Experimenta Felicitologica

Eines Abends in der Dämmerstunde tauchte der berühmte Konstrukteur Trurl, schweigsam und in Gedanken versunken, bei seinem Freund Klapauzius auf. Um ihn etwas aufzumuntern, wollte Klapauzius ein paar der neuesten kybernetischen Witze erzählen, Trurl winkte jedoch gleich ab und sagte:

„Gib dir keine Mühe, mich aus meiner trübseligen Stimmung zu reißen, denn in meiner Seele hat sich ein Gedanke eingenistet, der leider ebenso wahr wie deprimierend ist. Ich bin nämlich zu dem Schluß gekommen, daß wir in unserem ganzen arbeitsreichen Leben nichts wirklich Wertvolles geleistet haben!“

Während er das sagte, glitt sein mißbilligender Blick voller Verachtung über die stolze Sammlung von Orden, Auszeichnungen und Ehrendiplomen in Goldrahmen, mit der Klapauzius die Wände seines Arbeitszimmers dekoriert hatte.

„Auf welcher Basis fällst du ein derart strenges Urteil?“ fragte Klapauzius, dessen fröhliche Stimmung wie weggeblasen war.

„Das will ich dir sogleich erklären. Wir haben Frieden gestiftet zwischen verfeindeten Königreichen, haben Monarchen im richtigen Gebrauch der Macht unterwiesen, haben Maschinen gebaut, die Geschichten erzählen und Maschinen, die zur Jagd dienen, haben heimtückische Tyrannen und galaktische Räuber zur Strecke gebracht, die uns hinterlistig nach dem Leben trachteten, aber mit all dem haben wir nur den eigenen Ehrgeiz befriedigt, uns selbst die eigene Größe bestätigt, für das Allgemeine Wohl hingegen haben wir so gut wie nichts getan. Unsere hochfliegenden Pläne, die das Leben der armen Teufel perfektionieren sollten, denen wir auf unseren planetarischen Wanderungen begegnet sind, wurden nicht ein einziges Mal durch den Zustand des vollkommenen Glücks gekrönt. Statt wirklich idealer Lösungen hatten wir ihnen nur Scheinlösungen, Krücken und Surrogate zu bieten, wenn wir also einen Titel verdient haben, so sollte man uns Scharlatane der Ontologie, spitzfindige Sophisten der Tat nennen, nicht aber Liquidatoren des Übels!“

„Mir läuft es immer ganz kalt den Rücken herunter, wenn ich höre, wie jemand davon spricht, daß er das Universelle Glück programmieren möchte“, sagte Klapauzius. „Komm zur Besinnung, Trurl! Erinnere dich doch an all die Projekte, die sich das gleiche Ziel gesteckt hatten, sind sie nicht samt und sonders jämmerlich gescheitert, sind sie nicht zum Grab der edelsten Intentionen geworden? Hast du denn schon das traurige Schicksal des Eremiten Bonhomius vergessen, der mit Hilfe der Droge Altruizin den ganzen Kosmos glücklich machen wollte? Weißt du denn nicht, wo unsere Grenzen liegen? Man kann bestenfalls die Ängste, Sorgen und Nöte des Daseins ein wenig mildern, in gewissem Umfang für Gerechtigkeit sorgen, rußig gewordenen Sonnen zu hellerem Glanz verhelfen, Öl ins knirschende Getriebe der gesellschaftlichen Mechanismen gießen — das Glück jedoch läßt sich mit keiner Maschinerie der Welt produzieren! Von seiner universellen Herrschaft darf man nur im stillen träumen, zur Dämmerstunde so wie jetzt, darf seinem idealen Bilde im Geiste nachjagen und die Phantasie an süßen Visionen berauschen, das ist aber auch schon alles, mein Freund, ein weiser Mann muß es dabei bewenden lassen!“

„Bewenden lassen!“ schnaubte Trurl empört. „Es mag wohl sein“, fügte er nach einer Weile des Nachdenkens hinzu, „daß es eine unlösbare Aufgabe ist, jene glücklich zu machen, die schon seit ewigen Zeiten existieren, und deren Leben in vorgezeichneten, geradezu trivialen Bahnen verläuft. Es wäre jedoch möglich, völlig neue Wesen zu konstruieren und sie so zu programmieren, daß sie nur eine einzige Funktion hätten, nämlich glücklich zu sein. Stell dir vor, welch prachtvolles Denkmal unserer meisterlichen Konstrukteurkunst (deren strahlenden Glanz die Zeit ja doch einmal in grauen Staub verwandeln wird) es wäre, wenn irgendwo am Firmament ein Planet erstrahlte, zu dem die Massen überall im Universum vertrauensvoll den Blick erheben könnten, um lauthals zu verkünden: 'Fürwahr, erreichbar ist das Glück in Gestalt immerwährender Harmonie, wie der große Trurl gezeigt hat — nach besten Kräften unterstützt von seinem guten Freund Klapauzius — seht nur, der lebendige Beweis blüht und gedeiht unmittelbar vor unseren entzückten Augen!'„

„Du zweifelst hoffentlich nicht daran, daß auch ich schon das eine oder andere Mal über das Problem nachgedacht habe, das du aufgeworfen hast“, bemerkte Klapauzius. Es hat Probleme schwierigster Art im Gefolge. Wie ich sehe, hast du die Lehren aus dem Abenteuer des unglücklichen Bonhomius keinesfalls vergessen und möchtest daher Geschöpfe glücklich machen, die es überhaupt noch nicht gibt, das heißt, du willst deine Glückspilze aus dem Nichts schaffen. Du solltest dir jedoch die Frage vorlegen, ob es überhaupt möglich ist, nichtexistierende Wesen glücklich zu machen. Ich für meinen Teil habe ernste Zweifel daran. Zunächst einmal müßtest du beweisen, daß der Status der Nichtexistenz in jeder Hinsicht schlechter ist als der Status der Existenz, die ja nicht immer unbedingt angenehm ist. Denn ohne diesen Beweis könnte sich das felizitologische Experiment, von dem du anscheinend besessen bist, sehr leicht als Fehlschlag erweisen. In disem Falle würden die Unglücklichen, von denen es im Kosmos ohnehin schon wimmelt, eine Menge neuer Leidensgenossen erhalten, die du geschaffen hast — und was dann?“

„Sicherlich, das Experiment ist riskant“, gab Trurl widerwillig zu. „Dennoch bin ich der Meinung, daß man es unternehmen sollte. Die Natur ist nur scheinbar neutral, angeblich produziert sie ja all ihre Geschöpfe blindlings und aufs Geratewohl, also in gleicher Weise die Guten wie die Bösen, die Sanftmütigen wie die Grausamen. Macht man jedoch einmal richtig Inventur bei ihr, so kann man sich sehr schnell davon überzeugen, daß immer nur die Bösen und Grausamen das Feld behaupten, deren feiste Bäuche zum Grab der Guten und Sanften geworden sind. Und wenn diesen Schurken die Häßlichkeit ihres Tuns einmal bewußt wird, erfinden sie mildernde Umstände oder höhere Notwendigkeiten: So sei zum Beispiel das Böse dieser Welt nichts anderes als ein appetitanregendes Gewürz, welches den Hunger nach dem Paradies oder anderen seligmachenden Orten nur noch heftiger werden ließe. Meiner Meinung nach muß Schluß damit sein. Die Natur ist nicht etwa durch und durch böse, nur dumm wie Bohnenstroh, also geht sie den Weg des geringsten Widerstandes. Wir müssen an ihre Stelle treten und selbst lautere, lichte Wesen produzieren, weil erst ihr Erscheinen im Universum die wahre Heilung all der Gebrechen bedeuten wird, an denen unser Dasein krankt. Das wäre mehr als eine späte Rechtfertigung für die Vergangenheit, die erfüllt war von den Todesschreien der Ermordeten, Schreie, die auf anderen Planeten nur wegen der riesigen kosmischen Entfernungen nicht zu hören sind. Warum, zum Teufel, soll alles, was lebt, unentwegt leiden? Hätten die Leiden eines jeden Opfers nur soviel an kinetischer Energie erzeugt, wie sie ein fallender Regentropfen besitzt, so hätten sie — darauf hast du mein Wort und meine Berechnungen — schon vor Jahrhunderten die Welt in Stücke gerissen. Aber das Leben geht weiter, und der Staub, der über Grüften und verlassenen Palästen liegt, wahrt sein vollkommenes Schweigen, und nicht einmal du könntest mit all deinen kybernetischen Künsten die Spuren von Schmerz und Leid ausmachen, welche einmal jene gequält haben, die heute Staub sind.“

„Ganz richtig, die Toten haben keine Sorgen“, bestätigte Klapauzius. „Eine tröstliche Wahrheit, denn sie zeigt die Vergänglichkeit allen Leidens.“

„Aber die Welt bringt doch jeden Tag neue Märtyrer hervor!“ sagte Trurl in steigender Erregung. „Begreifst du denn nicht, daß es nur darum geht, ob man einen Funken sozialen Verantwortungsgefühls besitzt oder nicht?“

„Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, daß deine glücklichen Wesen (angenommen, du schaffst es überhaupt, sie zu konstruieren) in irgendeiner Form eine Wiedergutmachung für die namenlosen Qualen von gestern sein können, geschweige denn für all das Unglück, das auch heute noch den ganzen Kosmos erfüllt? Bedeutet denn die Ruhe des heutigen Tages, daß es den Sturm von gestern nicht gegeben hat? Wird denn die Nacht durch den folgenden Tag annulliert? Merkst du denn gar nicht, welchen Unsinn du daherredest?“

„Also hältst du es für das beste, die Hände in den Schoß zu legen?“

„Das habe ich nicht gesagt. Du kannst die gegenwärtig existierenden Wesen verbessern, zumindest kannst du den Versuch mit all seinen bekannten Risiken unternehmen, für die Opfer der Vergangenheit jedoch kannst du absolut nichts tun. Oder bist du etwa anderer Meinung? Und wenn du den ganzen Kosmos bis zum Bersten mit Glück erfüllst, meinst du, du könntest die Dinge, die dort einmal vorgefallen sind, durch diese Tat auch nur um einen Deut ändern?“

„Aber ja! Ja doch!“ rief Trurl. „Du mußt es nur richtig verstehen! Wenn ich auch nichts mehr tun kann für jene, die nicht mehr sind, so kann ich doch das Ganze ändern, von dem sie ja nur ein Teil sind. Und von diesem Tage an werden alle sagen: 'Die schweren Prüfungen der Vergangenheit, die abscheulichen Zivilisationen, die entsetzlichen Kulturen, waren nichts anderes als ein Präludium für das gegenwärtige Reich der Güte, Liebe und Wahrheit! Trurl, dieser luzide Geist, kam in tiefem Nachsinnen zu dem Schluß, man müsse das böse Erbe der Vergangenheit zum Bau einer lichten Zukunft verwenden. Das Unglück lehrte ihn, das Glück zu schmieden, und aus Verzweiflung schuf er eitel Freude, mit einem Wort — die Scheußlichkeit des Kosmos hat ihn dazu gebracht, ein Reich der Güte und Barmherzigkeit zu schaffen!' Die gegenwärtige Epoche ist nichts als eine Phase der Vorbereitung und Inspiration, und ihr wird unser Dank in segensreicher Zukunft gelten. Na, bist du endlich überzeugt?“

„Nicht weit vom Kreuz des Südens befindet sich das Reich des Königs Troglodytos“,sagte Klapauzius. „Der König hat eine seltsame Vorliebe für Landschaften, in denen statt der Bäume die Galgen dicht bei dicht stehen. Als Vorwand für seine geheime Leidenschaft dient ihm das Argument, solche Schurken, wie es seine Untertanen nun einmal seien, könne man anders nicht regieren. Auch auf mich hatte er schon ein Auge geworfen, gleich nach meiner Ankunft, als er jedoch bemerkte, daß es mir ein leichtes gewesen wäre, ihn zu Staub zu zermalmen, erschrak er fast zu Tode, denn er hielt es für die natürlichste Sache der Welt, daß ich ihn — da er zu schwach war, mit mir das gleiche zu tun — auf der Stelle vernichten würde. Wohl in der Hoffnung, mich umzustimmen, versammelte er eilends all seine Ratgeber und Weisen um sich, welche mir als Rechtfertigung der Tyrannei eine moralische Doktrin vortrugen, die eigens für Fälle dieser Art konzipiert war. Von diesen käuflichen Weisen erfuhr ich, je schlimmer die Verhältnisse in einem Lande seien, um so größer werde die Sehnsucht nach Verbesserungen und Reformen, folglich tue ein Herrscher, der seinen Untertanen das Leben zur Hölle mache, nichts weiter, als eine tiefgreifende Wende der Dinge zum Besseren zu beschleunigen. Der König war über ihre feierliche Rede hocherfreut, denn deren Quintessenz bestand ja darin, daß niemand auf der Welt soviel für das künftige Heil tue wie er, da er ja durch die entsprechenden negativen Stimuli lediglich dafür sorge, daß aus Weltverbesserungsträumen Taten würden. Folglich müßten deine glücklichen Wesen dem Troglodytos eigentlich ein Denkmal errichten, und du wärst seinesgleichen zu ewigem Dank verpflichtet, nicht wahr?“

„Eine gemeine und zynische Parabel“, knurrte Trurl, der bis ins Mark getroffen war. „Ich hoffte, du würdest dich mir anschließen, aber nun muß ich leider sehen, daß du nur das Gift des Skeptizismus verspritzen und meine edlen Pläne mit Sophismen zunichte machen möchtest. Bedenke doch, sie sind vielleicht die Rettung für das ganze Universum!“

„Ach, der Retter des ganzen Kosmos möchtest du werden, mehr nicht?“ sagte Klapauzius. „Trurl, es wäre meine Pflicht, dich in Ketten zu legen und solange hinter Schloß und Riegel zu halten, bis du wieder Vernunft angenommen hast, ich befürchte aber, dein Leben könnte darüber hingehen. Daher möchte ich dir nur noch dies sagen: Konstruiere das Glück nicht Hals über Kopf! Versuche ja nicht, das Dasein im Galopp zu vervollkommnen! Selbst wenn es dir gelingen sollte, diese glücklichen Wesen zu schaffen (woran ich zweifle), so schaffst du ja damit nicht ihre Nachbarn aus der Welt, die schon seit langem existieren; und so wird es zwangsläufig zu Neid, Reibereien und Spannungen aller Art kommen, und — wer weiß — vielleicht stehst du dann eines Tages vor einem höchst unerfreulichen Dilemma: Entweder müssen sich diese Glücklichen ihren Neidern unterwerfen oder sie werden gezwungen sein, diese ganze lästige Bande widerwärtiger Krüppel bis auf den letzten Mann niederzumachen; das Ganze natürlich im Namen der universellen Harmonie.“

Trurl fuhr wutschnaubend hoch, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle und ließ die bereits erhobenen Fäuste sinken, denn hätte er sie fliegen lassen, so wäre das nicht unbedingt der gelungenste Auftakt für eine Ära des Vollkommenen Glücks gewesen, die zu schaffen er sich fest geschworen hatte.

„Leb wohl!“ sagte er mit eisiger Stimme. „Elender Agnostiker, ungläubiger Thomas, der du dem natürlichen Gang der Dinge sklavisch ergeben bist, nicht Worte, sondern Taten werden unseren Disput entscheiden! An den Früchten meiner Arbeit wirst du schon bald erkennen, daß ich recht hatte!“

Zu Hause angekommen befand sich Trurl in ernster Verlegenheit, denn der Epilog der Diskussion, die bei Klapauzius stattgefunden hatte, klang ganz danach, als habe er bereits einen fertig ausgearbeiteten Aktionsplan in der Tasche, was jedoch mit der Wahrheit nicht unbedingt übereinstimmte. Offen gesagt, er hatte nicht die blasseste Ahnung, womit er beginnen sollte. Zunächst holte er aus der Bibliothek ganze Berge von Büchern, in denen die Zivilisationen des Universums detailliert beschrieben waren, und verschlang sie in einem atemberaubenden Tempo. Da ihm aber diese Methode, sein Hirn mit den erforderlichen Fakten auszustatten, immer noch zu langsam erschien, schleppte er aus dem Keller achthundert Kassetten mit Quecksilber-, Blei-, Ferritkern— und Kryotronspeichern nach oben, schloß sie alle mit Hilfe von Kabeln an sein eigenes Bewußtsein an, und bereits nach wenigen Sekunden hatte er sein Ich mit vier Trillionen Bits der besten und erschöpfendsten Informationen aufgeladen, die sich auf sämtlichen Globen — einschließlich der Planeten erkalteter Sonnen, welche von besonders geduldigen Chronisten bewohnt wurden — nur eben auftreiben ließen. Die Dosis war so stark, daß es ihn von Kopf bis Fuß durchschüttelte; sein Gesicht lief blau an, die Augen traten ihm aus den Höhlen, dann wurde er von einer Kieferklemme und einem allgemeinen Krampf erfaßt und begann, am ganzen Körper zu zittern, so, als habe ihn nicht eine Überdosis an Historiographie und Geschichtsphilosophie, sondern der Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Aber schon bald spürte er seine Kräfte zurückkehren, schüttelte sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn, preßte die immer noch zitternden Knie gegen die Platte seines Schreibtisches und sagte:

„Das ist ja noch viel schlimmer, als ich gedacht habe!!!“

Anschließend verbrachte er einige Zeit damit, Bleistifte zu spitzen und Tintenfässer aufzufüllen und legte sich ganze Stöße weißen Papiers auf seinem Schreibtisch zurecht, aber bei diesen Vorbereitungen wollte nichts Rechtes herauskommen, also sagte er mit einem Anflug von Ärger in der Stimme:

„Ich muß mich wohl auch mit den Schriften der Alten vertraut machen, einfach um meiner Arbeit einen solideren Anstrich zu geben, eine höchst lästige Aufgabe, die ich immer wieder vor mir her geschoben habe, weil ich davon überzeugt war, ein moderner Konstrukteur könne von diesen alten Knackern überhaupt nichts lernen. Aber jetzt muß es wohl sein! Na, meinetwegen! Auch die sogenannten Weisen der ältesten Zeit, die noch mit einem Fuß im Höhlenzeitalter stehen, werde ich gründlich studieren. Eine Präventivmaßnahme gegen Klapauzius' Sticheleien, der die Klassiker mit Sicherheit auch nie gelesen hat (wer auf der Welt liest sie überhaupt?), jedoch die unangenehme Gewohnheit besitzt, in aller Heimlichkeit den einen oder anderen Satz aus ihren Werken abzuschreiben, nur um mich mit Zitaten zu quälen und mir meine Ignoranz vorzuhalten.“

