Die fünfte Reise oder Die Possen des Königs Balerion

Nicht durch Grausamkeit machte Balerion, Herrscher der Kymbronen, seinen Untertanen das Leben schwer, sondern durch seine Vorliebe für munteren Zeitvertreib. Und es waren wiederum nicht wilde Gelage oder nächtliche Orgien, die dem König am Herzen lagen, sondern Spiele der unschuldigsten Art: Sackhüpfen, Hinke-Pinke oder Murmelspiel von Mitternacht bis in den frühen Morgen, ferner Bockspringen und Messerwerfen, mehr als alles andere aber liebte er das Versteckspiel. Wann immer eine wichtige Entscheidung getroffen, ein Dekret von staatspolitischer Bedeutung unterzeichnet, interstellare Gesandte empfangen oder dem Feldmarschall eine Audienz gewährt werden mußte, pflegte sich der König zu verstecken und erteilte allen Höflingen unter Androhung grausamster Strafen den Befehl, nach ihm zu suchen. Bei solchem Anlaß rannte der gesamte Thronrat kreuz und quer durch den Palast, watete durch den Schloßgraben, schaute unter die Zugbrücke, durchkämmte sämtliche Türme und Zinnen, klopfte die Wände ab und stellte den Thron auf den Kopf; oftmals dauerten diese Suchaktionen sehr, sehr lange, denn der Monarch dachte sich immer neue Verstecke aus. Einmal konnte ein schrecklich wichtiger Krieg nur deshalb nicht erklärt werden, weil der König, geschmückt mit Glasflitter und Kristallgehängen, drei Tage unter der Decke des Prunk-Saals hing und von jedermann für einen Kronleuchter gehalten wurde, während er sich beim Anblick der verzweifelt hin und her rennenden Höflinge ins Fäustchen lachte. Wer den Monarchen fand, erhielt sogleich den Ehrentitel eines Königlichen Entdeckers — es gab bereits siebenhundertsechsunddreißig Würdenträger dieser Art. Wer aber die besondere Gunst des Königs gewinnen wollte, der mußte ihm die Zeit mit einem neuen Spiel vertreiben, das Balerion noch nicht kannte. Und das war alles andere als einfach, denn der Monarch war äußerst versiert auf diesem Gebiet; er kannte all die alten Spiele, wie Gerade-oder-ungerade, er kannte aber auch die neuesten, wie Elektronenkreiseln, ja von Zeit zu Zeit sagte er, alles sei nur ein Spiel, sowohl sein königliches Regiment als auch die ganze weite Welt.

Diese unbesonnenen und leichtfertigen Worte empörten die ehrwürdigen Mitglieder des Thronrats, besonders aber den dienstältesten Minister Papagaster aus dem uralten Geschlecht derer von Matritzewitz, der voller Entrüstung sagte, dem König sei nichts heilig, ja er wage es sogar, Seine Höchsteigene Person der Lächerlichkeit preiszugeben.

Panische Angst ergriff jedoch alle, wenn der König aus einer plötzlichen Laune heraus erklärte, nun sei es Zeit zum Rätselraten. Er hegte seit jeher eine Leidenschaft für Rätsel; einmal stürzte er den Großkanzler in die größte Verwirrung, als er ihn mitten in der Krönungszeremonie fragte, ob sich Nationalismus und Rationalismus durch etwas unterschieden, und falls ja, wodurch?

Der König merkte sehr bald, daß sich die Höflinge keine besondere Mühe gaben, die Rätsel zu lösen, die er ihnen aufgab. Sie speisten ihn mit x-beliebigen Antworten ab, sagten, was ihnen gerade in den Sinn kam, und das erzürnte den König über alle Maßen. Eine Änderung zum Besseren stellte sich erst ein, als er die Besetzung sämtlicher Ämter bei Hofe von den Ergebnissen im Rätselraten abhängig machte. Es hagelte Degradierungen und Dekorationen, und der ganze Hof mußte wohl oder übel an den Spielen teilnehmen, die Seine Majestät ersonnen hatte. Leider versuchten viele Würdenträger, den König zu betrügen, der — obwohl im Grunde seines Herzens gutmütig — Betrüger nicht ausstehen konnte. Der Generalfeldmarschall wurde in die Verbannung geschickt, weil er während der Audienzen einen unter der Halskrause seines Küraß verborgenen Spick-Zettel benutzt hatte; die Sache wäre niemals herausgekommen, wenn ihn nicht einer seiner alten Feinde, ein gewisser General Zasterstein, beim König denunziert hätte. Auch Papagaster, der Vorsitzende des Thronrats, mußte sein hohes Amt niederlegen, denn er wußte nicht, welches der dunkelste Ort im Weltraum ist. Nach einiger Zeit setzte sich der Thronrat aus den vortrefflichsten Lösern von Kreuzwort— und Rebusrätseln im ganzen Reich zusammen, und kein Minister tat einen Schritt ohne seine Enzyklopädie unter dem Arm. Die Höflinge brachten es bald zu solcher Meisterschaft, daß sie die richtige Antwort gaben, bevor der König zu Ende gesprochen hatte, und das war nicht weiter erstaunlich, wenn man berücksichtigte, daß sie samt und sonders eifrige Abonnenten des „Gesetzblatts“ waren, das jetzt anstelle langweiliger Verordnungen und Verwaltungsdekrete vorwiegend Scharaden, Logogriphen und Bilderrätsel enthielt.

Im Laufe der Jahre gelüstete es den König jedoch immer weniger danach, sich den Kopf zu zerbrechen, daher wandte er sich wieder seiner ersten und größten Liebe zu, dem Versteckspiel. Und eines schönen Abends, als er schon leicht beschwipst war, setzte er eine ungewöhnlich hohe Belohnung für denjenigen aus, dem es gelänge, das beste Versteck auf der ganzen Welt auszutüfteln. Die Belohnung bestand aus einem Kleinod von schier unschätzbarem Wert, dem Krondiadem der Kymbroniden-Dynastie, deren edler Sproß Balerion selbst war. Seit Jahrhunderten hatte niemand auch nur einen einzigen Blick auf dieses Wunderwerk werfen dürfen, denn es lag wohlverborgen hinter sieben Schlössern und sieben Riegeln in der Königlichen Schatzkammer.

