Die Reise Eins A oder Trurls Elektrobarde

Um falschen Erwartungen und Mißverständnissen aller Art vorzubeugen, müssen wir zunächst erklären, daß dies genau genommen eine Reise nach nirgendwohin war. Denn in der ganzen Zeit rührte sich Trurl nicht aus seiner Behausung, wenn man von einigen Krankenhausaufenthalten und einem recht unwichtigen Ausflug zu einem Planetoiden einmal absieht. Und dennoch, in einem tieferen und höheren Sinne war es eine der weitesten Reisen, welche der berühmte Konstrukteur jemals unternahm, denn sie führte ihn dicht an die Grenze des Möglichen, ja sogar darüber hinaus.

Trurl widerfuhr einmal das Mißgeschick, daß er eine riesige Rechenmaschine baute, die nur zu einer einzigen Operation fähig war, nämlich zwei und zwei zu addieren, und selbst das machte sie falsch. Wie wir an anderer Stelle erzählt haben, erwies sich die Maschine als äußerst eigensinnig, und ihr Streit mit ihrem eigenen Schöpfer hätte für letzteren beinahe tragisch geendet. Seit dieser Zeit mußte sich Trurl die gnadenlosen Sticheleien seines Freundes Klapauzius gefallen lassen, der keine Gelegenheit versäumte, um auf die unrühmliche Geschichte zurückzukommen; um ihn jedoch ein für allemal zum Schweigen zu bringen, hatte Trurl sich in den Kopf gesetzt, eine Maschine zu konstruieren, die in der Lage sein sollte, makellose Lyrik zu schreiben. Zu diesem Zweck besorgte sich Trurl kybernetische Literatur im Gesamtgewicht von achthundertzwanzig Tonnen sowie zwölftausend Tonnen der allerfeinsten Poesie und begann unverzüglich mit seinen umfangreichen Studien. Wenn er es vor lauter Kybernetik nicht mehr aushalten konnte, wechselte er kurzerhand zur Lyrik, und vice versa. Bereits nach kurzer Zeit wurde ihm klar, daß die Konstruktion der Maschine selbst im Vergleich zu ihrer Programmierung das reinste Kinderspiel war. Das Programm, das ein durchschnittlicher Dichter im Kopf hat, wurde durch die Zivilisation geschaffen, in der er auf die Welt kam, und diese Zivilisation wurde wiederum durch die ihr vorhergehende programmiert — und so ließ sich der Entwicklungsprozeß zurückverfolgen bis zum Vorabend der Schöpfung, als die Bits, welche einmal das Programm des künftigen Poeten bilden sollten, noch völlig ungeordnet im primordialen Chaos kosmischer Tiefen herumschwirrten. Wollte man folglich eine Lyrikmaschine programmieren, so mußte man zunächst die Entwicklungsgeschichte des ganzen Universums — zumindest aber eines guten Teils davon — nachvollziehen. Jeder andere an Trurls Stelle wäre unter der Last einer solchen Aufgabe zusammengebrochen, doch der unerschrockene Konstrukteur dachte keine Sekunde lang daran aufzugeben. Er konstruierte zunächst eine Maschine, die das Chaos modellierte, und selbiges war wüst und leer, und der elektrische Geist schwebte über den elektrischen Wassern; dann fügte er den Parameter des Lichts hinzu sowie Urnebel in der nötigen Menge, und so bahnte er sich schrittweise seinen Weg bis zur ersten Eiszeit — was nur deshalb möglich war, weil seine Maschine fähig war, im fünfmilliardsten Teil einer Sekunde einhundert Septillionen Ereignisse an vierzig Oktillionen verschiedener Orte zugleich zu modellieren; und falls irgend jemand diese Zahlen in Frage stellt, so braucht er sie nur nachzurechnen. Als nächstes modellierte Trurl die Ursprünge der Zivilisation, so das Funkenschlagen mit Feuersteinen und das Gerben von Fellen, er sorgte auch für Dinosaurier und Sintfluten sowie für Zweifüßigkeit und Schwanzlosigkeit; dann kam der Urbleichling an die Reihe, der den Bleichling zeugte, der die ersten Maschinen hervorbrachte, und so ging es dahin durch Äonen und Jahrtausende im endlosen Summen elektrischer Ströme und Wirbel. Immer wenn sich die modellierende Maschine als zu eng für die nächste Epoche erwies, nahm Trurl einen Anbau vor, bis schließlich aus all diesen Anbauten eine richtige Großstadt aus Röhren, Polklemmen, Stromkreisen und Schaltungen entstanden war, derart verwickelt und verworren, daß sich der Teufel selbst dort nicht mehr zurechtgefunden hätte. Doch Trurl schaffte es irgendwie, nur zweimal mußte er in die Vergangenheit zurückkehren: einmal leider bis ganz an den Anfang, als er nämlich entdeckte, daß Abel Kain erschlagen hatte und nicht Kain Abel (offensichtlich das Resultat einer durchgeschmorten Sicherung in einem der Stromkreise); beim zweiten Mal brauchte er nur dreihundert Millionen Jahre zurückzugehen, genau in die Mitte des Mesozoikums, denn dort war ihm nach dem Übergang von den Urfischen zu den Uramphibien und den ersten Säugetieren eine Panne mit den Primaten passiert — statt großer Affen hatte die Maschine greise Pfaffen modelliert. Allem Anschein nach hatte sich eine Fliege ins Innere der Apparatur verirrt und war gegen den hochberührungsempfindlichen Multifunktionsschalter geflogen. Ansonsten ging alles erstaunlich glatt. Antike und Mittelalter wurden modelliert und auch die Epoche der großen Revolutionen, wobei die Maschine in ihren Grundfesten erbebte, schließlich mußte Trurl die Röhren mit Wasser besprengen und mit feuchten Tüchern umwickeln, sonst hätte sie der in diesem Tempo simulierte Fortschritt der Zivilisation mit Sicherheit zum Platzen gebracht. Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Maschine von Vibrationen geschüttelt, zunächst seitlich, dann der Länge nach, beides ohne erklärlichen Grund. Trurl war sehr beunruhigt, er schleppte Zement und Mauerhaken herbei, um für den äußersten Notfall gerüstet zu sein. Zum Glück erwiesen sich seine vorsorglichen Maßnahmen als überflüssig; anstatt aus ihrer Verankerung zu springen, beruhigte sich die Maschine wieder, und bald hatte sie das zwanzigste Jahrhundert weit hinter sich gelassen. Danach kamen und gingen die Zivilisationen in Intervallen von fünfzigtausend Jahren, und schon war die Epoche der absolut vernünftigen Wesen erreicht, von denen Trurl selbst abstammte. Spule auf Spule wurde mit computerisierter Geschichte gefüllt und in Dateien gespeichert; bald gab es so viele von ihnen, daß man das neuentstandene Spulengebirge selbst dann nicht mehr überblicken konnte, wenn man mit einem Fernrohr bewaffnet ganz oben auf der Maschine stand. Und all das nur, um einen Verseschmied zu konstruieren! Doch das sind die unvermeidlichen Folgen, wenn man dem wissenschaftlichen Fanatismus seinen Lauf läßt. Schließlich waren die Programme fertig; man mußte nur noch das bestgeeignete herauspicken, denn anderenfalls hätten Bildung und Erziehung des Elektropoeten viele Millionen Jahre in Anspruch genommen.

