SECHSTES KAPITEL Die Tochter des Kabylen

Oft treten im Laufe der Ereignisse Pausen ein, welche vermuten lassen, daß der Faden der Geschichte vollständig abgerissen sei. Aber das Leben gleicht dem Weltmeer. Die Wogen, welche es wirft, sind nicht die Folgen einer horizontalen Bewegung, sondern die Wasser steigen auf und nieder. Der Tropfen, welcher sich jetzt, hoch aufspritzend, aus den Wellenkämmen erhebt, sinkt im nächsten Augenblick vielleicht in die Tiefe des Grundes hinab und kommt erst lange Zeit später in seiner Auflösung oder Vereinigung mit anderen Tropfen auf der Oberfläche wieder zum Vorscheine.

So verschwinden auch im Leben der Völker oder des einzelnen Menschen die Ereignisse zuweilen von der Oberfläche und kommen zu unserer Überraschung ganz plötzlich an einem Ort und zu einer Zeit wieder zum Vorschein, wo und wann wir es am allerwenigsten erwartet haben.

Seit den zuletzt erzählten Ereignissen waren mehrere Jahrzehnte vergangen, als in einem Kaffeehause zu Biscara einige französische Offiziere rauchend, trinkend und plaudernd beisammen saßen.

Biscara oder Biskra, wie der Araber das Wort ausspricht, ist ein Städtchen der Provinz Constantine in Algerien, wichtig als an der großen Karawanenstraße gelegener Handelspunkt und damals zur Zeit seiner Märkte sehr besucht von den Berbern und Beduinen der Umgegend, welche herbei kamen, um zu tauschen oder ihre Einkäufe zu machen.

Das Kaffeehaus hatte ein orientalisches Aussehen. An einem der Boulevards von Paris hätte es sich allerdings wohl ein wenig fremdartig ausgenommen, aber hier in Biscara war ganz dasselbe der Fall, freilich vom entgegengesetzten Standpunkt aus. Das Gebäude war in maurischem Stil errichtet, doch hatte man einige Fensteröffnungen durch die vordere Mauer gebrochen und über dem Eingang ein mit einer französischen Firma versehenes Schild angebracht.

Während der Mohammedaner in seinen Kaffeehäusern sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Teppich niederläßt, welcher auf dem bloßen Fußboden ausgebreitet wird, gab es hier einige allerdings ziemlich roh gezimmerte Tische und Stühle.

Die Herren tranken schweren portugiesischen Wein und schienen ziemlich angeheitert zu sein.

Der Wirt trug die Tracht eines Zuaven, war aber allem Anscheine nach nicht ein Eingeborener, sondern ein Franzose, denn er sprach, wenn er gefragt wurde, genau den Dialekt der Gegend von Tours. Eben jetzt schüttelte er den Kopf und sagte:

„Wie kann ich wissen, ob dieser Mann bereits einmal in Biscara gewesen ist, Messieurs? Ich könnte günstigen Falls nur wissen, ob er mein Café einmal besucht hat.“

„Und das hat er wohl nicht?“

„Nein, obgleich ich die Möglichkeit zugebe, daß es einmal geschehen sein kann. Ich kenne ihn ja nicht.“

„Er ist also wirklich eine so rätselhafte Persönlichkeit?“

„Ja. Niemand kennt ihn. Er sitzt vielleicht unter uns, ohne daß wir es wissen. General Cavaignac ist wohl der einzige, der ihn kennt.“

„Verkehrt er nur mit diesem?“

„Wer weiß das.“

„Und wie heißt er?“

„Auch das weiß niemand. Er ist weder uns, noch unseren Feinden, den Beduinen, bekannt. Sie geben ihm nach ihrer Weise einen Namen, welcher ganz genau sagt, wofür sie ihn halten.“

„Wie heißt dieser Name?“

„'ain el fransawi, daß heißt Auge der Franzosen, oder noch deutlicher, Spion oder Kundschafter der Franzosen. Man will ihn hier oder da gesehen haben; man beschreibt ihn bald als alt und bald als jung, aber man weiß nichts Genaues über ihn. Fragen Sie Cavaignac, den Generalgouverneur. Er kann und wird Ihnen Auskunft geben – wenn er will.“

Im hintersten Winkel des Cafés saß in schlechter, beduinischer Tracht ein Mann, welcher gegen dreißig Jahre zählen mochte. Er hatte auf seinem Stuhl in einer Weise Platz genommen, daß man leicht merken konnte, er sei eher auf Kissen und Matten, als auf Stühlen zu sitzen gewohnt. Sein Bart war dünn. Er starrte mit jener Gleichgültigkeit gerade vor sich hin, welche den fatalistischen Muselmanen eigen zu sein pflegt. Er hatte ein Täßchen Kaffee vor sich stehen und hielt einen Tschibuk in der Hand, aus welchem er dann und wann einen Zug tat, um den Rauch zu verschlucken und dann durch die Nase wieder von sich zu geben. Der Araber nennt diese Art des Rauchens ‚Tabak trinken‘.

„Wer ist dieser Kerl?“ fragte einer der Offiziere den Wirt.

„Ich kenne ihn nicht.“

„Ein Beduine?“

„Jedenfalls, denn er verlangte Pfeife und Kaffee in arabischer Sprache.“

„Vielleicht versteht er uns. Es ist unangenehm, fremde Lauscher in der Nähe zu haben.“

„Versuchen Sie, ob er französisch spricht.“

Der Offizier tat dies. Er wandte sich an den Fremden und sagte französisch:

„Wer bis du?“

„Tugger – ein Kaufmann“, antwortete der Gefragte, indem er nur dieses einzige arabische Wort aussprach.

„Womit handelst du?“

„Fewakih – mit Früchten.“

„Woher bist du?“

„Wadi Dscheddi.“

Wadi heißt im Arabischen sowohl Fluß als auch das Tal eines Flusses. Der Mann war also aus dem Tal des Flusses Dscheddi, welcher seine wenigen Wasser im Süden von Biskra in den Schott Melair laufen läßt.

„Verstehst du Französisch? Ja, wie es scheint?“

„Kahl – wenig.“

„Wo hast du es gelernt?“

„Algier.“

„Ah, du warst in Algier?“

„Na'm – ja.“

„Lange Zeit?“

„La – nein.“

Der Mann hatte seine Antworten mehr durch Gestikulationen als durch die kurzen Worte gegeben, welche er aussprach. Dennoch fragte der Franzose weiter:

„Hast du von dem Mann gehört, welchen ihr 'ain el fransawi nennt?“

„Lissa ma – noch nicht.“

„Bist du reich?“

„Ma li scheh – ich habe nichts.“

„Armer Teufel. Hier, trinke ein Glas Wein.“

Dieses Bedauern war nur scheinbar. Der Offizier wußte recht gut, daß der Beduine als Mohammedaner keinen Wein trinken durfte. Dieser machte auch sofort eine zurückweisende Handbewegung und sagte:

„Kullu Muskürün haram – alles, was trunken macht, ist verboten.“

Es war dies die wörtliche Anführung von dem Verbot Mohammeds.

„So laß es bleiben, und gehe nicht an Orte, wo man Wein trinkt! Weißt du nicht, daß deine Weigerung eine Beleidigung für mich ist?“

„La – nein.“

„So pack dich zum Teufel, oder trink mit. Wir brauchen keinen Maulaffen, welcher nur zuhört, aber nicht mittut.“

Es wäre wohl zu einer unangenehmen Szene gekommen, wenn nicht die Aufmerksamkeit der Franzosen von dem Beduinen abgezogen worden wäre. Der Gehilfe des Kaffeewirtes trat nämlich ein und legte die neuesten Zeitungen auf den Tisch, welche soeben angekommen waren. Hier auf den Höhen des Atlasgebirges waren die Neuigkeiten aus Paris wichtiger als das Anrempeln eines nichtsbedeutenden Arabers, der doch dagegen nichts anderes tun, als sich nur schweigend entfernen konnte.

Die Gazetten waren im Nu auseinander genommen und verteilt, so daß ein jeder mehrere Blätter in den Händen hielt. Man wartete nicht, bis jeder einzelne seine Seiten herabgelesen hatte, sondern sobald etwas Wichtiges entdeckt wurde, gelangte es zur sofortigen Vorlesung; einer der Herren meinte:

„Ich habe jedenfalls das Interessanteste erwischt. Da sind nämlich die Nachrichten über Algerien.“

„Ah! Was schreibt man über diese Kolonie?“ fragte ein anderer.

„Mehr als wir selbst über sie wissen. Da ist zum Beispiel auch der Marabut Hadschi Omanah erwähnt.“

Ein Marabut ist ein moslemischer Einsiedler, welcher von der Bevölkerung für heilig gehalten wird. Hadschi aber wird ein jeder Moslem genannt, welcher eine Pilgerreise nach Mekka oder Medina mitgemacht hat.

„Was schreibt man über ihn?“

„Hier steht:

‚Die Haltung des berühmten Marabut Hadschi Omanah ist noch immer eine unerforschliche. Er übt einen ungeheuren Einfluß auf die am Auresgebirge wohnenden Stämme aus, weshalb es von großem Vorteil sein würde, zu wissen, ob man ihn gegebenenfalls als Feind zu betrachten hat. Man spricht davon, daß das Generalgouvernement bedacht gewesen ist, durch Abgesandte seine Stimmung erforschen zu lassen; aber er hat sich stets als unnahbar gezeigt. Auch seine Abstammung liegt im dunkeln. Er trägt den grünen Turban, ein Recht, welches nur den direkten Abkömmlingen Mohammeds zusteht. Seine Verehrer sagen, daß er aus den heiligen Gegenden Arabiens nach dem Auresgebirge gekommen sei. Dabei ist zu verwundern, daß seine Gesichtszüge auf das Abendland hindeuten, wie ja auch die Sage geht, daß ein französischer Reisender, welcher ihn einst in der Nähe zu sehen bekam, in ihm einen Bekannten aus der Gegend von Metz oder Sedan wiedergefunden zu haben meint. Eine gewisse Ähnlichkeit wird der Grund dieser Behauptung sein, welche sicherlich auf einer Täuschung beruht.‘“

„Da sind wir gerade so klug wie vorher“, meinte einer der Zuhörer. „Was da gesagt wird, wußten wir bereits längst. Hat man nicht bisher gemeint, daß diese Marabuts unverheiratet seien und in tiefster Einsamkeit leben?“

„Allerdings.“

„Nun, so ist es jedenfalls auffallend, daß dieser Marabut verheiratet gewesen sein muß.“

„Das ist kein Verstoß. Er kann ja trotzdem einsam leben.“

„Das tut er aber nicht.“

„Wieso?“

„Er hat einen Sohn bei sich. Ist das Einsamkeit?“

„Nicht ganz. Aber wenn in unseren Klöstern Mönche in tiefer Abgeschlossenheit beieinander leben, ist das keine Einsamkeit?“

„Eine vollständige jedenfalls nicht. Übrigens soll der Sohn beinahe ganz in demselben Geruch der Heiligkeit stehen wie der Vater. Was liest man weiter über Algerien?“

„Hier steht weiter unter der Bezeichnung ‚Timbuktu‘:

‚Die Expedition, welche vor zwei Jahren von der deutschen wissenschaftlichen Gesellschaft ausgerüstet und abgeschickt wurde, um den Sudan zu erforschen, scheint bessere Erfolge zu verzeichnen zu haben, als verschiedene vorhergehende. Es verlautet, daß das militärische Mitglied der Expedition, Oberlieutenant von Königsau, sich von Timbuktu aus bereits auf dem Heimweg befindet. Er soll außer den rein wissenschaftlichen Errungenschaften auch bedeutende materielle Reichtümer mit sich führen und seinen Weg über Insalah, el Golea und Tuggurt nehmen.‘“

„Donnerwetter!“ rief einer der Franzosen. „So wird dieser Deutsche auch hierher nach Biskra kommen. Man kennt diese unangenehmen Menschen, welche sich seit den Jahren vierzehn und fünfzehn einbilden, auf uns herabsehen zu dürfen. Königsau? Ist Ihnen dieser Name nicht bekannt, Messieurs?“

„Nein“, antwortete es im Kreis.

