IX Klar zum Entern

Als sich Bolitho an einer schwankenden Jakobsleiter zum plumpen Schanzkleid der Royal Anne emporzog, war er sich der Schwierigkeiten, die ihn erwarteten, vollkommen bewußt. Auf dem Ober- und Achterdeck standen viele Passagiere und Matrosen einzeln oder in großen Gruppen beisammen. Aber alle drängten sich zusammen, während sie Bolitho und die Seeleute, die ihm aus dem Kutter nachfolgten, anstarrten.

Bolitho blieb stehen, um seine Gedanken zu sammeln, und während er den Degen an seiner Seite zurechtrückte und Tyrell seine Mannschaft in einer Reihe antreten ließ, schätzte er das Schiff und seinen Zustand langsam ab. Heruntergefallene Riggteile und zerbrochene Spieren, große Fetzen zerrissenen Segeltuchs und Tauwerk lagen auf Deck unordentlich herum, und die schwerfälligen Schiffsbewegungen verrieten ihm, daß in den Bilgen viel Wasser schwappte.

Ein großer, schlaksiger Mann in einem blauen Rock trat hervor und tippte an seine Stirn.

«Ich heiße Jennis, Sir. «Er schluckte stark.»Steuermann und dienstältester Offizier.»

«Wo ist der Kapitän?»

Jennis zeigte bekümmert auf die Reling.»Im Sturm über Bord gegangen. Und mit ihm zwanzig Mann.»

Stiefel stapften auf einer Niedergangsleiter, und Bolitho erstarrte, als eine wohlbekannte Person die anderen beiseite stieß und auf ihn zuschritt. Es war General Blundell, untadelig wie immer, aber mit zwei Pistolen an seinem Gürtel.

Bolitho grüßte.»Es überrascht mich, Sie hier zu sehen, Sir James. «Er versuchte, seine Abneigung zu verbergen.»Sie scheinen sich in Schwierigkeiten zu befinden?»

Der General blickte sich um, spähte dann zur Sparrow hinüber, die sich mit lose flappenden Segeln in der Dünung wiegte, als ob sie schliefe.

«Und in Eile!«bellte er.»Dieses verdammte Schiff hätte den Hafen überhaupt nicht verlassen dürfen. «Er deutete auf den Steuermann.»Dieser Trottel kann nicht einmal Ordnung unter seinen Leuten halten.»

Bolitho blickte Tyrell an.»Nehmen Sie Ihre Leute und inspizieren Sie den Schiffsrumpf und alle Schäden. So schnell wie möglich, bitte.»

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er eine Gruppe von Seeleuten, die am vorderen Niedergang herumlümmelten. Sie kümmerten sich weder um seine Ankunft noch um die Unordnung auf dem Schiff.

Der Steuermann begann eilig zu berichten:»Wir mußten unsere Pistolen benützen, Sir. Einige Leute verloren die Vernunft, als der Sturm losbrach. Wir haben Rum und andere alkoholische Getränke sowie Sirup und Kaffee geladen. Während wir das Schiff retteten, brach ein Teil der Mannschaft mit einigen Passagieren zusammen die Laderäume auf und fing zu saufen an. «Er schauderte.»Die Weiber schrien und kreischten, das Schiff schien auseinanderzubrechen, Kapitän Harper wurde über Bord gespült. Es war mir nicht möglich, alles gleichzeitig zu überwachen.»

Blundell fuhr ihn an:»Sie sind verdammt unbrauchbar. Ich sollte Sie wegen Verantwortungslosigkeit erschießen lassen!»

Als sich der erste Seemann der Sparrow dem vorderen Luk näherte, kam Leben in die betrunkenen Kerle. Mit Gejohle und höhnischem Geschrei versperrten sie den Weg über das Deck, und von rechts vorn schleuderte eine unsichtbare Hand eine Flasche, die an einem Ringbolzen zerschellte und einen Seemann verletzte. Blutstropfen rannen über seine Brust.

«Vorwärts, Mr. Tyrell!«sagte Bolitho scharf.

Der Leutnant nickte.»Zieht eure Entermesser, Leute. «Er nahm seine Pistole und richtete sie auf die Linie der schwankenden Matrosen.»Schlagt jeden tot, der sich zur Wehr setzt. Bootsmannsmaat, führen Sie die Kerle nach unten ab und stellen Sie sie an die Pumpen!»

Einer der Betrunkenen machte Anstalten, auf die Männer der Sparrow loszugehen, aber er fiel bewußtlos aufs Deck, als ihn der Bootsmannsmaat mit flacher Klinge hart gegen den Schädel schlug.

«Mr. Jennis, es gibt viel zu tun«, sagte Bolitho.»Teilen Sie Ihre Leute ein und lassen Sie neue Vorsegel anschlagen. Lassen Sie diesen Wirrwarr losschneiden und über Bord werfen, so daß die Verletzten an Deck niedergelegt werden können. Mein Schiffsarzt soll sich um sie kümmern.»

Er wartete, bis der Steuermann seine Befehle gegeben hatte. Dann fügte er hinzu:»Wie ist das Schiff bewaffnet?»

Mit einer unbestimmten Bewegung winkte Jennis über das Schiff hin.»Nicht gut, Sir. Zwanzig Sechspfünder und ein paar Drehbassen. Wir versuchen, Gefechten möglichst auszuweichen. Diese Geschütze genügen, um uns die Bukaniers oder Gelegenheitspiraten vom Leib zu halten. «Er blickte überrascht auf.»Warum fragen Sie?»

General Blundell mischte sich ein.»Zum Teufel, soll ich hier vielleicht herumstehen, während Sie sich über die Ausrüstung dieses verdammten Schiffes unterhalten? Ich habe schon genug mitgemacht und..»

«Sir James, nördlich von hier kreuzt ein feindliches Kaperschiff«, sagte Bolitho kurz.»Wahrscheinlich folgt es unserm Kurs. Die Ausrüstung, wie Sie es nennen, werden wir dringend brauchen, wenn uns dieser Feind in die Quere kommt.»

Er wandte sich ab und horchte auf, als das Klanken der Pumpen ihm bewies, daß Tyrell die Meuterer in den Griff bekommen hatte.

«Gehen Sie nach achtern und schauen Sie nach, was dort los ist«, sagte er zu Stockdale.

Blundells Stimme klang jetzt weniger zuversichtlich.»Kaperschiff? Uns angreifen?»

Bolitho antwortete:»Die Sparrow ist sehr klein, Sir. Der Feind ist zweimal so stark wie wir!»

«Besser als nichts«, grunzte der General.»Wenn Sie kämpfen müssen, tun Sie es aus verdienstvollen Gründen.»

Bolitho beachtete ihn nicht mehr, als Tyrell an Deck erschien.

