ZWEITES KAPITEL Überfall auf den Kaiser

Sein Aufenthalt in den beiden Schenken und die Belauschung der Marodeurs hatten doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als von ihm beabsichtigt worden war. Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu, und als er wieder in die schmale, von hohen Bäumen eingefaßte Waldstraße einritt, dämmerte es bereits in derselben.

Königsau gab seinem Pferd die Sporen, um rascher vorwärts zu kommen.

Es war so unheimlich still im Wald, eine Stille, ganz geeignet, den Gedanken und Befürchtungen eines besorgten Gemütes Audienz zu geben.

Er malte sich die Szene aus, wenn die von Vouziers zurückkehrende Geliebte von Vagabunden überfallen würde. Seine Einbildungskraft war dabei so lebhaft beschäftigt, daß er seine Pistole zog und das Pferd zu größerer Eile trieb.

Die Schatten der Nacht neigten sich tiefer und tiefer herab. Es war nun vollständig dunkel geworden, so daß er den Weg nicht mehr zu erkennen vermochte. Er verließ sich ganz auf das Pferd, dessen Huftritte auf dem weichen Boden des Waldweges fast gar kein Geräusch hervorbrachten.

Da war es ihm, als ob sein immer vorauslauschendes Ohr ein dumpfes Rollen vernommen hatte. Da vorn blitzte zu gleicher Zeit ein Schuß auf, dem mehrere andere folgten, so daß die Echos derselben vervielfältigt durch den Wald erdröhnten. Weibliche Stimmen riefen um Hilfe.

Da spornte er sein Pferd zu größter Eile.

Jetzt tauchten vor ihm zwei dünne, schwache Lichter auf, sie kamen aus den beiden Laternen des überfallenen Wagens. Ein Gedanke kam ihm. Der Galopp seines Pferdes mußte ihn den Vagabunden verraten. Er erhielt dann jedenfalls ihre Schüsse, ehe er in der Dunkelheit imstande war, einen von ihnen zu erkennen und auf ihn zu schießen. Jetzt aber hatten sie sein Nahen jedenfalls noch nicht bemerkt.

Er hielt sein Pferd an, band es an den nächsten Baum und nahm die Pistolen des Barons aus den Satteltaschen. Er steckte sie in die Außentaschen seines Rockes und nahm seine eigenen in die Hände. Dann eilte er vorwärts, indem er während des Laufens die Hähne aufzog.

Als er abstieg, war er vielleicht zweihundert Schritte von dem Wagen entfernt. Er brauchte keine Minute, um diese Strecke zurückzulegen. Der weiche Boden dämpfte den Schall seiner Schritte. Als er nahe genug war, um die Szene zu erkennen, hielt er an und schlich sich im Dunkeln nun langsamer näher.

Er hörte die Stimme von Frau Richemonte, welche soeben versicherte:

„Aber wir haben in Wahrheit kein Geld bei uns!“

„Vornehme Damen und kein Geld? Hahaha!“ rief eine rauhe Stimme. „Steigt aus! Wir werden alles durchsuchen, Euch auch und Eure Kleider. Ist eine halbwegs hübsche unter euch, so wird sie für euch alle bezahlen, wenn Ihr kein Geld habt.“

Frau Richemonte wurde herausgezogen. Dann leuchtete der Kerl mit der einen Wagenlaterne abermals in das Innere des Wagens hinein.

„Alle Wetter!“ rief er. „Die ist hübsch, die ist reizend! Ein solches Püppchen haben wir noch nicht gefunden. Heraus, mein Schatz! Heraus!“

Das eine Pferd lag erschossen am Boden; das andere stand schnaubend und zitternd daneben. Der Kutscher saß auf seinem Bock und rührte sich nicht, und um den Wagen herum standen neun dunkle, martialische Gestalten, welche neugierig versuchten, in den Wagen zu blicken.

„Ja, heraus mit ihr, wenn sie hübsch ist!“ rief einer, sich näher drängend. „Das gibt endlich einmal ein Vergnügen, wie es unsereinem willkommen ist.“

Er langte in den Wagen hinein, um Margot mit herauszuziehen. Sie stieß einen Ruf des Entsetzens aus und versuchte, sich zu wehren.

„Das nützt dir nichts, feines Liebchen!“ lachte der eine. „Heraus mußt du, dann halten wir Hochzeit zwischen neun Bräutigams und einer Braut.“

„Und ich gebe meinen Segen dazu, ihr Halunken!“

Königsaus erster Schuß krachte; der zweite folgte augenblicklich. Die beiden Kerls, welche dem Wagenschlag am nächsten standen, stürzten, zu Tode getroffen, zur Erde nieder.

„Hugo, mein Hugo! Ist es möglich?“ jubelte Margot auf.

Sie hatte die Stimme des Geliebten erkannt, obgleich es ihr unerklärlich sein mußte, ihn gerade hier gegenwärtig zu sehen.

„Ja, ich bin es, Margot. Keine Angst weiter!“ antwortete er.

Während dieser Worte schoß er zwei andere nieder, ließ die abgeschossenen Pistolen fallen und zog die geladenen hervor. Die Vagabunden waren von seinem Erscheinen so sehr überrascht, daß sie im ersten Augenblick ganz vergaßen, sich zur Wehr zu setzen. Jetzt aber bemerkten sie, daß sie nur einen einzelnen Gegner vor sich hatten. Da erhob einer sein Gewehr zum Kolbenschlage und rief:

„Hund, das sollst du büßen. Deine Pistolen sind nun abgeschossen. Fahr zur Hölle!“

„Fühle, ob sie abgeschossen sind!“ antwortete Königsau.

Er hielt ihm, ehe der beabsichtigte Hieb herniedersausen konnte, den Lauf vor die Stirn und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf.

Da erscholl aus dem Wagen ein schriller Aufschrei:

„Gott! Hugo, hinter dir!“

Er drehte sich auf diesen Zuruf Margots blitzschnell um und hatte gerade noch Zeit, sich auf die Seite zu werfen. Einer der Kerls hatte von hinten auf ihn angelegt, um ihn zu erschießen. Der Schuß krachte, aber die Kugel verfehlte ihr eigentliches Ziel und fuhr einem seiner Kameraden in die Brust, welcher sich soeben auf den Lieutenant hatte werfen wollen.

„Esel!“ röchelte er zornig, indem er zu Boden sank.

Zu gleicher Zeit aber schoß Königsau auch den ungeschickten Schützen nieder.

Jetzt bekam auch der Kutscher Mut. Er sprang vom Bock und faßte den einen der beiden noch übrigen Marodeurs. Dieser wehrte sich verzweifelt, konnte sich aber von dem stämmigen Knechte nicht losringen.

„Ich werde dich lehren, mir die Pferde zu erschießen!“ zürnte dieser. „Jetzt bist du dran, Schurke.“

Er riß ihn zur Erde nieder und kniete auf ihn.

Der letzte suchte durch die Flucht zu entkommen, wurde aber noch zur rechten Zeit von der Kugel des Deutschen erreicht. Dieser trat nun rasch zum Kutscher, um diesem Beistand zu leisten.

„Ist nicht nötig!“ meinte dieser jedoch. „Der Kerl ist tot. Ich habe ihm die Seele aus dem Leib gequetscht.“

Königsau untersuchte den am Boden Liegenden und fand allerdings, daß er von dem Kutscher erwürgt worden war.

„Ja, er ist tot. Er war der letzte von den neun. Wir sind fertig!“ sagte er.

„Ist es wahr, Hugo? Ist der Sieg vollständig?“ klang es aus dem Wagen heraus.

„Ja“, antwortete er, zum Schlag tretend.

„Oh, wie danke ich, wie danken wir dir.“

Sie stieg, nein, sie flog heraus und in seine Arme. Ihre Lippen legten sich wieder und immer wieder auf seinen Mund, bis sie, sich besinnend, plötzlich fragte:

„Aber Mama? Wo ist Mama? Sie mußte aussteigen!“

Es war alles so schnell gegangen, und Königsau hatte seine Aufmerksamkeit so sehr auf die Feinde zu richten gehabt, daß er gar keine Zeit gefunden hatte, des weiteren auf die Mutter der Geliebten zu achten.

„Hier liegt sie!“ antwortete der Kutscher, mit der noch brennenden Wagenlaterne zu Boden leuchtend.

Die andere war dem Räuber entfallen, als ihn Königsaus Kugel traf.

„Mein Gott, hier am Boden!“ rief Margot. „Sie ist doch nicht etwa von einer Kugel getroffen worden?“

Der Deutsche kniete nieder und untersuchte Madame Richemonte.

„Sie ist nur ohnmächtig, meine Margot“, sagte er. „Es hat nichts zu bedeuten. Aber war nicht die Frau Baronin bei euch?“

„Ja. Dort im Wagen ist sie noch.“

Der Kutscher leuchtete hin, und so sah Königsau die Dame gerade im Begriff, auszusteigen.

„Monsieur, wir haben Ihnen vieles, vielleicht das Leben zu verdanken“, sagte sie. „Nehmen Sie einstweilen meine Hand, und sorgen Sie dann, daß wir diese Stelle verlassen können. Mir graut vor diesen Toten.“

Erst jetzt beachtete Margot, welche bei ihrer Mutter kniete, die umherliegenden Leichen.

„Gott, wie entsetzlich!“ rief sie schaudernd. „So viele waren gegen uns?“

„Neun Mann“, antwortete Königsau.

„Und die alle hast du besiegen müssen, du einziger?“

„Nicht alle“, lächelte er. „Einen hat der Kutscher überwunden. Aber siehe, da erwacht Mama.“

Wirklich gab Frau Richemonte jetzt Lebenszeichen von sich. Nur die Angst um die Tochter, welche sie durch die bestialischen Menschen bedroht sah, hatte ihr das Bewußtsein geraubt. Jetzt erhob sie sich langsam in Margots Armen.

„Sind sie fort? Sind sie fort, diese Menschen?“ fragte sie ängstlich.

„Sie sind nicht mehr zu fürchten“, antwortete Margot. „Hugo hat sie besiegt.“

„Hugo? Ah, ja, ich besinne mich; er war da. Wo ist er?“

„Hier bin ich, Mama“, antwortete er. „Wollen Sie nicht wieder in den Wagen steigen?“

„Ja, das will ich“, antwortete sie. „Oh, wieviel haben wir Ihnen zu danken, mein lieber Sohn. Aber wie sind Sie an diesen Ort gekommen? Und gerade im Augenblick der größten Gefahr?“

„Ich kam über Sedan nach Roncourt, um Sie zu besuchen. Dort hörte ich von dem Herrn Baron, daß sie nach Vouziers gefahren seien und des Nachts zurückkehren würden, ohne eine schützende Bedeckung bei sich zu haben. Ich hatte von der Unsicherheit dieser Gegend gehört und ließ mir darum sogleich ein Pferd geben, um Ihnen entgegenzureiten.“

„Welche Aufmerksamkeit, welche Courtoisie! Und welche Tapferkeit haben Sie hier bewiesen!“ sagte die Baronin. „Aber, meine liebe Margot, ich werde mich ganz gehörig mit Ihnen zanken müssen.“

„Warum?“ fragte das schöne Mädchen.

„Ich bemerke jetzt, daß Herr von Königsau Ihnen nähersteht, als Sie mich ahnen ließen. Sie hatten kein Vertrauen zu mir.“

„Verzeihung, meine Liebe!“ sagte da an Margots Stelle ihre Mutter. „Ich allein trage die Schuld, daß dir verschwiegen blieb, daß Margot die Verlobte des Herrn von Königsau ist. Ich bin überzeugt, daß du meine Gründe billigen wirst, sobald ich sie dir mitgeteilt habe.“

„Ich zürne dir nicht, denn ich werde deine Gründe anerkennen müssen. Aber, Monsieur, wie werde ich Sie jetzt in Roncourt zu nennen haben? Sie sind natürlich zu mir eingeladen.“

„Ich werde Sie bis nach Hause begleiten, Madame“, antwortete Königsau. „Wenn jemand nach mir fragt, so nennen Sie mich einfach – – – hm.“

„Ah, ich habe einen Verwandten meines Namens in Marseille. Der sollen Sie sein.“

„Was ist er?“

„Seekapitän.“

„Der Marine?“

„Nein, des Handels.“

„Gut, ich akzeptiere. Aber, was ist das? Das Sattelpferd stürzt auch.“

„Es muß auch eine Kugel erhalten haben“, meinte der Kutscher.

„So wollen wir nachsehen.“

Als er nach dem Tier leuchtete, fand er es am Verenden. Es hatte eine Wunde in der Brust. Das andere war längst tot.

„Was ist da zu tun?“ fragte die Baronin ratlos. „Wir müssen ja fort!“

„Mein Pferd befindet sich in der Nähe“, meinte Königsau. „Wir schirren es ein, nachdem wir die beiden toten Tiere entfernt haben. Es wird uns nach Hause bringen, wenn auch langsam. Im Notfall leihen wir uns in La Chêne ein zweites. Wir sind ja gezwungen, dort einzukehren, um Anzeige zu machen.“

Er ging und brachte bald den Braunen herbei. Es machte sich bei der mangelhaften Beleuchtung schwer, die beiden getöteten Pferde aus dem Riemenzeug zu bringen. Noch waren Königsau und der Kutscher damit beschäftigt, als sich das Rollen einiger herankommender Wagen vernehmen ließ.

„Man kommt“, sagte der Kutscher. „Es kann hier niemand vorüber; die Straße ist zu schmal. Diese Leute werden einige Minuten halten müssen.“

Königsau ging den Wagen entgegen und rief dem vordersten derselben ein lautes Halt zu. Er sah, daß es drei waren, und so weit die Dunkelheit es zuließ, bemerkte er, daß sie von Reitern eskortiert wurden.

„Warum?“ fragte der vorderste Kutscher.

„Man ist hier überfallen worden. Es liegen Leichen und erschossene Pferde im Weg, welcher erst freigemacht werden muß.“

Da öffnete sich der Schlag des vordersten Wagens, und eine befehlende Stimme sagte:

„Überfall? Hinfahren, Jan Hoorn! Die Sache ansehen!“

Margot hörte diese Worte.