„Mir scheint, daß ich ihn bereits einmal gehört habe.“

Er machte die Miene des Nachdenkens, nickte dann und sagte:

„Ah, ich hab es! Königsau hieß ja jener Liebling des alten Grobian Blücher, welcher mit dem Gardekapitän Richemonte verschiedene Renkontres hatte. Sie haben doch jedenfalls von Richemonte gehört?“

„Derselbe, welcher nach der Schlacht bei Belle Alliance infam kassiert wurde?“

„Ja, derselbe. Ich erinnere mich, verschiedene Niederträchtigkeiten über ihn gehört zu haben. Mein Oheim hatte mit ihm gedient und kannte ihn genau.“

„Man hat niemals wieder etwas über ihn gehört. Er scheint untergegangen zu sein.“

„Dies könnte ein Irrtum sein. Richemonte war zwar gezwungen, Frankreich zu verlassen, aber verschollen ist er doch noch nicht. Sie wissen, welch eine Begebenheit der Grund war, daß Frankreich im Jahre 1827 Algier blockierte?“

„Ja. Der Bey von Algier hatte dem französischen Konsul Deval mit dem Fliegenwedel in das Gesicht geschlagen.“

„Nun, Deval behauptete später, Richemonte in der unmittelbaren Umgebung des Beys gesehen zu haben.“

„Hat er ihn denn gekannt?“

„Ja. Deval hatte mit ihm in Paris verkehrt, und zwar so oft, daß an ein Verkennen gar nicht zu denken ist.“

„Trug Richemonte in Algier maurische Kleidung?“

„Ja.“

„Mit einem Turban?“

„Ja, wie Deval berichtete.“

„So ist es sicher, daß er Mohammedaner geworden ist.“

„Diesem ehrlosen Menschen ist dies recht gut zuzutrauen. Gibt es noch etwas, was über Algier zu lesen ist?“

„Ja, hier wird berichtet, daß der Generalgouverneur sich auf einer Inspektionsreise durch die Kolonie befindet. Das ist es, was uns am meisten interessiert.“

„Cavaignac wird uns ganz sicher überraschen. Man erwartet ihn binnen einer Woche hier, aber ich wette, daß er früher –“

Er wurde unterbrochen. Die Tür wurde aufgerissen, und ein jüngerer Offizier trat ein. Man sah es ihm an, daß er sehr schnell gelaufen war.

„Was ist's? Was gibt's? Was bringen Sie?“ tönte es ihm entgegen.

Der Gefragte holte tief Atem und ergriff eines der vollen, auf dem Tisch stehenden Gläser. Nachdem er es hinuntergestürzt hatte, antwortete er:

„Eine Neuigkeit, Messieurs.“

„Gut oder schlimm?“

„Wie man es nimmt. Cavaignac, der Generalgouverneur, wird sogleich ankommen.“

„Alle Teufel!“ rief der vorige Sprecher. „So habe ich ganz recht geweissagt. Also er ist noch nicht da?“

„Nein, aber soeben traf einer seiner Adjutanten ein. Der General befindet sich noch auf der Straße von Busada her, wird aber in einer halben Stunde eintreffen.“

„Dann bleibt uns noch Zeit, die Geister des Weines in Wasser zu ersäufen.“

Er ergriff ein Wasserglas und leerte es in einem Zug. Die anderen folgten diesem Beispiel und stürmten dann zum Haus hinaus.

Außer dem Wirt befand sich nur noch der Beduine im Zimmer. Er hatte die Worte des Gesprächs scheinbar gar nicht beachtet, aber doch alles deutlich vernommen. Er erhob sich jetzt von seinem Stuhl, legte die Pfeife hin und griff in die Tasche. Nachdem er ein kleines Silberstück neben die Tasse gelegt hatte, verließ er das Kaffeehaus und trat hinaus auf den freien Platz vor demselben.

Im Schatten der Häuser hielten die Verkäufer ihre Waren feil. Er schritt auf einen Mann zu, welcher hinter einem Haufen von getrockneten Datteln saß.

Dieser Mann war lang und hager und trug die Tracht der Eingeborenen. Er schien nicht wohlhabend zu sein, denn sein Turban war aus einem alten, zerfetzten Schal gewickelt, und sein schmutziger Burnus wurde von einem kamelhaarenen Strick zusammengehalten.

„Sie sind fort“, sagte er leise zu dem Kommenden. „Ich sah sie gehen. Hast du etwas erlauscht?“

Diese Worte waren in fließendem Französisch gesprochen. Der Gefragte antwortete ganz geläufig in derselben Sprache:

„Ja.“

„Von wem sprachen sie?“

„Von dir.“

„Von mir? Alle Teufel! Wie kommen sie auf mich?“

„Sie kamen auf dich, weil sie vorher von einem Oberlieutenant von Königsau redeten.“

Der Sitzende schien nahe am sechzigsten Jahr zu sein, konnte aber auch noch mehr zählen. Sein Haupthaar wurde vom Turban vollständig verdeckt. Sein Gesicht zeichnete sich durch einen großen, dichten, fast weißen Schnurrbart aus. Als er den zuletzt ausgesprochenen Namen hörte, zog sich sein Schnurrbart in die Höhe, so daß man zwei Reihen großer, gelber Zähne sehen konnte. Es war, als ob ein Raubtier gegen einen Angreifer die Zähne fletsche.

„Königsau? Lieutenant?“ fragte er. „Ein Deutscher?“

„Ja.“

Die Augen des Alten glühten unheimlich auf, doch nach einem kurzen Nachdenken ließ er den erhobenen Kopf sinken und sagte:

„Er ist es nicht. Es muß ein anderer sein.“

„Warum?“

„Der, welchen ich meine, kann jetzt längst nicht mehr Oberlieutenant sein. Es sind über dreißig Jahre vergangen. Was ist der Königsau, von dem sie sprachen?“

„Er ist Mitglied einer afrikanischen Expedition, welche von Deutschland ausgerüstet wurde.“

„Woher stammt er?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wo befindet er sich?“

„Auf dem Heimweg von Timbuktu.“

„Ah! Das ist interessant.“

„Höchst interessant, Cousin. Er führt nämlich große Schätze bei sich.“

„Alle Teufel! Weißt du das genau?“

„Die Offiziere sagten es. Es steht in der Zeitung.“

Die Augen des Alten glänzten und funkelten wie diejenigen eines Raubtiers.

„Ah! Vortrefflich! Welchen Weg schlägt er ein?“

„Er kommt über Insalah und el Golea nach Tuggurt.“

Da wäre der Alte vor Freude beinahe von seinem Sitz aufgefahren.

„Nach Tuggurt?“ sagte er. „So ist es jedenfalls der Europäer, den dir unsere Späher angemeldet haben.“

Der andere nickte zustimmend mit dem Kopf. Er hatte jetzt nicht mehr das gleichgültige Gesicht von vorhin, sondern dasselbe hatte einen höchst verschmitzten Ausdruck angenommen. Er antwortete:

„Ich zweifle nicht daran.“

„Wann wird er nach Tuggurt kommen?“

„Das konnte noch nicht gesagt werden.“

„Welche Begleitung hat er?“

„Außer den Kameltreibern dreißig Krieger vom Stamm der Ibn Batta.“

„Die werden zu überwältigen sein. Also die Offiziere sprachen von mir?“

„Ja.“

„Was?“

„Daß du nach der Schlacht bei Belle-Alliance infam kassiert worden seist.“

„Der Teufel soll sie holen! Was noch?“

„Daß man dich in der Umgebung des Bey erkannt hat.“

„Ich wollte, dieser Konsul wäre blind gewesen.“

„Sie sprachen ferner von dir, ohne zu wissen, daß du es bist.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ich meine, daß sie von 'ain el fransawi redeten.“

„Was sagten sie da?“

„Daß dieser Mann ihnen ein Rätsel sei.“

„Hoffentlich werde ich es auch bleiben.“

„Ferner erwähnten sie den Marabut Hadschi Omanah.“

„Jedenfalls war auch dieser ihnen ein Rätsel?“

„Ja.“

„Daran sind sie selbst schuld. Sie mögen nur gescheite Kerls zu ihm schicken, welche es verstehen, ihn auszuhorchen. Aber warum liefen sie so schnell davon?“

„Weil sie die Nachricht erhielten, daß Cavaignac komme.“

„Ah! Ich dachte es! Wann kommt er?“

„In einer halben Stunde, und diese Zeit ist fast vorüber.“

„So spute dich. Eile ihm entgegen, damit er erfährt, daß ich hier bin.“

Der andere entfernte sich augenblicklich, ohne eine weiteres Wort zu sagen. Er schritt dem Ort zu, wo sich draußen vor dem Städtchen die französischen Truppen versammelten, um den Generalgouverneur zu empfangen.

Dort standen auch bereits viele Einheimische, welche gehört hatten, daß Cavaignac komme, der sich durch seine Siege berühmt gemacht hatte, aber gerade deshalb bei ihnen nichts weniger als beliebt war.

Als der Maure dort anlangte, sah man bereits die Kavalkade vom Westen her angesprengt kommen, geführt von einigen Turkos, welche den Weg kannten, und begleitet von einer hinreichenden Schar von Chasseurs d'Afrique, um ihnen Sicherheit zu bieten.

Als General Cavaignac in der Nähe der Truppenaufstellung angekommen, zogen die Führer sich zurück, so daß der General nun an der Spitze ritt. Die Trommeln wirbelten, die Musik fiel ein, und die Truppen präsentierten. Der General salutierte, ritt an der Front vorüber und wendete sich dem Eingang des Ortes zu, nachdem der Befehlshaber der Truppen ihm eine kurze Meldung gemacht hatte.

Er winkte den letzteren an seine linke Seite und fragte im Reiten:

„Sind Sie mit der Bevölkerung zufrieden?“

„Bis jetzt kann ich nicht klagen, mein General.“

„Sie werden auch in Zukunft nicht zu klagen haben, solange Sie meine Grundsätze befolgen. Der Beduine hält jede Milde für Schwachheit. Man muß ihn streng und gerecht behandeln; das imponiert ihm. Wie steht es mit den Stämmen im Gebirge?“

„Sie halten sich von der Stadt fern.“

„Haben ihre Scheiks die Burnusse angenommen?“

Frankreich schenkte nämlich jedem Scheik einen kostbaren Burnus. Die Beduinen sollten das für einen von Frankreich geleisteten Tribut nehmen; doch wußten sie gar wohl, daß sie sich durch die Annahme dieses Geschenks in Abhängigkeit zu Frankreich stellten.

„Nein“, antwortete der Kommandant.

