Bei Karlsson daheim




Kleine Häuser, die auf Dächern stehen, können richtig gemütlich' sein, vor allem so eins wie Karlssons. Karlssons Haus hat grüne Fensterläden und eine kleine Vortreppe oder einen Vorplatz, auf dem man großartig sitzen kann. Man kann dort abends sitzen und sich die Sterne ansehen und tagsüber dort Saft trinken und Kuchen essen, das heißt, sofern man Kuchen hat. Nachts kann man dort schlafen, falls es im Hause zu heiß ist, und morgens kann man dort erwachen und die Sonne über den Dächern von Östermalm aufgehen sehen.

Ja, es ist wirklich ein gemütliches Haus, und es steht zwischen einem Schornstein und einer Brandmauer so gut versteckt, daß man es kaum sieht. Es sei denn, man geht gelegentlich oben auf dem Dach umher und gerät ausgerechnet hinter den Schornstein.

Das tut aber selten jemand.

„Es ist alles so verändert hier oben", sagte Lillebror, als Karlsson mit ihm auf dem Treppenvorplatz seines Hauses gelandet war.

„Ja, Gott sei Dank", sagte Karlsson.

Lillebror blickte sich um.

„Mehr Dach und so was", sagte er.

„Mehrere Kilometer Dach", sagte Karlsson, „auf denen man herumgehen und so viele Streiche machen kann, wie man will."

„Wollen wir nicht ein bißchen Streiche machen?" fragte Lillebror eifrig. Es fiel ihm wieder ein, wie aufregend es das vorige Mal gewesen war, als er und Karlsson oben auf dem Dach zusammen Streiche gemacht hatten.

Aber Karlsson sah ihn streng an.

„Damit du nicht zu putzen brauchst, was? Ich soll mir zuerst die Seele aus dem Leibe schuften, damit es unten bei dir ein bißchen säuberlich aussieht, und dann läufst du den Rest des Tages herum und machst Streiche. So hattest du dir das wohl gedacht, was?"

Lillebror hatte sich überhaupt nichts gedacht.

„Ich will gern beim Putzen helfen, wenn es nötig ist", sagte er.

„Aha, so", sagte Karlsson.

Er machte die Tür zu seinem Haus auf, und Lillebror trat bei dem besten Karlsson der Welt ein.

„Doch, auf jeden Fall", sagte Lillebror, „wenn es nötig ist, dann ..."

Er stand lange Zeit stumm da, und seine Augen wurden ganz groß.

„Es ist nötig", sagte er schließlich.

In Karlssons Haus gab es nur einen Raum. In diesem Raum hatte Karlsson eine Hobelbank stehen, zum Hobeln und zum Essen und zum Ablegen von Sachen. Und dann ein Sofa zum Schlafen und Draufherumhüpfen und zum Aufbewahren von Sachen. Und dann zwei Stühle zum Sitzen und zum Draufstellen von Sachen und zum Draufsteigen, wenn er irgendwelche Sachen in seinen Schrank stopfen wollte. Das ging aber nicht, denn der Schrank war schon voll von anderen Sachen, von denen, die nicht auf dem Fußboden stehen und nicht an den Wänden hängen

konnten, weil dort schon andere Sachen an Nägeln hingen - und zwar eine ganze Menge. Karlsson hatte einen Kamin mit Sachen darin und mit einem eisernen Rost, auf dem er kochen konnte.

Oben auf dem Kaminsims standen viele Sachen. Nur an der Decke hingen fast gar keine Sachen. Bloß ein Drehbohrer und ein Beutel mit Nüssen und eine Knallkorkenpistole und eine Kneifzange und ein Paar Pantoffeln und eine Säge und Karlssons Nachthemd und der Abwaschlappen und der Schürhaken und ein kleiner Rucksack und ein Beutel mit getrockneten Kirschen, sonst gar nichts weiter.

Lillebror blieb lange auf der Schwelle stehen und sah sich um.

„Da bleibt dir die Sprache weg, was?" sagte Karlsson. „Hier sind Sachen! Nicht so wie bei dir unten, wo fast gar keine Sachen sind."

„Ja wahrhaftig, hier sind Sachen", sagte Lillebror. „Aber ich dachte, du willst putzen."

