VIERTES KAPITEL Auf der Flucht

Richemonte stieg in einer höchst selbstbewußten Haltung zur Wache hinab, wo er sich einige Mann aussuchte, welche ihm zu folgen hatten.

Zunächst begab er sich, nachdem er Erkundigungen über den Aufenthalt der einzelnen Personen eingezogen hatte, in das Parterrezimmer zu dem Baron.

„Kennen Sie mich, Baron?“ fragte er diesen.

„Nein“, antwortete dieser, ganz erstaunt darüber, einen Menschen so ungeniert bei sich eintreten zu sehen.

„Ich bin Kapitän Richemonte, der Sohn und Bruder der beiden Damen, welche sich als Ihre Gäste gegenwärtig hier befinden.“

Er hatte gehofft, den Baron sehr überrascht zu sehen. Dieser aber war von seiner Anwesenheit bereits unterrichtet und sagte einfach:

„So! Was wünschen Sie?“

„Der Kaiser sendet mich. Sie sind mein Gefangener.“

Auch hierauf war der Baron vorbereitet.

„Ihr Gefangener?“ fragte er. „Darf ich nach dem Grund fragen?“

„Sie sind des Landesverrats verdächtig. Sie beherbergen einen Spion bei sich.“

Der Baron zuckte geringschätzend die Achsel und meinte:

„Suchen Sie ihn hier?“

„Er wird sich schon finden, wenn auch nicht hier in Ihrem Zimmer, aber doch sicher irgendwo. Es ist am besten, Sie legen ein offenes Geständnis ab.“

„Habe ich auch Ihre Beleidigung mit anzuhören?“ fragte der Baron scharf.

„Gut. Ich verlasse Sie einstweilen, um auch die Baronin festzunehmen. Ich bemerke Ihnen jedoch, daß ich vor Ihrer Tür einen Posten zurücklasse. Der Mann hat Auftrag, auf Sie zu schießen, sobald Sie den Versuch machen sollten, Ihr Zimmer zu verlassen.“

„Ich habe keine Veranlassung, zu fliehen. Gehen Sie.“

Richemonte fühlte, daß es ihm ganz und gar nicht gelungen sei, dem jungen Mann zu imponieren. Dies brachte ihn zu dem Vorsatz, sich auf alle Fälle Respekt zu verschaffen. Er begab sich zur Baronin und trat bei derselben in einer Haltung ein, welche sofort zu erkennen gab, daß er in einer feindseligen Absicht komme. Sie war von seinem Kommen bereits unterrichtet, tat aber so, als ob sie nichts davon wisse. Er hatte es vorgezogen, unangemeldet einzutreten. Sie blickte ihn daher befremdet an und sagte:

„Mein Herr, Sie scheinen irre gegangen zu sein. Sie suchen jedenfalls irgendeinen meiner Domestiken.“

Er lächelte überlegen und antwortete:

„Sie selbst irren, nicht ich. Sie sind die Baronin de Sainte-Marie?“

„Ja.“

„Nun, zu Ihnen will ich. Sie sehen also, daß ich nicht irre gegangen bin.“

„So beklage ich es, daß Sie sich nicht zuvor an meinen Diener gewendet haben. Ich pflege nur solche Personen zu empfangen, welche die Höflichkeit und Rücksicht besitzen, sich bei mir anmelden zu lassen. Die gegenwärtige Audienz ist also zu Ende, noch bevor sie begonnen hat.“

Sie drehte sich um und stand im Begriff, in das Nebenzimmer zu gehen.

„Halt!“ rief er ihr da zu. „Sie bleiben!“

Dieser Ton war so gebieterisch, daß sie erstaunt stehen blieb, ihm den stolzesten ihrer Blicke zuwarf und dann sagte:

„Was fällt Ihnen ein? Sie sprechen mit der Gebieterin dieses Hauses!“

„Sie waren das bis jetzt; von diesem Augenblick an aber sind Sie es nicht mehr!“

„Ah!“

Diese eine Silbe drückte verachtungsvolles Staunen aus.

„Ja“, fuhr er fort. „Tun Sie noch so stolz; Ihre Herrschaft hier ist doch zu Ende.“

„Wer sind Sie?“ fragte sie kalt und streng.

„Jedenfalls ist Ihnen mein Name nicht unbekannt. Ich bin Kapitän der kaiserlichen Armee; mein Name ist Richemonte.“

„Richemonte?“ sagte sie kopfschüttelnd. „Ich kenne Sie nicht.“

„So beeile ich mich, Ihrem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, Madame. Es befinden sich als Ihre Gäste zwei Damen bei Ihnen, welche auch Richemonte heißen?“

„Allerdings.“

„Nun, ich bin der Sohn der einen und der Bruder der anderen.“

Die Baronin simulierte die Miene des Nachdenkens und antwortete:

„Ich besinne mich allerdings, von Frau Richemonte gehört zu haben, daß sie einen Stiefsohn besitze; doch ist das Verhältnis zwischen ihr und ihm nicht ein solches, daß mir seine Gegenwart lieb sein könnte, zumal wenn er sich den Zutritt auf eine Art und Weise erzwingt, welche allen Regeln der gesellschaftlichen Ordnung entgegen ist.“

„Und doch werden Sie sich meine Gegenwart gefallen lassen müssen“, sagte er mit Nachdruck. „Sie können nicht das mindeste dagegen tun.“

„Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß mir mein Hausrecht nicht zusteht?“

„Ja, gerade dies will ich sagen. Ich komme nämlich in amtlicher Eigenschaft zu Ihnen.“

„Ah! Haben Sie vielleicht den Grad eines Kapitäns mit demjenigen eines Dorfbüttels vertauscht? Ihr Auftreten läßt dies allerdings vermuten.“

Das war ihm denn doch zu viel. Er fletschte die Zähne; aber er bezwang sich in der Hoffnung eines endlichen Triumphes doch noch und antwortete:

„Ich stehe als der Bevollmächtigte des Kaisers vor Ihnen und ersuche Sie dringend, sich derjenigen Höflichkeit zu befleißigen, welche ich als solcher zu fordern habe. Das Gegenteil könnte sehr zu Ihrem Schaden ausfallen.“

„Als Bevollmächtigter des Kaisers? Wo ist Ihre Vollmacht?“

„Ich habe ganz und gar nicht nötig, Ihnen ein schriftliches Dokument vorzuzeigen. Meine Vollmacht steht vor der Tür.“

Er öffnete die Tür und ließ die Soldaten sehen, welche draußen standen.

„Das genügt allerdings“, erklärte die Baronin. „Nun bin ich sehr begierig, zu erfahren, welchem Umstand ich es zu verdanken habe, daß Seine Majestät mich mit Ehrenposten auszeichnet.“

„Wenn Sie diese Leute für Ehrenposten halten, so befinden Sie sich in einem ganz bedeutenden Irrtum. Es sind vielmehr Sicherheitswächter, welche die Aufgabe haben, die Flucht meiner Gefangenen zu verhindern.“

„Soll das etwa heißen, daß ich Ihre Gefangene bin?“

„Ja.“

„Sie setzen mich da in das größte Erstaunen. Ich ersuche Sie, mir die Gründe dieses Vorgehens anzugeben.“

„Der Grund ist ein sehr ernster. Er heißt Landesverrat.“

„Sie scherzen! Welches Land sollte ich verraten haben?“

„Frankreich!“

„Frankreich? Sie fabulieren!“

Sie begleitete die Worte mit einem lustigen, sorglosen Lachen. Er aber zog die Brauen finster zusammen und antwortete:

„Lachen Sie nicht! Sie beherbergen heimlich einen Feind des Vaterlandes. Das ist natürlich Landesverrat und wird mit dem Tod bestraft.“

„Einen Feind des Vaterlandes? Wer sollte dies sein?“ fragte sie erstaunt.

„Es ist ein gewisser Königsau, preußischer Husarenlieutenant.“

„Ich wiederhole, daß Sie fabulieren.“

„Pah! Dieses Fabulieren kann Ihnen sehr leicht den Kopf kosten! Wo haben Sie den Menschen versteckt?“

„Ihre Frage ist eine mehr als zudringliche!“

„Wenn Sie keine Antwort geben, werde ich suchen müssen.“

„Suchen Sie!“

„Wohlan, zeigen Sie mir ihre Gemächer!“

„Sie dürfen nicht erwarten, daß ich die Führerin eines Kapitän Richemonte mache. Sehen Sie selbst.“

„Nehmen Sie sich in acht, daß Sie Ihr Verhalten nicht zu beklagen haben! Ich bin den Ton nicht gewöhnt, welchen Sie jetzt gegen mich anschlagen. Ich werde suchen.“

„Aber nichts finden.“

„Wollen Sie uns wirklich glauben machen, daß der sogenannte Retter des Kaisers ein Seemann und Ihr Verwandter sei?“

„Was Sie glauben oder bezweifeln, ist mir vollständig gleichgültig. Mein Cousin hat allerdings den Kaiser gerettet. Welcher Dank ihm dafür wird, das ist nicht meine, sondern des Kaisers Sache.“

Richemonte öffnete nun selbst die Zimmer, welche die Baronin bewohnte und durchsuchte dieselben sehr genau; aber er fand natürlich den Gesuchten nicht.

„Man konnte sich allerdings denken, daß eine ältere Dame nicht so glücklich ist, einen Husarenlieutenant bei sich verstecken zu dürfen“, sagte er mit giftigem Hohn. „Ich hoffe, ihn bei einer jüngeren zu finden.“

Die Baronin zuckte die Achsel, ohne ihm ein Wort zu entgegnen.

„Mein Besuch bei Ihnen ist beendet“, fuhr er im Ton der Überlegenheit fort. „Ich habe Ihnen zu sagen, daß Sie meine Gefangene sind.“

„Im Auftrag des Kaisers?“

„Allerdings.“

„Ich finde eine solche Vergeltung der Gastfreundschaft keineswegs kaiserlich!“

„Die Schuld liegt an Ihnen. Ich verbiete Ihnen, Ihr Zimmer zu verlassen. Ich lasse einen Posten zurück, welcher den strengen Befehl hat, auf Sie zu schießen, sobald es Ihnen beikommen sollte, meinem Gebot entgegen zu handeln.“

„Ich muß mich fügen, behalte mir aber das Recht der Beschwerde vor und hoffe, daß Sie mich jetzt verlassen.“

„Mit größtem Vergnügen, Madame. Eine Hochverräterin ist ja durchaus keine passende Gesellschaft für einen anständigen Offizier.“

Er ging und gab einem der Soldaten den Befehl, die Baronin zu bewachen. Mit den übrigen Leuten begab er sich nach den Zimmern, welche Frau Richemonte und Margot angewiesen worden waren.

Auch dort wurde er bereits erwartet. –

Florian, der treue Kutscher, hatte, sobald er vom Kaiser entlassen worden war, sofort durch seinen Stall hindurch das Zimmer Königsaus aufgesucht. Nach Wegnahme der sehr leicht zu entfernenden Treppenleiter, welche auf das Dach zu dem Deutschen führte, schaffte er dieselbe in den Garten, wo ihr Zweck nicht erraten werden konnte, selbst wenn sie gefunden werden sollte. Sodann machte er sich an die unteren Stufen, welche aus dem Verschlag des Stalls nach oben führten. Er entfernte auch sie und schaffte allerlei Dünger und Streu dorthin, wo sie sich befunden hatten.

„So“, brummte er vergnügt, „wenn es dem Kerl einfällt, da oben nachzusuchen, so mag er sehen wie es riecht, wenn man die Nase in Dinge steckt, die einem nichts angehen.“

Dann schloß er den Verschlag und stellte sich auf die Lauer. –

Richemonte fand das Zimmer seiner Stiefmutter leer. Sie saß bei Margot, als er dort eintrat.

„Guten Abend, Mama“, grüßte er höhnisch. „Eine ganz außerordentliche Überraschung. Nicht wahr?“

Er hatte allerdings erwartet, sie ganz und gar betroffen zu sehen, und darum wunderte er sich, in den Gesichtern der beiden Damen nur den Ausdruck verächtlicher Abneigung lesen zu können.

„Was willst du?“ fragte Frau Richemonte.

„Zunächst allerdings nur euch“, antwortete er. „Ich habe, seit ich euch vermißte, so außerordentliche Sehnsucht nach euch gehabt, daß meine Freude, euch endlich wiederzufinden, eine um so größere ist. Wie geht es euch?“

Margot lag noch im Bett. Sie drehte sich zur Wand, ohne ihm zu antworten. Sie nahm sich vor, kein Wort mit ihm zu sprechen.

„Spiele keine Komödie!“ sagte ihre Mutter zu ihm. „Ich wiederhole meine Frage: Was willst du?“

„Euch sehen und begrüßen natürlich, wiederhole auch ich.“

Bei diesen Worten nahm er auf einem Stuhl Platz, und zwar mit einer Miene, als ob er mit den Damen auf dem freundschaftlichsten Fuß stehe.

„Du siehst uns, was nun weiter?“ fragte die Mutter.