Wie es der Zufall wollte, weilten Trurl und Klapauzius anläßlich einer ihrer kosmischen Reisen gerade in Kymbronien. Die Kunde von dem märchenhaften Preis, den der König ausgesetzt hatte, verbreitete sich rasch durch das ganze Land und gelangte so auch zu den beiden Konstrukteuren; sie hörten davon in dem Gasthof, in dem sie abgestiegen waren. Gleich am nächsten Morgen begaben sie sich zum Palast, um kundzutun, daß sie ein Versteck wüßten dem kein anderes gleichkomme. Es gab jedoch so viele andere Prätendenten auf den Preis, daß es unmöglich war, sich durch die vor dem Tor versammelte Menge zu drängen. Daher kehrten die beiden Freunde in ihre Herberge zurück und beschlossen, ihr Glück am folgenden Tag erneut zu versuchen. Man sollte dem Glück jedoch ein wenig auf die Sprünge helfen, diese Weisheit beherzigten die beiden Konstrukteure sehr wohl: Jeder Wache, die sie aufhalten wollte und jedem Höfling, der sich ihnen in den Weg stellte, drückte Trurl nun eine Goldmünze in die Hand, und wenn dies nicht den gewünschten Effekt hatte, dann ließ er rasch eine zweite, schwerere folgen, und so gelangten sie in weniger als fünf Minuten vor das Angesicht Seiner Majestät. Der König war hocherfreut, als er hörte, daß so berühmte und weise Männer einen so weiten Weg auf sich genommen hatten, nur ihm ihm das Geheimnis des perfekten Verstecks mitzuteilen. Es brauchte einige Zeit, um Balerion das Wie und Weshalb der ganzen Sache zu erklären, jedoch sein Geist, von Kindesbeinen an durch schwierigste Rätsel geschult, begriff schließlich, worum es ging, und dann war der König Feuer und Flamme, sprang vom Thron herab, versicherte die Konstrukteure seiner immerwährenden Gnade und Zuneigung und erklärte, sie würden den Preis unter allen Umständen bekommen, wenn sie nur gestatteten, daß er ihr Geheimrezept auf der Stelle ausprobierte. Klapauzius war zwar gar nicht geneigt, das Rezept so ohne weiteres zu verraten und brummte in den Bart, zunächst müsse man nach allen Regeln der Kunst einen entsprechenden Vertrag auf Pergament mit Siegel und Seidenquaste ausfertigen; doch der König blieb hartnäckig, bat sie so inständig und schwor bei allem, was ihm heilig war, sie würden den Preis ganz sicher bekommen, daß die Konstrukteure einfach nachgeben mußten. Trurl öffnete ein kleines Kästchen, nahm den darin befindlichen Apparat heraus und zeigte ihn dem König. Die Erfindung hatte mit dem Versteckspiel eigentlich nichts zu tun, konnte jedoch bestens dazu benutzt werden. Es war ein tragbarer, bilateraler Persönlichkeitstransformator, selbstverständlich mit jeder Menge Feedback. Mit seiner Hilfe waren zwei beliebige Individuen in der Lage, rasch und einfach ihre Persönlichkeit auszutauschen. Wenn man sich den Apparat auf den Kopf setzte, erinnerte er in seiner Form an die beiden Hörner einer Kuh. Wenn diese Hörner unter entsprechendem Druck mit der Stirn desjenigen in Berührung kamen, mit dem man den Austausch vollziehen wollte, so wurde der Apparat in Gang gesetzt und emittierte zwei gegenläufige Serien antipodischer Impulse. Durch das eine Horn strömte die eigene Persönlichkeit in die Tiefe der anderen, und durch das andere die fremde in die eigene. Es erfolgte also die vollständige Entladung des einen Gedächtnisses, gleichzeitig wurde das so entstandene Vakuum mit dem Gedächtnis der anderen Person aufgeladen. Trurl setzte sich den Apparat auf den Kopf und war gerade dabei, dem König das ganze Verfahren zu erklären, wobei er das Haupt Seiner Majestät in die Nähe der Hörner dirigierte, als der übereifrige Monarch diese versehentlich so heftig mit der Stirn berührte, daß der Mechanismus ausgelöst wurde und auf der Stelle einen Persönlichkeitstransfer herbeiführte. All das geschah so rasch und unverhofft, daß Trurl, der den Apparat noch niemals experimentell an sich selbst getestet hatte, nicht einmal bemerkte, was eigentlich passiert war. Auch Klapauzius war nichts aufgefallen, er war nur sehr verwundert, als Trurl plötzlich seinen Vortrag unterbrach, Balerion aber genau an der Stelle fortsetzte, wo Trurl aufgehört hatte, und dabei Formulierungen verwendete wie „die Potentiale des nichtlinearen, submnemotechnischen Transgressionsstadiums“ und „der Persönlichkeitstransit im adiabatischen Feedback-Kanal“. Der König fuhr fort und sprach mit knarrender Stimme noch einige Sätze, ehe Klapauzius merkte, daß etwas schiefgelaufen war. Balerion, der sich nun in Trurls Organismus befand, dachte nicht daran, dem gelehrten Vortrag zuzuhören, sondern bewegte vorsichtig seine Arme und Beine, so als wolle er es sich in dem ungewohnten Körper, den er mit größter Neugier betrachtete, erst einmal bequem machen. Währenddessen erklärte Trurl, angetan mit der Purpurrobe des Monarchen, mit weitausladenden Handbewegungen die kritischen Phasen der Antropie mutuell transponierter Systeme, bis er bemerkte, daß ihm etwas dabei im Wege war; er schaute an seinem Arm hinunter und war verblüfft über das Zepter in seiner Hand. Er wollte etwas sagen, doch da lachte der König freudig auf, nahm die Beine in die Hand und rannte aus dem Thronsaal. Trurl wollte ihm nach, trat dabei jedoch auf den Saum seiner Purpurrobe und schlug der Länge nach hin. Der Lärm rief die Leibwache des Königs auf den Plan, die sich unverzüglich auf Klapauzius stürzte, weil sie annahm, er habe die Person des Monarchen angegriffen. Bis sich der gekrönte Trurl vom Boden erhoben und erklärt hatte, daß seiner königlichen Person keinerlei Gefahr drohe, gab es von Balerion, der irgendwo in Trurls Körper herumtobte, keine Spur mehr. Vergeblich versuchte Trurl in seiner Purpurrobe, ihm nachzujagen, die Höflinge ließen dies nicht zu, und als er protestierte und schrie, er sei überhaupt nicht der König, vielmehr habe ein Persönlichkeitstransfer stattgefunden, schlossen sie daraus, das exzessive Kreuzworträtsellösen habe die Nerven Seiner Majestät endgültig zerrüttet. Folglich geleiteten sie ihn unter höflichen, jedoch bestimmten Worten ins königliche Schlafgemach, verriegelten die Tür hinter ihm und sandten nach den Hofmedizi, obwohl Seine Majestät aus Leibeskräften brüllte und mit beiden Fäusten gegen die Tür trommelte. Klapauzius war inzwischen von zwei kräftigen Wachen in hohem Bogen auf die Straße befördert worden. Er kehrte zur Herberge zurück und dachte dabei voller Unruhe an die Komplikationen, die aus dem, was soeben geschehen war, erwachsen konnten. „Eins ist sicher“, dachte er, „wäre ich an Trurls Stelle gewesen, so hätte die mir eigene Geistesgegenwart die Situation gerettet. Statt eine Szene zu machen und von Persönlichkeitstransfers zu faseln, was ja gewisse Zweifel an einem gesunden Roboterverstand hervorrufen mußte, hätte ich unter geschickter Ausnutzung meines neuen königlichen Körpers sogleich befohlen, diesen Pseudo-Trurl alias Balerion festzunehmen — während der jetzt irgendwo in der Stadt frei herumläuft —, und außerdem hätte ich dafür gesorgt, daß der zweite Konstrukteur als Geheimer Rat an meiner königlichen Seite bliebe. Aber dieser totale Trottel“— damit war Trurl gemeint — „hat völlig die Nerven verloren, so daß ich jetzt leider gezwungen bin, all meine strategischen Talente ins Spiel zu bringen, sonst könnte die Sache am Ende böse ausgehen…“

