«Das Wachboot kommt, Sir!«Bolitho nickte.»Danke.»
Er hatte es schon gesehen, sich aber auf die hintereinander verschobenen Umrisse der vor Anker liegenden Schiffe konzentriert. Ein mächtiger Zweidecker zeigte am Besan die Konteradmiralsflagge.
Dann streifte er mit einem raschen Blick die eifrige Arbeit auf dem Geschützdeck. Zum ersten Mal, seitdem sie Antigua verlassen hatten, trafen sie Vorbereitungen, Anker fallen zu lassen.
Zehn Tage waren vergangen, seit die verwüsteten Umrisse der Miranda mehr und mehr zurückgefallen und endlich ganz hinter dem Horizont verschwunden waren. Es waren Tage quälender Ungeduld gewesen. Wiederholt hatten sie Segel kürzen müssen, um den schwerfälligen Transportschiffen nicht davonzulaufen. Als sie dann endlich auf eine Fregatte des Küstengeschwaders stießen, hatten sie keine Freiheit erlangt, sondern abermals eine Verlängerung der Reise auf sich nehmen müssen. Die Sparrow hatte die Verantwortung über die Transporter nicht abgeben können, noch durfte sie geraden Weges die Küste anlaufen, um das Löschen der Ladungen zu überwachen. Statt dessen mußte sie mit allen Depeschen nach New York segeln. Der Kapitän der Fregatte hatte in seiner Ungeduld weiterzureisen nur einen Fähnrich mit seinen Befehlen zur Sparrow hinübergeschickt. Aus dem wenigen, das er bemerkt hatte, schloß Bolitho, daß die Fregatte drei Wochen lang patrouilliert und darauf gewartet hatte, ihre Nachrichten an den Geleitzug weiterzugeben, und nur den einen Wunsch hatte, mit der Sache weiterhin nichts mehr zu tun zu haben. Er wandte seinen Blick dem Wachboot zu, das sich sanft in der atlantischen Dünung wiegte. Eine große, blaue Flagge flatterte an seinem Bug, um die Stelle zu markieren, wo die Korvette ankern sollte.
Das Ruderrad knarrte und ächzte, als Buckle seine Anweisungen an die Rudergänger weitergab. Vorne auf der Back hob sich die Gestalt Leutnant Graves' dunkel von dem glitzernden Wasser ab. Er wartete auf den Befehl, den Anker fallen zu lassen, Bolitho hörte jemand lachen und sah die Transportschiffe schwerfällig auf einen anderen Ankerplatz zuschwanken. Seeleute liefen dort nun auf die Rahen hinaus und tuchten die Segel auf.
Dalkeith blickte Bolitho an.»Froh, sie von hinten zu sehen, Sir?«Er wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab.
«Sie sind viel zu lange mit uns gefahren, dachte schon, wir hätten die Biester im Schlepp.»
Der Geschützführer kletterte halb an der Leiter hoch und fragte:»Feuererlaubnis für den Salut, Sir?»
Bolitho nickte.»Bitte, Mr. Yule.»
Er wandte sich ab. Hätte ihn der Artillerist nicht an die Salutschüsse erinnert, hätte er, ganz in Gedanken an die nächste Zukunft, diese Formalität vergessen.
Als die Sparrow mit aufgegeiten Segeln nur unter Marssegeln und Klüver sanft auf das Wachtboot zuglitt, schulterte die Luft vom regelmäßigen Donnern der Geschütze, die der Konteradmiralsflagge den Respekt erwiesen.
Bolitho hätte gern mit Bethunes großem Fernglas die anderen Schiffe beobachtet, aber er vermutete, daß nun zu viel andere Gläser auf ihn gerichtet seien. Seine natürliche Neugier könnte als Unsicherheit ausgelegt werden oder als die Aufgeregtheit eines jungen, unerfahrenen Kapitäns, der einen fremden Ankerplatz anlief. So zwang sich Bolitho, an der Luvseite ruhig auf und ab zu gehen. Mit Befriedigung stellte er fest, daß alles nicht benützte Tauwerk entweder belegt oder säuberlich an Deck aufgeschossen war. Vom Gefecht mit der Brigg war an der Sparrow nichts mehr zu bemerken. In den zehn Tagen waren alle Möglichkeiten genützt worden, neue Planken einzuziehen und zu malen.
Tyrell stand mit dem Sprachrohr unter dem Arm an der Reling. Im blauen Rock und dem Dreispitz auf dem Kopf kam er ihm wieder sehr fremd vor, ein Unbekannter wie an jenem Tag, an dem er nach dem Besuch auf dem Flaggschiff in seine Kajüte gestapft war.
Die Rauchfahne des letzten Salutschusses trieb voraus über die Männer am Ankergeschirr hin, und Bolitho wandte nun alle Aufmerksamkeit der letzten Kabellänge zu, die sie noch vom Ankergrund trennte. Zu beiden Seiten lagen andere Schiffe. Sie sahen recht eindrucksvoll und unzerstörbar aus.
Langsam hob Bolitho die Hand.
«Lee brassen, Mr. Tyrell. Klar zur Wende.»
Warum nur war er so beunruhigt? Lag hinter den knappen Befehlen der Fregatte vielleicht Dunkles verborgen? Er versuchte, die Besorgnis aus seinen Gedanken zu vertreiben. Schließlich hatte die langsame Reise mit den Transportschiffen ihn vor Ungeduld halb krank gemacht, wieviel schlimmer mußte das für die einsame Fregatte gewesen sein.
Tyrells Stimme löste den Jammerchor der kreisenden Möwen aus, die schon seit Tagen die Sparrow begleitet hatten.