„Das ist ein schlimmes Zeichen. Haben Sie ihnen die Burnusse nicht angeboten?“

„O doch.“

„Und man hat die Annahme geradezu verweigert?“

„Nein, dazu sind die Leute zu schlau.“

„Was sonst?“

„Wenn meine Boten an die Orte kamen, wo die Lager gestanden hatten, waren dieselben abgebrochen.“

„Das ist noch schlimmer. Das ist gerade, als wenn eine Kugel in weiche, nachgiebige Erde fährt. Ein solcher Schuß ist nutzlos, während eine Kugel den festesten Stein zerbricht und zermalmt. Ich möchte Ihnen raten –“

Er hielt inne. Sein Auge war auf den Mauren gefallen, welcher gerade an dem Weg stand, wo sie vorüberkamen. Er hielt sein Pferd an, und sein sonst so strenges Gesicht zeigte den Ausdruck der Zufriedenheit.

„Ah! Da bist du!“ sagte er.

Der Maure kreuzte die Arme über die Brust, verbeugte sich tief und antwortete:

„Allah jikun ma'ak!“

Diese Worte heißen zu Deutsch: „Gott sei mit dir.“

„Bist du allein?“

„La – nein.“

„Dein Verwandter ist mit da!“

„Na'm – ja.“

„Wo ist er?“

„Hunik, fil suk – dort auf dem Markt.“

„Er handelt mit Früchten?“

„Ja.“

„Sind sie gut?“

Diese Frage mußte irgend eine Nebenbedeutung haben, denn der Maure lächelte verständnisvoll und antwortete:

„S'lon daiman – wie immer.“

„So mag er mir welche bringen. Er wird erfahren, wo ich mein Quartier nehme.“

Er nickte dem Mann wohlwollend zu und ritt weiter.

Der Kommandant wunderte sich nicht wenig, daß der General einen Mann kannte, welcher hier in Biskra war. Er fragte:

„Sie kennen diesen Menschen, mein General?“

„Ja“, antwortete Cavaignac kurz.

„Ich habe ihn noch nie gesehen.“

„Ich sehr oft. Er ist ein Fruchthändler, welchen ich in Blidah kennenlernte. Wo werde ich wohnen?“

„Ich gebe mir die Ehre, Ihnen mein Quartier anzubieten.“

„Ich nehme es an. Wenn der Verwandte dieses Mannes kommt, mag er sofort zu mir gelassen werden. Ich interessiere mich für ihn.“

„Woran wird man ihn kennen?“

„An seinem großen, grauen Schnurrbart und an seinem Namen. Es ist der Fakihadschi Malek Omar.“

Fakihadschi heißt Fruchthändler.

Während der General nach seinem Quartier ritt, begab der Maure sich nach dem Markt zurück, wo der Alte auf ihn wartete.

„Nun?“ fragte ihn dieser erwartungsvoll.

„Ich habe mit ihm gesprochen.“

„Was?“

„Er fragte mich, ob du anwesend seist.“

„Das konnte er sich denken. Weiter.“

„Ich beantwortete diese Frage, und darauf sagte er, daß du zu ihm kommen sollst.“

„Wo wohnt er?“

„Das weiß ich nicht. Wir werden es erfahren.“

„So gehe und erkundige dich!“

Der andere ging, während der Alte bei den Früchten zurückblieb. Der geneigte Leser hat in diesem ganz sicher den einstigen Kapitän Richemonte wiedererkannt.

Sein Gehilfe, der sich ‚Cousin‘ mit ihm nannte, kehrte nach einer Weile zurück und nannte jenem das Haus, in welchem der General abgestiegen war. Nun füllte Richemonte ein aus Dattelfasern geflochtenes Körbchen mit Früchten und begab sich mit den gravitätischen Schritten eines freien Arabers nach dem angegebenen Ort, an dessen Eingang zwei Posten standen.

„Wohin?“ fragte der eine.

„Fil seri asker“, antwortete der Gefragte.

„Was heißt das? Rede französisch, Bursche!“

„Ge-ne-ral!“ buchstabierte der andere, scheinbar mit großer Mühe.

„Zu General Cavaignac?“

Der Gefangene nickte.

„Wer bist du?“

„Fakihadschi Malek Omar.“

„Das ist wieder Arabisch, aber ich denke, so klang der Name, welcher uns genannt wurde. Du kannst passieren!“

Richemonte trat ein, schritt durch den dunklen, engen Hausgang und gelangte nach einem Hof, welcher rundum von einer Säulenhalle umgeben war. Dort stand eine Ordonnanz, welche die Fragen wiederholte und ihn dann nach einem großen Gemach geleitete, in welchem der General vom langen Ritt ausruhte. Als er den Eintretenden erkannte, erhob er sich aus seiner bequemen Stellung und sagte:

„Pünktlich wie immer! Sie wußten, daß ich nach Biskra kommen werde?“

„Ja, mein General.“

„So hat mein Bote Sie getroffen?“

„Vor vier Tagen. Ich befand mich im Wadi Hobla und bin sofort hierhergeritten, um Ihre Befehle entgegenzunehmen.“

Er sprach jetzt sein fließendes Französisch.

„Haben Sie mir Ungewöhnliches zu melden?“

„Nicht viel. Der Stamm der Beni Hassan rüstet sich zum Widerstand.“

„Ah! Wo wohnt der Stamm?“

„Im Süden von Biskra.“

„Wie viele Krieger zählt er?“

„Wenn alle Unterabteilungen sich beteiligen, so können einige Tausende zusammenkommen.“

„Ah! Das ist beträchtlich und also gefährlich. Wer regt sie auf?“

„Der Marabut Hadschi Omanah, wie ich glaube.“

„So nimmt dieser Mann jetzt gegen uns eine feindliche Stellung ein?“

„Wie es scheint. Doch glaube ich nicht, daß eine Macht wie die angegebene zusammenkommt, da sich einige Unterabteilungen weit nach Süden und einige andere auf tunesisches Gebiet hinübergezogen haben.“

„Das beruhigt mich einigermaßen. Wir haben jetzt im Norden und Westen des Landes so viel zu tun, daß es uns unmöglich ist, größere Truppenmassen nach Süden zu geben. Sind Ihre Berichterstatter noch treu?“

Richemonte zuckte die Achseln.

„So lange ich gut bezahle, ja“, antwortete er.

Der General lächelte.

„Sie wollen sagen, daß Sie sich ausgegeben haben?“ fragte er.

„Nichts anderes, mein General.“

„Nun, ich werde Ihre Kasse wieder füllen, da ich den Wert eines guten Kundschafters zu schätzen weiß. Übrigens bin ich in der Lage, Sie in den Stand zu setzen, sich eine beträchtliche Extragratifikation zu verdienen.“

„Ich stelle mich zur Verfügung.“

„Es handelt sich nämlich um den Marabut.“

„Ich ahnte es.“

„So hat Ihr Scharfsinn Sie nicht getäuscht. Es gilt, endlich einmal zu erfahren, was man von ihm zu halten hat.“

„Sie wußten das bis jetzt noch nicht?“ fragte der Spion lächelnd.

„Leider, nein. Ich hatte meine Aufträge unfähigen Leuten übergeben, wie es scheint, und werde mich nun an Sie wenden. Getrauen Sie sich, den Mann aufzusuchen und auszuhorchen?“

Der Gefragte machte ein sehr bedenkliches Gesicht.

„Das ist schwer!“ sagte er.

„Ich weiß es.“

„Und gefährlich für mich.“

„Gefährlich? Ah, Sie wollen Ihr Verdienst steigern, damit ich die Gratifikation entsprechend vergrößere. Sie sind ein Schlaukopf!“

„Ich spreche nur die Wahrheit“, meinte Richemonte im Ton der Kränkung.

„Wie könnte ein Besuch bei dem Marabut gerade Ihnen gefährlich sein? Sie gelten für einen guten Moslem, und Tausende von Muselmännern besuchen den Heiligen, ohne daß ihnen dabei eine Gefahr droht.“

„Das mag sein. Aber bedenken Sie, mein General, daß ich ‚das Auge der Franzosen‘ genannt werde. Gerade so, wie ich darauf brenne, den Marabut zu durchschauen, glüht er darauf, das ‚Auge der Franzosen‘ in seine Hand zu bekommen. Der kleinste Umstand genügt, mich ihm zu verraten, und dann bin ich verloren.“

„So haben Sie nichts zu tun, als vorsichtig zu sein.“

„Das sieht leichter aus, als es ist.“

„Das heißt, Sie wollen diesen Auftrag nicht übernehmen.“

„O doch, wenn ich mit der Belohnung zufrieden bin.“

„Ah, da kommt es! Wieviel verlangen Sie für eine sichere Nachricht über die Stimmung und Haltung des Marabut uns gegenüber?“

„Außer den gewöhnlichen Spesen fünftausend Franken.“

Cavaignac erhob sich und schritt einige Male im Raum hin und her. Endlich blieb er vor dem Spion stehen und sagte:

„Das ist viel, aber ich bin dennoch bereit, Ihnen diese Summe zu zahlen, falls sie Ihre Aufgabe gründlich lösen. Sie kennen den Aufenthalt des Marabut?“

„Ja.“

„Sie waren bereits einmal dort?“

„Nein.“

„So haben Sie ihn noch gar nicht gesehen?“

„Nein. Sie wissen, daß ich seit langen Jahren im westlichen Algerien und Marokko beschäftigt gewesen bin.“

„Allerdings. Sie haben uns da sehr gute Dienste geleistet, so daß ich hoffe, Sie werden auch Ihre jetzige Aufgabe lösen. Sind Sie vollständig ausgerüstet dazu?“

„Ich habe alles; nur das Metall fehlt.“

„Ich erwartete Sie und habe bereits das Nötige zu mir gesteckt. Hier haben Sie. Die Extragratifikation werden Sie sich allerdings erst verdienen müssen.“

Er zog eine sehr umfangreiche Börse aus der Tasche und hielt sie ihm entgegen. Als er sie schüttelte, gab ihr Inhalt einen hellen Klang.

„Wann werden Sie Ihre Reise antreten?“

„Bereits heute, mein General.“

„Gut! Und wann kann ich nach Constantine Nachricht erhalten?“

„Das ist unbestimmt, doch hoffe ich, in nicht viel über zwei Wochen dort eintreffen zu können.“

„Das ist sehr lange. Ich glaube nicht, Sie so lange entbehren zu können.“

„So haben Sie noch weitere Aufträge für mich?“

„Allerdings. Sie sprachen ja davon, daß die Beni Hassan im Begriff stehen, sich gegen uns zu erheben. Haben Sie sichere Anzeichen beobachtet?“

„Ja. Ich habe mit einigen Scheiks darüber gesprochen.“

„Sie sind Freund mit ihnen?“

„Noch mehr als Freund; ich bin Gast bei ihnen.“

„Als was kennt man Sie dort?“

„Ich bin aus einer östlichen Oase und durchsuche die westliche Sahara nach einem Mann, gegen den ich eine Blutrache habe. Anders konnte ich meine unstete Lebensweise bei diesen Leuten nicht erklären.“

„Und man glaubt es Ihnen?“

„Ja. Nichts legitimiert bei diesen Leuten mehr, als eine Blutrache.“

„Das ist gut. Darum wäre es mir eigentlich lieb, wenn Sie jetzt bei diesem gefährlichen Stamm bleiben könnten. Ich wäre dann sicher, durch Ihre Beobachtungen immer auf dem laufenden erhalten zu bleiben.“

„Keine Sorge, mein General! Zur Erhebung eines Stammes gehört Zeit. Die Vorbereitungen, die Verhandlungen und Beratungen nehmen da Monate in Anspruch. Ich bin überzeugt, daß ich vom Marabut zurück sein werde, ehe ein fester Entschluß gefaßt worden ist.“

„Das heißt, daß innerhalb zweier Wochen nichts geschehen wird?“

„Innerhalb eines Monats sogar.“

„Das beruhigt mich. So treten Sie denn Ihre Reise an, und lassen Sie sich möglichst bald in Constantine sehen! Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?“