„Mein Gott“, sagte sie zu den beiden anderen Damen. „Jan Hoorn ist der berühmte Kutscher des Kaisers, und das war auch die Stimme Napoleons!“

Eine hohe Gestalt trat zu Königsau heran und sagte:

„Monsieur, ich hoffe, daß wir nicht lange Zeit hier aufgehalten werden. Ich bin Marschall Ney, und da kommt Marschall Grouchy. Wer sind Sie?“

„Diese Damen sind Baronin de Sainte-Marie, deren Verwandter ich bin, und Madame und Mademoiselle Richemonte aus Paris. Die drei Damen wurden von neun Marodeurs überfallen, welche hier tot am Boden liegen. Die Pferde sind erschossen. Geben Sie uns nur eine Minute Zeit, so sollen Sie freie Bahn haben.“

„Die Kerls haben sich wohl gar nicht gewehrt?“

„O doch, sie schossen nach mir.“

„Und alle sind tot?“

„Ja.“

„Wer hat sie getötet?“

„Einen der Kutscher, die anderen ich.“

Da ergriff Ney die Wagenlaterne, welche der Kutscher in der Hand hielt, und leuchtete Königsau in das Gesicht. Dabei war auch er selbst deutlich zu erkennen. Der Marschall war ein wohlgebauter, kräftiger Mann von schwarzbrauner, lebhafter Gesichtsfarbe, mit blitzenden Augen und einem befehlenden Äußeren. Er sah den jungen Mann scharf an und fragte:

„So waren diese Leute bewaffnet?“

„Ja. Sogar sehr gut.“

„Sie waren auf diesen Überfall vorbereitet?“

„Ich ritt den Damen entgegen, weil ich gehört hatte, daß diese Gegend sehr unsicher sei.“

Da öffnete sich der Schlag des ersten Wagens, und der Insasse sprang heraus. Es war ein kleiner, nicht allzu schmächtiger Mann, trug ein kleines Hütchen auf dem Kopf, und einen grauen Überrock. Die Beine staken in hohen Schaftstiefeln.

„Der Kaiser!“ sagte Marschall Ney.

Napoleon trat mit einigen raschen Schritten näher.

„Umherleuchten!“ befahl er in seiner eigentümlichen scharfen, kurzen Weise.

Der Marschall gab sich selbst die Mühe, den Platz zu beleuchten. Der Kaiser betrachtete jeden einzelnen der Toten sehr genau. Es war Tatsache, daß er trotz der vielen Hunderttausende, welche er befehligt hatte, einen jeden kannte, den er einmal gesehen hatte.

„Marodeurs“, sagte er dann. „Kenne einige; haben gedient, aber schlecht.“

Dann trat er auf Königsau zu, welcher sich unwillkürlich eine stramme, militärische Stellung gab, so, wie man vor einem Vorgesetzten zu stehen pflegt.

„Wie heißen Sie?“ fragte er ihn.

„Sainte-Marie.“

„Offizier?“

„Nein.“

„Bloß Soldat?“

„Auch nicht. Seekapitän von der Handelsmarine.“

„Ach, schade! Sind ein Tapferer, ein Braver! Acht Mann getötet! In welcher Zeit?“

„In ungefähr einer Minute.“

„Fast unglaublich. Keine Lust, zu dienen?“

„Ich glaube, Frankreich auch in meiner gegenwärtigen Stellung nützlich zu sein.“

„Richtig, wahr! Aber hätte Ihnen ein Schiff anvertraut. Brauche solche Leute. Marine Frankreichs befindet sich noch in Entwicklung. Die Damen!“

Königsau stellte die Damen vor, erst die Baronin, dann Frau Richemonte und zuletzt seine Geliebte, welche alle drei sich tief vor Napoleon verneigten.

Er nickte ihnen in seiner kurzen Manier, aber freundlich zu; als sein Blick jedoch auf die schönen Züge des Mädchens fiel, griff er unwillkürlich an den Hut. Die seltene Zeichnung dieses reizenden Gesichtes fiel ihm auf.



„Mademoiselle Richemonte?“ sagte er. „Welcher Name?“

„Margot, Majestät“, antwortete sie.

„Margot?“ sagte er. „Wo wohnen Sie, Mademoiselle?“

„Ich bin mit Mama Gast bei der Frau Baronin auf dem Meierhof Jeannette bei Roncourt, Sire“, antwortete Margot.

Ney bemerkte, welch sichtliches Wohlgefallen der Kaiser an dem Mädchen fand. Er ließ daher das Licht der Laterne, welche er noch immer in der Hand hielt, voll auf Margot fallen. Napoleons Auge ruhte mit Bewunderung auf ihrer herrlichen Gestalt; sein Auge leuchtete erregt. Er fragte:

„Ah, Roncourt! Liegt der Meierhof nahe bei dem Ort?“

„Nicht sehr fern.“

Er wandte sich rasch an Ney, um sich zu erkundigen:

„Marschall, sagten Sie nicht, daß Drouet sein Hauptquartier nach Roncourt gelegt habe?“

„Ja, Sire“, antwortete der Gefragte. „Sein Hauptquartier ist in Roncourt; sein Stab liegt dort; er selbst aber wohnt auf dem Meierhof Jeannette.“

„Also bei Ihnen, Baronin?“ fragte Napoleon rasch.

„Ja, Majestät. Ich habe die Ehre, die Wirtin des Herrn Generals zu sein.“

Da sah Napoleon zu Boden, warf dann einen raschen Blick auf Margot und fragte:

„Ist der Meierhof ein bedeutendes Gebäude?“

„Man könnte ihn ein Schloß nennen, Sire.“

„Es sind zahlreiche Wohnungen da?“

„Gewiß. Der frühere Besitzer liebte gesellschaftliche Vergnügen; er sah sehr oft viele Gäste bei sich, und sein Haus reichte zu, sie alle aufzunehmen.“

„So kommt es Ihnen auf einen Gast mehr oder weniger nicht an?“

„Gewiß nicht.“

„Selbst, wenn ich es bin, der Sie um Gastfreundschaft ersucht?“

Die Baronin erschrak. Sollte sie dies als Scherz oder Ernst nehmen? Zu scherzen beliebte der Kaiser jedenfalls nicht; die Situation war ja auch gar nicht danach angetan. Den berühmten Herrscher als Gast bei sich zu sehen, war – zwar eine der größten Auszeichnungen, welche es geben konnte – aber doch auch mit so sehr vielen Opfern und Umständlichkeiten verknüpft. Zudem bemerkte sie gar wohl, daß der eigentliche Grund von Napoleons Frage in Margots Schönheit zu suchen sei. Aber was sollte, was konnte sie antworten? Sie war gezwungen, ja zu sagen. Dennoch aber gab sie zunächst eine ausweichende Antwort.

„Majestät“, sagte sie, „mein Haus ist zu einfach und gering, um den Herrscher Frankreichs und Eroberer der halben Welt in seinen Räumen aufnehmen zu können.“

Da zog ein schneller, tiefer Schatten über Bonapartes Gesicht. Er antwortete:

„Madame, man hat mich in letzter Zeit so wenig als Herrscher behandelt, daß ich nicht geneigt bin, große Ansprüche zu erheben. Ich bin Soldat und liebe die Einfachheit. Ich wollte heute nach Sedan, aber es ist bereits dunkel geworden. Sie selbst haben die Unsicherheit der Straßen erfahren; der Kaiser der Franzosen darf sich nicht der Gefahr aussetzen, von Wegelagerern getötet zu werden. Ich bitte also um ein Nachtlager auf dem Meierhof Jeannette!“

Die Baronin verbeugte sich tief und antwortete zustimmend:

„Alles, was ich besitze, steht zu Ihrer Verfügung, Sire!“

„Gut!“ sagte er. „So haben wir jetzt zu fragen, wie die Damen diesen Ort verlassen können?“

„Wir haben ein Pferd, welches sogleich eingespannt wird, Sire“, meinte die Baronin.

„Das ist ungenügend, Madame“, antwortete der Kaiser. „Sie sind, den Kutscher gar nicht mitgerechnet, vier Personen, drei Damen und ein Herr. Mit nur einem Pferd würden Sie sich weiteren Gefahren aussetzen. Kapitän Sainte-Marie kann die Direktion Ihres Wagens übernehmen; zwei Personen sind genug für das eine Pferd; die drei Damen aber werden bei uns Platz finden. In La Chêne halten wir einen Augenblick an. Wie meinen Sie, Marschall?“

Es war klar, daß er Margot in seinem Wagen zu haben wünschte, und doch war es Pflicht der Höflichkeit für ihn, die Baronin, welche doch seine Wirtin sein sollte, bei sich einsteigen zu lassen. Darum richtete er die letztere Frage an den Marschall. Dieser verstand ihn sofort und antwortete:

„Sire, ich stimme Ihnen vollständig bei. Man muß den Damen jede weitere Unannehmlichkeit ersparen. Ich ersuche die Frau Baronin de Sainte-Marie, bei mir gütigst Platz zu nehmen.“

Er sagte dies, indem er sich mit ausgezeichneter Höflichkeit vor der Baronin verbeugte. Marschall Grouchy war natürlich scharfsinnig genug, um zu bemerken, daß die Reihe jetzt an ihm sei. Er verneigte sich vor Frau Richemonte und bat:

„Madame, darf ich Ihnen meinen Wagen zur Verfügung stellen? Geben Sie mir die Auszeichnung, Ihr Begleiter sein zu dürfen.“

Sie antwortete gewährend. Da sagte Napoleon lachend:

„Da sehen die Damen, daß der Feldherr wohl da ist, zu dirigieren; in der Eroberung aber kommen ihm seine Marschälle stets zuvor. Mademoiselle, für Sie hat man leider nur mich übriggelassen. Wollen Sie sich mir anvertrauen?“

„Ich respektiere den Befehl meines Kaisers“, antwortete sie.

Ihre Augen ruhten bei diesen Worten auf Königsau. Sie hatte das Wohlgefallen bemerkt, mit welchem Napoleon sie betrachtete; sie wußte, daß sie aus diesem Grund für ihn aufgehoben worden war. Am liebsten wäre sie mit dem Geliebten in der alten Karosse der Baronin gefahren, aber das war jetzt unmöglich. Darum sprach sie ihre letzten Worte als Zustimmung für den Kaiser und zugleich als Entschuldigung für sich, Königsau gegenüber.

„Nun, so steigen wir ein, um aufzubrechen“, gebot der Kaiser.

Die beiden Marschälle reichten ihren Damen den Arm, um sie zu geleiten, und der Kaiser tat dasselbe. Er hatte nicht allein in seinem Coupé gesessen. Nach ihm war ein zweiter ausgestiegen, welcher am Wagen stehengeblieben war und jetzt mit einem tiefen Honneur den Schlag öffnete.

„General Gourgaud, der uns Gesellschaft leisten wird, Mademoiselle“, sagte Napoleon.

Gourgaud war Generaladjutant des Kaisers, derselbe berühmte Offizier, welcher ihm später drei lange, einsame Jahre auf St. Helena Gesellschaft leistete und noch später mit Walter Scott den literarischen Zweikampf wegen der Geschichte des großen Kaisers hatte. Er war gegenwärtig zweiunddreißig Jahre alt.

Erst jetzt war zu bemerken, daß die drei Wagen von zwölf Mann Eskorte begleitet wurden, welche aus Unteroffizieren eines Lancierregiments der alten Garde bestanden. Die Damen stiegen ein, nachdem die Leichen und die alte Karosse zur Seite gebracht worden waren, und dann setzten sich die Wagen in Bewegung.

Da sie im raschen Trab dahinfuhren, so erreichten sie La Chêne sehr bald.

Margot saß zur Linken des Kaisers, ihnen gegenüber der Generaladjutant. Da es dunkel war, so konnte von einer Gesichtsbeobachtung keine Rede sein; dennoch sorgte Napoleon, daß die Unterhaltung nicht stockte.

Es war eine jener Unterhaltungen, wie sie zwischen Herren und Damen, welche sich noch nicht kennen, eingeleitet zu werden pflegen, vorsichtig, sondierend, höflich, möglichst geistreich und amüsant. Bei Napoleon hatte jedes Wort, selbst das einfachste und scheinbar unbefangenste, eine erhöhte Bedeutung. Margot bemerkte, daß er die Absicht hatte, sie zu examinieren. Sie antwortete offen und bescheiden, und seine Lebhaftigkeit schien anzudeuten, daß er eine immer höhere Teilnahme für sie empfand.

So wurde La Chêne erreicht, und man stieg aus. Der Wirt schien ganz verwandelt zu sein, als er die Offiziere erblickte. Als er aber gar den Kaiser eintreten sah, knickte er vor Ehrerbietung fast zusammen. Er sah die goldstrotzenden Uniformen der Offiziere gar nicht mehr, sondern nur noch den einfachen Überrock Napoleons.

Dieser gab den Arm Margots frei und wendete sich an ihn:

„Der Wirt?“

„Der bin ich, mein Kaiser!“

„Den Maire, sofort!“

Während der Wirt hinaussprang, um diesen Befehl zu vollziehen, wendete Napoleon sich wieder zu Margot zurück, um ihr den seidenen Überwurf abzunehmen. Auch die Marschälle nötigten ihre Damen, für kurze Zeit Platz zu nehmen.

Man muß wissen, in welcher Weise sich damals die Damen trugen. Ein faltenreiches Kleid bedeckte den Unterkörper, aber kurz genug, um die Füße sehen zu lassen. Die Taille war hoch gehalten, so daß sie den Busen hervortreten ließ, tief ausgeschnitten und mit nur ganz kurzen Ärmeln.

Als der Kaiser den Überwurf in der Hand hielt, sah er das unvergleichliche Mädchen in aller ihrer entzückenden Schönheit vor sich stehen.

Er fand im ersten Augenblick kein Wort, um die während des Aussteigens unterbrochene Unterhaltung wieder zu beginnen. Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht, als wolle er jeden einzelnen ihrer Züge genau studieren; sie irrten herab auf ihre wundervolle Büste, auf ihre vollen, herrlich gerundeten Arme, auf das kleine Füßchen, welches sich unter dem Saum des Kleids hervorstahl. Er mußte fühlen, daß sein Blick für das junge Mädchen peinlich sei; aber er war nicht der Mann, eine gewöhnliche Redensart, ein triviales Kompliment hervorzubringen. Er bog sich nieder, nahm ihre Hand in die seinige und drückte sie an seine Lippen.