«Marssegel schoten!«Er blinzelte in das Sonnenlicht und beobachtete die flinke Arbeit der Männer hoch über Deck.
«Marssegel Geitaue! Vorwärts Leute!«Bethunes Stimme übertönte die gebrüllten Befehle und das flappende Schlagen der Segel.»Vom Flaggschiff an Sparrow, Sir. Kapitän an Bord melden. «Bolitho nickte.»Bestätigen. «Der Admiral schien es recht eilig zu haben.»Ruder legen!»
Sanft und mühelos drehte die Sparrow ihren Klüverbaum gegen den Wind. Die Toppsgasten wetteiferten miteinander, die störrischen Segel aufzutuchen.
«Fallen Anker!»
Mit kurzem Platschen tauchte der Anker in die See und sank auf den Grund. Noch bevor sich Graves umwandte, um dem Achterdeck das Zeichen zu geben, daß der Anker gefaßt hatte, brüllte Tilby, der Bootsmann, bereits nach Leuten, die die Gig ausschwenken sollten.
Tyrell kam nach achtern und tippte an den Hut.
«Hoffentlich gibt's gute Nachrichten, Sir!»
«Danke.»
Bolitho fragte sich, wie es wohl in Tyrells Gedanken aussehen mochte. Er war nach seiner heimatlichen Küste zurückgekehrt. Sandy Hook. Auf seines Vaters Schoner mußte er hier oft entlanggesegelt sein. Aber außer einer zurückhaltenden Wachsamkeit, die er seit dem Gefecht zeigte, verrieten seine Züge nichts von dem, was er dachte. Tyrell hatte keine Mühen gescheut, die Schäden am Schiff zu reparieren. Er hatte eine Art, die man im ersten Augenblick als lässig, ja sogar flüchtig bezeichnen würde. Aber es gab keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten oder an der Schärfe seiner Worte, wenn jemand töricht genug war, sein Gebaren für Schwäche zu halten.
«Ich glaube nicht, daß ich lange auf dem Flaggschiff sein werde. «Bolitho sah zu, wie die Besatzung der Gig sich über die Seite ins Boot hinunterschwang.
«Vielleicht wird Sie der Admiral zum Essen einladen, Sir. «Tyrells Augen zwinkerten mit verhaltenem Lächeln.»Ich glaube, die alte Parthian ist für ihre gute Küche berühmt.»
«Gig ist klar, Sir«, rief Stockdale.
Bolitho sah Tyrell an.»Treffen Sie die erforderlichen Maßnahmen zur Frischwasser- und Proviantübernahme. Ich habe Mr. Lock bereits gesagt, er solle sehen, frisches Obst zu beschaffen.»
Tyrell folgte ihm bis zur Schanzkleidpforte, wo die Seitenwache angetreten war.
Nach kurzem Zögern fragte er leise:»Wenn Sie irgend etwas erfahren könnten, was mit. «Er zuckte die Achseln.»Aber ich glaube, Sie werden zu viel zu erledigen haben.»
Bolitho ließ seine Augen über die Seeleute schweifen. Hatte er sie kennengelernt, seitdem er das Kommando übernommen hatte? Wußte er überhaupt, was sie von ihm dachten?
«Ich werde tun, was ich kann«, antwortete er dann.»Vielleicht hat Ihr Vater irgendeine Nachricht für Sie geschickt.»
Tyrell starrte ihm nach, wie er ins Boot kletterte. In seinen Ohren schrillten die Bootsmannspfeifen.
Als Bolitho durch eine vergoldete Gangwaypforte die Parthian bestieg und mit dem Hut zum Achterdeck hin grüßte, fühlte er sich augenblicklich an die Trojan erinnert, an das Leben, das er erst vor kurzer Zeit hinter sich gelassen hatte. All die bekannten Gerüche, die vertrauten Bilder stürmten auf ihn ein, und er wunderte sich, daß er schon so vieles aus jenen Tagen vergessen hatte.
Ein Leutnant führte ihn zur Kajüte des Flaggkapitäns und nahm ihm die Depeschen und einen Postsack ab, den die Miranda aus England mitgebracht hatte.
«Der Admiral wird das zuerst lesen wollen, Sir. «Seine Augen glitten rasch über Bolithos neuen Uniformrock. Vielleicht suchte er nach einer Antwort auf die ständige Frage: Warum er und nicht ich?
Eine ganze, endlos sich dehnende Stunde lang mußte Bolitho warten. Um sich selbst davon abzuhalten, immer wieder nach der Uhr zu sehen, zwang er sich, auf die Geräusche an Bord zu achten, auf den altbekannten Lärm einer wimmelnden Gemeinschaft, die in einem einzigen mächtigen Schiffsrumpf zusammengepfercht war. Er brauchte seine Einbildungskraft kaum zu bemühen, um Kapitän Pears' schneidende Stimme tadeln zu hören:»Mr. Bolitho, sehen Sie denn nicht, daß die Luv-Fockbrasse so lose ist wie ein Sauschwanz? Bei meiner Seele, Sir, Sie werden sich mehr anstrengen müssen, wenn Sie weiterkommen wollen.»
Er lächelte wehmütig, als der Leutnant endlich zurückkehrte und ihn ohne weitere Umstände nach achtern in die große Heckkajüte führte. Sir Evelyn Christie, Konteradmiral und Kommandeur des Küstengeschwaders, fächelte sein Gesicht mit einer Serviette, und nach einem prüfenden Blick auf Bolitho sagte er kurz:»Ein Glas Bordeaux, Kommandant?»
