III Der Freibeuter

Bolitho öffnete seine Augen und starrte einige Sekunden lang auf die gelöschte Lampe, die über seiner Koje schaukelte. Er konnte keinen Schlaf finden, obwohl er während der Nacht öfters an Deck gewesen war und bleierne Müdigkeit auf seinen Gliedern lastete. Hinter dem Vorhang, der sein Schlafabteil von der Kajüte trennte, sah er das bleiche Licht der Morgendämmerung. Das träge Pendeln der Laterne und unbehagliches Knarren der Balken verrieten ihm, daß nur eine leichte Brise wehte. Er versuchte sich zu entspannen und fragte sich, wie lange es wohl noch dauern mochte, bis er es sich abgewöhnt hätte, jeden Morgen mit der Dämmerung aufzuwachen, bis er sein neues Alleinsein genießen konnte.

Oben auf dem Achterdeck tappten Füße, und er vermutete, daß nun bald die neue Wache an Deck kommen mußte. Zwei Wochen waren vergangen, seitdem der Geleitzug in Antigua Anker gelichtet hatte, und sie hatten erst die Hälfte der vorausberechneten Strecke absegeln können. Tausend Seemeilen hatten sie inzwischen auf offener See zurückgelegt, und wenn sie sich nicht jede Meile gegen widrige Winde erkämpfen mußten, so dümpelten sie hilflos in nervenzerreißenden Flauten. Kaum verging eine Stunde, ohne daß die Seeleute an Deck gerufen wurden. Ständig mußten sie Segel setzen oder wegnehmen oder, in der Hoffnung, den letzten Hauch einer Brise einzufangen, die Rahen trimmen. Dann wieder zwang sie eine hohnlachende heftige Bö zum Reffen.

Buckles düstere Voraussagen über die Segeleigenschaften der Sparrow bei schwachem Wind hatten sich als nur allzu wahr erwiesen. Immer wieder war das Schiff mit flappenden Segeln und nervenzerrüttendem Ächzen und Klappen im Rigg abgetrieben, während sie bei abflauendem Wind im hohen Seegang schlingerten. Mit Fluchen und harter Arbeit war die Sparrow zwar immer wieder auf ihre Position gebracht worden, doch meist begannen noch vor Ende der Wache alle Mühen aufs neue. Seitdem die Korvette im Einsatz war, hatte die Besatzung meist Erkundungs- und Patrouillenfahrten unternommen, und nun mußte sie sich an das Elend des Geleitschutzsegelns über lange Strecken gewöhnen. Die beiden Transportschiffe machten ihr die Arbeit nicht gerade leicht. Die Frachtkapitäne schienen die Notwendigkeit, in geschlossener Formation zu segeln, nicht begreifen zu wollen. Wenn der Konvoi durch eine heftige Bö zerstreut wurde, vergingen meist viele Stunden, bis die trägen, schweren Schiffe mit Drängen und Drohen endlich wieder auf ihre Positionen getrieben waren. Die barschen Signale Colquhouns hatten lediglich erreicht, daß der Kapitän derGolden Vleece, einer der großen Transporter, in törichter Widerspenstigkeit alle Befehle mißachtete. In vielen Fällen hatte er sich überhaupt nicht um die Signale gekümmert und so die Fawn gezwungen, ihren Posten an der Spitze des Geleitzuges zu verlassen und ihre Anweisungen mit lautem Brüllen von Schiff zu Schiff durchzusetzen.

Bolitho kletterte aus seiner Koje und ging langsam durch die Kajüte. Unter seinen bloßen Füßen spürte er, wie sich die Sparrow leise anhob und dann wieder in ein Wellental hinunterglitt. Der Rudergänger versuchte, die Schiffsbewegungen, die vom üblichen Klappern der Blöcke und dem langgezogenen Quäken des Ruders begleitet waren, zu stützen.

Bolitho stemmte seine Hände auf das Sims der Heckfenster und starrte auf die leere See hinaus. Die beiden Transporter mußten — wenn sie überhaupt noch beisammen waren — irgendwo steuerbord voraus segeln. Sein Auftrag lautete, sich in Luv der schwerbeladenen Schiffe zu halten, so daß die Sparrow zu jedem verdächtigen fremden Schiff hin abfallen konnte und die größtmöglichen Segelvorteile hatte, bis sich herausstellte, ob es Freund oder Feind war.

Tatsächlich hatten sie bereits dreimal ein unbekanntes Segel gesichtet, Da es weit achteraus über der Kimm erschien, konnten sie nicht sehen, ob es jedesmal dasselbe Schiff war. Jedenfalls hatte sich Colquhoun geweigert, zur Erkundung zurückzusegeln. Bolitho konnte seine Abneigung, die wertvollen Transportschiffe zu verlassen, gut verstehen. Denn wenn die Geleitschutzkräfte aufgesplittert waren, konnte der Wind in seiner Launenhaftigkeit den wirklichen Feind mitten unter sie bringen. Andererseits konnte er sich jedesmal, wenn der Ausguck das fremde Schiff meldete, eines unguten Gefühls nicht erwehren. Das sonderbare Segel war wie ein Irrlicht. Sollte es ein Feind sein, so konnte er methodisch dem kleinen Konvoi folgen und auf die passende Stunde zum Angriff warten.

Die Tür öffnete sich, und Fitch schlich mit zwei Kannen herein. In einer dampfte Kaffee, in der anderen schwappte Bolithos Rasierwasser. Im blassen Morgenlicht sah der Diener magerer und kränklicher aus denn je, und wie gewöhnlich waren seine Augen abgewandt, während er die erste, so nötige Tasse Kaffee eingoß.

«Wie schaut's oben an Deck aus?»

Fitch hob kaum seine Augen.»Mr. Tilby meint, daß es wieder ein glutheißer Tag werden wird, Sir!»

Tilby war der Bootsmann. Er war ein riesiger, unordentlicher Schrank von einem Kerl, der die lästerlichsten Reden führte, die Bolitho in seiner zehnjährigen Laufbahn auf See gehört hatte. Aber seine Wetterkenntnisse, seine Voraussagen, was die nächste Dämmerung bringen würde, hatten noch nie versagt.

Unter sengender Sonne würden die Seeleute, die an Deck kaum Schatten und Kühlung finden konnten, nun wieder stundenlanger Pein ausgesetzt sein, bis sich der Abend über das Meer senkte. Überhaupt war es ein Wunder, wie sie alle zusammen in diesem kleinen Schiffsrumpf leben konnten. Bei all den Vorräten, Ersatzspieren, Pulver und Blei, bei den zahllosen Notwendigkeiten, die ein Schiff auf hoher See brauchte, konnten manche Leute kaum einen Platz für ihre Hängematte finden. Dazu noch mußte die Sparrow, wenn sie unterwegs war, die vielen Kabellängen der Ankertrosse sauber unter der Back stauen. Einige hundert Faden dreizehnzölligen Hanftaus für die Hauptanker und hundert Faden achtzölliger Trosse für den Warpanker nahmen mehr Platz weg, als fünfzig Mann selbst bei äußerster Beschränkung brauchten.

Wenn aber ein Schiff, nur auf die eigenen Hilfsmittel angewiesen, überleben wollte, dann mußte die Besatzung solche Unbequemlichkeiten ertragen.

