Es war später Nachmittag, als Bolitho endlich überzeugt war, alles Greifbare über das Schiff gelesen zu haben. Heuer- und Bestrafungslisten, Logbücher, Abrechnungen über Waren und Proviantrückzahlungen — die Liste schien endlos. Aber nicht einen Augenblick hatte er sich gelangweilt. Der neue Rock hing über einer Stuhllehne, seine Halsbinde hatte er gelockert und das Hemd aufgeknöpft. Alle Einzelheiten in den Büchern hatten ihn gefesselt.
Oberflächlich betrachtet hatte sein Vorgänger, Kapitän Ransome, ein tüchtiges und vorbildlich geführtes Schiff befehligt. Im Strafregister waren all die üblichen Anklagen und Bestrafungen für kleine Vergehen aufgezeichnet. Es gab einige Fälle von Trunkenheit und nur wenige von unbotmäßigem Verhalten und Gehorsamsverwe igerung. Als schlimmstes Verbrechen war die Handgreiflichkeit eines Seemanns angeführt, der während des Geschützdrills einen Bootsmann niedergeschlagen hatte.
Ransome hatte zu Beginn seines Kommandos ganz besonderes Glück gehabt. Da das Schiff auf der Themse in Dienst gestellt wurde, hatte er sich von den angeworbenen Seeleuten die besten aussuchen können. Er hatte beim Zusammenstellen seiner Besatzung viel weniger Schwierigkeiten gehabt als die meisten anderen Kapitäne. Männer von einlaufenden Kauffahrern, von Schiffen, die zur Überholung auf Dock gelegt wurden, kamen zu ihm an Bord.
Im Gegensatz zu der offensichtlich guten Stimmung auf dem Schiff stand eine ganze Reihe ungünstiger Berichte in den Logbüchern. Die Sparrow war in zwei Jahren, seitdem sie England verlassen hatte, nur einmal in ein Gefecht verwickelt worden, und auch dies nur als zweitrangige Verstärkung einer Fregatte, die einen Blockadebrecher angegriffen hatte. Kein Wunder, daß Fähnrich Heyward auf die Bemerkungen Bolithos über die Buggeschütze hin etwas peinlich berührt war.
Vermutlich hatte er die Worte seines neuen Kapitäns für Kritik an der fehlenden Kampferprobung gehalten.
Dann gab es da noch eine Liste von Leuten, die zur Beförderung auf andere Schiffe versetzt worden waren. Die freigewordenen Dienststellen waren durch Männer aufgefüllt worden, die Ransome in seinem persönlichen Logbuch als freiwillige, einheimische Siedler bezeichnete.
Bolitho hatte sich lange bei den täglichen Berichten des verstorbenen Kapitäns aufgehalten. Seine Äußerungen waren sehr knapp, und man konnte aus ihnen unmöglich irgendwelche Schlüsse über diesen Mann ziehen. Immer, wenn Bolitho von Zeit zu Zeit die Logbücher beiseite schob und sich in der Kajüte umschaute, beschäftigten sich seine Gedanken mit Ransome. Offensichtlich war er ein fähiger Offizier gewesen, ein Mann von vornehmer Herkunft und dementsprechend guten Beziehungen. Doch schien die Kajüte in Widerspruch zu diesem geistigen Porträt zu stehen. Sie war allzu elegant und bequem und paßte darum nicht in die Vorstellungen, die Bolitho von einem Kriegsschiff hatte.
Er seufzte und lehnte sich im Sessel zurück, als Fitch, sein Kajütsdiener hereintappte, um die Reste der Mahlzeit abzutragen. Die schräg hereinflutenden Sonnenstrahlen fielen auf seinen schmächtigen Körper.
Fitch war ein elender Kerl, der in seiner glücklosen Vergangenheit bereits des Diebstahls überführt worden war. Aber während er den Urteilsspruch des Schwurgerichts erwartete, hatte die rechtzeitige Ankunft eines Kriegsschiffes ihn vor Deportation oder gar noch Schlimmerem gerettet. Er diente ohne Freude in der Flotte und betrachtete sein Leben auf See lediglich als Strafabbuße. Doch schien er wenigstens ein brauchbarer Diener zu sein, und vielleicht fühlte er sich bei dieser Arbeit einigermaßen wohl. Seine Stellung ersparte ihm die Anstrengungen und Gefahren an Deck, und vorausgesetzt, daß sein jeweiliger Herr kein Unmensch war, hatte er wenig zu befürchten. Bolitho beobachtete ihn, wie er das Geschirr auf ein Tablett lud. Das Mahl war ausgezeichnet gewesen. Es hatte kalte Zunge mit frisch vom Land eingekauftem Gemüse gegeben, und der Bordeaux — die letzte Flasche aus Ransomes Vorrat, wie Fitch betrübt erklärte — war ein seltener Genuß gewesen.
«Hat Ihr letzter Kapitän — «, Bolitho sah, wie der Mann erstarrte —,»hat Kapitän Ransome irgendwelche Anweisungen wegen seines persönlichen Besitzes an Bord hinterlassen?»
Fitch senkte die Augen.»Mr. Tyrell hat sich bereits darum gekümmert, Sir. Die Sachen wurden auf ein nach England bestimmtes Transportschiff gebracht.»