„Majestät!“ sagte sie ganz erschrocken, indem sie ihre Hände zurückzog.

„Verzeihung, Mademoiselle“, sagte er. „Es war dies die Huldigung, welche der Untertan seiner Königin zu bringen hat.“

Sie erglühte vor Verlegenheit; glücklicherweise erlöste sie der eintretende Wirt von der Notwendigkeit, eine Antwort geben zu müssen.

Der Kaiser gab Befehl, den Damen eine kleine Erfrischung zu reichen. Sie erhielten ein Gläschen Wein und einige Scheiben Honig, das einzige, was hier anständigerweise genossen werden konnte.

Die beiden Marschälle unterhielten sich lebhaft mit ihren Damen, um dem Kaiser Muße zu geben, sich ganz dem schönen Mädchen zu widmen. Das tat er denn auch, bis ein Mann erschien, im Tressenrock und mit einer gewaltigen Perücke auf seinem Haupt. Er verbeugte sich so tief vor dem Kaiser, daß ihm diese beinahe von dem Kopfe herabgefallen wäre.

„Wer?“ fragte Napoleon kurz.

„Sire, ich habe die Ehre, der Maire dieses Ortes zu sein“, antwortete der Mann und blickte ganz erschrocken unter seiner Perücke hervor.

„Schlechter Beamter!“ fuhr der Kaiser fort.

Die zornigen Augen Napoleons bohrten sich in das Gesicht des Maire ein, so daß dieser alle Fassung verlor.

„Ich weiß nicht, Sire“, stotterte er, „womit ich mir das Mißfallen –“

„Zorn, nicht Mißfallen!“ rief der Kaiser. „Kennen Sie den Weg nach Vouziers?“

„Ja.“

„Gehen Sie ihn selbst?“

„Sehr oft.“

„Auch bei Nacht?“

„Nein.“

„Wann sonst?“

„Nur bei Tag.“

„Warum?“

„Weil man des Nachts nicht sicher ist.“

„Weshalb nicht sicher?“

„Es gibt viele Marodeurs und ähnliche Subjekte im Wald.“

„Ah, gibt es die? Wirklich?“

„Ja, Sire.“

„Daher vermeiden Sie, des Abends durch den Wald zu gehen? Das ist alles, was Sie tun?“

Erst jetzt kam dem Beamten die Ahnung, weshalb er zu dem Kaiser beschieden sei.

„Ich konnte nichts anderes tun, Sire; ich war machtlos“, antwortete er.

„Pah! Sie mußten Truppen requirieren!“

„Ich habe es getan.“

„Nun?“

„Ich bekam keinen einzigen Soldaten.“

„Ah! Warum?“

„Der Kaiser war abwesend, und dieser König, welcher vorgab, Regent zu sein –“

Der Mann zuckte bei diesen Worten die Achseln. Dies war die beste Entschuldigung, welche er vorbringen konnte. Sie tat auch sofort ihre Wirkung. Das Gesicht Napoleons klärte sich auf. Er machte eine abwehrende, verächtliche Handbewegung und sagte:

„Ah, dieser König? Er gab Ihnen kein Militär?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Er habe keins, sagte man mir.“

Da wendete sich Napoleon lächelnd zu Ney und sagte:

„Was meinen Sie dazu, Marschall?“

Ney zuckte die Achseln und antwortete:

„Um Militär zu haben, muß man selbst Soldat sein!“

„Richtig! Dieser König ist ein guter Privatmann; ein Herrscher, ein Soldat, ein Feldherr wird er nie. Frankreich braucht einen Mann, wie ich es bin, sonst wachsen die Banden dem Volk über dem Kopf zusammen. Ich war nur kurze Zeit hinweg und werde doch jahrelang zu tun haben, um wieder Ordnung zu schaffen.“

Und sich wieder zu dem Maire wendend, sagte er:

„Diese Damen sind vorhin überfallen worden –“

„Mein Gott, ist's wahr?“ rief der Mann erschrocken, denn wenn Napoleon selbst sich der Damen annahm, so war der Fall doppelt bedenklich.

„Kennen Sie dieselben?“

„Die Frau Baronin de Sainte-Marie, Majestät!“

„Gut! Wäre nicht ein tapferer Kavalier dazugekommen, so lebten sie wohl nicht mehr. Draußen liegen die Leichen der Kerls und zwei erschossene Pferde. Bringen Sie das in Ordnung. Wieviel Truppen sind nötig, um den Wald zu säubern?“

„Wenigstens eine Kompanie, Sire!“

„Sollen Sie haben, bereits morgen. Was werden Sie zunächst tun?“

„Es wird nötig sein, ein Protokoll aufzunehmen, Sire.“

„Haben Sie Papier?“

„Leider habe ich keins mit.“

„Gourgaud, mein Schreibzeug!“

Der General holte Napoleons Reiseschreibzeug nebst Papier aus dem Wagen herbei. Der Kaiser wendete sich an den Maire und sagte:

„Setzen! Papier nehmen und schreiben! Werde das Protokoll selbst diktieren!“

Dies geschah. Es war ganz so des Kaisers Art und Weise, sich mit einer solchen Angelegenheit zu befassen. Er wollte damit seinen Untertanen zeigen, daß er ihren Beruf vollständig kenne, überblicke und verstehe. Darum hatten seine Beamten so großen Respekt vor ihm, und daher gab es in dem Apparat seiner Verwaltung so große Ordnung.

Die Feder des Maire flog förmlich über das Papier. Es war ihm noch nie vorgekommen, daß ihm ein Kaiser diktiert hatte; darum lief ihm der Schweiß von der Stirn.

Endlich war er fertig. Der Kaiser nahm das Protokoll, las es durch und fügte noch den eigenhändigen Befehl in Betreff der notwendigen Truppen in der Höhe einer ganzen Kompanie bei. Dann unterzeichnete er.

„Fertig!“ sagte er. „Morgen kommen die Soldaten. Übermorgen muß der Wald gesäubert sein. Verstanden?“

„Ich gehorche mit Freuden, Sire!“ antwortete der Maire, indem er sein Sacktuch zog, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.

„Aufbrechen also!“

Bei diesen Worten bot der Kaiser Margot ihren Überwurf wieder an, den er ihr eigenhändig um die vollen, weißen Schultern hängte. Dann reichte er ihr den Arm, um sie zum Wagen zu führen.

Ney und Grouchy folgten mit ihren Damen; dann setzte sich der Zug unter der militärischen Bedeckung der zwölf alten Gardisten wieder in Bewegung. – – –

Kurz nachdem Napoleon in die Gaststube getreten war, erschien hinter dem Haus die dunkle Gestalt eines Mannes, welcher auf jemand zu warten schien.

Er stampfte leise, aber ungeduldig mit den Füßen. Da öffnete sich die Hintertür des Hauses, und die Tochter Barchands schlich sich herbei.

„Berrier, seid Ihr da?“ flüsterte sie.

„Ja“, antwortete er.

„Wartet Ihr bereits lange?“

„Länger als mir lieb ist.“

„Ah! Aber ich konnte nicht eher.“

„Was für Herrschaften sind es?“

„Oh, Berrier, Ihr werdet es gar nicht glauben –“

„Keine Einleitung! Ich habe keine Zeit. Sind es die Marschälle?“

„Ja, zwei Marschälle.“

„Ney und Grouchy?“

„Ich kenne sie nicht. Es ist noch ein General dabei und dann noch einer, den Ihr nicht erraten werdet.“

„Wer ist's?“

„Ratet!“

„Donnerwetter, ich habe dir bereits gesagt, daß ich keine Zeit habe! Rede!“

„Der Kaiser selbst ist dabei.“

„Der Kaiser? Napoleon selbst?“ flüsterte der Mann.

„Ja.“

„Weißt du es genau?“

„Ja.“

„Aber, du kennst ihn doch nicht!“

„Oh, ich habe sein Bild hundertmal gesehen; er gleicht demselben ganz genau.“

„Wie ist er gekleidet?“

„Er trägt hohe Stiefel, einen grauen Rock, weiße Weste und ein kleines Hütchen.“

„Die Beschreibung stimmt; aber ein Irrtum ist doch noch möglich. Man sagte noch heute am Vormittag, daß der Kaiser sich in Paris befinde. Das ist allerdings außerordentlich! Auf die Anwesenheit des Kaisers sind wir ja gar nicht vorbereitet. Was ist da zu machen?“

„Ihr wolltet die Marschälle überfallen? Aber den Kaiser nicht?“

„Der Gedanke wäre ja ganz und gar verwegen und außerordentlich!“

„Der Kaiser zahlt ebensogut ein Lösegeld wie die anderen; er muß sogar doppelt so viel geben.“

„Du magst recht haben, obgleich es ein verfluchter Gedanke ist, den Kaiser zu überfallen. Übrigens brauchen wir ihn ja nicht zu beschädigen. Wir schießen auf die Pferde.“

„Zunächst auf die Soldaten.“

„Er hat Soldaten mit?“

„Ja. Reiter; acht oder zehn habe ich gesehen.“

„Das wären ihrer noch nicht zu viele. Wir sind jetzt neunzehn Mann.“

„Übrigens sind drei Damen bei dem Kaiser.“

„Wer sind sie?“

„Ich weiß es nicht. Zwei saßen so, daß ich sie durch das Küchenfenster nicht sehen konnte, und die dritte kannte ich nicht; sie war jung und sehr schön.“

„Das ist gut. Wenn Damen dabei sind, werden sich die Herren nicht verteidigen, um die Damen nicht in Gefahr zu bringen. Kennst du die Baronin de Sainte-Marie? Ist sie heute hier vorübergefahren oder gar bei euch eingekehrt?“

„Ich hörte, daß sie am Morgen vorübergefahren sei.“

„Ist sie wieder retour?“

„Man hat nichts gesehen oder gehört.“

„Nun, das genügt uns schon. Wir wollen ihr auch nichts tun. Also weiter hast du nichts zu sagen?“

„Ich weiß weiter nichts.“

„Dann will ich sofort zurück.“

„Werdet ihr den Kaiser angreifen?“

„Noch weiß ich es nicht; ich werde erst mit den anderen sprechen müssen. Horch! Jetzt kam jemand.“

„Das wird der Maire gewesen sein, nach dem ja der Kaiser geschickt hat.“

„Also du bist überzeugt, daß es der Kaiser wirklich ist, kein anderer?“

„Er ist es; ich kann darauf schwören.“

„Nun, so will ich es glauben. Gute Nacht!“

„Ich hoffe, morgen zu hören, daß weder der Kaiser noch die Marschälle in Sedan angekommen sind. Sage meinem Vater, er soll mich besuchen. Gute Nacht!“

Sie ging wieder nach der Küche. Er eilte durch den Ort, erreichte sehr bald die Waldecke, in welcher das Pferd stand, band es los, stieg auf und ritt rasch in der Richtung nach Roncourt zu.

Dort am Kreuz an der Straße lagen seine Kameraden noch immer. Seit dem Nachmittag waren noch mehrere zu ihnen gestoßen, so daß sie nun wirklich neunzehn Mann stark waren. Sie hörten den Huftritt seines Pferdes nahen.

„Ein Reiter!“ flüsterte einer. „Wer mag es ein?“

„Jedenfalls Berrier“, meinte ein anderer.

„Das werden wir sogleich hören.“

Er hatte recht; denn als der Reiter näher kam, begann er das Lied zu pfeifen: ‚Ma chérie est la belle Madeleine‘.

„Berrier?“ rief einer.

„Ja, ich bin es!“ antwortete er.

„Wie steht es?“

„Gut, außerordentlich gut. Wartet ein wenig, ich komme sogleich!“

Er stieg ab, führte sein Pferd in den Wald, band es an einen Baum fest und begab sich zu den Wartenden, von denen er mit Fragen bestürmt wurde.

„Nicht alle auf einmal!“ sagte er. „Hört, es steht uns ein außerordentlicher Fang bevor, vorausgesetzt, daß ihr den richtigen Mut dazu habt.“

„Mut?“ rief einer. „Ich schieße dich nieder, wenn du denkst, ich fürchte mich!“

„Ich auch, ich auch!“ erscholl es im Kreis.

„Gut, gut, schreit nicht so, denn man kann nicht wissen, ob jemand in der Nähe ist! Also hört, wen wir zu erwarten haben!“

„Die Marschälle doch?“ fragte ein Ungeduldiger.

„Ja, Ney und Grouchy. Aber sie kommen nicht allein. Zunächst ist noch ein General darunter.“

„Welcher?“

„Das konnte ich nicht erfahren. Ferner, und das ist die Hauptnachricht, welche ich euch mitzuteilen habe, ist der Kaiser selbst bei ihnen.“

„Der Kaiser?“ fragte es rundum.