Karlsson warf sich aufs Sofa und legte sich bequem zurecht.

„Das könnte dir so passen", sagte er. „Ich will nicht putzen. Du willst putzen - nachdem ich mich unten bei dir abgerackert habe.

Oder etwa nicht?"

„Willst du denn überhaupt nicht helfen?" fragte Lillebror zag-haft.

Karlsson rollte sich auf dem Kopfkissen zusammen und grunzte wie einer, dem so richtig wohl ist.

„Natürlich helfe ich", sagte er, als er fertiggegrunzt hatte.

„Das ist man gut", sagte Lillebror. „Ich hatte schon Angst, du wolltest..."

„Doch, gewiß helfe ich", sagte Karlsson. „Ich werde dir die ganze Zeit was vorsingen und dich aufmuntern. Hui, hui, dann geht es wie der Wind."

Lillebror war nicht ganz überzeugt. Er hatte in seinem Leben nicht sehr oft saubergemacht. Zwar räumte er immer seine Spielsachen weg, Mama brauchte es ihm nur drei-, vier-, fünfmal zu sagen, dann tat er es, auch wenn es ihm lästig war und er es ziemlich überflüssig fand. Jedoch bei Karlsson zu putzen, das war etwas ganz anderes.

„Wo soll ich anfangen?" fragte Lillebror.

„Du Dummer, du mußt natürlich mit den Nußschalen anfangen", sagte Karlsson. „Es ist nicht nötig, daß du so gründlich putzt, ich putze ja gewissermaßen ständig und lasse es nie ganz zuwachsen. Du brauchst nur noch so das Feinere zu machen."

Die Nußschalen lagen auf dem Fußboden neben einem Berg von Apfelsinenschalen und Kirschkernen und Wurstpellen und Papierfetzen und abgebrannten Streichhölzern und lauter anderen Dingen. Vom Fußboden selber war nichts zu sehen.

„Hast du einen Staubsauger?" fragte Lillebror, nachdem er ein Weilchen überlegt hatte.

Diese Frage kam Karlsson sehr ungelegen, das merkte man. Er sah Lillebror verdrießlich an.

„Es gibt schon Faulpelze, das kann man wohl sagen! Ich habe den besten Handfeger der Welt und die beste Müllschaufel der Welt, das genügt aber gewissen Faultieren nicht, nee, nee, ein Staubsauger muß es sein, damit man nichts selber zu machen braucht."

Karlsson schnaubte.

„Ich könnte tausend Staubsauger haben, wenn ich wollte. Aber ich bin nicht so träge von Natur wie gewisse andere Leute. Ich ziehe es vor, mich zu rühren."

„Ich aber auch", sagte Lillebror zur Entschuldigung. „Nur -ach ja, du hast ja auch gar keinen elektrischen Strom für einen Staubsauger."

Ihm fiel ein, daß Karlssons Haus ganz unmodern war. Hier gab es weder elektrischen Strom noch eine Wasserleitung. Karlsson hatte eine Petroleumlampe, die abends leuchtete, und Wasser bekam er aus den Regentonnen, die draußen an der Hausecke standen.

„Einen Müllschacht hast du auch nicht", sagte Lillebror. „Den brauchst du aber wirklich."

„Ich und keinen Müllschacht", sagte Karlsson. „Was weißt du davon? Kehre zuerst mal den Müll zusammen, dann zeige ich dir den besten Müllschacht der Welt."

Lillebror seufzte. Dann nahm er den Handfeger und machte sich an die Arbeit. Karlsson hatte die Arme hinter dem Nacken verschränkt und schaute sehr befriedigt zu. Und er sang Lillebror etwas vor, wie er versprochen hatte:


„Tages Müh'n sind bald zu Ende;

nur wer ohne Müßigsein

hat gerührt die fleiß'gen Hände,

darf der süßen Ruh' sich freu'n."


„Ganz recht, so ist es", sagte Karlsson und wühlte sich in das Kissen hinein, damit er noch besser läge. Dann sang er abermals, und Lillebror fegte und fegte. Als er jedoch beim besten Fegen war, sagte Karlsson:

„Da du sowieso beim Arbeiten bist, kannst du mir gleich ein bißchen Kaffee kochen."

„Ich?" fragte Lillebror.