„Ich möchte vor allen Dingen wissen, warum ihr Paris verlassen habt?“

„Sehr einfach, weil es uns dort nicht mehr behagte.“

„Das ist mir neu! Ich dachte im Gegenteil, daß ihr euch in der Hauptstadt außerordentlich wohl befändet. Es gab dort so liebe und angenehme Unterhaltung.“

„Rechnest du Mordanfälle und Menschenräuberei zu den Arten, sich angenehm zu unterhalten?“

„Gewiß!“ lachte er. „Übrigens weiß ich nicht, wovon du sprichst, und was du meinst. Wie steht es mit der berühmten Verlobung mit jenem Lieutenant von Königsau?“

„Das ist Margots Sachte.“

„Allerdings, denn sie ist ja mit ihm durchgebrannt!“

„Schweig, Unverschämter! Du selbst weißt am besten, was uns fortgetrieben hat.“

„Die Liebe, Mama, die Liebe!“ lachte er. „Und ebenso ist es die Liebe, welche mich heute zu euch führt, nämlich die Kindes- und Geschwisterliebe.“

Das Gesicht seiner Mutter rötete sich vor Zorn.

„Entweihe die heiligsten Gefühle des Menschenherzens nicht dadurch, daß du von ihnen sprichst!“ rief sie. „Wann hätte dein Herz je Liebe gefühlt?“

„Jetzt zum Beispiel, liebe Mama“, antwortete er. „Die Liebe zu euch treibt mich, euch aufzusuchen. Ich habe euch vor einer großen Gefahr zu warnen und auf ein noch größeres Glück hinzuweisen.“

„Wenn du es bist, der dies sagt, so ist die Gefahr ein Glück für uns und das Glück eine Gefahr.“

„Du täuschest dich vollständig, liebe Mama. Ich komme nicht in meinem Interesse, sondern als Unterhändler des Kaisers zu euch.“

„Seine Majestät hat nicht nötig, einen Unterhändler zu senden.“

„Ah! Der persönliche Besuch wäre euch wohl angenehmer?“

„Jeder Besuch ist uns angenehmer als der deinige. Aber die Angelegenheit, in welcher du zu kommen scheinst, ist bereits erledigt.“

„Wieso?“

„Deine Frage ist zudringlich, behalte sie für dich! Wir haben uns von dir getrennt. Wir interessieren uns ferner nicht mehr für deine Angelegenheiten, und so erwarten wir ganz entschieden, daß du dir auch die unserigen vollständig gleichgültig sein läßt.“

„Das ist sehr deutlich gesprochen, leider nur nicht den Verhältnissen angemessen, welche zu berücksichtigen ihr auf alle Fälle gezwungen seid.“

„Von welchen Verhältnissen sprichst du?“

„Erstens davon, daß der Wille eines Kaisers zu berücksichtigen ist.“

„Und zweitens?“

„Zweitens, daß ich seit einer halben Stunde Etappenkommandant des Meierhofs Jeannette bin.“

„Ah! Wer hat dich dazu gemacht?“

„Der Kaiser selbst“, antwortete der Gefragte in stolzem Ton.

„So denke ja nicht, daß dies eine Belohnung deiner Verdienste ist. Der Kaiser braucht ein Werkzeug, und du wirst es sein, jedoch vergeblich. Wir werden deinen Plänen hier ganz denselben Widerstand entgegensetzen wie in Paris.“

„Gut! Ihr sprecht von meinen Plänen. Als ein Mann habe ich den Mut, euch einzugestehen, daß ich Pläne habe und zwar Pläne mit Margot. Sie ist meine Schwester, und ich darf von ihr fordern, daß sie ihr möglichstes tut, mich avancieren zu machen. Der Kaiser widmet ihr eine mehr als gewöhnliche Teilnahme, und diese soll sowohl zu ihrem, als auch zu meinem Glück ausgenutzt werden. Leistet sie Widerstand, so muß sie es sich gefallen lassen, wenn ich meine brüderliche Gewalt in Anwendung bringe. Und das würde ich ganz sicher tun!“

„Es ist dir zuzutrauen, doch fürchten wir dich nicht.“

„Nicht?“ fragte er höhnisch. „Oh, meine Gewalt ist größer und bedeutender, als ihr vielleicht meint.“

„Du überschätzest dich! Der Kaiser selbst muß Margot schützen.“

„Allerdings. Er hat sie und dich ja bereits meinem Schutz empfohlen.“

„Wir verzichten auf diesen Schutz.“

„Ich möchte wissen, wie ihr das anfangen wollt! Hofft ihr vielleicht auf die Hilfe eures Königsau? Pah! Er, ein Lieutenant, und Napoleon, der mächtige Kaiser der französischen Nation!“

„Noch ist sein Thron nicht wieder gefestigt.“

„Hofft ihr etwa darauf, daß er geschlagen wird? Ich gebe euch mein Wort, daß dieser tölpelhafte Marschall ‚Vorwärts‘ nicht zum zweiten Mal nach Paris kommt. Der Feldzug ist bereits begonnen. Die Feinde Frankreichs werden von uns niedergemäht werden wie Gras. Übrigens wird Königsau gar nicht gegen uns kämpfen. Er wird als Spion von uns aufgehängt werden, noch ehe der erste Schuß gefallen ist.“

„Versuche, ob du aus dieser Drohung Wahrheit machen kannst!“

„Ich stehe soeben im Begriff, es zu tun. Wo habt ihr ihn versteckt?“

„Wen?“

„Königsau, Margots Seladon.“

„Ah, du vermutest ihn hier auf dem Meierhof? Lächerlich!“

„Ihr wollt mich doch nicht etwa glauben machen, daß eure List der meinen überlegen ist?“

„Glaube, was du willst!“

„Wohl! Ich glaube, daß jener Kapitän aus Marseille niemand anders ist als Königsau. Er ist hier versteckt, und ich werde ihn finden.“

„Suche ihn!“

„Das werde ich allerdings tun. Ich mache euch aber darauf aufmerksam, daß es besser für euch ist, wenn ihr ihn mir freiwillig überliefert.“

„Das würden wir nicht tun, selbst wenn er bei uns versteckt wäre.“

„So erkläre ich euch, daß ihr bis auf weiteres meine Gefangenen seid und ohne meine ausdrückliche Erlaubnis eure Zimmer nicht verlassen dürft.“

„Wir lachen darüber!“

„Lacht immerhin! Um euch zu zeigen, daß ich keine Scherz mache, werde ich einen Posten vor der Tür lassen. Er hat den Befehl, auf euch zu schießen, sobald ihr den Austritt erzwingen wollt.“

Da trat seine Mutter auf ihn zu und fragte flammenden Auges:

„Dies ist dein Ernst?“

„Mein völliger“, antwortete er kalt.

„Du willst uns, deine nächsten Verwandten, in Banden schlagen?“

„Ihr zwingt mich ja dazu!“

„So mag der Himmel dich dafür strafen! Wir sagen uns von dir los; wir erklären dich für den herzlosesten Bösewicht der Erde und werden Gott bitten, dich unschädlich zu machen.“

„Das klingt sehr dramatisch, liebe Mama. Das ist ein ganz hübscher Theatercoup. Nur schade, daß wir uns nicht auf der Bühne befinden. Euer Gott wird mir wohl nicht sehr gefährlich werden. Ich handle für den Kaiser, und dieser ist's, der die Macht in den Händen hat.“

„Gottloser Lästerer! Die Strafe wird dich sicherlich erteilen!“

„Ich werde das ruhig abwarten. Zunächst aber werde ich mich hier bei euch ein wenig umschauen.“

Er untersuchte die beiden Zimmer sehr genau, doch ohne eine Spur von Königsau zu finden. Da bemerkte er die Tür, welche nach dem Zimmer ging, in welches der Lieutenant von dem Kutscher gebracht worden war.

„Wohin führt diese Tür?“ fragte er.

„Ich weiß es nicht“, antwortete die Mutter.

„Das willst du mich glauben machen? Ihr wollt nicht wissen, was hinter diesem Eingang versteckt ist?“

„Er war von der anderen Seite verschlossen.“

„Ah, ein Eckzimmer, allem Anscheine nach, und von innen verschlossen. Ich vermute, auf der richtigen Fährte zu sein! Man wird öffnen müssen!“

Er klopfte an, aber es ertönte keine Antwort.

„Wer ist da drüben?“ fragte er laut.

Es antwortete niemand wie vorhin.

„Nun, so wollen wir sehen, wie fest dieses Schloß sein wird.“

Er drückte auf die Klinke. Sie gab nach, und die Tür öffnete sich.

„Ah, also doch nicht verschlossen! Du hast mich belogen, Mutter! Das kommt mir verdächtig vor. Ich werde da drüben genau nachforschen.“

Er rief einen der Soldaten zu sich und nahm das Licht. Als sie in den Nebenraum traten, bemerkten sie zwar die wenigen Möbel, aber es befand sich niemand da. Die Dachöffnung war so gut verschlossen, daß sie nicht entdeckt wurde.

„Leer!“ sagte er. „Aber da ist noch eine Tür. Wohin führt sie?“

Er gab dem Soldaten das Licht und öffnete.

„Das ist ein Stroh- oder Heuboden“, meinte Richemonte. „Wir befinden uns über dem Stall. Hier gibt es ein Versteck.“

Er ließ leuchten und suchte. Er fand die schmale Treppe, welche abwärts nach Florians Stallverschlag führte.

„Hier geht es hinunter. Hier ist er hinab. Rasch, ihm nach!“

Während der Soldat mit dem Licht hinter ihm herschritt, stieg er so rasch wie möglich die Stufen hinab. Eine – zwei – drei – vier – – – da waren sie plötzlich alle. Florian hatte ja die untersten Stufen weggenommen. Richemonte trat in die Luft und verlor das Gleichgewicht und den festen Halt.

„Tausend Donner!“ rief er.

Es gelang ihm nicht, einen festen Gegenstand zu erfassen. Er schoß hinab und stürzte auf eine weiche, zähe Masse, welche einen sehr üblen Geruch ausströmte.

„Alle Wetter, wo bin ich da?“ rief er. „Leuchte einmal herab!“

Der Soldat kniete nieder und hielt das Licht so weit wie möglich herunter. Es ließ sich nicht viel erkennen, dennoch aber rief Richemonte:

„Es fehlt der niedere Teil der Treppe, und ich bin in den Dünger gestürzt. Binde den Leuchter an den Säbelriemen und laß ihn mir herab. Ich fühle keinen Ausgang hier.“

Der Soldat gehorchte, und als der Verunglückte nun das Licht hatte, bemerkte er die Tür, welche aus dem Verschlag nach dem Stall führte.

„Jetzt werde ich frei“, rief er nach oben. „Geh zu deinen Kameraden zurück und warte, bis ich dich abhole.“ –

Der gute Florian Rupprechtsberger hatte bisher in seinem Stalle versteckt gelegen. Ein großer Hund befand sich bei ihm. Als dieser zuerst das Geräusch und sodann die fremde Stimme hörte, stieß er ein leises, drohendes Knurren aus.

„Still!“ sagte der Kutscher leise zu ihm. „Du verdirbst sonst dir und mir den Spaß, wenn du nicht ruhig bist.“

Jetzt öffnete Richemonte die Tür, welche zu dem Verschlag führte, und trat in den Stall. Er bemerkte weder den Knecht, noch den Hund, da diese beiden versteckt in der Ecke lagen.

„Jetzt faß' ihn, wirf ihn hübsch ins Weiche!“ flüsterte Florian.

Da fuhr der Hund, ohne einen Laut von sich zu geben, auf den Kapitän los und warf ihn nieder. Der Überfallene stieß einen lauten Schrei aus, wagte aber nicht, denselben zu wiederholen, da er die Zähne des Hundes fürchtete. Er ahnte, daß das Tier bei der geringsten Bewegung oder beim ersten Laut zubeißen werde.

Als Florian sich überzeugt hatte, daß der Franzose sich in seinen Händen befinde, und daß das Licht ausgelöscht sei, ohne etwas anzubrennen, schlich er sich geräuschlos aus seiner Ecke hervor, öffnete die Tür, welche nach dem Garten führte und verließ durch dieselbe den Stall, ohne von Richemonte bemerkt worden zu sein. Von dem Garten aus konnte er leicht den Hof erreichen, ohne daß jemand geahnt hätte, daß er sich vorher im Stall befunden hatte. –

Napoleon erwartete mit Ungeduld das Ergebnis der Nachforschung des Kapitäns, doch konnte er sich seinen Pflichten nicht entziehen. Es befanden sich jetzt die beiden Marschälle und Drouet bei ihm. Aus dem Hauptquartier zu Sedan war ein Adjutant nach dem Meierhof gekommen und hatte außerordentlich wichtige Depeschen gebracht. Nun wurde großer und geheimer Kriegsrat gehalten. Aber so geheim, wie diese Herren dachten, war die Unterredung denn doch nicht. Droben vor dem Schalloch lag Königsau auf dem Dach und hörte jedes Wort, welches hier unten gesprochen wurde. Er wurde auf diese Weise Zeuge des großen Feldzugsplans, welcher entworfen wurde. Napoleon zeigte sich in demselben als der alte, nur schwer zu besiegende Meister der Schlachten und als ein feiner Kenner der Verhältnisse und Personen, denen er gegenüberstand.