Er trank seinen Kaffee. Wenn der Wind doch wenigstens ein bißchen auffrischen und durchstehen wollte. Das würde den Überdruß vertreiben und die Sklavenarbeit im Rigg erleichtern helfen. Und er fände Gelegenheit, die Geschützmannschaften zu drillen. Während der ersten Tage auf See hatten sie nur wenige Geschützübungen abhalten können, und doch war ihm die eigenartig gleichgültige Haltung aufgefallen, die er schon vorher bei den Kanonieren bemerkt hatte. Vielleicht hatten sie schon so lange nicht mehr im Gefecht gestanden, daß sie das Exerzieren am Geschütz nun lediglich als etwas ansahen, das man eben zu erdulden und von einem neuen Kapitän zu erwarten hatte. Sie waren leidlich schnell, wenn auch etwas steif gewesen. Sie hatten vom Ausrennen bis zum Richten und Zielen alle Befehle ausgeführt, aber wieder und wieder hatte Bolitho gespürt, daß es irgendwo gewaltig haperte. Wenn die Mannschaften durch die offenen Pforten auf die leere See hinausblickten, hatte er ihre Gleichgültigkeit gespürt. Ihre schlaffen Bewegungen schienen ihre Einstellung deutlich zu machen: Es gab keinen Feind zu beschießen, was zum Teufel sollte das dann alles!

Er hatte Tyrell deswegen zur Rede gestellt, aber der Erste Leutnant hatte fröhlich gesagt:»Verdammt, Sir, das heißt doch nicht, daß sie nicht wacker kämpfen können, wenn die Stunde gekommen ist.»

Bolithos scharfe Antwort richtete eine neue Schranke zwischen ihnen auf, und für den Augenblick wollte er es auch dabei belassen.

Kapitän Ransome mußte die Korvette als sein persönliches Eigentum angesehen haben, als seine Yacht vielleicht. Manchmal, wenn Bolitho in der Nacht von Deck herunterkam, wo er eine enttäuschende Stunde lang zugesehen hatte, wie die Leute schon wieder die Segel reffen mußten, dann hatte er sich Ransome mit irgendeiner Frau in der Kajüte vorgestellt. Oder er mußte an Tyrell denken, der auf dem Achterdeck auf und ab schritt und sich schier in Stücke riß, wenn er an seine Schwester nur ein paar Fuß unter ihm dachte. Er hatte diese Sache seit Tyrells erstem Ausbruch nicht mehr zu Sprache gebracht, aber er fragte sich doch, wie die Geschichte wirklich verlaufen sein mochte und was nach Ransomes plötzlichem Tod mit dem Mädchen geschehen sei.

Stockdale kam mit dem Rasierbecken herein. Er blickte Fitch an und zischelte:»Hol das Frühstück für den Käptn.»

«Wieder ein klarer Morgen, Sir«, wandte er sich dann an Bolitho. Er wartete, bis sich sein Kapitän, setzte, und hielt dann das Rasiermesser prüfend gegen das Licht. Er schien mit der Schneide zufrieden zu sein.

«Was wir brauchen, ist eine richtige frische Brise. «Er zeigte seine unregelmäßigen Zähne.»Die würde ein paar von diesen jungen Grünschnäbeln mächtig herumhetzen.»

Bolitho entspannte sich, als das Messer präzise über sein Kinn schabte. Stockdale sprach wenig, aber er schien immer den Nagel auf den Kopf zu treffen.

«Im nächsten Monat werden wir wieder Hurrikan-Jahreszeit haben«, antwortete Bolitho zwischen den Messerstrichen.»Ich hoffe, das wird Sie dann zufriedenstellen, Stockdale.»

«Haben wir alles schon mitgemacht«, grunzte der mächtige Bootsführer.»Wir werden's wieder mitmachen — und überleben, damit wir's weitererzählen können.»

Bolitho gab auf. Anscheinend konnte nichts das ungeheure Vertrauen brechen, das Stockdale selbst zwischen den Zähnen eines Hurrikans in die Wundertätigkeit seines Kapitäns setzte.

Von oben erklangen Stimmen. Dann hörte er Füße die Niedergangsleiter herunterspringen.

Es war Fähnrich Heyward, untadelig wie immer, obwohl er lange Nachtstunden an Deck zugebracht hatte.

«Herr Kapitän!«Er sah, daß Stockdale mit dem Rasiermesser in der Luft verhielt.

«Mit aller Hochachtung von Mr. Graves. Soeben hat die Fawn signalisiert: Segel im Nordosten.»

Bolitho griff nach dem Handtuch.»Schön, ich komme gleich rauf.»

Stockdale stellte das Rasierbecken weg.»Dasselbe Schiff, Sir?»

«Ich glaube kaum. «Bolitho schüttelte den Kopf.»Selbst wenn es wie ein Bluthund hinter uns her wäre, es hätte uns in der Nacht nicht überholen können. «Er rieb sich kräftig das Gesicht ab.»Aber auf dieser öden See ist jedes gesichtete Schiff eine willkommene Abwechslung.»

Als er auf das Achterdeck hinaustrat, hatten sich Tyrell und fast alle Offiziere dort schon versammelt. Beim Großmast waren Seeleute mit Bimssteinen und Schwabbern zum» Rein-Schiff-Machen «angetreten. Andere warteten an den Pumpen oder starrten verschlafen zu den kaum voll stehenden Segeln hinauf.

Graves tippte an seinen Hut.»Der Ausguck im Großtopp hat noch nichts gesehen, Sir.»

Bolitho nickte und schritt zum Kompaß. Er zeigte Nordwest zu Nord, als ob er seit ewigen Zeiten in dieser Richtung festgenietet wäre. Es war kaum überraschend, daß die Fawn das Segel zuerst gesehen hatte. An der Spitze des Geleitzugs und etwas steuerbord vor den Transportern fahrend, lag sie auf günstigerer Position. Bolitho hätte es gern anders gesehen. Immer schien die Fawn schneller zu signalisieren und Colquhouns Befehle rascher auszuführen als die Sparrow. Durch das Kreuz und Quer von Stangen und Wanten hindurch und etwas steuerbords von dem letzten Transportschiff konnte er die andere Korvette sehen. Sie kreuzte unbeholfen in der schwachen westlichen Brise. Obwohl sie an den hart angebraßten Rahen jeden Fetzen Segel gesetzt hatte, machte sie kaum Fahrt.

Plötzlich erscholl ein Schrei aus dem Topp.

«Wahrschau an Deck! Segel steuerbord querab!»

Tyrell überquerte das Deck und wandte sich an Bolitho:»Was meinen Sie, Sir? Eins der unsrigen?»

«Oder so ein verdammter Yankee«, warf Graves bösartig dazwischen.

Bolitho sah den Blickabtausch und fühlte die plötzliche Feindschaft zwischen den beiden.

«Meine Herren«, sagte er ruhig,»wir werden es bald wissen.»

«Signal von der Fawn, Sir«, rief Fähnrich Bethune.»Bleiben Sie auf Position.»

Behaglich meinte Graves:»Die Fawn haut ab. Sie geht über Stag und klemmt sich einen Soldatenfurz unter den Schwanz.»

«Entern Sie auf, Mr. Graves«, sagte Bolitho.»Ich möchte alles wissen, was Sie an diesem Segel entdecken können.»

Graves starrte ihn an.»Ich habe einen guten Mann im Ausguck oben.»

«Und jetzt möchte ich einen guten Offizier oben haben, Mr. Graves«, sagte Bolitho mit Entschiedenheit.»Ein erfahrenes Auge, nicht nur einen scharfen Blick.»

Graves stakte steif zu den Luvwanten und begann nach kurzem Zaudern aufzuentern.

«Das mag ihm jetzt guttun«, meinte Tyrell sehr ruhig.

Bolitho blickte über die Männer auf dem Achterdeck hin.