«Ich habe das Bilgenwasser ausgelotet. Das Schiff macht ständig Wasser, aber die Pumpen scheinen es fassen zu können. Unter Deck ist der Teufel los. Kabinen sind aufgebrochen, Besoffene, zwei Mann mit Messern umgebracht. «Mit gerunzelter Stirn blickte er zum Steuermann hin, der seine Leute aufforderte, die heruntergerissenen Spieren wegzuräumen.»Er muß verrückt gewesen sein vor Verzweiflung. «Dann schaute er Bolitho fragend an.»Was wollen wir machen?»

«Ihr Kapitän wird seine Pflicht tun«, warf Blundell ein.»Wenn wir angegriffen werden, wird er dieses Schiff und die Passagiere verteidigen. Muß Ihnen das etwa noch erklärt werden, Mann?»

Tyrell blickte ihn kalt an.»Nicht von Ihnen, General!»

«Wie viele Frauen sind an Bord«, fragte Bolitho kurz angebunden. Er beobachtete Stockdale, der die Passagiere vom Achterschiff herführte. Seine Stimme, mit der er versuchte, sie zu beruhigen, war kaum zu hören.

Es waren auch viele Kinder dabei, mehr als Bolitho vermutet hatte.

«Um Himmels willen, wie lange wollen Sie denn noch so herumstehen?«Der General brüllte, sein Gesicht war fast so rot wie sein Waffenrock.»Was spielt es denn für eine Rolle, wieviele von diesen und jenen an Bord sind, und welche Farbe ihre Augen haben?«Er konnte sein Geschrei nicht fortsetzen.

Tyrell trat dicht an ihn heran. Er hatte den Kopf gesenkt, so daß sich ihre Gesichter fast berührten.

«Hören Sie zu, General, was der Käptn sagt, ist richtig. Der Feind ist allem, was wir ihm entgegensetzen können, weit überlegen, und dieser Indienfahrer hier ist noch verdammt viel schlimmer dran.»

«Das geht mich nichts an, und ich warne Sie, achten Sie auf Ihr Benehmen!»

«Sie mich warnen, General?«Tyrell lachte lautlos.»Hätten Sie die Reparaturarbeiten der Sparrow in Sandy Hook nicht hinausgezögert, wären wir schon seit einem Monat wieder auf See. Und dann wären Sie nun allein hier draußen und säßen da wie eine fette Ente, die drauf wartet, für den Kochtopf abgeknallt zu werden. «Sein Ton wurde härter.»Achten Sie also auf Ihr eigenes verdammtes Benehmen!»

Bolitho stand etwas abseits und hörte nur halb auf ihre Zornausbrüche. Wiederum sollte Blundells Erscheinen ihn und sein Schiff in wirkliche Gefahr bringen. Es blieb ihm nur noch zu hoffen, daß die Bonaventure ihn nicht finden würde, daß er den angeschlagenen Westindienfahrer wieder seeklar machen und dieses Gebiet mit größtmöglicher Eile verlassen könnte.

Jennis kam wieder nach achtern.»Ich habe die Leute dazu bringen können, ein neues Vorsegel anzuschlagen, Sir. Aber sonst haben wir kaum noch zusätzliches Segeltuch an Bord. Dies hier ist ein Kompanieschiff, und es sollte, sobald es Bristol erreicht hat, vollkommen überholt werden. Deshalb segelten wir unterbemannt und ohne genügend Offiziere.»

Er strich mit der Hand über sein zerfurchtes Gesicht.»Wenn Sie uns nicht gefunden hätten, so wären wohl noch mehr Leute verrückt geworden und zu den Meuterern übergelaufen. Neben etlichen Anständigen haben wir unter den Passagieren einen ziemlich großen Haufen von Gaunern an Bord.»

Bolitho blickte auf, als ein pendelnder Block gegen die Besan-stenge klapperte. Er sah die zerrissenen Segel wie zerfetzte Fahnen flappen und bemerkte, daß die helle Kompaniefahne anfing, lustig zu wehen. Er runzelte die Stirn. Der Wind frischte auf, ganz leicht nur, aber es erschwerte die Umstände, wenn er vor der Entscheidung stand, die unerbittlich auf ihn zukam.

Und dennoch, es gab immer noch eine Chance, daß er sich irrte. In diesem Fall entstanden lediglich mehr Unannehmlichkeiten und Entbehrungen für die Passagiere.

Er zog seine Uhr und klickte den Deckel auf. Keine vier Stunden mehr Tageslicht.

«Mr. Tyrell, lassen Sie sofort alle Boote der Royal Anne zu Wasser. Schicken Sie eine Botschaft an Graves, daß ohne Verzögerung unsere Boote mit fünfzig Mann herüberkommen sollen. Wir müssen wie die Teufel arbeiten, wenn wir dieses Schiff so weit reparieren wollen, daß es wieder Segel setzen kann.»

Er wartete, bis Tyrell und der unglückliche Steuermann weggeeilt waren. Dann wandte er sich an den General:»Nun, Sir James, ich werde sehen, daß ich das Nötigste tun kann.»

Der General rief hinter ihm her:»Und wenn, wie Sie befürchten, der Feind aufkreuzt, wollen Sie sich dann davonstehlen und uns allein lassen?«Seine Stimme klang heiser vor unterdrücktem Zorn.»Werden Ihre schriftlichen Befehle Sie vor der Schande bewahren können, wenn Sie das vorhaben?»

Bolitho blieb stehen und blickte ihn an.»Nein, Sir James, wenn es uns die Zeit erlaubt, werde ich alle Passagiere und Seeleute der Royal Anne auf mein Schiff bringen lassen.»

Dem General quollen fast die Augen aus dem Kopf.»Was? Die Ladung zurücklassen und ohne sie absegeln?«Er schien vor Ungläubigkeit fast gelähmt zu sein.

Bolitho ließ seine Augen über die See gleiten. Er sah die Boote längsseits dümpeln und bemerkte, wie allmählich die Ordnung zurückkehrte, da seine eigenen Leute alles beaufsichtigten.

Natürlich, das hätte er sich gleich denken sollen. Die Beute des Generals war ebenfalls hier an Bord. Zu seiner Überraschung half ihm dieser Gedanke, seine Gelassenheit wiederzugewinnen. Er konnte sogar lächeln, als er zu sich selbst sprach:»Sie, General, werden die Notwendigkeit größter Eile wohl zu schätzen wissen. In beiderseitigem Interesse.»

Tyrell trat an seine Seite.»Das hat ihm den Wind aus den Segeln genommen.»

«Es war kein Scherz, Tyrell. Wenn wir zusammen mit dem Kauffahrer bei Einbruch der Dunkelheit weitersegeln können, haben wir ganz gute Chancen. Es könnte ja sein, daß die Bonaventure schließlich ihren Kurs geändert hat, nachdem sie uns aus den Augen verlor. Vielleicht ist sie nun schon viele Seemeilen weit weg.»

Tyrell blickte ihn ernst an.»Aber Sie glauben selbst nicht so recht daran, Sir?»

«Nein. «Er trat zur Seite, als zerrissene Riggteile wie schwarze Schlangen von einem umgestürzten Kutter weggezerrt wurden.»Das Wann macht mir eher Sorgen als das Ob.»