„Ja. Es sind drei Wagen, in einem der Kaiser, im zweiten Ney und im dritten Grouchy. Der bewußte General scheint beim Kaiser zu sitzen.“

„So ist jedenfalls auch Bedeckung dabei!“

„Acht oder zehn Reiter von der alten Garde.“

„Pfui Teufel, da würden wir zu tun bekommen!“

„Zu tun? Pah! Wir stecken hinter den Büschen, schießen die Wagenpferde und die Gardisten nieder. Dann haben wir die Offiziere und Damen noch ganz allein.“

„Damen? Ah!“

„Ja, es sind drei unbekannte Damen dabei.“

„Das ist gut. Die Herren werden sich ergeben müssen, um die Damen zu schonen.“

„Das habe ich auch gesagt. Was meint ihr zu diesem Unternehmen?“

Es entstand eine längere Pause. Im ersten Augenblick hatte der Gedanke, den großen Kaiser anzufallen, für alle etwas Ungeheuerliches. Aber der Nimbus, welcher das Haupt Napoleons früher umschwebt und so oft beschützt hatte, hatte durch den Sieg der Verbündeten und die Niederlage in Rußland viel von seinem Glanz eingebüßt. Er war nicht mehr der Unbesiegbare. Dieser Umstand machte sich auch hier geltend. Einer der Vagabunden fragte:

„Wird er Geld bei sich haben?“

„Jedenfalls, und die Marschälle auch.“

„Und wenn sie auch kein Geld hätten“, meinte ein anderer. „Denkt euch, welch ein ungeheures Lösegeld wir erhalten könnten, wenn wir ihn fingen.“

Da sagte der Alte, welcher sich schon am Nachmittag bemerkbar gemacht hatte:

„Die Hauptsache ist noch eine ganz andere, denke ich.“

„Was meinst du? Sage es!“

„Gesetzt, wir fangen den Kaiser; wißt ihr, wer Lösegeld bezahlen würde?“

„Nun, doch er selbst.“

„Ja, erstens. Aber zweitens auch die Royalisten und drittens die Feinde Frankreichs.“

„Lösegeld? Das glaube ich nicht.“

„Nun, ich mag mich da nicht richtig ausgedrückt haben. Ich meine, wenn plötzlich der Kaiser verschwindet, so würden die Bourbonen und Orleanisten, die Republikaner und auch die Russen, Preußen, Österreicher, Engländer und Holländer gewiß sehr große Summen bezahlen, um sicher zu sein, daß er nicht wieder erscheint.“

„Ah, das ist wahr.“

„Man könnte sich mit einer einzigen Kugel oder einem kleinen Messerstich vielleicht eine Million verdienen.“

„Donnerwetter!“

„Ja, das ist ganz sicher. Aber wann werden die Wagen erscheinen?“

Der Mann, welcher im Hof des Wirtshauses zu La Chêne gewesen war, antwortete:

„Der Kaiser ließ den Maire kommen. Viel aber kann er mit so einem Mann nicht zu sprechen haben. Darum können die Wagen alle Augenblicke erscheinen.“

„So gilt es, einen raschen Entschluß zu fassen.“

„Aber wohin stecken wir ihn und die Marschälle?“

„Donnerwetter, das wird sich später zeigen; das können wir beraten, sobald er sich in unseren Händen befindet. Jetzt vor allen Dingen müssen wir, ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren, den Entschluß fassen, ob wir überhaupt zugreifen wollen oder nicht.“

„Natürlich! Ich bin dabei!“ sagte einer.

„Ich auch“, meinte ein anderer. „Man verdient hoffentlich bei diesem einen Geschäft gleich so viel, daß man sich zurückziehen kann.“

„Das versteht sich ganz von selbst. Wir stimmen bei!“

„Wir alle!“ meinten auch die anderen.

„Gut“, sagte da der Alte. „So wird also der Kaiser mit den Marschällen gefangen.“

„Die Garden?“

„Werden erschossen!“

„Die Damen?“

„Donnerwetter, ja, sie werden uns jedenfalls ganz und gar beschwerlich fallen. Am besten wird es sein, man erschießt sie auch.“

„Na, meinetwegen. Aber man muß auf jeden Fall erst sehen, wer sie sind. Vielleicht ist es möglich, auch mit ihnen ein hübsches Lösegeld zu erpressen. Aber ich denke, wir wenden bei diesem Fang alle mögliche Vorsicht an. Sind die Seile da?“

„Ja; da hinten liegen sie.“

„Wieviele?“

„Drei.“

„Das paßt gerade. Für jeden Wagen eins. Wir ziehen sie in gehörigen Abständen über die Straße herüber. Drüben werden sie an einem Baum befestigt, hüben braucht nur ein Mann zu halten. Den ersten Wagen lassen wir bis ans dritte, den zweiten bis ans zweite und den letzten Wagen bis ans erste Seil gelangen. In diesem Augenblick werden, sobald ich kommandiere, die drei Seile angezogen, die Wagenpferde stürzen darüber hinweg und die Reiter auch. Es wird sich dann alles einige Augenblicke lang über- und untereinanderwälzen, für uns ist dies aber Zeit genug, die Reiter kaltzumachen und die Herrschaften festzunehmen. Alles übrige wird sich dann finden. Vorwärts, ihr Leute!“

Die Männer waren jetzt wie elektrisiert. Sie sprangen empor und trafen ihre Vorbereitungen. Dies nahm gar nicht lange Zeit in Anspruch; dann begab sich ein jeder auf seinen Posten, und es herrschte tiefe Stille ringsum.

Napoleon ahnte nicht, welchem Schicksal, falls der Anschlag zum Gelingen kam, er entgegengehe. Die drei Seile lagen quer über die Straße. Sie brauchten nur angezogen zu werden, so wurden die Pferde zum Stürzen gebracht. Dann war die Verwirrung, von welcher der Alte gesprochen hatte, allerdings fertig, und es trat die Wahrscheinlichkeit ein, daß die Bedeckung getötet wurde, so daß die Herren nur auf sich selbst angewiesen waren.

So verging fast eine Viertelstunde. Da hörte man von fern her ein Geräusch wie von rollenden Wagen. Da der Waldboden eine ziemliche Elastizität besaß, so war dieses Geräusch allerdings nicht so bedeutend, als wenn der Weg aus hartem Gestein bestanden hätte.

„Das sind Wagen!“ flüsterte der Alte, nach seiner Flinte greifend.

„Werden sie es sein?“ fragte einer neben ihm.

„Laßt sehen!“

Er trat etwas aus dem Gebüsch hervor und blickte angestrengten Auges rechts die Straße hinab, wo sich paarweise Lichter näher bewegten.

„Ja, sie sind es“, sagte er. „Drei Wagen mit Laternen daran. Das kommt bloß bei vornehmen Herrschaften vor. Sie fahren nicht sehr eng hintereinander. Nehmt die Seile etwas weiter, damit sie gerade vor die Pferde passen.“

Das Rollen wurde deutlicher. Man sah bereits den hellen Lichtschein, welchen die Laternen vor sich her auf die Straße warfen. Voran ritten zwei bärtige Lanciers; die anderen zehn ritten zu beiden Seiten der drei Wagen. Hinter den zweien kamen die drei Wagen, erst der des Kaisers, dann der des Marschalls Ney und zuletzt der des Marschalls Grouchy.

Die beiden Vorreiter und die vorderen Wagenpferde waren jetzt über die ersten beiden Seile hinweggekommen. Die Pferde des zweiten Wagens hatten das mittlere Seil vor sich, so daß in diesem Augenblick sich je eins der Seile vor sämtlichen Wagenpferden befand. Das war der erwartete Augenblick.

„Die Seile in die Höhe! Hurra!“ rief der Alte.

Die drei Männer zogen aus allen Kräften an. Sie wurden zwar einige Schritte mit fortgerissen, aber der Zweck war erreicht; die Wagenpferde stürzten. Sie verwickelten sich in die Seile und schlugen und stampften wütend um sich herum.

„Feuer auf die Reiter!“ rief der Alte.

Die Marodeurs waren an das nächtliche Dunkel gewöhnt. Auf das gegebene Kommando krachten eine Menge Schüsse aus dem Gebüsch heraus, und viele der Gardisten stürzten tot von den Pferden, welche seitwärts auf die Wagenpferde einsprangen und die Verwirrung nur noch vermehrten.



„Jetzt drauf!“ rief der Alte.

Er drehte das abgeschossene Gewehr um, sprang hinter dem Gesträuch hervor und schlug mit dem Kolben einen der unverletzten Gardisten, welcher von der anderen Seite herübergekommen war, vom Pferd. Die anderen Strolche folgten ihm.

Bisher war den Vagabunden alles geglückt. Sie hatten aber bei ihrem Rechenexempel einen Faktor außer acht gelassen, nämlich den, daß sie es hier mit an den Kampf gewöhnte Soldaten zu tun hatten.

Als der erste Zuruf des Alten erscholl und der Wagen des Marschall Grouchy, weil die Pferde stürzten, ins Schwanken kam, stieß Frau Richemonte einen Schrei des Entsetzens aus.

„Mein Gott! Was ist das?“

„Pah! Zwei oder drei Wegelagerer!“ antwortete er. „Aber man wird ihnen die Ohren abschneiden, um sie ihnen ins Gesicht zu nageln.“

Er stieß den Wagenschlag auf und sprang hinaus, den gezogenen Degen in der Rechten und die Pistole in der Linken. Doch dauerte es eine Minute, ehe es ihm nur ungenügend gelang, seine Augen dem Dunkel zu akkommodieren.

Da auch Neys Pferde stürzten, erschrak die Baronin ebenso aufs heftigste.

„Wir fallen!“ rief sie. „Wohin geraten wir?“

„Keine Sorge, Madame“, antwortete der Marschall höchst kaltblütig. „Es gibt da draußen einige Leute, welche mit uns sprechen wollen.“

Ein Griff auf die Klinke der Wagentür, ein Sprung, und er stand zu gleicher Zeit mit Grouchy draußen, mit dem rasch gezogenen Säbel und der Pistole bewaffnet; doch gelang es auch ihm nicht sogleich, das Dunkel mit dem Auge zu durchdringen.

Im Wagen Napoleons wurde kein Schrei ausgestoßen. Auf den ersten Ruf des Alten und nach dem Sturz der Pferde stand der brave, mutige Gourgaud bereits draußen.

„Was ist's, General?“ fragte der Kaiser.

„Ein Banditenüberfall“, antwortete der Gefragte.

„Ah, interessant! Welche Kühnheit, sich an mich zu wagen!“

Er wußte ganz genau, daß seine Leute ihn bis zum letzten Hauch und bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würden. Er konnte eigentlich ganz ruhig sein, aber sein kriegerischer Sinn ließ ihm keine Ruhe. Er bog sich zum Schlag hinaus und fragte:

„Sind es viele?“

„Man sieht noch nichts, aber die Lanciers scheinen getötet zu sein.“

„Dann ist es an uns!“

Der Kaiser griff an die linke Seite und zog den kleinen Degen, welchen er zu tragen pflegte. Dann wendete er sich an Margot:

„Haben Sie Angst, Mademoiselle?“

„Nein, solange ich neben meinem Kaiser bin“, antwortete sie ruhig.

„Ich danke Ihnen! Sie haben in Wahrheit ganz und gar nichts zu fürchten.“

Er schickte sich an, auch auszusteigen; der Generaladjutant aber bat:

„Sire, ich bitte, Platz zu behalten! Soeben rücken die Kerls heran.“

„So ist es meine Pflicht, meine Damen zu verteidigen. Allons!“

Er schob den General zur Seite und sprang hinaus.

Ney und Grouchy waren bereits engagiert. Sie hatten ihre Pistolen abgeschossen und verteidigten sich mit dem Säbel. Auch Gourgaud wurde angegriffen.

Das Gewieher der Pferde, das Gebrüll der Marodeurs, die Schüsse, welche noch fielen, das Geklirr der Degen, das Gekrache der hin und her gerissenen Wagen bildete eine wüste, unheimliche Szene.

Die Lanciers waren alle getötet, und so stand Napoleon mit den drei hohen Offizieren den Räubern ganz allein entgegen. Nur Jan Hoorn, der treue Leibkutscher des Kaisers, hatte die Peitsche umgedreht und schlug die Angreifenden mutig über die Köpfe; doch sah er sich bald gezwungen, den aufgeregten Pferden seine ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Die Offiziere verteidigten sich mit dem größten Mut und großer Geschicklichkeit. Schon waren einige der Marodeurs verwundet, aber sie drangen mit desto größerer Wut auf die vier ein.

Napoleon selbst hatte zwei gegen sich, während der Generaladjutant ihn zu decken suchte, indem er vier, welche ihn mit den Kolben niederschlagen wollten, von sich abwehrte. Seine Klinge zuckte mit Gedankenschnelligkeit von einer feindlichen Waffe zur anderen. Trotzdem war zu sehen, daß die Herren trotz aller Tapferkeit bald ermüden würden, wenn nicht eine glückliche Wendung eintrat. Da ertönte wieder die Stimme des Alten:

„So ist's nichts! Nehmt ihnen die Deckung! Greift sie von hinten an! Kriecht unter den Wagen hindurch; aber laßt sie am Leben, wenigstens den Kaiser!“

Da rief Ney, der Bravste der Braven, wie Napoleon ihn oft genannt hatte:

„Bei Gott, jetzt gilt's! Drauf, Grouchy!“

Der Wagen konnte, wenn die Feinde unter demselben hinwegkrochen, ihm keine Deckung, keine Sicherheit mehr bieten; ja, die Nähe desselben mußte ihm im Gegenteil nur gefährlich werden. Darum tat er einen gewaltigen Satz mitten unter die Feinde hinein und begann mit dem Degen sein berühmtes Rad zu schlagen. Sie wichen zunächst zurück, aber bald war er vollständig von ihnen umringt.

Ebenso erging es Grouchy, welcher seinem Beispiel gefolgt und vom Wagen weg mitten unter die Gegner hineingesprungen war.

Es war eine Szene, keines Kaisers und keines Marschalls würdig, aber nichts desto weniger höchst gefährlich für die berühmten Helden des Schlachtfeldes. Trotz ihrer Tapferkeit mußte der Kampf in kurzer Zeit das vorauszusehende Ende finden. – – –

Als der Kaiser vorhin mit seinen Marschällen und den Damen den Platz verlassen hatte, an welchem die letzteren überfallen, durch die Dazwischenkunft Königsaus aber gerettet worden waren, blieb nur dieser mit dem Kutscher zurück.

„Verdammt!“ brummte derselbe. „Nun haben wir den alten Kasten allein!“

„Meinen Sie etwa, daß der Kaiser sich vorspannen sollte?“ lachte Königsau.

„Hm! Könnte nichts schaden! Wo der sich vorspannt, da geht es! Werden Sie mir vollends helfen?“

„Das versteht sich!“

„Sie fahren mit nach Jeannette? Und bleiben ein wenig da?“

„Das wird sich wohl erst entscheiden.“

„Gut, Monsieur. Das Pferd ist bald angespannt. Es ist auch kräftig genug, den Wagen nach Hause zu bringen. Aber was tun wir mit den Leichen?“

„Wir lassen sie natürlich liegen.“

„Hm! Ja! Aber mit allem, was sie bei sich tragen?“

„Ich denke.“

„Das paßt mir nicht. Da sind eine Menge Gewehre und andere Sachen, die man recht gut gebrauchen könnte!“

„Sie gehören aber nicht uns.“

„Wem sonst? Wir sind die Sieger!“

„Der Kaiser wird in La Chêne Anzeige machen, und dann wird sich der Maire sofort nach hier begeben, um den Sachverhalt aufzunehmen. Er wird auch alles an sich nehmen, was er hier findet.“

„Oder es kommen unterdessen andere, welche alles stehlen. Diese Kerls werden wohl Kameraden haben, welche nur darauf warten, daß wir uns entfernen.“

„Tun Sie, was Sie denken. Aber ich möchte nicht gern unnütz Zeit versäumen; ich möchte auch nicht gern haben, daß es heißt, ein Beamter vom Meierhof Jeannette, der Leibkutscher der Baronin, habe tote Banditen ausgeplündert.“

Da kratzte sich der Knecht in den Haaren. Das Wort Leibkutscher schmeichelte ihm.