«Vielleicht, Mr. Tyrell. Wenn Sie aber glauben, daß ich meine Autorität benütze, um kleinlichen Haß unter Ihnen zu nähren, dann muß ich Sie eines anderen versichern. «Er dämpfte seine Stimme.»Wir kämpfen gegen einen Feind, nicht untereinander.»

Dann nahm er ein Fernrohr aus der Halterung und schritt zum Besanmast. Er glich mit den Beinen die unangenehmen Schiffsbewegungen aus, richtete das Teleskop auf die Fawn und führte es dann sehr langsam die Kimm entlang. Minuten vergingen, und dann plötzlich, als das fremde Schiff über eine große Woge glitt, sah er seine Bramsegel wie rosafarbene Muscheln in den ersten Sonnenstrahlen schimmern. Es lag auf einem konvergierenden Kurs sehr hoch am Wind. Seine Rahen waren so hart angebraßt, daß sie fast parallel zum Rumpf standen.

«Fregatte, Sir«, schrie Graves von oben, und dann nach einer Pause, während der alle zu seiner winzigen schwarzen Silhouette vor dem Himmel hinaufschauten,»englische Bauart!»

Bolitho stand schweigend. Englische Bauart, vielleicht. Aber wer stand jetzt hinter ihren Kanonen? Er beobachtete, wie die Fawn langsam herumschwenkte. Ihr Stander im Topp drehte sich und spielte teilnahmslos im schwachen Wind. Wieder flogen Signalflaggen an ihren Rahen hoch.

«Von der Fawn, Sir«, rief Bethune.»Erkennungssignal. «Er suchte in seinem Signalbuch.»Es ist die Miranda, Sir. Zweiunddreißig Kanonen, Kapitän Selby.»

«Sicher kommt sie aus England«, sagte Buckle zu den Männern auf dem Achterdeck.

Schon wurde das Licht stärker, und hellere Farbtöne spielten über die See. Bolitho spürte die ersten warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Aus England! Wahrscheinlich dachte nun jeder Mann auf der Sparrow an diese beiden Worte, alle außer Tyrell und den amerikanischen Siedlern. Aber alle anderen würden sich nun die längstvergangenen Tage in der Heimat ausmalen, eine Farm oder ein Dorf, irgendein Wirtshaus an einem See oder in einem Fischereihafen, vielleicht das Gesicht einer Frau oder das Greifen einer Kinderhand, bevor die Werber zupackten.

Bolitho ertappte sich, wie das große Steinhaus unterhalb von Pendennis Castle daheim in Falmouth vor seinen Augen auftauchte. Dort würde nun sein Vater auf ihn warten. Und er würde sich fragen, was wohl aus ihm und seinem Bruder Hugh geworden sei.

Wie alle Vorfahren der Bolithos war sein Vater Seeoffizier gewesen. Aber nun, da er einen Arm und seine Gesundheit eingebüßt hatte, war er gezwungen, an Land zu leben. Doch immer würden seine Augen über die Schiffe und die See schweifen, die ihn nicht mehr brauchen konnte.

«Von der Fawn, Sir. An alle! Beidrehen!»

Anscheinend war sich Colquhoun über die Herkunft des Schiffes im klaren. Zum ersten Mal mußten die Transportschiffe nicht aufgefordert werden, den Signalen zu gehorchen. Offenbar waren auch sie auf Nachrichten aus der Heimat neugierig.

Bolitho schob das Teleskop zusammen und übergab es einem Bootsmannsmaat.

«Mr. Tyrell, lassen Sie wie befohlen beidrehen und Segel kürzen. «Er wartete, bis der Leutnant den Befehl an die Toppsgasten weitergegeben hatte, die nun in den Wanten aufenterten, dann fügte er hinzu:»Diese Fregatte ist hart gesegelt worden, sie muß wohl mit wichtigem Auftrag unterwegs sein.»

Er hatte das Schiff beobachtet, als es sich hoch am Wind zu dem unordentlichen Haufen der Konvoischiffe heraufgequält hatte. Er hatte die großen Schrammen an seinem Rumpf bemerkt, wo die See wie mit einem riesigen Messer die Farbe abgeschabt hatte. Seine Segel waren an vielen Stellen ausgebessert und mit Flicken besetzt worden. All das deutete auf eine schnelle Reise hin.

«Die Miranda hat wieder ein Signal gesetzt, Sir«, rief Bethune. Er lehnte sich in die Wanten und versuchte, sein großes Fernrohr still zu halten.»An Fawn. Bitten Kapitän an Bord!»

Wie immer erfolgte sofort die rasche Antwort der Fawn. Ihr großes Beiboot war innerhalb weniger Minuten ausgeschwenkt. Bolitho konnte es sich ausmalen, wie Colquhoun zum anderen Schiff eilte und wie dort die Offiziere verblüfft sein würden, wenn sie bemerkten, daß er höher im Dienstrang stand als ihr eigener Kapitän. Was für Folgen das Zusammentreffen auch haben mochte, es mußte sich um eine dringende Angelegenheit handeln und nicht nur um den Austausch von Klatsch, wie es bei solchen Gelegenheiten auf hoher See oft vorkam.

Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich gehe nach unten, rufen Sie mich, wenn irgend etwas geschieht.»

In der Kajüte wartete Stockdale schon mit Rock und Degen auf ihn. Mit breitem, schiefem Grinsen murmelte er:»Dachte, Sie würden das jetzt brauchen, Sir.»

Fitch hielt sich am Tisch fest und versuchte mit gespreizten Beinen die Bewegungen der Korvette auszugleichen, die nun ohne die stützende Wirkung der Segel schwer in den Wogen rollte. Mit resigniertem Blick in seinem kränklichen Gesicht starrte er das Frühstück an, das er gerade hereingebracht hatte.

Bolitho lächelte.»Keine Angst, später werde ich schon Zeit finden, das zu essen.»

Es war sonderbar, daß allein schon das Auftauchen eines fremden Schiffes und der erste Hauch leiser Erregung ihm den Appetit zurückgegeben hatte. Während Stockdale ihm den Degen umgürtete und den Rock reichte, goß er sich etwas Kaffee hinunter.

Vielleicht hatte die Miranda einen Feind gesichtet und brauchte nun Hilfe, um ihn angreifen zu können. Vielleicht war der Krieg zu Ende oder ein anderer Krieg irgendwo in der Welt ausgebrochen. Er erwog eine schier endlose Reihe von Möglichkeiten.

Bolitho blickte auf und sah Tyrell durch das offene Skylight herunterspähen.

«Herr Kapitän, der Gig der Fawn legt von der Fregatte ab.»

«Danke. «Bolitho verbarg, so gut er konnte, seine Enttäuschung.

«Das ging aber schnell!»

Als Tyrell verschwunden war, fügte er ruhig hinzu:»Wir werden nun genug Zeit zum Frühstücken haben.»

Doch er hatte sich geirrt. Gerade als er seinen Degen ablegte, erschien Tyrells Gesicht wieder im Skylight. Seine Stimme dröhnte in der engen Kajüte.»Signal von der Fawn, Sir! Kapitäne umgehend an Bord kommen!»

Mit einem Satz verschwand Stockdale aus der Kajüte. Heiser krächzend rief er nach der Bootsbesatzung, die Tilby, der Bootsmann, vorsorglich bereits an Deck zusammengestellt hatte.

In irrsinniger Eile wurde das Boot außenbords geschwenkt und längsseits gefiert. Ohne an Würde oder Vorsicht zu denken, stürzte sich Bolitho über das Schanzkleid ins Heck der Gig hinunter. Sein Degen klapperte gegen das Dollbord und ließ ihn fast auf die Köpfe der Ruderer stolpern.