Sodann rief er sich alles ins Gedächtnis zurück, was er über den Persönlichkeitstransformator wußte, und das war nicht wenig. Am schlimmsten und bedrohlichsten erschien ihm eine Gefahr, von der der leichtsinnige Balerion, der irgendwo in Trurls Körper herumlief, keine Ahnung hatte. Denn sollte er einmal stolpern und mit den Hörnern gegen einen toten Gegenstand stoßen, so würde seine Persönlichkeit augenblicklich in dieses Objekt strömen, und weil tote Gegenstände nun einmal weder Bewußtsein noch Gedächtnis besitzen und damit bei einem eventuellen Persönlichkeitstausch nichts, aber auch gar nichts zu bieten haben, würde Trurls Körper leblos in sich zusammenfallen, während die Seele des Königs für alle Ewigkeit in einem Stein, Laternenmast oder einem alten Schuh verweilen müßte. Aufs höchste beunruhigt beschleunigte Klapauzius seine Schritte; nicht weit von der Herberge wurde er Zeuge einer lebhaften Unterhaltung unter den Dorfbewohnern. Sie erzählten davon, wie sein Kollege Trurl aus dem Palast gestürzt war, als sei der Teufel hinter ihm her, und wie er, als er die lange, steile zum Hafen führende Treppe hinunterrannte, ins Stolpern geraten war und sich ein Bein gebrochen hatte. Wie ihn dies in rasende Wut versetzt hatte, wie er dort am Boden liegend brüllte, er sei König Balerion in höchsteigener Person, nach seinen Leibärzten rief und unverzüglich eine Tragbahre mit Daunenkissen, Myrrhe und Weihrauch verlangte; und wie er — während die Umstehenden über den Verrückten lachten — auf der Straße dahinkroch, entsetzlich fluchte und wütend seine Kleider zerriß, bis schließlich ein Passant Mitleid hatte und sich über ihn beugte, um zu helfen. Wie der gefallene Konstrukteur blitzschnell seinen Hut vom Kopf zog, und wie darunter — und es gab Zeugen, die das beschwören konnten — Teufelshörner zum Vorschein kamen. Wie er dem guten Samariter diese Hörner gegen die Stirn rammte, dann seltsam steif, wie tot in sich zusammensank und nur noch leise stöhnte, während sich der von den Hörnern Getroffene schlagartig veränderte — „als habe ein böser Geist von ihm Besitz ergriffen“ — und dann tanzend, hüpfend und jeden im Wege Stehenden beiseiteschleudernd die Treppe zum Hafen hinabgaloppierte.