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern winkte seinem Diener, einem prächtig aussehenden Mann in roter Jacke und leuchtendgelben Hosen.
«Ich war ein wenig überrascht, den Bericht mit Ihrem Namen unterzeichnet zu sehen.»
Die Augen des Admirals waren auf den Bordeaux gerichtet, als ob er den Diener warnen wollte, nur ja keinen Tropfen zu verschütten.
«Sie schreiben, daß Ransome am Fieber gestorben ist.»
Er nahm sein Glas und prüfte es kritisch.
«Eine verdammt faule Sache. Wenn Sie mich fragen, war er ein junger Fatzke, zuviel Geld und verdammt keine Ehrlichkeit.»
Nachdem er Ransome so mit ein paar Worten abgetan hatte, fuhr er ruhig fort:»Ich nehme an, daß Sie sich über die Änderung der Pläne Gedanken gemacht haben, eh?»
Bolitho fühlte, wie ein Stuhl hinter seine Beine geschoben wurde, und bemerkte, daß es der schweigende Diener irgendwie fertiggebracht hatte, geräuschlos und fast ohne sich zu bewegen, ein Glas Bordeaux auf einem kleinen Tischchen abzustellen und einen Stuhl zu holen.
Der Admiral runzelte die Stirn.»Beachten Sie ihn nicht. Der Kerl ist ein Narr. «Mit Schärfe fügte er hinzu:»Nun?»
Bolitho war ein wenig aus der Fassung gebracht.
«Ich erwartete, daß.»
Konteradmiral Christie unterbrach ihn:»Ja, natürlich, das kann ich mir denken.»
Er machte eine Pause und hielt seinen Kopf schief wie ein gereizter Vogel.»Der Bordeaux, ist er gut?»
«Sehr gut, Sir Evelyn!»
«Hmm. «Der Admiral ließ sich vorsichtig in einem vergoldeten Sessel nieder.»Hab' ihn im vergangenen Monat einem Blockadebrecher abgenommen. Schmeckt angenehm.»
Über ihm krachte irgendein Metallgegenstand auf das Deck.
Der Admiral fuhr hoch und zischte seinen Diener böse an:»Gehen Sie und melden Sie dem Wachoffizier mit meiner freundlichen Empfehlung, daß ich ihn persönlich zur Verantwortung ziehen werde, wenn ich während dieser Unterredung noch einen einzigen unpassenden Laut höre.»
Der Diener stürzte aus der Kajüte, und in den Zügen des Admirals erschien ein leichtes Grinsen.
«Man muß sie in Trab halten, das ist meine Antwort. Man darf ihnen nicht zuviel Zeit zum Nachdenken geben.»
Im nächsten Augenblick ging er wieder auf anderen Kurs.
«Tatsache, Bolitho, die Dinge stehen nicht sehr gut für uns. Gott sei Dank sind wenigstens Sie ein Mann, der seine Befehle zu befolgen weiß. Vielleicht hätte ich an Ihrer Stelle gesagt, zum Teufel, wegen so einem verdammten Patrouillenboot herumzulungern. Am Ende wäre ich gar so weit gegangen, die Transportschiffe direkt der Armee zu übergeben.»
Bolitho horchte auf. Es klang zwar ziemlich echt, aber vielleicht wollte der Admiral eine gewisse Kritik durchblicken lassen. Vielleicht meinte er, daß er selbst die Initiative hätte ergreifen und seine ursprünglichen Befehle befolgen sollen, anstatt so zu handeln, wie er es getan hatte.
Aber die nächsten Worte des Admirals nahmen diese Besorgnis wieder von ihm.
«Sie konnten das natürlich nicht wissen, aber die Armee ist im Begriff, Philadelphia zu räumen. Rückzug!«Er betrachtete sein leeres Glas.»Klingt besser als Flucht, aber es bedeutet letztlich dasselbe.»
Bolitho war wie betäubt. Gelegentliche Rückschläge konnte er verstehen. Dieser Krieg war so ausgedehnt, die Gebiete so weit und unbekannt, daß man einen Kriegsplan im alten Stil nicht erwarten konnte. Aber es war undenkbar, Philadelphia, die wichtigste Garnison am Delaware, zu räumen. Trotz seiner Vorsicht fuhr es ihm heraus:»Aber das war doch sicher unnötig, Sir? Ich dachte, wir hätten alle amerikanischen Forts und Vorposten am Delaware im vergangenen Jahr zerstört?»
Der Admiral beäugte ihn scharfsinnig.»Das war im vergangenen Jahr, bevor sich Burgoyne bei Saratoga ergab. In diesem ganzen Gebiet wimmelt es jetzt von feindlichen Kundschaftern und ausländischen Banden.»
Er entfaltete eine Karte.»Mit meinem Geschwader muß ich Patrouillen segeln und die ganze dreihundert Meilen lange Küste überwachen — von New York bis zum Kap Henry an der Chesa-peake Bay. Die Gegend ist ein Labyrinth. Meeresarme und Flüsse, Buchten und Schlupfwinkel, wo Sie einen Dreidecker auf eine Meile Distanz nicht ausmachen können. Und jeden Tag ist die See voll von Schiffen. Vom Norden bis zum Spanischen Meer und zur Karibischen See im Süden. Holländer, Portugiesen, Spanier, und die meisten von ihnen versuchen, mit Waren und Geschützen für den Feind durch meine Patrouille zu schlüpfen.»
Er goß wieder zwei Gläser Bordeaux ein.