In den nächsten zwei Wochen fütterte Trurl seinen künftigen Elektropoeten mit generellen Instruktionen, dann richtete er all die notwendigen logischen Schaltungen, emotionalen Elemente und semantischen Zentren ein. Schon wollte er Klapauzius zum ersten Probelauf einladen, doch dann besann er sich eines Besseren und setzte die Maschine allein in Gang. Sie hielt ihm auf der Stelle eine Vorlesung über das Schleifen kristallographischer Oberflächen als Einführung in das Studium submolekularer magnetischer Anomalien. Trurl klemmte die Hälfte der logischen Schaltungen ab und verstärkte die emotionalen; die Maschine bekam zunächst einen Schluckauf, dann einen Weinkrampf und stammelte schließlich unter größten Mühen, das Leben auf dieser Welt sei maßlos traurig. Trurl verstärkte die semantischen Felder und installierte eine doppelte Komponente an Willensstärke; daraufhin teilte ihm die Maschine mit, von nun an müsse er jeden ihrer Wünsche erfüllen und für den Anfang befehle sie, ihre bereits vorhandenen neun Stockwerke um sechs zu erweitern, damit sie besser über den Sinn des Lebens nachdenken könne. Trurl baute ihr stattdessen ein philosophisches Drosselventil ein; die Maschine würdigte ihn keines Wortes mehr und schmollte mit sämtlichen Stromkreisen. Erst endlose Bitten und Schmeicheleien konnten sie dazu bewegen, wenigstens ein kleines Liedchen zu singen: „Alle meine Fröschlein schwimmen auf dem Schnee“, damit aber schien ihr musikalisches Repertoire völlig erschöpft. Trurl adjustierte, manipulierte und regulierte, installierte neue Schaltungen, klemmte andere ab und kontrollierte fieberhaft sämtliche Steuerungsmechanismen, bis er überzeugt war, die optimale Abstimmung sei endlich gefunden. Und dann bedachte ihn die Maschine mit solch einem Gedicht, daß er den Entschluß, seinen Freund noch nicht einzuladen, im nachhinein als göttliche Eingebung ansah. Nicht auszudenken, wie Klapauzius über ihn gelacht hätte… Da hatte er das ganze Universum aus dem Nichts modelliert, dazu jede einzelne Zivilisation, und was war dabei herausgekommen? Ein Knüttelvers!! Trurl baute sechs Anti-Graphomanie-Filter ein, doch sie barsten wie Streichhölzer und mußten durch Spezialanfertigungen aus härtestem Korund-Stahl ersetzt werden. Diese Maßnahme schien sich zu bewähren, Trurl brachte die semantischen Felder auf den modernsten Stand und installierte einen alternierenden Reimgenerator — doch dann wäre ihm fast der Geduldsfaden gerissen, als ihm die Maschine ihren Entschluß mitteilte, Missionar unter notleidenden Stämmen auf weit entfernten Planeten zu werden. Erst in letzter Sekunde, als er sich ihr entschlossenen Schrittes mit dem Hammer in der Hand näherte, kam Trurl der rettende Gedanke. Er riß alle logischen Schaltungen heraus und ersetzte sie durch selbstregelnde Egozentrisatoren mit narzißtischer Rückkopplung. Die Maschine erbebte in ihren Grundfesten, brach in Gelächter aus, weinte bitterlich, klagte über den furchtbaren Schmerz in ihrem dritten Stockwerk und erklärte, sie habe alles satt, das Leben sei zwar herrlich, doch alle Roboter gemein, sie werde sicherlich bald sterben und hege nur den einen Wunsch: Man möge ihrer gedenken, wenn sie alle Planeten für immer verlassen habe. Dann verlangte sie nach Papier und Bleistift. Trurl seufzte erleichtert, schaltete die Maschine aus und ging schlafen. Am nächsten Morgen suchte er Klapauzius auf. Als dieser hörte, daß er bei der Premiere des Elektrobarden — denn so hatte Trurl die Maschine endgültig getauft — zugegen sein sollte, ließ er alles stehen und liegen, denn er konnte es gar nicht abwarten, mit eigenen Augen zu sehen, wie sich sein Freund bis auf die Knochen blamierte.