Das Entsetzen schnürte Klapauzius die Kehle zu, als er von all dem hörte, denn er begriff sehr wohl, daß Balerion, nachdem er Trurls Körper (der ihm nur so kurze Zeit diente) beschädigt hatte, einfach in den Körper eines unbekannten Passanten geschlüpft war. „Und das war erst der Anfang“, dachte er angsterfüllt. „Wie soll ich denn jemals Balerion finden, wenn er sich in einem Körper versteckt hält, den ich nicht einmal kenne?! Wo soll ich ihn suchen?“ Er versuchte, bei den Umstehenden unauffällig in Erfahrung zu bringen, wer dieser Passant war, weshalb er so edel zu dem verletzten Pseudo-Trurl gewesen und was aus den Hörnern geworden war. Von dem guten Samariter wußten sie nur, daß seine Kleidung ausländisch, jedoch unverkennbar die eines Seemanns war, was vermuten ließ, daß er zu einem Schiff aus einem fremden Land gehörte; von den Hörnern aber wußte niemand etwas. Nur ein Bettler, dessen Beine durchgerostet waren (ein Witwer, der jahrelang auf regelmäßige Schmierung und Ölung hatte verzichten müssen), und der folglich gezwungen war, sich mit Hilfe von an seinen Hüften montierten Rädern fortzubewegen — wodurch er die bessere Perspektive für alle am Boden geschehenden Dinge hatte — erzählte Klapauzius, der rechtschaffene Seemann habe dem unter ihm liegenden Konstrukteur die Hörner so rasch vom Kopf gerissen, daß dies außer ihm niemand bemerkt habe. Es hatte ganz den Anschein, als sei Balerion wieder im Besitz des Transformators, und als könne damit das haarsträubende Hüpfen von Körper zu Körper ungehindert weitergehen. Die Kunde, daß Balerion jetzt in Gestalt eines Seemanns umherlief, beunruhigte Klapauzius ganz besonders. „Ausgerechnet ein Seemann!“ dachte er. „Wenn sein Landurlaub zu Ende ist, und er nicht an Bord erscheint (und wie sollte er, weiß er doch nicht einmal, welches sein Schiff ist!), dann wird sein Kapitän die Hafenpolizei benachrichtigen, die wird den Deserteur natürlich verhaften, und so wird sich Unsere Hoheit im Kittchen wiederfinden! Und wenn er in seiner Verzweiflung nur ein einziges Mal mit dem Kopf, d.h. mit den Hörnern gegen die Kerkermauer stößt, dann wehe uns, dreimal wehe!!“ Wenngleich die Chance verschwindend gering war, den Seemann zu finden, in dessen Gestalt Balerion umherwandelte, begab sich Klapauzius unverzüglich zum Hafen. Das Glück war ihm hold, denn schon von ferne erblickte er einen Menschenauflauf. In dem sicheren Gefühl, auf der richtigen Spur zu sein, mischte er sich unter die Menge und erfuhr bald aus den Gesprächen der Umstehenden, daß seine Befürchtungen der Realität ziemlich nahekamen. Erst vor wenigen Augenblicken hatte ein angesehener Reeder, Eigentümer einer ganzen Handelsflotte, einen seiner Seeleute getroffen, den er wegen seines rechtschaffenen Charakters ganz besonders schätzte; jetzt aber war dieses rechtschaffene Individuum dabei, sämtliche Passanten mit Beleidigungen zu überschütten, und denjenigen, die ihn warnten und ihm rieten, besser seines Weges zu gehen, bevor die Polizei käme, schrie er trotzig entgegen, er könne sich verwandeln in wen immer er wolle, notfalls in die ganze Polizei auf einmal. Empört über solch ein Verhalten begann der Reeder einen Streit mit seinem Fahrensmann, der aber blieb ihm die Antwort nicht schuldig und prügelte mit einem dicken Knüppel auf ihn ein. In diesem Moment erschien eine Polizeistreife; sie machte ihren Kontrollgang durch den Hafen, der ja nicht selten Schauplatz von Tumulten und Schlägereien war, und wie es der Zufall wollte, wurde sie vom Bezirkskommandanten selbst angeführt. Der Kommandant erkannte mit einem Blick, daß der randalierende Seemann vernünftigen Argumenten nicht zugänglich war, folglich befahl er, ihn auf der Stelle ins Gefängnis zu werfen. Als man ihm Handschellen anlegen wollte, stürzte sich der Seemann plötzlich wie ein Besessener auf den Kommandanten und versetzte ihm einen heftigen Stoß mit dem Kopf, der mit zwei hornartigen Fortsätzen bewehrt war. Unmittelbar danach begann er zu brüllen, er sei Polizist, und zwar kein gewöhnlicher, sondern der Chef der Hafenpolizei. Der Kommandant geriet über diese offensichtlichen Hirngespinste nicht etwa in Zorn, im Gegenteil, er schien sich köstlich zu amüsieren und wollte sich ausschütten vor Lachen; dann befahl er seinen Untergebenen, den Radaubruder abzuführen und dabei ihre Fäuste respektive Gummiknüppel nicht allzusehr zu schonen.

So hatte es Balerion in weniger als einer Stunde geschafft, die Hülle seiner unsterblichen Seele zum dritten Mal zu wechseln und steckte nun im Körper des Polizeikommandanten, der bei Gott unschuldig wie ein Lamm war und dennoch im finsteren Kerker schmachtete. Klapauzius begab sich auf den Weg zum Polizeirevier, einem grauen und wuchtigen Gebäude unmittelbar am Meer. Niemand versperrte ihm den Weg, also ging er hinein, lief durch ein paar leere Räume, bis er schließlich vor einem bis an die Zähne bewaffneten Riesen stand. Der steckte in einer Uniform, die ihm ein paar Nummern zu klein war. Dieser Koloß warf Klapauzius einen finsteren Blick zu und machte eine drohende Bewegung, so als wolle er den ungebetenen Gast eigenhändig hinauswerfen — urplötzlich aber zwinkerte er Klapauzius zu (obwohl ihn dieser ja nie zuvor gesehen hatte) und brach in ein ohrenbetäubendes Gelächter aus, wobei sich die ans Lachen keineswegs gewöhnten Gesichtszüge merkwürdig veränderten. Seine Stimme war rauh, ohne jeden Zweifel die Stimme eines Polizisten, sein Lachen aber und besonders sein Augenzwinkern erinnerten Klapauzius unwillkürlich an Balerion, und tatsächlich, es war Balerion, der da auf der anderen Seite des Schreibtisches stand, wenngleich in höchst uneigener Person!