Tyrell deutete über das Schanzkleid hinaus.»Graves schickt soeben die ersten Leute herüber. «Er zog eine Grimasse.»Auf der Sparrow ist nun nicht genug Besatzung. Das Schiff kann so kaum unter Segeln gehalten werden.»

Bolitho zuckte die Achseln.»Wenn die Hälfte der Besatzung durch Fieber umgekommen wäre, dann müßte es der Rest auch irgendwie schaffen. «Dann fügte er hinzu:»Gehen wir jetzt zu den Damen. Sie werden wohl noch verzweifelter sein als der General. Glauben Sie nicht auch?»

Es waren etwa fünfzig Frauen an Bord. Sie waren unter den hohen Aufbauten des Achterdecks zusammengedrängt, doch nach Rang und Stellung in jener anderen Welt auf dem Festland voneinander getrennt. Ob alt oder jung, häßlich oder schön, sie betrachteten Bolitho schweigend, als ob er aus der See gestiegen sei wie ein Bote Neptuns.

«Meine Damen!«Er leckte seine Lippen, als ein aufregend schönes Mädchen in einem gelbseidenen Gewand ihn anlächelte. Er versuchte es noch einmal.»Meine Damen, ich muß bedauern, Ihnen Ungelegenheiten zu bereiten, aber es gibt noch sehr viel zu tun, bevor Sie sicher Weiterreisen können.»

Sie lächelte immer noch, unverhohlen, belustigt, genau in der Art, die ihn immer in Verwirrung gebracht hatte.

«Sollte jemand von Ihnen verletzt sein, so wird mein Schiffsarzt das Beste für Sie tun. Gerade wird eine Mahlzeit bereitet, und meine eigenen Leute werden vor Ihren Quartieren Posten beziehen.»

Das schöne Mädchen fragte:»Glauben Sie, daß der Feind kommen wird, Kapitän?»

Sie hatte eine kühle, selbstbewußte Stimme, der Erziehung und gute Herkunft anzuhören waren.

Er zögerte.»Das ist immer möglich.»

Sie zeigte ihre ebenmäßigen Zähne.»Nun, was für tiefschürfende Worte von solch einem jungen Offizier des Königs!»

Einige andere lächelten, manche lachten sogar laut.

«Wollen Sie mich bitte entschuldigen, meine Damen«, er warf einen zornigen Blick auf das Mädchen,»ich habe zu tun.»

Tyrell verbarg ein Lächeln, als er hinter ihm herging. Er mußte an Stockdales Worte denken.»So zornig, daß kein Totschläger sich in seine Nähe getraut hätte. «Jetzt war er zornig, in heller Wut!

Es ist gut so, dachte Tyrell. Es würde seine Gedanken von der wirklichen Gefahr ablenken.

Eine Bedienstete berührte Bolithos Arm.»Bitte um Verzeihung, Sir. Aber unten in einer Kajüte ist eine Dame ziemlich übel dran. Fieber!»

Bolitho blieb stehen und schaute zurück.»Holen Sie den Arzt. «Er spannte sich, als das schöne Mädchen wieder auf ihn zutrat. Ihr Gesicht war plötzlich ernst.

«Es tut mir leid, daß ich Sie so zornig gemacht habe, Kapitän. Es ist unverzeihlich.»

«Zornig?«Bolitho zerrte an seinem Gürtel.»Ich kann mich nicht erinnern.»

Sie berührte seine Hand.»Das ist jetzt unter Ihrer Würde, Kapitän. Vielleicht etwas unsicher, aber hochfahrend sind Sie nicht. Ich sehe Sie ganz anders.»

«Wenn Sie endlich ausgeredet haben..»

Wieder hielt sie ihn auf, ohne auch nur die Stimme zu erheben.

«Die anderen Frauen waren der Hysterie ziemlich nahe, Kapitän. Der Sturm warf uns durcheinander wie zerlumpte Puppen. Dann ertönte das Geschrei der Aufrührer und Meuterer. Männer kämpften miteinander um Rum oder um das, was sie uns in ihrer Tollheit abnehmen wollten.»

Sie senkte den Blick.»Es war fürchterlich. Grauenhaft.»

Dann sah sie Bolitho wieder ins Gesicht. Ihre Augen hatten die Farbe von Veilchen.»Plötzlich schrie jemand. >Ein Schiff! Ein Schiff des Königs!<, und wir rannten trotz der Gefahr an Deck.»

Sie wandte sich ab und schaute über die Reling.»Und da waren Sie, die kleine Sparrow. Für uns alle war das fast zuviel. Hätte ich nicht diesen dummen Scherz auf Ihre Kosten gemacht, so wären vielleicht einige Frauen zusammengebrochen.»

Seine Abwehr geriet ins Wanken.»Eh, ja, gewiß. «Er spielte mit seinem Degengriff. Dalkeith warf ihm im Vorübergehen einen sonderbaren Blick zu.

Bolitho fuhr fort:»Sie haben sehr geistesgegenwärtig gedacht, meine Dame.»

«Ich weiß über manche Dinge gut Bescheid, Kapitän! Ich sah Ihre Augen, als Sie mit Ihrem Leutnant und Sir James sprachen. Es ist noch Schlimmeres im Anzug, nicht wahr?»

Bolitho zuckte die Achseln.»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.»

Er hörte die Stimme des Generals, der einen Seemann anbrüllte, und fuhr fort:»Dieser Mann macht mir immer Schwierigkeiten.»

Sie lächelte und machte einen spöttischen Knicks.»Sir James kann recht schwierig sein, das gebe ich zu.»

«Kennen Sie ihn?»

Sie ging zu den anderen Frauen zurück.»Mein Onkel, Kapitän«, sagte sie lachend.»Sie müssen wirklich versuchen, Ihre Gefühlsausbrüche besser zu verbergen. Sonst werden Sie nie Admiral!»

Tyrell trat wieder heran.»Diese Frau unten in der Kajüte ist krank. Aber Dalkeith weiß gut genug Bescheid in solchen Dingen. «Er runzelte die Stirn.»Und wie sieht es mit Ihnen aus, Sir?»

Bolitho räusperte sich.»In Gottes Namen, hören Sie auf, mich so dumm zu fragen!«»Aye, Sir. «Er grinste, als er das Mädchen an der Reling und Bolithos Verwirrung bemerkte.»Ich verstehe, Sir.»

Ein dumpfer Knall erschütterte die Luft. Alle wandten sich um, und Bolitho sah ein Rauchwölkchen von einem der Backbordgeschütze der Sparrow wegtreiben.

Der General kam keuchend die Leiter herauf und schrie:»Was war das?»

«Das verabredete Signal, Sir«, antwortete Bolitho.»Mein Ausguck hat den Feind gesichtet.»

Er betrachtete weder den General noch die Leute um ihn herum. Seine Gedanken erfaßten diese eine wichtige Tatsache. In gewisser Hinsicht war es fast eine Erleichterung, nun die Entscheidung endgültig treffen zu müssen.