„Ja bitte", sagte Karlsson. „Ich möchte allerdings nicht, daß du meinetwegen besondere Mühe hast. Du brauchst nur den Herd anzumachen und ein bißchen Wasser zu holen und den Kaffee-satz aufzubrühen. Den Kaffee werde ich schon allein trinken."

Lillebror blickte mißmutig auf den Fußboden, der noch lange nicht sauber war.

„Kannst du nicht den Kaffee machen, während ich ausfege?"

schlug er vor.

Karlsson seufzte schwer.

„Wie um Himmels willen macht man es bloß, so faul zu werden wie du?" fragte er. „Wenn du doch gerade dabei bist — ist es dann so schwierig, gleich ein bißchen Kaffee zu kochen?"

„Nein, natürlich nicht", sagte Lillebror. „Wenn ich allerdings meine Meinung sagen soll. . ."

„Das sollst du aber nicht", sagte Karlsson. „Streng dich ja nicht an damit! Sei statt dessen lieber ein bißchen gefällig gegen den, der sich um deinetwillen abgerackert hat, dir die Ohren staub-gesaugt hat und wer weiß was alles."

Lillebror legte den Handfeger hin. Er nahm einen Eimer und lief hinaus, um Wasser zu holen. Er zerrte Holz aus dem Holzstapel und steckte es in den Herd, und er tat sein Bestes, um das Feuer anzuzünden, aber es wollte nicht gelingen.

„Ich habe keine Übung", sagte er, um sich zu entschuldigen.

„Könntest du nicht lieber - ich meine, nur anzünden?"

„Das möchtest du wohl", sagte Karlsson. „Ja, wenn ich auf den Beinen wäre, das wäre eine andere Sache, dann könnte ich dir vielleicht zeigen, wie man es macht, aber jetzt liege ich nun zufällig, da kannst du nicht verlangen, daß ich auch noch alles für dich machen soll."

Das verstand Lillebror. Er versuchte es noch einmal, und nun begann es plötzlich im Herd zu prasseln und zu zischen.

„Es kommt", sagte Lillebror zufrieden.

„Na siehst du! Man braucht nur ein bißchen Energie", sagte Karlsson. „Setz jetzt ruhig den Kaffee auf und mach ein hübsches kleines Tablett zurecht und such ein paar Zimtwecken hervor. Dann kannst du fertigkehren, während das Kaffeewasser heiß wird."

„Und der Kaffee — bist du sicher, daß du den allein trinken kannst?" fragte Lillebror. Wahrlich, er konnte mitunter ganz schön spöttisch sein.

„Aber gewiß doch, den Kaffee trinke ich allein", sagte Karlsson.

„Du kannst aber auch ein bißchen bekommen, denn ich bin ja so unerhört gastfrei."

Und als Lillebror fertig gefegt und alle Nußschalen und Kirschkerne und Papierschnitzel in Karlssons großen Mülleimer ge-schaufelt hatte, tranken sie auf Karlssons Sofakante Kaffee. Sie aßen viele Wecken dazu. Und Lillebror saß hier bei Karlsson und fühlte sich wohl, wenn es auch anstrengend war, bei ihm etwas gründlicher zu putzen.

„Wo hast du denn nun diesen Müllschacht?" fragte Lillebror, nachdem er den letzten Wecken verzehrt hatte.

„Ich zeige ihn dir", sagte Karlsson. „Nimm den Mülleimer und komm mit!"

Er ging vor Lillebror auf den Treppenabsatz vor der Tür hinaus.

„Da", sagte er und zeigte auf die Regenrinne.

„Wieso - was meinst du?" fragte Lillebror.

„Da geh rüber", sagte Karlsson. „Da hast du den besten Müllschacht der Welt."

„Soll ich den Müll auf die Straße werfen?" fragte Lillebror.

„Das kann man doch nicht tun."

Karlsson riß ihm den Mülleimer aus der Hand.

„Das wirst du ja sehen. Komm her!"

Den Eimer in der Hand, rannte er über das Dach dahin. Lillebror erschrak - wenn Karlsson nun nicht rechtzeitig anhalten konnte, bevor er an die Dachrinne kam!

„Bremse!" rief Lillebror. „Bremse!"

Und Karlsson bremste. Jedoch nicht eher, als bis er am äußer-sten Rand angelangt war.