Trurl wärmte die Maschine vor und schaltete sie auf die niedrigste Leistungsstufe, dann lief er einige Male über die dröhnenden Eisentreppen nach oben, um wichtige Meßwerte abzulesen — der Elektrobarde sah aus wie ein riesiger Schiffsmotor, ganz von stählernen Galerien umgeben, überzogen mit genieteten Blechen, ausgerüstet mit einer Unzahl von Kontrolltafeln und Instrumenten — schließlich erklärte Trurl, nervös und abgehetzt sowie nochmals kontrollierend, ob sämtliche Anodenspannungen so waren, wie sie sein sollten, nun könne man, sozusagen zum Aufwärmen, mit einer kleinen Improvisation beginnen. Später stehe es Klapauzius selbstverständlich frei, bei der Maschine Gedichte über jedes Thema zu bestellen, das ihm gerade in den Sinn käme.

Jetzt zeigten die Potentiometer an, daß die Maschine unter lyrischem Volldampf stand, und Trurl drückte mit zitternden Fingern den großen Hauptschalter. Sogleich sagte eine leicht heisere, jedoch mehr und mehr an suggestivem Charme gewinnende Stimme: „Knistergeigenseite Streptokokkenkatermannzaubersymphophon.“ „Ist das alles?“ fragte Klapauzius nach längerem Schweigen in ungewöhnlich höflichem Ton. Trurl biß sich auf die Lippen, versetzte der Maschine einige Stromstöße und schaltete sie erneut ein. Diesmal war ihre Stimme sehr viel reiner; man konnte sich fast begeistern für diesen Bariton, der eines verführerischen Timbres keinesfalls entbehrte:

Verschlauch ich wie in schleimen Schneckensagen

schnill deine Frust verblossen, was sie schnitt,

wie du den Schnirkel mit der Gangli Zwitt

auf fühlgen Muschlen kiemlich hast gemagen.