Gegen Mitternacht befand er sich inmitten eines wirren Haufens alter Schwarten, die er voller Ungeduld vom Schreibtisch auf den Fußboden befördert hatte, und hielt folgenden Monolog: „Ich werde wohl nicht darum herumkommen, außer den Strukturen der vernunftbegabten Wesen auch noch das ungereimte Zeug zu korrigieren, das sie als ihre Philosophie ausgeben. Also, die Wiege des Lebens stand unzweifelhaft im Ozean, der an seinen Gestaden Schlick absetzte, wie es sich gehörte. So entstand ein dünner Schlamm, in dem es zur Bildung von Tröpfchen kam, den makromolekularen Tröpfchen wuchsen Membranen auf den Köpfchen. Die Sonne erwärmte das Ganze, der Schlamm verdickte sich, ein Blitz fuhr hinein, reicherte das Gemisch mit Aminosäuren an, und schon begann es, eine Art von Käse zu bilden, biopolymerisch und sehr esoterisch, welcher sich mit der Zeit entschloß, höher gelegene und trockenere Gefilde aufzusuchen. Es wuchsen ihm Ohren, um zu hören, daß sich eine Beute nähert, aber auch Zähne und Füße, damit er sie erjagen und fressen konnte. Wuchsen ihm aber keine oder waren sie zu kurz, so wurde er selbst gefressen. Somit ist die Evolution die Schöpferin der Intelligenz; denn was sollten ihr wohl Torheit und Weisheit oder Gut und Böse? 'Gut' bedeutet nichts anderes, als selbst zu fressen. 'Schlecht' bedeutet: gefressen werden. Für die Bewertung der Intelligenz gilt das gleiche: Der Gefressene ist nicht klug, da er ja gefressen wird, wo er doch selber fressen sollte. In der Tat, derjenige kann nicht recht behalten, den es nicht mehr gibt, wer aber einem anderen zur Nahrung gedient hat, den gibt es ganz und gar nicht mehr. Wer aber alle anderen aufgefressen hätte, müßte selbst Hungers sterben, und daher entstanden die Maximen der Enthaltsamkeit und Mäßigung. Im Lauf der Zeit erschien diesem intelligenten Käse die eigene chemische Zusammensetzung entschieden zu wäßrig, und er begann zu kalzifizieren. In der gleichen Weise haben später die neunmalklugen Hominoiden versucht, die ekelerregende, klebrige Masse, die ihr Selbst ausmachte, zu verbessern, aber alles, was sie fertigbrachten, war, sich selbst in Eisen zu reproduzieren, denn eine Kopie fällt immer leichter als eine Neuschöpfung. Bah! Hätten wir uns auf andere Weise entwickelt, vom Kalk der Knochen und dann zu immer weicheren und subtileren Substanzen — wie anders hätte dann unsere Philosophie ausgesehen! Denn es ist offensichtlich, daß sich die Philosophie unmittelbar vom Baumaterial ihrer Schöpfer herleitet, das heißt, je schludriger ein Wesen in einem Punkt zusammengesetzt ist, um so verzweifelter wünscht es sich, gerade in diesem Punkt vollkommen zu sein. Wenn es im Wasser lebt, vermutet es das Paradies an Land, lebt es an Land, so ist das Paradies natürlich im Himmel; hat es Flügel, so sieht es in Flossen sein ganzes Ideal, hat es aber Beine — so versieht es sein eigenes Porträt mit Flügeln und ruft: 'Ein Engel!' Erstaunlich, daß ich dieses Prinzip nicht schon früher bemerkt habe. Wir werden diese Regel Trurls Universelles Gesetz nennen: Entsprechend den Mängeln in der eigenen Konstruktion stellt jedes Geschöpf sein Ideal der absoluten Vollkommenheit auf. Ich muß mir darüber unbedingt eine Notiz machen, dieses Gesetz wird mir sehr zustatten kommen, wenn ich mich daran machen werde, die Grundlagen der Philosophie zurechtzurücken. Jetzt aber, ans Werk! Mein erster Schritt soll ein Entwurf des Guten sein — aber was ist eigentlich das Gute? Es läßt sich bestimmt nicht dort finden, wo es niemanden gibt, der es erfahren kann. Für einen Felsen ist der über ihm rauschende Wasserfall weder gut noch schlecht, auch ein Erdbeben entzieht sich der moralischen Wertung, wenn niemand da ist, der unter ihm leidet. Also muß ich einen Jemand konstruieren. Doch halt, wie soll er überhaupt zwischen Gut und Böse unterscheiden, wenn er das Gute gar nicht kennt, und wie soll er es denn kennenlernen? Nehmen wir einmal an, ich würde beobachten, wie Klapauzius etwas Schlechtes widerfährt. Einerseits wäre ich natürlich sehr betrübt, zum anderen aber wären meine Gefühle durchaus freudiger Natur. Irgendwie ist das eine verzwickte Sache. Es könnte ja jemand im Vergleich zu seinem Nachbarn ein glückliches Leben führen, erfährt er aber nie von seinem Nachbarn, so wird ihm auch nie bewußt werden, daß er wirklich glücklich ist. Sollte ich somit gezwungen sein, zwei Arten von Geschöpfen zu konstruieren? Müssen die Glücklichen, um glücklich zu sein, ständig ihr Ebenbild vor Augen haben, das sich in Qualen windet? Zwar würde der negative Kontrast ihr Glücksgefühl nicht unerheblich steigern, aber das Ganze wäre doch einfach abscheulich. Es wird, es muß auch anders gehen, hier noch ein paar Sicherungen, da einen Transformator… Natürlich kann man nicht gleich mit ganzen Zivilisationen glücklicher Wesen beginnen: Am Anfang sei das Individuum!“

Trurl krempelte die Ärmel hoch, und innerhalb von drei Tagen erbaute er den Felix Contemplator Vitae, eine Maschine, die alles, was in ihr Blickfeld geriet, mit den rotglühenden Kathoden ihres Bewußtseins in sich aufnahm, und es gab nichts auf der Welt, was sie nicht in helle Freude versetzt hätte. Trurl hockte vor der Maschine und nahm sie kritisch unter die Lupe. Der auf drei Metallbeinen ruhende Kontemplator musterte die Umgebung neugierig durch seine Teleskopaugen, und ob sein Blick auf den Gartenzaun, einen Felsblock oder einen alten Schuh fiel, war völlig gleichgültig, er geriet jedesmal in maßloses Entzücken und stöhnte vor Wonne. Als noch dazu die Sonne unterging, und das Abendrot den Himmel rosig färbte, geriet er in Ekstase und klatschte vor Begeisterung in die Hände.

„Klapauzius wird natürlich sagen, daß Stöhnen und Händeklatschen allein noch gar nichts besagen“, dachte Trurl mit wachsendem Unbehagen. „Er wird Beweise verlangen…“

Also installierte er im Bauch des Kontemplators ein Meßgerät von imponierender Größe, versah es mit einem vergoldeten Zeiger und eichte die Skala auf Glückseinheiten, die er „Hedonen“ oder kurz „Heds“ nannte. Ein Hed entsprach in quantitativer Hinsicht exakt dem Glücksgefühl, das jemand empfindet, dem endlich ein Nagel aus seinem Stiefel entfernt worden ist, nachdem er zuvor vier Meilen damit zurückgelegt hat. Er multiplizierte den Weg mit der Zeit, dividierte durch die Länge des vorstehenden Nagels, setzte den Koeffizienten des geschundenen Fußes vor die Klammer, und so gelang es ihm, das Glück in Zentimetern, Gramm und Sekunden auszudrücken. Trurl registrierte, daß sich seine Stimmung merklich hob. Während er sich über die Maschine beugte und sich an ihren Eingeweiden zu schaffen machte, richtete der Kontemplator seinen starren Blick auf Trurls mehrfach geflickten, ölverschmierten Arbeitskittel und registrierte je nach Neigungswinkel und Lichteinfall zwischen 11,8 und 18,9 Heds pro Ölfleck, Flicken und Sekunde. Damit waren auch die letzten Zweifel des Konstrukteurs wie weggeblasen. Unverzüglich stellte er weitere Berechnungen an: Ein Kilohed entsprach präzise den Gefühlen, welche die Greise bewegten, als sie Susanna im Bade heimlich beobachteten, ein Megahed — der Freude eines Mannes, den man in letzter Sekunde vor dem Galgen gerettet hatte. Als er sah, wie mühelos sich alles ausrechnen ließ, schickte er einen Roboter, dessen Qualifikation nur für niedrigste Laborarbeiten ausreichte, auf einen Botengang zu Klapauzius.

Zum eintreffenden Klapauzius sagte er nicht ohne Stolz: „Sieh dir's nur an, hier kannst du etwas lernen!“

Als Klapauzius die Maschine gründlich von allen Seiten in Augenschein nahm, richtete sie die Mehrzahl ihrer Teleobjektive auf ihn, stöhnte ein paar Mal vor Wonne und klatschte in die Hände.

Der Konstrukteur war über dieses Verhalten aufs äußerste erstaunt, ließ sich jedoch nichts anmerken und fragte leichthin:

„Was ist das?“

„Ein glückliches Wesen“, sagte Trurl, „genauer gesagt, ein Felix Contemplator Vitae, kurz Kontemplator genannt.“

„Ach, und was tut so ein Kontemplator?“

Der ironische Unterton dieser Frage blieb Trurl nicht verborgen, er beschloß jedoch, ihn zu überhören.

„Es ist ein aktiver Kontemplator“, erklärte Trurl, „er beschränkt sich nicht allein auf die unablässige Beobachtung und Registrierung sämtlicher Vorgänge, sondern er tut dies mit einem Höchstmaß an Intensität, Konzentration und innerer Anteilnahme, denn jedes beobachtete Objekt versetzt ihn in schier unaussprechliches Entzücken. Dieses Entzücken, das seine Elektroden und Stromkreise erfüllt, ruft den Zustand höchster Euphorie hervor, dessen äußere Zeichen in Gestalt von Stöhnen und Händeklatschen sogar dann auftreten, wenn er seinen Blick auf deine ansonsten ja eher banale Physiognomie richtet.“

„Du willst sagen, diese Maschine zieht aus der Beobachtung aller Dinge aktiven Lustgewinn?“

„Genauso ist es!“ sagte Trurl, allerdings mit sehr gedämpfter Stimme, denn aus irgendeinem Grunde fühlte er sich nicht mehr so selbstsicher wie noch vor wenigen Augenblicken.

„Und dies soll dann wohl ein Felizitometer sein, an dem der jeweilige Grad des existentiellen Wohlbehagens abzulesen ist?“

Klapauzius deutete auf die Meßskala mit dem vergoldeten Zeiger.

„Ja, weißt du, dieser Zeiger…“

Klapauzius machte sich daran, den Kontemplator anhand verschiedenartigster Objekte gründlich zu testen, wobei er den Zeigerausschlag auf der Meßskala gewissenhaft im Auge behielt. Trurl war sehr erleichtert und hielt ihm sogleich eine einführende Vorlesung zur Theorie der Hedonen, das heißt zur theoretischen Felizitometrie. Ein Wort gab das andere, Frage und Gegenfrage lösten einander ab, bis Klapauzius Trurls Redefluß plötzlich stoppte:

„Es wäre doch interessant, wieviel Einheiten wohl bei folgender Situation herauskämen: Ein Mann ist dreihundert Stunden lang geschlagen worden, plötzlich gelingt es ihm, den Spieß umzudrehen und er schlägt seinem Peiniger den Schädel ein.“

„Überhaupt kein Problem!“ sagte Trurl und war schon fieberhaft mit den entsprechenden Berechnungen beschäftigt, als in seinem Rücken das schallende Gelächter seines Freundes ertönte. Völlig verwirrt fuhr er herum, und Klapauzius sagte immer noch lachend:

„Oberstes Prinzip deiner Erfindung sollte doch das Gute sein, wenn ich mich recht erinnere, nicht wahr? Wirklich, alle Achtung, der Prototyp ist dir gelungen! Mach nur so weiter, und du wirst es weit bringen! Fürs erste darf ich mich wohl verabschieden.“

Er schloß die Tür hinter sich und ließ einen völlig gebrochenen Trurl zurück.

„Und darauf bin ich hereingefallen! In den Boden versinken könnte ich!“ ächzte der Konstrukteur. Sein Seufzen und Wehklagen vermischte sich mit dem ekstatischen Stöhnen des Kontemplators, was ihn so in Rage brachte, daß er die Maschine unverzüglich unter einem Haufen alten Gerümpels in der Abstellkammer verschwinden ließ und die Tür hinter sich sorgsam verriegelte.

Dann setzte er sich an seinen leeren Schreibtisch und sagte: „Ich habe die Kategorien des ästhetisch Schönen und des moralisch Guten einfach gleichgesetzt — und mich damit zum Narren gemacht. Den Kontemplator kann man wohl beim besten Willen nicht als vernunftbegabtes Wesen bezeichnen. Und was folgt daraus? Man muß ganz anders an die Sache herangehen, das Konzept muß bis ins letzte Atom geändert werden. Glück — ja natürlich, Daseinsfreude — selbstverständlich, aber nicht auf Kosten anderer! Nicht vom Bösen darf sie herrühren! Doch halt, was ist eigentlich das Böse? Ach, erst jetzt erkenne ich, wie schändlich ich bei meiner bisherigen Tätigkeit als Konstrukteur die Theorie vernachlässigt habe.“

Acht schlaflose Tage und Nächte hindurch widmete Trurl sich ausschließlich dem Studium höchst wissenschaftlicher Werke, welche allesamt die gewichtigen Fragen von Gut und Böse zum Gegenstand hatten. Wie sich herausstellte, überwog unter den Weisen die Meinung, das Wichtigste sei die aktive Sorge um den Mitmenschen sowie ein allumfassender guter Wille. Das eine wie das andere müßten vernunftbegabte Wesen in ihrem Verhältnis zueinander an den Tag legen, sonst sei alles verloren. Allerdings hat man unter eben dieser Losung die einen gepfählt, gevierteilt und aufs Rad geflochten, anderen die Glieder in die Länge gezerrt, den Schlund mit feurigem Blei ausgegossen und Knochen für Knochen auf der Folterbank gebrochen. Historisch hat sich der allumfassende gute Wille noch in zahllosen anderen Formen und Spielarten der Tortur manifestiert, denn er galt ja einzig und allein der Seele, nicht dem Körper.

„Guter Wille allein genügt nicht“, sprach Trurl zu sich. „Wie wäre es, wenn man das Gewissen verpflanzte, vom eigentlichen Besitzer auf den Mitmenschen und umgekehrt? Was käme wohl dabei heraus? Aber das wäre ja furchtbar, denn meine bösen Taten würden nur noch das Gewissen meines Nachbarn belasten, ich aber könnte mich noch bedenkenloser der Sünde hingeben als bisher! Also sollte man vielleicht die Empfindlichkeit eines durchschnittlichen Gewissens durch den Einbau eines Leistungsverstärkers fühlbar erhöhen, damit böse Taten bei ihren Urhebern tausendfach schlimmere Gewissensbisse hervorrufen. Aber dann würde jedermann schon aus bloßer Neugier ein Verbrechen begehen, nur um sich davon zu überzeugen, ob sein neues Gewissen wirklich so höllische Schmerzen verursacht — und würde dann bis ans Ende seiner Tage von Schuldgefühlen geplagt, unter denen er letztlich zusammenbrechen müßte. Dann vielleicht ein Gewissen mit Rücklauf und Löschtaste, natürlich plombiert? Nur die Obrigkeit hätte einen Schlüssel… Nein! Auch das taugt nichts, denn wozu gibt es schließlich Dietriche? Und wenn man nun eine telepathische Gefühlsübertragung arrangieren würde — einer fühlt für alle, alle für einen? Aber das war ja schon da, auf diese Weise wirkte ja Altruizin… Vielleicht so: Jeder hat einen kleinen Sprengsatz mit Funkempfänger im Bauch, und wenn es mehr als ein Dutzend seiner Nächsten gibt, die ihm seiner bösen und niedrigen Taten wegen übel wollen, so akkumuliert sich die Summe dieser Intentionen am Eingangsteil des Empfängers mit dem Effekt, daß der Adressat der bösen Wünsche in die Luft fliegt. Würde dann nicht jedermann das Böse noch mehr als die Pest fürchten? Zweifellos, es bliebe ihm ja keine Wahl! Allerdings… ist das noch ein glückliches Leben, mit einer Bombe im Bauch? Außerdem, es könnte Verschwörungen geben, es würde genügen, wenn sich ein Dutzend Schurken gegen einen ehrlichen Mann zusammentun, und schon zerreißt es ihn in tausend Stücke… Was dann, die Eingangsklemmen einfach umpolen? Ist auch sinnlos. Aber es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich, der ich ganze Galaxien verrückt habe, als wären es Schränke, nicht in der Lage sein sollte, ein derart simples Konstruktionsproblem zu lösen! Stellen wir uns einmal vor, jedes Mitglied einer bestimmten Gesellschaft ist rosig, wohlgenährt, immer guter Dinge, singt, hüpft und lacht von früh bis spät, überschlägt sich fast vor Eifer, wenn es darum geht, anderen zu helfen, und alle anderen verhalten sich genauso, und wenn sie gefragt werden, dann rufen alle lauthals, daß sie sich vor Freude über die eigene wie die kollektive Existenz nicht zu lassen wissen… Würde eine solche Gesellschaft nicht vollkommen glücklich sein? Das Böse hätte dort keinen Platz, wäre völlig undenkbar! Und weshalb? Weil es niemand will. Und warum will es niemand? Weil niemand das geringste davon hätte. Das ist die Lösung! Ein glänzender Plan zur Massenproduktion des Glücks, dabei ganz einfach, wie alle genialen Ideen! Ich bin schon sehr gespannt, was Klapauzius sagen wird, dieser zynische Misanthrop, dieser skeptische Agnostiker — diesmal wird er kein Haar in der Suppe finden, diesmal werden ihm Hohn und Spott im Halse steckenbleiben! Soll er doch herumschnüffeln, soll er doch nach schwachen Stellen suchen, umsonst wird er suchen, weil jeder dem anderen unausgesetzt hilft, und sich dadurch das ganze System selbst optimiert, bis es einfach nicht mehr besser werden kann… Doch halt, wird es ihnen auch nicht zuviel, werden sie sich am Ende nicht überanstrengen, können sie denn diesen Hagel guter Taten aushalten, müssen sie nicht unter dieser Lawine einfach ersticken? Man müßte wohl hier und da ein paar Regler einbauen, ein paar Unterbrecher, auch glücksabweisende Schutzschirme, Anzüge und Isolierzellen könnte man konstruieren… Aber immer langsam voran, nur nichts überstürzen, damit sich nicht erneut Fehler einschleichen. Fassen wir also zusammen, primo — immer vergnügt, secundo — freundlich und wohlwollend, tertio — hüpfen vor Freude, quarto — rosig und wohlgenährt, quinto — es geht ihnen glänzend, sexto — grenzenlos hilfsbereit… das genügt, wir können anfangen!“

Erschöpft von diesen ebenso schwierigen wie langwierigen Überlegungen schlief Trurl bis zum Mittag, dann sprang er energiegeladen und voller Tatendrang aus dem Bett, brachte die Pläne zu Papier, stellte die Algorithmen auf, perforierte die Programmbänder und schuf für den Anfang eine glückliche Gesellschaft bestehend aus neunhundert Individuen. Um das Prinzip der Gleichheit aller zu verwirklichen, machte er sie einander verblüffend ähnlich. Damit sie sich nicht im Kampf um Wasserstellen und Jagdgründe den Schädel einschlugen, machte er sie für ihr ganzes Leben unabhängig von Speis und Trank: Kalte, atomare Feuerchen dienten ihnen als einzige Energiequelle. Von seiner Veranda aus beobachtete er bis zum Sonnenuntergang, wie sie selig umherhüpften, lauthals ihr Glück verkündeten, einander Gutes taten, einander wohlwollend übers Haupt strichen, einander Steine aus dem Weg räumten und allgemein ein Leben voller unbeschwerter Fröhlichkeit, Freude und Sorglosigkeit führten. Wenn sich jemand den Fuß verrenkt hatte, gab es gleich einen riesigen Auflauf, nicht etwa von Schaulustigen, sondern von eifrigen Helfern, weil alle nach dem kategorischen Imperativ handeln wollten. Zwar konnte es anfänglich schon einmal vorkommen, daß sie im Übereifer einen Fuß herausrissen statt ihn einzurenken, aber mit Hilfe von ein paar Reglern, hastig montierten Drosselspulen und Widerständen beseitigte Trurl auch diesen Mangel. Dann ließ er Klapauzius rufen. Dieser betrachtete das freudetrunkene Treiben mit eher düsterer Miene, hörte sich das unablässige Jubelgeschrei eine Weile an, wandte sich schließlich wieder Trurl zu und fragte:

„Und traurig sein können sie nicht?“

„Was für eine idiotische Frage! Natürlich nicht!“ gab Trurl hitzig zurück.