«Er muß wohl ein ziemlich bedeutender Offizier gewesen sein?«Bolitho haßte es, jemand auf diese Art auszufragen, aber er fühlte, daß er irgendeine Beziehung — und sei sie noch so klein — zu dem Manne brauchte, der das Schiff vom Tag des Stapellaufs an befehligt hatte.
Fitch biß seine Lippen.»Er war ein strenger Kapitän, Sir. Er paßte auf, daß die Leute ihre Arbeit taten. Er war glücklich, wenn sie gehorchten, wenn nicht«- er zuckte seine ärmlichen Schultern —,»dann pflegte er ziemlich zu fluchen.»
Bolitho nickte.»Sie können gehen.»
Es war sinnlos, aus Fitch mehr herausholen zu wollen. Sein elendes Leben war nur mit äußeren Dingen beschäftigt: Essen und Trinken, eine warme Koje oder eine blitzschnelle Verwünschung, wenn sein Verhalten nicht den Anforderungen seines Herrn entsprach.
Über seinem Kopf stampften Füße, und er mußte sich zurückhalten, um nicht zu den Heckfenstern zu laufen oder auf einen Stuhl zu steigen und durch das Skylight über dem Tisch zu spähen. Er dachte an seine alten Kameraden in der Offiziersmesse auf der Trojan. Ob sie ihn wohl vermißten? Wahrscheinlich nicht. Durch seine Beförderung entstand eine Lücke, und so konnte ein anderer auf der Leiter der Dienstränge eine Sprosse höher klimmen. Er mußte über sich selbst lächeln. Es würde wohl einige Zeit brauchen, bis er in seine neue Rolle hineingewachsen wäre. Zeit und Wachsamkeit!
Jemand klopfte an die Tür. Mr. Buckle, der Steuermann, trat ein.»Haben Sie einen Augenblick Zeit, Sir?»
Bolitho deutete auf einen Stuhl. Auch dies war so anders als auf einem großen Kriegsschiff. In der Besatzung gab es keine Marineinfanterie, und Besucher der Kapitänskajüte schienen nach Belieben kommen und gehen zu können. Vielleicht hatte Ransome zu solchen Formlosigkeiten ermutigt.
Er beobachtete Buckle, wie er sich auf seinem Stuhl zurechtsetzte. Der Steuermann war ein untersetzter, vierschrötiger Mann mit ruhigen Augen und dunklen Haaren. Mit vierzig Jahren war er das älteste Besatzungsmitglied auf dem Schiff.
«Ich möchte Sie nicht stören, Sir«, begann Buckle. Er rückte verlegen auf seinem Stuhl.»Aber da der Erste Leutnant nicht an Bord ist, sollte ich vielleicht die Beförderung eines Seemannes mit Ihnen besprechen.»
Bolitho hörte schweigend zu, während Buckle alle Punkte aufzählte, die für einen Mann namens Raven sprachen. Es war nur eine interne Angelegenheit, aber Bolitho war sich ihrer Wichtigkeit voll bewußt. Zum ersten Mal stand er als Kapitän den Fragen seiner eigenen Mannschaft gegenüber.
Buckle fuhr fort:»Verzeihung, Sir, ich dachte, wir könnten ihn auf Bewährung zum Steuermannsmaat befördern.»
«Wie lange sind Sie schon Steuermann, Mr. Buckle?»
«Erst seit ich auf diesem Schiff bin, Sir. «Buckles klare Augen blickten kühl.»Vorher war ich Steuermannsmaat auf der alten Warrior mit vierundsiebzig Geschützen.»
«Sie haben sich auf Ihrem Posten bewährt, Mr. Buckle. «Er versuchte, aus dem Dialekt auf die engere Heimat des Mannes zu schließen. Vielleicht London oder etwas östlicher, Kent vielleicht.
«Wie segelt die Sparrow?»
Buckle schien die Antwort abzuwägen.
«Sie ist ziemlich schwer für ihre Größe, Sir, vierhundertunddreißig Tonnen. Aber je stärker der Wind, desto lebendiger wird das Schiff. Erst in einem wirklichen Sturm müssen Sie die Royalsegel wegnehmen lassen. «Er runzelte die Stirn.»In einer Flaute kann sie eine ganz verflixte Tochter des Teufels sein. «Er machte eine unbestimmte Handbewegung.»Sie haben sicher die kleinen Lücken im Schanzkleid neben jeder Stückpforte gesehen, Sir?»
Bolitho hatte sie nicht bemerkt.
«Ich bin nicht ganz sicher«, sagte er langsam.
Buckle lächelte zum ersten Mal.»In einer Flaute kann man einen Riemen durch jedes dieser Löcher stecken, Sir. Sie müssen nur alle Mann an Deck haben und jeden Kerl an die Riemen schicken, dann können Sie aus der Sparrow immer noch einen oder zwei Knoten herausholen.»
Bolitho blickte weg. Beim Lesen der Logbücher und der Schiffslisten hatte er nicht halb so viel erfahren. Leichter Ärger überkam ihn, weil sein Erster Leutnant noch immer nicht da war. Es war üblich, daß der abgehende Kapitän oder doch jedenfalls der Erste Offizier den neuen Kommandanten an Bord einwiesen und ihm Verhalten und Schwächen des Schiffes erläuterten.
«Sie werden die Sparrow bald in den Griff bekommen, Sir, sie ist trotz allem ein wunderbares Schiff.»