„Ich habe dich sofort erkannt“, sagte Balerion, der Polizeikommandant. „Du warst doch im Palast zusammen mit deinem Freund, der mir den Apparat gegeben hat, nicht wahr? Nun, was meinst du, habe ich jetzt nicht ein erstklassiges Versteck? Und wenn sich der ganze Thronrat auf den Kopf stellt, er wird mich niemals finden, nicht in tausend Jahren! Und es ist wirklich eine tolle Sache, so ein großer, starker Polizist zu sein. Sieh mal!“ Er ließ seine riesige Polizistenfaust mit solcher Gewalt auf den Schreibtisch niedersausen, daß die Platte barst, aber auch in seiner Hand hatte etwas verdächtig geknackt. Balerion zuckte zusammen, rieb sich die Hand und sagte: „Vielleicht habe ich mir etwas gebrochen, aber das macht nichts, notfalls werde ich wieder umsteigen, in dich zum Beispiel! Na, wie wäre das?“

Klapauzius wich unwillkürlich in Richtung auf die Tür zurück, der Polizist aber versperrte ihm mit seiner riesigen Gestalt den Weg und fuhr fort:

„Nicht daß ich irgendetwas gegen dich persönlich habe, aber du kannst mir Schwierigkeiten machen, du weißt zuviel, alter Freund! Deshalb denke ich, es wird das beste sein, dich ins Kittchen zu stecken. Jawohl das wird das beste sein!“ Er lachte häßlich. „Sollte ich einmal in des Wortes wahrer Bedeutung die Polizei verlassen, dann wird niemand — nicht einmal du — die leiseste Ahnung haben, wo oder besser gesagt wer ich bin! Ha, ha!“

„Aber Majestät!“ sagte Klapaucius mit Nachdruck, obwohl er kaum mehr als ein Flüstern hervorbrachte. „Ihr setzt euer Leben aufs Spiel, denn ihr kennt die Gefahren des Apparats nicht! Ihr könnt zugrundegehen, stellt euch vor, ihr schlüpft in den Körper eines Todkranken oder eines steckbrieflich gesuchten Verbrechers…“

„Kein Problem“, sagte der König. „Es genügt, daß ich mir eine Sache fest eingeprägt habe, alter Freund: Nach jedem Persönlichkeitstransfer muß ich die Hörner mitnehmen!!“

Und er deutete auf den zerbrochenen Schreibtisch, wo der Apparat in einer offenstehenden Schublade lag. „Solange ich den Apparat jedesmal der Person vom Kopf reiße, die ich zuvor gerade gewesen bin, und ihn dann immer mit mir nehme, kann mir überhaupt nichts passieren!“

Klapauzius tat sein Bestes, um dem König den Gedanken an weitere Persönlichkeitstransfers auszureden, jedoch vergeblich; der König machte sich nur über ihn lustig. Schließ lich sagte er, offensichtlich in heiterster Stimmung:

„Davon, daß ich in den Palast zurückkehre, kann keine Rede sein! Falls es dich interessiert, ich sehe eine lange Reise vor mir, eine Wanderung von Körper zu Körper meiner loyalen Untertanen, was nebenbei bemerkt sehr gut zu meiner demokratischen Gesinnung paßt. Und zum Schluß, zum Dessert sozusagen, werde ich in den Körper einer wunderschönen Jungfrau schlüpfen, das müßte doch ein ganz besonders erbauliches Gefühl sein, nicht wahr? Ha, ha!“

Und mit einer ruckartigen Bewegung seiner riesigen Pranke stieß er die Tür weit auf und brüllte nach seinen Untergebenen. Klapauzius, der sah, daß keine Zeit mehr zu verlieren war, wollte er nicht auf der Stelle ins Gefängnis wandern, schnappte sich ein Tintenfaß vom Schreibtisch, schleuderte es dem König ins Gesicht und nutzte die vorübergehende Blindheit seines Widersachers zu einem kühnen Sprung durchs Fenster auf die Straße. Zum Glück war es nicht allzu hoch, und ein gnädiger Zufall wollte es, daß keine Passanten in der Nähe waren. So gelang es ihm, sich bis zu einem Platz voller Menschen durchzuschlagen und in der Menge unterzutauchen, bevor sämtliche Polizisten der Stadt, die auf die Straßen strömten und mit ihren Pistolen herumfuchtelten, seiner habhaft werden konnten.

Tief versunken in Gedanken, die alles andere als angenehm waren, entfernte sich Klapauzius vom Hafen. „Am besten wäre es“, dachte er, „den unverbesserlichen Balerion seinem Schicksal zu überlassen und in das Krankenhaus zu gehen, wo Trurls Körper weilt, der die Seele des rechtschaffenen Seemanns in sich aufgenommen hat; wenn man den Körper dann zum Palast brächte, könnte mein Freund wieder er selbst werden, und zwar mit Leib und Seele. Auf diese Weise würde zwar der Seemann anstelle von Balerion König werden, doch damit würde diesem Schuft von einem Monarchen nur Recht geschehen!“ Der Plan war gar nicht schlecht, aber leider undurchführbar, weil dazu eine winzige, doch unerläßliche Sache fehlte, nämlich der Transformator mit den Hörnern, der in der Schreibtischschublade des Polizeikommandanten lag. Einen Augenblick lang erwog Klapauzius die Möglichkeit, einen zweiten derartigen Apparat zu konstruieren, doch nein, dazu fehlte es an Material und Werkzeug, vor allem aber an Zeit. „Jetzt habe ich eine Idee!“ dachte er. „Ich gehe zu Trurl, der ja König und inzwischen hoffentlich wieder zur Vernunft gekommen ist, und sage ihm, er solle der Armee befehlen, das Polizeirevier im Hafen zu umstellen. Auf diese Weise bekommen wir den Apparat, und Trurl kann endlich wieder in seinen alten Adam schlüpfen.“

Man wies Klapauzius jedoch am Tor des Palasts zurück, als er dort Einlaß begehrte. Dem König, so erzählten die Wachen, sei von seinen Leibärzten ein schweres elektrostatisches Beruhigungsmittel verabreicht worden, so daß er für die nächsten achtundvierzig Stunden wie ein Toter schlafen werde.