„Hm“, brummte er. „Denken Sie wirklich?“

„Ja, das denke ich.“

„Ich soll das alles liegen lassen?“

„Ja, alles.“

„Nun, so mag es in drei Teufelsnamen liegen bleiben, obgleich ich mich vielleicht ärgere, so oft ich daran denke. Aber ich habe auch meine Ambition. Man soll nicht von mir sagen, daß ich Banditen ausplündere.“

„Schön! Also das Pferd her!“

„Ich werde unterdessen die zweite Laterne suchen.“

Er fand sie bald, wenn auch in zerbrochenem Zustand. Nach Verlauf einer kleinen Viertelstunde konnte man den Ort verlassen.

„Setzen Sie sich in den Wagen?“ fragte der Kutscher.

„Ja, wenn es Ihnen recht ist.“

„Hm! Wäre es nicht besser, Sie setzten sich hier neben mich auf den Bock?“

„Warum?“

„Wir sind hübsch beisammen, wenn noch etwa passieren sollte; auch sehen vier Augen mehr als zwei, und wir können uns miteinander unterhalten.“

„Gut. Sie haben recht. Machen Sie also Platz!“

Er stieg hinauf, und bald rollte der Wagen im Trab von dannen.

Zunächst schwiegen die beiden. Der Kutscher, der eine biedere, treue Seele, aber keine allzu intelligente Natur war, hatte genug zu tun, sich das Erlebte von Anfang bis zum Ende zurecht zu legen, um es seinen Mitbediensteten erzählen zu können. Königsau hingegen dachte an die Geliebte, welche jetzt an der Seite des Kaisers saß. Dieser hatte Wohlgefallen an ihr gefunden, ein ganz auffälliges Wohlgefallen; er wollte auf Jeannette wohnen. Welche Perspektiven konnten sich da öffnen, welche Folgen konnte dies nach sich ziehen.

Man darf bei diesen Worten ganz und gar nicht meinen, daß der Deutsche dabei an die Möglichkeit einer Untreue von seiten der Geliebten dachte. O nein, dazu war sie ihm zu wert, zu rein. Aber er selbst wollte auf Jeannette, wenn auch nur kurze Zeit, verweilen; war der Kaiser zugleich zugegen, so konnten möglicherweise Umstände eintreten, welche bedenkliche Folgen brachten.

Da schien der Kutscher mit seinem Nachdenken bis zu einem gewissen Punkt gekommen zu sein, über welchen er nicht hinweg konnte.

„Hm!“ brummte er. „Fatale Geschichte!“

„Was?“

„Sie, Monsieur!“

„Ich? Ich bin eine fatale Geschichte?“

„Ja.“

„Inwiefern?“

„Ja, ich weiß nicht, ob ich Sie damit belästigen darf.“

„Reden Sie.“

„Nun gut! Der ganze Überfall ist mir nun klar. Ich habe zwar erst lange auf dem Bock gesessen, um mir zu überlegen, ob ich mit zuhauen soll oder nicht; denn ein braver Kutscher darf nicht vom Bock herab; aber dann, als ich mit dem Überlegen fertig war, habe ich dem Kerl auch sofort die Seele aus der Gurgel gequetscht. So weit ist mir alles klar. Aber Sie, Monsieur, Sie sind mir ein Rätsel, über das ich nicht hinauskommen kann.“

„Das begreife ich nicht.“

„Ja, ich begreife es eben auch nicht. Wie kamen Sie gerade zur rechten Zeit, um diese acht Kerls so gemütlich totzuschießen?“

„Ich habe es ja bereits erzählt!“

„Aber mir nicht.“

„So mögen Sie es noch einmal hören“, und er erzählte die bekannten Vorgänge.

„Schön, jetzt ist mir das klar. Aber das andere nicht.“

„Was?“

„Sie waren bereits einmal bei uns, als sie die Damen Richemonte brachten; da hießen Sie Königsau und waren ein Deutscher. Jetzt heißen Sie ganz plötzlich Sainte-Marie und sind ein Franzose, sogar ein Seekapitän.“

„Und das verursacht Ihrem ehrlichen Kopf Schmerzen?“

„Ja“, nickte der Kutscher.

„So sagen Sie einmal, was Ihnen lieber wäre, nämlich ob ich ein Deutscher oder ein Franzose bin!“

„Hm! Ja! Was sind Sie denn eigentlich von diesen beiden?“

„Das wird sich finden, sobald Sie meine Frage beantwortet haben.“

„Na, da will ich Ihnen sagen, daß mir ein einziger Deutscher lieber ist, als alle Franzosen zusammengenommen!“

„Ist das wahr?“ fragte Königsau überrascht.

„Vollständig.“

„Also lieben Sie Ihre Landsleute nicht?“

„Landsleute? Hm! Wissen Sie, wie ich heiße, Monsieur?“

„Nein.“

„Nun, so will ich es Ihnen sagen. Mein Name ist Florian Rupprechtsberger.“

„Das ist ja ein vollständig deutscher Name.“

„Allerdings. Der Name ist deutsch und der Kerl erst recht.“

„Wo sind Sie geboren?“

„Ich stamme zwischen Weißkirchen und Mettlach da drüben herüber. Dort hatten die Eltern der gnädigen Frau eine Besitzung. Die Baronin nahm mich, weil ich ein alter, ehrlicher Kerl bin, mit nach Roncourt herüber. Das ist eine so lange Zeit her, daß ich unterdessen das Französische gelernt habe.“

„Das ist mir allerdings höchst interessant.“

„Ja. Und nun werden Sie mir auch sagen, ob Sie wirklich ein Franzose sind?“

„Ich bin keiner.“

„Donnerwetter! Ein Deutscher?“

„Ja.“

„Da muß vor Freude die Bulle platzen! Herr, nun sind wir einig; nun gönne ich sie Ihnen, und zwar von ganzem Herzen!“

„Wen?“

„Nun, die Margot.“

„Wie kommen Sie auf diese Dame?“

Der brave Florian hustete sehr geheimnisvoll, sehr selbstbewußt und sagte:

„Glauben Sie etwa, daß ein Deutscher keine Augen hat?“

„Ich hoffe, daß unsere Augen ebensogut sind wie diejenigen der Franzosen!“

„Das sind sie auch. Hören Sie, Monsieur, diese Margot ist ein Prachtmädel, ein Mädel, für das man sich die Finger wegbeißen könnte. Als Sie sie brachten, habe ich mich auf der Stelle bis über die Ohren in sie verliebt – – –“

„Oho!“

„Ja, ja! Nämlich so, wie sich ein ehrlicher Kutscher in die Herrschaft verlieben darf. Ich habe nun genau aufgepaßt. Da gingen nun Blicke herüber und hinüber, die niemand sehen sollte; da mußte ich sie beide ausfahren, und als ich die Ohren spitzte, da hörte ich es hinter mir – – – hm, na, gerade so, als wenn vier Lippen zusammenkleben und auseinandergerissen werden, ungefähr so, als wenn man eine halb neubackene Fischblase auseinanderreißt.“

„Florian, Florian!“

„Na, nichts für ungut! Sie sind ein Deutscher; Sie sind ein Kerl, den man leicht liebgewinnt, und darum gönne ich sie Ihnen; einen anderen hätte ich halb tot geprügelt. Aber wie ist denn eigentlich Ihr Name?“

„Jetzt heiße ich Sainte-Marie.“

„Gut, wenn Sie nicht anders wollen. Man kann kein Vertrauen erzwingen, daß muß von selbst kommen. Aber beweisen will ich Ihnen doch, daß ich ein ehrlicher Kerl bin. Sagen Sie mir nur vorher erst, was Sie sind?“

„Jetzt bin ich Seekapitän.“

„Da schlage doch das Wetter drein! Auch hier wird man belogen.“

„Wissen Sie das genau?“

„Ja.“

„Beweisen Sie es.“

„Sofort! Sie heißen nicht Sainte-Marie, sondern Königsau.“

„Ah!“

„Sie sind nicht aus Marseille, sondern aus Berlin.“

„Oho!“

„Und Sie sind nicht Seekapitän, sondern Husarenlieutenant.“

„Unsinn!“

Königsau war im höchsten Grad erschrocken. Woher kannte dieser Kutscher ihn so genau? Das konnte höchst gefährlich werden; er mußte sich sehr vorsichtig benehmen.

„Unsinn?“ fragte der Kutscher. „Das ist kein Unsinn, sondern die reine Wahrheit.“

„Wer sagte das?“

„Beide sagten es, nämlich sie und er.“

„Wer ist diese ‚sie‘?“

„Mademoiselle Margot.“

„Ah! Hat sie von mir gesprochen?“

„Nein, das war anders. Wenn ich nicht fahre, bin ich oft im Garten. Da saß sie denn einmal in der Laube und hatte einen Brief in der Hand. Sie küßte und küßte ihn immer wieder, denn sie dachte, sie wäre allein. Dann legte sie ihn neben sich. Er fiel von der Bank herab, und als sie ging, vergaß sie ihn.“

„Ah! Sie haben ihn gelesen?“

„Ja.“

„Donnerwetter, das ist unverschämt.“

„Warten Sie es ab!“ antwortete Rupprechtsberger ruhig.

„Was gibt es da abzuwarten! Sie eilten nach der Laube – – –!“

„Ja, ich eilte sehr.“

„Sie hoben den Brief auf – – –!“

„Natürlich.“

„Sie schlugen ihn auseinander – – –!“

„Ja, sonst hätte ich ihn ja nicht lesen können.“

„Und Sie lasen ihn! Wirklich? Wirklich?“

„Na, ganz und gar nicht; dazu hätte ich gar keine Zeit gehabt, denn ich hörte Mademoiselle bereits wieder zurückkehren. Ich las nur die Überschrift und dann die Unterschrift.“

„Schurke!“

„Unsinn! Ich hatte meine Gründe dazu. Die Überschrift lautete ‚Berlin‘ und ‚meine heißgeliebte Margot‘, und die Unterschrift klang wie ‚Hugo von Königsau‘. Habe ich richtig gelesen?“

„Welchen Grund hatten Sie, diese Indiskretion zu begehen, he?“

Er sprach diese Frage in einem sehr strengen, ärgerlichen Ton. Er war zornig geworden.

„Welchen Grund? Hm, weil ‚er‘ mir den Namen genannt hatte.“

„Er? Ah, Sie sprachen vorhin von er und sie. Ist das dieser Er?“

„Ja.“

„Wer ist es?“

„Das darf ich nicht verraten. Übrigens haben Sie kein Vertrauen zu mir; was nützt es da, Vertrauen zu Ihnen zu haben.“

„Florian, ich beginne zu bemerken, daß Sie nicht ein ‚guter, treuer und ehrlicher‘, sondern ein höchst pfiffiger und verschmitzter Kerl sind.“

„Da irren Sie sich! Ich bin sogar noch etwas dümmer, als ich aussehe; aber für eine Person, die ich liebhabe, kann ich, weiß Gott, zum gescheitesten Kerl werden.“

„Da wollte ich, daß ich zu denen gehörte, die Sie liebhaben.“

„Das ist ja auch bereits der Fall!“

„Wirklich?“

„Wahrhaftig. Ich wollte Sie ja deshalb herauf auf den Bock haben, um mit Ihnen von der Leber weg reden zu können. Hier im Wald hört es kein Mensch.“

„Es scheint aber doch, als ob es nicht so recht von der Leber weg gehen wollte.“

„Inwiefern?“

„Nun, weil ich von diesem ‚er‘ nichts höre.“

„Von ihm darf ich nur zu einem reden, der Königsau heißt und Lieutenant ist.“

„Wirklich zu keinem anderen?“

„Zu keinem.“

„Nun gut, ich will Ihnen vertrauen. Ich heiße Königsau und bin Husarenlieutenant.“

„Mit dem alten Blücher gut bekannt?“

„Ja. Aber woher wissen Sie das?“

„Das wird bald kommen. Sie haben Mademoiselle Margot hier verstecken wollen?“

„Ah! Wie kommen Sie auf diese Idee?“

„Nun, Madame Richemonte ist mit Mademoiselle von Paris heimlich fort.“

„Sie werden mir unbegreiflich.“

„Sie werden mich bald begreifen“, sagte der Kutscher in seiner bedächtigen Weise.

„Warum sollten sie heimlich fortgegangen sein?“

„Eines Stiefbruders wegen, welcher Richemonte heißt und Kapitän ist.“

„Donnerwetter!“

„Und eines Barons wegen, welcher Reillac heißt und Armeelieferant ist.“

„Mensch, Sie haben irgendein Gespräch der beiden Damen belauscht.“

„Fällt mir gar nicht ein.“

„Woher wissen Sie das alles?“

„Von ‚ihm‘ natürlich.“

„Wer aber ist dieser ‚ihm‘ denn eigentlich?“

„Kapitän Richemonte.“

Wäre es im Wald hell gewesen, so hätte der Kutscher sehen können, daß Königsau erbleichte. Was er hörte, ließ ihn tief erschrecken.