«Aber jetzt, da Sie diese Depeschen gebracht haben, kennen wir erst das wahre Ausmaß der Gefahr. Die Franzosen haben endlich Farbe bekannt. Ich habe bereits den Oberkommandierenden und alle höheren Offiziere hier benachrichtigt.»
Er lächelte.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Bolitho. Niemand konnte von einem neu ernannten Kapitän erwarten, daß er so gehandelt hätte, wie Sie es getan haben.»
«Danke, Sir.»
Bolitho scheuchte die Kehrseite des Bildes aus seinen Gedanken. Wenn er mit den wertvollen Transportschiffen in eine feindliche Falle gesegelt wäre, hätte der Admiral ganz anders zu ihm gesprochen.
«Schade um die Miranda, wir haben einen schrecklichen Mangel an Fregatten.»
«Was die Bonaventure betrifft, so möchte ich gern wissen…»
«Sie sind ein Mann, der dauernd etwas wissen möchte.»
Der Admiral lächelte immer noch.»In manchen Fällen kein allzu großer Fehler. Ich kannte Ihren Vater. Ich hoffe, es geht ihm gut?»
Er wartete nicht auf die Antwort und schien auch keine zu erwarten. Eilig sprach er weiter:»Ich bin gerade dabei, neue Einsatzbefehle für Sie abzufassen. In der Hast des Rückzugs haben die Militärs unglücklicherweise eine zum Hauptquartier gehörende Kompanie verloren.»
Trocken fügte er hinzu:»Unter uns gesagt, auch ich hätte in diesem Zusammenhang einiges wissen wollen, was unsre militärischen Kollegen an Land betrifft. Mir scheint, daß einige von ihnen nicht genügend Hirn im Schädel haben, ihren Diensträngen gerecht zu werden.»
Er seufzte tief.»Aber wenn auch, wer bin ich schon, sie zu verurteilen? Wir sind da besser dran. Wir tragen unsre Wohnungen, unsre Lebensart mit uns herum wie die Seeschildkröten. Wir können uns nicht gut mit irgendeinem lumpigen Infanteristen vergleichen, der mit Gepäck und Muskete beladen, fußkrank und halbverhungert seines Wegs stolpert. Er muß verhandeln, um vom Land leben zu können, er muß gegen Schatten kämpfen und wird von amerikanischen Waldbewohnern beschossen, oder er kommt gar mit gut gedrillten Truppen ins Handgemenge.»
Bolitho beobachtete ihn neugierig. Letzten Endes war an dem Admiral nichts Ungewöhnliches, nichts anderes, als man von einem Mann erwartete, der durch Autorität und Befehlsgewalt hervorgehoben war. Aber gewiß wohnte hinter seinen Zügen ein messerscharfer Verstand, der es ihm erlaubte, von einem Gesichtspunkt zum anderen zu schweifen, ohne den Überblick zu verlieren.
«Übrigens, was ist die Bonaventure für ein Schiff?«»Sie ist groß und schnell, Sir.»
Bolithos Gedanken kehrten wieder zu dieser Besprechung zurück.»Mindestens vierzig Kanonen und gut geführt. Ich bin sicher, daß sie das Schiff war, das uns folgte. Und sie konnte uns ohne weiteres überholen, als ihr Kapitän den rechten Augenblick für gekommen hielt. «Er wartete, doch das Gesicht des Admirals war eine undurchdringliche Maske.
«Sie ist einer Fregatte durchaus gewachsen.»
«Das ist wichtig. Ich werde Nachforschungen über ihre Herkunft anstellen. «Er öffnete seine Uhr.»Ich möchte, daß Sie noch heute in See gehen und diese vermißte Infanteriekompanie finden, bevor sie in Gefangenschaft gerät.»
Bolitho starrte ihn an.»Aber Sir, ich habe meine Befehle!»
«O ja!«Er stieß ruckartig sein Kinn vor.»Und jetzt haben Sie meine Befehle, eh?»
Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zurück.»Ja, Sir.»
«Ich vergaß zu erwähnen, daß die Soldaten Goldbarren transportieren, wieviel, das weiß Gott allein. Manchmal fällt es mir schwer, mein militärisches Gedächtnis in genaue Einzelheiten aufzugliedern. Gewiß aber sind es ziemlich viele. Kriegsgewinne, Armeesold, Beute, was es auch sein mag. Sie können sich drauf verlassen, daß es sich um hohe Werte handelt. «Er lächelte.»Bei der Kompanie befindet sich übrigens auch ein echter General!»
Bolitho goß den Bordeaux in einem einzigen Schluck hinunter.
«Ein General, Sir?»
«Gewiß, und beachten Sie, daß er gute Beziehungen hat und nur wenig Geduld.»
Mit ruhiger, sachlicher Stimme fuhr er fort:»Ihr Eintreffen hier ist ein Gottesgeschenk. Ich habe derzeit nur eine kleine Brigg zur Verfügung, die ich sehr ungern geschickt hätte.»
Bolitho schwieg.»Verloren hätte«, meinte der Admiral wohl in Wirklichkeit.
«Es sind Vorbereitungen getroffen worden, Ihnen einige Armeekundschafter mitzugeben, und außerdem ist eine kleine Abteilung bereits unterwegs, um mit den Vermißten Verbindung aufzunehmen.»
Er machte eine Pause, bevor er in gleichmäßigem Tonfall weiterredete:»Sie werden unter Oberst Foleys Kommando stehen. Er kennt das Gebiet wie seine Hosentasche. Sie müssen sich also seiner Erfahrung unterordnen.»
«Ich verstehe, Sir.»