Erstere zeigten sich so dringlich, daß der sofortige Abmarsch beschlossen wurde. Auch Napoleon selbst wollte bereits nach kurzer Nachtruhe aufbrechen und sich nach Maubeuge begeben, um seine Truppen dort zu konzentrieren. Ney ritt nach beendigtem Kriegsrat sofort nach Sedan, um seine Maßregeln schleunigst persönlich zu treffen.

Der Adjutant hatte auf diese Weise eine plötzliche Bewegung in die gegenwärtige Bewohnerschaft des Meierhofs gebracht. Auch Drouet war zum baldigen Aufbruch bereit. Boten kamen und gingen während der ganzen Nacht; eine Ordonnanz folgte der anderen, und kein Mensch hätte am vorigen Tag gedacht, daß der kleine Meierhof Jeannette jetzt der Ort sein werde, an welchem diejenigen Pläne geboren wurden, von denen das ganze Europa abhängig war.

Napoleon dachte, sobald er seiner Pflicht als Feldherr genügt hatte, sogleich an Kapitän Richemonte. Er wunderte sich, denselben nicht bereits wieder bei sich zu sehen, und darum sandte er nach ihm.

Der Bote kehrte bald mit der Meldung zurück, daß der Kapitän nirgends zu sehen sei. Darum wurden ernste Nachforschungen nach ihm angestellt, welche zur Folge hatten, daß man ihn endlich im Stall unter den Zähnen des Hundes fand.

„Schießt die Bestie nieder!“ meinte einer der Soldaten, indem er sich anschickte, sein Gewehr zu holen.

„Um Gottes willen, nein“, rief ein zweiter, welcher vorsichtiger war als sein Kamerad.

„Warum nicht?“ fragte der erstere. „Wie wollen wir den Hund wegbringen? Unserem Rufen gehorcht er nicht, und ihn anfassen und wegziehen? Brrr! Ich mag das nicht versuchen.“

„Der Hund würde den Kapitän sofort totbeißen, sobald man eine Waffe gegen ihn richtete. Man muß einen Mann suchen, dem er gehorcht.“

Da trat einer der Knechte hinzu und sagte:

„Er gehorcht keinem anderen, als nur dem Kutscher Florian.“

„Wo ist dieser?“

„Ich weiß es nicht.“

„Man muß ihn schleunigst holen.“

Erst nach längerer Zeit gefiel es dem schlauen Florian, sich finden zu lassen. Er wurde herbeigebracht, als schon vor und in dem Stall eine ganze Menge von Menschen stand, um sich das Schauspiel mit anzusehen.

„Was ist denn los?“ fragte er gemächlich. „Man sagt mir, daß mein Hund einen Kapitän am Kragen habe.“

„Ja“, antwortete man. „Ruf das Tier zurück.“

„Nur langsam, langsam. Erst muß man sich den Kapitän doch einmal ansehen, um zu wissen, ob man sich nicht vielleicht irrt.“

„Kerl, du hast gar nicht zu zaudern!“ rief derjenige, welcher vorhin vom Totschießen gesprochen hatte. „Oder willst du einen Kapitän der alten Garde unter den Zähnen deines Hundes sterben lassen?“

„Ich glaube nicht an diesen Kapitän. Ein Kapitän der alten Garde schleicht sich nicht heimlich wie ein Dieb in die Stallungen anderer Leute!“

„Und doch ist es so! Man wird das Tier erschießen, zur Strafe dafür, daß es sich an einen Offizier des großen Kaisers vergriffen hat.“

„Pah! Mein Hund hat seine Pflicht getan. Wer sich an ihm vergreifen will, der hat es mit seinen Zähnen und mit mir zu tun. Merkt es euch: er ist ein echter Pyrenäenhund, stark wie ein Bär, klug wie ein Fuchs und geschwind wie der Blitz. Ich rate euch, keine Dummheiten zu machen.“

Er nahm einem der Knechte die Laterne aus der Hand und schritt auf die Gruppe zu, welche eine so große Aufmerksamkeit auf sich zog.

Als der Hund seinen Herrn erkannte, wedelte er mit dem Schwanz, nahm aber seinen Rachen nicht von der Gurgel des Kapitäns weg.

„Holla, Tiger, wen hast du denn da gefangen?“ fragte der Kutscher, indem er sich zu dem am Boden Liegenden niederbog. „Alle Teufel! Es ist wahr! Das ist ja Kapitän Richemonte! Geh fort, Tiger. Dieser Mann ist kein Spitzbube, sondern ein ebenso tüchtiger Kerl wie du!“

Auf dieses Kommando ließ der Hund gehorsam von seinem Gefangenen ab und zog sich zurück. Richemonte erhob sich langsam und taumelnd. Er war mehr tot als lebendig, und tiefe Blässe bedeckte sein Gesicht.

„Schießt das Scheusal nieder!“ waren seine ersten Worte.

„Ich rate Ihnen Gutes!“ antwortete der Kutscher. „Der Hund ist dressiert, bei der geringsten feindseligen Bewegung auf den Mann zu springen. Aber, zum Teufel, wie kommen Sie in diesen Stall?“

„Ich suchte nach dem Flüchtling.“

„Der soll hier sein? Ich habe ja dem Kaiser bereits gesagt, daß er jetzt schon weit fort ist! Und wie sehen Sie aus, Kapitän.“

„Ich bin von oben herabgestürzt.“

„Wo, von oben?“

„Von der verdammten Treppe da drin in dem Verschlag.“

„Alle Teufel! Wie kommen Sie da hinauf? Es gibt ja nur eine halbe Treppe dort! Aber so ist es, wenn ehrlichen Leuten nicht geglaubt wird. Nun sehen Sie aus, wie – wie – – – na, und wie! Und nun riechen Sie mir – wie – – – na, und wie.“

„Und dabei sollen Sie sofort zum Kaiser kommen!“ sagte der Bote, welchen Napoleon gesandt hatte.

„Zum Kaiser? Mein Gott, was tue ich da?“

„Nun, Sie gehen hinein in das Wachlokal, reinigen sich schnell und ziehen einstweilen die Uniform eines Soldaten an. Ich werde unterdessen dem Kaiser melden, welcher Unfall es Ihnen unmöglich macht, sofort zu erscheinen.“

Dies geschah. Die neugierige Menge verlief sich schnell, und als Florian sich mit seinem Hund allein sah, strich er ihm liebkosend über das Fell und sagte:

„Das hast du gut gemacht, Tiger! Der Kerl wird eine wirkliche Todesangst ausgestanden haben, und das kann ihm gar nichts schaden.“ –

Einige Zeit später stand Richemonte vor dem Kaiser. Dieser empfing ihn mit einem seiner ironischen Blicke, von denen keiner gern getroffen wurde, und sagte unter einem leisen Lächeln:

„Sie sind Märtyrer unserer Sache geworden, wie ich höre, Kapitän?“

„Allerdings, Sire, nur nicht in einer sehr religiösen Weise.“

„Ich bedenke freilich, daß Sie in einem keineswegs heiligen Geruch stehen. Welches Ergebnis haben Ihre Nachforschungen gehabt?“

„Bisher leider noch keins. Ich wurde durch den Unfall verhindert, meine Nachforschungen fortzusetzen.“

„Bei wem waren Sie?“

„Zunächst beim Baron.“

„Was sagte er?“

„Er leugnete. Ich habe mir erlaubt, ihm Zimmerarrest zu geben und einen Posten vor seine Tür zu stellen.“

„Gut. Weiter!“

„Sodann suchte ich seine Mutter auf. Auch sie leugnete.“

„Gaben Sie auch ihr Arrest?“

„Ja.“

„Hm! Man hätte das lieber umgehen sollen. Sie ist die Dame des Hauses, und ich bin ihr Gast. Wohin begaben Sie sich dann?“

„Zu Margot.“

Das Gesicht des Kaisers belebte sich.

„Wie fanden Sie die junge Dame?“ fragte er mit sichtlichem Interesse.

„Sie hütete das Bett. Die Mutter war bei ihr.“

„Was sagte sie auf Ihre Erkundigungen?“

„Margot hat kein Wort gesprochen.“

Das Gesicht Napoleons verfinsterte sich wieder.

„Sie scheint einen sehr ausgeprägten Charakter und einen starken Willen zu haben“, sagte er. „Die schönste Zierde des Weibes aber ist Sanftmut, Milde und ein weiches, biegsames Gemüt. Welche Auskunft gab Ihnen die Mutter?“

„Gar keine. Sie gestand weder etwas, noch leugnete sie.“

„Ah! Auch stolz! Sollte die Schuld an dem Boten liegen?“

„An mir? O nein, Sire.“

„Vielleicht doch! Sie stehen mit den Damen auf einem sehr feindseligen Fuß; da wird es schwierig sein, Konzessionen zu erlangen.“

„Ich verpfände meine Ehre, Sire, daß die Damen mir doch noch gehorchen werden. Es gilt ja nur, den Einfluß jenes Deutschen zu brechen, und diese Aufgabe ist eine sehr leichte.“

„Glauben Sie auch jetzt noch an seine Anwesenheit?“

„Ich bin irre geworden.“

„Inwiefern?“

„Befände er sich noch hier, so hätte ich bei den Damen ganz sicher wenigstens einige Unruhe bemerkt.“

„Und dies war nicht der Fall?“

„Nicht im geringsten.“

„Kein jähes Erröten, kein Erbleichen, keine heftige Zuckung mit der Hand oder irgendeinem anderen Glied, als Sie sagten, daß Sie nach ihm suchen würden?“

„Nein, keins von diesen Anzeichen, Sire.“

„Wohin begaben Sie sich dann?“

„In dem Zimmer Margots gab es eine Tür, welche in einen Nebenraum führte. Ich trat dort ein und gelangte auf einen Stallboden, welcher sich recht gut zu einem Versteck zu eignen schien; aber es befand sich kein Mensch dort.“

Der Kapitän Richemonte erzählte sein Unglück weiter.

Der Kaiser hörte ihm zu und sagte dann:

„Ihr Debüt ist nicht nach Wunsch ausgefallen. Ich hoffe, daß Ihre späteren Bemühungen von Erfolg sein werden.“

„Majestät, ich stelle alle meine Kräfte zu Diensten.“

Der Kaiser nickte zufrieden.

„Hat man noch anderweitig Nachforschungen angestellt?“ fragte er.

„Ja. Ich komme von der Wache, wo ich erfuhr, daß General Drouet die Durchsuchung des ganzen Meierhofs angeordnet hat. Aber auch dies ist vergeblich gewesen.“

„So mögen alle diese unnützen Bemühungen eingestellt werden. Man hat das Beste getan, wenn man die Damen einfach isoliert. Sie haben das in der Hand. Meine Intentionen kennen Sie. Und um allen Eventualitäten zuvor zu kommen, wird man es angemessen finden, die junge Dame baldigst zu verheiraten.“

Richemonte verbeugte sich.

„Dürfte ich die Bitte um eine kleine Andeutung aussprechen?“ fragte er.

„Sie sprachen zu mir von Baron Reillac?“

„Allerdings, Majestät.“

„Er liebt Ihre Schwester?“

„Er hat sich alle Mühe gegeben, mich davon zu überzeugen.“

Da legte der Kaiser nach seiner eigentümlichen Weise die Hände auf den Rücken und schritt langsam und nachdenklich im Zimmer auf und ab. Erst nach einer längeren Weile blieb er vor Richemonte stehen, faßte diesen beim Knopf seiner Uniform und fragte:

„Ich denke, daß man sich auf Sie verlassen kann?“

„Mein Leben gehört Eurer Majestät!“ antwortete der Kapitän.

„Werden Sie eine Vollmacht auszufüllen verstehen, wenn Sie nur im allerhöchsten Notfall die Erlaubnis haben, sich auf dieselbe zu berufen?“

„Ich denke es, Sire.“

„So sage ich Ihnen, daß Ihre Schwester bereits in den nächsten Tagen die Frau des Baron de Reillac sein soll.“

„Ich stehe zu Befehl, Majestät, obgleich ich überzeugt bin, einen nicht geringen Widerstand zu finden.“

„Von welcher Seite?“

„Von der Seite meiner Schwester zunächst.“

„Sie werden ihn überwinden, denn Sie sind der Bruder. Und sodann?“

„Von seiten der – Behörde“, antwortete Richemonte zögernd.

Napoleon zog die Stirn in Falten.

„Die Behörde bin ich!“ sagte er.

„Ich habe diese Überzeugung, Sire. Aber ich bedarf des Jawortes meiner Schwester. Ich befürchte, daß sie es mir verweigert.“

„Warten Sie!“

Der Kaiser trat an den Tisch, legte sich ein Blatt Papier zurecht und schrieb. Dann reichte er die Zeilen dem Kapitän.

„Lesen Sie!“ befahl er.

Richemonte gehorchte. Kaum hatte er einen Blick auf das Papier geworfen, so nahm sein Gesicht den Ausdruck des Triumphes an.

„Wird dies genügen?“ fragte Napoleon selbstbewußt.