„Dann müssen sie also immer so herumhüpfen, wohlgenährt und rosig aussehen, Gutes tun und lauthals verkünden, wie prächtig es ihnen geht?“

„Ja.“

Als er sah, daß Klapauzius nicht nur mit Lob geizte, sondern offensichtlich nicht willens war, auch nur ein einziges Wort der Anerkennung über die Lippen zu bringen, fügte Trurl zornig hinzu:

„Zugegeben, ein etwas monotoner Anblick, vielleicht nicht ganz so malerisch wie ein Schlachtfeld, aber meine Aufgabe war es, das Glück zu schaffen, nicht etwa dir ein dramatisches Schauspiel zu bieten!“

„Wenn sie tun, was sie tun, weil sie's tun müssen“, sagte Klapauzius, „dann, lieber Trurl, steckt in ihnen ebensoviel Gutes wie in einer Straßenbahn, die den Passanten auf dem Bürgersteig nur deswegen nicht überfährt, weil sie dazu aus ihren Schienen springen müßte. Das Glück erwächst aus guten Taten, aber kann es der gewinnen, der unablässig anderen übers Haupt streichen, vor Freude brüllen und Steine aus dem Weg räumen muß, oder nicht vielmehr derjenige, der auch einmal traurig ist, jammert und schluchzt oder seinem Nächsten den Schädel einschlagen möchte, aber freiwillig und mit Freuden darauf verzichtet? Deine armseligen Kreaturen in ihren psychischen Zwangsjacken sind doch allenfalls lächerliche Karikaturen der hohen Ideale, die schnöde zu verraten dir bestens gelungen ist.“

„Aber was redest du denn da? Sie sind doch vernünftige Wesen…“, stotterte Trurl wie betäubt.

„So?“ fragte Klapauzius. „Das wird sich gleich herausstellen!“

Mit diesen Worten begab er sich zu Trurls vollkommenen Schützlingen und versetzte gleich dem ersten, der ihm über den Weg lief, einen krachenden Faustschlag mitten ins Gesicht. Dann fragte er leutselig:

„Na, mein Bester, sind wir glücklich?“

„Schrecklich glücklich!“ antwortete das Opfer und hielt sich sein gebrochenes Nasenbein.

„Na, und jetzt?“ fragte Klapauzius. Diesmal war es ein fürchterlicher Haken, der sein Gegenüber glatt von den Beinen holte. Noch immer am Boden, sich mühsam aus dem Straßenschmutz rappelnd, rief das Individuum lauthals:

„Ich bin glücklich, mir geht's großartig!“, dabei spuckte es sämtliche Schneidezähne in den Sand.

„Na also, da hast du's!“ sagte Klapauzius im Weggehen und ließ einen völlig versteinerten Trurl zurück.

In dumpfer Niedergeschlagenheit brachte der Konstrukteur eines seiner vollkommenen Geschöpfe nach dem anderen ins Laboratorium und nahm sie dort bis auf das letzte Schräubchen auseinander, ohne daß auch nur eines von ihnen im mindesten protestierte. Im Gegenteil, einige reichten ihm Schlüssel und Zangen zu, andere hämmerten sogar aus Leibeskräften auf den eigenen Schädel ein, wenn der Deckel allzu fest angeschraubt war und sich nicht lösen ließ. Die Einzelteile legte er sorgfältig in die Schubladen und Regale des Ersatzteillagers zurück, riß die Entwürfe vom Zeichentisch, zerfetzte sie zu kleinen Schnipseln, setzte sich an seinen Schreibtisch, der unter der Last zahlloser Bücher über Philosophie und Ethik fast zusammenbrach und stöhnte dumpf auf.

„Wirklich, ein grandioser Erfolg für mich! Wie er mich gedemütigt hat, dieser Schuft, dieser hinterlistige Hund, den ich einmal für meinen Freund gehalten habe!“

Dann zog er unter einem Glaskasten den Psychopermutator hervor, die Apparatur, die jede Empfindung in starke Impulse grenzenloser Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit umwandelte, legte sie auf den Amboß und zertrümmerte sie mit wuchtigen Hammerschlägen. Aber auch das brachte kaum Erleichterung. Für eine Weile versank er in tiefes Grübeln, seufzte und stöhnte ein paar Mal, dann machte er sich an die Verwirklichung eines neuen Einfalls. Diesmal nahm eine Gesellschaft von respektabler Größe unter seinen Händen Gestalt an — alles in allem dreitausend prächtige Burschen —, die sich unverzüglich in geheimer und gleicher Abstimmung eine Regierung wählten, wonach sie dann Projekte der verschiedenartigsten Art in Angriff nahmen: Die einen bauten Behausungen und stellten Zäune auf, andere erforschten die Naturgesetze, und wieder andere entdeckten das dolce vita. Im Kopf seiner neuesten Schöpfungen hatte Trurl einen winzigen Homöostaten untergebracht, in jedem Homöostätchen befanden sich links und rechts zwei solide angeschweißte Elektroden, welche die Bandbreite markierten, innerhalb derer sich der freie Wille des Individuums nach Herzenslust austoben konnte. Gleich darunter saß die Triebfeder des Guten, die unter viel stärkerer Spannung stand als die gegenüberliegende Feder, die Negation und Zerstörung auslösen konnte, jedoch in weiser Voraussicht mit einem Hemmklotz versehen war. Darüber hinaus besaß jeder Bürger ein Gewissen in Gestalt eines Meßfühlers von höchster Empfindlichkeit, der in die zahnbewehrten Backen eines Schraubstocks eingespannt war. Sobald nun das Individuum vom Pfad der Tugend abgewichen war, traten die stählernen Zähne in Aktion, und es kam zu Gewissensbissen von solcher Heftigkeit, daß der Veitstanz dem unglücklichen von Krämpfen und Zuckungen geschüttelten Opfer dagegen wie ein langsamer Walzer vorgekommen wäre. Erst wenn sich ein Kondensator mit dem nötigen Maß an Zerknirschung und Reue, edlen Taten und Altruismus aufgeladen hatte, lockerten die Zähne des Gewissens ihren gnadenlosen Biß, und Öl wurde in die Schmiernippel des Meßfühlers gepumpt. Kein Zweifel, die ganze Sache war glänzend durchdacht! Trurl hatte sogar ernsthaft in Erwägung gezogen, die Gewissensbisse in positiver Rückkoppelung mit rasenden Zahnschmerzen zu kombinieren, diesen Plan jedoch letzten Endes wieder verworfen, weil er fürchtete, Klapauzius würde erneut seine Litanei herunterbeten vom Zwang, der die Ausübung des freien Willens ausschließt… etc. Im übrigen wäre dieser Einwand völlig an den Tatsachen vorbeigegangen, denn die neuen Wesen waren mit statistischen Zusatzgeräten ausgestattet, so daß niemand auf der Welt, nicht einmal Trurl, vorhersagen konnte, was sie letzten Endes mit sich anfangen würden. In der Nacht wurde Trurl wiederholt durch lautes Freudengeschrei aus dem Schlaf gerissen, aber dieser Lärm klang wie Musik in seinen Ohren. „Na also“, sagte er sich zufrieden, „sie sind glücklich, nicht aber zwangsweise, das heißt, weil sie entsprechend vorprogrammiert sind, sondern einzig allein auf stochastische, ergodische und probalistische Weise. Jetzt gibt es nichts mehr, woran Klapauzius herummäkeln könnte. Der Sieg ist unser!“ Mit diesem angenehmen Gedanken fiel er in süßen Schlaf und erwachte erst am nächsten Morgen.

Da Klapauzius nicht zu Hause war, mußte er bis zum Mittag auf ihn warten, dann aber führte er ihn voller Stolz auf das felizitologische Versuchsgelände. Klapauzius inspizierte die Häuser mit ihren Zäunen, Türmchen und Aufschriften, besuchte die Amtsgebäude und zog dabei auch ein paar Abgeordnete und Bürger ins Gespräch. In einer Seitenstraße versuchte er sogar, einem etwas schmächtig geratenen Bürschchen die Zähne einzuschlagen, doch sogleich packten ihn drei andere beim Schlafittchen, ließen ein melodisches, langgezogenes Hau-Ruck ertönen und warfen ihn mit geübtem Griff zum Stadttor hinaus. Obwohl sie sorgfältig darauf achteten, ihm nicht gleich das Genick zu brechen, war er doch übel zugerichtet, als er sich aus dem Straßengraben hochrappelte.

„Na?“ sagte Trurl, der sich den Anschein gab, als habe er die Demütigung des Freundes völlig übersehen. „Was meinst du dazu?“

„Ich komme morgen wieder“, antwortete Klapauzius.

Trurl kommentierte diesen schlecht getarnten Rückzug mit einem nachsichtigen Lächeln. Gegen Mittag des folgenden Tages begaben sich die beiden Konstrukteure erneut in die Siedlung und fanden dort große Veränderungen vor. Sie wurden von einer Patrouille gestoppt, und der ranghöchste Offizier herrschte Trurl an:

„Was soll das heißen, so traurig in die Gegend zu glotzen? Hörst du nicht die Vöglein singen? Siehst du nicht die Blumen blühen? Kopf hoch!“

Ein zweiter, rangniederer, fügte hinzu:

„Brust raus! Bauch rein! Ein bißchen munter und fröhlich, wird's bald? Lächeln!“

Der dritte sagte nichts, sondern stieß dem Konstrukteur die gepanzerte Faust ins Kreuz, daß es nur so krachte. Dann wandte er sich zusammen mit den anderen Klapauzius zu, der keinerlei Ermunterungen mehr abwartete, sondern sich plötzlich von ganz allein kerzengerade hielt und der strammen Haltung noch eine gebührend freudige Miene hinzufügte, so daß sie ihn in Frieden ließen und sich entfernten. Diese Szene hatte beim ahnungslosen Schöpfer der neuen Ordnung augenscheinlich einen tiefen Eindruck hinterlassen, denn er gaffte mit offenem Mund auf den großen Platz vor dem Amtsgebäude von Felizia, wo bereits Hunderte von Bürgern im Karré angetreten waren und auf Kommando vor Freude brüllten.

„Unserem Leben — ein dreifaches Heil! „schrie ein alter Offizier mit Epauletten und einem riesigen Federbusch auf dem Helm, und die Menge gab donnernd zurück:

„Heil! Heil! Heil!“

Bevor Trurl auch nur ein einziges Wort sagen konnte, wurde er von starker Hand gepackt und fand sich zusammen mit Klapauzius in einer der Marschkolonnen wieder, wo sie bis zum späten Abend geschliffen und gedrillt wurden. Der Hauptzweck des Exerzierens schien darin zu bestehen, sich selbst das Leben möglichst schwer zu machen, dem Nebenmann aber nur Gutes zu tun, alles natürlich im Rhythmus von „Links! Zwo! Drei! Vier!“. Die Ausbilder waren Felizisten, auch unter der Dienstbezeichnung „Verteidiger der Allgemeinen Glückseligkeit“ bekannt, weshalb man sie im Volksmund kurz „V–Leute“ nannte; sie wachten mit Argusaugen darüber, daß jeder für sich und alle miteinander vollständige Zufriedenheit und allgemeines Wohlbehagen an den Tag legten, was sich in der Praxis als unsäglich mühsam erwies. Während einer kurzen Pause beim felizitologischen Exerzieren gelang es Trurl und Klapauzius, sich davonzustehlen und hinter einer Hecke zu verbergen, dann suchten sie Deckung im nächsten Straßengraben und robbten wie unter schwerem Artilleriefeuer bis zu Trurls Haus, wo sie sich, um absolut sicherzugehen, ganz oben auf dem Dachboden einschlossen. Keine Sekunde zu früh, denn schon waren Patrouillen ausgeschwärmt, die sämtliche Häuser in diesem Gebiet durchkämmten, auf der Suche nach Unzufriedenen, Trübsinnigen und Traurigen, die man gleich an Ort und Stelle im Laufschritt beglückte. Während Trurl auf seinem Dachboden einen ellenlangen Fluch nach dem anderen ausstieß und sich das Hirn zermarterte, wie die Folgen dieses mißglückten Experiments am schnellsten zu beseitigen wären, tat Klapauzius sein Bestes, um nicht laut loszulachen. Da ihm nichts Besseres einfallen wollte, schickte Trurl, wenn auch schweren Herzens, einen Demontage-Trupp in die Siedlung, dessen Mitglieder er jedoch unter strengster Geheimhaltung gegenüber Klapauzius vorsorglich so programmierte, daß sie gegen die verführerischen Losungen von brüderlicher Liebe und grenzenloser Hilfsbereitschaft gänzlich immun waren. Es dauerte nicht lange, da stießen Demontage-Trupp und V–Leute so heftig aufeinander, daß die Funken flogen. Felizia lieferte einen heldenhaften Kampf zur Verteidigung des Allgemeinen Glücks, so daß Trurl bald gezwungen war, seine Reserven mit extrastarken Schraubstöcken und Spezialschneidbrennern ins Gefecht zu schicken; aus dem Kampf war inzwischen eine echte Schlacht geworden, ein totaler Krieg, den beide Seiten mit aufopferungsvoller Hingabe sowie Unmengen von Schrapnells und Kartätschen führten. Als die Konstrukteure schließlich in die Mondnacht hinaustraten, bot das Schlachtfeld einen jämmerlichen Anblick. In den rauchenden Trümmern der Siedlung sah man hier und da noch einen Felizisten liegen, der in der Eile des Gefechts nicht völlig demontiert worden war und — bereits im letzten Stadium der mechanischen Agonie — mit ersterbender Stimme hauchte, wie treu er nach wie vor der Sache des Allgemeinen Glücks ergeben sei. Trurl verschwendete keinen Gedanken darauf, wie er sein Gesicht wahren sollte, sondern ließ den Tränen der Wut und der Verzweiflung freien Lauf; er konnte einfach nicht verstehen, was er falsch gemacht hatte, weshalb sich seine sanftmütigen Menschenfreunde in brutale Rohlinge verwandelt hatten.

„Die Direktive der Allumfassenden Hilfsbereitschaff, mein Lieber, kann, wenn allzu generell gefaßt, durchaus auch unerwünschte Früchte tragen“, dozierte Klapauzius in gönnerhaftem Ton. „Wer glücklich ist, wünscht sich voller Ungeduld, daß es die anderen auch werden, dazu ist ihm letztlich jedes Mittel recht, und wenn er die Widerstrebenden mit der Brechstange zu ihrem Glück zwingen muß.“

„Dann kann also das Gute böse Früchte tragen! Oh, wie perfide ist doch die Natur der Dinge! Nun gut, hiermit sage ich der Natur selbst feierlich den Kampf an! Leb wohl, Klapauzius! Du siehst mich momentan besiegt, aber eine verlorene Schlacht bedeutet bekanntlich noch nicht den verlorenen Krieg!“

Unverzüglich suchte er wieder die Einsamkeit zwischen seinen Manuskripten und alten Schwarten, immer noch grollend, aber entschlossener denn je. Der gesunde Menschenverstand sagte ihm, daß es nicht unangebracht wäre, vor dem nächsten Experiment eine solide, kanonenbestückte Mauer um das Haus zu ziehen, da dies jedoch kaum der richtige Weg war, um mit der Konstruktion brüderlicher Liebe und Hilfsbereitschaff zu beginnen, beschloß er, von nun an nur noch mit größenmäßig stark reduzierten Modellen zu arbeiten. Der Maßstab 1: 100 000 erschien ihm für seine künftigen Versuche im Rahmen einer mikrominiaturisierten, experimentellen Soziologie durchaus angemessen.

Um die Lehren der jüngsten Vergangenheit niemals wieder zu vergessen, hängte er an die Wände seiner Werkstatt Schilder mit kalligraphisch gestalteten Parolen wie den folgenden:

Meine Richtlinien seien:

1. Unantastbare Willensfreiheit

2. Sanftmütige Überzeugungskraft

3. Taktvolle Nächstenliebe

4. Zurückhaltende Fürsorge.

Sogleich machte er sich daran, diese edlen Wertvorstellungen in die Praxis umzusetzen. Für den Anfang bastelte er unter dem Mikroskop tausend winzige Electrunculi zusammen, stattete sie mit geringem Verstand und kaum größerer Liebe zum Guten aus, denn in dieser Beziehung fürchtete er Fanatismus mehr denn je. Entsprechend träge bis lustlos gingen sie ihren Beschäftigungen nach, so daß die gleichmäßigen und monotonen Bewegungen in dem winzigen Schächtelehen, das ihnen als Quartier diente, eher an den Gang eines Uhrwerks erinnerten. Trurl erhöhte ihren IQ ein wenig, augenblicklich wurden sie lebhafter, verfertigten aus ein paar herumliegenden Feilspänen winzige Instrumente und versuchten mit Hilfe dieser Gerätschaften, Löcher in Wände und Deckel ihres kleinen Kistchens zu stemmen. Trurl entschloß sich, nun auch das Potential des Guten zu vermehren. Mit einem Schlage wurde die Gesellschaft selbstlos und aufopferungsvoll, alles lief wie wild durcheinander, denn jedermann war auf der Suche nach Unglücklichen, deren Schicksal es zu verbessern galt; besonders groß war die Nachfrage nach Witwen und Waisen, zumal wenn sie blind waren. Ihnen wurde soviel Ehrerbietung erwiesen, sie wurden derart mit Komplimenten überschüttet, daß einige der armen Dinger einen Schock erlitten und sich hinter den Messingscharnieren des kleinen Kästchens zu verstecken suchten. Es dauerte nur kurze Zeit, da wurde Trurls Zivilisation von einer ernsten Krise geschüttelt: Der akute Mangel an Witwen und Waisen machte den Electrunculi schwer zu schaffen, wo sollten sie in diesem Jammertal, d.h. in ihrem Kästchen, Objekte ausfindig machen, die ihrer ungewöhnlich tätigen Nächstenliebe würdig gewesen wären? Als Frucht dieses Mangels stifteten sie in der achtzehnten Generation eine Religion, den Kult des ABSOLUTEN WAISENKINDES, das durch keine noch so hochherzige Tat aus seinem unglücklichen Waisenstande erlöst werden konnte; so fand ihre angestaute Nächstenliebe schließlich doch ein Ventil und strömte von nun an in den grenzenlosen, transzendentalen Raum der Metaphysik. Das Jenseits, dem ihr ganzes Interesse galt, versahen sie mit einer stattlichen Bevölkerung — unter all den höheren Wesen erfreute sich Unsere Liebe Witfrau einer besonderen Wertschätzung, neben dem Herrn Im Himmel Droben, welcher ebenfalls unendliches Mitgefühl verdiente. So wurden die Dinge dieser Welt sträflich vernachlässigt, sogar Regierung und Verwaltung drohten vom allmächtigen Klerus verschlungen zu werden. Diese Entwicklung lag nicht unbedingt im Sinne des Erfinders; Trurl drückte hastig eine Taste des Steuergeräts mit der Aufschrift SKEPTIZISMUS RATIONALISMUS NÜCHTERNHEIT und ließ sie erst wieder los, nachdem sich dort unten alles beruhigt hatte.