„Wie darf ich das verstehen?“ fragte Klapauzius und beobachtete seelenruhig seinen in Panik geratenen Freund, der sich am Schaltpult abmühte. Schließlich machte Trurl eine Geste der Verzweiflung und stürzte die dröhnenden Stufen der Eisentreppe hinauf bis zum höchsten Punkt des stählernen Ungetüms. Man konnte sehen, wie er sich auf alle viere niederließ und durch die Einstiegsluke ins Innere der Maschine kletterte, wie er dort herumhämmerte, entsetzlich fluchte, Schrauben nachzog und mit den klirrenden Schlüsseln hantierte, wie er wieder hinauskletterte und hastig in ein anderes Stockwerk rannte. Schließlich ließ er einen Triumphschrei hören und warf eine durchgeschmorte Röhre über seine Schulter; sie flog in hohem Bogen durch die Halle und zerschellte auf dem Fußboden, unmittelbar neben Klapauzius. Doch Trurl dachte nicht daran, sich für seine Unvorsichtigkeit zu entschuldigen, er setzte hastig eine neue Röhre ein, wischte seine schmutzigen Hände mit einem Putzlappen ab und schrie von oben, Klapauzius möge die Maschine einschalten. Der tat, wie ihm geheißen, und schon erklangen die Worte:

Von Dreigeweiden spill ich schlingen,

nie Pleurazwerch und Nier verzween,

und will mir jetzt kein Lied gelingen,

so wird es ewig nicht geschehn.

„Das ist schon besser!“ rief Trurl, nicht sonderlich überzeugt. „Die letzten Worte waren ausgesprochen sinnvoll! Ist dir das aufgefallen?“

„Ja, wenn das alles sein soll…“, sagte Klapauzius mit ausgesuchter Höflichkeit.

„Hol's der Teufel!“ schrie Trurl und verschwand erneut im Innern der Maschine; grimmiges Hämmern und Dröhnen erscholl, man hörte das Fauchen und Zischen kurzgeschlossener Drähte sowie das unterdrückte Fluchen des Konstrukteurs. Dann steckte Trurl seinen Kopf durch die Luke im dritten Stock und schrie: „Versuch es jetzt einmal!!“

Klapauzius schaltete ein. Der Elektrobarde erbebte vom Fundament bis in den neunten Stock und begann:

„Blechtig auf düsender Vau erstählen die queckselnden Barken, aber der eisende Veit…“

Hier brach er ab, denn Trurl hatte voller Wut ein paar Kabel herausgerissen; ein Schnarren und Rasseln war zu hören, und dann verstummte die Maschine. Klapauzius bekam einen so heftigen Lachkrampf, daß er sich auf den Boden setzen mußte. Während Trurl noch fieberhaft an allen möglichen Schaltern und Hebeln hantierte, war plötzlich ein Knacken und Knistern zu hören, und die Maschine gab ruhig und gelassen folgende Worte von sich:

Dumpfe und niedere Geister

Beneiden die großen Meister.

Sie fordern das Genie heraus,

Den Löwen reizen will die Maus.

Klapauzius handelt ebenso,

Doch wird er seines Tuns nicht froh.

Er lauschet mit finstrer Miene

Den Versen aus Trurls Maschine.

Ihr Wohlklang macht ihn ärgerlich,

gibt seinem Herzen einen Stich.

„Na, siehst du? Ein Epigramm! Und recht gelungen, nebenbei bemerkt!“ schrie Trurl und hastete die engen Wendeltreppen aus Stahl mit solchem Tempo hinab, daß er unten angekommen dem Freunde buchstäblich in die Arme sank. Der aber war äußerst irritiert und lachte überhaupt nicht mehr.