«Riemen bei, Ruder an!«brüllte Stockdale und flüsterte dann leise, doch mit drohendem Unterton:»Denkt dran, meine Schönen, wenn einer von euch einen Schlag verpatzt, werde ich-ihm gewaltig einheizen!»

Das Boot schien über die See zu fliegen. Als Bolitho endlich seine gelassene Haltung zurückgewonnen hatte und achteraus blickte, war die Sparrow schon eine Kabellänge entfernt. Sie lag beigedreht im blassen Sonnenschein und schlingerte fürchterlich in der Dünung. Ihre Segel flappten und schlugen haltlos.

Trotz seiner Besorgnis und der ruhelos jagenden Gedanken fand Bolitho Zeit, sein Schiff zu bewundern. Früher hatte er oft die Achterkajüte eines vorübersegelnden Kriegsschiffes angestarrt und über den Kapitän, der sie bewohnte, nachgedacht, welch ein Mensch er wohl war und welche Fähigkeiten er besaß. Und nun konnte er immer noch nicht so recht daran glauben, daß die Heckkajüte der Sparrow seine Kajüte war und daß sich andere nun über ihn selbst ihre Gedanken machten.

Er wandte sich wieder nach vorn und sah, wie die Umrisse der Fawn sich vor die träge dümpelnde Fregatte schoben. Bei der Pforte im Schanzkleid bewegten sich mehrere Männer, um ihn mit allen Förmlichkeiten zu empfangen. Er lächelte vor sich hin. Selbst im Rachen der Hölle war es undenkbar, daß ein Kapitän, mochte er auch noch so jung sein, ohne die angemessenen Ehrenbezeigungen behandelt wurde.

An der Pforte erwartete ihn Maulby, der Kommandant der Fawn. Er war sehr hager, und hätte er sich nicht stark vornüber geneigt gehalten, so wäre er um einiges länger als sechs Fuß gewesen. Bolitho fand, daß für solch einen Mann das Leben zwischen den niedrigen Decks einer Korvette sehr unbequem sein mußte.

Maulby schien einige Jahre älter als er zu sein und hatte eine lässige, gedehnte Art zu sprechen. Doch schien er einigermaßen umgänglich und hieß ihn an Bord seines Schiffes willkommen.

Als sie sich unter das Achterdeck bückten, meinte Maulby:»Der kleine Admiral scheint ziemlich aufgeregt zu sein.»

Bolitho blieb stehen und starrte ihn an.»Wer?»

Maulby zuckte schlaksig die Achseln.»In der Flottille nennen wir Colquhoun immer unseren kleinen Admiral. Er hat so eine Art, sich als solcher aufzuführen, ohne den entsprechenden Dienstrang zu haben. «Er lachte, seine gebeugten Schultern berührten die Decksbalken, und es sah aus, als ob er das Oberdeck mit seinem Körper stützte.»Sie machen aber ein entsetztes Gesicht, mein Freund!»

Bolitho grinste. Er fand, daß Maulby ein Mann war, den man vom ersten Augenblick an gern haben mußte und dem man trauen konnte. Aber niemals zuvor hatte er beim ersten Zusammentreffen zweier Untergebener solche Reden über ihren Vorgesetzten gehört. Auf manchen Schiffen hätte das zu einer Katastrophe geführt.

«Nein, Sie haben mich erfrischt und aufgeheitert«, antwortete er. Die Heckkajüte war so groß wie seine eigene, doch sonst gab es keine Ähnlichkeit. Sie war einfach, ja spartanisch. Er erinnerte sich an Tyrells Zorn, seinen bitteren Angriff gegen den» weiblichen Geschmack».

Colquhoun saß am Tisch, hatte sein Kinn in die Hand gestützt und starrte auf einige soeben geöffnete Depeschen.

Ohne aufzusehen, sagte er:»Nehmen Sie beide Platz, ich muß mich noch mit dieser Angelegenheit befassen.»

Maulby zwinkerte Bolitho bedeutungsvoll zu.

Bolitho blickte weg. Maulbys unbekümmerte Haltung ihrem Vorgesetzten gegenüber war beängstigend.»Der kleine Admiral!«Es paßte gut auf Colquhoun.

Maulby schien die Fähigkeit zu besitzen, sich lässig zu geben, ohne daß man ihm etwas vormachen konnte. Bolitho hatte bemerkt, wie flink sich seine Leute über das Geschützdeck bewegten, wie klar Befehle weitergegeben und befolgt wurden. Bolitho hatte die anderen Kapitäne der Flottille noch nicht getroffen. Wenn sie alle solch ausgefallene Vögel waren wie Maulby, dann war es kein Wunder, daß Colquhoun Zeichen von Überlastung zeigte. Vielleicht fielen solch eigenwillige Charaktere auf kleinen Schiffen auch mehr auf. Er dachte an Pears auf der alten Trojan, an seine zerfurchten Züge, die sich niemals, unter keinen Umständen, je verändert hatten. Im Sturm vor einer Leeküste, unter feindlichem Feuer, beim Auspeitschen oder Befördern eines Matrosen, immer war er zurückhaltend geblieben, und stets hatte er jenseits persönlichen Kontaktes gestanden. Bolitho fand es unmöglich, sich Maulby — seine Gedanken zögerten — oder sich selbst mit solch himmelhohen, gottähnlichen Kräften ausgestattet vorzustellen.

Colquhoun unterbrach mit scharfer, schneidender Stimme seine Gedanken.»Der Kapitän der Miranda hat ernste Nachrichten gebracht. «Er hielt seinen Blick noch immer auf die Depeschen gesenkt.»Frankreich hat einen Bündnisvertrag mit den Amerikanern unterzeichnet. Das bedeutet, daß General Washington die volle Unterstützung regulärer französischer Truppen und eine mächtige Flotte zur Verfügung haben wird.»

Bolitho fuhr in seinem Stuhl herum. Diese Neuigkeiten machten ihn betroffen. Die Franzosen hatten schon vorher viel für ihre neuen Verbündeten getan. Aber dies bedeutete, daß der Krieg nun ganz offen geführt wurde. Es bewies auch, daß die Franzosen stärkeres Vertrauen in die Siegeschancen der Amerikaner setzten.

Colquhoun stand rasch auf und starrte durch die Heckfenster.

«Die Miranda hat Depeschen und geheime Nachrichten für das Oberkommando in New York an Bord. Sie lief von Plymouth zusammen mit einer Brigg aus, die Duplikate der Depeschen nach Antigua bringen sollte. Kurz nachdem die Schiffe den Kanal passiert hatten, gerieten sie in einen Sturm, und seitdem ist die Brigg verschollen.»

«Von den Franzosen geschnappt, Sir?«fragte Maulby ruhig. Colquhoun fuhr zu ihm herum. Seine Stimme klang unerwartet zornig.

«Was, zum Teufel, macht das aus? Geschnappt oder gesunken, entmastet oder von Würmern aufgefressen, für uns macht das keinen Unterschied, oder?»

Plötzlich erkannte Bolitho die Ursache seines Angriffs. Wäre Colquhoun in Antigua geblieben, bis sein eigenes Schiff fertig überholt gewesen wäre, dann hätte Maulby das Kommando über den Geleitzug gehabt. Der Kapitän der Miranda, der höher im Dienstrang stand als Maulby, mußte seine Neuigkeiten auf schnellstem Wege nach New York bringen. So hätte er Maulby befohlen, Anordnungen zu treffen, damit die Depeschen ohne Verzögerung nach Antigua gebracht würden. Niemand hätte sich auf das Überleben der Brigg verlassen und Tatenlosigkeit damit entschuldigen können. Durch eine Wendung des Schicksals oder durch Colquhouns Auftrag, den Befehl über seine Schiffe auf See zu behalten, hatte der Kapitän der Miranda die Entscheidung an ihn weitergeben können.