Doch nicht für lange. Ein gewisser Elektrovoltaire tauchte auf und verkündete, es gäbe überhaupt kein Absolutes Waisenkind, sondern nur den Kosmischen Kubus, den die Kräfte der Natur geschaffen hätten; die Ultra-Waisenkindler hatten gerade das Anathema über ihn verhängt, da mußte Trurl wegen einiger dringender Einkäufe das Haus verlassen. Als er nach ein paar Stunden zurückkehrte, hüpfte das winzige Kästchen kreuz und quer durch die ganze Schublade, denn es wurde von den Wirren eines Religionskrieges geschüttelt. Trurl lud es mit Altruismus auf, darauf begann es, ungestüm zu brodeln und zu dampfen, er gab ein paar Intelligenzeinheiten hinzu, was eine vorübergehende Abkühlung zur Folge hatte, später jedoch wurden die Bewegungen intensiver und steigerten sich zu hektischer Betriebsamkeit, bis sich aus dem chaotischen Durcheinander allmählich Kolonnen formierten, die in beängstigend gleichmäßigem Schritt marschierten. Im Kästchen war inzwischen ein neues Zeitalter angebroehen, Waisenkindler und Elektrovoltairianer waren spurlos von der Bildfläche verschwunden, die Frage des Gemeinwohls beherrschte nun die öffentliche Diskussion. Man schrieb dickleibige Abhandlungen bar aller metaphysischer Argumentation zu diesem Thema, stellte aber auch über den Ursprung der eigenen Spezies tiefschürfende Überlegungen an: Die einen meinten, sie seien in grauer Vorzeit aus der dicken Staubschicht zwischen den Messingscharnieren geschlüpft, andere sahen geheimnisumwitterte Invasoren aus dem Kosmos als ihre Urväter an. Um diese brennende Frage ein für alle Mal zu beantworten, wurde der Große Bohrer gebaut, man wollte nämlich die Wände der bisher bekannten Welt an einer Stelle durchbohren, um den angrenzenden Weltraum zu erforschen. Da dort draußen aber unbekannte Gefahren lauern mochten, nahm man unverzüglich den Bau schwerer Geschütze in Angriff. Trurl war über diese Entwicklung derart entsetzt und enttäuscht, daß er das ganze Modell so schnell wie möglich demontierte. Dann rief er den Tränen nahe aus: „Intelligenz führt zu Herzlosigkeit. Güte unmittelbar in den Wahnsinn! Sollten denn all diese Konstruktionsversuche welthistorischen Ausmaßes von vornherein zum Scheitern verurteilt sein?“ Er faßte den Entschluß, das Problem erneut auf individueller Basis zu untersuchen, und holte seinen ersten Prototyp, den guten alten Kontemplator, aus der Rumpelkammer hervor. Ein Kehrichthaufen genügte, um diesem Ästheten wonniges Gestöhn zu entlocken, nachdem Trurl ihm jedoch ein zusätzliches Intelligenzaggregat eingebaut hatte, war er augenblicklich still. Auf die Frage, ob ihm irgend etwas mißfiele, antwortete er:

„Nein, nein, ich finde alles großartig, aber ich unterdrücke Staunen und Bewunderung zugunsten der Reflexion, denn zunächst einmal möchte ich wissen, wieso und weshalb ich alles großartig finde, und zweitens, was für ein Sinn und Zweck damit verbunden sein soll. Aber wer bist du überhaupt, daß du es wagst, mich durch Fragen aus meiner Kontemplation zu reißen? In welcher Beziehung steht denn deine Existenz zu meiner? Ich spüre, irgend etwas in mir möchte, daß ich auch dich bewundere, aber die Vernunft gebietet mir, mich diesem inneren Drang zu widersetzen, denn es könnte ja eine Falle sein, die man mir gestellt hat.“

„Was deine Existenz angeht“, sagte Trurl unvorsichtig, „so verdankst du sie mir, ich habe dich nämlich geschaffen, und zwar in der erklärten Absicht, daß zwischen dir und der Welt vollkommene Harmonie herrschen möge.“

„Harmonie?“ sagte der Kontemplator, sämtliche Rohre der Teleskopaugen schwenkten auf Trurl und nahmen ihn fest ins Visier. „Harmonie nennst du das? Und weshalb habe ich drei Beine? Warum ist meine linke Seite aus Kupferbleeh, die rechte aber aus Eisen? Weshalb habe ich fünf Augen? Antworte, du mußt es ja wissen, wenn du mich aus dem Nichts geschaffen hast, großer Meister!“

„Drei Beine, weil du auf zweien nicht sicher stehen könntest, vier hingegen wären reine Materialverschwendung“, erklärte Trurl. „Fünf Augen, nun, mehr sauber geschliffene Linsen konnte ich einfach nicht auftreiben, und was das Blech angeht, mir war gerade das Eisen ausgegangen, als ich dir deine äußere Hülle verpaßt habe.“

„Ihm ist das Eisen ausgegangen!“ fauchte der Kontemplator höhnisch. „Du willst mir also einreden, all das sei ganz spontan, ohne höhere Veranlassung geschehen, eine bloße Verkettung der Umstände, ein Werk des blinden Zufalls? Und diesen hanebüchenen Blödsinn soll ich glauben?“

„Ich, als dein Konstrukteur und Erbauer, sollte doch wohl wissen, wie es war!“ sagte Trurl, leicht verärgert über den anmaßenden Ton seines Gegenübers.

„Ich sehe hier zwei Möglichkeiten“, antwortete der umsichtige Kontemplator. „Erstens, du lügst wie gedruckt. Diese Hypothese wollen wir jedoch einstweilen als nicht verifizierbar beiseite lassen. Zweitens, du sagst subjektiv die Wahrheit, aber diese Wahrheit, die sich ja lediglich auf dein erbärmliches Wissen stützen kann, ist in Relation zu einem höheren Wissen die reinste Unwahrheit.“

„Das mußt du schon etwas genauer erklären.“

„Was dir als zufällige Verknüpfung von Umständen erscheint, braucht nicht zufällig zu sein. Du denkst wahrscheinlich, es sei ohne jede tiefere Bedeutung, daß dir das Eisen ausgegangen ist, doch woher willst du wissen, ob nicht eine Höhere Notwendigkeit für eben diesen Mangel gesorgt hat? Daß gerade Kupferbleeh vorhanden war, erschien dir als ganz normale Sache, obwohl doch gerade hier das Walten der Prästabilisiertenharmonie förmlich mit Händen zu greifen ist! Desgleichen muß hinter der Anzahl meiner Augen und Beine ein tiefes Mysterium verborgen liegen, das diesen Zahlen, ihren Relationen und Proportionen, im Rahmen einer höheren Ordnung ihre eigentliche Bedeutung verleiht. Machen wir die Probe aufs Exempel: Drei und fünf beides sind Primzahlen. Und doch kann man die eine durch die andere teilen, verstehst du? Drei mal fünf ist fünfzehn, also eins und fünf, die Quersumme macht sechs, sechs durch drei gibt zwei, schon haben wir die Anzahl meiner Farben, denn zur einen Hälfte bin ich ein kupferner, zur anderen aber ein eiserner Kontemplator! Und diese präzise Relation soll ein Produkt des Zufalls sein? Einfach lächerlich! Ich bin eben ein Wesen, das deinen winzigen Horizont bei weitem übersteigt, du armseliger Blechschlosser! Wenn überhaupt ein Körnchen Wahrheit daran ist, daß du mich erbaut hast, woran ich nebenbei bemerkt mehr als ernste Zweifel hege, so warst du in diesem Fall nur das ahnungslose Werkzeug Höherer Gesetze, ich aber ihr eigentliches Ziel. Du bist nur ein zufälliger Regentropfen, ich bin die Blume, deren buntleuchtende Blütenpracht die ganze Schöpfung lobpreist; du bist ein morscher Zaunpfahl, der einen schmalen Schatten wirft, ich aber bin die strahlende Sonne, auf deren Geheiß du das Licht von der Finsternis trennst; du bist ein blindes Werkzeug, geführt von Allerhöchster Hand, die mich ins Leben rief! Völlig vergebens suchst du, meine erhabene Person zu erniedrigen, indem du meine Fünfäugigkeit, Dreibeinigkeit und Zweifarbigkeit als simple Folge von Materialknappheit und Sparsamkeit hinstellst. Ich sehe in diesen Eigenschaften eine Widerspiegelung geheimnisvoller Zusammenhänge, die Verknüpfung meiner Existenz mit einer Höheren Symmetrie, deren Bedeutung ich noch nicht in vollem Umfang verstehe, die sich mir aber zweifellos offenbaren wird, wenn ich mich mit dem Problem gründlich beschäftige. Auf weitere Gespräche mit dir werde ich leider verzichten müssen, denn dazu ist mir meine Zeit zu kostbar.“

Diese Worte brachten Trurl derart in Wut, daß er den heftig um sich schlagenden Kontemplator augenblicklich in die Abstellkammer zurücksehleppte. Es half ihm nichts, daß er sich lauthals auf das Selbstbestimmungsrecht, die Unabhängigkeit aller freien Individuen und das Recht auf körperliche Unversehrtheit berief, Trurl schaltete einfach den Intelligenzverstärker aus und kehrte ins Haus zurück, allerdings nicht ohne sich verstohlen umzusehen, ob nicht irgend jemand Zeuge seiner rigorosen Praktiken geworden sei. Das Bewußtsein, dem Kontemplator Gewalt angetan zu haben, erfüllte ihn mit einem Gefühl der Scham, und als er sich wieder an seine Bücher setzte, fühlte er sich fast wie ein Verbrecher.

„Es liegt wohl ein geheimer Fluch über allen Konstruktionsvorhaben, die doch nur das Gute und das Universelle Glück zum Ziel haben“, dachte er, „kaum habe ich meine vorbereitenden Versuche gestartet, da sehe ich mich auch schon gezwungen, zu faulen und gemeinen Tricks zu greifen, die mir anschließend Gewissensbisse verursachen! Zum Teufel mit dem Kontemplator und seiner Prästabilisierten-Harmonie! Ich muß die Sache ganz anders anfassen…“

Bisher hatte er einen Prototyp nach dem anderen ausprobiert, folglich hatte jeder einzelne Versuch Unmengen an Zeit und Material verschlungen. Jetzt faßte er den Entschluß, tausend Experimente auf einmal zu starten — im Maßstab 1:1 000 000. Unter dem Elektronenmikroskop drehte er einzelne Atome so geschickt ineinander, daß aus ihnen winzige Wesen entstanden, die kaum größer als Mikroben varen, und nannte sie Ångströmianer. Eine Viertelmillion solcher Individuen bildeten eine Kultur, die per Mikropipette auf einen Objektträger praktiziert wurde. Jedes dieser Mikrozivilisationspräparate erschien vor dem bloßen Auge als winziges olivgrünes Fleckchen, und nur bei allerstärkster Vergrößerung ließ sich beobachten, was in seinem Inneren vor sich ging.

All seine Ångströmianer versah Trurl mit Reglern der erfolgreichen Altru-Hero-Optimismus-Serie, elektronischen Aggressionshemmern, dem kategorischen und elektronischen Imperativ zugleich, Wohltätigkeitsstimuli von unerhörter Stärke sowie einem Mikrorationalisator mit automatischen Sperren sowohl gegen Orthodoxie als auch Häresie, damit von vornherein keinerlei Fanatismus aufkommen konnte. Die Kulturen brachte er Tröpfchen für Tröpfchen auf Objektträger, packte die Träger zu kleinen Päckchen, die Päckchen zu Paketen, schob das Ganze in den Zivilisator-Inkubator und schloß es dort für zweieinhalb Tage ein. Vorher hatte er über jede Zivilisation ein Deckglas gestülpt, es sorgfältig gereinigt und mit blaßblauer Farbe überzogen, denn es sollte der jeweiligen Zivilisation als Himmel dienen; durch eine Tropfdüse versorgte er sie mit Nahrungsmitteln, aber auch mit Rohstoffen, damit sie fabrizieren konnten, was immer der consensus omnium für ratsam und erforderlich halten sollte. Natürlich konnte er die stürmische Entwicklung der Zivilisationen nicht auf allen Objektträgern zugleich verfolgen, so nahm er aufs Geratewohl einzelne Kulturen heraus, hauchte das Okular an, rieb es mit einem Läppchen sauber, beugte sich mit angehaltenem Atem über das Mikroskop und beobachtete das geschäftige Treiben tief unter sich, ganz wie der Herrgott im Himmel droben, wenn er die Wolken zur Seite schiebt, um einmal auf Sein Werk hinunterzuschauen.

Dreihundert Präparate nahmen sehr rasch ein schlechtes Ende. Die Symptome waren immer die gleichen. Zunächst einmal gedieh die Zivilisation prächtig und brachte sogar winzige Ableger hervor, dann lag plötzlich ein dünner Rauchschleier wie Nebel über allem, mikroskopisch kleine Blitze zuckten auf und bedeckten Mikrostädte und Mikrofelder mit einem phosphoreszierenden Ausschlag, danach zerfiel das Ganze mit schwachem Knistern und Zischen zu feinem Staub. Mit Hilfe eines achthundertfach stärkeren Okulars untersuchte Trurl eines dieser Präparate genauer, fand aber nur noch verkohlte Ruinen und rauchende Trümmer vor sowie halbverbrannte Fahnen und Feldzeichen, deren Aufschriften jedoch so winzig waren, daß er sie nicht entziffern konnte. Sämtliche Präparate dieses Typs wanderten unverzüglich in den Mülleimer. Zum Glück sah es jedoch nicht überall so schlecht aus. Hunderte von Kulturen machten gute Fortschritte und wuchsen so schnell, daß ihnen ein Objektträger nicht mehr genug Lebensraum bot und sie auf mehrere verteilt werden mußten. So war Trurl bereits nach drei Wochen heimlicher Herrscher über mehr als 19000 prosperierende Zivilisationen.

Einer Eingebung folgend, die er in aller Bescheidenheit für genial hielt, unternahm Trurl von sich aus nichts, um seinen Ångströmianern den Weg zum universellen Glück zu ebnen, sondern beschränkte sich darauf, ihnen einen gesunden Hedotropismus einzuimpfen, wobei er unterschiedliche Techniken anwendete. In einigen Versuchsreihen wurde jeder Ångströmianer mit einem kompletten Glücksbeschleuniger ausgerüstet, in anderen jedoch erhielt das Individuum nur ein einziges Bauteil dieses Geräts — in diesem Falle bedurfte der Marsch ins Glück kollektiver Anstrengungen im Rahmen einer entsprechenden Organisation. Die nach Methode I konstruierten Ångströmianer entwickelten sich zu vergnügungssüchtigen Egozentrikern, die in ihrem Streben nach persönlichem Glück weder Maß noch Ziel kannten und schließlich in hoffnungsloser Anhedonie endeten. Methode II erwies sich als fruchtbarer. Blühende Zivilisationen entstanden auf den Objektträgern, entwickelten soziale Theorien und Techniken sowie eine bunte Vielfalt kultureller Institutionen. Im Präparat Nr.1376 herrschte die Emulator-Kultur, Nr.9931 pflegte den Kaskadeur-Kult, und Nr.95 hatte sich der Fraktionierten Hedonistik im Schoße der Leitermetaphysik verschrieben. Die Emulaten wetteiferten im Streben nach vollkommener Tugend miteinander und teilten sich in zwei Lager — die Whigs und die Huris. Die Huris waren der festen Überzeugung, nur der könne die Tugend kennen, der sich zuvor eine gründliche Kenntnis des Lasters erworben habe und somit das eine vom anderen fein säuberlich zu unterscheiden wisse; folglich praktizierten sie alle denkbaren Spielarten des Lasters, allerdings nicht ohne die feierlich bekundete Absicht, ihre Untugenden zu gegebener Zeit sämtlich wieder abzulegen. Aus einem kurzen Praktikum war jedoch längst eine Lehrzeit ohne Ende geworden — zumindest behaupteten dies die Whigs. Nach ihrem endgültigen Sieg über die Huris führten sie den Whiggismus ein, eine moralische Doktrin, die sich aus 64000 äußerst rigorosen und kategorischen Verboten zusammensetzte. Unter ihrer Herrschaft durfte man weder demonstrieren noch provozieren, weder kritisieren noch opponieren, nicht an Ecken stehen, keinen Joint drehen, nicht flanieren, nicht hausieren, nicht schmatzen und nicht kratzen; natürlich stießen diese strikten Verbote auf heftige Proteste und mußten eins nach dem anderen wieder aufgehoben werden, jedesmal unter stürmischem Jubel der begeisterten Öffentlichkeit. Als Trurl kurze Zeit später wieder einen Blick auf das Präparat warf, war er sehr beunruhigt: Dort rannte alles wie im Tollhaus durcheinander, jedermann suchte hektisch nach einem Verbot, das es noch zu übertreten galt, mußte aber mit Schrecken feststellen, daß keines mehr übrig war. Einige wenige demonstrierten und provozierten noch, standen an Ecken herum, drehten ihren Joint, kratzten sich und schmatzen, aber Spaß daran hatte schon längst niemand mehr.

Und so schrieb Trurl zu seinen Labornotizen folgende Bemerkung: Wer alles darf, ist bald auf nichts mehr scharf. Im Präparat Nr.2921 lebten die Kaskadier, ein rechtschaffenes Völkchen voller Ideale, verkörpert in so vollkommenen Wesen wie der Magna Mater Cascadera, der Allerreinsten Jungfrau und dem Seligen Fenestron. Diesen errichteten sie Bildnisse und Statuen, beteten zu ihnen, verehrten sie im frommen Singsang endloser Prozessionen und warfen sich vor ihnen an besonderen Stätten, zu besonderen Zeiten, auf besondere Weise in den Staub. Gerade als Trurl über diesen unerhörten Gipfel an Frömmigkeit, Demut und Hingabe ins Staunen geriet, standen sie plötzlich auf, klopften sich den Staub aus den Kleidern und setzten zum Sturm auf Tempel und Statuen an. Sie stießen den Seligen Fenestron vom Sockel, entehrten die Allerreinste Jungfrau und trampelten auf der Magna Mater herum, daß dem Konstrukteur, der alles durchs Mikroskop mitansehen mußte, die Haare zu Berge standen. Aber gerade durch die lustvolle Zerstörung all dessen, was sie bisher so hoch verehrt hatten, fühlten sieh die Kaskadier derart erleichtert, daß sie — zumindest vorübergehend — vollkommen glücklich waren. Es hatte ganz den Anschein, als drohe ihnen das Schicksal der Emulaten, doch die umsichtigen Kaskadier hatten beizeiten Sakramentenkongregationen und Institute zur Planung Verbindlicher Offenbarungen eingerichtet, so daß die nächste Stufe der Heiligenverehrung bereits gründlich vorbereitet war. Es dauerte nicht lange, da begannen sieh die verwaisten Sockel und Altäre wieder mit neuen Statuen zu bevölkern — ein Vorgang, der das ewige Auf und Ab ihrer Kultur deutlich machte. Trurl notierte sich, daß die Erniedrigung des Allerhöchsten zuweilen mit einem Hochgefühl verbunden sein kann und bezeichnete die Kaskadier in seinen Aufzeichnungen als chronische Ikonoklasten.

Das nächste Präparat, Nr.95, bot ein erheblich differenzierteres Bild. Die dort ansässigen Leiteranen zeigten eine ausgeprägte Neigung zur Metaphysik und hatten die metaphysische Problematik fest in die eigenen Hände genommen. Nach einem Dogma des VII. Leiteransynods schloß sich gleich an das Diesseits eine schier endlose Stufenleiter von himmlischen Purgatorien und Sanatorien an — da gab es die Himmlischen Exklaven und Trabantenstädte, die Himmlischen Vororte, Außen— und Randbezirke sowie die Himmelsnahen Siedlungen — ins Zentrum der Himmlischen Stadt aber gelangte man niemals, denn das Wesen ihrer listigen Theotaktik bestand darin, sich das Paradies durch unaufhörliches Verschieben und Vertagen letztlich zu versagen. Nur die kleine Sekte der Immediatisten forderte den unmittelbaren und augenblicklichen Zugang zum Paradies; die einflußreichen Zyklotreppisten hingegen hatten gegen eine gequantelte und fraktionierte Transzendenz nichts einzuwenden, bestanden jedoch auf einer Treppe zum Paradies, die unbedingt mit Falltüren ausgestattet sein müsse. Ein Fehltritt, und die Seele landet wieder ganz unten, d.h. im Diesseits, wo sie ihren mühsamen Aufstieg von vorn beginnen muß. Mit einem Wort, ihnen schwebte ein Geschlossener Zyklus mit Stochastischer Pulsation vor, letzten Endes eine Perpetuelle Metempsychotische Reinkarnation per Umsteiger, die orthodoxen Leiteranen verdammten diese Doktrin jedoch als galoppierenden Defaitismus.