«Mr. Tyrell, die Bonaventure wird noch einige Stunden brauchen, bis sie hier ist und ihre Absichten zu erkennen geben kann. Dann dürfte es für ihren Kapitän zu spät zum Angriff sein. Warum sollte er auch? Er braucht nur die Morgendämmerung abzuwarten, um dann zuzuschlagen.»

Tyrell beobachtete ihn und war beeindruckt von seinem ruhigen Ton.

Bolitho fuhr fort:»Wenn der Wind uns keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir die Passagiere zur Sparrow übersetzen können. Ich möchte jedes Boot im Einsatz haben und verlange, daß alle Mann, die nicht verletzt oder krank sind, die Befehle mit aller Kraft ausführen.»

«Ich verstehe. «Tyrell musterte ihn ungerührt.»Etwas anderes können Sie nicht tun. Manch einer würde die Royal Anne mit allen Seeleuten und Passagieren ihrem Schicksal überlassen.»

Bolitho schüttelte seinen Kopf.»Sie haben nicht verstanden, Tyrell. Ich habe nicht vor, die Royal Anne im Stich zu lassen oder zu versenken, damit sie nicht in die Hände der Feinde fällt. «Er sah, wie sich Tyrells Kiefer zusammenpreßten, bemerkte die plötzliche Spannung in seinen Augen.

«Ich beabsichtige, mit sechzig Freiwilligen hier an Bord zu bleiben. Was später geschehen wird, hängt hauptsächlich vom Kapitän der Bonaventure ab.»

Er hatte nicht bemerkt, daß sich die anderen um ihn zusammengedrängt hatten, aber er drehte sich nun um, als der General aufschrie:»Das können Sie nicht! Wagen Sie es nicht, dieses Schiff mit seiner Ladung aufs Spiel zu setzen! Verdammt, hier habe ich auch ein Wörtchen mitzureden.»

An Bolithos Arm raschelte Seide. Er hörte die ruhige Stimme des Mädchens:»Sei still, Onkel. Der Kapitän hat mehr vor, als nur etwas zu wagen. «Sie schaute Blundell unverwandt an.»Er hat vor, für uns zu sterben. Ist das nicht genug — selbst für dich?»

Bolitho nickte kurz und ging davon. Hinter sich hörte er Stock-dales Stimme, der sich beeilte, seinen Rückzug zu decken. Er mußte jetzt nachdenken, jeden Augenblick bis zur endgültigen Sekunde des Todes vorplanen. Er blieb stehen und lehnte sich gegen die verzierte Reling. Der Tod. Sollte er so bald schon über ihn kommen?

Er wandte sich zornig um.»Geben Sie Befehl an die Boote, sofort mit dem Übersetzen anzufangen! Zuerst Frauen und Kinder, dann die Verletzten.»

Er blickte dem davoneilenden Steuermann Jennis nach und bemerkte, wie ihn das Mädchen anstarrte.»Und keine Einwände, von niemandem!»

Er schritt über das Deck und betrachtete sein eigenes Schiff. Wie großartig es aussah, da es sich vorsichtig näher an den Indienfahrer heranschob. Jetzt würde er bald die Segel des Feindes am Horizont auftauchen sehen. Er würde heransegeln und sich wie der Jäger auf seine Beute stürzen. Es gab noch so viel zu tun. Befehle, welche die Korvette nach Antigua zu bringen hatte. Vielleicht sogar noch ein kurzer Brief an seinen Vater. Aber nicht sofort! Jetzt mußte er erst noch ein paar Augenblicke still stehenbleiben, um sein Schiff zu bewundern. Er mußte sich seine schnittigen Umrisse einprägen, bevor es ihm genommen wurde.

Bolitho starrte immer noch über das Wasser, als Tyrell meldete, daß alle verfügbaren Boote eingesetzt seien, um Besatzung und Passagiere der Royal Anne zur Sparrow zu bringen.»Sie wird noch schlimmer vollgestopft werden als damals, da wir die Rotröcke retteten, Sir. «Er zögerte und fuhr dann fort:»Ich würde gern bei Ihnen bleiben, Sir.»

Bolitho schaute ihn nicht an.»Sind Sie sich darüber im klaren, was Sie sagen? Hier steht mehr auf dem Spiel als Ihr Leben.»

Tyrell versuchte zu grinsen.»Hector Graves wird einen besseren Kommandanten abgeben, Sir.»

Jetzt wandte sich Bolitho ihm zu.»Sie werden gegen einige Ihrer eigenen Leute kämpfen müssen.»

Tyrell lächelte.»Ich wußte, daß es das war, was Sie dachten. «Er deutete auf einige Seeleute der Sparrow, die eben eine ältere Frau zu den Booten trugen.»Das dort sind meine Leute, kann ich also bleiben?»

Bolitho nickte.»Gerne!«Er zog den Hut vom Kopf und fuhr mit den Fingern durch sein Haar.»Ich will jetzt gehen und die Befehle für Graves niederschreiben.»

«Wahrschau an Deck! Segel backbord querab!»

Sie sahen sich in die Augen. Dann sagte Bolitho leise.»Treiben Sie die Leute an. Ich möchte nicht, daß der Feind sieht, was wir vorhaben.»

Als er wegging, starrte ihm Tyrell nach und murmelte:»So sei's denn, Käptn!»

Er hörte ein plötzliches Geschrei und bemerkte, wie das Mädchen, das Bolitho so zornig gemacht hatte, mit Stoßen und Schlagen die Absperrkette der Seeleute zu durchbrechen suchte.

Ein Bootsmannsmaat brüllte:»Sie will nicht von Bord, Sir!«Das Mädchen hämmerte mit ihren Fäusten auf dem nackten Arm des Seemanns herum, doch er schien es gar nicht zu spüren.

«Lassen Sie mich bleiben, ich will hier sein«, rief sie Tyrell zu.

Er grinste auf sie herunter und deutete auf ein längsseits liegendes Boot. Strampelnd und protestierend wurde sie hochgehoben und zur Reling getragen, dann ohne jede Feierlichkeit wie ein gelbseidenes Paket ins Boot hinunterbefördert.

Der Himmel war bereits viel dunkler, als Bolitho das Deck wieder betrat. In der Hand trug er einen versiegelten Umschlag. Sein Boot wartete am Bug angehakt. Alle anderen Boote waren bereits an Deck gehievt, und das Schiff schien leer und still in der Dünung zu rollen. Er hob ein Teleskop und richtete es querab über die See. In etwa sechs Meilen Entfernung konnte er jetzt die Bonaventure sehen. Aber sie hatte bereits ihre Segel gerefft und wartete, wie er vermutet hatte, auf den nächsten Tag.

Tyrell tippte an seinen Hut.»Unsere Leute sind an Bord, Sir. «Er deutete auf das Hauptdeck, wo Fähnrich Heyward mit einem Unteroffizier sprach.»Ich habe sie selbst ausgesucht, aber Sie hätten noch viel mehr Freiwillige haben können.»