«Gut, ich werde Ihnen die schriftlichen Befehle ohne Verzögerung zukommen lassen. «Wieder ein Blick auf die Uhr.»Ich erwarte, daß Ihr Schiff vor Einbruch der Dunkelheit klar ist zum Anker lichten.»
«Darf ich fragen, wohin ich zu segeln habe, Sir?»
«Nein. Es ist alles in Ihren Befehlen festgelegt. Ich möchte nicht, daß ganz New York schon jetzt davon erfährt. General Washington hat hier viele Freunde. Und manch einer von uns wartet nur darauf überzulaufen, sobald die Dinge für die britische Krone schlecht aussehen.»
Er gab Bolitho die Hand. Die Besprechung war zu Ende.
«Seien Sie vorsichtig, Bolitho. England wird alle seine Söhne noch brauchen, wenn es überleben will. Dieser verdammte Krieg sollte ohne allzu große Opfer gewonnen werden. Aber wenn Sie bei diesem Abenteuer Erfolg haben, dann beweisen Sie, daß Sie gegen alles, was Ihnen noch bevorsteht, gewappnet sind. Sie würden dann mit größerem Ruhm, als es Ihrem Dienstrang entspricht, zu Ihrer Flottille zurückkehren.»
Einigermaßen benommen und verwirrt kehrte Bolitho zur Schanzkleidpforte zurück. Seine Gedanken wälzten die Worte des Admirals um und um.
Diesmal grüßte ihn der Flaggkapitän persönlich.»Hat er Ihnen erzählt, was er von Ihnen verlangt?»
«Ja.»
Der Kapitän musterte Bolitho gedankenvoll.»Der Bruder des Generals ist ein Mitglied der Regierung. Ich dachte, ich sollte Ihnen das sagen.»
Bolitho zog seinen Hut tiefer in die Stirn.»Danke, Sir, ich werde versuchen, mich daran zu erinnern.»
Der Kapitän lächelte über seinen ernsthaften Gesichtsausdruck.»Ihr jungen Leute habt immer Glück!«Sein Lachen erstickte im Schrillen der Pfeifen, als Bolitho wieder in seine Gig kletterte.
Um das Ende der letzten Hundewache stieg Bolithos Passagier, Oberst Hector Foley, aus dem Wachboot an Deck der Sparrow. Er stand in den frühen Dreißigern. Eine Hakennase und tiefliegende, braune Augen im dunkelhäutigen Gesicht unterstrichen sein gutes Aussehen. Seine äußere Erscheinung schien dem tadellosen Scharlachrock und den weißen Hosen eines britischen Infanterieoffiziers zu widersprechen. Er blickte sich in der Kajüte um und bedankte sich nur mit leichtem Nicken, als Bolitho ihm sein Schlafabteil und die Koje anbot. Dann ließ er sich in einen der Stühle fallen. Er war hochgewachsen und hielt sich sehr aufrecht, und wie Bolitho mußte er aufpassen, wenn er sich zwischen den niedrigen Decksbalken bewegte. Er zog seine Uhr und sagte mit ruhigem Ton:»Ich schlage vor, Sie lesen Ihre Befehle, Kapitän. Wenn wir Glück haben, beschränkt sich Ihr Anteil an dem Unternehmen nur auf den Transport.»
Bolitho konnte weder ein Lächeln noch sonst eine Gefühlsregung an ihm entdecken. Seine hochmütige, verschlossene Art hatte etwas Verletzendes und Aufreizendes. Sie schien Bolitho von den vitaleren Aspekten seiner sonderbaren Mission zu distanzieren.
Die Befehle waren schnell gelesen. Er sollte in größtmöglicher Eile etwa hundertfünfzig Meilen nach Süden an der Küste New Jerseys entlangfahren. Wenn er es für möglich und ratsam hielt, sollte er dann im Schutz der Dunkelheit in die Delaware-Bucht einlaufen. Genaue Entfernung und Position würden ihm von Oberst Foley angegeben. Er las die Order nochmals langsam durch. Dabei hörte er ständig, wie Foleys blankgewichste Stiefel sanft auf das Deck neben dem Tisch tappten.
«Wenn er es für möglich und ratsam hielt!«Diese Passage schien mehr als alles andere auszusagen, und er mußte abermals an Colquhouns prophetische Worte denken. Sie bedeutete schlicht und klar, daß alle Verantwortung bei ihm lag. Foley konnte vorschlagen, was er wollte, und einen Landeplatz oder Treffpunkt in völliger Unkenntnis der seemännischen Probleme aussuchen. Und Bolitho sollte das Schiff nahe an die Küste heranbringen und durch kaum vermessene Kanäle in Gewässer vordringen, wo selbst ein Halbblinder den Grund sehen konnte.
Er blickte auf.»Können Sie mir nicht mehr mitteilen, Sir?»
Foley zuckte die Achseln.»Ich habe zwanzig Scouts mitgebracht. Sie werden den ersten Kontakt herstellen müssen.»
Die Pfadfinder waren kurz vor dem Oberst angekommen. Sie waren Kanadier, und in ihren Lederkleidern und Pelzmützen, in der schludrigen Lässigkeit ihres Gehabens schienen sie nichts Soldatisches an sich zu haben.
Bolitho hatte sie beobachtet, wie sie auf dem Geschützdeck herumlümmelten, ihre verschiedenen Waffen reinigten oder träge und mit belustigter Geringschätzung die arbeitenden Seeleute bespöttelten.
Foley schien seine Gedanken zu lesen.»Sie sind gute Soldaten, Kapitän. Sehr erfahren in dieser Art der Kriegführung.»