In ruhigerem Ton fuhr Colquhoun fort:»Wir haben Mitteilung erhalten, daß die Franzosen schon seit Monaten Schiffe ausgerüstet haben. Vor einigen Wochen lief von Toulon eine ganze Eskadron aus und schlüpfte durch unsere Patrouillen bei Gibraltar. «Er blickte von einem zum anderen.»Sie könnten nun hier in Richtung auf Amerika unterwegs sein — irgendwo —, das ist alles, was wir wissen. Der Teufel soll sie holen.»

In der langsamen Prozession durchlaufender Dünungswogen hatte sich die Fawn leicht gedreht. Durch die schwankenden Fenster konnte Bolitho nun die beiden Transportschiffe sehen. Riesig und ungeschlacht warteten sie mit backgebraßten Rahen auf das nächste Signal. Jeder Transporter war bis unter die Decksplanken mit dringend notwendigen Vorräten für die Armee in Philadelphia vollgestopft. In der Hand des Feindes wären sie eine ungeheure Beute. Diese Erkenntnis mußte in Colquhouns Gedanken wohl Vorrang haben.

Colquhoun begann wieder zu sprechen.»Die Miranda hat zugestimmt, bei dem Geleitzug zu bleiben, bis wir auf das Küstengeschwader treffen. Aber bei diesem verdammten Wetter kann das noch einige Wochen dauern.»

Bolitho stellte sich vor, wie Colquhoun in seinen Gedanken die Distanzen wie von einer Seekarte ablas. Welch anödende Aussichten, die ganze weite Strecke, all die vielen Meilen nach Antigua zurücksegeln zu müssen, um dort wieder den Oberbefehl über seine kleinen Seestreitkräfte übernehmen zu können.

«Darf ich vorschlagen, daß ich bei den Transportern bleibe, Sir«, sagte Maulby gedehnt.»Zusammen mit der Miranda werden wir ziemlich sicher sein. «Er blickte Bolitho an.

«Sie könnten dann auf der Sparrow nach English Harbour zurücksegeln, die Neuigkeiten dem Admiral übergeben und unsere eigenen Schiffe für weitere Aufträge bereithalten.»

Colquhoun starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.

«Diese verdammte, behagliche Selbstzufriedenheit unserer Regierung! Schon seit Jahren braut sich diese verteufelte Geschichte zusammen, und während die Franzosen Schiff um Schiff vom Stapel gelassen haben, hat man unsere aus Sparsamkeit verrotten lassen. Ließen wir morgen die Kanalflotte auslaufen, so wären meiner Meinung nach kaum mehr als zwanzig Linienschiffe in der Lage, in See zu gehen!»

Er bemerkte die Überraschung seiner Offiziere und nickte heftig.»O ja, meine Herren, während Sie hier draußen standen und dachten, daß beim Einsatzbefehl alles bereit wäre, mußte ich den Mund halten und die ganze Schweinerei mit ansehen. «Er schlug mit der Faust auf den Tisch.»Für eine ganze Reihe von Stabsoffizieren sind politische Macht und Wohlleben wichtiger als die Instandhaltung der Flotte.»

Er setzte sich schwer nieder.»Ich muß mich entschließen!»

Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und ein Fähnrich schaute mit verängstigtem Gesicht herein.»Signal von der Miranda, Sir. Sie bittet um Anweisungen für. «Er kam nicht weiter.

«Sagen Sie ihr, sie soll sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. «Colquhoun funkelte ihn zornig an.»Es ist meine Entscheidung!»

Bolitho schaute zu Maulby hinüber. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er ermessen, was es bedeutete, die Verantwortung eines Kommandos zu haben. Was Colquhoun auch immer entschied, es konnte sowohl richtig als auch falsch sein. Eines jedenfalls hatte Bolitho begriffen: Wenn man eine richtige Entscheidung getroffen hatte, heimsten oft andere den Erfolg ein. Hatte man aber falsch entschieden, dann mußte man die Schuld allein tragen.

Plötzlich sagte Colquhoun:»Lassen Sie Ihren Schreiber kommen, Maulby. Ich will neue Befehle für-«er blickte Bolitho an,»- für die Sparrow diktieren.»

Er schien seine Gedanken laut auszusprechen.»Ich zweifle nicht an Ihren Fähigkeiten, Bolitho, aber Sie haben keine Erfahrung. Ich werde auf Kapitän Maulbys Fawn bleiben, bis ich weiß, was sich in der nächsten Zeit ereignen wird.»

Als der Schreiber hereinschlüpfte, winkte ihn Colquhoun sofort zu sich an den Tisch.

«Sie, Bolitho, werden bei den Transportern bleiben. Der Kapitän der Miranda hat den Oberbefehl, und Sie werden ihm nach Kräften gehorchen. Ihre Befehle werden Ihnen gestatten, zur Flottille zurückzukehren, sobald die Transportschiffe abgeliefert sind. «Er machte eine Pause und wiederholte matt:»Abgeliefert sind.»

Bolitho stand auf.»Jawohl, Sir.»

«Gehen Sie nun und lassen Sie mich die Order abfassen.»

Maulby nahm Bolithos Arm und begleitete ihn auf das Geschützdeck.»Ich glaube, der kleine Admiral hat Sorgen, mein Freund. «Er seufzte.»Ich hatte gehofft, ich könnte ihn auf meinem Schiff loswerden und Ihnen zuschieben. «Dann fuhr er mit kurzem Grinsen fort:»Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»

Bolitho sah seine Gig in der Dünung auf und nieder gleiten. Stockdale beschattete seine Augen und wartete darauf, wieder zur Fawn herangerufen zu werden.

«Die Nachrichten sind schlecht, aber sie kommen nicht unerwartet. Die Heimlichkeiten haben nun wenigstens ein Ende.»

Maulby nickte nachdenklich.»Nicht sehr angenehm für das Lamm, das gerade verschlungen wird.»

Bolitho starrte ihn an.»Es ist doch sicher nicht so ernst?»

«Ich bin da nicht so sicher. Was die Franzmänner heute tun, werden die verdammten Spanier morgen nachahmen. Wir werden bald die ganze Welt am Hals haben. «Er runzelte die Stirn.»In einer Hinsicht hat unser kleiner Admiral schon recht. Es scheint, daß unsre Regierung von Dämonen befallen ist, die darauf aus sind, uns alle verrückt zu machen.»

Der Erste Leutnant eilte auf sie zu und überreichte einen frisch versiegelten Umschlag.

Maulby klapste Bolitho auf die Schulter und sagte fröhlich:»Denken Sie manchmal an uns. Während Sie sich auf Ihrer gemütlichen Reise vergnügen, bin ich gezwungen, meinen Tisch mit ihm zu teilen.»

Er rieb seine Hände.»Aber mit einigem Glück wird er befördert werden und für immer verschwinden.»

Der Leutnant unterbrach ihn eindringlich.»Eine Empfehlung von Kapitän Colquhoun, Sir, Sie möchten bitte sofort zu ihm kommen.»

Maulby nickte und streckte seine Hand aus.»Bis wir uns wiedersehen, Bolitho. «Er schien ihn nicht gerne gehen zu sehen, dann fuhr er etwas linkisch fort:»Seien Sie gewarnt, mein Freund. Sie haben ein schönes Kommando, aber Sie haben auch einen großen Anteil an Kolonisten in Ihrer Besatzung. «Er versuchte zu lächeln.»Wenn der Krieg sich zum Schlechten wendet, dann werden sicher einige versucht sein, ihre Treue umzukehren. Steckte ich in deren Haut, so würde ich es vielleicht genauso machen.»