Bolitho übergab einem Seemann den Umschlag.»Geben Sie das an unser Beiboot weiter. «Dann sagte er langsam zu Tyrell:»Gehen Sie unter Deck und ruhen Sie sich ein bißchen aus. Ich muß mir inzwischen verschiedenes durch den Kopf gehen lassen.»

Wenig später hatte sich Tyrell in einer verlassenen Kabine niedergelegt. Auf dem Fußboden lagen aufgebrochene Kisten und herausgerissene Kleidungsstücke. Über sich hörte er die ruhelosen Schritte Bolithos auf den Decksplanken. Hin und her, auf und ab. Vielleicht lag es an diesem gleichmäßigen Pochen, daß ihm die Augenlider herabsanken. Er fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.

Bolitho stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck der Royal Anne. Soeben sah er zum ersten Mal an diesem Morgen seinen Schatten über das Schanzkleid fallen. Wie langsam war diese Nacht vergangen! Aber nun beim ersten Morgenschimmer schien alles gleichzeitig zu beginnen, wie bei einem schlecht einstudierten Drama. Backbord querab sah er die sich immer deutlicher abzeichnende Segelpyramide der Bonaventure, die sich zielbewußt vor dem Wind näherte. Sonderbarerweise war ihr Rumpf immer noch in Schatten gehüllt. Nur ein weißschimmernder Schaumstreifen vor dem Bug verriet ihre wachsende Geschwindigkeit. Sie war jetzt etwa drei Meilen entfernt. Er schwenkte sein Glas nach der anderen Seite zu einer kleinen Korvette hin. Die Sparrow lag viel näher, aber dennoch wirkte sie sehr viel kleiner als das Kaperschiff.

Tyrell trat an seine Seite.»Der Wind scheint ziemlich stetig zu sein, Sir. Nordwest zu Nord. «Er sprach mit verhaltener Stimme, als ob er fürchtete, die Schiffe in ihren bedächtigen Vorbereitungen zum Kampf zu stören. Bolitho nickte.»Wir werden Südost steuern. Genau das erwartet der Feind von uns.»

Er riß seine Augen von dem Kaperschiff los und blickte über das Deck des Indienfahrers hin. Das neue Focksegel zog gut, ebenso das Besansegel und der Klüver. Der Rest war wenig besser als Lappen, und der Versuch, den Kurs mehr als einen Strich zu ändern, wäre reine Zeitvergeudung.

Tyrell seufzte.»Ich habe die Kanonen selbst nachgesehen, Sir. Sie sind geladen, wie befohlen. «Er kratzte sich den Bauch.»Einige sind so alt, daß sie zerspringen würden, wenn wir sie doppelt laden.»

Bolitho schaute wieder zurück und beobachtete die anderen Schiffe. Langsam führte er sein Fernglas über das Deck der Sparrow, sah die Leute hinter dem Schanzkleid und einen einzelnen Seemann auf der Großmastsaling. Dann, als ein verspielter Windstoß das Unterliek des Großsegels wie eine Müllerschürze anhob, entdeckte er Graves. Er stand neben dem Ruderrad, hatte die Arme verschränkt und glich in jedem Zoll einem Kapitän. Bolitho atmete langsam aus. So viel hing von Graves ab. Wenn er den Kopf verlor oder seine sorgfältig abgefaßten Anweisungen falsch auslegte, dann könnte der Feind immer noch mit einem Schlag zwei Fliegen fangen. Aber Graves hatte den ersten Teil der Befehle richtig erfaßt. Er trug Bolithos neue Uniform. Die Goldlitzen waren trotz des schwachen Lichtes deutlich zu sehen. Sicher würde der feindliche Kapitän vorsichtig und wachsam sein. Nichts durfte jetzt falsch anlaufen. Gott allein wußte, wie die vielen Passagiere unter Deck außer Sicht zusammengepfercht worden waren. Das Schiff mußte ihnen wie ein verriegeltes Grab vorkommen. Für die Frauen und Kinder mußte es ein Alptraum sein, sobald das Geschützfeuer einsetzte.

Fähnrich Heyward kam aufs Achterdeck und meldete:»Unsere Entermannschaft ist bereit, Sir.»

Wie Bolitho und Tyrell hatte auch er seine Uniform abgelegt und wirkte nun in Kniehosen und offenem Hemd noch jugendlicher.

«Danke. «Bolitho bemerkte, daß er statt des kurzen Säbels eines Fähnrichs einen seiner kostbaren Degen trug.

Ein Schuß krachte dumpf, und er sah, wie ein Geschoß von den eilig ziehenden Wellenkämmen abprallte und dann eine weiße Gischtfahne zwischen ihm und dem Bug der Sparrow hochwarf. Ein Probeschuß, eine Absichtserklärung? — Wahrscheinlich beides, dachte er grimmig. Trotz des Flatterns zerrissenen Segeltuchs klang von der Sparrow her das Wirbeln der Trommeln über das Wasser. Bolitho stellte sich vor, wie dort nun die Leute auf ihre Gefechtsstationen rannten. Die zweite Phase! Er sah den scharlachroten Fleck der Flagge, die übermütig an der Gaffel hochsauste, und fühlte ein Würgen in seiner Kehle, als die Geschützpforten sich öffneten und die Reihen der Kanonen enthüllten.

Graves hatte weniger als die Hälfte der Besatzung zur Verfügung. Er mußte einige Leute des Indienfahrers zum Dienst gepreßt haben, da er die Geschütze so sauber ausrennen konnte. Aber es mußte alles vollkommen echt aussehen, so als ob sich die Korvette zum Widerstand vorbereitete und versuchen wollte, ihren schwerfälligen Genossen zu verteidigen.

Wieder ein Schuß! Die Kugel pflügte etwa eine Kabellänge vor der Sparrow durch die See.

Bolitho biß die Zähne aufeinander. Jetzt konnte es Graves gerade noch schaffen. Sollte der Wind in diesem Augenblick schralen, wäre es ihm nicht mehr möglich, rechtzeitig zu wenden. Er läge dann unter dem Geschoßhagel des Feindes, wenn er versuchte, abzufallen und das Manöver noch einmal einzuleiten.

«Jetzt!«zischte Tyrell heiser.

Die Rahen der Korvette schwangen herum. Ihre Leereling tauchte schwer in die Dünung ein, und sie begann mit dichtgeholten Segeln auf den Backbordbug zu wenden. Jetzt passierte sie das Heck der Royal Anne wie ein kleiner Wachhund. Signalflaggen sausten an der Rah hoch, und Bolitho stellte sich vor, wie Bethune seinen Leuten zurief, sich zu beeilen und das sinnlose Signal aufzuhissen. Der Feind mußte glauben, daß sich die Sparrow auf ihren Todeskampf vorbereitete und dem Kompanieschiff befahl, Reißaus zu nehmen.