«Ich dachte, daß Sie ähnliche Unterstützung auch hier im Lande hätten finden können, Sir.»
Foley betrachtete ihn kalt.»Ein Amerikaner ist ein Amerikaner. Ich möchte mich lieber auf keinen von ihnen verlassen müssen, wenn ich andere Leute bekommen kann.»
«Dann scheint es wenig sinnvoll zu sein, den Krieg fortzusetzen, Sir!»
Zum ersten Mal lächelte Foley.»Was ich brauche, ist unbedingtes Vertrauen zu meinen Männern. Idealisten brauche ich nicht.»
Stockdale öffnete die Tür und fragte mit seiner heiseren Stimme:»Sind Sie bereit für die Offiziere, Sir? Gerade hat es acht Glasen geläutet.»
«Ja.»
Bolitho zerrte an seiner Halsbinde. Er ärgerte sich, daß Foleys Hochmut ihn so leicht aufbrachte.
Fitch eilte in die Kajüte und zündete zwei Lampen an, denn trotz der frühen Abendstunde wurde es bereits dämmrig. Der Himmel war ungewöhnlich stark bedeckt, der Wind schralte nach Westen und brachte einen Geruch nach Regen mit. Auch war es heiß und stickig, und als sich die Offiziere in die enge Kajüte gedrängt hatten, war es fast unerträglich.
Bolitho wartete, und als eine kleine Verzögerung eintrat, hörte er wieder das leise Tappen von Foleys Stiefel. Aus der Messe wurden Stühle hereingebracht, und mit unbeholfenem Schieben und Schlurfen fand endlich jeder seinen Platz.
Dann begann Bolitho:»Wir werden, sobald die Besprechung zu Ende ist, Anker aufgehen. Mr. Tyrell, ist alles vorbereitet?»
Tyrells Augen waren auf den Oberst geheftet.»Aye, Sir.»
«Mr. Buckle?»
«Alles klar, Sir.»
Bolitho blickte auf die sorgfältig abgefaßten Einsatzbefehle. Er erinnerte sich an die Überraschung Tyrells, als er vom Admiral zurückkehrte.
«Aber wir hatten noch keine Zeit, Wasser zu übernehmen, Sir«, war er herausgeplatzt.
Der Admiral hatte hinsichtlich der Geheimhaltung zu seinen Worten gestanden. Er erlaubte den Booten der Sparrow nicht, an Land zu fahren, was sie auch immer als Grund angaben.
Ein Glück, daß er nichts davon erfahren hatte, daß Lock sich von einem vorbeifahrenden Leichter an Land hatte bringen lassen.
Genauso heimlich war er wieder mit einigen großen Fässern voll Zitronen und einem ungewöhnlich bekümmerten Gesicht zurückgekehrt. Er hatte in der Eile keinen besonders günstigen Preis aushandeln können.
«Wir werden auf Südkurs segeln und in die Delaware-Bucht einlaufen«, sagte Bolitho.»Dort werden wir mit der Armee zusammenarbeiten und an Bord der Sparrow.»
Foley unterbrach ihn lässig:»Ich denke, das genügt für den Augenblick, Kapitän. «Ohne Bolitho anzuschauen, fügte er noch hinzu:»Also, meine Herren, es ist Ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß dieses Schiff zur rechten Zeit den rechten Ort erreicht und kampfbereit ist, falls es zur Durchführung dieser Mission notwendig werden sollte.»
Die Seeoffiziere drehten sich auf ihren Stühlen, und Bolitho bemerkte, daß ihn die beiden Fähnriche überrascht anstarrten. Foleys deutlich sichtbarer Oberbefehl mußte ihnen sonderbar vorkommen.
«Ein übles Stückchen Küste dort unten, Sir«, murmelte Buckle.»Eine Menge Untiefen und Sandbänke. «Er saugte die Luft geräuschvoll zwischen den Zähnen ein.»Schlimm.»
Foley blickte Bolitho an. In seinen tiefliegenden Augen zeigte sich Verärgerung.»Wir sind doch wohl nicht hier zusammengekommen, um die Fähigkeiten Ihrer Offiziere zu erörtern, oder?»
Bolitho erwiderte den Blick des Obersten. Er war plötzlich sehr ruhig.»Gewiß nicht, Sir, ich verbürge mich für meine Leute. «Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:»Ebenso bin ich sicher, daß Sie sich für Ihre Leute verbürgen, wenn es an der Zeit ist.»
Während des peinlichen Schweigens hörte Bolitho Tilbys rauhe Stimme über das Deck dröhnen. Er hatte einen Pechvogel beim Faulenzen erwischt. Wieder hatte er einen schlechten Anfang gemacht, aber er fühlte keine Reue.
Foley nickte langsam.»Wir werden sehen.»
«Darf ich sprechen, Sir?«fragte Graves.
Bolitho nickte.
«Warum kann nicht ein Schiff des Küstengeschwaders diese Mission übernehmen, Sir?»
Foley erhob sich. Er beugte seinen Kopf zwischen die Decksbalken.»Weil Ihr Schiff für dieses Unternehmen geeignet ist, Leutnant. Aber ganz gewiß nicht, weil wir von Ihnen besondere Fähigkeiten erhoffen.»
Bolitho betrachtete die Gesichter seiner Offiziere. Verstimmung, Überraschung, Verletztsein, all das war deutlich in ihnen zu lesen.
«Fangen wir an, meine Herren«, sagte er langsam.»Befehlen Sie in zehn Minuten alle Mann auf ihre Stationen.»