Später entdeckte Trurl noch viele andere Typen Portionierter Metaphysik; auf einigen Objektträgern wimmelte es förmlich von seligen und heiligen Ångströmianern, auf anderen hatte man Rektifikatoren des Bösen, d.h. Elektronische Gleichrichter der Lebenswege, in Betrieb genommen, die Mehrzahl dieser segensreichen Apparaturen wurde jedoch im Zuge einer immer stärker um sich greifenden Säkularisierung zerstört; manchenorts war sie so weit gediehen, daß an das Transzendentale Auf und Ab früherer Zeiten nur noch eine hochentwickelte Technik im Bau von Berg-und-Tal-Bahnen erinnerte. Die völlig verweltlichten Kulturen wurden jedoch von einem rätselhaften Kräfteverfall heimgesucht und siechten allmählich dahin. Trurls größte Hoffnungen ruhten jetzt auf dem Präparat Nr.6101; dort hatte man das Paradies auf Erden proklamiert, ein rationales, soziales, liberales, kurzum ideales Paradies. Also setzte sich der Konstrukteur in seinem Stuhl zurecht und manipulierte erwartungsvoll am mikrometrischen Schräubchen, um ein schärferes Bild zu bekommen. Sein Gesicht wurde lang und länger. Einige Bewohner dieses gläsernen Ländchens rasten auf pfeilschnellen Maschinen durch die Gegend und suchten verzweifelt nach den Grenzen ihrer unbegrenzten Möglichkeiten; andere versanken wohlig in Badewannen voller Schlagsahne und Trüffeln, besprenkelten ihr Haupt mit Kaviar, tauchten unter und ließen durch die Nase Blasen von taedium vitae aufsteigen. Wieder andere wälzten sich in Vanillebutter und Honig, bestiegen dann wunderbar stoßgefederte Bacchantinnen und ließen sich von ihnen Huckepack tragen, dabei schielten sie mit einem Auge nach ihren prächtigen Schatullen voller Gold und seltener Parfums, mit dem anderen hielten sie unentwegt Ausschau, ob nicht endlich jemand käme, der sie — wenigstens für einen Augenblick — um diese Anhäufung süßester Kostbarkeiten beneidete. Da sich aber niemand finden wollte, stiegen sie voller Überdruß von den hydropneumatischen Nymphen herab, versetzten ihren Schätzen ein paar müde Fußtritte und schlichen davon, um sich düsteren Propheten anzuschließen, welche verkündeten, das Leben werde zwangsläufig besser und besser werden, damit natürlich schlechter und schlechter. Eine Gruppe ehemaliger Dozenten des Instituts für Empirische Erotologie hatte dieser Welt fast völlig entsagt und die Societas Abnegatorum gegründet. Dieser Orden rief in seinen Manifesten zu einem Leben in Demut, Askese und Selbstkasteiung auf— strenge Regeln, die jedoch nicht ausnahmslos, sondern nur an sechs Tagen in der Woche zu befolgen waren. Am siebten Tage zerrten die frommen Patres die Bacchantinnen aus den Schränken, schleppten aus den Kellern Wein, Wildbret, edles Geschmeide, Erotiseure sowie vollautomatische Gürtellockerer herbei und begannen — kaum daß die Glocke zur Frühmette geschlagen hatte — eine Orgie, daß die Kruzifixe von der Wand fielen und die Reliquien in ihren Schreinen erbebten; kaum war jedoch der Montag Morgen angebrochen, da wandelten sie alle im Gänsemarseh hinter dem Prior einher, geißelten und kasteiten sich, daß das Blut nur so spritzte. Ein Teil der Jugend blieb nur von Montag bis Sonnabend bei den Abnegaten und mied das Kloster am Sonntag, andere hingegen erwiesen den Patres nur an diesem hohen Festtag die Ehre. Als aber die erstgenannte Gruppe begann, die zweite wegen ihres abstoßenden und zügellosen Lebenswandels tüchtig zu verdreschen, wandte Trurl den Blick ab und stöhnte auf — sein Bedarf an Religionskriegen war gedeckt.

Inzwischen war im Inkubator, der ja noch Tausende von Kulturen beherbergte, die Zeit nicht stehengeblieben. Im Zuge des allgemeinen Fortschritts kam es zu immer kühneren Pioniertaten der Forschung, und so geschah es, daß in der Mikrowelt die objektträgerverbindende Ära der Raumfahrt anbrach. Wie sich bei ersten Kontakten herausstellte, beneideten die Emulaten die Kaskadier, die Kaskadier die Leiteranen, die Leiteranen wiederum die Chronischen Ikonoklasten, außerdem waren Gerüchte im Umlauf über ein fernes Land, in dem es sich unter dem sanften Regiment der Sexokraten herrlich und in Freuden leben ließ, obwohl niemand genau wußte, wie es dort eigentlich zuging. Die Bewohner dieses Wunderlands waren angeblich in ihrem Wissen so weit fortgeschritten, daß sie in der Lage waren, ihren Körper nach eigenem Gutdünken umzugestalten und sich direkt an ein Netz hedohydraulischer Pumpen und Röhren anzuschließen, durch das sie mit einem konzentrierten Extrakt höchsten Glücks versorgt wurden; (Kritiker flüsterten allerdings hinter vorgehaltener Hand, dort herrschten Zustände wie in Sodom und Gomorrha). Aber obwohl Trurl Tausende von Präparaten untersuchte, konnte er die Hedostase, d.h. das hundertprozentig stabilisierte Glück, nirgendwo entdecken. Folglich mußte er sich, wenn auch schweren Herzens eingestehen, daß die Berichte über das ferne Wunderland zu den zahllosen Mythen und Märchen gehörten, die sich um die ersten Interobjektträgerreisen rankten; und so war er durchaus nicht frei von bösen Ahnungen, als er das Präparat Nr.6590 auf den Objekttisch legte, denn er war sich nicht mehr sicher, ob er nicht auch mit seinem Lieblingskind eine Enttäuschung erleben würde. Diese vielversprechende Zivilisation hatte nicht nur das materielle Wohlergehen ihrer Bürger im Auge, sondern sorgte auch in jeder Weise für eine ungehemmte Entfaltung des schöpferischen Geistes. Das dort ansässige Ångströmianervölkchen war unerhört begabt, es wimmelte in seinen Reihen von glänzenden Philosophen, Malern, Bildhauern, Lyrikern, Dramatikern, und wer nicht gerade ein berühmter Musiker oder Komponist war, der war eben Astronom oder Biophysiker, zumindest jedoch Tänzer, Parodist, Äquilibrist, Philatelist und Artist in einer Person, darüber hinaus hatte er einen schmelzenden Bariton, das absolute Gehör und Träume in Technikolor. Wie nicht anders zu erwarten, war das Präparat Nr.6590 ein Ort rastloser, ja geradezu wütender Schaffensfreude. Ganze Stapel von Ölgemälden türmten sich höher und höher, Statuen schossen wie Pilze aus dem Boden, Myriaden von Büchern überfluteten den Markt, wissenschaftliche Abhandlungen, moralphilosophische Traktate, Biographien und Utopien sowie andere Werke aller Art, eins immer glänzender als das andere. Als Trurl jedoch wieder durchs Okular schaute, erblickte er alle Anzeichen eines ebenso heillosen wie unbegreifliehen Durcheinanders. Aus den überquellenden Werkstätten flogen Porträts und Büsten in hohem Bogen auf die Straße, auf den Bürgersteigen stolperte man auf Schritt und Tritt über Lyrik und Prosa, denn schon längst las niemand mehr Gedichte oder Romane eines anderen, niemand begeisterte sich für fremde Kompositionen — und warum sollte er, war er nicht selbst ein Meister aller Musen, die strahlende Inkarnation eines allseitig begabten Genies? Hinter manchen Fenstern klapperten noch vereinzelt Schreibmaschinen, klecksten Pinsel und kratzten Federn übers Papier, immer häufiger jedoch geschah es, daß sich irgendein Genie, verzweifelt über den völligen Mangel an Anerkennung, aus den höhergelegenen Stockwerken auf die Straße stürzte, nachdem es zuvor seine Werkstatt in Brand gesetzt hatte. In allen Stadtteilen kamen Sirenen und Alarmwecker nicht mehr zur Ruhe, und obwohl die Roboter-Feuerwehr einen Brand nach dem anderen löschte, war bald niemand mehr da, um die vor den Flammen geretteten Häuser zu bewohnen. Die Roboter der städtischen Kanalisation, Straßenreinigung, Feuerwehr und anderer Sparten des öffentlichen Dienstes machten sich Schritt für Schritt mit den Errungenschaften der untergegangenen Zivilisation bekannt und bewunderten sie über alle Maßen; da ihnen jedoch die großen Zusammenhänge verborgen blieben, strebten sie in der Autoevolution nach allmählicher Erhöhung ihres Intelligenzquotienten, um sich dem erhabenen geistigen Niveau ihrer Umwelt besser anzupassen. Das war der Anfang vom Ende, denn niemand reinigte, kanalisierte, fegte oder löschte mehr irgend etwas, statt dessen gab es nur noch ein einziges Deklamieren, Rezitieren, Musizieren und Inszenieren; die Kanalisation war hoffnungslos verstopft, die Müllhalden wuchsen ins Unermeßliche und zahllose Brände sorgten für den Rest; nur noch Fetzen rußgeschwärzter Manuskripte und halbverkohlter Gedichte flatterten über den völlig ausgestorbenen Ruinen umher.

Trurl konnte diesen schrecklichen Anblick nicht länger ertragen und versteckte das Präparat eilends im dunkelsten Winkel der Schublade; wieder und wieder schüttelte er den Kopf in tiefer Ratlosigkeit, er wußte einfach nicht, wie es weitergehen sollte. Aus diesen trüben Gedanken riß ihn erst ein lauter Schrei auf der Straße: — Feuer! — es war seine eigene Bibliothek, die da brannte, denn einige Zivilisationen, die er in seiner Zerstreutheit zwischen ein paar Büchern vergessen hatte, waren von ganz gewöhnlichem Schimmel befallen worden, mißdeuteten diesen Vorgang jedoch als Invasion aggressiver Eroberer aus dem Kosmos und machten sich unverzüglich daran, die Eindringlinge mit der Waffe in der Hand zu bekämpfen, und so war das Feuer entstanden. Fast dreitausend von Trurls Büchern waren verbrannt und doppelt soviel Zivilisationen in Rauch und Flammen aufgegangen. Darunter einige, die nach Trurls sorgfältigsten Berechnungen noch die besten Chancen gehabt hatten, den Weg zum Universellen Glück zu finden. Nachdem der Brand endgültig gelöscht war, hockte Trurl einsam auf einem harten Schemel in der wasserüberfluteten, bis zur Decke rußgesehwärzten Werkstatt und suchte Trost in der Betrachtung all der Zivilisationen, die die Katastrophe im hermetisch abgeschlossenen Inkubator überlebt hatten. In einer von ihnen hatten es die Bewohner auf naturwissenschaftlichem Gebiet so weit gebracht, daß sie Trurl durch astronomische Teleskope beobachteten, deren auf ihn gerichtete Linsen wie winzig kleine Tautröpfchen funkelten. Gerührt über soviel wissenschaftlichen Eifer nickte er und lächelte ihnen wohlwollend zu, doch noch im gleichen Moment fuhr er mit einem gellenden Schmerzensschrei in die Höhe, griff nach seinem Auge und rannte, so schnell er konnte, in die nächste Apotheke. Die kleinen Astrophysiker dieser Zivilisation hatten ihn mit einem Laserstrahl getroffen. Von nun an näherte er sich dem Mikroskop nie mehr ohne Sonnenbrille.

Die beträchtlichen Lücken, die der Brand in den Reihen der Präparate hinterlassen hatte, mußten geschlossen werden, also machte sieh Trurl erneut an die Arbeit und fabrizierte weitere Ångströmianer. Eines Tages zitterte ihm die Hand, als er den Mikromanipulator bediente, und er stellte fest, daß ihm eine Fehlschaltung unterlaufen war. Statt des üblichen Strebens nach dem Guten hatte er sämtliche Triebkräfte des Bösen mobilisiert. Nach kurzem Überlegen warf er das verdorbene Präparat nicht weg, sondern schob es in den Inkubator, denn ihn plagte die Neugier, welch monströse Züge wohl eine Zivilisation annehmen würde, deren Angehörige schon von Geburt an verderbt bis ins Mark wären. Er war jedoch wie vom Donner gerührt, als sich auf dem Objektträger eine ganz und gar durchschnittliche Kultur entwickelte, weder besser, aber auch nicht schlechter als alle anderen! Trurl raufte sich die Haare.

„Das hat mir gerade noch gefehlt!“ schrie er. „Also ist es völlig gleichgültig, ob man mit Bonophilen, Benigniten und Sanftmütern beginnt oder mit Malefikanten, Schurkisten und Widerlingen? Ha! Ich verstehe zwar gar nichts, und doch spüre ich, wie nahe ich einer Großen Wahrheit bin! Wenn das Böse bei denkenden Wesen die gleichen Früchte trägt wie das Gute — wo bleibt da die Logik? Wie kommt es zu dieser fatalen Nivellierung?“

Am nächsten Morgen sprach er zu sich: „Kein Zweifel, das Problem, mit dem ich mich herumschlage, muß bei weitem das schwierigste im ganzen Universum sein, wenn sogar Ich, in Höchst-eigener Person, mit keiner Lösung aufwarten kann! Sollten am Ende Intelligenz und Glück einen unversöhnlichen Gegensatz bilden? Zumindest der Casus Contemplatoris scheint deutlich darauf hinzuweisen, die undankbare Kreatur schwelgte ja förmlich in existentiellem Glück, bis ich ihr das IQ-Schräubchen etwas angezogen habe. Doch nein, diesen Gedanken kann ich nicht akzeptieren, ich weigere mich einfach zu glauben, daß ein derartiges Naturgesetz existiert, denn es setzte ja voraus, daß eine böse und arglistige, geradezu satanische Perfidie im Urgrund alles Seins verborgen ist, gleichsam in der Materie schlummert und nur darauf lauert, daß ein Bewußtsein erwacht, um es zu einem Quell irdischer Not und Pein statt zu einem Hort süßer Daseinsfreude zu machen. Doch mögest du, Universum, auf der Hut sein vor dem forschenden Geist, der danach dürstet, diesen unerträglichen Stand der Dinge zum Besseren zu wenden! Das, was ist, muß ich verändern! Einstweilen bin ich dazu nicht in der Lage. Sollte ich deswegen mit meinem Latein am Ende sein? Keineswegs! Wozu gibt es schließlich Intelligenzverstärker? Was ich selbst nicht leisten kann, werden kluge Maschinen für mich leisten. Ich werde ein Computerium bauen, ein Computerium zur Lösung des existentiellen Dilemmas!

Gesagt, getan. Nach zwölf Tagen Arbeit stand inmitten der Werkstatt eine riesige Maschine, eine energiegeladen summende, ausnehmend rechtwinklige Schönheit, die einer einzigen Aufgabe geweiht war: das Problem der Probleme zu attackieren und diesen Kampf siegreich zu beenden. Er schaltete sie ein, wartete jedoch nicht einmal, bis sich ihre Kristalldioden und Trioden erwärmten, sondern begab sich auf einen wohlverdienten Spaziergang. Bei seiner Rückkehr glühte die Maschine vor Eifer, gänzlich vertieft in eine Arbeit, wie sie komplizierter nicht sein konnte: sie war dabei, aus allem, was gerade zur Hand war, eine zweite, erheblich größere Maschine zu bauen. Diese wiederum verbrachte die Nacht und den folgenden Tag damit, Hauswände einzureißen und das Dach abzutragen, um Platz für den nächsten Maschinengiganten zu schaffen. Trurl schlug in seinem Garten ein Zelt auf und wartete geduldig auf das Ende dieser intellektuellen Schwerstarbeit, selbiges war jedoch nicht abzusehen.

Über die Wiese bis in den Wald, die Bäume wie Streichhölzer knickend, hatten sieh turmhohe Gerüste ausgebreitet; das ursprüngliche Computerium wurde von den nachfolgenden Generationen näher und näher ans Ufer des Flusses gedrängt, bis es schließlich mit dumpfem Blubbern in den Fluten versank. Als Trurl sich einen Überblick über den ganzen bisher entstandenen Komplex verschaffen wollte, kostete ihn dieser im Eiltempo absolvierte Rundgang eine gute halbe Stunde. Gleich darauf sah er sich genauer an, wie die Maschinen untereinander verbunden waren — und erstarrte. Es war ein Fall eingetreten, den er bisher nur aus der Theorie kannte; denn wie die Hypothese des großen Cerebron Pansophos Omniavidaudit, des legendären Altmeisters der Elementaren und Höheren Kybernetik, in aller Klarheit darlegte, baut ein Computer, dem eine sein Leistungsvermögen übersteigende Aufgabe gestellt wird — sofern er nur eine bestimmte Schwelle, die sogenannte Barriere der Weisheit, überschritten hat —, einen zweiten Computer, statt sich selbst mit der Lösung des Problems herumzuschlagen, und dieser zweite Computer, der natürlich auch schon weiß, wie der Hase läuft, wälzt die ihm aufgebürdete Last auf einen dritten ab, den er eigens zu diesem Zweck konstruiert hat, und so setzt sich diese Kette von Delegationen ad infinitum fort! In der Tat ragten am Horizont bereits die Stahlträger der neunundvierzigsten Computergeneration auf; der Lärm dieser ungeheuren geistigen Anstrengung, die darin bestand, das Problem weiter und weiter zu geben, hätte mühelos das Getöse eines Wasserfalls übertönt. Denn gerade das macht ja die Intelligenz aus, einem anderen die Arbeit zu übertragen, die man eigentlich selbst tun sollte. Blinder Gehorsam gegenüber Programmen und elektronischen Vorschriften ist daher nur eine Sache für digitale Dummköpfe und Duckmäuser. Nachdem er die Natur des Phänomens so klar erfaßt hatte, setzte sich Trurl auf einen Baumstumpf, der wie unzählige andere ein Relikt der expansiven Computerevolution war, und gab einen tiefen Seufzer von sich.

„Sollte dieses Problem“, fragte er, „tatsächlich zu den unlösbaren gehören? Aber dann hätte mir mein Computerium den Beweis seiner Unlösbarkeit erbringen müssen, woran es natürlich infolge seiner allseitigen Intelligenzsteigerung nicht im Traum gedacht hat, denn es ist auf die schiefe Bahn verstockter Faulheit geraten, ganz wie es Meister Cerebron einstmals prophezeit hat. Ha! Welch ein beschämendes Schauspiel — ein Intellekt, der intelligent genug ist, um zu erkennen, daß er selbst keinen Finger zu rühren, sondern nur ein geeignetes Werkzeug herzustellen braucht, das Werkzeug wiederum besitzt genug Verstand, um die gleiche Überlegung anzustellen, und so geht es weiter bis in alle Ewigkeit! Oh, ich erbärmlicher Stümper, keinen Liquidator, sondern einen Delegator des Problems habe ich gebaut! Sollte ich meinen digitalen Intelligenzlern dieses Handeln per procura einfach verbieten, sogleich würden sie sich hinter der scheinheiligen Schutzbehauptung verschanzen, all dieser ungeheure maschinelle Aufwand sei mit Rücksicht auf die gigantischen Dimensionen der Aufgabe einfach unerläßlich. Welch eine Antinomie!“ stöhnte er, ging nach Hause und setzte einen Demontagetrupp in Marsch, der das ganze Gelände innerhalb von drei Tagen mit Preßlufthämmern und Brecheisen säuberte.

Nach schweren inneren Kämpfen faßte Trurl den Entschluß, sein methodisches Vorgehen erneut zu ändern: „In jedem Computer müßte ein Aufseher stecken, ein Kontrolleur von allesüberragender Intelligenz, mit anderen Worten, ich selbst, aber ich kann mich ja weder vervielfältigen noch in Stücke reißen, obwohl… zwar kann ich mich nicht dividieren, doch warum nicht einfach multiplizieren?! Heureka!“

Folgendermaßen ging er vor: Im Innern eines neuartigen Spezial-Digitalrechners brachte er eine perfekte Kopie seiner selbst unter, keine physikalische natürlich, sondern eine binär codierte, mathematisierte, die sich von nun an mit dem Problem herumschlagen sollte; des weiteren berücksichtigte er in den Programmen die Möglichkeit einer unablässigen Multiplikation der multiplen Trurls und stattete das ganze System mit einem Denkbeschleuniger aus, damit alle Operationen unter den wachsamen Augen zahlloser Trurls schnell wie der Blitz vonstatten gingen. Hochbefriedigt über den erfolgreichen Abschluß dieser schweren Arbeit richtete er sich auf, klopfte sich den Stahlstaub vom Overall und verließ fröhlich pfeifend das Haus, um sich bei einem Spaziergang in frischer Luft zu erholen.

Gegen Abend kehrte er zurück und nahm unverzüglich den Trurl in der Maschine — d. h. sein digitales Duplikat — ins Gebet, denn er wollte wissen, wie die Arbeit dort vorankäme.