„Der Kapitän?“ fragte er. „War er hier auf Jeannette?“

„Ja.“

„Wann ist das gewesen?“

„Vor einer Woche.“

„Alle Teufel! War er bei der Baronin?“

„Nein.“

„Bei einer von den anderen Damen?“

„Auch nicht.“

„Oder bei dem jungen Baron?“

„Das fiel ihm gar nicht ein.“

„Nun, zum Teufel, bei wem soll er hier dann sonst gewesen sein, he?“

Da holte der Kutscher tief Atem und antwortete mit Nachdruck:

„Bei mir!“

„Ah, der Tausend! Bei Ihnen?“

„Ja, natürlich!“

„Wie kommt er denn zu Ihnen?“

„Ich war ihm empfohlen.“

„Von wem?“

„Vom Herrn Baron de Reillac.“

„So kennen Sie diesen auch?“

„Oh, sehr gut, außerordentlich gut.“

„Woher denn?“

„Woher? Hm! Wissen Sie denn nicht, daß er sehr oft in Roncourt ist?“

„In Roncourt? Davon weiß ich kein Wort, kein einziges Wort. Wahrhaftig nicht!“

„Er hat ja sein Quartier in Sedan!“

„Er wohnt in Sedan? Wohl wieder als Armeelieferant des Kaisers?“

„Das versteht sich.“

„Alle tausend Teufel! Nun wird die Plage und Gefahr von neuem beginnen.“

„Keine Sorge, Herr Lieutenant! Da ist der Florian Rupprechtsberger da.“

„Um Gottes willen, lassen Sie den Lieutenant fort.“

„Es hört's ja niemand.“

„Wenn zehnmal! Nennen Sie mich Herr Kapitän; das ist das Sicherste! Aber sagen Sie mir doch, wie Sie mit diesen Kerls zusammengekommen sind.“

„Nun, eines Tages fahre ich die Damen nach Sedan. Wir stiegen in unserem gewöhnlichen Gasthof ab. Ich führe die Pferde in den Stall, und da kommt ein feiner Herr und fragt mich:

‚Sind Sie es, welcher die drei Damen gefahren hat, welche soeben abstiegen?‘

‚Ja‘, antwortete ich.

‚Wer sind sie?‘

‚Die Baronin de Sainte-Marie. Die beiden anderen sind Gäste von ihr.‘

‚Woher? Vielleicht aus Paris?‘

‚Vielleicht.‘

‚Wie heißen sie?‘

‚Madame und Mademoiselle Richemonte.‘

‚Ah, diese Namen habe ich gehört. Wo wohnt die Baronin, Ihre Gebieterin?‘

‚Auf Meierhof Jeannette bei Roncourt.‘

‚Danke.‘

Damit drückt er mir einen Napoleondor in die Hand und geht.“

„Das war jedenfalls der Baron de Reillac?“

„Ja. Einige Zeit darauf hatte ich im Feld draußen zu tun. Da kam ein Reiter; es war derselbe Baron. Er begann ein Gespräch mit mir und war so auffällig freundlich, daß er mir geradezu widerwärtig wurde. Ich mußte es ihm ansehen, daß er mich zu irgendeinem Zweck gewinnen wolle; darum nahm ich mir vor, sehr vorsichtig zu sein. Nachdem er verschiedenes gesagt und gesprochen hatte, fragte er auch:

‚Kamen die beiden Damen Richemonte allein nach Jeannette?‘

‚Ich weiß nicht‘, antwortete ich vorsichtig. ‚Ich war an diesem Tag abwesend.‘

‚War vielleicht mit ihnen ein anderer Besuch da?‘

‚Ich könnte mich nicht besinnen.‘

‚So besinnen Sie sich vielleicht auf den deutschen Namen Königsau?‘

‚Nein. Ich habe ihn noch gar nicht gehört.‘

‚Hm, eigentümlich! Wissen Sie auch nicht, ob die Damen Briefe aus Berlin empfangen?‘

‚Nein.‘

Da sah er mich mit einem außerordentlich forschenden Blicke an und fragte:

‚Ich gab Ihnen letzthin einen Napoleondor, nicht wahr?‘

‚Ja, Monsieur‘, antwortete ich.

‚Wollen Sie sich mehr solcher Goldstücke verdienen?‘

‚Wieviele?‘

‚Das wird ganz auf Sie ankommen!‘

‚Oh, so werde ich gleich jetzt beginnen, sie mir zu verdienen, Monsieur.‘

‚Nun gut, so frage ich Sie, ob Sie in meine Dienste treten wollen.‘

‚Das geht nicht.‘

‚Warum nicht?‘

‚Weil ich in dem Dienst der Frau Baronin de Sainte-Marie mich befinde.‘

‚Das tut nichts zur Sache. Sie können ihr und mir ganz gut dienen.‘

‚Zu gleicher Zeit?‘

‚Ja, ihr öffentlich und mir heimlich.‘

‚Was geben Sie mir für Aufträge, Monsieur?‘

‚Sie werden dieselben empfangen, sobald Sie sich erklärt haben.‘

‚Nun gut, so stelle ich mich Ihnen zur Verfügung. Aber was werden Sie mir zahlen?‘

‚Ich gebe Ihnen fünfundzwanzig Napoleondor, und Sie erhalten dann das Weitere je nach dem Wert Ihrer Dienste.‘

‚Ich bin zufrieden, Monsieur.‘

‚Gut, so haben Sie hiermit die versprochenen fünfundzwanzig.‘

Er gab mir das Geld und fuhr dann weiter fort:

‚Ich wünsche nämlich alles zu wissen, was Mademoiselle Richemonte betrifft. Ich bin ein heimlicher Anbeter von ihr und möchte gern wissen, ob ihr Herz noch frei oder bereits vergeben ist, ob sie die Briefe oder Besuche eines Geliebten empfängt, kurz, alles, was einen Liebhaber zu interessieren pflegt. Sie verstehen mich doch?‘

‚Vollständig, Monsieur.‘

‚Ich brauche Ihnen folglich keine weitläufige Instruktion zu geben?‘

‚Ich glaube nicht.‘

‚Nun gut, so hoffe ich, daß ich Sie zu unserem gegenseitigen Nutzen engagiert habe.‘

‚Wohin soll ich Ihnen bringen, was ich erfahre?‘

‚Ins Hauptquartier nach Sedan. Ich bin Baron Reillac, der Armeelieferant. Aber sagen Sie mir, ob Sie verschwiegen sein können.‘

‚Ich werde stumm sein.‘

‚Das ist mir lieb und auch gut für Sie. Die Damen sollen nicht erfahren, daß ich in der Nähe bin; deshalb werde ich nie nach Jeannette kommen. Auch daß Sie mich kennen, darf kein Mensch wissen. Jede Botschaft erhalten Sie gut bezahlt. Passen Sie besonders genau auf, ob Briefe aus Berlin kommen, und wenn Sie erfahren können, daß dieselben mit Hugo Königsau unterzeichnet sind, so erhalten Sie doppelte Belohnung.‘“

Jetzt mußte Königsau doch sein längeres Schweigen brechen.

„So sind Sie förmlich von ihm engagiert worden?“ fragte er den Kutscher.

„Ja“, antwortete dieser ruhig.

„Und haben in seinen Diensten gearbeitet?“

„Fürchterlich!“

„Inwiefern?“

„Ich habe ihm ein halbes Dutzend Lügen erzählt und für jede mein Goldstück erhalten.“

„Wissen Sie, Florian, daß Sie ein Spitzbube sind?“

„Gegen diesen Kerl? Ja. Das schadet gar nichts. Gegen andere bin ich desto ehrlicher.“

„Aber Sie haben doch nachgesehen, ob Briefe aus Berlin mit meiner Unterschrift eintreffen.“

„Ja, aber nicht dieses Barons wegen, sondern meinetwegen.“

„Ah, Ihretwegen?“

„Ja, natürlich!“

„Was haben Sie dem Baron davon gesagt?“

„Nichts, gar nichts. Er hat gar nichts davon gehört, daß ich jenen Brief gesehen habe.“

„Aber warum wollten Sie ihn gerade Ihretwegen sehen?“

„Ich wollte wissen, ob der Geliebte von Mademoiselle Margot wirklich ein Deutscher sei. Wenn das der Fall war, so nahm ich mir vor, ihn gegen seine Feinde zu beschützen. Habe ich da Unrecht getan, Monsieur?“

„Unrecht? Hm! Ich darf Sie also meinen Beschützer nennen, nicht wahr, Monsieur Florian?“

„Ja. Lachen Sie immerhin darüber; es ist dennoch so. Unsereiner kann leicht einem großen Herrn einmal einen Dienst erweisen; das können Sie glauben.“

„Ich glaube es, denn ich habe es oft erfahren“, sagte Königsau im ernstesten Ton. „Also Sie sind mit dem Baron öfters zusammengekommen?“

„Sehr oft. Wir treffen uns wöchentlich einige Male. Letzthin nun passierte es mir, daß ich mir ein Goldstück holen wollte; ich wollte ihm irgend etwas erzählen, was gar nicht geschehen war, und fand seinen Diener nicht anwesend. Das Vorzimmer war nicht verschlossen, und ich trat ein. Da hörte ich in seinem Zimmer laute Stimmen. Er sprach mit einem Herrn. Ich setzte mich sehr gleichmütig nieder und hörte zu; ich konnte jedes Wort verstehen. Sie sprachen von Ihnen.“

„Von mir?“

„Ja, und vom alten Blücher.“

„Ah!“

„Von einem Überfall, bei welchem Sie einen Küraß getragen hatten.“

„Sapperment!“

„Ferner von Mademoiselle Margot, die sie zu dem Baron geschafft hatten. Sie waren dann mit dem Feldmarschall gekommen –“

„Wer war der Mann, mit dem der Baron sprach?“

„Derselbe, welcher Sie gestochen und auf sie geschossen hatte.“

„Kapitän Richemonte?“

„Ja. Ich hörte es aus dem Gespräch heraus. Aber ich hörte noch viel mehr!“

„Was? Erzählen Sie!“

„Zunächst sagte der Baron, daß er jetzt einen dummen Knecht bestochen habe. Damit meinte er natürlich mich. Ich werde ihm bei Gelegenheit diese Dummheit um den Kopf herumschlagen, daß ihm alle Gedanken vergehen sollen!“

„So wußte also auch der Kapitän bereits, daß Margot sich auf Jeannette befindet?“

„Ja. Sie wußten es schon in Paris.“

„Unmöglich!“

„O doch; ich habe es im Laufe ihres Gesprächs ganz deutlich bemerken können.“

„Wer sollte es ihnen denn verraten haben? Kein Mensch hat es gewußt.“

„O doch, einer, nämlich der Bankier, von welchem Frau Richemonte ihr Einkommen bezieht.“

„Ah, das ist wahr; das haben wir außer acht gelassen.“

„Die Hauptsache aber erfuhr ich erst am Schluß des Gesprächs. Nämlich der Kapitän Richemonte ist im Meierhof gewesen.“

„Bei den Damen?“ fragte Königsau erschrocken.

„Nein, sondern bei General Drouet.“

„Was wollte er bei ihm? Die Klugheit hätte ihm doch eigentlich geboten, sich vor den Damen nicht sehen zu lassen. Er hätte besser getan, nicht zu verraten, daß er ihren Aufenthaltsort kennt.“

„Das hat er auch ganz und gar nicht getan.“

„Aber man muß ihn doch gesehen haben!“

„Nein, denn er ist des Abends gekommen, sogar erst gegen Mitternacht.“

„So muß der Grund seines Besuches ein sehr geheimnisvoller sein.“

„Das ist er auch; geheimnisvoll und schurkisch im höchsten Grad.“

„So kennen Sie diesen Grund?“

„Ja, denn er kam im Laufe der Unterhaltung zur Sprache.“

„Darf ich ihn hören?“

„Ja. Sie sind, wie ich aus allem vermute, und wie Sie selbst auch vorhin gestanden, ein Freund von dem alten Feldmarschall Blücher?“

„Freilich, ja freilich!“

„Oh, so wollte ich, daß Sie aktiv in Diensten ständen!“

„Warum? Glauben Sie, daß ich außer Dienst bin, Monsieur Florian?“

„Natürlich!“

„Ah! Warum glauben Sie das?“

„Wären Sie aktiver Militär, so befänden Sie sich bei Ihrer Truppe und nicht hier.“

„Ach, Sie waren wohl nie Soldat?“

„Nein, aber der Onkel meines Großvaters war einer; das ist aber lange her!“

„Das glaube ich“, lachte Königsau. „Das muß so zur Zeit des großen Kurfürsten und des alten Derflinger gewesen sein.“

„Ja, unter dem hat er gedient; Sie haben ganz richtig geraten, Monsieur.“

„Nun, da ich einmal aufrichtig mit Ihnen bin, so will ich Ihnen gestehen, daß ich nicht passiv bin, sondern mich gegenwärtig noch im Dienst befinde.“

„In Blüchers Armee, welche bei Lüttich und da herum liegt?“

„Ja. Mein Dienst ist sogar ein sehr schwerer und gefährlicher!“

Da klatschte der Kutscher mit der Peitsche, daß es weithin schallte, und sagte:

„Donnerwetter, jetzt bin ich es, der Ihnen sagt, daß Sie leiser sprechen sollen! Herr – Herr Seekapitän, ich sage Ihnen, Sie sind mein Mann!“

„Ah, warum?“

„Ich ahne, welchen Dienst Sie tun!“

„Nun?“

„Sie kommen, die Franzosen ein wenig auszuhorchen. Nicht wahr, Monsieur?“

„Mag sein.“

„Nun, dann zählen Sie auf mich! Übrigens tut Kapitän Richemonte dasselbe drüben auf Ihrer Seite.“

„Ah, er macht den Eclaireur?“

„Den Eclaireur, ja. Aber bei ihm möchte ich lieber und richtiger sagen, daß er den Spion und Mörder macht.“

„Den Mörder? Donnerwetter! Wie meinen Sie das, bester Florian?“

„Nun, er soll den alten Blücher zur Seite schaffen.“

„Unmöglich! Sie irren.“

„Ich mich irren? Ich habe es ja mit diesen meinen eigenen Ohren gehört!“

„Das wäre infam, fürchterlich infam!“

„So will ich Ihnen sagen, daß er den Auftrag dazu bereits in Paris empfangen hat.“

„Von wem?“

„Von General Drouet, wenn ich nicht irre.“

„Ich bin ganz starr vor Erstaunen!“

„Ja, das ist die leichteste Art, Krieg zu führen. Man putzt die Anführer weg.“

„Und zwar per Meuchelmord. Wie leicht wäre es mir da heute gewesen, den Kaiser und zwei seiner berühmtesten Marschälle zu töten!“

„Sie sind ein Deutscher, Monsieur!“

„Aber mein Gott, so ist dieser Mensch ja noch weit gefährlicher, als ich dachte!“

„Allerdings!“

„Und Drouet steht mit ihm im Bunde?“

„Wie es scheint.“

„Das ist nicht zu glauben. Ein General tut das nicht. Der Kapitän muß irgendeinen einigermaßen mystischen Auftrag des Generals falsch verstanden haben.“