Bolitho begegnete seinem Blick und nickte:»Danke, ich werde mich daran erinnern.»

Maulby verbarg seine Erleichterung nicht.»Sehen Sie, ich wußte ja, daß Sie ein rechter Kerl sind. Nicht so einer, der meinen unbeholfenen Rat für Herablassung hält.»

«Sie haben einiges riskiert«, meinte Bolitho grinsend.»Ich hätte zu Colquhoun gehen und ihm erzählen können, wie Sie ihn betiteln.»

«Ich hätte es abgeleugnet!»

«Gewiß.»

Sie lachten beide.

Als dann die Gig an der Fawn anhakte, wurden sie wieder förmlich.

Schon bevor Bolitho wieder im Boot saß, sausten Flaggen an den Leinen der Fawn hoch, und augenblicklich erschien drüben auf der Fregatte das Erkennungszeichen.

Bolitho setzte sich im Heck zurecht und starrte zu seinem Schiff hinüber. Colquhoun hatte eine Entscheidung getroffen und Verantwortung übernommen.

Bald würde auch er nun die Last der Verantwortung zu spüren bekommen.

Leutnant Tyrell wandte sich um, als Bolithos Kopf und Schultern im Luk des Achterdecks erschienen, und wartete, bis der Kapitän seine übliche Überprüfung der Segelstellung und des Kompasses beendet hatte.

«Sie läuft jetzt gut, Sir«, meinte er dann.

Bolitho stapfte über das ziemlich stark gekrängte Deck und legte seine Hände auf die Reling. Er fühlte das Schiff wie ein lebendiges Wesen unter sich beben. Die Mittagssonne stand hoch über der Sparrow, aber er brachte es fertig, sich trotz der Hitze nicht darum zu kümmern, er beachtete nur die prall stehenden Segel und den Gischt, der am Bugsprit aufsprühte und über die Back wehte. Fünf Tage waren vergangen, seitdem die Fawn wieder Kurs auf Antigua genommen hatte, und es schien, als ob das Verschwinden Colquhouns aus ihrem Verband Glück und Wetter geändert hätte.

Störrisch wie zuvor, doch endlich von der richtigen Seite her hatte der Wind auf Süd-Südwest zurückgedreht und zu einer frischen Brise aufgefrischt, die während der vergangenen Tage kaum nachgelassen hatte. Unter geblähten Segeln hatten die Schiffe gute Fahrt auf die amerikanische Küste zu gemacht, die nun nach den letzten Berechnungen etwa 250 Meilen entfernt liegen mußte. Die schweren Kauffahrteischiffe hatten ständig fünf Knoten gemacht. Sie mochten zufrieden sein, daß der Kapitän der Miranda sich nicht allzuviel einmischte. Die Signale der Miranda hatten meist nur der Sparrow gegolten. Denn ungefähr vierundzwanzig Stunden nachdem die Fawn davongesegelt war, hatte der Ausguck im Masttopp wieder ein Segel gesichtet. Wie eine winzige, weiße Blase schwebte es weit achteraus über dem Horizont.

Bolitho hatte Graves mit einem Fernrohr ins Topp geschickt, aber selbst er hatte den mysteriösen Verfolger nicht identifizieren können. Dann hatte er zur Fregatte signalisiert und um Erlaubnis zur Erkundung gebeten. Es war verweigert worden. Wahrscheinlich bedauerte der Kapitän der Miranda sein Zusammentreffen mit dem Konvoi. Ohne die schleppende Last der Transporter hätte er jetzt wohl sein Ziel schon erreicht. Es hätte ihm sicher keinen Verweis eingebracht, wenn er seine Nachrichten nicht nach Antigua hätte weitergeben können. Da er aber nun auf die langsameren Schiffe gestoßen war, mußte er so handeln, wie er es jetzt tat. Es war ihm keine andere Wahl geblieben. Auch rechnete er wohl damit, daß die Sparrow ohne Überwachung direkter Vorgesetzter aus irgendwelchen Gründen abdrehte und ihn dann mit der vollen Verantwortung für die Transportschiffe allein ließ.

Das unbekannte Segel war inzwischen nicht wieder gesichtet worden, und Bolitho gab zu, daß der Kapitän der Miranda zwar übervorsichtig, aber richtig gehandelt hatte, als er ihn von einer Erkundungsfahrt zurückhielt.

Bolitho wandte sich Tyrells bronzefarbenem Gesicht zu und nickte:»Ich bin ganz zufrieden.»

Er beobachtete einige Vortoppsgasten, die nach der Arbeit hoch über Deck nun um die Wette an den Stagen niederglitten. Buckle hatte recht, wenn ein rechter Wind blies, flog die Sparrow wie ein Vogel über die See. Er blickte zum nächsten Transportschiff, der Bear, hinüber und wünschte, daß er den Geleitzug endlich los wäre. Dann erst würde er die Sparrow wirklich erproben können. Wenn die Royalsegel und sogar Leesegel gesetzt würden, könnte er erst sehen, was sein Schiff unter jedem Fetzen Tuch zu leisten vermochte.

Die meisten der wachfreien Offiziere amüsierten sich an Deck mit ihrem üblichen Geplauder vor dem Mittagessen. Sie achteten sorgfältig darauf, an der Leeseite zu stehen und ihm, so gut es ging, aus dem Weg zu sein.

Dalkeith, der Schiffsarzt, unterhielt sich lachend mit Buckle. Sein Kahlkopf leuchtete weiß im harten Sonnenlicht. Die rote Perücke wurde vom Messesteward gerade kräftig ausgeschüttelt, und Bolitho vermutete, daß sie von einer über Deck waschenden See durchnäßt worden war.

Zahlmeister Lock war mit dem jungen Heyward in ein ernsteres Ge spräch verwickelt. Der Wind knitterte und faltete die Seiten seines großen Hauptbuches, während er den Fähnrich vermutlich über Verpflegungsfragen aufklärte.

Bethune hatte Wache und stand etwas unordentlich an der Achterdecksreling. Sein Hemd war bis zur Hüfte geöffnet, und mit einer Hand rieb er sich den Magen. Bolitho lächelte. Der junge Bursche hatte zweifellos Hunger. Fähnriche wie Bethune waren immer hungrig. Unten auf dem Geschützdeck faulenzten viele der Seeleute im Schatten der Segel oder vertrieben sich die Zeit ähnlich wie ihre Offiziere. Beim Großmast stand der Bootsmann mit seinem einzigen Freund Yule, einem Geschützführer, zusammen. Bolitho dachte, daß die beiden ein schreckliches Paar von Wegelagerern abgegeben hätten. Tilby, umfangreich und plump, hatte vom allzu vielen Trinken zerstörte Züge. Dagegen war Yule dunkelhäutig, flink wie ein Wiesel, und seine stechenden Augen kamen niemals zur Ruhe.

Während Bolitho von Gruppe zu Gruppe blickte, wurde er abermals an seine neue, abgesonderte Stellung erinnert, an seine Zurückgezogenheit, welche leicht zur Einsamkeit führen konnte. Seine Vorrechte könnten auch zu einer Bürde werden.