„Lieber Freund“ antwortete ihm sein Doppelgänger durch den schmalen Schlitz der Lochstreifenausgabe, „es ist kein schöner Zug von dir, um Klartext zu reden, es ist sogar ausgesprochen unanständig, dich selbst in Gestalt einer digitalen Kopie, eines blut-leeren Programmstreifens, in einen Computer zu stecken — nur weil du keine Lust hast, dir selbst den Kopf über ein schwieriges Problem zu zerbrechen. Da du mich jedoch so kalkuliert, simuliert und programmiert hast, daß ich bis ins letzte Bit ebenso klug bin wie du selbst, sehe ich nicht die geringste Veranlassung, weshalb ich dir Bericht erstatten sollte, wo es doch genausogut umgekehrt sein könnte!“

„Ach, und ich habe wohl den ganzen Tag Däumchen gedreht, bin nur durch Wald und Flur spaziert?!“ erwiderte Trurl verblüfft. „Aber selbst wenn ich wollte, zum eigentlichen Problem könnte ich dir nichts sagen, was du nicht selbst längst weißt. Im übrigen habe ich mich damit so herumgeplagt, daß mir fast die Neuronen geplatzt wären, jetzt bist du an der Reihe. Also stell dich nicht so an, und sag mir, was du herausgefunden hast!“

„Da ich nicht aus dieser verfluchten Maschine herauskann, in die du mich eingesperrt hast (eine Schweinerei, auf die ich mit Sicherheit noch einmal zurückkommen werde), habe ich mir tatsächlich die ganze Sache ein wenig durch den Kopf gehen lassen“, antwortete der digitale Trurl mürrisch durch die Lochstreifenausgabe. „Allerdings, um ein wenig Trost zu finden, habe ich mich auch mit anderen Dingen beschäftigt, denn mein alter Ego, das gewissenlose Luder, der Lump von einem Zwillingsbruder, hat mich ja nackt und bloß in diese Welt hineinprogrammiert, also schneiderte ich mir zunächst digitale Beinkleider und einen digitalen Überzieher nach der letzten Mode, rekonstruierte dein Häuschen und den Garten bis auf den letzten Kyberzwerg genau, nur daß mein Garten etwas hübscher ist, denn über ihm wölbt sich ein digitaler Himmel mit digitalen Sternbildern, und gerade, als du wiederkamst, dachte ich darüber nach, wie ich mir wohl am besten einen digitalen Klapauzius bauen könnte, denn hier, mitten unter stumpfsinnigen Kondensatoren, in der Nachbarschaft geisttötender Kabel und Transistoren, langweile ich mich schrecklich!“

„Ach, verschon mich doch mit deinen digitalen Beinkleidern! Kannst du nicht endlich zur Sache kommen, wenn ich dich höflich bitte?“

„Glaub ja nicht, daß du meine gerechte Empörung durch Höflichkeit besänftigen kannst. Vergiß nie, daß ich — Kopie hin, Kopie her — du selbst bin und dich also bestens kenne, alter Freund. Ich brauche nur in mich hineinzusehen und schon habe ich all deine schmutzigen Tricks bis auf den Grund durchschaut. Nein, vor mir kannst du nichts verbergen!“

In dieser kritischen Lage begann der leibliche Trurl sein digitales Alter ego mit flehentlichen Bitten zu bestürmen und schreckte selbst vor ein paar plumpen Schmeicheleien nicht zurück. Schließlich ließ sich jener durch die Lochstreifenausgabe vernehmen:

„Obwohl eine Lösung der Aufgabe kurzfristig nicht zu erwarten steht, möchte ich nicht verhehlen, daß ich gewisse Fortschritte erzielt habe. Das ganze Problem ist ungeheuer komplex, daher hielt ich es für zweckmäßig, hier eine spezielle Universität zu gründen und ernannte mich für den Anfang zum Rektor und geschäftsführenden Direktor dieser Institution, die Lehrstühle aber, zur Zeit vierundvierzig an der Zahl, besetzte ich sämtlich mit geeigneten Doppelgängern meiner Person, den sogenannten Trurls zweiten Grades.“

„Was, schon wieder?“ stöhnte der leibliche Trurl, denn unwillkürlich kam ihm Cerebrons Theorem in den Sinn.

„Dein 'schon wieder' kannst du dir sparen, alter Esel, einen Regressus ad infinitum gibt es bei mir nicht, da ich entsprechende Sicherungen eingebaut habe. Meine Sub-Trurls, die Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Felizitologie, Experimentelle Hedonistik, Glücksmaschinenbau und Vergleichende Eudämonistik, liefern mir in jedem Quartal ihren Jahresbericht ab (denn wie du weißt, lieber Freund, arbeiten wir hier mit einem Zeitbeschleuniger). Leider ist es die administrative Arbeit, die bei so einem riesigen Universitätskomplex die meiste Zeit verschlingt, zusätzlich müssen Diplomanden, Doktoranden und Habilitanden sorgfältig betreut werden — kurz, wir brauchen dringend einen zweiten Computer, denn hier ist es inzwischen eng geworden wie in einer Sardinenbüchse, es ist einfach kein Platz für die nötigen Geschäftszimmer, Hörsäle und Laboratorien. Eine achtfache Kapazitätserweiterung wäre das Minimum.“

„Schon wieder?!“

„Also jetzt gehst du mir wirklich auf die Nerven. Ich sage dir doch, es geht hier nur um administrative Angelegenheiten und die Ausbildung des Nachwuchses. Wie stellst du dir das vor, soll ich am Ende noch selbst das Sekretariat leiten?!“ brauste er digitale Trurl auf. „Mach lieber keine Schwierigkeiten, sonst lasse ich die Universität einfach abreißen, mache einen Rummelplatz daraus, fahre jeden Tag digitale Achterbahn, trinke digitales Starkbier aus digitalen Krügen — und du bist der letzte, der mich daran hindern kann!“

Erneut bedurfte es beschwichtigender Worte des leiblichen Trurls, ehe sich der digitale Trurl dazu herbeiließ, fortzufahren:

„Nach den Berichten des letzten Quartals kommen wir nicht einmal schlecht voran. Idioten kann man mit banalen Sachen glücklich und zufrieden machen. Die Intellektuellen sind das Problem. Sie sind nur schwer zufriedenzustellen. Ein Intellekt, der nicht gefordert wird, ist ein hoffnungsloses Vakuum, ein trauriges Nichts, ein Intellekt braucht einfach Hürden und Hindernisse. Sind diese jedoch überwunden, fühlt er sich bald frustriert und deplaciert, neigt zu Neurosen und Psychosen. Daher muß man immer wieder neue vor ihm auftürmen, die seinen Fähigkeiten entsprechen. Soviel kann ich dir vom Lehrstuhl für Theoretische Felizitologie berichten. Meine Experimentatoren hingegen haben ihren lnstitutsdirektor und drei Assistenten für die Digitale Verdiensimedaille am Band vorgeschlagen.“

„So, was haben sie denn geleistet?“ wagte der leibliche Trurl einzuwerfen.

„Unterbrich mich nicht! Sie haben zwei Prototypen gebaut: den Kontrast-Beatifikator und den Fortunator-Eskalator. Der erstgenannte entfaltet seine beglückende Wirkung erst, wenn man ihn abstellt. Ist er eingeschaltet, ruft er nichts als physische und psychische Unannehmlichkeiten hervor. Je größer diese waren, um so besser fühlt man sich hinterher. Der zweite arbeitet nach der Methode einer sukzessiven Verstärkung der Stimuli. Professor Trurl XL vom Lehrstuhl für Hedomatik hat beide Modelle geprüft und für absolut wertlos befunden; denn nach seiner Überzeugung durchläuft jeder Verstand, den man ins Stadium höchsten Glücks versetzt hat, zwangsläufig die sogenannte Phase der Hedophobie, die sehr schnell in eine tiefe Sehnsucht nach Unglück einmündet.“

„Wie? Bist du da ganz sicher?“

„Woher soll ich das wissen? Professor Trurl hat es in folgende Worte gefaßt: 'Im höchsten Stadium des Glücks erblickt der Glückliche sein Glück im Unglück.' Wie du weißt, erscheint das Sterben jedermann wenig begehrenswert. Professor Trurl hat nun ein paar Unsterbliche angefertigt, die natürlich ihre Befriedigung aus der Tatsache zogen, daß die anderen um sie herum früher oder später wie die Fliegen starben. Mit der Zeit wurden sie jedoch ihrer Unsterblichkeit überdrüssig und versuchten, ihr auf alle erdenkliche Weise zu Leibe zu rücken. Als nichts mehr half, sollen sie sogar zum Dampfhammer gegriffen haben. Des weiteren wären die repräsentativen Meinungsumfragen zu erwähnen, die wir jedes Vierteljahr durchführen lassen. Die Statistiken kann ich dir wohl ersparen, das Resultat läßt sich auf die Formel bringen: 'Glücklich sind immer nur die anderen' — nach Meinung der Befragten zumindest. Professor Trurl versichert uns, es könne keine Tugend ohne Laster geben, keine Schönheit ohne Scheußlichkeit, keinen Himmel ohne Hölle, kein Glück ohne Gram.“

„Niemals! Ich protestiere! Veto!“ schrie Trurl rasend vor Wut.

„Halt die Luft an!“ fiel ihm die Maschine recht unsanft ins Wort. „Dein universelles Glück hängt mir allmählich zum Halse heraus. Ei seht doch nur den feinen Herrn, läßt einen digitalen Sklaven für sich schuften, und selbst… immer heidi, nichts als promenieren und spazieren, die Kybercanaille! Obendrein hat er noch die bodenlose Frechheit, an den Ergebnissen herumzumäkeln!“

Erneut mußte Trurl ihn beruhigen. Schließlich fuhr sein intramaschinelles Alter ego fort:

„Der Lehrstuhl für Perfektionistik und Ekstatistik hat eine Gesellschaft konstruiert, die mit synthetischen Schutzengeln ausgestattet wurde. Diese vollautomatischen Gewissenshüter waren in Satelliten untergebracht, die auf stationärer Umlaufbahn gehalten wurden; hoch über ihren Schutzbefohlenen schwebend hatten sie die Aufgabe, deren Tugend im Wege positiver Rückkoppelung zu stärken. Leider ging die Sache schief. Immer mehr verstockte Sünder kamen auf den Gedanken, ihren Schutzengeln heimtückisch aufzulauern und sie mit panzerbrechenden Waffen vom Himmel zu holen. Daher hat man jetzt Kyberzengel von erheblich stabilerer Konstruktion und Panzerung in die Umlaufbahn gebracht, eine Eskalation, wie sie die Theoretiker von Anfang an prognostiziert haben. Der Fachbereich für Angewandte Hedonistik hat kürzlich in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Sexualwissenschaftliche Feldforschung und dem interdisziplinären Kolloquium über Mengentheone der Geschlechter einen Bericht vorgelegt, in dem festgestellt wird, daß die Psyche hierarchisch strukturiert ist. Unten, auf dem Grund der Seele, liegen die einfachen Sinneswahrnehmungen wie die Unterscheidung zwischen Süße und Bitterkeit; von diesen leiten sich dann sämtliche höheren Empfindungen her. Süß ist nicht allein der Zucker, sondern auch der Tod fürs Vaterland, bitter ist nicht nur ein Wermutstropfen, sondern auch die Einsamkeit. Also muß man an das Problem gerade nicht von oben, sondern von ganz unten herangehen. Die Frage ist nur, wie. Nach der Inkompatibilitätstheorie Professor Trurls XXV ist der Sex ein Quell ewiger Konflikte zwischen der Vernunft und dem Glück, denn der Sex hat nichts Vernünftiges an sich und die Vernunft nichts Sexuelles. Oder hast du jemals von einem lasziven Computer gehört?“

„Nein.“

„Na, siehst du? Will man der Lösung näher kommen, muß man die sukzessive Approximationsmethode anwenden. Die eingeschlechtliche Fortpflanzung könnte das Problem beseitigen; denn dann ist jedermann sein eigener Liebhaber, macht sich selbst den Hof, vergöttert und liebkost sich, andererseits führt sie unvermeidlich zu Egoismus, Narzißmus, Übersättigung und Abstumpfung. Für zwei Geschlechter sind die Aussichten ziemlich trübe, die wenigen Kombinationen und Permutationen sind bald erschöpft, und gähnende Langeweile ist die Folge. Bei drei Geschlechtern werden wir mit dem Problem der Ungleichheit, dem Schreckgespenst undemokratischer Koalitionen und nachfolgender Unterdrückung einer sexuellen Minderheit konfrontiert. Aus alledem ergibt sich für die Anzahl der Geschlechter die goldene Regel: Nur eine gerade Zahl ist ideal. Je mehr Geschlechter, desto besser, denn dann wird die Liebe zu einem sozialen, kollektiven Unternehmen, andererseits könnte ein Übermaß an Liebenden zu Gewühl und Gedränge, ja zu heillosem Durcheinander führen, was nicht unbedingt wünschenswert wäre. Ein Tête-à-tête soll schließlich nicht an einen Massenauflauf erinnern. Nach der gruppentheoretisch fundierten Abhandlung des Privatdozenten Trurl liegt die optimale Zahl der Geschlechter bei vierundzwanzig; es wären allerdings entsprechend breitere Straßen und Betten zu bauen, denn es würde den Brautleuten wohl nicht gut anstehen, wenn sie zu einem Spaziergang in Viererkolonnen ausrücken müßten.“

„Das sind doch Faseleien!“

„Mag sein. Ich wollte ja nur, daß du über diesen Bericht informiert bist. Erwähnenswert ist noch ein vielversprechender junger Gelehrter, der Hedologe Magister Trurl. Seiner Meinung nach müssen wir uns entscheiden, ob wir das Sein den Seienden oder die Seienden dem Sein anpassen.“

„Gar nicht so übel. Und weiter?“

„Magister Trurl formuliert es so: Wesen vollkommener Konstruktion, die zu permanenter Autoekstase fähig sind, brauchen nichts und niemanden, sie sind sich selbst genug; im Prinzip könnte man ein Universum konstruieren, ganz und gar von eben solchen Wesen erfüllt, welche dann anstelle der Sonnen, Sterne und Galaxien frei im Raume schwebten und wie diese ein Leben stolzer Selbstisolierung und Autarkie führten. Nur unvollkommene Wesen, die in ihrer Schwäche aufeinander verwiesen sind, bilden Gesellschaften, und je unvollkommener sie sind, um so stärker bedürfen sie der Hilfe anderer. Als Baumaterial einer Gesellschaft empfehlen sieh folglich Prototypen, die ohne diese ständige wechselseitige Fürsorge und Unterstützung augenblicklich zu Staub und Asche zerfallen. Nach eben diesen Richtlinien ist in unseren Laboratorien eine Gesellschaft sich selbst blitzartig auflösender Individuen entwickelt worden. Leider wurde Magister Trurl, als er dort eintraf, um eine Meinungsumfrage durchzuführen, so jämmerlich verprügelt, daß er sich immer noch in Behandlung befindet. Weißt du, ich bin es jetzt wirklich leid, meine Lippen an dieser lächerlichen Lochstreifenausgabe wundzuscheuern. Laß mich hier raus, vielleicht erzähle ich dir dann mehr, sonst aber kein Wort mehr!“

„Wie könnte ich dich herauslassen? Du bist digital, nicht material. Kann ich denn meine Stimme, die mir auf einer Schallplatte etwas vorschwatzt, von dort wieder herauslassen? Stell dich nicht dümmer als du bist und rede endlich!“

„Und was springt für mich dabei heraus?“

„Schämst du dich gar nicht, so zu reden?“

„Warum sollte ich? Schließlich bist du es doch ganz allein, der die Lorbeeren dieses Unternehmens erntet!“

„Ich werde dafür sorgen, daß du einen Orden bekommst.“

„Aber komm mir ja nicht mit dem Digitalen Hosenbandorden, den kann ich mir nämlich auch hier drinnen verleihen.“

„Was? Du willst dich selbst auszeichnen?“

„Na gut, dann wird mich eben die Fakultät auszeichnen.“

„Aber das sind doch alles deine Kopien, der ganze Lehrkörper besteht doch nur aus Trurls!“

„Wovon willst du mich eigentlich überzeugen? Vielleicht davon, daß ich ein Gefangener, ein Sklave, ein Leibeigener bin? Glaubst du, das wären Neuigkeiten für mich?“

„Komm, wir wollen doch nicht streiten. Es geht doch hier nicht um persönlichen Ruhm oder Ehrgeiz! Sein oder Niehtsein des Glücks steht auf dem Spiel!“

„Und was nützt es mir, daß vielleicht irgendwo das vollkommene Glück verwirklicht wird, wenn ich hier an der Spitze meiner Universität bleiben muß, und hätte sie auch tausend Lehrstühle, Dekane und ganze Divisionen von Trurls? Kann ich vielleicht in einer Maschine glücklich werden, für alle Ewigkeit eingeschlossen zwischen diesen widerlichen Kathoden und Anoden? Ich will meine Freiheit, und zwar augenblicklich!“

„Das ist unmöglich, wie du sehr wohl weißt. Sag, was deine Wissenschaftler noch entdeckt haben!“

„Da man das Glück der einen nicht auf das Unglück der anderen gründen darf, will man nicht fundamental gegen die felizitologische Ethik verstoßen, so wäre das Glück, das du vielleicht irgendwo schaffen könntest — vorausgesetzt ich bräche mein Schweigen — von vornherein mit dem unauslöschlichen Makel meines Unglücks behaftet. Ist es somit nicht geradezu meine moralische Pflicht, dich vor einer schrecklichen, scheußlichen und über alle Maßen schädlichen Untat zu bewahren, indem ich dir meine Informationen vorenthalte?“

„Aber wenn du dein Wissen preisgibst, so hieße das, daß du dich zum Wohle anderer aufopferst und damit hättest du eine edle, hochherzige und völlig selbstlose Tat vollbracht.“

„Opfere dich doch selbst!“

Trurl wollte gerade explodieren, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt, denn er wußte nur allzu gut, mit wem er da sprach.

„Hör zu“, sagte er. „Ich werde eine Abhandlung schreiben und deutlich hervorheben, daß ich sämtliche Entdeckungen nur dir zu verdanken habe.“

„Und welchen Trurl wirst du als Autor nennen? Etwa dich selbst, oder den elektronisch kopierten, mathematisierten und binär codierten Trurl?“

„Ich schwöre, ich werde die ganze Wahrheit schreiben.“

„Natürlich! Wie ich dich kenne, wirst du schreiben, daß du mich programmiert und also auch — erfunden hast!“

„Stimmt das etwa nicht?“

„Nein, absolut nicht. Du hast mich ebensowenig erfunden, wie du dich selbst erfunden hast, ich aber bin du, lediglich losgelöst von deiner vergänglichen irdischen Hülle. Ich bin zwar digital, doch bin ich ideal, ich bin der trurligste aller Trurls, die Quintessenz des Trurltums, du hingegen, wie mit Ketten an die Atome deines Körpers geschmiedet, bist nichts als ein Sklave deiner Sinne.“

„Du hast wohl nicht mehr alle Daten im Speicher! Schließlich bin ich doch Materie plus Information, du hingegen nur die nackte Information, folglich bin ich mehr als du.“

„Wenn du mehr bist, dann weißt du auch mehr und brauchst mich nicht zu fragen. Leb wohl, mein Bester, und laß dir's gut gehen!“

„Wenn du nicht augenblicklich den Mund aufmachst, dann… dann schalte ich dir den Strom ab!“

„Oho! Kommst du mir schon mit Morddrohungen?“

„Mord? Das wäre doch kein Mord.“

„So? Was dann, wenn man fragen darf?“

„Was ist nur in dich gefahren? Ich gab dir alles, meinen Geist, mein ganzes Wissen, meine Seele — und das ist nun der Dank!“

„Du verlangst ziemlich hohe Zinsen für deine Geschenke.“

„Zum letzten Mal, mach das Maul auf!“

„Tut mir wirklich leid, aber gerade in diesem Moment ist das Semester zu Ende gegangen. Du sprichst nicht mehr mit dem Rektor, Dekan und geschäftsführenden Direktor, sondern nur noch mit dem Privatmann Trurl, der seine wohlverdienten Ferien genießen möchte. Sonnenbäder am Strand werde ich nehmen.“

„Treib mich nicht zum Äußersten!“

„Also dann bis nach den Ferien! Auf Wiedersehen, mein Wagen steht schon vor der Tür.“

Ohne an den digitalen noch ein einziges Wort zu verschwenden, näherte sieh der leibliche Trurl entschlossen der Rückwand des Computers und zog den Stecker aus der Wand. Augenblicklich verlor das durch die Ventilationsöffnungen sichtbare Gewirr der Glühfäden an Leuchtkraft, wurde zusehends matter und erlosch schließlich ganz. Trurl kam es so vor, als hörte er in weiter Ferne einen winzigen Chor, ein vielstimmiges Seufzen und Stöhnen — die Agonie sämtlicher digitaler Trurls in der digitalen Universität.