Geschützfeuer blitzte entlang der vordersten Batterie derBona-venture auf, und die Einschläge tasteten sich immer näher an die stark überliegende Sparrow heran. Graves ließ jetzt die hinderlichen Segel über den Geschützen aufgeien, obwohl er kaum den vierten Teil der Kanonen bemannt haben konnte.

Zwischen zusammengebissenen Zähnen preßte Tyrell die Worte heraus:»Hector, das ist jetzt nahe genug! Um Himmels willen, laß dich nicht auffressen!»

Ein schwerer Schuß rollte über das haiblaue Wasser, und obwohl das Mündungsfeuer hinter dem Rumpf der Sparrow verborgen war, wußte Bolitho, daß eines der Buggeschütze abgefeuert worden war. Er sah, wie die Kugel kurz vor der Back des Feindes in den Gischt platschte und dann das Vorschnellen orangefarbener Zungen, als die Bonaventure augenblicklich zurückfeuerte.

Auf der Sparrow bebte die Vorbramstenge, dann knickte sie ab und stürzte in den braunen Rauch hinunter. Das Segel verfing sich mehrmals im Tauwerk des Riggs, bevor es in die See eintauchte. In einigen Segeln zeigten sich jetzt Löcher, und Bolitho hielt den Atem an, als einige Wanten über dem Achterschiff in einem schweren Treffer ruckten und brachen.

Der Feind war jetzt schon sehr nahe. Sein Vormarssegel wölbte sich, und genau vorm Wind segelnd griff er die Sparrow an, die weniger als zwei Kabellängen von seinem Steuerbordbug entfernt lag.

«Er hat's geschafft«, rief Tyrell.»Verdammt, jetzt geht er über Stag!»

Die Sparrow wendete. Ihre Masten richteten sich auf, als sie gewaltsam herumkam. Das zunehmende Sonnenlicht ließ ihre Segel aufleuchten, die unter der Beanspruchung flappten und rüttelten.

Das Geschützfeuer hatte aufgehört, denn die Korvette bot nun, da sie ihr Heck gegen den Feind drehte, kein gutes Ziel. Jetzt wurde auf der Sparrow das Focksegel losgemacht, und während ihre Geschwindigkeit zunahm, sah Bolitho die Toppsgasten wie schwarze Insekten über die Rahen laufen. Immer mehr Segel blähten sich im Wind. Deutlich konnte er Buckle an der Achterdecksreling ausmachen. Seine Aufgabe hielt ihn so sehr in Spannung, daß er sich im Vorbeisegeln gar nicht um den schwerfälligen Kauffahrer kümmerte. Schon lag die Sparrow querab, und nach wenigen Minuten hatte sie bereits den Bug der Royal Anne passiert. Sie fuhr den ersten Sonnenstrahlen entgegen, die über den weiten Horizont tauchten.

Bolithos Mund fühlte sich trocken an. Seine Arme und Beine erschienen ihm unsicher, als ob sie zu jemand anderem gehörten. Auf der Bonaventure wurde jetzt die Fock aufgegeit und enthüllte die ganze Breite des Achterdecks, die vielen Menschen, die an der Reling standen und der fliehenden Korvette nachdeuteten und winkten. Zweifellos stießen sie jetzt ein Freudengebrüll aus. Die ganze Wildheit des bevorstehenden Gefechts verlor sich jetzt in den verblüfften Reaktionen auf einen nicht erkämpften Sieg.

Bolitho wandte sich an Tyrell:»Denken Sie also daran. Wir müssen, wenn nur irgend möglich, die Bonaventure manövrierunfähig machen. Sollte eine patrouillierende Fregatte sie dann finden, kann sie vollenden, was wir begonnen haben. «Er packte sein Handgelenk.»Aber achten Sie darauf, daß unsre Leute ihre Rollen gut spielen. Wenn die Bonaventure jetzt abdreht, kann sie uns mit ihren Geschützen in einem Atemzug in Stücke schlagen.»

Das Kaperschiff hatte sich inzwischen näher herangeschoben. Es lief vor dem Wind auf das Heck der Royal Anne zu, als ob es an der Backbordseite überholen wollte. Sein Kapitän war ein hervorragender Seemann. Außer den Marssegeln war alles Tuch aufgegeit. Dennoch beherrschte er das schwere Schiff sicher und geschickt. Er würde zweifellos den Windvorteil halten, was immer Bolitho auch zu tun versuchte.

Ein Geschütz spie eine lange Feuerzunge aus, und Bolitho fühlte die Kugel in den Schiffsrumpf einschlagen. Die Planken unter seinen Füßen erbebten heftig.

Auf dem Achterdeck des feindlichen Schiffes hob sich eine dunkle Menschengruppe von dem lichten Himmel ab. Die Sonne blitzte auf erhobenen Fernrohren. Sie würden jetzt ihr Opfer prüfen. Die Royal Anne sah ähnlich aus wie am Tag zuvor, als Bolitho an Bord gekommen war. Teile des Riggs hingen über das beschädigte Schanzkleid. Ein Luk war plangemäß offen gelassen, und einige seiner Leute rannten in scheinbarer Verwirrung über das Deck.

Heyward stand unter der Back verborgen und dirigierte ihr Verhalten.

«Jetzt!«Bolitho winkte, und vom Hauptdeck aus spien zwei Sechspfünder ihre Herausforderung über den immer schmaler werdenden Wasserstreifen zwischen den Schiffen.

Vom Heck her tönte der scharfe Knall einer Drehbasse. Wahrscheinlich fiel die Kartätsche harmlos ins Meer, bevor sie die Flanke des Feindes treffen konnte.

Die Antwort erfolgte sofort. Die ganzeBreitseite der Bonaven-ture entlang schickte Geschütz um Geschütz krachend seine Kugeln in den Rumpf der Royal Anne. Bolitho war froh, die meisten seiner Männer unter Deck geschickt zu haben. In diesem mörderischen Beschuß wären schon jetzt zu viele niedergemäht worden. Holzstücke und Planken flogen nach allen Richtungen, und er sah, wie ein Seemann mit wild zuckenden Beinen wie ein blutiger Fetzen zur Seite geschleudert wurde.

Stockdale blickte Bolitho an und sah ihn nicken. Mit einem Grunzen raste er, ein Entermesser schwenkend, über das Deck.

Bolitho zog seine Pistole und schrie ihm nach. Als Stockdale weiterrannte, drückte er ab. Er dankte Gott, daß seine Hand ruhig gezielt hatte und der Schuß dicht über den Kopf des Bootsführers pfiff. Stockdale erreichte sein Ziel und durchtrennte mit einigen Hieben die Fallen. Die große Kompaniefahne taumelte wie ein helles Seidentuch auf die Luvreling nieder.

In einer Pause des Kanonendonners scholl, unwirklich und verstärkt durch ein Sprachrohr, eine Stimme über das Wasser.

«Drehen Sie bei, oder ich versenke Sie!»

Bolitho hörte, wie am Vorschiff Heyward seine Leute aufforderte, dem Anruf zu gehorchen, dann das plötzliche Aufseufzen der Planken, als das Schiff wie betrunken in den Wind schwankte. Die übriggebliebenen Segel knatterten und schlugen.