„Oh, man wird sich beeilen, die Order Ew. Majestät zu erfüllen.“

„Ich bin überzeugt davon. Haben Sie noch Wünsche?“

„Keinen als den, daß mir die Huld meines Kaisers erhalten bleibe.“

„Das ist Ihre eigene Sache. Ich weiß treue Diener zu belohnen. Die Lösung Ihrer Aufgabe ist mit pekuniären Opfern verbunden. Ich werde Befehl geben, Ihnen die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Jedenfalls aber werde ich Sie vor meiner Abreise noch einmal sprechen.“

„Dürfte ich morgen nach Sedan zu Reillac reiten, Sire?“

„Tun Sie es. Aber sorgen Sie dafür, daß während Ihrer Abwesenheit keine Ihrer Maßregeln verabsäumt werde.“

Der Kaiser machte die Bewegung der Entlassung, und der Kapitän entfernte sich mit einer tiefen Verneigung. Jetzt war er seines Sieges sicher. Er hatte eines jener Papiere in den Händen, vor denen sich die höchsten Behörden beugen mußten, gegen welche es keinen Widerstand, keine Appellation gab und gegen welche alle Paragraphen aller Gesetze schweigen mußten. –

Königsau hatte sich kein Wort von dieser Unterredung entgehen lassen. Er wartete noch, bis er sah, daß der Kaiser im Begriff stand, zur Ruhe zu gehen. Dann erhob er sich aus seiner liegenden Stellung.

Fast hätte er einen Schrei der Überraschung ausgestoßen, denn er bemerkte eine Gestalt, welche dicht neben ihm stand.

„Pst“, sagte dieselbe. „Erschrecken Sie nicht!“

„Ach, Florian, treue Seele! Aber ich denke, die Treppe ist fort?“

„Ja, sie ist fort. Sie liegt gut aufgehoben im Garten. Doch habe ich Ihnen bereits gesagt, daß noch ein Hauptaufgang nach dem Dach führt.“

„Welch ein Glück, daß man nicht daran gedacht hat, ihn zu benutzen, um mich hier zu suchen.“

„Allerdings. Gerade das klügste haben diese Kerle unterlassen.“

„Ich wäre vielleicht verloren gewesen.“

„Noch nicht, Herr Lieutenant. Ich stand bereits auf der Lauer und hätte Ihnen ein Mittel an die Hand gegeben, zu verschwinden.“

„Welches?“

„Dieses.“

Er trat einige Schritte zurück und nahm einen langen Gegenstand in die Höhe, in welchem Königsau eine Leiter erkannte.

„Sie hätten mit Hilfe dieser Leiter in Ihr Zimmer verschwinden können“, sagte der Kutscher. „Haben Sie gut aufgepaßt?“

„Oh, ich habe viel, sehr viel gehört.“

„Was Ihnen Nutzen bringt?“

„Ja. Ich habe mit Mademoiselle Margot und ihrer Mutter zu sprechen. Werde ich dies wagen dürfen?“

„Warum nicht?“

„Es steht ein Posten vor ihrer Tür.“

„Das wohl, aber doch nicht im Zimmer. Sie werden leise sprechen. Übrigens kann ich ja hinunter gehen und mich mit dem Mann unterhalten, um seine Aufmerksamkeit abzulenken. Aber sagen Sie, ob sie beabsichtigen, noch längere Zeit hier zu bleiben.“

„O nein. Ich muß fort, schleunigst fort.“

„Etwa noch während dieser Nacht?“

„Ja.“

„Das ist zu gefährlich.“

„Warum?“

„Man hat reitende Boten nach Ihnen ausgeschickt.“

„Hm. Und dennoch muß ich. Es hängt viel, sehr viel davon ab. Ich muß sofort zu Blücher.“

„Das ist etwas anderes. Das besiegt ein jedes Bedenken.“

„Wenn ich mich verkleiden könnte.“

„Warum nicht? Ah, da kommt mir ein sehr guter Gedanke. Wissen Sie, welche Verkleidung die beste sein würde?“

„Nun, welchen?“

„Sie legen französische Offiziersuniform an.“

„Dieser Vorschlag ist allerdings höchst akzeptabel. Aber woher soll ich eine Uniform nehmen?“

„Stehlen.“

„Florian.“

„Ah, pah. Sie wird gemaust. Wie wollen wir sie sonst bekommen? Oder wollen Sie vielleicht einem der Generäle eine Staatsvisite machen, um ihn zu bitten, Ihnen eine Uniform zu leihen?“

„Das ist richtig. Übrigens wäre hier ein jedes Bedenken lächerlich. Aber wer soll der Bestohlene sein? Er muß meine Figur haben.“

„Er hat sie auch.“

„Wer?“

„Ist es Ihnen recht, als Major zu reiten?“

„Gewiß! Warum nicht! Es ist ja ein Avancement.“

„Nun, der Adjutant, welcher gekommen ist, ist ein Dragonermajor. Er hat sich müde geritten und sogleich schlafen gelegt. Er schnarcht wie eine Ratte und wird nicht aufwachen. Ich schleiche mich hinein und nehme ihm seine ganze Uniform weg.“

„Aber im Fall des Erwischens.“

„Da sage ich, daß ich ihm die Sachen reinigen will.“

„Das geht. Aber ein Pferd?“

„Wird besorgt. Sie sollen keinen alten Ziegenbock reiten.“

„Gut. Aber nun die Hauptsache, das Schwierigste: Margot muß mit und ihre Mutter auch.“

„Donnerwetter“, fuhr es dem Kutscher heraus.

„Ja, das ist ganz und gar notwendig.“

„Darf ich fragen, warum?“

„Der Kaiser will sie in den nächsten Tagen verheiraten.“

„Mit wem?“

„Mit dem Baron Reillac.“

„Den soll der Teufel holen. Aber Mademoiselle Margot wird doch unmöglich ‚ja‘ sagen!“

„Sie soll gezwungen werden. Richemonte hat des Kaisers Befehl oder Vollmacht in der Tasche.“

„Dann müssen die Damen allerdings fort, und zwar noch diese Nacht. Können sie reiten?“

„Ja. Ich habe von Margot gehört, daß sie Reitunterricht erhalten hat. Auch Mama ist früher gewöhnt gewesen, mit ihrem Mann auszureiten.“

„Aber als Mann oder als Dame zu reiten, das ist ein Unterschied.“

„Ah! Auch eine Verkleidung der Damen?“

„Natürlich. Sie müßten als Ihre Diener gehen.“

„So werden sie versuchen, sich im Herrensattel zurecht zu finden. Aber wie steht es mit der Kleidung?“

„Wird auch gestohlen.“

„Florian, Florian! Man ist ja ein recht großer Spitzbube.“

„Oh, aus Liebe für Sie und Mademoiselle Margot stehle ich die Kirche von Notre Dame und schleppe sie von Paris bis nach Sibirien.“

„Auch Pferde?“

„Ja. Ich werde für zwei recht geduldige und doch schnellfüßige Gäule sorgen. Aber wohin wird die Reise gehen?“

„Ich muß nach Lüttich oder Namur.“

„So weit können die Damen unmöglich mit.“

„Das ist leider allzu wahr. Der Weg ist zu weit.“

„Das ist noch nicht das schlimmste. Die Straße ist jetzt vom Militär belebt. Man würde in den beiden Reitern sofort Frauen erkennen.“

„Ich könnte zwar Schleichwege reiten; aber es ist die größte Eile notwendig, um zur rechten Zeit zu Blücher zu gelangen.“

„Was tut man da?“ fragte der Kutscher nachdenklich. „Hm, vielleicht finde ich einen guten Rat. Es fragt sich, ob Sie mir beistimmen.“

„So werde ich hören.“

„Ich habe in Gedinne einen Gevatter, eine gute, treue Seele. Er wohnt einsam am Waldrand, und keine Verräterei wäre da zu befürchten.“

„Die Damen sollen zu ihm?“

„Ja, als Besuch, als entfernte Verwandte.“

„Das erfordert viel Vertrauen.“

„Ich garantiere für ihn.“

„Ist er französisch gesinnt?“

„Er ist ein geborener Holländer und haßt die große Nation.“

„Aber die Damen, so ganz allein bei ihm, an einem fremden Ort. Der Krieg kann sich in jene Gegend ziehen.“

„Desto besser.“

„Warum?“

„Die Deutschen werden siegen. Stellen sie sich dann dort ein, so sind die Damen erst recht geborgen. Übrigens werde ich bei ihnen bleiben, wenn sie es wünschen, um ganz sicher zu sein.“

„Wird die Baronin es erlauben?“

„Sie würde es sofort erlauben; aber ich reite mit, ohne sie zu fragen.“

„Warum?“

„Hm! Ich denke, es ist besser, die Herrschaft erfährt jetzt gar nichts. Sie hat dann auch nichts zu verantworten.“

„Das ist richtig. Also werde ich jetzt zu den Damen gehen, um mit Margot zu sprechen. Es fragt sich, ob sie sich als Verwundete stark genug fühlt.“

„Die Not bricht Eisen. Ich hoffe, daß es gehen wird.“

„Wie lange reiten wir bis Gedinne?“

„Es sind ungefähr fünf deutsche Meilen. Ich weiß nicht, wie die Damen reiten, und überdies werden wir doch gezwungen sein, Seitenwege einzuschlagen. Wir reiten über Sedan und Bouillon; dann werfen wir uns links in die Berge. Sie können ja später wieder die Heerstraße gewinnen, um rasch vorwärts zu kommen.“

„Gut, ich nehme diesen Vorschlag an. Es ist zunächst die Hauptsache, die beiden Damen diesem Kapitän Richemonte aus den Augen zu rücken. Dieses Gedinne ist ein einsamer Ort?“

„Ganz und gar einsam. Mein Gevatter hat ein kleines Stübchen im oberen Geschoß. Dort können die Damen wohnen, ohne daß jemand das geringste über ihre Anwesenheit erfährt. Also jetzt werde ich den Spitzbuben machen. Nehmen Sie unterdessen die Leiter und besuchen Sie Mademoiselle Margot.“

Er schlich sich leise fort. Königsau öffnete die Treppenluke, durch welche man in sein Zimmer gelangte, ließ die Leiter, welche gerade paßte, hinab und stieg hinunter. Unten horchte er an der Tür, welche zu Margots Zimmer führte. Er vernahm ein leises Flüstern. Worte waren nicht zu unterscheiden, doch hatte er die Überzeugung, daß keine fremde Person sich mit in dem Zimmer befinde.

Er klopfte leise an. Man horchte. Dies merkte er daraus, daß das Flüstern verstummte. Jetzt drückte er die Klinke nieder und öffnete die Tür um eine schmale Spalte. Er sah Margot im Bett liegen und ihre Mutter neben ihr sitzen. Sonst war niemand zu sehen.

„Pst. Keinen Laut der Überraschung!“ warnte er leise.

Nun erst stieß er die Tür vollends auf und trat ein. Margots bleiche Wangen röteten sich, und ihre bisher matten Augen blitzten auf vor Freude.

„Hugo!“

Bei diesem Wort streckte sie ihm beide Arme entgegen. Er trat heran zu ihr, und da schlang sie die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich nieder, so daß seine Wange an ihre Brust zu liegen kam.

„Mein Gott, was wagen Sie!“ sagte ihre Mutter im Flüsterton. „Es steht ein Posten vor der Tür.“



„Tritt er ein?“ fragte er.

„Er hat es noch nicht getan; aber er kann es in jedem Augenblick versuchen.“

„Das wollen wir ihm unmöglich machen.“

Er befreite sich leise aus der Umschlingung der Geliebten, glitt nach der Tür hin und schob den Innenriegel vor.

„Wenn man es merkt, daß wir verriegelt haben, wird man doppelt mißtrauisch sein“, bemerkte die Mutter.

„Das schadet nichts“, antwortet er. „Bevor Sie öffnen, bin ich längst wieder verschwunden.“

„Wohin, mein Hugo?“ fragte Margot.

„Hinauf auf das Dach.“

„Bist du dort sicher?“

„Vollständig. Der brave Florian wacht über mich. Aber sage mir, mein Leben, wie du dich befindest.“

„Ich war sehr matt; jetzt aber bin ich wieder sehr stark“, antwortete sie mit einem glückseligen Lächeln in dem schönen Gesicht.

„Hast du Schmerzen?“

„Die Wunde fühle ich nicht; doch um dich habe ich Wehe.“

„Um mich? Warum?“

„Daß du um meinetwillen solche Beleidigungen und Kränkungen zu erdulden hast. Du warst so stark, so gut und kühn, und zum Dank dafür trachtet man dir nach dem Leben.“

Er nahm ihr Köpfchen an seine Brust, blickte ihr tief in die Augen und sagte im innigsten Ton:

„Ein Wort, ein Blick von dir macht das alles wieder gut.“

„Hast du mich wirklich so lieb?“

„Ja, unendlich!“

„Und ich dich ebenso. Darum ist mir so bange um dich, mein Hugo. Wenn man dich ergreift, so bist du verloren.“

„Habe keine Angst! Man wird mich nicht ergreifen.“

„Ich hoffe es; denn du wirst dich hier verbergen, bis der Weg frei ist.“

„Leider ist mir dies unmöglich, meine Margot.“

„Warum?“

„Weil ich diese Nacht wieder fort muß.“

„Mein Gott, wie gefährlich! Hugo, ich lasse dich nicht fort.“

Sie umschlang ihn fester als bisher mit ihren Armen.