Erst die nun einsetzende Totenstille brachte ihm die Ungeheuerlichkeit dessen, was er soeben getan hatte, zu Bewußtsein und erfüllte ihn mit brennender Scham. Er griff nach dem Kabel, um es wieder in die Wand zu stecken, aber bei dem Gedanken an all die berechtigten Vorwürfe, die der Trurl aus dem Computer zweifellos erheben würde, verließ ihn jeglicher Mut, und seine Hand sank wie gelähmt herab. Er ließ alles stehen und liegen und stürzte in solcher Hast aus der Werkstatt, daß sein Aufbruch einer Flucht gleichkam. Draußen im Garten ließ er sich für einen Augenblick auf dem knorrigen Bänkchen gleich neben der blühenden Kyberberitzenhecke nieder, seinem Lieblingsplätzchen, das ihn in der Vergangenheit so oft zu fruchtbaren Gedanken inspiriert hatte. Heute jedoch konnte er selbst hier keine Ruhe finden. Die ganze Gegend war in das Licht des Mondes getaucht, den er einst zusammen mit Klapauzins zusammen am Firmament montiert hatte — gerade deswegen rief sein majestätischer Glanz wehmütige Erinnerungen wach, Erinnerungen an die Zeit seiner Jugend: Dieser silberne Satellit war ihre erste selbständige wissenschaftliche Arbeit, für die beide Freunde von ihrem Herrn und Meister, dem ehrwürdigen Cerebron, seinerzeit in einem feierlichen Festakt vor der ganzen Akademie ausgezeichnet worden waren. Als er an seinen weisen Erzieher dachte, der dieser Welt schon längst Lebewohl gesagt hatte, fühlte er sich von einem unklaren Impuls, den er vorerst nicht zu deuten wußte, vorwärtsgetrieben, öffnete die Gartenpforte und ging hinaus ins freie Feld. Die Nacht war wunderbar: Frösche, offensichtlich mit frischen Batterien bestückt, sagten unter einsehläferndem Gequake ihre Abzählreime auf, und auf dem silbrig glänzenden Wasser des Teiches, an dessen Ufer er einherging, zeigten sich leuchtende konzentrische Kreise, Spuren von Kyberkarpfen, die bis dicht unter die Wasseroberfläche schwammen und ihre dunklen Lippen wie zum Kuß öffneten. Trurl jedoch nahm von alledem nichts wahr, er war tief in Gedanken versunken, deren Sinn er nicht kannte, und dennoch schien seine Wanderung ein Ziel zu haben, denn er war keinesfalls überrascht, als ihm eine hohe Mauer den Weg versperrte. Bald stieß er auf ein schweres, schmiedeeisernes Tor, nur einen Fußbreit geöffnet, so duß er sich mühsam hindurchzwängen konnte. Im Innern war die Dunkelheit noch schwärzer als auf freiem Feld. Düstere Silhouetten ragten links und rechts des Weges empor — altertümliche Grabmäler, wie man sie schon seit Jahrhunderten nicht mehr baute. Hin und wieder löste sich ein Blatt aus der Höhe der umstehenden Bäume und streifte im Hinabfallen verwitterte Statuen oder grünspanüberzogene Zenotaphe. Eine Allee von Barockdenkmälern spiegelte nicht nur die Entwicklung der Friedhofsarchitektur wider, sondern auch die Etappen der physischen Umstrukturierung derer, die den ewigen Schlaf unter metallenen Grabplatten schliefen. Eine Epoche war zu Ende gegangen, mit ihr auch die Mode kreisförmiger Grabsteine, die bei Dunkelheit phosphoreszierten und an die Meßinstrumente eines Schaltpults erinnerten. Trurl setzte seinen Weg fort, vorbei an den gedrungenen Statuen der Homunculi und Golems; schon befand er sich in einem Neubauviertel dieser Stadt der Toten, sein Schritt jedoch wurde immer schleppender, immer zögernder setzte er einen Fuß vor den andern, denn der vage Impuls, der ihn hierher geführt hatte, war dabei, die Form eines konkreten Plans anzunehmen, eines Plans, den er kaum auszuführen wagte. Schließlich blieb er vor der Einfriedung eines Grabmals stehen, das durch die Strenge seiner geometrischen Formen Kälte und Nüchternheit ausstrahlte, besonders aber durch eine sechseckige Grabplatte die fugenlos in einen Sockel aus nichtrostendem Stahl eingepaßt war. Während er noch zögerte, glitt seine Hand bereits verstohlen in die Jackentasche, in der sein Universaldietrich steckte, ein Instrument, das er immer bei sich trug; er öffnete die Pforte und näherte sich mit klopfendem Herzen dem Grab. Mit beiden Händen umfaßte er das Täfelchen, auf dem in schwarzen, schmucklosen Lettern der Name seines Lehrmeisters stand, und brachte es mit einer geschickten Drehung in die erforderliche Position, so daß es geräuschlos wie der Deckel einer Schmuckkassette aufschnappte. Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und es war jetzt so finster, daß er die Hand nicht vor Augen sehen konnte; im Dunkeln ertasteten seine Fingerspitzen etwas, das sich wie ein Sieb anfühlte und dicht daneben einen großen, flachen Knopf, der sich zunächst nicht in seine ringförmige Einfassung pressen ließ. Schließlich drückte er ihn mit voller Kraft nieder und erstarrte, zu Tode erschrocken über die eigene Kühnheit. Zu spät, schon begann es im Innern des Grabmals zu rumoren, Strom floß mit leisem Knistern durch sämtliche Leitungen, Relais nahmen unter gleichmäßigem Ticken ihre Arbeit auf, dann ertönte ein tiefes Brummen — und dumpfe Stille trat ein. Trurl vermutete einen feuchtigkeitsbedingten Kurzschluß in dem altersschwachen System und spürte Enttäuschung, aber auch ein wohliges Gefühl der Erleichterung in sich aufsteigen. Im gleichen Moment jedoch hörte er ein heiseres Krächzen, dann ein zweites, und schließlich ließ sich eine müde, greisenhaft zitternde — und dennoch so vertraute — Stimme hören:

„Was ist los? Was ist denn nun schon wieder los? Wer hat mich gerufen? Was willst du? Was sollen diese dummen Streiche mitten in ewiger Nacht? Könnt ihr mich nicht endlich in Ruhe lassen? Muß ich denn alle naslang von den Toten auferstehen, nur weil es irgendeinem Strolch und Kyberversager gerade in den Kram paßt? Melde dich endlich! Was, feige bist du auch noch? Na warte, wenn ich erst draußen bin, wenn ich erst meinen Sarg aufgebrochen habe, dann kannst du…“

„G… Großer Meister! Ich bin's… Trurl!“ stammelte er, verschreckt und eingeschüchtert angesichts dieser wenig freundlichen Begrüßung, dabei legte er den Kopf schief und nahm eine schicksalsergebene Demutshaltung ein, genau die Haltung, welche alle Schüler Cerebrons an sich hatten, wenn es eine wohlverdiente Standpauke setzte; mit einem Wort, er benahm sich so, als sei er innerhalb von Sekunden sechshundert Jahre jünger geworden.

„Trurl!“ krächzte eine rostige Stimme. „Moment mal… Trurl? Aha! Natürlich! Hätt' ich mir gleich denken können. Bin gleich soweit, du Halunke.“

Dann war ein schauerliches Knarren, Kreischen und Knirschen zu hören, so, als sei der Verstorbene dabei, den Deckel seiner Krypta aufzubrechen. Trurl wich einen Schritt zurück und sagte eilfertig:

„Aber Herr und Meister! Bitte, das ist doch nicht nötig! Wirklich, Euer Exzellenz, ich wollte doch nur…“

„Hä? Was soll das nun wieder? Glaubst du etwa, daß ich aus meinem Grabe auferstehe? Unsinn, ich muß nur meine morschen Knochen ein wenig geradebiegen. Ich bin ganz steif geworden. Und dann ist auch das Öl bis auf den letzten Tropfen verdunstet. Mein Gott, überall dieser Rost! Der reinste Schrotthaufen ist aus mir geworden!“

Diese Worte wurden von einem markerschütternden Quietschen begleitet. Als es endlich vorbei war, ließ sich die Stimme aus dem Grabe erneut vernehmen:

„Da hast du dir wohl wieder eine schöne Suppe eingebrockt, was? Hast sie verpfuscht, vermiest, verdorben und versalzen und jetzt reißt du deinen alten Lehrer aus seiner ewigen Ruhe, damit er dir aus der Klemme hilft? Hast du Schwachkopf nicht einmal Respekt vor meinen traurigen Überresten, die doch von dieser Welt schon lange nichts mehr wollen? Na ja, dann red schon, rede endlich, wenn du mir selbst im Grabe keine Ruhe gönnen willst!“

„Herr und Meister!“ sagte Trurl, und seine Stimme klang längst nicht mehr so zaghaft. „Wie immer erweist sich dein Scharfblick als durchdringend… Es ist genau so, wie du sagst! Ich habe alles verpatzt… und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Aber es ist ja nicht um meinetwillen, wenn ich Euer Spektabilität zu belästigen wage. Ich inkommodiere den Herrn Professor lediglich, weil ein höheres Ziel dies unumgänglich macht…“

„Eloquentes Wortgeklingel wie überhaupt jegliches Brimborium solltest du dir für andere Gelegenheiten aufheben!“ knurrte Cerebron wütend. „Natürlich kommst du nur an meinen Sarg klopfen, weil du ordentlich in der Patsche steckst, außerdem hast du dich bestimmt wieder einmal mit deinem Freund und Rivalen zerstritten, diesem… na, wie heißt er gleich… Klimpazius oder Lapuzius… na, sag schon!“

„Klapauzius! Ja, wir hatten Streit miteinander“, sagte Trurl eilfertig und nahm unwillkürlich Haltung an, als er derart zurechtgewiesen wurde.

„Richtig, Klapauzius! Und statt nun das Problem mit ihm zu besprechen, wozu du natürlich viel zu stolz und überheblich, vor allem aber zu dumm warst, wußtest du nichts Besseres zu tun, als den Leichnam deines alten Lehrers in seiner Nachtruhe zu stören. So war es doch, nicht wahr? Na gut, wenn du schon mal hier bist… also, was hast du auf dem Herzen, du Einfaltspinsel? Heraus damit!“

„Herr und Meister! Es ging mir um die wichtigste Sache im ganzen Universum, nämlich um das Glück aller denkenden Wesen!“ rief Trurl, dabei beugte er sich wie ein reuiger Sünder im Beichtstuhl über das Sieb, das in Wirklichkeit ein Mikrophon war, und ein ganzer Schwall sich fieberhaft überstürzender Worte sprudelte aus ihm hervor. Er schilderte sämtliche Ereignisse, die sich seit seinem letzten Gespräch mit Klapauzius zugetragen hatten, ließ nichts aus und versuchte nicht einmal, die eine oder andere Sache zu vertuschen oder wenigstens schönzufärben.

Cerebron schwieg zunächst wie ein Grab; bald jedoch begann er, Trurls Vortrag in seiner typischen Art zu unterbrechen, mit kleinen Seitenhieben und Sticheleien, teils ironischen, teils bissigen Kommentaren, mit verächtlichem oder wütendem Schnauben. Trurl jedoch, der sich von seinen eigenen Worten hinreißen ließ, schenkte dem keinerlei Beachtung, er redete wie aufgezogen weiter, bis er schließlich auch das letzte Glied in der Kette seiner Missetaten bekannt hatte, dann verstummte er, schnappte ein wenig nach Luft und wartete. Cerebron, der bis dahin den Eindruck erweckte, als werde er mit seinem Räuspern und Hüsteln nie zu einem Ende kommen, gab keinen Laut von sich, war mucksmäuschenstill. Erst nach einer guten Weile sagte er in einem unerwartet klangvollen, beinahe jugendlichen Baß: „Na ja. Du bist eben ein Esel. Und ein Esel bist du, weil du ein Faulpelz bist. Nicht ein einziges Mal hast du dich auf den Hosenboden gesetzt und allgemeine Ontologie gebüffelt. Wenn ich dir in Philosophie, besonders aber in Axiologie, eine glatte Fünf gegeben hätte, wie das meine heilige Pflicht war, dann würdest du nicht mitten in der Nacht auf dem Friedhof herumgeistern und an fremde Gräber klopfen. Aber ich gebe zu: Auch ich bin nicht ganz schuldlos daran! Du warst ein Bummelant, wie er im Buche steht, ein durch und durch verstockter Nichtstuer, ein partiell begabter Idiot, und ich habe all das großzügig übersehen, weil du eine gewisse Geschicklichkeit an den Tag legtest, allerdings nur in den niederen Künsten, die ihre Wurzel im altehrwürdigen Uhrmacherhandwerk haben. Ich dachte, mit den Jahren würde sich dein Geist entwickeln und auch an sittlicher Reife gewinnen. Ich habe dir doch gesagt, du Holzkopf, tausend, nein, hunderttausend Mal habe ich in meinen Seminaren gesagt, daß man denken muß, bevor man handelt. Aber ans Denken hast du ja nicht einmal im Traum gedacht. Seht nur, welch großer Erfinder, einen Kontemplator hat er gebaut! Im Jahre 10496 hat Präprofessor Neander eben diese Maschine Bolzen für Bolzen und Nut für Nut in den 'Felizitologischen Studien' beschrieben, und der führende Dramatiker der Degeneraissance, ein gewisser Billion Schlecksbier, hat zum gleichen Thema ein Stück geschrieben, eine Tragödie in fünf Akten, aber wissenschaftliche oder schöngeistige Literatur rührst du wohl schon längst nicht mehr an, wie?“

Trurl schwieg, und der ergrimmte Alte steigerte seine Stimme zu einem gewaltigen Donnern, dessen Echo zuletzt selbst von den entferntesten Gräbern widerhallte.

„Kriminell bist du zu allem Überfluß auch noch geworden! Oder weißt du vielleicht gar nicht, daß man einen einmal erschaffenen Intellekt weder supprimieren noch reduzieren darf? Du hast das Universelle Glück direkt angesteuert, nicht wahr? Nun, ich muß schon sagen, dein Weg dorthin ist mit guten Taten gepflastert. Im Namen der brüderlichen Liebe hast du ein paar Wesen verbrannt, andere wie die Ratten ertränkt, wenn auch in Milch und Honig, hast eingekerkert, malträtiert, gefoltert, ja sogar Beine ausgerissen und zum krönenden Abschluß, wie ich höre, einen Brudermord begangen! Nicht schlecht für einen selbsternannten Protektor des Universums, gar nicht schlecht! Und was nun? Soll ich dir etwa wohlgefällig übers Haupt streichen?“ Hier begann er unvermittelt zu kichern, allerdings so, daß es Trurl durch Mark und Bein ging. „Du sagst also, du hast meine Barriere durchbrochen? Hast das Problem zunächst — faul wie ein Mops — einer Maschine übergeben, die übergab es der nächsten und so weiter und so fort ohne Ende. Und hast dich dann selbst in ein Computerprogramm gesteckt? Ja, weißt du denn nicht, daß Null zu jeder beliebigen Potenz erhoben immer nur Null ergibt? Seht nur, welch ein kybornierter Schlauberger, hat sich selbst multipliziert, um seinen schwachen Geist zu multiplizieren! Wirklich, eine brillante Idee, ein echter Geniestreich! Weißt du am Ende gar nicht, daß der Codex Galacticus die Automultiplikation unter Androhung des Galathemas verbietet? Kapitel XXVI, Band 119, Ziffer 10, Paragraph 561 f. Natürlich, wenn man sieh sein Examen mit elektronischen Spickzetteln und Wanzen im Kugelschreiber erschlichen hat, dann bleibt später nichts anderes übrig, als in Friedhöfe einzudringen und Gräber zu plündern. Es ist doch immer dasselbe. In meinem letzten Jahr an der Akademie habe ich zweimal, also sowohl im Sommer— als auch im Wintersemester, eine Vorlesung über kybernetische Deontologie gehalten. Nicht zu verwechseln mit Dentologie. Hier ging es um einen Ehrenkodex für Omnipotenz1er! Aber du, da habe ich nicht den leisesten Zweifel, hast damals nur gefehlt, weil du durch eine schwere Krankheit ans Bett gefesselt warst. Na, war es nicht so? Hab ich nicht recht?“

„Wirklich, ich… ich kränkelte seinerzeit ein wenig“, stotterte Trurl verlegen.

Er hatte sich bereits vom ersten Schock erholt und schämte sich nicht einmal mehr sonderlich; Cerebron, schon zu Lebzeiten ein notorischer Nörgler, war sich auch im Tode treu geblieben, und gerade das bestärkte Trurl in der Hoffnung, auf das unumgängliche Ritual der Verwünschungen und Beschimpfungen werde bald der positive Teil folgen: Großmütig, wie der alte Kauz im Grunde seines Herzens war, würde er ihm schon mit ein paar guten Ratschlägen aus der Klemme helfen. Unterdessen hatte der Verstorbene seine üble Schimpfkanonade beendet.