«Er macht klar zum Entern«, sagte Tyrell.

Die Rahen der Bonaventure waren jetzt von Männern besetzt, und als der mächtige Schiffsrumpf vorsichtig, dann nachdrücklicher längsseits glitt, sah Bolitho, wie von vielen Stellen aus gleichzeitig die Enterhaken flogen. Die Leute auf den Rahen machten eilig ihre Leinen an den Wanten und Spieren der Royal Anne fest, und nun, da beide Schiffe aneinander gefesselt schwankten und rollten, war für Bolitho der Augenblick des Handelns gekommen.

«Jetzt, Entermannschaft vorwärts!»

Mit einem Chorus von Gebrüll und Schreien stürzten die Seeleute aus beiden Luken hervor und sprangen auf das Schanzkleid. Bevor die Feinde erkannten, was geschah, waren schon mehrere von ihnen unter den Beilen und Entermessern der Angreifer gefallen. Einen Augenblick, wenige Sekunden zuvor noch, hatten sie die Royal Anne für eine hilflose Prise gehalten, für ein Schiff, das sich ergeben hatte und dessen Flagge von einem eigenen Matrosen heruntergehackt worden war. Dann, wie aus dem Nichts, brach der brüllende Haufen fremder Seeleute hervor und sprang mit blitzenden Klingen und heiseren Stimmen, toll vor Kampfeswut, über das Schanzkleid.

Bolitho rannte zur Reling und riß an der Abzugsleine einer Drehbasse. Er sah, wie die Kartätsche durch einen Knäuel von Feinden mähte und sie mit einem mörderischen Hagel zur Seite fegte.

Dann griff er mit der zweiten Gruppe seiner Leute an, zog sich an den Wanten hoch und hieb zugleich mit seinem Degen in einen Arm, der einen Enterhaken hielt. Geschrei und Flüche, das Knallen der Pistolen, stählernes Klirren. Er war wie betäubt von diesem Getöse. Hinter ihm glitt ein Mann ab und wurde wie ein gemartertes Tier zwischen den Schiffen zerquetscht, die ihre Flanken aneinanderrieben. Sein Blut lief hellrot in die aufstiebenden Fahnen des Gischtes.

Jetzt stand er auf dem feindlichen Deck. Sein Arm zitterte, als er die Parade eines Mannes zur Seite schlug, ihm den Degenkorb gegen den Kiefer schmetterte und ihn in den Haufen kämpfender Leute zurückwarf. Ein anderer sprang ihn mit gezücktem Entermesser an, rutschte auf einem Blutflecken aus und wurde von Stockdales Klinge im Genick getroffen. Es klang, wie wenn eine Axt in einen Holzpflock getrieben wird.

«Zerhackt ihm das Rigg, Männer!«schrie Bolitho wild.»Macht den Hund zum Krüppel!»

Er fühlte eine Kugel heiß an seinem Gesicht vorbeifahren und duckte sich, als ein anderes Geschoß in die Brust des Seemannes neben ihm klatschte. Sein Todesschrei ging unter im tobenden Kampfeslärm.

Nun hatte er eine Leiter erreicht. Seine Schuhe waren schlüpfrig vom Blut, seine Finger tasteten sich an einem Geländer hinauf, dessen Holz von einem Geschoß zersplittert war.

Zwei Offiziere parierten die Beil- und Säbelhiebe und versuchten, ihren hart bedrängten Leuten zu Hilfe zu kommen. Bolitho sah, wie einer von ihnen seinen Degen in einen Bootsmannsmaat stieß, sah, wie sich dessen Augen im Todesschmerz verdrehten, bevor er auf das untere Deck hinunterstürzte.

Im nächsten Augenblick war Bolitho oben und stand dem Ersten Offizier des Kaperschiffes gegenüber. Mit Hieb und Parade tasteten sie die Stärken und Schwächen des Gegners ab.

«Fahr zum Teufel!«Der Feind duckte sich und stach nach Bolithos Kehle.

«Ergib dich, solange du noch lebst, du verrückter Hund!»

Bolitho wehrte die Klinge mit seinem Degenkorb ab und hebelte den Mann aus seinem Stand. Deutlich spürte er die Wärme seines Körpers, sein heftiges Atmen.

«Verdammt, ergib dich«, schrie Bolitho zurück.

Ein Pistolenschuß krachte. Der Offizier ließ seinen Arm s inken und starrte verblüfft auf den Strom hellroten Blutes, der stoßweise durch sein Hemd quoll.

Im Vorbeispringen feuerte Tyrell dem Feind eine zweite Pistolenkugel in die Brust.

«Ich kenne den Lump, Käptn, war vor dem Krieg ein verdammter Sklavenhändler!»

Einen Augenblick später sank er stöhnend auf ein Knie nieder. Blut strömte aus seiner Hüfte. Bolitho zog ihn zur Seite, schlug gleichzeitig einen brüllenden Seemann nieder und stieß ihm seine Klinge durch die Brust.

«Ruhig Blut, Leute!»

Er starrte verzweifelt auf die nächsten seiner Leute. Viel Tauwerk des Riggs war durchhauen, doch letzten Endes hatte der Angriff nur wenig Eindruck gemacht. Und überall wichen seine Männer zurück. Ihr wilder Mut zum Kämpfen und Siegen nahm mit der schrumpfenden Mannschaftsstärke ab.

Von überall her, so schien es, feuerten Pistolen und Musketen in die zurückgehenden englischen Seeleute. Heyward stand breitbeinig vor einem Verwundeten, brüllte wie ein wildes Tier und schlug zwei Angreifer gleichzeitig zurück.

In unerreichbarer Ferne sah Bolitho den amerikanischen Kapitän regungslos auf dem Achterdeck stehen und das Gemetzel beobachten. Er war ein hochgewachsener, gutaussehender Mann. Entweder traute er den Fähigkeiten seiner Leute so sehr, oder er war so entsetzt über den Opfermut seiner Gegner, daß er seine Augen nicht von dem blutigen Schauspiel losreißen konnte.

Bolitho schlug ein Entermesser zur Seite und schluchzte laut auf, als seine Klinge wenige Zoll vor dem Griff brach. Er schleuderte den Rest seines Degens dem Mann an den Kopf und sah ihn gleichzeitig von einem Schuß durchbohrt mit zuckenden Beinen fallen.

Halb betäubt erinnerte er sich an den geschmeidigen Händler in English Harbour, der ihm die Waffe verkauft hatte. Er würde sein Geld jetzt nicht mehr bekommen, der verfluchte Kerl!

Mit krächzender Stimme rief er Stockdale zu:»Sie wissen, was Sie zu tun haben!«Er mußte ihn wegstoßen, und selbst dann noch, als er gehorchte und wegrannte, spähte er immer wieder mit besorgten Augen zurück.

Dann hörte er wieder die fremdartig verzerrte Stimme, und als er aufblickte, sah er, wie der amerikanische Kapitän sein Sprachrohr an den Mund hielt.