Nachdem sich die Offiziere zur Tür hinausgedrängt hatten, wandte er sich an Foley.»Sie haben gesagt, es sei meine Pflicht, Ihnen als Truppentransporteur zur Verfügung zu stehen. Wie ich das tue, bleibt meiner Verantwortung überlassen, und ich bin nicht verpflichtet, still zu sein, wenn Sie meine Offiziere beleidigen.»
Da der Oberst nicht antwortete, fuhr er fort:»Diese Männer waren maßgeblich daran beteiligt, zwei von der Armee dringend erwartete Nachschubschiffe in Sicherheit zu bringen. Sie kämpften und versenkten einen Freibeuter und halfen mit, ein anderes, viel stärkeres Schiff zu vertreiben.»
«Wofür Sie zweifellos den Ruhm einheimsen, ja?»
Bolitho beherrschte sich mühsam. Seine Stimme klang dunkel vor Zorn.»Danke, Herr Oberst. Ich zweifle nicht, daß Sie hofften, ich würde das vor den anderen gesagt haben, nur damit Sie solch einen Vorwurf aussprechen konnten. «Er griff nach seinem Hut.»Wenn ich gewußt hätte, daß die Armee Philadelphia schon geräumt hat, so hätte ich mir die Zeit genommen, das Kaperschiff zu zerstören, und wäre nicht mit den lästigen Transportern davongesegelt.»
Foley lächelte.»Gut gesprochen, Kapitän. Mir gefällt ein Mann, der noch Gefühle zeigt.»
Bolitho polterte aus der Kajüte und schritt blindwütig zum Niedergang. Aus der Art und Weise, wie einige Seeleute seinen Blick mieden, und aus der gespannten Wachsamkeit, mit der der junge Bethune das Flaggschiff beobachtete, konnte er leicht erraten, daß sie alle seinen Zorn bemerkten.
Hatte er sich so verändert? Früher hätte er über Foleys Taktlosigkeiten gelacht oder geflucht, sobald er ihm den Rücken zugekehrt hätte. Jetzt genügte schon eine kritische Bemerkung, der leiseste Angriff auf seine Leute und sein Schiff, Selbstbeherrschung und Vernunft zu verlieren.
Tyrell kam nach achtern.»Ich kenne diese Gewässer gut genug, Sir. Mr. Buckle ist mächtig besorgt, und ich kann ihm da nur recht geben.»
«Ich weiß es, danke.»
Er hatte Tyrells Gesichtsausdruck bemerkt, als Buckle seine Bedenken vorgebracht hatte. Tyrell war drauf und dran gewesen, dieselbe Meinung zu vertreten. Vielleicht hatte er selbst als Kapitän sich aus diesem Grund eingemischt, um den Steuermann gegen den Sarkasmus des Obersten zu verteidigen. Foley hatte schon deutlich genug gesagt, was er von den Amerikanern hielt. Rebellen, Siedler und Leute, die wider ihren Willen in das Kreuzfeuer verschiedener Parteien und auseinandergerissener Familien geraten waren, alle schienen ihm gleichermaßen unzuverlässig.
Tyrell wandte sich ab, um zuzuschauen, wie die Gig über die Steuerbordreling an Deck gehievt wurde.
«Ein ziemlicher Schweinehund, der Kerl, Sir. «Er zuckte die Achseln.»Hab' schon früher mit so was zu tun gehabt.»
Bolitho schluckte den Tadel, den er jetzt hätte aussprechen müssen, hinunter. Es wäre sinnlos gewesen. Sogar Bethune mußte die Feindseligkeit zwischen ihm und Foley bemerkt haben.
«Hoffen wir, daß er weiß, was er tut, Mr. Tyrell. Um unser aller willen. «Die Bootsmannsmaaten rannten über das Geschützdeck und brüllten in die Niedergänge hinunter.
«Alle Mann! Alle Mann an Deck!»
Bolitho sagte leise:»Ich hatte keine Zeit, Nachrichten über Ihre Familie einzuholen.»
«Nun gut. «Tyrell drückte seinen Hut tiefer in die Stirn, um seine Augen vor den Strahlen der untergehenden Sonne zu schützen.»Vielleicht später.»
Das Schiebeluk über dem achteren Niedergang wurde zurückgestoßen, und Foley erschien auf der Leiter.
Mit sachlicher Stimme wandte sich Bolitho an ihn.»Ich muß Sie leider bitten, das Achterdeck zu verlassen, Sir. «Er sah, wie der Oberst zornig wurde, und fügte hinzu:»Oder ziehen Sie etwas über Ihre rote Uniform. Es ist nicht gut für uns, wenn man sieht, daß wir auch nur einen einzigen Soldaten an Bord haben.»
Foley verschwand, und Tyrell sagte fröhlich:»Einen Punkt für Sie, Sir.»
«Es war unbeabsichtigt. «Bolitho nahm ein Fernglas und richtete es über die anderen Schiffe hinaus.»Unsere Abfahrt muß völlig normal aussehen. Spione werden unsere Ankunft gemeldet haben und werden zweifellos nur an unsre Depeschen denken. Ich möchte nicht, daß die Nachricht weitergegeben wird, daß wir mit besonderem Auftrag absegeln. Die Welt wird ohnehin bald davon erfahren. Aber je später, desto besser.»
Er ging zur Achterdecksreling und sah zu, wie die Unteroffiziere ihre Leute auf den Stationen antreten ließen. Aber er traute seinen eigenen Worten nicht. Konnte ein Mann wie Foley ihn wirklich dazu bringen, so schnell zurückzuschlagen, wie es Tyrell vermutete?