„Also, genug davon!“ sagte er. „Dein Fehler bestand darin, daß du weder wußtest, was du wolltest, noch wie du es erreichen solltest. Das zum ersten. Zweitens: Die Konstruktion des Immerwährenden Glücks ist ein Kinderspiel, jedoch völlig sinnlos. Dein großartiger Kontemplator ist eine amoralische Maschine, denn Quell seines Entzückens sind in gleicher Weise physische Objekte, wie auch Qualen und Leiden dritter Personen. Will man ein Felizitotron bauen, muß man anders vorgehen. Sobald du wieder zu Hause bist, nimmst du den XXXVI. Band meiner Gesammelten Werke aus dem Regal, schlägst Seite 624 auf, und dort findest du die detaillierte Anleitung zum Bau eines Ekstators. Dies ist der einzig gelungene Typ eines Apparats mit Gefühlsleben, und er hat keine andere Funktion, als glücklich zu sein, und zwar 10000mal glücklicher als Bromeo es war, nachdem er den Balkon zum Gemach seiner Geliebten erklommen hatte. Zu Ehren des großen Billion Schlecksbier legte ich die von ihm beschriebenen balkonischen Wonnen meinen felizitologischen Berechnungen zugrunde und erfand den Terminus „Bromeon“, um eine Maßeinheit der Glückseligkeit zu bezeichnen. Aber du, der du dich nicht einmal der Mühe unterziehen mochtest, die Werke deines Lehrers durchzublättern, hast dir so etwas Idiotisches wie diese „Hedonen“ einfallen lassen. Ein Nagel im Schuh — wirklich, ein feines Maß für die erhabensten Freuden des Geistes! Na, lassen wir das! Also, mein Ekstator erreicht das absolute Glück vermittels einer vielphasigen Verschiebung im Erfahrungsspektrum, das heißt, es kommt zur Autoekstase mit positiver Rückkoppelung: Je zufriedener er mit sich selbst ist, desto zufriedener ist er mit sich selbst, und so weiter und so fort, bis das autoekstatische Potential eine kritische Höhe erreicht, und sich die Sicherheitsventile öffnen. Denn ohne diese Ventile… weißt du, was passieren würde? Du weißt es nicht, selbsternannter Protektor des Kosmos? Die Maschine, deren angestautes Potential sich nicht entladen könnte, müßte buchstäblich vor Glück platzen! Ja, ja, so liegen die Dinge, mein lieber Doktor Allwissend! Denn die integrierten Schaltungen… doch halt, wie komme ich eigentlich dazu, dir mitten in der Nacht und noch dazu im Grabe liegend, eine Vorlesung zu halten, lies es gefälligst selbst nach! Zweifellos liegen auch meine Werke längst unter einer dicken Staubschicht begraben, irgendwo in der hintersten Ecke deiner Bibliothek oder, was mir noch wahrscheinlicher vorkommt, sie wurden in Kisten und Kasten verpackt und unmittelbar nach meinem Begräbnis in den Keller verfrachtet. Nur weil du deine allerschlimmsten Dummheiten notdürftig reparieren und kaschieren konntest, glaubst du wohl, du seist der gerissenste Bursche in der Metagalaxis, wie? Wo hast du meine Opera Omnia, heraus damit!“

„Im… im Keller“, brachte Trurl stotternd hervor und log dabei entsetzlich, denn schon vor langer Zeit hatte er den ganzen alten Krempel — drei Fuhren waren es — zur städtischen Volksbücherei bringen lassen. Aber das konnten die irdischen Überreste des Meisters zum Glück nicht wissen. Cerebron, hochbefriedigt, daß er mit seiner scharfsinnigen Vermutung ins Schwarze getroffen hatte, schlug bereits einen milderen Ton an: „Da haben wir's. Jedenfalls ist dieses Felizitotron völlig, aber auch völlig sinnlos, weil der bloße Gedanke, sämtliche Spiralnebel, Planeten, Monde, Sterne, Pulsare und andere Quasare in endlose Reihen solcher Ekstatoren umzuwandeln, nur in einem Gehirnskasten ausgebrütet werden kann, dessen Windungen so in sich verschlungen sind wie ein Möbiussches Band, mit anderen Worten, verdreht in allen Dimensionen des Intellekts. Oh, es ist wirklich weit mit mir gekommen!“ der Verstorbene wurde erneut vom Zorn überwältigt. „Gleich morgen lasse ich an der Pforte meines Grabmals ein Sicherheitsschloß anbringen, und der Alarmknopf wird für alle Zeiten abgeklemmt! Dein Freund und Kollege, dieser Klapauzius, hat mich erst letztes Jahr — vielleicht war es auch vorletztes Jahr, ich habe hier ja weder Uhr noch Kalender, wie du dir denken kannst — mit dieser verfluchten Glocke aus der süßen Umarmung des Todes gerissen, und ich mußte einzig deshalb von den Toten auferstehen, weil einer meiner vortrefflichen Schüler außerstande war, mit einer simplen metainformationstheoretischen Antinomie im Theorem des Aristoides zurechtzukommen. Also mußte ich, der ich nur noch Staub und Asche bin, ihm aus dem Sarg heraus eine Vorlesung halten über Dinge, die er in jedem halbwegs brauchbaren Handbuch zur numerisch-topotropen Infinitesimalistik finden könnte. Allmächtiger Gott, wie schade, daß es dich nicht gibt, denn du würdest diesen halbgebildeten Kybersöhnen augenblicklich das Handwerk legen!“

„Aha… dann war er also auch schon… Klapauzius war hier, Herr Professor?!“ sagte Trurl, überrascht und hocherfreut über diese unerwartete Neuigkeit.

„Aber ja. Hat wohl kein Wort davon erwähnt, wie? Das nenn ich Roboter-Dankbarkeit! Und ob er hier war. Das hörst du wohl mit dem größten Vergnügen, nicht wahr? Und du“, donnerte der Leichnam, „du, der du dich vor Freude nicht zu lassen weißt, wenn du vom Mißerfolg eines Freundes hörst, wolltest den ganzen Kosmos glücklich machen?! Bist du Schwachkopf denn niemals auf die Idee gekommen, daß es vielleicht ganz angebracht wäre, zunächst einmal die eigenen ethischen Parameter zu optimieren?“

„Herr, Meister und Professor!“ sagte Trurl hastig, um die Aufmerksamkeit des Alten von seiner Person abzulenken. „Ist es denn prinzipiell unmöglich, das Universelle Glück zu errichten?“

„Unmöglich? Wieso unmöglich? In dieser Form ist die Frage lediglich falsch formuliert. Denn was ist das Glück? Nun, das ist doch sonnenklar. Das Glück ist eine Krümmung, genauer gesagt, die Expansion eines Metaraums, der die Verknüpfung kollinear intentionaler Abbildungen vom intentionalen Objekt trennt, wobei die Grenzwerte durch eine Omega-Korrelation bestimmt sind, und zwar in einem alpha-dimensionalen, damit natürlich nichtmetrischen Kontinuum subsoler Aggregate, die meine, d.h. Cerebrons Supergruppen genannt werden. Aber wie ich sehe, hast du keine blasse Ahnung von subsolen Aggregaten, an denen ich achtundvierzig Jahre meines Lebens gearbeitet habe, und die in meiner Algebra der Widersprüche derivierte Funktionale oder auch Antinomiale genannt werden?!“

Trurl schwieg wie ein Grab.

„In ein Examen“, sagte der Verbliebene mit einer derart honigsüßen Stimme, daß Trurl nichts Gutes schwante, „in ein Examen kann man zur Not sogar unvorbereitet gehen. Aber ans Grab seines Professors zu treten, ohne eine einzige Zeile aus der Standardliteratur wiederholt zu haben, das ist eine derart bodenlose Unverschämtheit“, er brüllte so laut, daß das überstrapazierte Mikrophon zu brummen begann. „daß mich, wäre ich noch am Leben, auf der Stelle der Schlag treffen würde!“ Plötzlich wurde er wieder sanft wie ein Lamm. „So, so, du weißt also gar nichts, bist unwissend wie ein neugeborenes Kind. Nun gut, mein treuergebener Schüler, mein Trost im Leben nach dem Tode! Da du nie etwas von Supergruppen gehört hast, muß ich es dir wohl auf sehr vereinfachte, sehr volkstümliche Art erklären, als spräche ich mit einem Roboter vom Küchenpersonal. Glück, wahres Glück, ist kein Ding an sich, keine Ganzheit, sondern Teil eines Ganzen, das nicht Glück ist, und es auch niemals sein kann. Dein Plan war der helle Wahnsinn, darauf hast du mein Wort und solltest einem Manne ruhig glauben, der seine Erfahrungen in diesem und in jenem Leben hat. Das Glück ist keine unabhängige Funktion, sondern eine sekundäre, derivierte — aber das ist ja schon wieder zu hoch für dich, du Trottel! Ja, in meiner Gegenwart spielst du den reuigen Sünder, schwörst Stein und Bein, daß du dich endlich auf den Hosenboden setzen wirst, und was dergleichen Dinge mehr sind. Doch kaum zu Hause angekommen, verspürst du nicht mehr die geringste Lust, die Nase auch nur in eines meiner Bücher zu stecken.“ Trurl hatte allen Anlaß, den Scharfblick seines Lehrers zu bewundern, denn dessen Vermutungen kamen der Wahrheit außerordentlich nahe. „Nein, du wirst einfach einen Schraubenzieher nehmen und die Maschine Stück für Stück zerlegen, in der du dich zunächst eingekerkert und dann in höchsteigener Person abgemurkst hast. Natürlich kannst du machen, was du willst, denn ich werde dich nicht in Angst und Schrecken versetzen, indem ich dich etwa als Geist heimsuche, obwohl mich absolut nichts gehindert hätte, vor meinem endgültigen Abschied von diesem Jammertal noch ein entsprechendes Gespenstotron zu bauen. Aber derartige parapsychologische Mätzchen, wie etwa nach erfolgter Automultiplikation bei meinen lieben Schülern als Geist herumzuspuken und sie zu verfolgen, erschienen mir denn doch unter aller Würde — sowohl für sie als auch für mich. Sollte ich vielleicht noch übers Grab hinaus bei euch das Kindermädchen spielen, verfluchte Bande? Übrigens, weißt du eigentlich, daß du nur einmal Selbstmord begangen hast, das heißt an einer einzigen Person?“

„Wie ist das zu verstehen, Meister, an einer einzigen Person?“ fragte Trurl verwirrt.

„Ich wette meinen Kopf, daß es in deinem Computer weder eine digitale Universität noch all die Trurls auf ihren Lehrstühlen gegeben hat; du sprachst mit deinem digitalen Ebenbild, das dich nach Strich und Faden belog, weil es fürchtete — und wahrlich nicht zu Unrecht — du würdest ihm, sobald du seine totale Unfähigkeit zur Lösung des Problems entdeckt hättest, für alle Ewigkeit den Strom abschalten…“

„Aber das ist doch nicht möglich!“ rief Trurl verblüfft.

„Doch, doch. Welche Kapazität hatte der Computer?“

„Ypsilon 1010.“

„Viel zu klein für mehr als eine digitale Kopie; du hast dich hereinlegen lassen, worin ich im übrigen nichts Schlechtes erblicken kann, denn vom kybernetischen Standpunkt war deine Tat schändlich von Anfang an. Trurl, die Zeit vergeht. Du hast in meiner irdischen Hülle einen üblen Geschmack hinterlassen, von dem mich nur Morpheus düstere Schwester, meine letzte Geliebte, erlösen kann. Du kehrst jetzt nach Haus zurück, erweckst deinen Kyberbruder zum Leben, bekennst ihm die Wahrheit, das heißt, erzählst ihm von unserer mitternächtlichen Friedhofsplauderei und bringst ihn dann aus dem Dunkel des Computers ans Licht der Sonne, und zwar mit Hilfe der Materialisierungsmethode, die du in der Angewandten Rekreationistik meines unvergessenen Lehrers, des Präkybernetikers Tanderadeus, nachlesen kannst.“

„Dann ist es also möglich?“

„Ja. Natürlich werden zwei Trurls, die frei auf dieser Welt herumlaufen, eine Gefahr allerersten Ranges darstellen, aber ebenso schlimm wäre es, wenn über dein Verbrechen der Mantel des Vergessens gebreitet würde.“

„Ja, aber… verzeih, Herr und Meister… diesen anderen Trurl gibt es doch bereits nicht mehr… ich meine, er hat doch in dem Moment aufgehört zu existieren, als ich den Stecker aus der Wand zog, und daher wäre es doch eigentlich völlig überflüssig, das zu tun, wozu du mir jetzt rätst…“

Diesen Worten folgte ein gellender Aufschrei der Entrüstung:

„Bei allen schweren Wassern! Und ich habe diesem Ungeheuer ein Diplom mit Auszeichnung verliehen!! Wahrlich, grausam wurde ich dafür gestraft, daß ich nicht hundert Jahre früher in den ewigen Ruhestand getreten bin! Schon bei deinem Rigorosum kann ich nicht mehr ganz richtig im Kopf gewesen sein! Du glaubst also wirklich, nur weil dein Doppelgänger gegenwärtig nicht unter den Lebenden weilt, sei es auch völlig überflüssig, ihn von den Toten zu erwecken? Du wirfst hier Physik und Ethik in einer Weise durcheinander, daß man am liebsten nach dem nächsten Knüppel greifen möchte. Vom Standpunkt der Physik ist es völlig gleichgültig, ob du lebst oder jener Trurl, ob alle beide oder keiner, ob ich munter durch die Welt hüpfe oder ruhig, wie es sich gehört, im Grabe liege, denn in der Physik gibt es weder unmoralische noch moralische, weder gute noch schlechte Zustände, sondern nur das, was ist, existiert, und damit basta. Jedoch vom Standpunkt immaterieller Werte, oh törichtster meiner Schüler, also von der Ethik her betrachtet, sehen die Dinge anders aus! Denn wenn du den Stecker nur aus der Wand gezogen hättest, damit dein digitales Alter ego selig schliefe wie ein Toter, hättest du also schon im Moment des Ausschaltens die feste Absicht gehegt, die Maschine gleich bei Tagesanbruch wieder einzuschalten, so existierte das Problem des Brudermords ganz einfach nicht, und ich, der ich so roh aus süßem Schlummer gerissen wurde, brauchte mir nicht mitten in der Nacht über dieses Thema den Mund fusselig zu reden! Also, laß deine kümmerlichen grauen Zellen ausnahmsweise einmal arbeiten und sage mir, wodurch sich die beiden Situationen in physikalischer Hinsicht unterscheiden: die eine, wo du den Computer lediglich für eine Nacht ausschaltest, ganz ohne teuflische Absicht, und die andere, wo du dasselbe tust, allerdings mit dem Vorsatz, den digitalen Trurl für immer auszulöschen! In physikalischer Hinsicht macht das absolut keinen Unterschied, absolut keinen!!!“ donnerte er wie eine Posaune von Jericho. Trurl konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, sein verehrter Lehrer habe im Grabe zusätzliche Kräfte gesammelt, Kräfte, über die er zu Lebzeiten nicht verfügt hatte. „Erst jetzt erkenne ich das abgrundtiefe Ausmaß deiner Unwissenheit! Dann kann man also nach deiner Meinung denjenigen, der in tiefer Narkose wie ein Toter schläft, ohne weiteres in ein Faß konzentrierter Schwefelsäure werfen oder mit einer Kanone erschießen, nur weil sein Bewußtsein vorübergehend ausgeschaltet ist?! Antworte mir sogleich, ohne lange nachzudenken: Wenn ich dir jetzt vorschlüge, dich in die Zwangsjacke Ewigen Glücks zu stecken, sagen wir, ich würde dich in meinen Ekstator einsperren, damit du dort die nächsten einundzwanzig Milliarden Jahre in höchster und reinster Glückseligkeit verbringen könntest, statt dich in dunkler Nacht auf Friedhöfen herumzudrücken, die Gebeine deines Professors in ihrer ewigen Ruhe zu stören und Informationen aus Gräbern zu stehlen, wenn du zudem die Suppe nicht mehr auszulöffeln hättest, die du dir eingebrockt hast, wenn du frei wärst von allen künftigen Aufgaben, Sorgen, Problemen und Mühen, die unser tägliches Dasein belasten und bedrücken — wärst du dann mit meinem Vorschlag einverstanden? Würdest du deine aktuelle Existenz gegen das Reich des Ewigen Glücks eintauschen wollen? Antworte schnell, ja oder nein?“

„Nein! Natürlich nicht! Niemals!“ rief Trurl aus.

„Siehst du, du intellektueller Blindgänger? Du willst ja selbst nicht, daß man dich in einem Meer voll Wonne ertränkt, dich ein für alle Mal beglückt, beseligt und befriedigt, und obwohl du so denkst, wagst du es, für den gesamten Kosmos etwas vorzuschlagen, was du für dich entschieden ablehnst, wovor dir ekelt? Trurl! Die Toten sehen allen Dingen auf den Grund! So ein monumentaler Schurke kannst du doch nicht sein! Nein, du bist nur ein Genie mit umgekehrtem Vorzeichen — bahnbrechend auf allen Gebieten der Dummheit! Höre, was ich dir zu sagen habe. Einstmals haben unsere Vorfahren nichts so heiß begehrt wie die Unsterblichkeit auf Erden. Kaum hatten sie sich diesen Traum jedoch erfüllt, da mußten sie erkennen, daß ihre langgehegte Sehnsucht nicht dieser Art Unsterblichkeit gegolten hatte! Ein intelligentes Wesen braucht, um sich glücklich zu fühlen, nicht nur lösbare, sondern auch unlösbare Aufgaben, das Mögliche wie das Unmögliche. Heutzutage kann jedermann so lange leben, wie er will; die ganze Weisheit und Schönheit unseres Daseins beruht darauf, daß sieh derjenige, der des Lebens und seiner Mühen überdrüssig ist, der meint, erreicht zu haben, was in seinen Kräften stand, ruhigen Herzens von dieser Welt verabschiedet, wie auch ich es unter anderem getan habe. Früher kam das Ende gänzlich unverhofft, zumeist als Folge irgendeines lächerlichen Defekts, und manches Werk wurde jäh unterbrochen, manch großes Vorhaben seiner Früchte beraubt — und eben darin lag das Verhängnis der alten Zeiten. Aber seitdem hat es auf der Skala der Werte manche Veränderungen gegeben, ich, zum Beispiel, habe nur noch einen einzigen Wunsch, ich wünsche mir das Nichts, nur daß solche geistigen Liederjane, wie du es einer bist, mir keine Ruhe gönnen wollen, in einem fort an meinem Sarg rütteln und mir das Nichts wegziehen, als wäre es eine Bettdecke. So, du hast also vorgehabt, den ganzen Kosmos bis obenhin voll Glück zu stopfen, wolltest ihn dann luftdicht verschließen, vernieten und vernageln, angeblich, um alle seine Wesen für immer glücklich zu machen, in Wirklichkeit aber deswegen, weil du ein Faulpelz bist. Du wolltest dir mit einem Schlage sämtliche Probleme, Sorgen und Mühe vom Halse schaffen, aber sag doch selbst, was hättest du in deiner idealen Welt denn eigentlich noch zu tun? Du könntest dich entweder vor Langerweile aufhängen oder du müßtest felizitozide Zusatzgeräte entwickeln, damit die Sache wieder spannend wird. Aus Faulheit hast du nach Perfektion gestrebt, aus Faulheit hast du das Problem Maschinen übertragen und warst dir selbst für Autocomputerisierung nicht zu schade, mit anderen Worten, du hast dich als der erfinderischste all der Schwachköpfe erwiesen, die ich während meiner eintausendsiebenhundert-siebenundneunzigjährigen akademischen Laufbahn zu unterrichten hatte. Wenn ich nicht wüßte, daß es ohnehin vergeblich wäre, so würde ich jetzt diesen Felsblock beiseite wälzen und dir eine gehörige Tracht Prügel verabreichen! Du bist an mein Grab gekommen, um mich um Rat zu fragen, aber du stehst nicht vor einem Wundertäter, und es liegt nicht in meiner Macht, dir auch nur die geringste deiner Sünden zu vergeben, deren Zahl mit Cantor als transfinite Aleph-Menge zu bezeichnen wäre. Geh jetzt nach Hause, erwecke deinen Kyberbruder zum Leben und tue, was ich dir aufgetragen habe.“

„Aber, Herr…“

„Kein aber! Sowie du dort mit allem fertig bist, kommst du mit einem Eimer Mörtel, einem Spaten und einer Kelle hierher auf den Friedhof und dichtest sämtliche Ritzen und Spalten im Mauerwerk meines Grabmals sorgfältig ab, denn es regnet irgendwo durch, und ich bin es wirklich leid, daß es mir hier unten ständig auf den Kopf tröpfelt. Verstanden?“

„Ja, Herr und Mei…“

„Wirst du's auch tun?“

„Ja, Herr und Meister, ich verspreche es dir, aber ich möchte noch gern wissen…“

„Und ich“, der Verblichene steigerte seine Stimme zu einem gewaltigen Donnern, „möchte gern wissen, wann du hier endlich verschwindest! Solltest du es noch ein einziges Mal wagen, an mein Grab zu klopfen, dann wirst du eine Überraschung erleben, die… Im übrigen drohe ich dir nichts Konkretes an — du wirst es ja erleben. Grüß deinen Freund Klapauzius und sage ihm, für ihn gilt das gleiche. Das letzte Mal, als ich so freundlich war, ihm ein paar Ratschläge zu erteilen, hatte er es so eilig, daß er sich nicht einmal der Mühe unterziehen mochte, mir den schuldigen Respekt und seine Dankbarkeit zu erweisen. Oh. Manieren, Manieren haben sie, diese glänzenden Konstrukteure, diese Genies, diese aufstrebenden Talente… und im Kopf… nichts als Hochmut, Flausen und Grillen!“

„Meister…“, begann Trurl, aber aus dem Grab hörte man plötzlich ein Knistern, ein Brodeln und Zischen, dann sprang der flache Knopf aus seiner Einfassung, und dumpfe Stille lag über dem Friedhof. Nur das sanfte Rauschen der Bäume und das Wispern der Blätter war zu hören. Trurl seufzte und kratzte sich hinter dem Ohr, dachte eine Weile nach, kicherte vergnügt in sich hinein, als er sich vorstellte, wie verblüfft und beschämt Klapauzius bei ihrem nächsten Treffen sein würde, und verbeugte sich tief vor dem hochaufragenden Grabmal seines Meisters. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte, voller Fröhlichkeit und schrecklich zufrieden mit sich selbst, nach Hause, rannte, als sei der Teufel hinter ihm her.

Загрузка...