„Und dennoch wirst du mich sofort fortlassen, wenn ich dir sage, daß die Pflicht mich dazu zwingt.“

„Diese böse Pflicht, von welcher ihr Männer doch immer redet. Ist es denn wirklich eure Pflicht, euch aus einer Gefahr in die andere zu stürzen?“

„Zuweilen, ja. Der Mensch ist zu keiner Stunde seines Lebens sicher, und ein Offizier darf dies mit noch größerer Berechtigung von sich sagen. Übrigens gilt es, unserem Freund einen hochwichtigen Dienst zu erweisen.“

„Welchem Freunde?“

„Dem Marschall.“

„Ah, unserem Vater Blücher! Seinetwegen mußt du fort?“

„Ja. Er hat mich ausgesandt, um so viel wie möglich über die Absichten unserer Feinde zu erfahren. Jetzt muß ich schleunigst zu ihm zurück.“

„Hast du etwas erfahren?“

„Ja.“

„Wichtiges?“

„Höchst Wichtiges. Ich habe die sämtlichen Pläne Napoleons belauscht.“

„Mein Gott, welch ein Glück für dich! Ja, dann ist es wahr, daß du zu dem Marschall mußt. Aber mit welcher Gefahr ist das verbunden!“

Und ihr Köpfchen innig an ihn schmiegend, fügte sie hinzu:

„Ich wollte sehr, daß ich sie mit dir teilen könnte.“

Da strich er ihr mit der Hand zärtlich über das reiche Haar und antwortete:

„Wenn dir dieser Wunsch in Erfüllung ginge, mein Leben?“

Sie hob schnell die Augen zu ihm empor und fragte:

„Wie meinst du das, Hugo?“

„Ich meine, ob du, wenn du gesund wärst, den Mut hättest, mich zu begleiten?“

„Oh, den habe ich, ich könnte an deiner Seite den Donner der Schlachten ruhig ertragen. Glaubst du mir das?“

„Ich glaube es, denn du hast es ja bereits bewiesen.“

„Ich bewiesen? Wann und wo?“

„In Paris. Da bist du mir schützend nachgefolgt, als ich überfallen werden sollte. War das nicht mutig?“

„Oh, das war kein Mut, das war nur der Stimme des Herzens gefolgt.“

„Das beweist eben, daß du ein mutiges Herz hast. Also du würdest auch heute die Gefahr mit mir teilen?“

„Oh, wie gern.“

„Aber du bist krank. Du bist zu schwach.“

„Wenn es notwendig wäre, würde ich schon stark dazu sein.“

„Wirklich?“

„Gewiß.“

„Nun, so will ich dir sagen, daß es vielleicht notwendig sein wird.“

„Was Sie sagen“, fiel da die Mutter ein. „Sie meinen, daß wir veranlaßt sein könnten, Jeannette zu verlassen?“

„Leider, meine liebe Mama.“

„Aus welchem Grund? Ah, ich vermute ihn.“

Sie begleitete diese Worte mit einem halb und halb mißbilligenden Blick.

„Ich bin überzeugt, daß Sie sich irren“, sagte er.

„Ich errate sicher das richtige.“

„Versuchen wir es einmal.“

„Sie sind ein wenig eifersüchtig, mein lieber Herr von Königsau.“

„Nicht im mindestens.“

„O doch! Und Sie denken, der Titel eines Kaisers sei wohl imstande, ein Mädchenherz zu verwirren.“

„Dieses Mädchenherz müßte nicht so stark sein wie das Herz meiner Margot, für welches es geradezu beleidigend sein würde, wenn ich Eifersucht fühlen wollte.“

„Ich danke dir, Hugo“, sagte Margot. „Der Grund ist also ein anderer?“

„Ja, es droht dir von Seiten des Kaisers eine große Gefahr!“

„Also doch eine Art von Eifersucht!“ lächelte Frau Richemonte.

„O nein. Es ist gegen Margot ein Plan im Werk, den zu belauschen ich so glücklich war. Daß Kapitän Richemonte hier Etappenkommandant geworden ist, wissen Sie vielleicht, Mama.“

„Ja. Er hat es uns selbst gesagt.“

„In dieser seiner Eigenschaft ist er mit ungewöhnlicher Macht ausgerüstet. Man hat ihm zu gehorchen, ohne ihn zunächst zur Verantwortung ziehen zu können. Und außerdem hat ihm der Kaiser den Befehl erteilt, Sie hier gefangen zu halten.“

„Doch, weil man Sie hier vermutet?“

„Nein, sondern weil man Margot mit dem Baron Reillac vermählen will.“

Margot fuhr rasch empor.

„Mit diesem Menschen?“ fragte sie.

„Ja.“

„Wer will mich zwingen?“

„Dein Bruder, und zwar im Auftrag des Kaisers.“

„Kein Kaiser hat die Macht dazu.“

„O doch, liebe Margot. Ich habe gesehen und gehört, daß Napoleon deinem Bruder eine schriftliche Vollmacht überreicht hat. Es stehen ihm alle Behörden zur Verfügung, um dich auf irgendeine Weise zu dieser Vermählung zu zwingen.“

„Mein Gott! Ist das wirklich wahr?“ fragt die Mutter.

„Ja, leider“, antwortete er. „Morgen wird der Kapitän nach Sedan reiten, um Reillac zu benachrichtigen.“

„Aber zu welchem Zweck soll ich die Frau dieses Mannes werden?“ fragte Margot.

„Ich muß dir sagen, liebe Margot, daß Reillac als dein Mann den strengen Befehl erhalten würde, dich nicht eher anzurühren, als bis der Kaiser es ihm erlaubt.“

Margot erglühte.

„Schütze mich, Hugo!“ bat sie.

„Ich bin bereit dazu, meine Margot. Doch kann ich dir nur dann Schutz gewähren, wenn du Jeannette mit mir zugleich verläßt.“

„Noch diese Nacht, Hugo?“

„Ja.“

„Ich gehe mit.“

Frau Richemonte war ganz blaß geworden.

„Das ist doch noch zu prüfen“, sagte sie. „Ich setze nicht den mindesten Zweifel in die Wahrheit dessen, was Sie sagen, lieber Sohn; Sie haben alles selbst gehört?“

„Alles!“

„Nun gut. Aber gibt es wirklich kein anderes Mittel, als diese Flucht?“

„Ich weiß keins.“

„Wenn wir nun an die Großmut des Kaisers appellieren?“

„Wie großmütig er ist, hat er an mir bewiesen, Mama.“

„Das ist allerdings wahr. Aber ist die Flucht denn möglich?“

„Ich denke, ja.“

„Wir sind ja gefangen; wir werden bewacht.“

„Diese Wohnung hat noch einen anderen Ausgang.“

„Auch ich soll mich an der Flucht beteiligen?“

„Ich bitte Sie darum.“

„Wohin werden Sie uns bringen? Zu Blücher?“

„Das ist für jetzt unmöglich. Der Kaiser hat heute Marschorder erteilt, und morgen sind alle Militärkolonnen in Bewegung. Wir würden nicht so weit durchkommen. Florian hat mir einen braven Mann empfohlen, bei dem Sie ganz sicher sein würden. Er wird uns selbst begleiten.“

„Wohin?“

„Nach Gedinne.“

„Da ist nach Givet zu; also müssen wir durch Sedan, gerade durch die Franzosen hindurch. Ist das nicht zu gefährlich?“

„Nein. Ich reise als französischer Major.“

„Und wir?“

„Als meine Diener.“

Frau Richemonte blickte ihm erstaunt, ja betroffen in das Angesicht.

„Als – Ihre Diener?“ fragte sie.

„Ja.“

„Sie scherzen.“

„Es ist im Gegenteil mein völliger Ernst. Männerkleidung müssen Sie anlegen, weil bereits morgen früh, sobald man Ihre Flucht bemerkt, überall nach zwei Damen geforscht werden wird.“

„Welch ein Fall.“

„Welch ein Abenteuer!“ sagte Margot. „Ich als dein Diener.“

„Aber wie reisen wir?“ fragte ihre Mutter. „Zu Wagen?“

„Nein, das wäre zu auffällig und zu beschwerlich. Wir werden reiten.“

„In Männerkleidung?“

„Ja.“

Es wurde Königsau schwer, Frau Richemonte zur Annahme seines Plans zu bewegen. Margot hingegen freute sich förmlich darauf.

„Wann geht es fort?“ fragte sie.

„Florian wird uns benachrichtigen. Aber sage, ob du nicht zu schwach zu einem solchen Ritt sein wirst?“

„Ich fühle mich stark genug dazu.“

„Gott wolle es, daß du dich nicht täuschst.“

„Weiß meine Cousine bereits davon?“ fragte Frau Richemonte.

„Nein. Sie und niemand darf etwas wissen, damit keine Verantwortlichkeit auf jemand fällt.“

Soweit war das Gespräch gekommen, als die Tür, durch welche Königsau eingetreten war, leise geöffnet wurde. Florian trat ein, einen mächtigen Pack Kleidungsstücke mit sich schleppend.

„Das ist alles, was wir brauchen“, flüsterte er.

„Mein Majorsanzug?“ fragte der Lieutenant.

„Ja. Und hier zwei andere Anzüge für die Damen.“

„Werden sie passen?“ fragte Margot.

„Hm, das ist sehr fraglich. Ich habe sie im Finstern gestohlen, und dabei ist es nicht gut möglich, genau Maß zu nehmen.“

„Gestohlen?“ fragte Frau Richemonte erschrocken.

„Ja, Madame.“

„Aber, warum denn stehlen?“

„Weil auf andere Weise das Nötige nicht zu bekommen wäre.“

„Aber da sind wir ja straffällig?“

„Machen Sie sich da keine große Sorge, liebe Mama“, bat Königsau. „Wir fliehen, um der Gefangenschaft und noch anderem zu entgehen; da darf man es mit den Nebensachen nicht so streng nehmen. Aber hier sehe ich doch auch Frauenkleider.“

„Ja“, antwortete Florian. „Ich habe für jede der Damen einen Anzug mitgebracht, wie er von den wohlhabenden Mädchen und Frauen dieser Gegend getragen wird.“

„Auch gestohlen?“

„Nein. Ein solches Raubgenie bin ich denn doch nicht ganz. Ich habe mir diese Sachen nur ein wenig geborgt.“

„Von wem?“

„Von der Wirtschafterin.“

„So ist sie in den Plan eingeweiht worden?“

„O nein. Ich habe ihr gesagt, daß es sich um einen kleinen Hochzeitsscherz handele, und da ich sonst nicht sehr spaßhaft bin, so hat sie es geglaubt.“

„Aber wozu Frauenkleidung, Florian?“

„Das ist doch sehr einfach. Am Tag müssen die Damen in ihrer Verkleidung einem jeden auffallen, der Augen hat. Die Militärsachen sind nur da, um durch Sedan zu kommen, dann werden wir weiter sehen. Übrigens dürfen die Damen nur in Frauenkleidung in Gedinne anlangen. Jetzt will ich gehen, um zu sehen, auf welche Weise wir am leichtesten zu den nötigen Pferden kommen.“

„Halten Sie es für möglich, daß Kapitän Richemonte nochmals hierher kommt, um zu revidieren?“ fragte Frau Richemonte.

„Ich halte es sogar für sehr wahrscheinlich.“

„Aber dann wird er vielleicht diese Kleider bemerken.“

„Nein. Ich werde den Herrn von Königsau bitten, sie mit auf das Dach zu nehmen, um dort auf mich zu warten. Ich habe die Sachen jetzt nur gebracht, damit Sie sich dieselben einmal betrachten können.“

Er ging. Auch Königsau kehrte nach einiger Zeit auf das Dach zurück. Er hatte die Kleider mitgenommen und wartete nun auf die Rückkehr des braven Kutschers, welcher es so gut verstanden hatte, ihn vorher über seine Pfiffigkeit zu täuschen. –

Es war fast gegen Mitternacht, als ein einzelner Reiter vor dem Tor hielt. Es war sehr finster geworden.

„Wer da?“ fragte die dort postierte Schildwache.

„Armeelieferant de Reillac“, lautete die Antwort.

„Kann passieren.“

Der Baron ritt in den Hof ein und stieg da vom Pferd. Als er sein Tier an eine Zaunlatte angebunden hatte, begab er sich nach dem Wachtlokal, welches sehr leicht dadurch zu erkennen war, daß es erleuchtet war. Als er dort eintrat, fuhr er erstaunt einen Schritt zurück.

„Sie hier, Kapitän?“ fragte er.

Wirklich befand sich Kapitän Richemonte augenblicklich bei dem Wachthabenden. Er hatte sich fest vorgenommen, diese Nacht nicht zu schlafen, sondern ohne Unterlaß um den Meierhof zu patrouillieren. Es war doch möglich, daß Königsau, falls er sich hier befand, ihm dabei in die Hände lief.

„Und Sie hier, Baron?“ gegenfragte Richemonte.