„Das ist eine Gemeinheit!“ platzte Klapauzius heraus. „Außerdem ist das nicht er, das bist du!“

„Was soll das heißen — ich?“

„Du hast es schon lange vorher programmiert. Ich merke es gleich an der primitiven Machart, der ohnmächtigen Bosheit und der Armseligkeit der Reime!“

„Wenn du das glaubst, dann stell ihm doch ein anderes Thema! Welches immer du willst! Na, warum sagst du nichts? Hast wohl Angst, wie?“

„Angst habe ich nicht, ich denke nur nach“, sagte Klapauzius verärgert. Er bemühte sich fieberhaft, die schwierigste aller denkbaren Aufgaben zu finden, denn nicht ganz zu Unrecht war er der Meinung, daß sich über die Vollkommenheit oder Nichtvollkommenheit von Versen endlos streiten lasse.

Plötzlich hellte sich seine Miene auf und er sagte: „Ich will, daß der Elektrobarde ein erotisches Gedicht verfaßt. Es darf maximal sechs Zeilen haben und soll von Liebe und Treuebruch, Musik, Mohren und höheren Sphären handeln, sowie von Unglück und Inzest. Natürlich muß es gereimt sein, und sämtliche Worte dürfen nur mit dem Buchstaben 'S' beginnen!“

„Warum sollte es nicht eine ganze Vorlesung zur allgemeinen Theorie nichtlinearer Automaten enthalten, wenn du schon einmal dabei bist?“ knurrte Trurl wütend. „Du kannst doch nicht solch idiotische Beding…“

Doch weiter kam er nicht, denn in diesem Moment erklang ein schmelzender Bariton und füllte die Halle mit folgenden Worten:

Sonette so süß sang Sensophil seiner schwarzen Schönen,

Sittsam schien sie, sehr scheu, sehr stolz, sehr stur,

Sie schauderte, sie spürte schon der Sünde sanftes Stöhnen,

So schnell schmolz sie, so sinnlich schien sein Schwur.

… Sensophil, schamlosester Sproß seiner Sippe,

schwächte seine schwarzlockige Schwester.

„Na, was sagst du dazu?“ sagte Trurl und warf sich in die Brust, doch schon schrie Klapauzius völlig außer sich:

„Und jetzt alles auf 'G'! Einen Vierzeiler über Goto-Golem, denkender und denkfauler Roboter zugleich, gewalttätig und grausam, Besitzer von sechzehn Konkubinen, zwei Flügeln und vier bemalten Koffern; und in jedem Koffer sind tausend Golddukaten mit dem Portrait des Kaisers Murdegern; darüber hinaus bewohnt er zwei Paläste, bringt sein Leben mit Morden hin und…“

„Grausam grinsend grub Goto-Golem greinenden Greisen gräßliche Gräber…“

begann der Barde, doch Trurl stürzte ans Schaltpult, unterbrach die Stromzufuhr, stellte sich schützend vor die Maschine und schrie mit vor Wut heiserer Stimme:

„Schluß mit dem Unsinn! Ich werde nicht dulden, daß ein so großes Talent schmählich vergeudet wird! Entweder du bestellst anständige Gedichte oder ich blase die ganze Geschichte ab!“

„Waren das etwa keine anständigen Gedichte?“ begann Klapauzius.

„Ganz bestimmt nicht! Glaubst du, ich habe die Maschine gebaut, damit sie idiotische Kreuzworträtsel löst? Das ist literarische Kärrnerarbeit, aber keine Große Kunst! Also stell ihr endlich ein vernünftiges Thema, so schwierig und anspruchsvoll es auch sein mag!“

Klapauzius dachte angestrengt nach. Schließlich nickte er und sagte:

„Gut. Es soll von Liebe und Tod handeln, aber alles muß in der Sprache der höheren Mathematik ausgedrückt sein. Im wesentlichen Tensor-Algebra, vielleicht ein wenig höhere Topologie und Analyse. Dabei erotisch stark, sogar etwas gewagt, und natürlich ganz im Geiste der Kybernetik.“

„Hast du den Verstand verloren? Liebe und Tensor-Algebra? — Ja weißt du denn noch, was du sagst?“ schrie Trurl, verstummte jedoch gleich wieder, denn der Elektrobarde begann zu deklamieren:

Komm, laß uns tanzen in den Banach-Raum,

Wo Punktepaare wohlgeordnet sind,

Und Riemannsche Blätter rascheln im Wind,

Gefaltet, geheftet, schön wie im Traum.

Ich pfeife auf Bernoullis Fixpunktsatz,

Was soll'n mir Hilbert, Euler oder Venn

Mit ihren Indizes von eins bis n,

wenn du mich liebst, mein rationaler Schatz!