Bolitho schaute ihn gedankenvoll an. Dem Steuermann konnte man nichts vormachen. Dennoch, genau wie Graves schien auch er sich zurückzuhalten. Vielleicht wartete er darauf, daß der neue Kapitän seine Stärke oder Schwäche verriet.
Er bemühte sich, kühl zu antworten.»Wir werden sehen, Mr. Buckle. «Als er aufblickte, bemerkte er, daß ihn der Steuermann mit plötzlicher Besorgnis beobachtete, und fügte kurz angebunden hinzu:»Sonst noch etwas?»
«Nein, Sir. «Buckle erhob sich.
«Gut, ich denke, daß die Einsatzbefehle in Kürze eintreffen. Ich erwarte, daß das Schiff seeklar ist.»
Der Steuermann nickte:»Aye, Sir, seien Sie ohne Sorge.»
Bolitho wurde etwas freundlicher. Möglicherweise ließ ihn nur seine eigene Unsicherheit so barsch seinem Steuermann gegenüber auftreten. Gewiß würde er Buckles führende Hand noch sehr brauchen, bis er das rechte Gefühl für sein Schiff bekäme.»Ich zweifle nicht, daß ich mit Ihrem Verhalten ebenso zufrieden sein werde, wie es Kapitän Ransome war.»
Buckle schluckte verlegen.»Jawohl, Sir. «Seine Augen schweiften durch die niedrige Kajüte.»Danke, Sir.»
Als sich die Tür hinter dem Steuermann schloß, strich Bolitho über seine Haare. Kaum waren ein paar Stunden vergangen, seit er unter dem Geschrill der Pfeifen an Bord gekommen war, und schon fühlte er zwiespältige Gedanken in sich erwachen.
Alles war so anders als in seinem früheren Leben. Damals konnte man sich mit seinen Kameraden besprechen, die Schwächen seines Kapitäns bloßlegen und ihn ordentlich verfluchen. Aber von heute an konnte nur ein einziges Wörtchen einen Mann verletzen oder ihn selbst um seine eigene Sicherheit bangen lassen. Buckle war achtzehn Jahre älter als Bolitho, doch beim ersten Anschein eines Unwillens hatte er sich beinahe geduckt.
Er schloß die Augen und versuchte, sein weiteres Verhalten festzulegen. Der Versuch, sich allzu beliebt zu machen, würde eine Narrheit bedeuten. Hielt er sich aber in Disziplinarfragen zu sehr an strikte Regeln, so war er ein Tyrann. Er mußte an Colquhouns Worte denken und lächelte bekümmert. Bis man die luftige Höhe von Colquhouns Dienstrang erreicht hatte, war man vor nichts sicher.
Über der Kajütsdecke hörte er einen Anruf und eine laute Antwort vom Wasser her, dann schrammte ein Bootskörper längsseits, und Füße stampften auf den Decksplanken. Es kam Bolitho fast unwirklich vor, daß auf dem Schiff, auf seinem Schiff, alles seinen gewohnten Gang ging, während er hier allein am Tisch saß. Er seufzte wieder und starrte den Stapel von Papieren und Büchern an. Es würde länger dauern, alles in Ordnung zu bringen, als er zuerst gedacht hatte. Wieder klopfte es an die Tür, und Graves trat gebückt ein, zog seinen Hut und klemmte ihn unter den Arm.
«Das Wachboot war soeben längsseits, Sir. «Er überreichte Bolitho einen schwerversiegelten Leinenumschlag.»Vom Marinestab, Sir.»
Bolitho legte ihn achtlos auf den Tisch. Zweifellos seine Einsatzbefehle, und er war sich bewußt, daß er nicht so handeln durfte, wie er es sich wünschte. Wie gerne hätte er den Umschlag ungeduldig aufgerissen, um zu erfahren, was von ihm verlangt wurde.
Er bemerkte, daß Graves sich in der Kajüte umschaute und seine Augen rasch über den abgelegten Rock, den Hut auf der Fensterbank und endlich über sein aufgeknöpftes Hemd gleiten ließ.
«Wollen Sie, daß ich hier warte, Sir?»
«Nein, ich werde Sie über den Inhalt der Papiere unterrichten, sobald ich genügend Zeit hatte sie durchzusehen.»
Graves nickte.»Ich erwarte den letzten Wasserleichter, der zu uns herauskommen soll. Ich habe den Küfer an Land geschickt, damit es schneller geht, aber.»
«Dann kümmern Sie sich bitte weiterhin darum«, lächelte Bolitho.
Er wartete, bis der Zweite Offizier gegangen war. Dann erbrach er die Siegel.
Bolitho war noch immer mit den sorgfältig niedergeschriebenen Befehlen beschäftigt, als er Stimmen im Durchgang vor der Tür hörte. Er erkannte Graves' Stimme, höflich und zurückhaltend, dann sprach jemand anderer, zuerst ruhig, dann ärgerlich losbrechend.»Nun, wie in drei Teufels Namen sollte ich das wissen? Sie hätten signalisieren können, Sie verdammter Narr!»
Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann klopfte es abermals an. Der Erste Leutnant trat ein. Er sah ganz anders aus, als Bolitho erwartet hatte. Colquhoun hatte gesagt, er sei zu jung, um das Kommando zu übernehmen. Doch dieser Mann war etwa zwei Jahre älter als Bolitho. Groß, breitschultrig, mit tief gebräuntem Gesicht stand er vor ihm. Sein dichtes, kastanienbraunes Haar wischte zwischen den Decksbalken über die Kajütsdecke, so daß er den niedrigen Raum ganz auszufüllen schien.
Bolitho blickte ruhig zu ihm auf.»Mr. Tyrell?»
Der Leutnant nickte kurz.»Sir!«Er holte tief Luft.»Ich muß mich für mein spätes An-Bord-Kommen entschuldigen. Ich war auf dem Flaggschiff.»
Bolitho senkte seine Augen. Tyrell sprach etwas gedehnt, ein sicheres Zeichen, daß der Mann in den amerikanischen Kolonien geboren und aufgewachsen war. Er wirkte wie ein nur halb gezähmtes Tier, und sein rasches Atmen verriet den Ärger, der immer noch in ihm brodelte.
«Unser Einsatzbefehl wurde soeben überbracht«, sagte Bolitho leichthin.
Tyrell schien nicht zu hören.»Ich war in persönlichen Angelegenheiten von Bord, Sir. Ich hatte keine Zeit, es anders einzurichten.»
«Ah, ja!»
Bolitho wartete und beobachtete den Mann, der unruhig zu den Heckfenstern hinstarrte. Er hatte eine sonderbare Art zu stehen.
Ein Arm hing an seiner Seite herunter, der andere war auf den Degengriff gestützt. Er sah ganz entspannt aus, doch aufmerksam wie jemand, der auf einen Angriff gefaßt war.
«Es wäre mir lieber gewesen, wenn ich bei meinem Kommandoantritt den Ersten Offizier an Bord angetroffen hätte.»
«Ich habe Käptn Ransomes sterbliche Überreste an Land bringen lassen, damit sie mit seinem Besitz nach Hause befördert werden. Da Sie, Sir, den Befehl noch nicht übernommen hatten, fühlte ich mich frei zu handeln, wie ich es für richtig hielt. «Er schaute Bolitho ruhig an.»Ich war an Bord des Flaggschiffs, um mich, wenn möglich, auf ein anderes Schiff versetzen zu lassen. Es wurde abgelehnt.»
«Sie glaubten, daß Ihre Fähigkeiten unter anderem Kommando passender eingesetzt werden könnten, war das der Grund?»
Auf Tyrells Gesicht erschien ein zurückhaltendes Lächeln. Es veränderte ihn im Augenblick von einem ärgerlichen Mann in einen Menschen mit auffallendem Charme und der angeborenen Unbekümmertheit eines Kämpfers.
«Es tut mir wirklich leid, Sir. Nein, das war es nicht. Sie wissen zweifellos, daß ich das bin, was der verstorbene Käptn Ransome als einheimischen Kolonisten zu bezeichnen pflegte. «Bitter fügte er hinzu:»Obwohl es schien, daß wir, als ich vor einem Jahr an Bord kam, alle auf der gleichen Seite gegen die Rebellen standen.»
Bolitho horchte auf. Es war eigenartig, daß er sich niemals um die Gefühle von Leuten wie Tyrell gekümmert hatte, um die Einstellung guter amerikanischer Familien, die loyal zur britischen Krone sich als erste gegen die plötzliche Erhebung im eigenen Lande gestellt hatten. Als sich aber der Krieg ausweitete und die Briten hart um die Herrschaft, ja schließlich um ihre Existenz kämpfen mußten, waren die loyalen Amerikaner, wie Tyrell, plötzlich die Außenseiter geworden.
«Wo sind Sie zu Hause?«fragte er ruhig.
«Virginia, in der Grafschaft Gloucester. Mein Vater kam von England herüber, um einen Küstenschiffahrtshandel zu gründen. Als der Krieg begann, war ich Käptn auf einem seiner Schoner. Seitdem stehe ich im Dienst des Königs.»
«Und was ist mit Ihrer Familie?»
Tyrell blickte weg.»Weiß Gott, ich habe nichts mehr von ihnen gehört.»
«Wollten Sie sich auf ein Schiff versetzen lassen, das näher Ihrer Heimat stationiert ist? Um zu jenen Leuten zurückzukehren, die Sie jetzt als Ihre Landsleute betrachten?«Bolitho gab sich keine Mühe, die Schärfe in seinem Ton zu verbergen.
«Nein, Sir! Das ist's nicht. «Er hob einen Arm und ließ ihn wieder sinken. Seine Stimme wurde böse.»Ich bin Offizier des Königs, gleichgültig, was Ransome auch glauben mochte — der verfluchte Kerl.»
Bolitho stand auf.»Ich möchte nicht, daß Sie so von Ihrem letzten Kapitän reden!»
Eigensinnig antwortete Tyrell:»Käptn Ransome ist in seinem Sarg im Laderaum eines Transportschiffes gut aufgehoben. Seine Witwe in ihrem großen Londoner Haus wird um ihn weinen und den Kriegsdienst anklagen, der ihn um sein Leben gebracht hat. «Er lachte kurz auf:»Fieber, hieß es offiziell. «Sein Blick irrte durch die Kabine.»Schauen Sie sich all das hier an, Sir! Von Weiberhänden eingerichtet. Wir sind kaum eine Meile gesegelt, ohne daß er irgendein verdammtes Weibsstück zur Gesellschaft an Bord hatte. «Er schien sich nicht mehr zurückhalten zu können.»Das ist die Art von Fieber, die ihn letzten Endes umgebracht hat. Ich bin verdammt froh, ihn los zu sein, wenn Sie mich fragen sollten.»