„Nein.“

„Nun, so bin ich es, der noch einen Punkt mit Ihnen besprechen möchte.“

„Ich bin bereit dazu.“

„Zu jeder Auskunft?“

„Zu jeder.“

Der General sah ihn scharf und forschend an und fragte im Ton des Nachdrucks:

„Wirklich zu jeder?“

Die Miene des Spions wurde weniger zuversichtlich. Er antwortete:

„Zu jeder, welche sich mit meinen Verhältnissen verträgt, natürlich.“

„So machen Sie also doch eine Bedingung! Welche Verhältnisse meinen Sie?“

„Meine persönlichen.“

„Und auf diese bezog ich mich ebenfalls. Seit wann haben Sie Frankreich hier in Algerien gedient?“

„Seit dem Jahre achtzehnhundertdreißig.“

„Stets in Ihrer gegenwärtigen Eigenschaft?“

„Meist.“

„Hat keiner Ihrer Vorgesetzten oder Auftraggeber gewußt, wer Sie eigentlich sind?“

„Keiner.“

„Warum beobachten Sie eine so strenge Verschwiegenheit?“

„Weil es teils in meinem Charakter, teils auch in meinem Interesse liegt.“

„Würden Sie sich nicht entschließen, Vertrauen zu mir zu haben?“

„Ich vertraue Ihnen, mein General, sonst würde ich Ihnen nicht dienen; aber in diesem Punkt zwingt mich eine Pflicht, welche ich unmöglich verletzen darf, zur Verschwiegenheit.“

„So werde ich diese Pflicht gelten lassen müssen, obgleich es mir natürlich lieb und erwünscht sein muß, nur mit Männern zu tun zu haben, deren Verhältnisse offen vor mir liegen. Doch wenigstens fragen darf ich wohl, ob Sie ein geborener Franzose sind?“

„Das bin ich allerdings.“

„Welches war Ihr früherer Stand?“

„Ich bitte um die Erlaubnis, diese Frage übergehen zu dürfen.“

Die Miene des Generals verfinsterte sich.

„Ich glaube, daß Sie mit Ihrer Schweigsamkeit zu weit gehen“, sagte er. „Es scheint, Sie waren gezwungen, Frankreich zu verlassen?“

„Nein. Ich ging freiwillig von zu Hause fort.“

„Ihr Ton ist der Ton der Wahrheit; ich will Ihnen glauben. Ich möchte gern, daß ich etwas für Sie tun könnte. Haben Sie Verwandte in der Heimat?“

„Nein, wenigstens keine näheren.“

„Und soll es auch fernerhin verborgen bleiben, daß der Fruchthändler Malek Omar derjenige ist, welchen man das ‚Auge der Franzosen‘ nennt?“

„Ja. Es liegt ganz in Ihrem eigenen Interesse. Erführe man die Wahrheit, so könnte ich unmöglich weiter für Sie tätig sein.“

„Nun gut! Sie hüllen sich in ein undurchdringliches Geheimnis und zwingen mich, es zu achten. Darum dürfen Sie aber nicht erwarten, daß ich mich Ihnen unbedingt anvertraue. Sie spielen gegen die Beduinen geradeso den geheimnisvollen Freund wie gegen mich und uns überhaupt. Gegen wen sind Sie nun wahr und ehrlich?“

„Natürlich gegen Sie und meine Landsleute, General!“

Diese Worte waren im Ton der aufrichtigsten Beteuerung gesprochen; aber die Spur von Mißtrauen, welche in den Worten des Generals lag, machte doch, daß sich der graue Schnurrbart in die Höhe zog, so daß die Zähne sich fletschend sehen ließen. Cavaignac bemerkte dies und sagte:

„Ich hoffe das um Ihretwillen. Das Gegenteil würde ja nur zu Ihrem eigenen Verderben führen. Nehmen Sie sich dies zu Herzen.“

Die sonnenverbrannten Wangen des früheren Gardekapitäns röteten sich. Aus seinem Auge schoß ein Blitz auf Cavaignac. Er fragte:

„Wie kommen Sie zu diesem plötzlichen Mißtrauen, mein General? Haben Sie mich vielleicht einmal unzuverlässig gefunden?“

„Oh, dazu sind Sie zu vorsichtig. Aber ich will gegen Sie aufrichtiger sein, als Sie gegen mich, und Ihnen sagen, daß es mir bisweilen geschienen hat, als wenn Sie nur unter einer gewissen Reserve Frankreich Ihre Dienste zur Verfügung stellten. Auch der klügste, der geriebenste Mensch exponiert sich einmal, wenn er es nicht durch und durch ehrlich meint. Es will mir scheinen, als ob Sie dem Herrn dienten, von dem Sie den größten Lohn erwarteten. Frankreich ist reicher als so ein Beduinenscheik. Wäre es umgekehrt der Fall, was würden Sie tun?“

„Ich würde dennoch Frankreich dienen!“ antwortete Richemonte mit Emphase.

„Ah! Wirklich?“

„Ich bin sogar bereit, für Frankreich zu sterben!“

„Nun, warten Sie damit noch einige Zeit. Es ist zwar sehr rühmlich, für sein Vaterland zu sterben, vorteilhafter aber ist es doch, für sein Vaterland zu leben. Ich will hoffen, daß ich mich in jeder Beziehung auf Sie verlassen kann! Aber noch eins: Wie nennt sich Ihr Gefährte?“

„Ben Ali.“

„Also der Sohn Alis. Er ist demnach nicht Ihr Sohn?“

„Nein.“

„Ein Verwandter von Ihnen?“

„Ein Cousin von mir.“

„Also auch ein Franzose?“

„Ja.“

„Hat er über seine Verhältnisse dasselbe Stillschweigen zu beobachten wie Sie?“

„Ganz dasselbe.“

„Eigentümlich! Nun, ich will nicht in Sie dringen. Dienen Sie mir gut, so finden Sie Ihren Vorteil dabei. Ertappe ich Sie aber bei einer Untreue, so hoffe ich, daß Ihnen meine Strenge und Gerechtigkeit bekannt sind. Ich erwarte Sie baldigst in Constantine. Adieu.“

Richemonte machte eine sehr devote Verbeugung und ging. Cavaignac blickte ihm nach, bis er hinter der Tür verschwunden war. Dann fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und murmelte:

„Und dennoch habe ich dieses Gesicht gesehen! Es sind keine guten, ehrlichen, Vertrauen erweckende Züge. Als ich noch als Knabe in Paris lebte, wohnte den Eltern gegenüber in der Rue d'ange ein Offizier, an welchem ich dasselbe Zähnefletschen bemerkte, wenn er zuweilen aus dem Fenster sah. Er bewohnte die Hälfte der ersten Etage, während seine Mutter mit der Schwester die andere Hälfte inne hatte. Leider kann ich mich nicht mehr auf den Namen besinnen. Ich weiß nur noch, daß einst ein preußischer Husarenlieutenant diese Etage vor der Plünderung rettete. Ich traue diesem Spion nicht ganz und werde vorsichtig sein.“

Seine Erinnerung hatte ihn ganz richtig geleitet.

Richemonte verließ das Lokal in keineswegs guter Stimmung. Er suchte sein Gesicht zu beherrschen; aber als er zu seinem Gefährten zurückkehrte und hinter den Datteln neben ihm Platz nahm, machte er seiner Stimmung Luft.

„Dein Gesicht glänzt nicht wie Sonnenschein“, sagte der Cousin, welcher sich also Ben Ali nannte, „und dann, welche Unvorsichtigkeit.“

„Was?“

„Daß der General diese Datteln nicht behalten hat.“

„Oh, wir hatten keine Zeit, an die Früchte zu denken.“

„Gab es so viel Wichtiges?“

„Gewiß. Vor allen Dingen aber sage ich dir, daß ich diesen Generalgouverneur von heute an glühend hasse, weil er mich tödlich beleidigt hat.“

Er ließ seine gelben Zähne auf eine wirklich drohende Weise sehen.

„Wieso?“ fragte Ben Ali neugierig.

„Er traut mir nicht.“

„Ah! Warum nicht?“

„Er sagt, daß er denke, ich werde dem Herrn dienen, welcher mir das meiste bietet.“

Der Cousin ließ ein leises Kichern hören.

„Hat er da unrecht?“ fragte er.

„Nein! Aber denken soll er es nicht und sagen noch weniger.“

„Nun, dieser General scheint kein dummer Kerl zu sein. Willst du dich darüber ereifern und wohl gar auf unseren Vorteil verzichten?“

„Das fällt mir durchaus nicht ein!“ brummte der Alte.

Er stützte den Kopf in die Hände und blickte einige Zeit lang sinnend vor sich nieder. Dann sagte er:

„Ich habe Unglück gehabt, so lange ich lebe –“

„Das ist also, so lange du lebst!“

„Schweig! Ich erwartete Ruhm und Karriere. Da kam jener verfluchte Königsau. Es lag ein Reichtum vor mir, Millionen groß – abermals kam dieser Mann. Meine Ehre war hin, und ich mußte das Land verlassen. Jetzt gab es nur einen Gedanken. Reich wollte ich werden; reich wollte ich zurückkehren, denn Reichtum bringt Ehre. Ich diente dem Bey; ich diente den Engländern, den Franzosen, den Beduinen. Was habe ich erworben? Nichts, gar nichts! Ich ließ dich aus der Heimat kommen, um Unterstützung meiner Pläne zu finden. Ich fand sie, aber dennoch blieb der Reichtum aus. Nichts, nichts will mir mehr glücken. Jetzt sind mir lumpige fünftausend Franken geboten. Was helfen sie mir?“

„Fünftausend Franken? Wofür?“

„Ich soll den Marabut Hadschi Omanah ausforschen.“

„Wirst du es tun?“

„Was bleibt mir anderes übrig? Kann ich diese Summe etwa bei den Beduinen verdienen?“

„Warum nicht?“ fragte Ben Ali langsam und mit Nachdruck.

Der Alte blickte ihn zweifelnd an.

„Was fällt dir ein? Woher nimmt der Kabyle so viel bares Geld? Und welchen Dienst könnte ich ihm leisten, um es zu bekommen?“

„Oh, das scheint mir sehr naheliegend.“

„Willst du klüger sein als ich?“

„Nein; aber vielleicht bin ich es doch.“

„So rede!“

„Du fragst, woher ein Beduine Geld nehmen soll? Nun, so verschaffe es ihm doch; dann wird er dir deinen Teil gern auszahlen.“

„Ich glaube, du sprichst am hellen Tag im Traum.“

„Ich werde dir beweisen, daß ich sehr wach bin. Sprachst du nicht soeben von diesem Königsau, von dem du mir bereits erzählt hast?“

„Du hörtest es ja deutlich genug.“

„Wird es in Deutschland viele geben, welche diesen Namen tragen?“

„Ich glaube nicht.“

„Nun, so sind er und derjenige, welcher jetzt mit so großen Schätzen aus Timbuktu kommt, jedenfalls Verwandte.“

„Möglich! Ah, jetzt errate ich!“

„Was errätst du, Cousin?“

„Du meinst, ich soll mich an dem einen Königsau rächen, indem ich dem anderen seinen Reichtum abnehme.“

„Natürlich.“

„Der Gedanke ist gut, außerordentlich gut. Er tut meinem Herzen wohl und würde mich zum reichen Mann machen, wenn er ausführbar wäre.“

„Warum soll er nicht ausführbar sein?“

„Dieser Königsau hat dreißig Krieger der Ibn Batta bei sich; wir aber sind nur zwei Personen.“

Da legte der Junge dem Alten die Hand auf die Schulter und sagte:

„Cousin, du verleugnest dich ganz! Wir waren so lange Zeit bei den Beni Hassan, und du hast doch gehört, daß sie in Blutfehde mit den Ibn Batta leben.“

Da sprang Richemonte dieses Mal wirklich von seinem Sitz auf.