„Worauf wartest du noch?" schrie Karlsson. „Komm her!"

Lillebror setzte sich auf sein Hinterteil und rutschte vorsichtig bis an die Dachrinne.

„Der beste Müllschacht der Welt - Fallhöhe zwanzig Meter", sagte Karlsson und kippte frischweg den Mülleimer aus. Durch den besten Müllschacht der Welt stürzten Kirschkerne, Nußschalen und Papierschnitzel in einem dicken Schwall auf die Straße hinunter und fielen einem feinen Herrn, der auf dem Bürgersteig daherkam und ein Zigarre rauchte, auf den Kopf.

„Ui", sagte Lillebror, „ui, ui, ui, guck mal, der hat es auf den Kopf gekriegt."

Karlsson zuckte mit den Schultern.

„Wer hat ihn gebeten, genau unter meinem Müllschacht vorbei-zugehen? Mitten im Großreinmachen!"

Lillebror machte ein bedenkliches Gesicht.

„Ja, aber der hat nun Nußschalen ins Hemd gekriegt und Kirschkerne ins Haar, das ist nicht gerade angenehm."

„Das stört keinen großen Geist", sagte Karlsson. „Hat man weiter keine Sorgen hier im Leben als ein paar Nußschalen im Hemd, dann kann man froh sein."

Es machte jedoch nicht den Eindruck, als ob der Herr mit der Zigarre besonders froh wäre. Man konnte sehen, wie er sich schüttelte, und dann hörte man, wie er nach der Polizei rief.

„Wie manche Leute sich doch wegen Kleinigkeiten aufregen", sagte Karlsson. „Er sollte lieber dankbar sein. Wenn nun die Kirschkerne in seinem Haar Wurzel schlagen, dann wächst da vielleicht ein hübscher kleiner Kirschbaum, und dann kann er den ganzen Tag Kirschen pflücken und Kerne spucken."

Dort unten auf der Straße ließ sich kein Polizist blicken. Der Herr mit der Zigarre mußte mit seinen Nußschalen und seinen Kirschkernen nach Hause gehen.

Karlsson und Lillebror kletterten wieder über das Dach zu Karlssons Haus zurück.

„Übrigens möchte ich auch Kirschkerne spucken", sagte Karlsson. „Da du sowieso bei der Arbeit bist, hol doch mal den Beutel mit den Kirschen, der hängt drinnen unter der Decke."

„Glaubst du, daß ich da herankomme?" fragte Lillebror.

„Steig auf die Hobelbank", sagte Karlsson.

Das tat Lillebror, und hinterher saßen Karlsson und Lillebror auf der Treppe und aßen getrocknete Kirschen und spuckten die Kerne in alle Richtungen. Sie kullerten mit leisem Prasseln über das Dach nach unten. Es klang so lustig.

Jetzt fing es an, dämmerig zu werden. Eine weiche, warme Herbstdämmerung senkte sich auf alle Dächer und alle Häuser.

Lillebror rückte näher an Karlsson heran. Es war gemütlich, dort auf der Treppe zu sitzen und mit Kirschkernen um sich zu spucken, während es immer dunkler wurde. Die Häuser sahen jetzt so anders aus, dunkel und geheimnisvoll und zuletzt ganz schwarz. Es war, als hätte jemand sie mit einer großen Schere aus schwarzem Papier ausgeschnitten und nur einige goldene Vierecke als Fenster daraufgesetzt. Es tauchten immer mehr leuchtende Vierecke in all dem Schwarz auf, denn nun zündeten die Menschen in ihren Häusern nach und nach das Licht an.

Lillebror versuchte, die Vierecke zu zählen. Zuerst waren es nur drei, dann waren es zehn, schließlich waren es viele, viele.

Durch die Fenster konnte man sehen, wie Menschen in den Stuben umhergingen und dieses oder jenes taten, und man konnte sich fragen, was sie machten und wer sie waren und weshalb sie gerade dort wohnten und nicht woanders.

Aber nur Lillebror fragte sich das, Karlsson nicht.

„Irgendwo müssen sie ja wohnen, die armen Menschen", sagte Karlsson. „Sie können ja nicht alle ein Haus auf dem Dach haben. Sie können ja nicht alle der beste Karlsson der Welt sein."

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