Bolitho setzte sich. Wieder war ihm der Boden unter den Füßen ins Wanken geraten. Frauen hier in dieser Kajüte! Er hatte gelegentlich von solchen Dingen auf größeren Schiffen gehört. Aber auf der kleinen Sparrow, die so wenig Sicherheit bot, wenn sie in ein Gefecht verwickelt wurde, war das undenkbar.
Tyrell beobachtete ihn zornig.»Ich mußte es Ihnen erzählen, Sir. Das ist so meine Art. Aber ich will Ihnen noch mehr sagen. Wenn ihn nicht Krankheit erledigt hätte, so hätte ich selbst ihn umgebracht.»
Bolitho blickte scharf auf.»Dann sind Sie ein Narr. Wenn Sie keine andere Stärke haben als die in Ihren bloßen Händen, dann werde ich es sein, der um Ihre Versetzung bittet, und damit keinen Fehler machen.»
Tyrell starrte auf einen Punkt hinter Bolithos Schulter.
«Würden Sie sich vielleicht so ruhig verhalten, Sir, wenn eine der Frauen Ihre Schwester gewesen wäre?»
Die Tür öffnete sich einen Zoll we it, und Stockdales zernarbtes Gesicht spähte herein. Auf einer Hand balancierte er ein kleines Silbertablett, auf dem zwei Gläser und eine Karaffe standen.
Mühsam preßte er die Worte heraus:»Dachte, Sie könnten eine kleine Erfrischung brauchen, Sir. «Er beobachtete die beiden Männer und fügte hinzu:»Zur Feier des Tages.»
Bolitho wies auf den Tisch und wartete, bis Stockdale gegangen war. Immer noch wortlos füllte er die beiden Gläser. Er spürte, daß Tyrells Augen jeder seiner Bewegungen folgten. Ein schlechter Start! Für sie alle beide. Wenn es überhaupt noch möglich war, etwas wiedergutzumachen, dann mußte es sofort geschehen, in dieser Minute. Wenn Tyrell aus seiner Kapitulation Nutzen zog, dann war nicht abzusehen, wohin das noch führen würde.
Er reichte ihm ein Glas und sagte mit großem Ernst:»Ich habe zwei Schwestern, Mr. Tyrell. Als Antwort auf Ihre Frage wage ich zu sagen, daß auch ich nicht ruhig geblieben wäre. «Er lächelte, als er die plötzliche Überraschung in des Leutnants Augen bemerkte.»Ich nehme an, Sie schlagen einen Trinkspruch auf uns beide vor, eh?»
Tyrell hob seine Hand und stieß mit Bolitho an.»Dann lassen Sie uns auf einen neuen Anfang trinken, Sir!»
Bolitho hielt sein Glas ganz ruhig.»Und keine Versetzung?»
«Nein, Sir.»
«Dann also auf einen neuen Anfang. «Er nahm einen Schluck und fügte hinzu:»Das ist gut für Sie, Mr. Tyrell. Wir werden morgen segeln und zur Küstenflottille stoßen. «Er machte eine Pause, als er die plötzliche Verzweiflung in den Zügen des anderen sah.
«Nicht sehr weit von der Küste Marylands.»
«Gott sei Dank«, sagte Tyrell.»Ich weiß, daß ich ein Narr bin. Aber endlich wieder vor dieser Küste zu segeln, verändert für mich die Welt.»
Bolitho stellte sein Glas ab.»Schön, ich möchte gegen Ende der ersten Hundewache unsere Offiziere ganz zwanglos hier sehen. «Er bemühte sich sorgfältig, wieder in steifem Ton zu sprechen. Für den Augenblick hatte jeder von ihnen beiden genug von seinem Innern gezeigt.»Inzwischen könnten Sie mich auf einem Inspektionsgang durch das Schiff begleiten. Und ich möchte alles sehen, gut oder schlecht.»
Tyrell nickte:»Gewiß, Sir. «Ein leichtes Grinsen huschte über sein Gesicht.»Ich habe so ein Gefühl, daß unsre Sparrow fliegen wird wie nie zuvor. «Er trat zur Seite, bis Bolitho seinen Rock übergeworfen und sein Hemd zugeknöpft hatte.»Wollen Sie mir nun bitte folgen, Sir?»
Als sie auf das Geschützdeck ins Sonnenlicht hinaufstiegen, blickte Bolitho auf Tyrells breite Schultern und unterdrückte ein Seufzen. Sollte jeder Tag solch einen Willenskampf mit sich bringen, so wäre sein Kommando eine ständige Prüfung.»Fangen wir bei der Steuerbordbatterie an, Mr. Tyrell. «Der Erste Leutnant blieb unter dem Niedergang vom Achterdeck einen Augenblick stehen.»Wie Sie sagten, Sir. Alles. «Er grinste wieder.»Gutes und Schlechtes.»