„Mensch!“ sagte er. „Daran dachte ich wirklich nicht. Jetzt bemerke ich, daß du bei mir in einer ausgezeichneten Schule gewesen bist. Laß uns jetzt kein Wort, keinen Augenblick verlieren. Wir brechen augenblicklich auf.“

„Wohin?“

„Zu unseren Gastfreunden, den Beni Hassan.“

„Ich denke, du mußt zu dem Marabut?“

„Das hat Zeit.“

„Aber unsere Datteln hier?“

„Die verkaufen wir im ganzen. Dort unter jenem alten Dach haust ein Tagir (Händler), welcher mir alles abkaufen wird, wenn ich einen billigen Preis fordere. Wir haben die Früchte ja nur zum Scheine. Ich werde ihn holen.“

Er schritt mit einer Eile über den Platz hinüber, welche sich mit der muselmännischen Gravität nicht sehr in Einklang bringen ließ, und brachte wirklich bereits nach einigen Minuten den Händler herbei, welcher nach kurzem Feilschen die Datteln kaufte und bezahlte.

Jetzt wollte Richemonte sofort aufbrechen, aber der Cousin fragte:

„Hast du von dem General Geld erhalten?“

„Ja.“

„Wieviel?“

„Ich habe es wirklich noch nicht gezählt.“

„So zähle es sofort!“

„Warum?“

„Weil ich meinen Anteil brauche.“

„Das hat Zeit, bis wir zum Teilen Muße haben.“

„Nein, das hat keine Zeit. Ich will mir verschiedenes hier kaufen.“

„Kaufen? Hast du nicht alles, was du brauchst?“

„Ja, das habe ich; aber ich habe keine Kassabe (Pfeife), keine Bawaby (Pantoffel), keine Haikar (Ringe) und keinen Semsije (Sonnenschirm).“

„Bist du des Teufels! Wozu willst du das alles?“

„Da fragst du noch? Die Pfeife will ich für Scheik Menalek, und die Ringe, Pantoffel und den Sonnenschirm soll seine Tochter Liama erhalten.“

„Also bist du wirklich so verliebt in dieses Mädchen?“

„Sie muß mein werden.“

Er sagte dies in einem Ton, der jede Gegenrede abschnitt. Richemonte zog den Beutel heraus und zählte das Geld.

„Hier“, sagte er. „Zwei Drittel für mich und ein Drittel für dich.“

„Gut. Gehst du mit?“

„Ja. Ich müßte sonst zu lange warten.“

Sie gingen in einige Bazars, und bald waren die erwähnten Gegenstände gekauft, eine prächtige Pfeife für den Scheik der Beni Hassan und für seine Tochter silberne Arm- und Knöchelringe, ein Paar Pantoffel aus blauem Samt, mit Stickerei verziert, und ein seidener Sonnenschirm.

Mit diesen Sachen wanderten die beiden zur Stadt hinaus. Diese liegt am Wadi Biskra. Am rechten Ufer desselben zog sich ein Terebinthengebüsch hin, in welches sie eindrangen, bis ihnen das Schnauben von Pferden entgegentönte. Sie gelangten an eine Stelle, an welcher zwei Reitpferde versteckt waren.

„Da sind sie noch. Welch ein Glück!“ sagte der Cousin.

„Wer sollte sie uns genommen haben?“ fragte Richemonte.

„Diebische Beduinen.“

„Die ahnen nicht, daß sich hier Pferde befinden.“

„Oder Raubtiere.“

„Löwen und Panther gibt es hier nicht, und wenn es welche gäbe, so gehen diese Tiere erst des Nachts auf Raub aus. Ziehen wir uns rasch um.“

An jeden der beiden Lehnsättel war ein Bündel gehängt. Sie wurden geöffnet, und da zeigte es sich, daß sie alles enthielten, was zu einer reichen Kleidung und Bewaffnung gehört. Das Habit, welches ein jeder der beiden in der Stadt getragen hatte, war nur eine Verkleidung gewesen. Die Anzüge wurden gewechselt, und bald hatten die zwei Spione das Aussehen von wohlhabenden Beduinen.

Die alten Sachen wurden in Bündel geschnürt und hinter den Sätteln befestigt. Dann führten sie die Pferde in das Freie, stiegen auf und ritten nicht das Wadi entlang, sondern nach Süden auf dem Wege nach Uinasch davon. Das war allerdings nicht die Richtung zu dem Marabut.

Während des Ritts nun hatten sie Zeit, die vorhin unterbrochene Unterhaltung wieder aufzunehmen.

„Glaubst du, daß wir die Beni Hassan dazu bringen werden, den Deutschen zu überfallen?“ fragte der Junge.

„Ganz gewiß“, antwortete der Alte. „Wir müssen nur sagen, daß er ein Franzose sei; sie sind ja den Franzosen feindlich gesinnt. Und übrigens wird er von den Leuten des Stammes Ibn Batta begleitet, mit denen sie sich in Blutrache befinden. Es bedarf also nur eines Wortes.“

„Aber werden sie uns die Schätze lassen?“

„Ich hoffe es. Es kommt darauf an, es klug anzufangen. Gehen sie nicht mit darauf ein, so zwingen wir sie.“

„Zwingen? Wie wäre das möglich?“

„Siehe, jetzt bin ich dir überlegen“, lachte der Alte. „Ich würde sie ganz einfach durch die Franzosen zwingen.“

„Wieso?“

„Ich hole die Franzosen und überfalle sie. Die Schätze reklamiere ich dann als mein Eigentum.“

„Werden die Franzosen auf diesen Überfall eingehen?“

„Unbedingt. Ich habe bereits heute dem General die Mitteilung gemacht, daß die Beni Hassan im Begriff stehen, sich aufzulehnen.“

„Das ist gut. Aber –“

„Was aber? Was hast du einzuwenden?“

„Was wird dann aus Liama?“

„Mensch, ich begreife dich nicht. Dieses Mädchen hat dich wirklich um deinen ganzen Verstand gebracht.“

„Ist es ein Wunder? Sie ist schön wie ein Engel.“

„Pah! Es ist zwar wahr, daß sie sehr schön ist; aber in Frankreich kommt zu der Schönheit noch die Bildung.“

„Welche schöne und gebildete Französin würde einen Spion heiraten?“

„Du gebrauchst da ein nicht sehr schönes Wort. Weiß es übrigens die Französin, daß du hier Spion warst?“

„Sie kann es erfahren.“

„Wir bringen Reichtümer mit. Das gleicht alles aus.“

„Dieses Mädchen ist mir lieber als aller Reichtum.“

Der Alte zog den Schnurrbart in die Höhe.

„Du bist unverbesserlich! Liebt sie dich denn wieder?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du hast noch nicht mit ihr gesprochen?“

„Nein.“

„Ah, du bist ein guter Rechner. Du rechnest mit Seifenblasen.“

„Warum sollte eine Araberin nicht einen Franzosen lieben?“

„Richtig!“ lachte der Alte. „Du brauchst ja nur zu kommen und die Hand auszustrecken. Und der Scheik? Was wird er dazu sagen?“

„Er wird ja sagen, sobald er sieht, daß sie mich liebt.“

„Aber ein Fremder erhält die Tochter des Scheiks nie anders, als daß er Mitglied des Stammes wird.“

„Gut, so werde ich Beduine.“

„Mensch, ich fange wirklich an zu glauben, daß diese sogenannte Liebe auch ein sonst verständiges Individuum von Sinnen bringen kann.“

„So hast du nie geliebt?“

„Oh, doch.“

„Ah! Du sprachst doch nie davon.“

„Das war auch nicht notwendig. Ich habe geliebt und liebe noch.“

„Wen?“

„Mich. Jetzt weißt du es. Dies ist die einzige und vernünftige Liebe, welche ich kenne. Übrigens würde ich dir deine Überspanntheit strengstens untersagen, wenn ich nicht dächte, auch meine Rechnung dazu zu finden.“

„Das glaube ich dir. Ein Egoist, wie du, tut nichts, wobei er nicht irgend einen Vorteil im Auge hat. Welche Rechnung meinst du da?“

„Du weißt, daß ich bei den Beni Hassan für deinen Vater gelte. Wenn mein Sohn der Eidam des Scheiks wird, gewinne ich bedeutend an Einfluß. Der Stamm stellt, wenn er alle Abteilungen zusammenzieht, über dreitausend Männer ins Feld. Du siehst ein, daß man damit einen bedeutenden Druck ausüben kann.“

„Ich gebe dir recht. Übrigens denke ich dabei auch an diesen Königsau.“

„Inwiefern?“

„Wenn der Scheik mein Schwiegervater ist, so wird er nichts dagegen haben, daß wir die Schätze, welche dieser Deutsche mit sich führt, unter uns zweien teilen.“

„Teilen? Hm!“ brummte der Alte. „Unserem bisherigen Abkommen gemäß erhalte ich stets zwei Drittel.“

„Das ist hier eine ganz andere Sache. Es war bisher nur von dem die Rede, was wir uns durch unsere Kundschafterei verdienten.“

„Und du denkst, daß du von des Königsau Sachen die Hälfte erhältst?“

„Ich denke es nicht bloß, sondern ich verlange es.“

„Gut! So ist aber die Kriegskasse da drüben in den Ardennen auch eine andere Sache. Ich werde sie selbst heben, ohne dich zu brauchen.“

„Du weißt nicht, wo sie liegt.“

„Ich werde den Ort finden.“

„Du wirst dich wohl kaum wieder nach Frankreich begeben.“

„Warum nicht? Sobald ich als reicher Mann auftreten kann, gehe ich hinüber.“ –

Zwischen den zwei Karawanenwegen, welche westlich von Uinasch nach El Baadsch und östlich von Tahir Raffe nach Um el Thiur gehen, erstreckt sich eine Ebene lang von Norden nach Süden. Ihr nördlicher Teil wird vom Wadi Dscheddi und ihr südlicher vom Wadi Itel durchzogen, ein sicherer Beweis, daß es diesem Teil der Wüste nicht ganz an Wasser und Feuchtigkeit fehlt.

Um el Thiur heißt zu deutsch Mutter der Vögel, wo es aber Vögel gibt, da muß es auch Bäume und Sträucher geben, und in der Tat ist diese Gegend auch mehr Weideland als Wüste.

Hier hatte sich der Teil der Beni Hassan, welcher unter dem bereits genannten Scheik Menalek stand, für einige Zeit niedergelassen, um seine Herden weiden zu lassen.

Die Ebene war zwar nicht mit reichem, aber doch zulänglichem Grün bedeckt, von welchem die weißen Zelte der Beduinen angenehm abstachen. Pferde sprangen hin und her; Rinder grasten, indem sie sich in ruhigem Schritt vorwärts bewegten, und Kamele und Schafe lagen, mit Wiederkäuen beschäftigt, an der Erde. Dabei standen die Hirten, um aufzupassen, daß keiner dieser Tiere sich in die Weite verlaufe.



In der Nähe der Zelte jagten Beduinen hin und her, um ihren jungen Pferden die berühmte arabische Schule beizubringen. Andere lagen, ihre Pfeife rauchend, in oder vor und zwischen den Zelten, um dem geschäftigen Treiben ihrer Frauen und Töchter zuzusehen, welche unverschleiert ab- und zugingen. Der Beduine zwingt das weibliche Geschlecht nicht, wie der Städtebewohner, das Gesicht, den edelsten Teil des menschlichen Körpers, unter der neidischen Hülle zu verbergen.