„Allerdings. Ich erfuhr, daß der Kaiser hier abgestiegen sei und ritt hierher, um für morgen eine Audienz zu erbitten.“

„In Lieferungssachen?“ fragte Richemonte lachend.

„Natürlich.“

„Sie wollen bitten, die Schlachtochsen nicht gar so fett kaufen zu müssen.“

„Und die Stiefel nicht gar so lang“, fügte der Wachthabende hinzu.

„Scherzen Sie immerhin“, meinte Reillac. „Mir ist die Sache sehr ernst. Bei mir stehen Millionen auf dem Spiel. Heute kam die Order zum Marschieren. Ich habe mir die Befehle des Hauptquartieres einzuholen, glaubte aber nicht, Sie hier zu finden, Kapitän.“

„Oh, ich bin überall da, wo es gilt, Ihnen einen Dienst zu erweisen“, antwortete Richemonte.

Reillac blickte ihn einigermaßen verblüfft an.

„Sie mir?“ fragte er.

Allerdings war gewöhnlich er es gewesen, welcher dem Kapitän Dienste geleistet hatte.

„Ja, ich Ihnen“, antwortete der Gefragte ruhig.

„Welcher Dienst wäre das?“

„Wollen Sie es erfahren, so folgen Sie mir nach meiner Wohnung.“

„Sie haben eine Wohnung hier?“

„Ja. Oder soll ich als Etappenkommandant nicht auf der Etappe wohnen dürfen?“

„Etappenkommandant? Von Jeannette?“

„Ja.“

„Und ich vermutete sie in der Nähe der feindlichen Aufstellungen.“

„Von dort bin ich zurückgekehrt. Doch kommen Sie.“

Er nahm ihn am Arm und führte ihn nach dem Zimmer, welches er sich hatte anweisen lassen. Dort angekommen, brannte er sich eine Zigarre an und warf sich mit der Miene eines gemachten Mannes auf das Sofa.

„Setzen Sie sich, Baron!“ sagte er in der Weise eines Gönners, der gerade einmal bei guter Laune ist.

Der Armeelieferant nahm langsam Platz, betrachtete kopfschüttelnd sein Gegenüber und sagte dann:

„Kapitän, mit Ihnen ist etwas vorgegangen!“

„Allerdings!“ nickte Richemonte.

„Aber was?“

„Vieles! Und ich hoffe, daß auch noch verschiedenes mit mir vorgehen wird.“

„Wie kommen Sie dazu, Etappenkommandant von Jeannette zu werden?“

„Pah! Wie kommen Sie dazu, Armeelieferant zu werden?“

„Ich habe das Geld für diesen Posten.“

„Und ich habe das Geschick zu meinem Posten.“

„Donnerwetter, Sie scheinen seit kurzem an Selbstbewußtsein zugenommen zu haben. Wie kommt das?“

„Das werden Sie vielleicht erfahren. Vorher aber eine Frage.“

„Fragen Sie.“

„Können Sie mir zehntausend Francs borgen?“

„Nicht zehn Sous.“

„Warum nicht? Haben Sie kein Geld?“

„Geld habe ich, aber nicht für Sie. Sie sind ein Blutegel, welcher nur immerwährend saugt, ohne jemals etwas zurückzugeben.“

„Nun gut, so will ich Ihnen sagen, daß ich nur im Scherz sprach. Ich brauche Ihr Geld nicht mehr!“

„Das glaube Ihnen der Teufel, aber ich nicht! Es hat in Ihrem Leben nicht einen einzigen Augenblick gegeben, in welchem Sie nicht Geld gebraucht hätten.“

„Das ist leider sehr wahr; heute aber ist der Augenblick gekommen.“

„Vom Himmel herabgefallen?“ hohnlächelte der Baron.

„So ziemlich!“ antwortete der Kapitän ruhig.

„Gratuliere.“

„Danke!“

„Dann kommt vielleicht auch einmal die Zeit, in welcher Sie an Ihre Akzepte denken, welche ich noch immer in den Händen habe.“

„Ich denke eben jetzt daran.“

„Haben Sie vielleicht den edlen Vorsatz, sie einzulösen?“

„Warum sollte ich ihn nicht haben?“

„Donnerwetter, dazu gehört viel Geld.“

„Pah. Die Schatulle des Kaisers steht mir zur Verfügung.“

„Sie schwärmen, teurer Kapitän.“

„Sie sind ein großer Esel, geliebter Baron.“

„Warum?“

„Weil Sie mir nicht zutrauen, auch einmal auf einen grünen Zweig zu kommen. Glauben Sie, der Kaiser hätte mich so ohne alle Veranlassung auf den gegenwärtigen verantwortlichen Posten gesetzt?“

„Das ist wahr. Sie müssen ihm bedeutende Dienste geleistet haben.“

„Allerdings“, nickte der Kapitän gewichtig.

„Darf man fragen, welche?“

„Das bleibt zunächst Geheimnis. Ich deute nur an, daß ich mich einige Tage lang in der Nähe des feindlichen Hauptquartiers aufhielt.“

„Hm. Das Weitere läßt sich erraten. Der Etappenposten ist also erklärt, aber das mit der kaiserlichen Schatulle leuchtet mir noch nicht ein.“

„Meinetwegen. Mir ist es ziemlich gleichgültig, ob Sie erleuchtet sind oder nicht. Da Sie mir aber einige Dienste erwiesen haben, will ich Sie doch fragen, ob ich Ihnen in irgendeiner Weise dankbar sein kann.“

Der Baron sperrte unwillkürlich den Mund weit auf.

„Sie tun ja ganz außerordentlich einflußreich, Kapitän“, sagte er.

„Bin es auch!“ antwortete Richemonte kurz.

„Nun, so zahlen Sie zunächst Ihre Akzepte.“

„Werde es nächstens tun.“

„Oder, noch lieber wäre es mir und Ihnen vielleicht auch – hm! –“

Er hielt zögernd inne, den Kapitän musternd.

„Nun sprechen Sie weiter!“ sagte dieser.

„Ich meine, daß es vorteilhafter wäre, wenn Sie mich in der bereits so oft angedeuteten Weise bezahlen könnten.“

„Welche Weise wäre das?“ fragte der Kapitän zurückhaltend.

„Ich denke dabei an Margot.“

„Ah! So haben Sie noch immer nicht verzichtet?“

„Spielen wir nicht Theater. Sie kennen meine Absichten nur zu gut.“

„Diese Absichten dürften bei der allerhöchsten Protektion, deren ich mich jetzt erfreue, nicht mehr hoffnungslos sein.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Bis jetzt noch gar nichts. Lassen Sie uns vorher das nötige strikt formulieren. Sie beabsichtigen noch, meine Schwester zu heiraten?“

„Ja.“

„Was geben Sie mir, wenn ich diese Heirat zustande bringe?“

„Ich zerreiße die Wechsel.“

„Welchen Nutzen bringt meine Schwester die Ehe?“

„Ich setze ihr im Falle meines Todes ein großartiges Witwengehalt aus.“

„Pah. Haben Sie viel Verwandte?“

„Sehr wenige und entfernte.“

„So mache ich die Bedingung, daß meine Schwester im Falle Ihres Todes Ihre Universalerbin wird.“

„Kapitän, Sie verlangen viel.“

„Und Sie nicht weniger. Meine Schwester ist ein Vermögen wert!“

„Es ließe sich allerdings noch weiter darüber sprechen.“

„Sprechen? O nein, Baron, ich sage Ihnen ganz aufrichtig, daß ich ganz und gar nicht Lust habe, in dieser Angelegenheit bloß Worte zu verlieren.“

„Sie wollen Taten? Also welche?“

„Sie geben mir ein Dokument darüber, daß meine Schwester Ihre Universalerbin wird –“

„Natürlich nach der Hochzeit.“

„Natürlich vor der Hochzeit. Nach derselben wäre es zu spät, und ich habe ganz und gar die Absicht, so sicher wie möglich zu gehen.“

„Gut; ich stimme bei. Weiter.“

„Sie zerreißen meine sämtlichen Akzepte.“

„Natürlich nach der Hochzeit.“

„Nein, sondern auch vor der Hochzeit. Ich gehe am liebsten sicher.“

„Ich ebenso. Wie nun, wenn ich heute die Akzepte zerreiße, und morgen erfahre ich, daß aus der bereits geplanten Verbindung wieder nichts wird?“

„Ich gebe Ihnen Sicherheit.“

„Welche?“

„Würde Ihnen der Befehl des Kaisers genügen?“

„Donnerwetter! Natürlich vollständig.“

„Nun gut, so zerreißen Sie die Wechsel.“

„Sie wollen doch nicht sagen, daß der Kaiser diesen Befehl geben wird.“

„Nein, sondern ich will nur sagen, daß er ihn bereits gegeben hat.“

Diese Worte waren mit so kalter Überlegung gesprochen, daß der Baron sich von seinem Stuhl erhob und schnell fragte:

„Hölle und Teufel! Sind Sie recht gescheit oder nicht?“

„Ich wenigstens halte mich nicht für ganz dumm. Aber Sie?“

„Nun, für dumm halte auch ich Sie nicht, aber für ziemlich leichtsinnig.“

„So glauben Sie, daß ich Ihnen jetzt einen blauen Dunst vormache?“

„Das glaube ich allerdings, wie ich Ihnen ganz aufrichtig gestehe.“

„Ich werde Ihnen beweisen, daß ich die Wahrheit sage.“

Die Leidenschaft, welche der Baron für Margot fühlte, prägte sich in seinem ganzen Gesicht aus.

„Beweisen Sie es!“ sagte er.

„Ich bin bereit, Ihnen den schriftlichen Befehl des Kaisers zu zeigen und auch nach demselben zu handeln, stelle aber zwei Bedingungen.“

„Welche?“

„Sie geben mir gleich jetzt Ihre Unterschrift, daß meine Schwester Ihre Universalerbin wird, und Sie reiten gleich jetzt nach Sedan, um mir noch vor Anbruch des Tages meine Wechsel zur Verfügung zu stellen.“

„Warum diese Hast?“

„Weil der Kaiser bereits früh abreist. Begreifen Sie nicht, daß ich Sie ihm als den Verlobten meiner Schwester vorstellen will?“

Die Augen des Barons glühten vor Begierde.

„Das ist wahr, Kapitän?“ fragte er.

„Ja, vollständig wahr.“

„Nun, so werde ich Ihnen die Unterschrift geben, sobald Sie mir die Ausfertigung des Kaisers zeigen, und dann sofort nach Sedan reiten, um Ihnen die Wechsel zu bringen.“

„Sie haben sie nicht mit?“

„Nein.“

„Sie geben mir Ihr Ehrenwort, daß Sie Ihre Versprechungen halten?“

„Mein Ehrenwort“, antwortete der Baron unter eifrigem Kopfnicken.

„Nun, so sehen Sie einmal.“

Der Kapitän zog seine Brieftasche hervor, öffnete dieselbe und nahm das Blatt heraus, welches er von dem Kaiser erhalten hatte. Der Baron griff danach und verschlang die Worte mit weit geöffneten Augen. Dann hielt er das Dokument gegen das Licht, um es zu prüfen.

„Es ist echt, echt, echt!“ rief er triumphierend. „Margot wird meine Frau, endlich endlich, endlich! Alle Teufel, wie will ich sie in der ersten Zeit dafür strafen, daß ich so lange warten mußte.“

„Tun Sie das, Baron. Sie hat es verdient.“

„Oh, aber dann soll sie den Himmel auf der Erde haben.“

„Und Sie die Hölle in diesem Himmel. Geben Sie wieder her!“

Er nahm dem Baron das Dokument wieder aus der Hand.

„Ich darf es nicht behalten?“ fragte dieser.

„Wozu? Haben Sie nicht gelesen, daß mir die Vollmacht erteilt wird, die Arrangements zu treffen?“

„Allerdings.“

„Und haben Sie die von mir gestellten Bedingungen bereits erfüllt?“

„Muß es wirklich gleich sein?“

„Ja. Die Gegenwart des Kaisers muß benutzt werden.“

„So geben Sie Papier her. In welcher Form wünschen Sie meine Erklärung niedergeschrieben?“

„Ganz kurz. Sie sagen, daß meine Schwester Ihre Universalerbin sei, indem Sie die Absicht haben, dieselbe zu Ihrer Frau zu machen.“

Vor Freude und Entzücken über die zu erwartende Erfüllung seines so lange Zeit vollständig vergeblichen Wunsches dachte der Baron gar nicht daran, diese so ganz und gar verfängliche Wortstellung und Ausdrucksweise einer Prüfung zu unterwerfen. Er schrieb, wie es ihm angegeben worden war, und setzte seinen Namen und das Datum darunter.

„So! Genügt das?“ fragte er.

„Vollständig“, antwortete der Kapitän.

Sein Auge ruhte wie dasjenige eines Raubtieres auf diesem wichtigen Dokument, als er es zusammenfaltete und in seine Brieftasche steckte.