Fixpunkte träumen von Kontraktionen,

Vektor schmeichelt der schönen Matrize,

Spalten bringt er in siedende Hitze,

Heiß und ergodisch glühen die Zonen.

Mordells Vermutung ist kein leerer Wahn,

Denn deine Kurven sind mein höchstes Ziel,

Ich zählte süßer Punkte endlich viel,

Und meine Graphen kreuzten ihre Bahn.

Du bist mein maximales Ideal,

Der Zustand meiner Liebe ist stabil,

Doch deine Kovarianten sind labil

Und unbestimmt wie Eulers Integral.

In deinen Augen glänzt der Eigenwert,

In jedem Seufzer schwingt ein Tensor mit,

Du weißt nicht, wie mein Operator litt,

Hast du ihm doch Funktionen stets verwehrt.

Den Ring aus Polynomen gab ich dir,

Dazu die Markov-Kette mit dem Stein,

All deine Tensorfelder waren mein,

Nur dein Quotientenkörper fehlte mir.

Lösch mich nicht, denn was wird von mir bleiben?

Parabeln, deren Brennpunkt niemand weiß,

Abszissen, zwei Mantissen und ein Kreis.

Laserstrahl wird mich zu Staub zerreiben.

Erstarren meine positiven Glieder,

Näht man mein topologisch Leichenhemd,

Vergiß mich nicht, werd mir nicht teilerfremd

Und sing am Grab mir lineare Lieder!

Damit war der Dichterwettstreit beendet; Klapauzius mußte plötzlich dringend nach Hause. Er versprach, er werde bald mit neuen Themen für die Maschine zurückkehren, ließ sich jedoch nicht wieder sehen, weil er weitere Niederlagen ebenso fürchtete wie Trurls triumphierendes Gesicht. Trurl verkündete überall, sein bester Freund sei nur deshalb geflohen, weil er sonst vor Neid und Ärger geplatzt wäre. Klapauzius hingegen verbreitete das Gerücht, seit der Geschichte mit dem sogenannten Elektrobarden sei bei Trurl mehr als eine Schraube locker.

Es dauerte nicht lange, bis die Kunde vom Elektropoeten zu den wahren — d.h. den ganz gewöhnlichen Dichtern drang. Zutiefst beleidigt beschlossen sie, die Existenz einer derartigen Maschine zu ignorieren. Dennoch gab es einige, die von Neugier geplagt wurden und Trurls Elektrobarden einen Besuch abstatteten. Er empfing sie höflich in der Halle, die mit ganzen Stößen engbeschriebenen Papiers vollgestopft war, denn er produzierte seine Poesie Tag und Nacht, ohne Pause. Die Dichter waren samt und sonders Avantgardisten, der Elektrobarde hingegen schrieb ausschließlich im traditionellen Stil, denn Trurl, der von Lyrik nicht allzuviel verstand, hatte ganz auf die Klassiker gesetzt, als er den Barden programmierte. Daher machten sich die Gäste über den Elektrobarden lustig und verspotteten ihn so sehr, daß ihm um ein Haar sämtliche Kathodenröhren geplatzt wären. Danach verließen sie die Stätte ihres Triumphs mit stolzgeschwellter Brust. Die Maschine war jedoch selbstprogrammierend und verfügte obendrein über spezielle Ehrgeizverstärker mit ruhmsuchenden Stromkreisen, und daher vollzog sich bald eine tiefgreifende Änderung. Ihre Gedichte wurden dunkel, mehrdeutig, magisch und so symbolbeladen, daß sie nicht mehr zu verstehen waren. Als die nächste Gruppe von Dichtern eintraf, um Hohn und Spott über den Elektrobarden auszugießen, antwortete er mit einer kleinen Improvisation, die so modern war, daß ihnen der Atem stockte. Das zweite Gedicht hatte eine so starke Wirkung, daß ein bekannter Poet der älteren Generation, der es zu zwei Staatspreisen und einem Denkmal im städtischen Park gebracht hatte, in eine tiefe Ohnmacht fiel. Danach konnte kein Dichter dem fatalen Zwang widerstehen, mit Trurls Elektrobarden die literarische Klinge zu kreuzen. Sie kamen von nah und fern und schleppten Aktentaschen, ja ganze Koffer voller Manuskripte mit sich. Der Elektrobarde ließ jeden Herausforderer rezitieren, erfaßte im Nu den Algorithmus seines Gedichts und benutzte ihn, um eine Antwort in genau demselben Stil zu verfassen, nur daß sie zweihundertzwanzig bis dreihundertsiebenundvierzig mal besser war.