«Ergebt euch jetzt! Ihr habt mehr als genug geleistet. Ergebt euch oder sterbt!»

Bolitho fuhr herum, sein Herz schien ihm zu zerspringen, sein Geist war verstört, als er einen jungen Seemann aufs Deck fallen sah. Ein Entermesser hatte sein Gesicht vom Ohr bis zum Kinn gespalten.

Ächzend versuchte Tyrell, sich auf seinem verletzten Bein aufzurichten. Mit wildem Blick deutete er zurück:»Seht, Stockdale hat's geschafft!»

Aus dem Hauptdeck der Royal Anne quoll eine Fahne schwarzen Rauches. Sie breitete sich aus, wurde dichter, bis sie wie unter Druck aus allen Fugen und Ritzen strömte.

«Zurück, Männer! Zurück!«gellte Bolithos Stimme.

Dann hinkten und taumelten die Leute der Sparrow über das Schanzkleid, zerrten und schleppten die Verwundeten mit sich, trugen andere, die zu schwer verletzt waren, um sich zu bewegen. Es waren nicht viele übriggeblieben und fast alle verwundet.

Bolitho wischte mit dem Handrücken über seine tränenden Augen. Er hörte Tyrell qualvoll stöhnen, als er ihn mit sich zurückzerrte und das eigene Deck erreichte. Hinter ihnen erscholl rasendes Gebrüll, das Klingen stählerner Äxte, als die Feinde versuchten, die Laschings durchzuhauen, die sie selbst so geschickt festgezurrt hatten, um die Schiffe aneinanderzufesseln. Aber es war zu spät. Schon von dem Augenblick an, da Stockdale den letzten und gefährlichsten Teil des Unternehmens eingeleitet hatte. Ein kurzes, helles Aufflackern! Dann brach das Feuer über die Ladung von Rum und Alkohol herein und breitete sich mit fürchterlicher Geschwindigkeit über den ganzen Schiffsrumpf aus.

Flammen leckten aus offenen Geschützpforten und liefen wie böse, glühende Zungen am geteerten Tauwerk der Bonaventure entlang. Segel zerfielen zu Asche, und dann loderte ein brüllendes Feuermeer zwischen den Schiffen auf und vereinigte sie zu einem einzigen Scheiterhaufen.

Bolitho spähte auf das Boot nieder, das unter dem Heck festgemacht worden war, nachdem es seine Befehle an Graves überbracht hatte.»Alle Mann von Bord!»

Einige kletterten hinunter, andere stürzten sich kopfüber ins Wasser, packten schreiend das Dollbord, bis Kameraden ihnen ins Boot halfen.

Flammende Segel, Asche, Schauer sengender Funken trieben über ihre Köpfe, und gerade als ein Seemann die Leine loswarf und sie halb geblendet nach den Rudern griffen, hörte Bolitho wieder eine gewaltige Explosion. Es klang, als ob der Donner aus der Tiefe der See her käme.

Der Westindienfahrer begann sofort zusammenzusacken. Seine Masten und Spieren, die mit dem Rigg des Feindes verhakt waren, schleuderten Flammen und Funken einige hundert Fuß hoch in die rauchverhangene Luft.

Bolitho betrachtete seine Handvoll unverletzter Seeleute, die sich mit allen Kräften in die Riemen legten. Während er das Boot von den brennenden Schiffen wegsteuerte, fühlte er, wie die Hitze seinen Rücken versengte. Die Pulvervorräte gingen in die Luft, Masten stürzten. Der Laderaum der Royal Anne brach in einem Inferno von Lärm und fauchenden Flammen auseinander. Dann das Brausen einströmenden Wassers! Er hörte das alles und dachte sogar einen Augenblick lang an die Goldbarren des Generals, die vielleicht irgend jemand einmal auf dem Grund des Meeres entdecken mochte.

Aber all das berührte ihn nicht. Sie hatten das Unmögliche vollbracht. Die Miranda war gerächt!

Traurig schaute er seine Männer an, betrachtete ihre Gesichter, die jetzt so viel für ihn bedeuteten. Dort saß der junge Heyward, schmutzig und erschöpft. In seinem Schoß lehnte ein verletzter Seemann. Dort Tyrell mit einem blutigen Verband um den Oberschenkel. Die Augen hatte er im Schmerz geschlossen, aber er hatte seinen Kopf zurückgelegt, als ob er die ersten warmen Sonnenstrahlen suchte. Und Stockdale war überall. Er verband Wunden, lenzte das Boot aus, unterstützte einen ausgepumpten Seemann beim Rudern und half, einen Toten über das Dollbord heben. Er war unermüdlich, unzerstörbar.

Bolitho betrachtete seine ausgestreckte Hand. Sie war ganz ruhig, obwohl jeder Nerv, jeder Muskel zu beben schien. Er blickte seine leere Degenscheide an und lächelte traurig. Das war nun alles gleichgültig.

Bolitho konnte sich nicht erinnern, wie lange seine Leute an den Riemen pullten, wie lange es dauerte, bis die beiden brennenden Schiffe endlich sanken. Die Sonne brannte auf ihre schmerzenden, erschöpften Glieder nieder, der Riemenschlag wurde langsamer und zögernder. Einmal, als Bolitho sich umdrehte, sah er, daß die See weithin mit treibenden Überbleibseln der Schiffe und der Menschen, die auf ihnen gekämpft hatten, bedeckt war. Dem Freibeuter war es gelungen, wenigstens ein Boot abzusetzen, und bevor es im Dunst verschwand, sah er, daß es mit Überlebenden vollgepfropft war. Vielleicht würden auch jene dort jetzt dieselbe Verzweiflung wie die Männer der Miranda kennenlernen.

Dann streifte ein Schatten über sein Gesicht, und er blickte auf. Er hatte die Sparrow nicht bemerkt, deren Bramsegel jetzt fröhlich den Pfad der Sonnenstrahlen kreuzten.

Die Männer im Boot starrten schweigend ihr Schiff an. Sie konnten nicht einmal miteinander sprechen. Noch immer konnten sie es nicht fassen, daß sie überlebt hatten.

Bolitho stand an der Pinne. Seine Augen brannten, als er sein vorsichtig heransegelndes Schiff und die Köpfe über dem Schanzkleid sah. Die Sparrow hatte ihn gesucht. Trotz der Gefahr, trotz der Unwahrscheinlichkeit, daß sein Plan gelang, war sie zurückgekehrt. Eine Stimme klang über das Wasser.»Boot ahoi?»

Es mußte die Stimme des Steuermanns gewesen sein, der wohl besorgt war, wer noch lebte.

Stockdales zerfurchtes Gesicht blickte Bolitho fragend an. Als er nicht antwortete, stand er auf und legte seine großen Hände an den Mund.

«Sparrow ahoi! Klar zum Empfang des Kapitäns!«Bolitho sank zusammen. Die letzten Kräfte verließen ihn. Er war zurückgekehrt!

Ende

Загрузка...