küche. Mit einem voll-beladenen Tablett kam er zurück.

„Ich habe auch Apfelkuchen und Vanillesoße gefunden, die hab'

ich auch mit reingebracht, und dann ein bißchen gekochten Schinken und Käse und Mettwurst und eingelegte Gurke und ein paar Sardinen und ein bißchen Leberpastete. Aber wo in aller Welt hast du die Sahnetorte versteckt?"

„Sahnetorte ist nicht da", sagte Fräulein Bock.

Karlsson zog die Mundwinkel herunter.

„Da soll man also tatsächlich von ein paar Fleischklößen und Apfelkuchen und Vanillesoße und gekochtem Schinken und Käse und Mettwurst und eingelegter Gurke und ein paar kleinen, kümmerlichen Sardinen satt werden?"

Fräulein Bock sah ihn streng an.

„Nein", sagte sie mit Nachdruck. „Leberpastete ist ja auch noch dabei."

Darauf aßen Karlsson und Lillebror und Fräulein Bock auf dem Bettrand ein gutes kleines Nachtmahl. Lillebror konnte sich nicht entsinnen, daß irgendein Mahl so gut geschmeckt hätte.

Und sie hatten es so gemütlich, er und Karlsson und Fräulein Bock,

wie sie da alle drei beisammen saßen und futterten und kauten und sich unterhielten. Da rief Fräulein Bock mit einemmal aus:

„Guter Moses, Lillebror ist ja isoliert, und nun haben wir den da hereingelassen!"

Sie zeigte auf Karlsson.

„Nöö, wir haben ihn nicht hereingelassen. Der ist von selber gekommen", sagte Lillebror. Aber er war trotzdem besorgt.

„O weh, Karlsson, wenn du jetzt Scharlachfieber bekommst!"

„Umm, umm", sagte Karlsson, denn er hatte den Mund voller Apfelkuchen, und es dauerte eine Weile, bis er sprechen konnte.

„Scharlachfieber — hoho! Wer einmal das schlimmste Weckenfieber der Welt gehabt hat, ohne dabei draufzugehen, dem kann nichts was anhaben."

„Das hat also auch nichts genützt", sagte Fräulein Bock und seufzte.

Karlsson stopfte sich den letzten Fleischkloß in den Mund, dann leckte er sich die Finger ab und sagte:

»Mit den Eßvorräten hier im Hause ist es zwar nicht weit her, aber sonst fühle ich mich hier wohl. Ich werde mich daher wahrscheinlich auch hier isolieren."

„Guter Moses", sagte Fräulein Bock.

Sie warf einen zornigen Blick auf Karlsson und auf das Tablett, das jetzt ganz leer war.

„Wo du gewütet hast, da bleibt nicht viel übrig", sagte sie.

Karlsson erhob sich vom Bettrand. Er strich sich über den Bauch.

„Ich lasse nie was stehen", sagte er. „Außer dem Tisch. Der ist das einzige, was ich stehen lasse."

Darauf drehte er am Startknopf, der Motor begann zu brummen, und Karlsson flog schwerfällig auf das offenstehende Fenster zu.

„Heißa hopsa", rief er, „nun müßt ihr euch eine Weile ohne mich behelfen. Ich habe es jetzt eilig!"

„Heißa hopsa, Karlsson", sagte Lillebror. „Mußt du wirklich schon gehen?"

„Schon?" sagte Fräulein Bock grimmig.

„Ja, ich muß mich beeilen", schrie Karlsson, „sonst komme ich zu spät zum Abendbrot nach Hause! Hoho!"

Und weg war er.

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