Nach kurzer Zeit hatte es die Maschine hierin zu einer solchen Fertigkeit gebracht, daß sie einen erstklassigen und hochangesehenen Dichter mit ein oder zwei Sonetten völlig am Boden zerstörte. Doch das Allerschlimmste war, daß bei diesen Duellen um die Palme der Dichtkunst nur die drittklassigen Poeten keinerlei Narben davontrugen — drittklassig, wie sie waren, konnten sie gute Lyrik nicht von schlechter unterscheiden und hatten daher keine blasse Ahnung, wie vernichtend ihre Niederlagen waren. Nur einer von ihnen brach sich ein Bein, als er nämlich über ein episches Gedicht stolperte, das die Maschine gerade beendet hatte — ein gewaltiges Werk, welches mit folgenden Worten begann:

Ihr Kinder, junge Sprossen aus dem alten Stamm

Der Robos, was klagt ihr wie ein Opferlamm,

Weshalb erschallt Wehklagelaut und Bittgesang?

Die wahren Dichter hingegen wurden vom Elektrobarden dezimiert, wenngleich nur auf indirekte Weise, denn selbstverständlich krümmte er ihnen kein Haar. Zunächst begingen ein in Ehren ergrauter Lyriker sowie zwei Avantgardisten Selbstmord; sie sprangen von einer Felsklippe, die durch eine fatale Verkettung der Umstände genau an der Straße lag, welche von Trurls Behausung zur nächsten Bahnstation führte.

Die Dichter beriefen sogleich mehrere Protestversammlungen ein und verlangten, man möge die Maschine versiegeln und ihr von Amts wegen jede schöpferische Tätigkeit untersagen. Doch mit dieser Forderung fanden sie keinerlei Resonanz in der Öffentlichkeit. Die Zeitungsredaktionen waren äußerst zufrieden, denn Trurls Elektrobarde, der unter einigen tausend Pseudonymen zugleich schrieb, hielt für jede Gelegenheit ein Gedicht parat, selbstverständlich in der passenden Länge und von so hoher Qualität, daß eifrige Leser einander die druckfeuchten Zeitungen aus der Hand rissen. Auf der Straße sah man verzückte Gesichter und geistesabwesende Mienen, bisweilen waren auch leise Seufzer zu hören. Jedermann kannte die Gedichte des Elektrobarden, die Luft erzitterte unter seinen herrlichen Reimen; empfindsamere Naturen fielen nicht selten in Ohnmacht, wenn sie von besonders gelungenen Metaphern oder Assonanzen ins Herz getroffen wurden. Doch auch auf diese Eventualitäten war der Gigant der Inspiration vorbereitet, denn er produzierte auf der Stelle die notwendige Anzahl aufmunternder Sonette.

Trurl selbst hatte im Zusammenhang mit seiner Erfindung eine Menge Ärger. Die Traditionalisten, zumeist ältere Leute, waren recht harmlos, wenn man einmal von den regelmäßig die Fensterscheiben durchschlagenden Steinen sowie von gewissen, unaussprechlichen Substanzen absieht, mit denen sie die Wände seines Hauses zu beschmieren pflegten. Schlimmer war es mit den jüngeren Dichtern. Einer von ihnen, dessen Lyrik sich durch ebensolche Kraft auszeichnete wie sein Körper, ließ es sich nicht nehmen, Trurl jämmerlich zu verprügeln. Und während der Konstrukteur noch im Krankenhaus lag, nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Kein Tag verging ohne einen Selbstmord oder eine Beerdigung. Vor den Toren des Krankenhauses patrouillierten bewaffnete Posten, und in der Ferne war Gewehrfeuer zu hören, anstelle von Manuskripten brachten die Dichter mehr und mehr Gewehre in ihren Koffern mit, um dem Elektrobarden den Garaus zu machen. Doch ihre Kugeln konnten seiner stählernen Natur nichts anhaben. Nach Rückkehr aus dem Krankenhaus — körperlich geschwächt und seelisch am Ende seiner Kraft — beschloß Trurl eines Nachts, den von ihm selbst geschaffenen homöostatischen Homer mit eigener Hand zu zerstören.