Im Westen, vom Wadi Fahama her, welches sich bei el Baadsch mit dem Wadi Itel vereinigt, kam ein Reiter geritten.

Sein Pferd mußte einen weiten Weg zurückgelegt haben, denn es zeigte sich so ermüdet, daß es schwer fiel, ihm einen kurzen Trab abzugewinnen. Er war ein noch junger Mann von wenig über zwanzig Jahren, und nur ein kurzer, weicher Flaum bedeckte seine Oberlippe. Er trug den weißen Burnus der Beduinen, und sein Kopf war gegen die Strahlen der Sonne durch ein buntes Tuch geschützt, welches er malerisch um denselben geschlungen hatte. Auch das Sattel- und Riemenzeug war arabisch, aber seine Waffen schienen nicht die hier gewöhnlichen zu sein.

Er hatte nämlich eine doppelläufige Büchse quer vor sich liegen, und aus den Satteltaschen guckten die Kolben von zwei Pistolen hervor. Dennoch war dieser junge Mann kein Europäer, sondern ein Beduine. Das sah man schon dem freudeglänzenden Blick an, welchen er auf die sich vor ihm entfaltende Szenerie warf. Es war der Blick eines Menschen, welcher, heimkehrend nach langer Zeit, den schmerzlich entbehrten Anblick genießt, welchen er seit frühester Kindheit gewohnt war.

Die Hirten hatten ihn schon von weitem beobachtet. Jetzt zwang er sein Pferd, die letzten Kräfte an einen Galopp zu setzen; dann parierte er es vor dem Hirten, welcher am entferntesten von dem Duar oder Zeltdorfe stand.

„Mubarak – Dein Tag sei gesegnet!“ sagte er.

„Neharak saaide – Dein Tag sei beglückt!“ antwortete der Hirte.

Aber als er das Gesicht des Ankömmlings genauer betrachtet hatte, rief er aus:

„Allah il Allah! Du bist Saadi, und fast hätte ich dich nicht erkannt!“

„Hat die Zeit mein Angesicht so sehr verändert?“ fragte der Jüngling lächelnd.

„Nein; aber meine Augen waren mit Blindheit geschlagen.“

„Wie geht es den Söhnen der Abu Hassan?“

„Sie dienen Allah, und er hat sie lieb.“

„Und den Töchtern des Stammes?“

„Allah begnadigt sie mit Schönheit des Leibes und der Seele.“

„Den Herden?“

„Allah macht sie fruchtbar, daß sie wachsen von Tag zu Tag.“

„Ist Menalek, der Scheik des Stammes, im Dorf?“

„Er sitzt vor seinem Zelt und freut sich seiner Weisheit.“

„Ist Abu Hassan, der Bruder meines Herzens, gesund?“

„Allah verkündete ihm langes Leben und Freude an seinem Sohn.“

„So will ich sehen, ob er sich auch über mich, seinen Bruder, freut.“

Er zwang sein Pferd zu einem abermaligen Galopp, der ihn durch die Herden hindurch bis an das Zelt des Scheiks brachte. Dieser saß, wie der Hirte gesagt hatte, rauchend vor seinem Zelt. Er hatte den Reiter kommen sehen. Als dieser jetzt vom Pferd stieg, um ihn, den obersten des Stammes, ehrfurchtsvoll zu grüßen, zog sich seine Stirn in Falten.

„Alla jikun ma'ak – Gott sei mit dir!“ sagte der Jüngling.

„Rua lil dschehennum – geh zum Teufel!“ lautete die Antwort.

Da hob der Angekommene den Kopf stolz empor.

„Ma fehimitu – ich habe es nicht verstanden“, sagte er.

„Geh zum Teufel!“ wiederholte der Scheik.

Da blitzten die Augen des anderen auf.

„Dein Alter ist größer als das meinige; ich verzeihe dir!“ sagte er.

„Ich brauche deine Verzeihung nicht.“

Schon hatte der junge Mann eine scharfe Entgegnung auf den Lippen; da öffnete sich der Vorhang des Zeltes, und es war ein Bild zu sehen, so lieblich, so hold, daß er seine Worte vergaß.

Ohne daß der Vater es merkte, war hinter ihm die Tochter erschienen. Sie konnte siebzehn Jahre zählen, war aber bereits vollständig entwickelt.

Ihre Züge waren jene reinen, weichen, melancholischen, wie man sie so oft bei Orientalinnen höheren Standes beobachtet. Ihr großes Auge hatte einen Ernst an sich, welcher ihrer Jugend eine ergreifende Weihe gab. Das herrliche, schwarze Haar hing in schweren, dicken Flechten herab und war mit goldenen Fäden verziert. Stirn und Hals schmückten Reihen großer Gold- und Silberstücke. Die Beine steckten in rotseidenen Hosen und die nackten, schneeweißen Füßchen in Pantöffelchen von ebensolcher Farbe. Der Oberleib war mit einem blauen, goldgestickten und ärmellosen Jäckchen bekleidet, welches, vorn offenstehend, eine herrliche Büste sehen ließ, die von einem weißen Hemd verhüllt wurde, dessen weite Ärmel, aus der Jacke hervorquellend, zwei schöne, volle Arme nur halb bedeckten. An den Fußknöcheln und Handgelenken trug dieses zauberhaft schöne Wesen Ringe von Silber und Spangen von massivem Gold.

Als Liama den Jüngling erblickte, röteten sich ihre Wangen. Sie legte den Finger bittend an den Mund und verschwand augenblicklich wieder hinter dem Vorhang, welcher den Eingang des Zeltes verschloß.

Ihr Vater hatte ihr Erscheinen gar nicht bemerkt. Saadi aber hatte verstanden, was ihm der an den Mund gehaltene Finger sagen sollte. Darum drängte er die bittere Antwort zurück und sagte in mildem Ton:

„Vergib mir! Du hast recht. Die Jugend darf nicht wagen, dem Alter zu verzeihen!“

Er ergriff sein Pferd am Zügel und führte es an den Zelten hin, bis es vor einem der kleinsten und ärmlichsten halten blieb. Bei dem Geräusch, welches die Tritte des Pferdes verursachten, öffnete sich dasselbe, und es trat ein Beduine hervor, in welchem man sofort den älteren Bruder erkennen mußte.

„Abu Hassan!“

„Saadi!“

Nur diese beiden Rufe erschallten, dann lagen sich die Brüder in den Armen. Da öffnete sich das Zelt abermals, und es kam eine Frau zum Vorscheine, welche Kleider trug, deren Ärmlichkeit aber ihre Schönheit nicht zu verdunkeln vermochten. Sie wartet, bis die Männer ihre Umarmung gelöst hatten, schritt dann auf Saadi zu, streckte ihm mit strahlender Miene die Hand entgegen und sagte:

„Ta ala, marhaba – komm und sei willkommen!“

„Allah sei Dank!“ meinte Saadi. „Endlich höre ich ein Willkommen.“

„Wer hat dir dieses Wort versagt?“ fragte sein Bruder, schnell ernst werdend.

„Der Scheik.“

„Du mußt ihm verzeihen, denn er ist sehr erzürnt auf dich.“

„Warum?“

„Weil du zu den Giaurs gegangen bist.“

„Hat Allah dies verboten?“

„Nein; aber er haßt die Franzosen.“

„Ich habe euch nicht der Franzosen wegen verlassen.“

„War der Inglis, mit dem du gingst, nicht auch ein Giaur?“

„Ja. Aber war er nicht vorher der Gast des Scheiks?“

„Du hast recht, doch er haßt dich auch deshalb, weil Liama, seine Tochter, dich nicht vergessen will.“

„Allah allein ist Herr des Herzens, aber nicht der Mensch. Darf ich in dein Zelt treten, mein Bruder?“

„Tritt herein! Was mein ist, das ist dein; ich bin du, und du bist ich.“

Die beiden verschwanden in dem Zelt. Die Frau des älteren Bruders nahm dem Pferd den Sattel und gab ihm dann einen Schlag, um ihm zu sagen, daß es frei sei und weiden könne. Dann trat auch sie hinein, um ihren Gast zu bedienen.

Einige Zeit später verließ Liama ihr Zelt und schritt hinaus zu den Herden. Zuweilen blieb sie stehen, um sich umzusehen. In der Tiefe einer Schlucht verschwand sie.

Bald darauf öffnete sich auch das Zelt der beiden Brüder. Abu Hassan und Saadi traten hervor. Der Blick des letzteren glitt sofort nach des Scheiks Zelt hin. Dieser war nicht zu sehen; er hatte sich zurückgezogen.

Die Brüder gingen von Zelt zu Zelt und von Mann zu Mann. Saadi mußte sich begrüßen lassen. Als dies vorüber war, trennte er sich von dem Bruder und schritt der Schlucht entgegen.

Ihr mußte er vor allen Dingen einen Besuch machen, denn hier war es vor zwei Jahren gewesen, als der Stamm ebenso wie jetzt hier lagerte, daß ihm Liama gestanden hatte, daß er ihr lieber sei als alle Männer der Abu Hassan zusammengenommen.

Er hatte keine Ahnung, daß die Geliebte vor ihm denselben Weg gegangen sei. Langsam stieg er in die mit Büschen besetzte Schlucht hinab, um zu der Stelle zu gelangen, an welcher er damals mit Liama gesessen hatte.

Als er dort anlangte und die Sträucher auseinanderschob, stieß er einen Ruf des Entzückens aus. Er stand vor derjenigen, an welche er soeben gedacht hatte.

„Liama!“ sagte er, halb flüsternd und halb frohlockend.

Sie erglühte über und über.

„Saadi“, hauchte sie.

Er ergriff ihre beiden Hände.

„Warum gingst Du hierher an diesen Ort?“ fragte er.

Sie schlug die Augen nieder und antwortete nicht.

„Warum gingst du hierher?“ wiederholte er.

„Ich bin alle Tage hier“, antwortete sie endlich. „Aber warum ist dein erster Gang zu dieser Stelle?“

„Weil ich dich hier gefunden habe.“

Sein Auge verschlang fast das herrliche Mädchen. Es war viel, viel schöner geworden, seit er es nicht gesehen hatte.

„Ich dachte, du habest diesen Ort vergessen“, sagte es.

„Nie, nie werde ich ihn vergessen, so lange Allah mir das Leben schenkt. Und auch du bist hierher gegangen? Täglich?“

„Täglich!“ antwortete Liama.

Er bog sich nieder, sah ihr tief in die herrlichen Augen und fragte leise:

„Nur des Ortes wegen?“

„Nein, sondern des Andenkens wegen.“

„Des Andenkens? An wen?“

Sie zögerte mit der Antwort. Da legte er den Arm um sie, zog sie leise an sich heran und bat:

„Sage es, Liama! An wen?“

Da hob sie ihren feuchten Blick zu seinen Augen empor und antwortete:

„An dich!“

„So hast du an mich gedacht?“ fragte er hochbeglückt.

„Ja.“

„Und mich nie vergessen?“

„Nie.“

„Mich, den armen Mann? Du, die Tochter des reichen Scheiks?“

„Allah macht alle Menschen reich!“

„Ja, du hast recht! Auch ich bin reich, reich an unendlicher Liebe für dich, du schönste, herrlichste Tochter aller Zelte in der Wüste. Weißt du, was wir uns versprachen, ehe wir uns trennten?“



Sie sagte nichts, aber sie nickte leise mit dem Kopf.