„Das hat mir gerade noch gefehlt!“ stöhnte Klapauzius und eilte zu dem Krankenhaus, in dem sich Trurls Körper befand; er fürchtete nämlich, bei einer vorzeitigen Entlassung des Patienten könnte die sterbliche Hülle seines Freunds im Labyrinth der Großstadt unwiederbringlich verlorengehen. Im Krankenhaus gab er sich als Verwandter des Patienten mit dem gebrochenen Bein aus; den Namen hatte er durch eine nicht ganz legale Einsichtnahme in die Kartei herausbekommen. Er erfuhr, daß die Verletzung nicht allzu ernster Natur war; es handelte sich um eine schlimme Verstauchung, jedoch nicht um eine Fraktur, dennoch würde der Patient noch einige Tage im Streckverband zubringen müssen. Klapauzius war natürlich nicht daran gelegen, den Kranken zu besuchen, denn dann wäre ja herausgekommen, daß er nicht einmal mit ihm bekannt war. Zumindest insoweit beruhigt, daß Trurls Körper nicht plötz lich verschwinden würde, verließ er das Spital und wanderte tief in Gedanken versunken durch die Straßen. Ihm war nicht bewußt geworden, daß er bei dieser ziellosen Wanderung wieder in die Nähe des Hafens geraten war; erst jetzt bemerkte er, daß es um ihn herum von Polizisten nur so wimmelte. Sie hielten jedermann an und verglichen seine Gesichtszüge sorgfältig mit der Personenbeschreibung in ihrem Notizbuch. Klapauzius erriet sogleich, daß dies Balerions Werk war, der ihn unter allen Umständen hinter Schloß und Riegel wissen wollte. In diesem Moment näherte sich eine Polizeistreife, gleichzeitig bogen aus der entgegengesetzten Richtung zwei Wachtmeister um die Ecke und schnitten ihm den Rückzug ab. Klapauzius ließ sich widerstandslos verhaften, forderte jedoch mit allem Nachdruck, man möge ihn zum Kommandanten bringen, denn er müsse vor diesem unverzüglich ein Geständnis ablegen, da er von einem scheußlichen Verbrechen Kenntnis habe. Sie nahmen ihn in ihre Mitte und fesselten seinen rechten Arm ans Handgelenk eines Polizisten, zum Glück und zu seiner großen Erleichterung konnte er jedoch den linken Arm frei bewegen. Auf dem Polizeirevier begrüßte ihn der Kommandant, d.h. Balerion, mit einem Grunzen der Befriedigung und einem bösartigen Funkeln in seinen kleinen Augen. Klapauzius aber überschüttete ihn bereits mit einem Wortschwall, wobei er versuchte, seiner Stimme einen möglichst fremdartigen Klang zu verleihen:

„Großes Chef! Hoher Polizeimacht! Mich mitnehmen, sagen ich Klapauzius, nein, nein, ich nicht wissen, wer — was Klapauzius! Vielleicht Klapauzius schlechtes Mann, mich mit Hörner auf Straße bum — bum in Kopf, macht großes Zauber, macht böses Zauber, dann ich nicht mehr ich, mich Körper und Seele verliert, sein in nicht meine Körper, nicht wissen wie, Kopf gegen andere Kopf, Hörner zappzerapp, dann weg, großes Chef und hoher Polizeimacht! Hilfe!“

Mit diesen Worten fiel der listige Klapauzius auf die Knie, rasselte mit seinen Ketten und fuhr fort, rasch und ohne Unterlaß in dieser gebrochenen Sprache zu reden. Balerion aber, der in Uniform mit prächtigen Epauletten hinter seinem Schreibtisch stand, hörte zu und zwinkerte verblüfft mit den Augen; dann sah er sich den vor ihm knieenden Klapauzius genauer an, nickte und schien beinahe überzeugt — er konnte ja nicht wissen, daß der Konstrukteur auf dem Weg zum Polizeirevier zwei Finger seiner linken Hand so kräftig gegen die eigene Stirn gepreßt hatte, daß dort Wundmale entstanden, wie sie die Hörner des Persönlichkeitstransformators zu hinterlassen pflegten. Balerion befahl, Klapauzius die Fesseln abzunehmen und warf all seine Untergebenen eigenhändig zur Tür hinaus. Als sie unter vier Augen waren, bat er den Konstrukteur, ganz genau zu berichten, was geschehen war. Daraufhin erfand Klapauzius eine lange Geschichte, nämlich daß er, ein reicher Ausländer, erst an diesem Morgen im Hafen angekommen sei, daß sein Schiff mit zweihundert Kisten voll neuester Scharaden und Rebusrätsel sowie mit dreihundert wunderschönen Jungfrauen zum Aufziehen beladen sei; er habe gehofft, diese bescheidenen Geschenke dem großen König Balerion übergeben zu können; er sei ein Abgesandter des Kaisers Thrombozideon, der auf diese Weise seine grenzenlose Bewunderung für das edle Geschlecht der Kymbroniden zum Ausdruck bringen wolle; Klapauzius erzählte weiter, wie er nach der Landung das Schiff verlassen hatte, um sich nach der langen Reise ein wenig die Beine zu vertreten; wie er friedlich am Kai spazierenging, als ein gewisses Individuum, das genau so aussah wie dies hier — dabei deutete der Konstrukteur auf sich selbst — und das ihm bereits vorher verdächtig vorgekommen war, weil es seine prächtigen ausländischen Kleider mit unverhohlener Gier angestarrt hatte, daß besagtes Individuum plötzlich wie ein Wahnsinniger auf ihn zurannte, als wolle es ihn über den Haufen rennen, sich dann aber die Mütze vom Kopf riß und ihn heftig mit zwei Hörnern stieß, woraufhin der Austausch der Persönlichkeiten erfolgte, den er immer noch nicht fassen konnte.