Stockdale räumte das Rasierbecken weg und schielte nach dem Frühstück, das unberührt auf dem Kajütstisch stand. Auf Deck und im ganzen Schiff zitterte die Luft vor Lärm und Aufregung. Einer Landratte kämen die Arbeiten und Vorbereitungen zum Seeklarmachen verwirrend und halbverrückt vor. Aber für das geübte Auge hatte jeder Mann seinen Platz und seine genau bestimmte Aufgabe. Das meilenlange Tauwerk, jeder Fetzen Segel erfüllten einen entscheidenden Zweck, wenn ein Schiff in See gehen und tadellos manövrieren sollte.
Bolitho stand in der Kajüte und blickte durch die Heckfenster auf den zunächstliegenden Landstreifen hinaus. Der Morgen war hell, über den Hügeln spannte sich der Himmel sehr blaß, reingewaschen und klar. Er konnte das Gebäude des Marinestabes über der Küstenbatterie ausmachen. Die Flagge dort hing nicht mehr träge am Mast, sondern hob sich und flatterte im frischen Nordostwind. Er empfand es fast als körperlichen Schmerz, sich hier in der Kajüte einzuschließen und gierig den genauen Zeitpunkt zu erwarten, an dem er es für richtig hielt, an Deck zu gehen.
Stimmen dröhnten über das Oberdeck, und Schatten wischten geschäftig über das Skylight. Ab und zu konnte er das mißtönende Quieken einer Fiedel und das verzerrte Gebrüll eines Matrosensongs hören, während die Männer um das Ankerspill stampften.
In den vergangenen Stunden, ja fast die ganze Nacht lang, hatte er sich in seiner Koje herumgeworfen und den Schiffsgeräuschen gelauscht, dem Knarren im Rigg und in den Decksbalken. Seine Gedanken hatten versucht, alles Ungewohnte auf einem fremden Schiff zu erfassen. Trotz aller Arbeit würde ihn jeder Mann heute morgen beobachten, der Kommandant auf dem Achterdeck des Flaggschiffs ebenso wie irgendein unbekannter Leutnant, der Bolitho wahrscheinlich haßte, weil er die goldene Chance gehabt hatte, allen anderen vorgezogen worden zu sein.
«Ihr Kaffee, Sir!«Stockdale blieb zögernd am Tisch stehen.
«Er ist immer noch heiß.»
Bolitho fuhr ärgerlich herum, weil er in seinen ruhelosen Gedanken gestört worden war. Aber beim Anblick von Stockdales besorgtem Gesicht verflog aller Zorn. Immer wieder war es das gleiche.
Er setzte sich an den Tisch und versuchte sich zu entspannen. Stockdale hatte recht. Sollte er irgend etwas vergessen haben, so war es nun zu spät. Man konnte auch allzuviel in seinen Kopf hineinpressen. Das würde dann nur die Gedanken verwirren und verwischen.
Bolitho schlürfte seinen Kaffee und starrte auf das kalte Fleisch. Er konnte es nicht anrühren. Sein Magen rebellierte ohnehin schon in besorgniserregender Weise. Die übereinandergeschichteten Scheiben Schweinefleisch wären sicher mehr als genug, um ihn vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Stockdale spähte durch die Fenster.»Es wird eine gute Überfahrt werden, Sir. Lange genug, um diese Burschen richtig einzuschätzen.»
Bolitho blickte zu ihm auf. Stockdale mußte seine Gedanken erraten haben. Zusammen mit einer anderen Korvette sollten sie für zwei fette Transportschiffe, die Nachschub für die Truppen in Philadelphia geladen hatten, Geleitschutz geben. Zweitausend Meilen, meist auf offener See, würden ihm reichlich Gelegenheit geben, sich und seine Mannschaft zu prüfen.
Am vergangenen Abend hatte er sich in der winzigen Messe mit seinen Offizieren getroffen. Außer Tyrell waren alle schon seit der Indienststellung in Greenwich an Bord. Bolitho war ein wenig eifersüchtig auf ihre offenkundige Vertrautheit mit der Sparrow. Die beiden achtzehnjährigen Fähnriche waren als unerfahrene Novizen an Bord gekommen. Sie waren auf der Sparrow erwachsen geworden und warteten nun voll Hoffnung auf ihre Beförderung. Schade, dachte er, daß sie erst Fähnriche waren. Sie könnten zu sehr um die Gunst ihres Kapitäns wetteifern. In einem größeren Schiff mit vielen Bewerbern würde die Rivalität unter den» jungen Herren «weniger aufdringlich sein.
Buckle hatte während ihres formlosen Zusammenseins wenig gesprochen. In seiner Zurückhaltung hatte er sich auf Fragen der Navigation beschränkt. Zweifellos war er neugierig, wie sich sein neuer Kapitän auf See verhalten würde.
Robert Dalkeith, der Wundarzt, war ein sonderbarer Mensch. Er war zwar noch jung, aber bereits plumper und schwerfälliger, als es für seine Gesundheit gut sein konnte. Über seinen vollkommen kahlen Schädel hatte er eine hellrote Perücke gestülpt. Aber er schien gebildet und in seinem Beruf viel geschickter zu sein, als es sonst auf Kriegsschiffen üblich war, und Bolitho kam zu der Ansicht, daß in ihm mehr steckte, als er nach außen hin zeigte.
Lock, der Zahlmeister, ein linkischer, doch freundlicher, dürrer Stecken von einem Mann, vollendete die Versammlung.