„Sage es!“ bat er sie.

„Sage du es!“

„Wir versprachen, einander treu zu bleiben für das ganze Leben. Ich halte diesen Schwur. Und du, meine Liama?“

„Ich auch“, bekräftigte sie.

„Ich danke dir, du Wonne meines Lebens!“

Er drückte sie inniger an sich und küßte ihre vollen, roten Lippen. Sie ließ sich dies gefallen; ja, er fühlt deutlich, daß ihr Mund den Druck des seinigen erwiderte.

„Aber dein Vater?“ fragte er dann.

„Allah wird seinen Willen lenken.“

„Ja, Allah ist allmächtig und allgütig. Verdammst auch du mich, daß ich mit dem Inglis gegangen bin?“

„Nein –“

Er merkte, daß sie seinen Namen hatte aussprechen wollen.

„Sprich weiter!“ bat er. „Sage das Wort!“

Sie drückte ihr Köpfchen fester an seine Brust und hauchte erglühend:

„Mein Saadi.“

„Ich danke dir!“ sagte er, während sein Herz diese Wonne kaum zu fassen vermochte. „Soll ich mit deinem Vater sprechen?“

„Ja.“

„Soll ich ihm sagen, daß du mein sein willst?“

„Sage es ihm.“

„Ich war zwei Jahre nicht hier. Ist keiner gekommen, welcher seine Hand nach dir ausstrecken wollte?“

„Es waren mehrere hier.“

„Was sagte der Scheik?“

„Sie waren ihm zu arm.“

„Oh, ich bin ja noch viel ärmer als sie. Ich habe nicht einmal ein Lamm, um es zu schlachten, wenn mich ein Gast besucht.“

Da legte sie alle Zurückhaltung ab, schlang die Arme um ihn und sagte:

„Nein, du bist reich, denn die Tochter des Scheiks Menalek liebt nur dich und hat dir versprochen, dein Weib zu sein.“

„Und dieses Wort wirst du halten?“

„Ja. Nur der Tod soll uns trennen.“

„Schwöre es mir.“

„Ich schwöre es dir bei Allah und seinem Propheten.“

„Habe Dank! Du bist süßer als die Houris des Paradieses und reiner als die Engel des Lichtes. Wer waren die Männer, welche kamen, um zu versuchen, dich mir zu rauben?“

„Der Sohn eines Scheiks der Merasig, ein alter Emir der Uëlad Sliman und dann ein Scheik der Beni Hamsenad. Auch kamen zwei fremde Araber aus dem Osten, Vater und Sohn, einer Blutrache wegen. Der Sohn folgte meinen Schritten, und ich mußte ihn immer fliehen.“

„Wo sind sie jetzt?“

„Ich weiß es nicht, sie werden sehr bald wiederkommen.“

„Dies sagte dir der Sohn?“

„Ja.“

„Wie hieß er?“

„Ben Ali.“

„Und sein Vater?“

„Malek Omar.“

„Wie kann dieser Abkömmling der Araber Ben Ali, der Sohn Alis heißen, wenn sein Vater Malek Omar heißt. War er jung?“

„Er war älter als du.“

„Schön?“

„Er war nicht häßlich.“

„Tapfer?“

„Ich habe nichts gesehen.“

„Reich?“

„Die beiden Männer hatten stets viele Goldstücke bei sich.“

„Malek Omar! Ich habe einen Mann gesehen, welcher Malek Omar hieß und ein Fakihadschi war. Er handelt mit Früchten und ging im Haus des Generals aus und ein. Aber dieser ist ein anderer Mann. Hat sein Sohn dir gesagt, daß er dich lieb hat?“

„Nein. Aber seine Augen redeten, was seine Lippen verschwiegen.“

„Es ist gut! Es soll keiner um dich werben. Ich werde morgen mit deinem Vater sprechen, und er wird mich anhören.“

„Nicht morgen, sondern heute.“

Diese Worte erschallten im zornigsten Ton neben ihnen. Sie fuhren überrascht herum und erblickten den Scheik, welcher vor ihnen stand. Sein Gesicht war vom Zorn gerötet, und seine Augen funkelten.

„Giaur.“

Nur dieses eine Wort warf er Saadi entgegen, aber es gibt keine größere Beleidigung, als dieses eine Wort einem gläubigen Moslem zu sagen. Es enthält alles Schlimme, was man kaum mit tausend anderen Worten sagen könnte.

Saadi trat einen Schritt zurück und fuhr mit der Hand an das Messer.

„Was wagtest du?“ donnerte er.

„Giaur, Ungläubiger!“ wiederholte der Scheik.

Saadi zog sein Messer aus der Scheide, aber Liama fiel ihm um den Hals.

„Zurück! Steck dein Messer ein! Er ist mein Vater“, rief sie.

Das war genug, um ihm seine ganze Selbstbeherrschung zurückzugeben.

„Ich will dir gehorchen, Liama“, sagte er. „Aber verlaß diesen Ort! Du darfst nicht hören, was gesprochen wird. Was nur meine Ohren hören, das kann ich verzeihen; was aber andere hörten, das müßte ich rächen.“

„Nein, bleib!“ gebot ihr der Scheik. „Du sollst sehen, wie ich diesen Freund der Franzosen zur Erde treten werde.“

Sie wußte nicht, ob sie gehen oder bleiben solle. Vom Standpunkt der Ehre aus hatte Saadi recht, aber was konnte alles geschehen, wenn sie sich entfernte und also nicht vermitteln konnte. Der Geliebte erriet ihre Bedenken.

„Geh, Liama!“ bat er. „Ich liebe dich; ich werde nichts tun, was dich betrüben könnte.“

Sie blickte ihm forschend in die aufrichtigen Augen und sagte dann:

„Ich vertraue dir; ich gehe!“

„Nein, du bleibst!“ befahl der Scheik.

Er streckte seine Hand aus, um sie zu halten, aber sie entschlüpfte ihm und verschwand hinter den Büschen.

„Ah! Dir gehorcht sie eher als mir“, rief der Scheik. „Bei Allah, ich werde ein strenges Gericht über euch halten. Zuvor aber werde ich dich hier zu meinen Füßen niederschlagen.“

Er erhob die Faust. Saadi reckte sich hoch empor und sagte:

„Scheik Menalek, bist du ein Kind oder ein Mann? Sagt nicht der Prophet: Weiber und Kinder sind Sklaven des Zorns; aber ein Mann beherrscht ihn? Ich sage dir, daß ich Liama mein Wort gegeben habe, nichts zu tun, was sie kränken könnte; aber sobald du mich berührst, bist du ein Sohn des Todes.“

Menalek ließ doch die Hand sinken; er kannte Saadi und wußte, daß dieser seine Worte wahr machen werde.

„Ah, du drohst mir?“ fragte er.

„Nein. Du selbst drohst mir, indem du mich zwingst, es zu tun. Jetzt rede, was du zu reden hast. Ich werde dich ruhig anhören und dir dann Antwort geben.“

Der Scheik warf einen haßerfüllten Blick auf ihn und fragte:

„Du wirfst dein Auge auf meine Tochter?“

„Ich liebe sie.“

„Und sie?“

„Sie liebt mich wieder.“

„Du hast sie verführt. Wer bist du, und was bist du?“

„Ein freier Krieger der Beni Hassan. Bist du mehr?“

„Ich bin der Scheik des Stammes.“

„Wer hat dich dazu gemacht? Etwa du selbst? Du wurdest gewählt und kannst wieder abgesetzt werden.“

„Zähle meine Herden! Was aber hast du?“

„Ich habe Allah und mich; das ist genug.“

„Lästere nicht! Du hast Allah verloren, denn du bist zu den Giaurs gegangen.“

„Sind die Giaurs nicht deine Gäste gewesen?“

„Verbietet das der Koran?“

„Verbietet der Koran etwa, zu den Giaurs zu gehen?“

„Du hast ihren Glauben gehört und bist nun selbst Giaur geworden.“

„Wer sagt dir das?“

„Ich sehe es. Wärst du ein Anhänger des Propheten geblieben, so würdest du die Gewalt des Vaters achten. Du willst das Kind dem Vater rauben.“

„Nein, sondern ich will dem Vater zu seinem Kind noch einen Sohn geben, mich.“

„Ich mag dich nicht. Du bist die Schande der Beni Hassan.“

„Deine Beleidigung ist tödlich. Mein Messer hätte längst dein Herz gefunden, wenn ich nicht des Wortes gedächte, welches ich Liama gegeben habe.“

„Dein Messer? Ah, du getraust dir nicht, dich zu rächen; du bist ein Feigling.“

Saadis Wangen wurden bleich. Er mußte die ganze Macht seiner Liebe zu Hilfe nehmen, um ruhig zu bleiben.

„Was habe ich dir getan, daß du solche Worte sagst?“ fragte er. „Ich liebe deine Tochter und schenke dir meine Ehrerbietung; dafür dankst du mir mit Beleidigungen, welche ein jeder andere mit dem Leben bezahlen würde. Soll ich den Stamm seines Scheiks und Liama ihres Vaters berauben? Soll ich die Blutrache in die Zelte deiner und meiner Verwandten tragen, nur um einer Liebe willen, welcher ich nicht widerstehen kann, weil Allah selbst sie in mein Herz gelegt hat?“

Der Scheik schüttelte verächtlich mit dem Kopf.

„Du wirst an keiner Blutrache schuld sein, denn du bist ein Feigling“, sagte er. „Ich habe bei dir die Waffen der Giaurs gesehen. Sie sind nicht gefährlich, denn du verstehst nicht, sie zu gebrauchen.“

„Du irrst. Ich habe mit ihnen den Löwen erlegt und den Panther des Gebirges.“

„Lüge nicht. Du wirst mit dabei gewesen sein, als Hunderte von Giaurs sich aufmachten, eine armselige Katze zu jagen, welche du in deiner Feigheit für einen Panther gehalten hast. Die Giaurs brüllen vor Angst, wenn sie eine Katze sehen, und das hast du von ihnen gelernt.“

„Hat dir nicht der Inglis, welcher in deinem Zelt wohnte und den ich dann begleitete, gesagt, daß er ganz allein ausgeht, um den Löwen zu schießen?“

„Er hat gelogen, und ich glaubte es ihm nicht. Um einen Löwen zu töten, sind mehr als fünfzig tapfere Jäger erforderlich.“

„Er hat nicht gelogen, denn ich selbst bin dabei gewesen, als er den Löwen tötete, und ich erschoß das Weib des Löwen.“

„Du lügst noch mehr als dieser Inglis. Wenn der Sohn eines Stammes auf die Rache des Blutes auszieht, so ist dies eine Pflicht und eine Ehre; aber wenn der Nachkomme eines Vaters das Dorf verläßt, nur um die Städte der Ungläubigen zu besuchen, so erntet er Schande.“

„Ich habe den Stamm für kurze Zeit verlassen, weil ich arm war.“

„O Allah! Du wolltest dir Geld verdienen?“

„Ja.“

„Du, ein freier Araber?“

„Ja.“

„Du gingst in den Dienst eines Ungläubigen? Schande über dich!“

„Ich war nicht sein Diener, sondern sein Beschützer. Ich zeigte ihm die Wege der Wüste und der Steppe und machte ihn bekannt mit den Stämmen unserer Freunde. Ist dies eine Schande?“

„Ja, denn er gab dir Lohn dafür.“

„Er gab mir keinen Lohn. Ich verlangte nichts von ihm; ich ging nur deshalb mit ihm, weil ich ein Geschenk von ihm erwartete und andere Gegenden kennen lernen wollte. Ist es eine Schande, ein Geschenk anzunehmen?“

Darauf konnte oder mochte der Scheik nicht antworten. Er fragte höhnisch:

„Ist sein Geschenk reich ausgefallen?“

„Ich bin zufrieden“, sagte Saadi zurückhaltend.