Er verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und schritt an der Luvseite langsam auf und ab. Der warme Wind wühlte in seinen Haaren und blähte sein offenes Hemd. Irgendwo dort draußen hinter den Wanten lag die Küste Amerikas. Wie sonderbar wäre es, wenn sie dort vor Anker gingen, und der Krieg wäre zu Ende. Wenn die Blutsgemeinschaft mit den Amerikanern angesichts der Herausforderung Frankreichs sich als stärker erwiesen hätte und wenn England der Unabhängigkeit Amerikas zustimmen könnte, dann würden sich beide Nationen vielleicht gegen die Franzosen verbünden und ihre Machtansprüche ein für allemal klären. Er betrachtete Tyrells Profil und hätte gern gewußt, ob er wohl genauso dachte.

Bolitho verscheuchte die persönlichen Probleme seines Leutnants aus seinen Gedanken und versuchte, sich auf die lange Reihe der Notwendigkeiten zu konzentrieren, die täglich an ihn herantraten. Der Wasservorrat mußte so bald als möglich aufgefüllt werden. Die Fässer waren in schlechtem Zustand, und bei diesem Klima wurde das Trinkwasser rasch brackig. Auch würde er frisches Obst kaufen, wann immer sie auf Land stießen oder ein Versorgungsschiff träfen. Eigenartig, daß die Besatzung so gesund geblieben war, obwohl Ransome solch einfache Regeln offensichtlich nicht beachtet hatte. In den drei Jahren, die er an Bord der Trojan gedient hatte, war nicht ein einziger Fall von Skorbut vorgekommen. Es war dies ein deutliches Zeichen, daß Kapitän Pears sich um seine Leute sorgte, ja, es war eine wertvolle Lektion für alle seine jungen Offiziere. Bolitho hatte schon mit Lock darüber gesprochen, und nach einigem Zögern hatte der Zahlmeister gemurmelt:»Eine kostspielige Angelegenheit, Sir.»

«Es ist kostspieliger, wenn unsre Leute vor Schwäche und Krankheit umfallen, Mr. Lock. Ich habe gehört, daß sich ein ganzes Geschwader wegen solcher Knauserei hat kampflos ergeben müssen.»

Dann stand da noch die Prozedur einer Auspeitschung bevor, die erste, seitdem er Kapitän war. Er hatte die unnötig harte Anwendung von Bestrafungen immer verabscheut, obwohl er wußte, daß sie gelegentlich notwendig wurde. In der Königlichen Flotte war die Disziplin rauh und unmittelbar, und wenn ein Schiff viele Meilen von zu Hause und den Behörden an Land entfernt war, bedeuteten harte Strafen die einzige Abschreckung vor Auflehnung und Verwilderung. Es gab Kapitäne, die bedenkenlos straften. Brutale, unmenschliche Auspeitschungen waren auf manchen Schiffen eine alltägliche Sache, und als Bolitho noch ein junger Fähnrich war, war er beim Anblick solch einer Tortur fast einmal ohnmächtig geworden. Andere Kapitäne wieder überließen, schwach und untüchtig, die Befehlsgewalt ihren Untergebenen und schlossen ihre Augen vor Mißbrauch.

In den meisten Fällen aber kannte der englische Seemann die Maßstäbe seines Dienstes, und wenn er sie überschritt, war er auch bereit, die Folgen zu tragen. Und wenn jemand einen seiner Kameraden bestahl oder betrog, konnte er kein Mitleid erwarten. Die Rechtsprechung der unteren Decks war genauso gefürchtet wie die des Kapitäns.

Aber mit diesem Fall auf der Sparrow stand es ganz anders. Ein Seemann hatte Leutnant Graves während einer Nachtwache den Gehorsam verweigert, als die Leute in einer plötzlichen Bö zum Segelreffen heraufgerufen wurden. Er hatte seinen wachhabenden Offizier angeschrien und ihn in Hörweite von zwanzig Männern einen herzlosen Lump genannt.

Tyrell hatte Bolitho vertraulich gebeten, die Erklärung des Seemannes gelten zu lassen. Er war ein guter Toppgast, und Graves hatte ihn in einem plötzlichen Wutanfall gereizt, als er nicht zugleich mit seinen Kameraden seinen Posten auf der Großrah erreichte.

«Sie dreckiger Yankeebastard«, hatte Graves gebrüllt,»zu faul, seine Pflicht zu tun, und zweifellos zu beschissen feige, zu kämpfen, wenn es an der Zeit ist.»

Dies und Tyrells hitziger Angriff auf die Art und Weise, in der Graves die Angelegenheit behandelte, bewiesen die verborgene Spannung unter der Besatzung aufs neue.

Graves war unnachgiebig geblieben. Der Seemann hatte ihn vor den Leuten seiner Wache beleidigt. Er mußte bestraft werden.

In einer Hinsicht hatte er recht. Seine Autorität mußte aufrechterhalten werden, oder er würde sich niemals wieder auf seine Befehlsgewalt verlassen können.

Bolitho machte sich selbst Vorwürfe. Hätte er mehr Zeit gehabt, diese ungewöhnliche Situation zu überdenken, oder wenn er sich in seiner neuen Stellung stärker für den Mann eingesetzt hätte, hätte er das Äußerste verhindern können. Durch sein eigenes Beispiel hätte er dem Offizier seinen Willen aufzwingen und ihm klarmachen können, daß er sein Verhalten nicht dulden würde. Aber nun war es zu spät. Er hatte die Sache zu lange treiben lassen.

So hatte er sich zum Kompromiß entschlossen und den Rechtsspruch ausgesetzt. Doch wußte er, daß er damit das Unvermeidliche nur hinausgezögert hatte.

Bolitho blickte zur hart angebraßten Großrah hinauf. Das Schiff segelte auf Backbordbug hoch am Wind und legte sich stark über. Er konnte jetzt den Mann sehen. Nackt bis auf einen Fetzen Segeltuch um die Hüften war er mit einigen Kameraden mit Spleißen und Reparaturen beschäftigt. Glaubte Tyrell wirklich, daß der Mann gereizt worden war? Bolitho wußte es nicht. Oder setzte sich Tyrell für ihn ein, weil er Graves im Verdacht hatte, er wolle ihn demütigen, indem er einen anderen Amerikaner bestrafen ließ?

«Wahrschau an Deck!«Der Ruf des Ausgucks im Topp wurde durch den Wind und das ständige Knallen der Segel gedämpft.

«DieMiranda gibt Signale!»

Bolitho fuhr herum.»Vorwärts, Mr. Bethune, Sie schlafen heut noch.»

Tyrell trat zur Seite, als der Fähnrich mit seinem Fernrohr zu den Leewanten sprang.

«Der denkt schon wieder an die nächste Mahlzeit. «Er lächelte über die Verwirrung des jungen Burschen.

«Anscheinend war der Ausguck der einzige Mann in dieser Wache, der an seine Pflicht gedacht hat, Mr. Tyrell!»

Die Schärfe seiner Stimme ließ den Leutnant erröten, und er wandte sich ab, ohne zu antworten.

«Signal von der Miranda, Sir!«rief Bethune,»Segel in Nordwest.»

«Bestätigen.»

Bolitho ärgerte sich über Tyrells lässige Haltung, noch mehr aber über seinen eigenen ungerechten Ausbruch.

Etwa zwei Meilen vor der Golden Vleece war die Miranda, die mit ihren geflickten, doch prall stehenden Segeln gute Fahrt machte, bereits dabei, die Bramsegel zu setzen und sich zur Erkundung bereit zu halten. Das unbekannte Schiff lag irgendwo backbord voraus, und obgleich es vorher nicht gesichtet worden war, mußte es wohl auf konvergierendem, Kurs segeln.

«Wahrschau an Deck! Segel in Sicht, genau in Luv voraus!»