Graves war später hereingekommen und hatte ziemlich viel Aufhebens von seinem Verdruß mit den Wasserleichtern gemacht. Er redete viel von den Schwierigkeiten, an Land Schauerleute zu finden. In der Tat, die Aufzählung all seiner Ärgernisse war schier endlos. Endlich hatte ihn Tyrell fröhlich unterbrochen.»So eine Gemeinheit, Hector. Ausgerechnet Sie wurden auserwählt, als geschundener Märtyrer dazustehen.»
Als alle in Tyrells Lachen einfielen, hatte Graves die Stirn gerunzelt und sich zu einem dünnen Lächeln gezwungen.
Bolitho lehnte sich zurück und starrte zum Skylight hinauf. Er war sich über Graves immer noch nicht im klaren. Zweifellos war er ein harter Arbeiter! Ransomes Speichellecker? Er konnte nicht herausfinden, wann sich die verborgene Antipathie zwischen Tyrell und Graves entwickelt haben mochte. Aber sie war deutlich spürbar.
«Herr Kapitän?»
Bolitho fuhr aus seinen Gedanken auf und wandte sich zur Tür. Dort stand Fähnrich Bethune. Seinen Hut hatte er unter einen Arm geklemmt, seine freie Hand klammerte sich an das Heft seines Entermessers. Er war ein pausbäckiger, handfester junger Kerl, und sein Gesicht war über und über mit Sommersprossen bedeckt.
«Was gibt's?»
Bethune schluckte.»Sir, Mr. Tyrell läßt respektvoll melden, daß die Transportschiffe Anker gelichtet haben. Auf der Fawn wurde das Vorbereitungssignal gehißt, Sir. «Er schaute sich neugierig in der Kajüte um.
Bolitho nickte ernsthaft.»Ich werde gleich an Deck sein. «Er zwang sich in scheinbarer Gelassenheit, noch einen Schluck Kaffee zu nehmen. Fast wurde ihm übel davon. Die Fawn war die andere Korvette, die zum Geleitzug bestimmt war. Auf ihr fuhr außer ihrem Kapitän noch Colquhoun als höchster Offizier.
Der Fähnrich stand immer noch in der Kajüte.»Ich bin auch aus Cornwall, Sir«, brachte er linkisch heraus.
Trotz seiner Anspannung mußte Bolitho lächeln. Anscheinend hatte der Wettbewerb zwischen den Fähnrichen bereits begonnen.
«Ich werde versuchen, es nicht gegen Sie zu verwenden, Mr. Bethune. «Er schaute weg, als der Bursche aus seiner Kajüte rannte.
Dann stand er auf, nahm seinen Hut aus Stockdales Hand und schritt mit kurzem Nicken hinaus in die blendende Sonne.
Die Decks schienen überfüllter denn je. Vom heiseren Gebrüll ihrer Unteroffiziere gehetzt liefen die Seeleute hin und her. Als Bolitho das Achterdeck erreichte, sah er zwei plumpe Transportschiffe schwerfällig auf die Landzunge zutreiben. Ihre braungegerbten Segel flappten und wogten in der Brise.
Tyrell tippte an seinen Hut.»Anker ist kurzstag, Sir.»
«Danke.»
Bolitho schritt zur Backbordseite und schaute zur Fawn hinüber. Er konnte ein Gewimmel von Männern an ihrem Ankerspill und die Kette, die sich nun fast senkrecht vom Bugsprit ins Wasser straffte, erkennen.
Als er das Deck überquerte, gab er sich große Mühe, die Seeleute nicht zu beachten, die auf ihren Stationen bereitstanden. Hinter der Landzunge zeichnete sich vor dem hartblauen Horizont ein bewegter Streifen kleiner Schaumkronen ab. Draußen vor dem geschützten Ankerplatz würde gutes Segelwetter herrschen. Bolitho blickte auf die trägen Strömungswirbel, die um das nächste Frachtschiff kreiselten, und biß sich auf die Lippen. Zuerst mußte er von all den Schiffen freikommen.
«Das Signal auf der Fawn ist ganz deutlich zu erkennen, Sir.»
Bethune klammerte sich an die Wanten und hatte ein Teleskop an das Auge gepreßt, obwohl Colquhouns Signal auch ohne Fernrohr klar auszumachen war.
«Klar beim Ankerspill!»
Tyrell rannte zur Reling und hielt seine großen Hände trichterförmig an den Mund.»Stagsegel losmachen!»
Neben den beiden Rudergängern stand Buckle. Er ließ Bolitho nicht aus den Augen.
«Es brist mächtig auf, Sir!»
«Ja.»
Von der Reling starrte Bolitho auf seine Besatzung herunter. Er erblickte Graves, der die Leute am Ankerspill überwachte, und Fähnrich Heyward mit seiner Abteilung am Fuß des Großmastes.
«Signal, Sir! Anker auf!»
«Toppsgasten aufentern! Marssegel losmachen!»
Er trat zurück und beobachtete die Seeleute, die in den Wanten hinaufbrandeten und über die schwankenden Rahen liefen. Ihre Körper hoben sich schwarz vom Himmel ab. Tyrell sagte sehr wenig, und Bolitho sah, daß die Toppsgasten auch ohne Befehle von Deck aus ihre Arbeiten beherrschten. Während die losen Segel an den Rahen donnerten und ein anhaltendes Beben durch das Schiff lief, bemerkte er, wie auf der Fawn die Masten schon vor dem Heck herumschwenkten und die Vormarssegel sich mit Wind füllten.