Man muß zugeben, daß Klapauzius sein Bestes tat, um die Geschichte so glaubwürdig wie möglich erscheinen zu lassen. Er erzählte des langen und breiten von seinem verlorengegangenen Körper, wobei er den gemeinen Räuber mit Schmähungen überschüttete, der jetzt im Besitz dieses schönen Körpers war; ja er ging sogar so weit, sein eigenes Gesicht zu ohrfeigen und voll Verachtung abwechselnd auf seine Brust und seine Beine zu spucken. Er sprach von den Schätzen, die er mitgebracht hatte und beschrieb sie in allen Einzelheiten, besonders die Jungfrauen zum Aufziehen; er erzählte von seiner Familie, die er daheim zurücklassen mußte, von seinen sensorgesteuerten Söhnen und seinem Hochfrequenzterrier, von seiner Frau — einer von dreihundert — die ein Bœuf Elektroganov so herrlich zubereiten konnte, daß es selbst der Tafel des Kaisers zur Zierde gereicht hätte; er weihte den Kommandanten sogar in sein größtes Geheimnis ein, nämlich daß er mit dem Kapitän seines Schiffs vereinbart hatte, jedem die Schätze auszuhän digen, der an Bord erschien und das richtige Losungswort nannte.

Balerion hörte begierig zu, denn ihm schien alles an dieser wirren Geschichte logisch zu sein: Klapauzius, der sich offensichtlich vor der Polizei verstecken wollte, hatte dies bewerkstelligt, indem er in den Körper eines Ausländers geschlüpft war, eines Ausländers, der in prächtige Gewänder gekleidet und sicherlich sehr reich war, folglich konnte ihn dieser Transfer in den Besitz beträchtlicher Mittel bringen. Es war unübersehbar, daß Balerions Gedanken in die gleiche Richtung zielten. Mit List und Tücke versuchte er, dem falschen Ausländer das geheime Losungswort zu entlocken, der sträubte sich zunächst ein wenig, flüsterte es ihm schließlich aber doch ins Ohr, es lautete: „Niterk“. Jetzt war sich der berühmte Konstrukteur ganz sicher, daß sein Widersacher den Köder geschluckt hatte: Balerion, der Scharaden über alles liebte, konnte den Gedanken nicht ertragen, daß man sie mitsamt den Jungfrauen dem König schenken würde, denn schließlich war er ja nicht mehr König; und nachdem er die ganze Geschichte glaubte, war er auch fest davon überzeugt, daß Klapauzius einen zweiten Apparat besaß, denn er hatte keinen Grund, etwas anderes zu vermuten.

Sie saßen eine Weile schweigend da, und es war unüber sehbar, daß ein bestimmter Plan in Balerions Kopf heranreifte. Eher beiläufig und scheinbar desinteressiert begann er den vermeintlichen Ausländer auszufragen, wo denn sein Schiff vor Anker liege, wie der Kapitän heiße usw. Klapauzius setzte bereitwillig antwortend ganz auf Balerions Habgier, und er sollte sich nicht getäuscht haben, denn der König stand plötzlich auf, erklärte, er müsse überprüfen, was ihm der Ausländer erzählt habe, verließ das Büro und verriegelte sorgfältig die Tür hinter sich. Dann befahl er noch im Weggehen — offensichtlich aus Schaden klug geworden — vor dem Fenster einen bewaffneten Polizisten Wache stehen zu lassen. Natürlich würde der habgierige Balerion nichts finden, denn es gab weder das Schiff, noch den Schatz, geschweige denn die Jungfrauen zum Aufziehen. Aber gerade das war der entscheidende Punkt in Klapauzius' Plan. Kaum hatte sich die Tür hinter dem König geschlossen, da stürzte er zum Schreibtisch, zog den Apparat aus der Schublade und setzte ihn blitzschnell auf den Kopf. Dann wartete er in aller Ruhe auf die Rückkehr des Königs. Es war nicht viel Zeit vergangen, da hörte man schwere Schritte, dumpfe Flüche und Zähneknirschen, dann drehte sich der Schlüssel im Schloß, und schon tobte der Kommandant herein und brüllte:

„Du Schuft! Wo sind das Schiff, die Schätze und die herrlichen Scharaden?“

Mehr jedoch konnte er nicht sagen, denn Klapauzius sprang wie ein wildgewordener Ziegenbock hinter der Tür hervor und rammte ihm beide Hörner gegen die Stirn. Bevor Balerion die Zeit hatte, nach allen Regeln der Kunst in Klapauzius' Körper umzusteigen, stand dieser schon in der Uniform des Kommandanten da, brüllte nach den Wachen und befahl, den gefesselten Schurken dort augenblicklich in den Kerker zu werfen und ihn keine Minute aus den Augen zu lassen! Wie betäubt durch diese plötzliche Wende der Dinge erkannte Balerion zunächst noch nicht, wie schändlich man ihn betrogen hatte, und als ihm schließlich dämmerte, daß er es die ganze Zeit mit dem listigen Klapauzius zu tun gehabt und daß es niemals einen reichen Ausländer gegeben hatte, da hallten die feuchten Wände seines Kerkers von finsteren Flüchen und schrecklichen Verwünschungen wider — doch das waren leere Drohungen ohne den kostbaren Apparat. Klapauzius hatte zwar vorübergehend seinen ihm wohlvertrauten Körper verloren, war dafür aber in den Besitz des Persönlichkeitstransformators gelangt. Er zog also seine Paradeuniforin an und marschierte geradewegs zum königlichen Palast.