Bolitho blickte in die gespannten Gesichter um ihn. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, selbst zur schwindelnd hohen Großmastsaling aufzuentern, obwohl er seine Furcht vor solchen Höhen niemals ganz überwunden hatte. Beim Hinaufklettern in den zitternden, schwankenden Wanten könnte er wohl seinen Ärger vertreiben und klaren, frischen Sinn zurückgewinnen.

Dann aber fiel sein Blick auf Raven, den neu ernannten Steuermannsmaat.»Entern Sie auf, nehmen Sie ein Glas und melden Sie, was sie sehen.»

Buckle hatte ihm erzählt, daß Raven ein erfahrener Seemann sei, der schon auf verschiedenen Schiffen der Kriegsflotte gedient hatte und den keiner so leicht zum Narren halten konnte.

Schon bevor Raven die Großrah erreicht hatte, erklang wieder der Ruf des Ausgucks:»Zwei Schiffe, dicht beieinander!»

Alle Augen folgten Raven, wie er sich frei überhängend auf die Saling hinaufschwang und dann zum Masttopp weiterkletterte.

Bethune war immer noch bekümmert, weil er das Signal der Miranda übersehen hatte. Plötzlich spannte sich sein Körper vor Erregung.»Geschützfeuer, Sir!«Er hielt seine Hände wie Trichter an seine Ohren. Mit seinem runden Gesicht sah er nun aus wie ein Kobold.

Bolitho schaute ihn an. Dann, als er sein Gehör über das Stampfen des gischtumsprühten Schiffsrumpfes und über das Knattern der Segel hinaus aufs Meer gerichtet hatte, hörte er selbst das tiefe, mißtönende Poltern einer Kanonade.

Vor Ungeduld geriet er fast außer sich, doch wußte er, daß er Raven nicht antreiben durfte. Er könnte vor Hast so sehr durcheinandergebracht werden, daß er die Lage nicht mehr richtig einschätzte.

«Wahrschau an Deck!«Endlich hörte er Raven rufen.»Erstes Schiff ist ein Kauffahrer. Wird von einer Brigg angegriffen!»

«Freibeuter, bei Gott!«rief Buckle mit belegter Stimme.

Bolitho ergriff ein Fernrohr und richtete es durch die dunkle Masse des Riggs, an einigen Seeleuten auf der Back vorbei, auf den schwankenden Horizont. Eine Täuschung des Lichtes? Er blinzelte mit tränenden Augen und versuchte es noch einmal. Nein, dort war es, ein winzig kleiner, weißer Tupfen, der ab und zu über dem blendenden Glitzern endlos dahinwandernder Wogenkämme aufleuchtete. Der einsame Kauffahrer hatte Pech gehabt. Aber wenn sie ein wenig Glück hatten, konnten sie den Spieß nun umdrehen.

Die Miranda hatte ihre Position bereits verlassen und war mit wild schlagenden Segeln über Stag gegangen. Als sich ihre Segel auf dem neuen Kurs wieder füllten, sah Bolitho an ihrem Mast neue Signale hochfliegen.

«Signal an alle«, sagte Bethune rasch.

«Bleiben Sie auf Station.»

Buckle fluchte.»Der ist drauf aus, das verdammte Prisengeld allein zu gewinnen, der verfressene Gauner.»

Das Geschützfeuer war nun deutlicher zu hören, und Bolitho sah durch das Glas, wie leewärts der Schiffe Rauchschwaden über die See davontrieben. Die kleine Brigg hatte alle Segel gesetzt und bemühte sich, noch näher an ihr Opfer heranzukommen.

Bolitho schob das Glas zusammen. Hinter sich hörte er seine Leute murren. Sie waren ebenso enttäuscht wie er selbst. Sicher hatte der Kapitän der Miranda den Angriff nicht eingeleitet, um die Besatzung der Sparrow zu demütigen, sondern um die Langeweile einer langsamen Reise zu unterbrechen.

«Signalisieren Sie der Bear, sie soll mehr Segel setzen«, sagte er zu Tyrell.»Sie fällt stark zurück.»

Dann beobachtete er wieder voll Spannung die Fregatte. Sie segelte sehr schnell, obwohl der Wind fast dwars zu ihren Segeln stand. Die Stückpforten öffneten sich, und die Sonne blitzte auf der Reihe kampfbereit ausgerannter Geschützmündungen.

Der Kapitän der Brigg mußte längst erkannt haben, was geschah, aber mit dem Sieg fast schon in der Hand wollte er wohl seine Beute nicht aufgeben.

Auf der Back und auf dem Geschützdeck fuchtelten die Leute mit den Armen und schwatzten aufgeregt durcheinander. Wahrscheinlich führten sie großartige Reden, wie sie gehandelt hätten, wenn man ihnen die Chance zum Angriff auf das Kaperschiff gegeben hätte.

Bolitho rief Raven auf das Deck zurück.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht«, lobte er.

Der Mann grinste verlegen.»Danke, Sir. Die Brigg ist ganz sicher ein Yankee. Hab' schon viele solche gesehen, seit ich zur See fahre. Das andere Schiff sieht aus wie ein Westindienfahrer, obwohl seine Artillerie schlechter ist als bei anderen.»

«Die Brigg hat jetzt den Angriff abgebrochen«, schrie Tyrell.

«Sie macht sich davon.»

Bolitho seufzte. Der Westindienfahrer hatte schon Kurs auf den kleinen Geleitzug genommen, während die Miranda unter vollen Segeln auf das Kaperschiff lospreschte. Hinsichtlich Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit hatte eine gutgeführte Brigg gegenüber einer Fregatte durchaus eine Chance. Aber der Freibeuter hatte zu lange gewartet. Auf sich schneidenden Kurslinien würden die drei Schiffe Seite an Seite aneinander vorbeilaufen. Die Fregatte würde den Kauffahrer decken und im Vorbeisegeln die Brigg von Bug zum Heck mit ihrer Artillerie bestreichen.

Vorausgesetzt, daß die Brigg nicht zu stark beschädigt würde, könnte sie ein brauchbares Schiff für die englische Flotte abgeben. Jedenfalls würde der Kapitän der Miranda einen ordentlichen Batzen an Prisengeld einstreichen.

Als Bolitho neben sich auf dem Achterdeck zornige Stimmen hörte, riß er seine Augen von dem erregenden Anblick los.

Es war Tilby, der rot angelaufen vom Genuß seines geheimen Rumvorrats auf ihn zustampfte.»Verzeihung, Sir, aber der Kerl da sagt, daß er Sie unbedingt sprechen muß. «Er glotzte den Seemann böse an.»Hab' ihm gesagt, daß ein Mann unter Bestrafung nicht ohne Erlaubnis mit einem Offizier sprechen darf.»

Bolitho erkannte hinter Tilby den Seemann, der ausgepeitscht werden sollte. Er war ein gutgewachsener Mann, der in wilder Entschlossenheit am Arm des Bootsmanns zerrte.

«Was ist los, Yelverton?«Bolitho nickte Tilby zu.»Ist es so wichtig?»

Der Seemann drängte sich auf dem Achterdeck vor und schluckte erregt.»Das Schiff, Sir, ist kein Indienfahrer nich! Ist ein verdammter Franzmann. Hab's gesehen, vor einigen Jahren in Boston.»

Bolitho fuhr herum.»Gott im Himmel!»

In diesem Augenblick feuerte der heranbrausende Westindienfahrer im Vorbeisegeln eine volle Breiseite in die unbemannte Flanke der Miranda. Der hallende Geschützdonner erfüllte das Herz eines jeden Mannes im Geleitzug mit Grauen.

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