«Signal, Sir. Beeilen Sie sich!»
Bethune setzte sein Fernglas ab und versuchte Bolithos Blick zu meiden.»Klar bei Brassen!»
Er versuchte, sich um Colquhouns letztes Signal nicht zu kümmern. Vielleicht wollte er ihn nur zu irgendeiner Torheit anstacheln, vielleicht war das so seine Art. Aber nichts durfte und sollte ihm diesen Augenblick verderben.
Vom Vorschiff schrie jemand:»Anker frei, Sir!»
Die Sparrow schwoite schräg leewärts, und vor dem Klüverbaum glitt die Landzunge vorbei. Immer mehr Tuch schlug donnernd an den Rahen und spannte sich im Wind, während das Schiff Fahrt aufnahm. Blöcke klapperten und ächzten, und die Seeleute bewegten sich wie Affen hoch über Deck.
Bolitho wandte sich Buckle zu.
«Gehen Sie auf Backbordbug. Lassen Sie dann das Großsegel setzen, damit wir uns von der Landzunge gut freisegeln können. «Er begegnete dem Blick des Steuermanns.»Setzen Sie auch Fock- und Besansegel. Wir wollen versuchen, den Vorsprung der Fawn zu verringern.»
Augenblicke später standen alle Unter- und Marssegel voll in der Morgenbrise. Rasch glitt die Sparrow an einem vor Anker liegenden Zweidecker vorüber, der die Vizeadmiralsflagge am Vorschiff führte. Bolitho blickte zu Tyrell hinüber und sah ihn eine rasche Grimasse schneiden. Er würde vielleicht noch Grund haben, seinen Antrag auf Versetzung bedauern!
Sie preschten zwischen zwei ankernden Westindienfahrern hindurch und weiter die Fahrrinne entlang, auf die lockende See hinter dem Kap zu. Kleine Boote dümpelten achteraus im schäumenden Kielwasser, und als Bolitho vom Kompaß aufblickte, sah er, daß sie gegenüber der Fawn schon eine halbe Kabellänge aufgeholt hatten.
Buckle schaute den Schiffsarzt an, der sich mit einer Hand an den Besanwanten anklammerte und mit der anderen seine gräßliche Perücke festhielt.
Er zwinkerte mit den Augen.»Wir haben einen rechten Käptn an Bord, Mr. Dalkeith.»
Dalkeith verzog keine Miene, als Bolitho sich nach ihm umdrehte, dann antwortete er:»Unser armer Ransome hätte sich nie getraut, so schneidig auszulaufen, eh?»
Er grinste anzüglich.»Meinen Sie nicht auch, daß er um diese Morgenstunde ziemlich müde gewesen wäre?»
Beide lachten.
Bolithos Stimme brachte sie mit einem Ruck zum Schweigen.
«Lachen Sie gefälligst später, Mr. Buckle, Backbord voraus liegt eine Jolle. Wenn Sie die in Sichtweite des Flaggschiffs über den Haufen segeln, dann werden Sie in einer ganz anderen Tonart lachen!»
Er kehrte zur Reling zurück, als Buckle sich nach seinen Rudergängern herumwarf.
Die Spitze der Landzunge lag bereits querab, und er fühlte den Vordersteven jetzt in die erste sanfte Woge hineinpflügen. Unter dem Druck der Segel neigte sich das Deck noch schräger.
«Anker ist festgelascht, Sir«, schrie Tyrell. Gischt hatte ihm das Hemd durchnäßt, über sein Gesicht perlten Wassertropfen, aber ein breites Grinsen stand in seinen Zügen.
Bolitho nickte.»Gut. Sehen Sie zu, daß jetzt der Außenklüver besser getrimmt wird, er sieht aus wie ein Fetzen dreckiger Wäsche.»
Aber er konnte nicht so streng bleiben.»Bei Gott, die Sparrow fliegt, oder nicht?»
Er blickte nach oben zu den viereckigen Segeln und hart angebraßten Rahen hinauf. Der Stander im Masttopp knallte wie eine Kutscherpeitsche. So oft zuvor hatte er all das schon gesehen, aber nun kam es ihm einmalig vor.
«Von der Fawn, Sir«, rief Bethune.
«Beziehen Sie Station in Luv.»
Bolitho lächelte ihm zu:»Bestätigen.»
Und für alle Männer auf dem Achterdeck fügte er hinzu:»Ein großartiger Morgen heute.»
Vom Niedergang aus beobachtete Stockdale Bolithos Freude und fühlte sich zutiefst glücklich. Er ließ seine Augen über die Toppsgasten schweifen, die eilig wieder auf das Deck hinunterglitten. Sonnverbrannt und gesund scherten sie sich um nichts. Mit einem Elfenbeinzahnstocher säuberte er seine unregelmäßigen Zähne. Sein Kapitän hatte in den vergangenen Jahren mehr erlebt, als sie alle wußten. Er betrachtete die geraden Schultern Bolithos, der ruhelos an der Luvseite auf und ab schritt. Mit der Zeit würden sie das schon noch herausbekommen.