«Klar bei Ankerspill!«Tilby hatte die Fockmastwanten gepackt. Sein grobes Gesicht glänzte vor Schweiß, als er die heranlaufenden Seeleute anbrüllte:
«Zupacken, ihr faulen Lumpen, oder ich komme mit einem Tauende über euch.»
Die unerwarteten Reisebefehle hatten ihn aus seiner Freiwache hochgeschreckt, und man konnte ihm seine letzte Sauferei noch deutlich ansehen.
Bolitho wandte sich an Buckle.»Sobald wir uns vom Land freigesegelt haben, werden wir die Bramsegel setzen. Der Wind scheint einigermaßen durchzustehen, aber wir werden wohl noch vor Dunkelheit Regen bekommen.»
Buckle tippte an seinen Hut.»Aye, Sir.»
Er zögerte.»Es tut mir leid, daß ich vorhin gesagt habe, was ich dachte, Sir. Ich hätte es besser wissen sollen.»
Bolitho lächelte.»Besser Sie reden über Ihre Bedenken, bevor wir in Schwierigkeiten geraten. Wenn wir auf Grund gelaufen sind, ist es zu spät, eh?«Er berührte leicht seinen Arm.»Aber bevor wir so dicht unter Land gehen, wollen wir sehen, wie die Sparrow unter vollen Segeln geht.»
Er ging davon und hoffte, daß Buckle sich nun weniger Sorgen machte. Es mußte schwierig für ihn sein. Die Sparrow war das erste Schiff, auf dem er als Steuermann fuhr, und schon mußte er in gefährliche Gewässer vordringen, die er noch nie befahren hatte.
«Anker ist kurzstag, Sir. «Graves' Stimme klang laut durch den böigen Wind.
Bolitho blickte Tyrell an.»Bitte lassen Sie in See gehen.»
Er fuhr herum, als auf dem Geschützdeck ein Chorus höhnischen Gelächters losbrach. Ein Seemann war über die Muskete eines Armeescouts gestolpert und zappelnd in die Speigatten gerollt. Es schien die Soldaten ungeheuer zu amüsieren.
Kalt fügte Bolitho hinzu:»Bei diesem frischen Wind werden wir viel Kraft am Ankerspill brauchen. «Seine Augen wiesen auf die Kanadier.
Tyrell grinste.»Jawohl, Sir, wird sofort erledigt.»
Er hielt die Hände an seinen Mund.»Bootsmann, stellen Sie diese Männer ans Ankerspill!«Den augenblicklich losbrechenden Protest brachte er sofort zum Schweigen.»Und zögern Sie nicht, sie ein bißchen anzuheizen, wenn sie schlapp werden.»
Bolitho steckte seine Hände unter die Rockschöße und trat von der Reling zurück, so daß er die Toppsgasten besser beobachten konnte. Er hatte schon genug Beleidigungen von Foley einstecken müssen. Es gab keinen Grund, daß es seinen Leuten ebenso ergehen sollte.
«Anker frei, Sir!»
Er starrte hinauf zu den donnernden Segeln. Das Schiff, frei für Wind und See, legte sich unter dem Druck der steifen Brise über.
Sobald sie den schützenden Landvorsprung gerundet hatten, wurden die Schiffsbewegungen heftiger, die Wellen kürzer und steiler, und der Himmel nahm im dumpfen Licht eine strohfarbene Tönung an. Gischt flog auf, sprühte über die Seeleute und prasselte wie schwerer Regen über das Achterdeck. Bolitho spürte, wie das salzige Wasser über seine Lippen rieselte und sein Hemd durchnäßte. Als Fock-, Groß- und Besansegel, dann die Bramsegel sich im Wind spannten, fügte sich das Schiff und preschte in schäumender Fahrt durch die See. Der Klüverbaum hob sich gegen die zerfetzten Wolken, stieß vor und pflügte brausend in den nächsten Wellentrog hinunter. Stagen und Wanten glänzten wie nasses Ebenholz. Bolitho dachte an den zornigen Sperling unter dem Bugspriet, der die Eichenzweige in den Klauen gepackt hielt. Ob ihn der Kapitän der Bonaventure wohl gesehen hatte, als er das Gefecht abbrach? Und würde er sich daran erinnern?
Tyrell stapfte nach achtern. Sein Körper stand im schrägen Winkel zum stark gekrängten Deck. Er rief den Besantoppsgasten etwas zu, bevor er sich die Zeit nahm, die Arbeit an den Luvbrassen zu überwachen. Fitch eilte mit einem Eimer zur Leeseite. Tyrell rief ihn an.
Bolithos Stimme übertönte das Donnern der Segel:»Was ist los?»
Tyrell lachte.»Dem Oberst ist kotzübel, Sir! Schöne Blamage, was?»
«Schrecklich!«Bolitho wandte sich ab, um ein schadenfrohes Grinsen zu verbergen.»Besonders, weil es wohl noch härter wehen wird.»
Buckle hielt sich am Kompaßhaus fest.»Kurs liegt an, Sir! Südost zu Süd!«»Recht so. «Bolitho riß sich den Hut vom Kopf. Der Wind preßte ihm die Haare gegen die Stirn.»Wir werden bald über Stag gehen. «Er klopfte an das Halbstundenglas neben dem Kompaß.»Ich gehe jetzt nach unten, um den Oberst auf dem laufenden zu halten.»
Als er sich in den Niedergang hinunterschwang, hörte er Tyrells Lachen und Buckles fröhliches Kichern. Es war nur eine kleine, unwichtige Sache, aber er nahm es als ein gutes Zeichen.