„Haben Sie bereits mit Margot gesprochen?“

„Ja.“

„Kennt sie den Willen des Kaisers?“

„So ziemlich.“

„Und wie verhält sie sich dazu?“

„Mehr passiv als aktiv.“

„So haben wir ja bereits mehr als halb gewonnen! Und die Mutter?“

„Oh, die ist noch leichter zu zähmen als die Tochter! Ich habe dem Kaiser ganz einfach die Wahrheit gesagt.“

„Welche Wahrheit meinen Sie?“

„Daß die beiden Damen sich bisher gegen Ihre Huldigungen sträubten.“

„Donnerwetter! War dies nicht blamierend für mich?“

„Ganz und gar nicht. Sie sind weder schön, noch jung; es läßt sich also begreifen, daß ein lebensfrisches Mädchen einen feschen Husarenoffizier Ihnen vorzieht. Wo liegt da die Blamage?“

„Sie sind fast mehr als aufrichtig, Kapitän.“

„Oh, ich gebe der Sache nur die richtigen Worte.“

„Sie kommen aber da sehr leicht in die Gefahr, für grob gehalten zu werden.“

„Das bin ich zuweilen wirklich.“

„Wie zum Beispiel gerade jetzt.“

„Meinetwegen. Unter Freunden rechnet man nicht so streng, und daß ich Ihr Freund bin, glaubte ich Ihnen bewiesen zu haben.“

„Und nebenbei handelten Sie in Ihrem eigenen Interesse.“

„Ich leugne dies gar nicht, obgleich mein Interesse es gar nicht erforderte, Margot so scharf auf die Folter zu nehmen, wie es geschehen ist.“

„Was meinen Sie? Was ist geschehen?“

„Margot ist meine Gefangene.“

„Alle Teufel! Warum?“

„Um sie zur Räson zu bringen. Sie gibt entweder ihr Jawort freiwillig, und dann wird die Hochzeitszeremonie öffentlich und in feierlicher Weise vorgenommen werden, oder sie verweigert es, und dann wird sie in ihrem Zimmer Ihre Frau, ohne gefragt zu werden.“

„Hat dies Geltung?“

„Wer kann gegen des Kaisers Befehl?“

„Allerdings! Aber man kann doch zuweilen nicht wissen, was – – –“

„Pah!“ unterbrach ihn rasch der Kapitän. „Ich habe Vollmacht, nach Belieben zu handeln. Kann Margot nicht krank sein? Kann sie nicht vom Schlag getroffen und der Sprache beraubt worden sein? Lassen Sie mich nur machen.“

„Kapitän, Sie sind bei Gott ein ausgezeichneter Kerl. Sie sind wert, mein Schwager zu sein.“

„Danke! Dieses Kompliment bringt mich ganz und gar nicht um den Verstand. Übrigens muß ich Sie fragen, ob Sie bereits wissen, was dem Kaiser heute unterwegs passiert ist.“

„Ich habe es in Sedan erzählen hören. Er ist überfallen worden.“

„Was hat man über seine Rettung gesagt?“

„Viel Abenteuerliches. Ein junger Mann soll ihn gerettet haben, ein wahrer Roland, ein Goliath, welcher die Räuber niedergemäht hat wie Halme.“

„Unsinn! Wissen Sie, wer dieser Goliath gewesen ist?“

„Nun?“

„Sie kennen ihn sehr genau; denn auch Sie haben mit ihm zu tun gehabt, und zwar in Paris; ich meine nämlich Königsau.“

Der Baron schüttelte ungläubig den Kopf.

Kapitän Richemonte blickte seinen Partner triumphierend an und weidete sich an dem Erstaunen desselben.

„Ja, ja, ich meine wirklich den Lieutenant Königsau“, wiederholte der Kapitän, jedes Wort scharf betonend.

Der Baron sperrte den Mund abermals weit auf. Dieses Mal wurde es ihm wirklich schwer, zu Worte zu kommen.

„Kö-nigs-au?“ fragte er endlich gedehnt.

„Ja.“

„Dieser preußische Husarenlieutenant soll den Kaiser gerettet haben?“

„Allerdings.“

„Unmöglich!“

„Oh, höchst wahrscheinlich.“

„Ich hörte doch, es sei ein Seekapitän aus Marseille gewesen.“

„Königsau war es. Er hat sich allerdings für einen Seekapitän ausgegeben, da er als Spion in dieser Gegend gewesen ist. Wir haben den ganzen Meierhof nach ihm durchsucht.“

„War er hier?“

„Jedenfalls.“

„Aber man hat ihn nicht gefunden?“

„Leider nein.“

„Jammerschade.“

„Allerdings. Ich selbst erhielt vom Kaiser den Auftrag, nach ihm zu suchen; aber auch meine Bemühungen waren erfolglos. Übrigens habe ich dabei eine Bemerkung gemacht. Sie kennen den Kutscher Florian?“

„Ja. Er ist von mir bestochen.“

„Sie glauben, ihm trauen zu dürfen?“

„Gewiß.“

„Ich warne Sie vor ihm. Es ist mir ein häßlicher Streich gespielt worden, dessen Urheber ich in ihm vermute. Er scheint mir überhaupt nicht so sehr einfältig zu sein, wie er gern erscheinen möchte.“

„Er hat mir aber bereits sehr viel genützt.“

„Und im geheimen wohl noch viel mehr geschadet. Ich werde auf diesen Menschen ein scharfes Auge haben. Ich bemerke zum Beispiel, daß er heute Abend ruhelos von einem Ort zum andern schleicht. Ich glaube, er hat etwas vor. Vielleicht steckt er gar mit diesem Königsau im Bund.“

„Das glaube ich nicht.“

„Er soll es sich auch nicht einfallen lassen. Übrigens habe ich mit Ihnen bereits zu viel Zeit versäumt. Wir müssen uns trennen.“

„Was gibt es für Sie noch so Nötiges zu tun?“

„Ich passe auf, ob ich vielleicht doch noch den Preußen erwische. Ich schleiche mich ohne Unterlaß um den Meierhof herum. Dabei habe ich eben diesen Florian bemerkt, welcher mir dadurch verdächtig geworden ist.“

„So will ich Sie nicht stören, Kapitän. Es wäre ja auch mir ein wahres Gaudium, wenn es Ihnen gelänge, diesen Königsau zu fangen. Ich reite also jetzt nach Sedan zurück, um Ihnen die Wechsel zu holen. Doch sage ich Ihnen vorher, daß Sie dieselben erst nach unserer Audienz beim Kaiser ausgehändigt erhalten.“

„Mir ist das gleich. Geben Sie die Wechsel nicht, so erhalten Sie Margot nicht; das steht unumstößlich fest.“

„Man muß unter Freunden ehrlich sein, und Freunde sind wir beide hoffentlich doch. Also auf Wiedersehen, Kapitän.“

„Auf Wiedersehen!“

„Wann steht der Kaiser auf?“

„Bei Tagesanbruch.“

„So muß ich mich beeilen.“

Er verließ das Zimmer. Der Kapitän blieb lauschend stehen, bis die Schritte verklungen waren. Dann murmelte er, tief aufatmend:

„Endlich, endlich gesiegt. Diese verdammten Akzepte werden vernichtet, und das Erbschaftsdokument, ah, wozu ist das nicht zu gebrauchen! Den Namen verändert, so bin ich der Universalerbe. Diese Angelegenheit läßt sich überhaupt auf sehr verschiedene Weise nutzbar machen. Der Kaiser will mir wohl, Margot wird gezähmt, ich bin meine Schulden los und darf nun endlich aufatmen. Freilich darf ich diesem Baron jetzt noch nicht mitteilen, daß er sich zu hüten hat, Margot anzurühren. Ich glaube, es fiele ihm ein, noch in letzter Stunde scheu zu werden.“

Nach diesem Selbstgespräch begab er sich wieder hinaus, um seinen Patrouillengang fortzusetzen. –

Kurze Zeit vorher war Florian auf das Dach zu Königsau gekommen. Dieser hatte geglaubt, daß es Zeit zum Aufbruche sei.

„O nein“, sagte da der Kutscher. „Ich befürchte fast, daß es uns unmöglich sein wird, fortzukommen.“

Königsau erschrak.

„Warum sollte es unmöglich sein?“ fragte.

„Weil dieser Richemonte gar nicht zur Ruhe kommen will.“

„Was tut er?“

„Er schleicht ruhelos aus einer Ecke in die andere. Fast scheint es mir, als ob er ahne, daß Sie sich noch auf Jeannette befinden.“

„Er wird das Schleichen schon noch satt bekommen. Haben wir nur noch einige Zeit Geduld.“

Es verging abermals eine Stunde, während welcher Florian auf sich warten ließ. Endlich erschien er. Königsau hörte, daß er einen leisen Fluch ausstieß.

„Was gibt es abermals?“ fragte er.

„Jetzt hatte ich ein wenig Luft“, antwortete der Kutscher. „Es kam ein Reiter, mit welchem der Kapitän sich bis jetzt unterhalten hat. Diese Zeit habe ich benutzt, um die Pferde nach dem Garten zu bringen. Mit dreien ist es mir gelungen, aber das vierte befindet sich noch im Stall.“

„Der Kapitän schleicht wieder?“

„Freilich.“

„Das könnte man ihm verleiden. Dauert es lange, das vierte Pferd nach dem Garten zu bringen?“

„Höchstens fünf Minuten.“

„Kann man aus dem Garten fortreiten, ohne gehört zu werden?“

„Ja, sobald das große Tor von innen geöffnet wird.“

„Wo schleicht der Kapitän.“

„Jetzt meist außen um die ganze Besitzung herum.“

„Wäre da der Hund nicht zu gebrauchen?“

„Sapristi! Ja, an den habe ich doch gar nicht gedacht.“

„Also. Er mag ihn festhalten, so lange als es für uns notwendig ist.“

„Das werde ich sofort besorgen. Ziehen Sie sich einstweilen um, Herr von Königsau, und tragen Sie auch den Damen die Kleider hinab. Ihr jetziger Anzug und die Frauenanzüge, welche ich geborgt habe, werden in die Mäntel geschnallt. Alles übrige Besitztum der Damen bleibt hier. Sind Sie hinreichend mit Geld versehen?“

„Vollständig.“

„Sonst hätte ich Ihnen einiges zur Verfügung gestellt.“

Er entfernte sich rasch aber leise wieder und begab sich zunächst nach dem Stalle, in welchem Tiger an der Kette lag. Er machte ihn los und sagte zu ihm:

„Komm, mein Hund. Du sollst den Kerl noch einmal fassen, aber still, ganz still, damit kein Lärm entsteht. Übrigens wirst du uns dann begleiten, denn du bist ein tapferer Kerl und kannst uns von großem Nutzen sein.“

Er schlich mit ihm hinaus und legte sich draußen hinter einem der Nebengebäude auf die Lauer. Er hatte ungefähr eine Viertelstunde gewartet, als er leise Schritte hörte. Er legte sich auf den Boden, um den Nahenden möglichst gegen den Himmel betrachten zu können. Trotz der Dunkelheit erkannte er in demselben den Kapitän. Er ließ ihn vorüber.

„Halte ihn!“ gebot er dann leise dem Hund.

Das Tier schnellte sich mit einigen weiten Sätzen vorwärts. Ein unterdrückter Schrei, der Fall eines Körpers und dann ein grimmiges Knurren war alles, was man hörte; dann war es still.

Jetzt wußte der Kutscher sich sicher und den unbequemen Späher unter der besten und schärfsten Bewachung. Er kehrte nach dem Stall zurück und führte das Pferd nach dem Garten. Dann koppelte er die Tiere zusammen und führte sie aus dem Garten hinaus nach einer einzelnen Linde, welche in einiger Entfernung vom Meierhof auf dem Feld stand.

Nun wendete er sich wieder rückwärts, ging erst zu sich selbst, um alles, was er für nötig hielt, zu sich zu stecken, und stieg dann auf das Dach hinauf. Dort fand er Königsau bereits in der Dragoneruniform.

„Ist alles gut gegangen?“ fragte dieser.

„Ja.“

„Der Kapitän liegt fest?“

„Ja; der Hund hat ihn. Wie weit sind die Damen?“

„Sie sind auch bereit. Es ist schneller gegangen, als ich dachte.“

„So will ich sie holen.“

Florian stieg zur Leiter hinab und brachte bald die beiden verkleideten Frauen hinauf. Er zog die Leiter nach und schloß dann die Treppenöffnung zu. Die Leiter legte er neben die Esse, daß es den Anschein hatte, als sei sie von einem Schornsteinfeger gebraucht worden.

„Jetzt bitte ich, mir zu folgen“, sagte er dann. „Aber möglichst leise, damit wir nicht bemerkt werden.“

Die drei anderen schritten unter seiner Führung über das Dach hinüber und kamen an den Hauptausgang, von da auf die Treppe, in einen finsteren Korridor, auf welchem sie sich bei den Händen fassen mußten, sodann auf eine Nebentreppe, in einen kleinen Hof, aus demselben in den Garten und von da hinaus auf das Feld.

„Wo sind die Pferde?“ fragte jetzt Königsau. „Ich dachte, sie in dem Garten zu finden.“

„Ich habe sie weiter fortgeschafft, weil mir das sicherer erschien.“

Nach diesen Worten führte der Kutscher die anderen zu der Linde, wo er jeder Person das betreffende Pferd anwies.