Der König schlafe noch immer fest, wurde ihm gesagt, aber Klapauzius erklärte in seiner Eigenschaft als Polizeikommandant, er müsse den König dringend sprechen, wenigstens für eine Minute, es ginge um eine Sache von äußerster Wichtigkeit, von der Wohl und Wehe des ganzen Reiches abhingen; daraufhin gaben die zu Tode erschreckten Höflinge nach und führten ihn ins königliche Schlafgemach. Wohlvertraut mit den Gewohnheiten und besonderen Eigenschaften seines Freundes, fuhr Klapauzius mit den Fingerspitzen kurz über Trurls Fußsohle; Trurl fuhr hoch und kam augenblicklich zu sich, er war nämlich über alle Maßen kitzlig. Er rieb sich die Augen und starrte voller Staunen auf den fremden Riesen in Polizeiuniform, der Riese aber beugte sich vor, steckte den Kopf unter den Baldachin des Bettes und flüsterte: „Trurl, ich bins, dein Klapauzius! Ich mußte in die Gestalt des Polizeikommandanten schlüpfen, denn sonst wäre ich niemals bis zu dir vorgedrungen. Den Apparat habe ich auch, er ist hier in meiner Tasche…“

Trurl wußte sich vor Freude kaum zu lassen, als Klapauzius ihm von seiner List erzählte, er sprang mit einem Satz aus seinem königlichen Bett und erklärte den Höflingen, er habe sich glänzend erholt. Nachdem man ihn in seinen Purpurmantel gekleidet hatte, saß er majestätisch mit Zepter und Reichsapfel da und erteilte eine Unmenge Befehle. Zunächst ordnete er an, ihm aus dem Krankenhaus seinen eigenen Körper mit dem Bein zu bringen, das der unvorsichtige Balerion auf der Treppe zum Hafen verstaucht hatte. Als das geschehen war, gab er seinen Leibärzten strikte Order, diesem Patienten die denkbar beste Pflege und Fürsorge angedeihen zu lassen. Nach einer kurzen Konferenz mit seinem Polizeikommandanten, d.h. mit Klapauzius, faßte Trurl den Entschluß, das Gleichgewicht der Dinge sowie die alte Ordnung wiederherzustellen.

Was keineswegs einfach war, weil sich die ganze Geschichte maßlos kompliziert hatte. Wenngleich die Konstrukteure nicht die Absicht hegten, alle verschleppten Seelen wieder ihren früheren Körpern zurückzugeben, so hatten sie doch den dringenden Wunsch, daß Trurl möglichst schnell wieder Trurl wurde und Klapauzius Klapauzius, in ihrem eigenen Fleisch und Blut, versteht sich. Zunächst befahl Trurl, den gefangenen Balerion, der ja noch den Körper von Klapauzius bewohnte, aus dem Kerker zu holen und vor sein erhabenes Angesicht zu bringen. Der erste Persönlichkeitstransfer ging glatt vonstatten, Klapauzius war wieder er seIbst, und Balerion, der jetzt wieder im Körper des Exkommandanten der Hafenpolizei steckte, mußte strammstehen und eine geharnischte Gardinenpredigt über sich ergehen Iassen, wonach er in die königlichen Kasematten geworfen wurde. Die offizielle Begründung für diesen Akt lautete, er habe beim Lösen eines simplen Rebusrätsels völlig versagt. Am nächsten Morgen war Trurls Körper soweit genesen, daß man einen Transfer wagen konnte. Es blieb nur ein Problem: Es wäre verantwortungslos gewesen, das Land zu verlassen, ohne die Frage der Thronfolge vernünftig zu regeln. Balerion aus seiner hafenpolizeilichen Hülle zu befreien und ihn erneut an die Spitze des Staates zu stellen, hielten die Freunde für völlig undenkbar. Daher entschieden sie sich für folgende Lösung: Unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit weihten sie den rechtschaffenen Seemann, der in Trurls Körper gefangen war, in ihr Geheimnis ein, und als sie sahen, wieviel praktische Vernunft in dieser einfachen Seele steckte, erachteten sie ihn eines Herrschers durchaus für würdig; nach dem Transfer wurde Trurl wieder er selbst, der Seemann aber wurde König. Zuvor jedoch hatte Klapauzius befohlen, eine große Kuckucksuhr in den Palast zu bringen, die er bei seinen Streifzügen durch die Stadt in einem nahegelegenen Antiquitätengeschäft gesehen hatte; dann wurde der Verstand Balerions in den kleinen Kuckuck transferiert, während der Verstand der Uhr den mächtigen Schädel des Polizeikommandanten ausfüllte. So war der Gerechtigkeit genüge getan, denn der König mußte von nun an Tag und Nacht fleißig arbeiten und jede volle Stunde mit einem pflichtbewußten „Kuckuck“ ankündigen, wozu er in den entsprechenden Momenten durch die scharfen kleinen Zähne des Uhrwerks gezwungen wurde; so sollte er an der Wand des Thronsaals hängend bis ans Ende seiner Tage büßen, zum einen für seine unbesonnenen und leichtsinnigen Spiele, zum anderen, weil er Leib und Leben der berühmten Konstrukteure durch seine allzu häufigen Transfers in Gefahr gebracht hatte. Was den Polizeikommandanten angeht, so nahm er seinen früheren Dienst wieder auf und erfüllte all seine Pflichten tadellos, womit er bewies, daß ein Kuckucksverstand für diesen Posten völlig ausreichend war. Die beiden Freunde verabschiedeten sich nun endgültig von dem gekrönten Seemann, sammelten ihre in der Herberge zu rückgelassenen Habseligkeiten zusammen, schüttelten den Staub des wenig gastfreundlichen Königreichs von den Füßen und setzten ihre Reise fort.

Erwähnenswert ist lediglich, daß Trurls letzte Amtshandlung als König darin bestanden hatte, die Königliche Schatzkammer zu besuchen und das Krönungsdiadem der Kymbroniden-Dynastie an sich zu nehmen, eine Belohnung, die er sich als Entdecker des besten Verstecks auf der ganzen Welt redlich verdient hatte.

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