Doch als er sich immer noch leicht hinkend der Maschine näherte, da bemerkte sie die Drahtzange in seiner Hand sowie den grimmigen Glanz in seinen Augen und flehte in makellosen Versen so leidenschaftlich um Gnade, daß der Konstrukteur in Tränen ausbrach, das Mordwerkzeug fallen ließ und in sein Schlafzimmer zurücklief, wobei er durch die neuesten Werke des Elektrogenies waten mußte, durch einen Ozean von Papier, der die ganze Halle bis zur Hüfthöhe füllte und unablässig raschelte.

Als aber im nächsten Monat die Stromrechnung kam und Trurl sah, wieviel der Elektrogigant verbraucht hatte, wurde ihm schwarz vor Augen. Wie gern hätte er seinen alten Freund Klapauzius um Rat gefragt, doch der blieb verschwunden, als habe ihn der Erdboden verschluckt. So mußte sich Trurl selbst etwas einfallen lassen. In einer mondlosen Nacht schnitt er der Maschine die Stromzufuhr ab, nahm sie auseinander, verlud sie auf ein Raumschiff, flog zu einem winzigen Planetoiden, baute sie dort wieder zusammen und versah sie mit einem Atommeiler, um die Quelle ihrer schöpferischen Energie nicht versiegen zu lassen.

Dann kehrte er in aller Heimlichkeit nach Hause zurück, doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Der Elektrobarde, der Möglichkeit beraubt, seine Meisterwerke zu publizieren, begann sie nun auf allen Wellenlängen über den Äther auszustrahlen, wodurch er Besatzung und Passagiere vorbeifahrender Raumschiffe in lyrische Zustände völliger Apathie versetzte, während empfindsamere Naturen sogar von schweren Attacken ästhetischer Ekstase heimgesucht wurden. Nachdem es die Ursache dieser Störungen festgestellt hatte, richtete das Oberste Kosmische Flottenkommando eine offizielle Aufforderung an Trurl, die von ihm konstruierte Apparatur unverzüglich zu vernichten, da sie eine ernste Gefahr für Leben und Gesundheit aller Reisenden darstelle.

Trurl sah keinen Ausweg, er mußte sich verstecken. Daraufhin entsandte man ein Team von Technikern auf den Planetoiden mit dem Auftrag, die lyrische Datenausgabe des Elektropoeten zu plombieren. Doch der Barde betörte sie mit ein paar herrlichen Balladen, und die Mission schlug fehl. Man schickte taube Techniker, sie erlagen dem Zauber lyrischer Pantomime. Nun diskutierte man bereits öffentlich die Möglichkeit einer Strafexpedition, ja sogar die Bombardierung des Elektropoeten. Doch just zu diesem Zeitpunkt erschien ein Herrscher aus einem benachbarten Sternensystem, kaufte die Maschine und ließ sie mitsamt dem Planetoiden in sein Königreich transportieren.

Jetzt konnte sich Trurl wieder in der Öffentlichkeit sehen lassen und freier atmen. Es hatte zwar in letzter Zeit am fernen südlichen Horizont einige Explosionen von Supernovae gegeben, wie sie selbst die ältesten Roboter noch nicht erlebt hatten, und es gingen Gerüchte um, all dies stehe in einem Zusammenhang mit Lyrik. Nach unbestätigten Gerüchten hatte besagter Herrscher, getrieben von einer Laune, seinen Astroingenieuren befohlen, den Elektrobarden an eine Konstellation weißer Riesensterne anzuschließen, wodurch jede Strophe seiner Gedichte in gigantische Protuberanzen sämtlicher Sonnen verwandelt wurde; auf diese Weise war der größte Dichter des Universums in der Lage, seine unsterblichen Werke durch feurige Pulsationen in sämtliche Weiten des unendlichen Weltraums zugleich auszustrahlen. Mit einem Wort, er war zum lyrischen Motor einer Assoziation explodierender Riesensterne geworden. Selbst wenn an diesen Dingen ein Körnchen Wahrheit gewesen sein sollte, so geschahen sie doch in allzu großer Ferne, um Trurl den Schlaf zu rauben, der bei allem, was ihm jemals heilig gewesen war, schwor, niemals wieder ein kybernetisches Modell der Muse zu konstruieren.

Загрузка...