„Das geht mich nichts an. Ich habe nur gehört, daß Richemonte den Marschall auf die Seite bringen soll, und sich zugleich an demselben rächen will.“

„Hat er bereits von einem Versuch gesprochen?“

„Er beklagte sich, daß es ihm noch nicht gelungen sei, in die Nähe des Alten zu kommen.“

„Donnerwetter, das kann ihm täglich gelingen! Der Feldmarschall befindet sich da in einer außerordentlichen Gefahr! Wann hörten Sie diese Unterredung?“

„Vor acht Tagen.“

„Wollte der Kapitän sofort wieder zurück?“

„Er sprach von einem Spielchen.“

„So! Nun ich dieses weiß, ist meines Bleibens auf Jeannette nicht lange. Ich muß so schleunig wie möglich aufbrechen, um den Marschall zu warnen.“

„Tun Sie es, tun Sie es! Ich habe Ihnen alles ja nur deshalb mitgeteilt!“

„Aber sind Sie wirklich ein Freund der Deutschen?“

„Ja, freilich!“

„Und ein Bewunderer Blüchers?“

„Oh, wenn ich nur dem einmal die Hand drücken dürfte! Er sollte sich wundern!“

„Aber, wenn dies wahr ist, warum haben Sie nichts getan, um ihn zu warnen, oder den Mordanschlag auf irgendeine Weise zu vereiteln?“

„Ich? Was sollte ich tun? Ich, ein einfacher Kutscher!“

„Vielerlei. Man tut in solchen Fällen das, was einem am leichtesten wird.“

„Richtig! Das habe ich auch getan.“

„Was?“

„Ich habe gewartet, bis Sie kommen. Ich dachte, daß Sie Bescheid wissen würden.“

„Aber Sie wußten ja gar nicht, daß ich kommen würde.“

„Oh, das wußte ich im Gegenteil ganz gewiß.“

„Ich bin da doch neugierig, woher.“

„Das ist sehr einfach. Mademoiselle Margot spaziert gewöhnlich nur im Garten. Seit sie aber den letzten Brief erhalten hat, geht sie täglich einige Male vor der Meierei spazieren, dem Weg entgegen, welcher von Roncourt her kommt. Und wenn ein Wagen in den Hof rollt, so eilt sie schnell an das Fenster.“

„Florian!“

„Herr Seekapitän!“

„Sie sind ein Schlauberger.“

„Nein, ich bin kein gescheiter Kerl, aber, wie ich Ihnen bereits sagte, wenn ich jemand gern habe, so kann ich vor Liebe gescheit werden.“

„Sie haben also in Wahrheit geahnt, daß ich komme?“

„Ich war überzeugt davon. Darum nahm ich mir vor, daß vom Kapitän aufzuheben, bis es mir möglich war, es Ihnen zu erzählen.“

„Ich danke Ihnen! Es soll an die richtige Adresse gelangt sein. Aber dort sehe ich Lichter auftauchen. Was ist das? Vielleicht bereits La Chêne?“

„Ja. Fahren wir durch?“

„Nein. Wir halten am Gasthof an und trinken ein Glas Wein. Vielleicht ist der Kaiser – – – ah, Donnerwetter, da fällt mir etwas ein!“

„Was?“

„Etwas Hochwichtiges, was ich ganz vergessen habe.“

„Das klingt ja ganz und gar wichtig und apart.“

„Das ist es auch. Mein Gott, daß ich nicht daran gedacht habe? Florian, hauen Sie auf das Pferd, nur derb, derb, daß wir vorwärts kommen.“

„Jetzt klingt's nun gar gefährlich.“

Mit diesen Worten gab der Kutscher dem Braunen die Peitsche, so daß dieser die Karosse mit doppelter Schnelligkeit weiter schleppte.

„Es ist auch gefährlich“, antwortete Königsau. „Der Kaiser befindet sich in Gefahr mit allen, die bei ihm sind.“

„Donnerwetter! Welche Gefahr wäre das?“

„Ich belauschte da unten am Kreuz einige Männer, welche davon sprachen, daß zwei Marschälle erwartet werden, welche man überfallen wolle.“

„Am Kreuz?“

„Ja.“

„Gegen Roncourt hin?“

„Ja.“

„Teufel, das ist eine gefährliche Stelle. Dort haben bereits einige seit kurzer Zeit das Leben lassen müssen. Was ist da zu tun?“

„Rasch nach La Chêne in den Gasthof. Dort ist der Kaiser abgestiegen. Wir müssen sehen, ob er vielleicht noch anwesend ist.“

„Verdammte Geschichte. Mir ist's nicht um den Kaiser, sondern um meine guten drei Frauenzimmer. Ihn könnten sie in Gottes Namen abquetschen und seine Marschälle dazu, aber wenn es sich um Mademoiselle Margot und die beiden anderen handelt, so jage ich lieber den Braunen tot, als daß ich sie verlasse. Vorwärts!“

Er schlug mit aller Gewalt auf das Pferd ein, so daß die alte Staatskarosse fast zu fliegen schien.

„Sogar meine Pistolen habe ich wieder zu laden vergessen.“

Er zog die Waffen hervor, und es gelang trotz des holprigen Weges, alle acht Läufe zu laden, so daß er eben fertig war, als sie vor dem Gasthof hielten.

Königsau sprang aus dem Wagen und trat in die Stube. Der Kutscher folgte in ganz gleicher Eile hinter ihm.

„War der Kaiser da?“ fragte der erstere.

Der Wirt saß am Tisch. Der Maire war noch da; er hatte sich eben zum Gehen angeschickt, als die beiden eintraten.

„Ja“, antwortete der Beamte in wichtigem Ton. „Seine Majestät hatten die Gnade, mich in einer wichtigen –“

„Hielten alle drei Wagen des Kaisers hier an?“ unterbrach ihn der Deutsche.

„Ja. Es waren Herren und Damen bei ihm, welche mit mir freundl –“

„Wann sind sie fort?“

„Soeben, in diesem Augenblick. Ich hatte die Ehre, ein Protokoll zu –“

„Antworten Sie mir schnell und genau. Wie viele Minuten sind verflossen, seit der Kaiser sich von hier entfernt hat?“

„Vielleicht zwei Minuten. Aber, junger Mann, wie können Sie es wagen, mit dem Maire von La Chêne in diesem Ton –“

„Papperlapapp. Ich sehe ein Protokoll in Ihrer Hand. Worüber handelt es?“

„Von einem Überfall im Wald. Der Kaiser selbst hat es mir diktiert.“

„Nun, so werden Sie auch wissen, daß ein Mann als Retter erschien –“

„Der acht Räuber erschlug? Ja“, fiel der Maire ein.

„Nun, dieser Mann bin ich. Jetzt nun befindet sich der Kaiser in allerhöchster Lebensgefahr. Haben Sie ein Pferd im Stall, Wirt?“

„Ja.“

„Heraus damit! Florian, Sie reiten es!“

Da erhob sich der Wirt erschrocken und rief:

„Mein Pferd hergeben? Ach. Fällt mir nicht ein. Wer sind Sie? Wie heißen Sie?“

„Ja, wer sind Sie, und wie heißen Sie?“ fragte auch der Maire im strengsten Amtston. „Wenn der Kaiser sich in allerhöchster Gefahr befindet, so –“

„So haben Sie zu handeln, aber nicht zu schwatzen“, fiel ihm Königsau in die Rede. „Sagen Sie, ob in Ihrem Protokoll ein Seekapitän Sainte-Marie erwähnt wird.“

„Ja. Er ist der, welcher acht Räuber erschlagen hat. Jedenfalls ist er mit der Frau Baronin auf Jeanette verwandt, denn der Kaiser hat ihn als ihren Cousin diktiert.“

„Nun, der bin ich. Draußen steht die Karosse der Baronin, welche überfallen wurde. Es befindet sich nur ein Pferd davor; mit diesem Wagen können wir den Kaiser nicht einholen, welcher am Kreuz mit den Marschällen überfallen werden soll.“

„Am Kreuz!“ rief der Wirt.

„Überfallen!“ schrie der Maire.

„Ja. Sie haben die schleunigste Hilfe zu leisten, sonst schicke ich Ihnen den Kaiser auf den Hals.“

„Um Gottes willen, nur das nicht!“ meinte der Maire. „Ich renne bereits, ich laufe, ich eile. Was soll ich tun?“

„Wer im Ort ein Pferd und Waffen hat, soll aufsitzen und unter Ihrem Kommando zum Kreuz kommen –“

„Unter meinem Kommando?“ zeterte der Maire. „Ich kann nicht kommandieren. Ich bin heiser, fürchterlich heiser.“

„Pah. Ihre Stimme ist gut, wie ich höre. Eilen Sie. Wer in einer Viertelstunde nicht am Kreuz ist, wird erschossen.“

„Gott, o Gott! Da will ich doch lieber probieren, ob ich einen erschießen kann!“

Mit diesen Worten eilte der Maire hinaus.

„Nun, wie wird's mit dem Pferd?“ fragte Königsau den Wirt.

„Muß ich's denn wirklich hergeben?“ jammerte dieser.

„Ja, ja, ohne Frage. Steht es in einer Minute nicht vor dem Tor, so jage ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf; darauf können Sie sich verlassen.“

Er zog seine Pistole.

„Gleich, gleich. In einer halben Minute ist's da!“ rief der Wirt.

Er sprang eiligst zur Tür hinaus; Königsau rief ihm nach:

„Sie brauchen es nicht zu satteln.“

Da meinte Florian, der Kutscher:

„Wir reiten?“

„Natürlich.“

„So nehmen Sie das Pferd des Wirtes; ich nehme den Braunen. Und hier ist auch eine Waffe, die ich gut gebrauchen kann.“

Über der Tür hing nämlich ein schwerer Kavalleriesäbel aus der Zeit der Revolution. Den riß der Kutscher herab, und dann sprang er hinaus.

Auf einem Tisch lagen zwei Bündel Talglichte. Als Königsau sie bemerkte, kam ihm ein Gedanke. Draußen war es dunkel. Wie nun, wenn er sich eine Fackel bereitete? Das war jedenfalls vorteilhaft und nahm keine Zeit weg.

Von der Decke hingen einige ausgeglühte, leicht biegbare Drähte, an denen gewöhnlich die Lampen aufgehängt wurden. Er riß diese Drähte herab, nahm aus der Ecke einen dort liegenden Spazierstock, legte um den oberen Teil desselben die Lichter herum und umwickelte sie mit den Drähten.

Hinter dem Ofen stand das Zunderzeug. Mit Hilfe desselben und einer kleinen Hand voll Schießpulver war der obere Teil der so improvisierten Talglichtfackel so präpariert, daß sie mit Hilfe eines Pistolenschusses augenblicklich zum Lichterlohbrennen gebracht werden konnte.

Das alles hatte nur einige Augenblicke Zeit in Anspruch genommen. Ein rechter Mann bringt in der Zeit der Gefahr in einigen Augenblicken mehr fertig, als ein anderer in einer Stunde. Königsau vergaß sogar nicht, ein Goldstück als Ersatz auf den Tisch zu werfen; dann ging er hinaus.

Florian hatte soeben seinen Braunen abgeschirrt, auch in fliegender Eile, und stieg auf, den mächtigen Pallasch in der Faust.

Der Wirt brachte sein Pferd. Er sah den Säbel und schrie:

„Halt! Wo ist der Säbel her?“

„Er hing über der Tür“, antwortete Florian.

„Er ist mein.“

„Holen Sie ihn sich.“

Damit sprengte der wackere Kutscher davon.

Königsau riß dem Wirt das Halfter aus der Hand und schwang sich auf.

„Bekomme ich denn das Pferd wieder?“ fragte der Wirt ängstlich.

„Ja“, antwortete der Gefragte.

„Wann denn?“

„Ihre Nachbarn werden es Ihnen mitbringen.“

Damit sauste er davon.

„Aber Wort halten!“ brüllte ihm der Wirt nach.

Im Ort hörte man das Horn des Nachtwächters ertönen. Der Maire rief die streitbaren Helden zusammen, um mit ihnen zur Rettung des Kaisers auszuziehen.

Das Pferd des Wirtes war ein alter, halb steifer Gaul; aber unter der Leitung des gewandten Husarenoffiziers und seinem mächtigen Schenkeldruck flog er wie ein Araber auf der Straße dahin. In kurzer Zeit hatte Königsau seinen Kutscher erreicht.

„Vorwärts, vorwärts!“ rief er ihm zu.

„Herr, Sie werden sich den Hals brechen!“ antwortete Florian.

„Ich nicht, sondern der Gaul.“

So stürmten die beiden weiter. Florian gab sich alle Mühe, hart hinter dem Deutschen zu bleiben, aber der Abstand vergrößerte sich doch immer mehr.

Da hörte der Lieutenant Schüsse vor sich fallen. Er stieß seinem Pferd die Fersen in den Leib, daß es stöhnte, schärfer galoppieren konnte es aber nicht.

Da es dunkel war, konnte er die Schnelligkeit, mit welcher er vorwärts kam, nicht genau beurteilen. Jetzt aber bog sein Pferd um eine kurze Krümmung, da erblickte er ganz vorn den Schein der Wagenlaterne und vermochte den unregelmäßigen Lärm des Kampfes genau zu unterscheiden.

Er näherte sich, ohne daß man ihn bemerkte, und beschloß ganz ebenso zu verfahren wie vorhin. Er zügelte sein Pferd, sprang ab und band es an. Dann eilte er dem Kampfplatz näher. Er konnte bereits das Nötige erkennen.

Grouchy war von vieren umringt; er hatte sie bisher glücklich von sich abgehalten, aber sein Arm drohte zu erlahmen. Da sprang Königsau herbei.

Sein erster Schuß galt der Fackel; sie loderte augenblicklich hell empor, so daß er deutlich sehen, zielen und schießen konnte. Er sah Grouchy, Ney, den Kaiser und den Generaladjutanten im Kampf.

„Aushalten, Sire. Es kommt Hilfe!“

Mit diesen Worten jagte er dem, welcher Grouchy am meisten bedrängte, eine Kugel durch den Kopf. Dem nächsten schlug er die nun abgeschossene Pistole so in das Gesicht, daß derselbe mit eingeschlagener Nase zusammenbrach.