„Jetzt bitte ich, einige Augenblicke zu warten. Ich muß Richemonte freilassen.“

„Warum?“

„Weil ich meinen Hund mitnehmen will. Er kann uns nützlich werden.“

Er schlich sich wieder zurück. In der Nähe der Stelle angekommen, an welcher Richemonte lag, trat er fester auf und tat ganz so, als ob er eben um die Ecke herum komme.

„Holla! Was ist das?“ fragte er. „Tiger, bist du es? Was hast du denn da? Zeige einmal her?“

Er bückte sich nieder.

„Ah, einen Kerl! Ist der Königsau also doch hier gewesen und mir in die Falle gegangen! Wie gut, daß ich gewacht habe! Wart, Bursche, ich werde dich dem Kapitän Richemonte überliefern. Du darfst zwar aufstehen, aber suche nicht, mir auszureißen! Mein Hund hätte doch sofort wieder beim Kragen, und dann könnte ich es ihm nicht mehr wehren, es wäre um dich geschehen. Laß gehen, Tiger; aber paß noch gut auf.“

Der Hund gab den am Boden Liegenden frei, entfernte sich aber keineswegs von ihm. Richemonte raffte sich empor.

„Donnerwetter!“ sagte er. „Das ist nun bereits zum zweiten Male.“

„Wie, Herr Kapitän, Sie sind es, Sie?“ fragte Florian ganz erstaunt.

„Ja, ich! Mensch, warum läßt du denn diesen Hund so frei herumlaufen?“

„Weil er mir den Königsau fangen sollte.“

„Du selbst behauptest doch, daß er fort sei.“

„Ja; aber der Kaiser sagte, daß er vielleicht doch noch hier herum versteckt sei. Es ärgerte mich furchtbar, von diesem Deutschen belogen zu worden zu sein, und darum gab ich mir alle Mühe, ihn zu fangen.“

„Das war ganz überflüssiger Eifer. Ich habe darunter leiden müssen und bin nun zum zweiten Mal dem Tod nahe gewesen.“

„Ja, der Tiger ist ein ausgezeichneter Hund.“

„Hole ihn der Teufel! Du aber kannst dich in das Bett scheren, anstatt andere in Lebensgefahr zu bringen.“

„Pst, sprechen Sie nicht so barsch, Monsieur.“

„Warum nicht? Hast du es etwa nicht verdient?“

„Ich weiß nicht. Aber mein Hund könnte sonst denken, daß Sie sich mit mir zanken, und dann reißt er sie wieder nieder.“

„Miserable Bestie! Halte ihn einmal fest!“

„Warum?“

„Weil ich mich entfernen will.“

„Gut. Ich denke, es wird auch für Sie besser sein, sich zu Bett zu begeben. Diese Deutschen sind gar nicht wert, daß man sich von ihnen an der Nase herumführen läßt. Verstanden, Herr Kapitän?“

Richemonte hatte sich bereits einige Schritte entfernt; jetzt blieb er stehen.

„Wie meinst du das?“ fragte er.

„Ganz so, wie ich es gesagt habe, Herr Kapitän.“

„Höre, mir scheint, du treibst ein falsches Spiel mit mir. Nimm dich in acht, daß ich dich nicht dabei ertappe, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“

„Ja, bisher habe ich Sie stets dabei ertappt, und da hatten Sie es mit dem Hund zu tun.“

Richemonte ging wütend davon, und der Kutscher begab sich zu seinen drei Gefährten, welche ein jedes Wort mit angehört hatten.

„Das war ein wenig unvorsichtig“, meinte Königsau. „Es war besser, dem Hund zu pfeifen, als hinzugehen und sich dem Mann zu zeigen.“

„Das ist egal, der Mann muß auch wissen, wer es ist, der ihn auslacht; sonst hat man kein Vergnügen daran.“

Er stieg zu Pferd, und der Ritt begann.

Es war doch ziemlich spät geworden. Der Schleicher Richemonte hatte ihren Aufbruch verzögert; die beiden Damen konnten sich noch nicht in die gegenwärtige Art zu reiten schicken; darum kam man nur langsam vorwärts, und die halbe Wegstrecke bis Sedan war kaum zurückgelegt, so begann der Tag zu grauen.

„Wir müssen uns sputen, sonst laufen wir Gefahr, in Sedan aufgehalten zu werden“, meinte Florian.

„Ja, es ist unangenehm, daß der Tag bereits beginnt. Jetzt – ah, dort kommt uns ein Reiter entgegen!“ sagte Königsau.

Florian strengte seine Augen an; aber erst als der Betreffende ziemlich nahe herangekommen war, erkannte er ihn.

„Sapristi, wissen Sie, wer das ist?“ fragte er den Lieutenant.

„Nun? Wer?“

„Der Baron de Reillac.“

„Mein Gott, wie gefährlich! Gibt es keinen Seitenweg, den wir einschlagen können? Ja, er ist es wirklich. Jetzt erkenne auch ich ihn genau.“

„Einen Seitenweg gibt es leider nicht“, antwortete der Kutscher.

„So gibt es nur ein einziges Mittel. Wir reiten im Galopp an ihm vorüber, ohne uns um ihn zu bekümmern. In der Schnelligkeit bekommt er unsere Gesichtszüge nicht so gut weg.“

„Das ist wahr“, meinte Florian. „Ich werde mir außerdem noch Mühe geben, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.“

Sie nahmen die Pferde in Galopp, und als der Armeelieferant nahe genug herangekommen war, ließ Florian das seinige bocken und tat, als ob er alle Mühe habe, sich im Sattel zu halten. Es gelang ihm dadurch allerdings einigermaßen, die Augen des Barons von den drei anderen abzulenken, aber doch nicht ganz. Er überflog sie mit einem raschen Blick, stutzte und sagte:

„Florian, alle Teufel, wo soll dieser Ritt hingehen?“

„Nach Sedan, Herr Baron“, antwortete der Gefragte, scheinbar noch immer mit seinem Pferd beschäftigt.

„Warum so eilig?“

„Hm! Weil die Pferde laufen.“

„Wer war der Offizier mit den beiden jungen Kerls?“

„Ich weiß nicht, sie sind ja nun vorbei.“

„Du kamst doch mit ihnen.“

„Nein, sie mit mir. Adieu, Herr Baron.“

Damit nahm er sein Pferd in die Zügel und sprengte den anderen nach.



Dieses kleine unangenehme Intermezzo hatte die Damen in den Galopp eingerichtet. Sie behielten denselben bei, und selbst als sie Sedan erreichten, hielten sie nicht an. An der Brücke stand ein Posten. Er präsentierte das Gewehr. Vorüber ging es, durch die Stadt hindurch, von Hunderten von Offizieren und Soldaten neugierig betrachtet und bewundert, drüben wieder hinaus und in demselben Tempo auf der Straße nach Bouillon zu.

Je näher sie diesem Ort kamen, desto mehr verminderte sich dann allerdings die Eile; der Hauptwaffenplatz Sedan lag ja hinter ihnen, und den beiden Reiterinnen wurde es schwer, auszudauern. Königsau hielt den besorgten Blick auf Margot gerichtet. Sie war sehr blaß geworden, und eben, als sie durch Bouillon kamen, wankte sie im Sattel.

„Es wird dir zu viel, Margot“, sagte er, sie schnell unterstützend. „Schmerzt deine Wunde?“

„Nein, gar nicht“, antwortete sie mit einem leisen Lächeln. „Ich bin nur matt.“

„Sehr?“

„Sehr“, nickte sie.

„Wir sollten hier absteigen, um dich auszuruhen; hier ist ein Einkehrhaus; aber die Leute kennen mich. Hältst du es nicht vielleicht noch zwei Minuten aus, bis wir die Stadt hinter uns haben?“

„Vielleicht.“

„Ich unterstütze dich.“

Er bog sich zu ihr hinüber und legte den Arm um ihre Taille. Aber lange ging es nicht. Sie schloß plötzlich die Augen und wäre ganz sicher aus dem Sattel gefallen, wenn er sie nicht mit beiden Armen gehalten hätte.

„Wasser!“ flüsterte sie.

Er sprang ab, faßte sie an und trug sie nach dem Bach. Er war so um sie besorgt, daß er gar nicht bemerkte, daß zwei Leute dort auf der Wiese beschäftigt waren, der alte Wirt und seine Frau, bei denen er auf der Herreise eine Nacht geschlafen hatte.

„Du, sieh!“ sagte die Frau, sich auf den Rechen stützend. „Dem jungen Soldaten wird es schlecht. So ein junges Blut schon in die Montur zu stecken.“

„Ja“, nickte der Mann nachdenklich. „Aber der Offizier scheint ein guter Kerl zu sein. Er nimmt ihn vom Pferd. Ah, er trägt ihn sogar zum Wasser.“

Da faßte die Alte den Greis beim Arm und sagte hastig:

„Sieh dir den Offizier einmal an, Vater!“

„Warum?“

„Kennst du ihn?“

„Hm. Den muß ich freilich schon gesehen haben.“

„Natürlich hast du ihn gesehen.“

„Wo denn?“

„Bei uns.“

„Bei uns ist doch nie ein Major eingekehrt“, meinte der Alte, sich die etwas blöd gewordenen Augen reibend.

„Er war doch gar nicht als Major da.“

„Als was denn sonst?“

„Als Musikus. Besinnst du dich nicht auf ihn? Wir haben ihm ja die Geschichte von der Kriegskasse erzählt.“

„Ach ja, der ist es; der ist es ganz gewiß! Also ein Offizier! Er hat uns getäuscht. Warum aber übernachtete er gerade bei uns?“

Da faßte die Alte ihren Mann abermals und drückte ihm den Arm mit aller Gewalt.

„Was gibt es denn?“ fragte er.

„Siehst du es, siehst du?“

„Was denn?“

„Der junge Soldat ist ein Mädchen.“

„Unsinn.“

„Unsinn? Siehst du denn nicht die schönen, langen Haare, welche jetzt aufgegangen sind?“

„Das sind Haare? Hm! Das ist eigentümlich.“

Margots Schwäche war ebenso schnell gewichen, wie sie gekommen war. Königsau hatte ihr Gesicht mit Wasser besprengt und ihr einen Schluck eingeflößt; dann konnte sie von selbst aufstehen.

„Ich danke dir!“ sagte sie. „Ich bin wieder wohl.“

„Aber reiten kannst du noch nicht wieder.“

„Es wird vielleicht doch gehen. Hilf mir wieder in den Sattel.“

Er tat dies, und siehe da, das schöne Mädchen hielt sich von jetzt an wacker. Leider aber stellte es sich heraus, daß die Mutter sich von Minute zu Minute schwächer fühlte. Sie klagte zwar noch nicht, aber ihre Haltung zeigte, daß sie sich nach einer Stütze, oder nach Ruhe sehnte.

Da bog Florian links ab, gerade an derselben Stelle, an welcher Königsau es auch getan hatte, als er den beiden Kriegskassendieben folgte. Dieser wendete sich daher überrascht mit der Frage an ihn:

„Wohin soll das gehen, Florian?“

„In die Berge, wie ich Ihnen bereits sagte. Wir entgehen dadurch der Beobachtung und täuschen unsere Verfolger. Die Damen können da eher einmal absteigen und ausruhen, als auf der offenen Landstraße.“

Man folgte dem Bergweg, den Königsau damals auch gegangen war. Als sie zu der verlassenen Köhlerhütte gelangten, bat Frau Richemonte:

„O bitte, geben Sie mir nur fünf Minuten Zeit, mich zu erholen, dann wird es sicher wieder gehen.“

Florian half ihr herab. Sie setzte sich in das weiche Moos und holte tief Atem. Da kam Königsau ein Gedanke.

„Welcher Richtung folgen wir nun?“ fragte er. „Der Weg hört auf.“

„Immer geradeaus, über den Berg hinweg. Wir kommen an einer tiefen Schlucht vorüber, welche sich rechts in die Felsen zwängt.“

„Bist auch du wieder sehr müde, Margot?“

„Nein, mein Hugo.“

„So wollen wir bis an jene Schlucht voran reiten. Mama mag mit Florian nachkommen, sobald sie sich gekräftigt fühlt.“

„Warum?“

„Du erlaubst, daß ich dir dies dann erkläre.“

Sie ritten langsam miteinander weiter. Er kannte die Richtung noch ganz genau und erreichte den Eingang zur Schlucht, ohne fehl gegangen zu sein.

„Hier laß uns absteigen“, sagte er.

„Du tust so ernst, so geheimnisvoll, Hugo.“

„Ich bin beides auch wirklich, liebste Margot.“

„So ist dir diese Gegend wohl nicht unbekannt?“

„Nein, ich kenne sie. Ich habe hier, wo wir jetzt stehen, bereits gestanden, und diese Schlucht ist der Schauplatz einer der wichtigsten Episoden meines Lebens. Ich werde sie dir jetzt an Ort und Stelle erzählen. Komm.“

Sie waren unterdessen abgestiegen. Königsau band die Pferde an einen Baum und führte die Geliebte tiefer in die Schlucht hinein.

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