„Teufel! Das ist Hilfe in der Not.“

Bei diesen Worten schlug Grouchy den dritten nieder und hatte nun Zeit, den vierten mit Gemütlichkeit abzutun.

Königsau zog seine zweite Pistole und schaffte Ney Luft, indem er zwei von dessen Bedrängern niederschoß. Er warf die leere Pistole fort, riß eine dritte hervor und trat an die Seite des Kaisers. Zwei Schüsse krachten, und der Kaiser hatte keinen Gegner mehr.

„Haben Sie noch einen Schuß, Sie Braver?“ rief da Gourgaud.

„Ha, zwei.“

„Dann hierher, bitte.“

Es war, als sei Königsau prädestiniert gewesen, der Reihe nach alle vier vom Untergang zu erretten. Er schoß die zwei nieder, welche, gegen den Generaladjutanten kämpfend, ihm am nächsten standen.

Da ertönte aus dem Busch die laute Stimme des Alten:

„Nun, wenn es so geht, so soll er wenigstens auch zum Teufel fahren.“

Ein Schuß blitzte auf. Er war auf den Kaiser gezielt. Als die Flamme aus dem Rohr sprühte, sah man den Schützen ganz deutlich stehen.

Königsau dachte nicht anders, als daß der Kaiser getroffen sei. Ein fürchterlicher Grimm überkam ihn. Noch am Schluß des Rettungswerks der Kaiser ermordet, das mußte gerächt werden. Seine Fackel in der Hand, sonst keine Waffe, drang er auf den Schützen ein. Dieser wendete sich zur Flucht.

„Halt, Bursche, du wirst mein!“ rief der Deutsche.

„Noch nicht“, antwortete der Fliehende, der im eiligsten Lauf zu entkommen suchte. Der Lichtschein blendete ihn, während Königsau den Vorteil desselben hatte.

Der Fliehende hörte den Verfolger immer näher hinter sich und beschloß, ihm standzuhalten. Er blieb stehen, holte Atem und drehte sich um. Der Deutsche war kaum drei Schritte hinter ihm. Da sah der Vagabund, daß sein Gegner unbewaffnet war. Er warf seine Flinte weg, die er bis jetzt noch in der Hand gehalten hatte, zog sein Messer und rief frohlockend:

„Ah. Komm her, daß ich dich umarme!“

Er sprang auf Königsau ein, dieser aber war geistesgegenwärtig; er senkte seine Fackel und stieß den brennenden Schwalm, von welchem der glühende Talg tropfte, dem Gegner in das Gesicht und die Augen.

Der also Verwundete warf sein Messer weg und schlug beide Hände unter lautem Brüllen vor die Augen. Königsau packte ihn beim Kragen, so daß der Mann zum Stürzen kam, und kehrte im eiligsten Lauf, den Geblendeten nach sich schleppend, zu dem Kampfplatz zurück, auf welchem sich kein einziger Feind mehr befand.

„Hier“, rief er, „bringe ich den Mörder des Kaisers.“

Alle blickten auf ihn.

„Des Kaisers?“ fragte Ney erstaunt.

„Ja, er hat ihn erschossen.“

Da deutete Ney lächelnd seitwärts. Dort stand im Schatten der brave Florian mit seinem blutigen Säbel, und neben ihm – Napoleon.

„Ah! Der Kaiser ist gerettet? Ist nicht tot?“ rief Königsau.

Er hatte dem Alten beide Knie auf die Brust gesetzt, hielt in der Linken die noch brennende Fackel, mit der Rechten umspannte er die Kehle seines Gegners.

Da kam der Kaiser herbei und sagte:

„Nein, mein Braver, ich bin nicht tot. Man hat die letzte Kugel auf mich gezielt, mich aber nicht getroffen.“

„Dieser Kerl war es, Sire.“

„Ah, Sie haben ihn geholt?“

„Ja.“

„Ohne Waffe?“

„Mit der Fackel.“

„Außerordentlich! Jan Hoorn, einen Riemen. Bindet diesen Mann. Er wird uns Aufschluß geben müssen.“

Jetzt erst richtete sich Königsau auf. Der Kaiser streckte ihm die Hand entgegen.

„Nehmen Sie meine Hand, Sie tapferer junger Mann. Sie haben mich gerettet.“

„Mich auch“, sagte Ney näher tretend.

„Mich auch“, fügte Grouchy hinzu.

„Uns alle!“ machte Gourgaud den Beschluß.

Und auch diese drei Männer streckten ihm ihre Hände entgegen. Im Schlag des ersten Wagens, dessen Pferde bereits beruhigt waren, erschien ein schönes, bleiches Gesicht, in dessen Augen Freudentränen schimmerten. Oder waren es Tränen des Schmerzes?

„Ich sprach schon diesen wackeren Kutscher dort“, fuhr Napoleon fort. „Er ist uns zu Hilfe gekommen, ehe wir es merkten, und hat zwei Feinde mit seinem langen Degen erstochen, eben als sie unter dem Wagen hindurchkriechen wollten, um uns von hinten anzugreifen. Wie ist es Ihnen denn gelungen, uns zu Hilfe zu kommen, Herr Kapitän?“

Königsau errötete. Sollte er sich der Vergeßlichkeit, der Nachlässigkeit zeihen? Er antwortete:

„Sire, ich belauschte zufälligerweise heute zwei Männer, welche von Marschällen, von Geld und Überfall sprachen. Ich gab diesem Gespräch keinerlei Beachtung, da ich dachte, sie erzählten sich irgendein Ereignis –“

„Ach, ich beginne zu begreifen.“

„Ich hatte dann das Glück, Euer Majestät zu sehen, und, erst später, als ich mich mit dem Kutscher allein auf dem Rückweg befand, brachte mich der Umstand, daß der Kutscher sich in Gesellschaft zweier Marschälle befunden hatte, auf den Gedanken, daß hier von keiner Erzählung, sondern von einem wirklichen Überfall die Rede sei.“

„Ah, so. Sie eilten uns sofort zu Hilfe?“

„Ich spannte schleunigst aus, nahm für den braven Florian ein zweites Pferd und galoppierte nach. Das ist alles, Sire.“

„Nein, das ist nicht alles, mein Lieber; denn Ihr Werk begann nun erst. Wir waren hart bedrängt. Sie kamen im rechten Augenblick. Denn man ist ja nicht mit einem Waffenarsenal versehen, wie es in einem solchen Fall vonnöten wäre. Ich hatte nur einen Degen. Aber, wie viele Feinde haben Sie getötet, Kapitän?“

„Ich glaube sieben.“

„Sieben und erst acht. Sie sind ein wahrer Bayard. Sie bleiben natürlich jetzt an meiner Seite. Ah, was ist das?“

In der Ferne ließ sich starkes Pferdegetrappel hören, und bald sah man auch eine Anzahl beweglicher Lichter funkeln.

„Verzeihung, Sire“, sagte Königsau, „das ist der Maire von La Chêne.“

„Was will er?“

„Ich befahl ihm, sämtliche Recken und Helden des Ortes zu versammeln, um seinem Kaiser zu Hilfe zu kommen; er solle erschossen werden, wenn er binnen einer Viertelstunde nicht auf dem Kampfplatz erschienen sei.“

Da lachte Napoleon laut auf, was bei ihm eine außerordentliche Seltenheit war. Auch die Offiziere stimmten fröhlich ein; doch meinte der Kaiser dann ernst:

„Ich danke Ihnen, Kapitän. Man sieht, wie umsichtig Sie verfahren. Ich bin überzeugt, daß Sie ein ausgezeichneter Offizier sein würden. Diese Helden und Ritter würden uns von großem Nutzen sein, wenn der Kampf nicht bereits glücklich zu Ende wäre.“

„Sie werden uns auch jetzt noch von Vorteil sein, Sire“, meinte Ney.

„Inwiefern?“

„Noch sind unsere Geschirre nicht in Ordnung. Tote und Verwundete liegen hier, ein Gefangener ist zu transportieren –“

„Ach ja; man lasse sie herbeikommen.“

Jetzt waren die Bürger auf Sprachweite herangekommen; sie konnten natürlich den Schein der Wagenlichter sehen. Da ertönte die Stimme des Maire:

„Halt. Im Namen des Gesetzes.“

„Was gibt es?“ antwortete Gourgaud.

„Seid Ihr etwa die Marodeurs?“ fragte der Maire.

„Nein.“

„Sind Sie der Kaiser?“

„Nein.“

„Ah, so sind Sie der Herr Kapitän de Sainte-Marie?“

„Auch nicht. Ich bin der Generaladjutant des Kaisers.“

„Oho! Wie heißen Sie?“

„General Gourgaud.“

„Das stimmt. Ist der Kaiser dort?“

„Ja. Er befiehlt Ihnen, sofort näher zu kommen!“

„Wird noch geschossen?“

„Nein.“

„Garantieren Sie dafür?“

„Ja.“

„Nun gut, so kommen wir. Vorwärts! Marsch! Trab, trab!“

Die Leute setzten ihre Pferde in Trab. Da nicht mehr geschossen wurde, hatte der brave Maire Mut bekommen. Er ritt voran. Er sah im Schein von Königsaus nun bald ausgebrannter Fackel den Kaiser stehen. Er lenkte sein Pferd im Trab auf denselben zu, um seine Meldung in möglichst militärisch exakter Weise zu machen. Die Rechte an dem Mützenschirm und in der Linken das Halfter, rief er:

„Sire, ich melde mich –“

Sein Pferd stolperte über eine gerade hier im Weg liegende Leiche und brach auf die Knie nieder. Da glitt der mutige Vater des Ortes über den Hals des Tieres herab, setzte sich auf den Teil seines Körpers, in welchem gewöhnlich die wenigste Geistesgegenwart zu finden ist, und fuhr in seinem Bericht fort:

„– – – eingetroffen mit zweiundzwanzig Mann.“

Seine Untergebenen hielten seine demütige Bewegung für eine Notwendigkeit der Etikette und machten bereits Anstalt, in der gleichen Weise von den Pferden zu rutschen, obgleich sie im stillen sich fragten, ob sie es so natürlich und exakt fertig bringen würden wie ihr Bataillonschef; da aber winkte der Generaladjutant und rief, das laute Lachen verbeißend:

„Richtig absteigen, Messieurs, richtig absteigen!“

Diesem Befehl folgten sie natürlich lieber als dem Beispiel ihres Zivilvorgesetzten, welcher sich soeben glorreich von der Erde erhob, seine herabgefallene Mütze wieder aufsetzte und dann seine Honneurs wiederholte.

Der Kaiser hielt seine Augen lange auf ihn gerichtet, ohne eine Miene zu verziehen. Wer ihn kannte, der wußte, daß dieser Ernst nur das äußere Gewand war, unter welchem der Schalk lustig kicherte.

„Monsieur, Sie werden ein zweites Protokoll zu schreiben haben“, sagte er endlich.

„Ich stehe untertänigst zu Diensten“, sagte der Maire.

„Sehen Sie, was hier geschehen ist?“

„Ich sehe es, Sire.“

Bei diesen Worten trat er einen Schritt zur Seite, denn ein Toter, dessen Gesicht nach oben gekehrt war, schien ihn drohend anzugrinsen.

„Man hat mich, den Kaiser, überfallen.“

„Ein totwürdiges Verbrechen, Majestät.“

„Die Leute sind getötet worden. Nur einer lebt. Dort bei meinem Kutscher liegt er gebunden. Man wird ihn verhören.“

„Ich lege ihn auf die Folter, Sire.“

„Es ist bereits heute beschlossen worden, meine Marschälle zu überfallen. Die Untersuchung muß erweisen, ob eine einfache Räuberei oder vielleicht ein tiefergehendes Komplott zugrunde liegt.“

„Ich werde das Komplott entdecken, Sire.“

„Sie? Sie werden nichts entdecken. Sie sind weder ein Held des Geistes, noch des Schwertes. Ich werde die Untersuchung in andere Hände legen. Doch haben Sie morgen vormittag acht Uhr auf dem Meierhof Jeannette bei mir zu erscheinen, um das Protokoll in die Feder zu nehmen.“

„Ich werde bereits drei Viertel vor acht dort sein, Sire.“

„Übrigens danke ich Ihnen, daß Sie so schnell auf dem Kampfplatz erschienen sind. Jeder Ihrer Leute hat eine Laterne mit – ah! Wer hat das angeordnet?“

„Ich selbst, Sire.“

Bei diesen Worten warf sich der Gefragte ganz gewaltig in die Brust.

„Weshalb?“

„Weil man da besser sieht, wohin man haut.“

„Ein sehr triftiger Grund, mein Guter.“

„Ja, Sire. Und weil man auch besser sieht, ob er wirklich tot ist.“

„Wer?“

„Der, mit dem man kämpft.“

Die Marschälle wandten sich ab. Sie mußten sich alle Mühe geben, um das Lachen zu verbeißen. Der Kaiser aber blieb ernst und sagte in freundlichem Ton:

„So recht! Ein Vorgesetzter muß seinen Untergebenen alle Pflichten erleichtern, besonders wenn sie so schwer und blutig sind wie diejenige, welche heute von ihnen erfüllt werden sollte. Verstehen Sie mit Wagen umzugehen?“

„Ausgezeichnet.“

„So setzen Sie vor allen Dingen unsere Wagen und Geschirre instand. Dann säubern Sie die Straße von den Leichen und nehmen den Gefangenen scharf in Obhut, den Sie mir morgen früh bringen müssen.“

Jetzt wendete sich der Kaiser ab. Er sah Königsau in der Nähe, bei dem die Offiziere standen, um ihm abermals Worte des Dankes zu sagen.

„Sind Sie verwundet, Kapitän?“ fragte Napoleon.

„Nein, Majestät“, lautete die Antwort.

„Wunderbar! Ich glaube, daß keiner von uns nur geritzt worden ist.“

„Keiner!“ bestätigte Grouchy.

„So haben wir von einem großen Glück zu sagen. Lassen Sie uns vor allen Dingen nach unseren Damen sehen.“

Er trat zu seinem Wagen. Wie gern wäre Königsau an seine Stelle getreten! Dies ging aber nicht an. Und da die beiden Marschälle auch zu ihren Wagen zurückkehrten, so beschäftigte er sich damit, seine in der Hitze des Kampfes fortgeworfenen Pistolen wieder zu suchen.

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