„Was hat er dir gegeben?“

„Er hat mir Gold gegeben. Dieser Inglis war sehr reich, und er hatte mich lieb, ich kann mir ein Zelt erbauen.“

„So erbaue es und führe als Weib hinein, welche du willst, nur meine Tochter nicht. Wenn ich dich noch einmal bei ihr sehe, so werde ich dich durchpeitschen lassen, gerade so, wie die Beherrscher von Algier ihre Sklaven schlagen ließen.“

„Ich wiederhole dir, daß ich dich töten würde, sobald du es wagtest, die Hand an mich zu legen.“

„Oh, du tust dies nicht; du bist ja ein Feigling.“

„Deine Worte sind nicht die Worte eines weisen Mannes. Lerne von mir, dem Jüngeren, wie es sich schickt, seine Leidenschaften zu beherrschen. Allah ist gnädig und allgütig, aber auch seine Geduld kann ein Ende haben, warum also nicht diejenige eines Sterblichen. Darum gehe ich und lasse dich stehen, denn ich denke an Liama, welche deine Tochter ist.“

Er wandte sich um und ging.

„Feigling!“ rief ihm Menalek laut nach.

Saadi war im tiefsten Herzen empört. Sein Inneres wallte und kochte. Er mußte dieses schöne Mädchen unendlich lieb haben, da er die Kraft gefunden hatte, ihretwegen so schwere Beleidigungen ungeahndet über sich ergehen zu lassen.

Wie hatte sich seine Seele nach der Heimat gesehnt! Und nun er sich bei den Zelten seines Duars befand, erntete er Haß anstatt Liebe und grimmige Verachtung anstatt Wohlwollen. Das Gebüsch, durch welches er schritt, bestand aus wilden, dornigen Akazien und stacheligen Mimosen. Er bemerkte gar nicht, daß diese Dornen und Stacheln ihn verwundeten. Er strich durch die Sträucher hin, nur daran denkend, seine Seele zu beruhigen.

Die Schlucht wurde immer breiter und höher, da sich ihre Sohle immer tiefer senkte. Der bisher sandige Boden wurde steinig, und hier und da lagen Steintrümmer, von Felsen herrührend, welche von den Wäldern der Schlucht herabgestürzt waren.

An einem solchen Stein blieb das Auge Saadis plötzlich haften.

Der Stein zeigte Eindrücke, als ob man mit einer scharfen, mehrzinkigen Harke über denselben hinweggefahren sei. Saadi bückte sich nieder und blickte, da es in der Tiefe dieser Schlucht bereits zu dunkeln begann, genauer hin.

„O Allah! Der Herdenwürger“, sagte er.

Herdenwürger wird der Löwe genannt. Der König der Tiere war in jenen Gegenden ganz und gar nicht selten.

Saadi untersuchte die Eindrücke auf dem Stein und murmelte:

„Sie sind ganz neu. Der Löwe ist bereits des Morgens hier gewesen. Er hat Hunger, denn er hat seine Krallen an diesem Stein geschärft. Er wird heute Nacht nach dem Dorf kommen, um sich Fleisch zu holen.“

Er betrachtete den Boden genau und fand die Fährte des Tieres, welcher er eine Zeitlang folgte. Sie führte hin und her. Das Tier war ungewiß gewesen, wohin es sich wenden solle.

„Er hat noch kein bestimmtes Lager gehabt, sondern es sich erst gesucht“, meinte Saadi. „Er ist also erst am Morgen hier angekommen, um eine neue Wohnung zu finden. Er hat die Wanderung während der Nacht gemacht. Er ist allein; er hat also sein Weib und seine Kinder zurückgelassen. Er wird sie nachholen, sobald er findet, daß es hier gute Beute gibt.“

Diese Kalkulation zeigte, daß Saadi wirklich nicht unerfahren sei. Der Engländer, welchem er sich angeschlossen hatte, war jedenfalls kein sogenannter Aas- oder Sonntagsjäger gewesen.

„Soll ich diese Spuren weiter verfolgen?“ fragte sich Saadi. „Nein. Ich habe mein Gewehr nicht bei mir, und es wird die Nacht gleich hereinbrechen. Der Würger der Herden versteckt sich am Tag, aber des Nachts kommt er heraus. Wenn er mich fände, würde er mich töten und fressen. Ich muß zurückkehren, um die Männer des Dorfes vor ihm zu warnen, damit sie auf ihrer Hut sind, wenn er kommen wird, um die Herden zu besuchen.“

Er stieg an der Seite der Schlucht empor. Das Dorf lag in weiter Ferne, er konnte es kaum erkennen, denn die in jenen Gegenden so kurze Dämmerung war hereingebrochen und ging sehr schnell in das Dunkel des Abends über.

Noch ehe er die Zelte erreichte, sah er die kleinen Feuer des Lagers glimmen, an denen die Frauen das Abendmahl bereiteten. Dort angekommen, schritt er gerade auf das Zelt des Scheiks zu; er hielt es für seine Pflicht, gerade diesem letzteren seine Meldung zu machen, denn er selbst hatte nicht das Recht, die Versammlung zusammenzurufen.

Auch vor diesem Zelt brannte ein Feuer. Menalek saß bei demselben und sah zu, wie sein Weib und seine Tochter das Kuskus bereiteten. Als er den Nahenden erblickte, griff er mit der Hand nach seinem Messer. Er glaubte, dieser komme, um sich an ihm zu rächen.

„Was willst du?“ fragte er drohend. „Pack dich fort von hier!“

Mutter und Tochter fühlten die größte Angst vor dem, was jetzt kommen werde.

„Du darfst mich nicht fortweisen“, sagte Saadi mild und ruhig. „Du bist der Scheik, und ich habe mit dir zu sprechen.“

„Hast du mit Menalek oder mit dem Scheik zu sprechen?“

„Ich komme zum Scheik.“

„So rede, wenn die Frauen es hören dürfen.“

„Sie dürfen. Laß die Männer zusammenkommen und sage ihnen, daß heute nacht der Herr des Erdbebens kommen wird, um unseren Herden einen Besuch abzustatten.“

Der Löwe wird auch Herr des Erdbebens genannt, weil seine Stimme, besonders wenn sie in weiter Ferne erschallt, gerade so klingt, als ob die Erde bebte.

„Du bist toll!“ antwortete der Scheik.

„Ich habe seine Spur gesehen.“

„Wo?“

„In der Schlucht.“

„Du hast von der Katze geträumt, welche du mit den Giaurs getötet hast.“

„Ich weiß die Spur einer Katze von der eines Löwen zu unterscheiden.“

„Deine Augen sind vor Liebe blind. Geh nach dem Zelt deines Bruders, um dich auszuschlafen. Morgen wirst du bei Sinnen sein!“

„Dein Haß ist groß; aber er darf dich nicht veranlassen, deine Pflicht zu vernachlässigen. Wenn dem Scheik die Nähe des Löwen gemeldet wird, hat er sofort die Männer des Lagers zu versammeln.“

„Willst du mir drohen?“

„Nein. Aber wenn du es nicht selbst tust, so werde ich in das Horn stoßen.“

Er zeigte auf ein großes Büffelhorn, welches am Eingang des Zelts hing. Es hatte den Zweck, durch seinen Ton die Versammlung herbeizurufen.

„Wage es!“ sagte der Scheik.

Saadi trat trotz dieser Warnung hinzu. Da zog Menalek das Messer.

„Zurück! Wenn jemand ohne meine Erlaubnis näher tritt, so habe ich das Recht, ihn zu töten.“

Saadi blieb stehen und sagte ernst:

„Ich fürchte dein Messer nicht, aber ich achte die Gesetze des Stammes. Ich werde also deinem Zelt nicht zu nahe kommen; aber ich bitte dich zum letzten Mal, die Versammlung zu berufen.“

„Es fällt mir nicht ein, die Männer mit deinen Lügen zu belästigen.“

„Du bist ein freier Mann und hast deinen Willen, ich aber habe den meinigen auch. Ist es dir nicht passend, deine Pflicht zu erfüllen, so weiß ich, was ich zu tun gezwungen bin. Merke auf!“

Er legte zwei Finger an den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Dies war das Alarmzeichen der Beni Hassan.

„Was tust du?“ fragte Menalek erschrocken.

„Ich werde die Dschema zusammenrufen, um sie vor dem Löwen zu warnen und sie zugleich zu fragen, was der Scheik verdient, welcher es verschmäht, über die Seinigen zu wachen.“

Die Dschema ist die Versammlung der Ältesten. Sie hat über alle Angelegenheiten zu beraten und besitzt sogar die Macht, einen Scheik abzusetzen.

„Du zwingst mich?“ sagte der Scheik zornig. „Gut! Aber bedenke, daß es in meiner Macht steht, mich zu rächen.“

„Ich fürchte mich nicht vor dir, sobald es sich um meine Pflicht handelt.“

Als Saadi den Pfiff erschallen ließ, waren alle Männer von ihren Feuern aufgesprungen oder aus ihren Zelten getreten. Sie horchten nun auf das zweite Zeichen, um zu wissen, nach welcher Richtung sie sich zu wenden hätten. Jetzt setzte Menalek gezwungenerweise das Horn an den Mund und blies hinein. Kaum war der Ton erklungen, so kamen alle Männer herbeigeeilt. Die Frauen und Mädchen blieben zurück. Sie wußten, daß sie nicht die Erlaubnis hatten, an einer Beratung teilzunehmen. Selbst Liama und ihre Mutter mußten sich entfernen, damit sie kein Wort der Verhandlung hören konnten.

Es wurde ein großer Kreis gebildet, in dessen Mitte der Scheik trat.

„Hört, ihr Männer des Duars, was ich euch zu sagen habe“, begann er. Und auf Saadi zeigend, fuhr er fort: „Dieser Abtrünnige, welcher mit den Giaurs gereist ist, hat mich gezwungen, euch zu rufen, um euch zu sagen, daß der Herr des Erdbebens heute nacht zu uns kommen werde. Glaubt ihr das?“

„Das ist nicht wahr!“ rief die Stimme eines vorlauten jungen Mannes.

„Auch ich halte es für eine Lüge. Darum bitte ich euch um Verzeihung, daß ich gezwungen wurde, euch zu belästigen.“

Da meinte ein hochbetagter Greis, der mit zur Versammlung der Alten gehörte:

„Seit wann ist es bei den Beni Hassan Sitte, daß die Jungen ihre Stimmen erheben, ehe die Greise gesprochen haben? Seit wann ist es Sitte, ein Wort, welches zwar unwahrscheinlich klingt, ohne weiteres eine Lüge zu nennen? Wir haben seit vielen Jahren kein Tier unserer Herde verloren, aber warum soll es nicht Allah einmal gefallen, den Herrn des Erdbebens über uns zu senden? Ich fordere Saadi auf, uns zu sagen, was er gesehen hat!“

Die Würde des Alters übte einen solchen Einfluß aus, daß es dem Scheik gar nicht einfiel, zu widersprechen. Auch die übrigen gaben durch ihr Schweigen zu erkennen, daß sie mit dem Greis übereinstimmten. Darum trat Saadi hervor und sagte:

„Was ich gemeldet habe, ist die Wahrheit und keine Lüge. Ich befand mich in der Schlucht, welche nach dem Wadi Itel geht, da sah ich ganz deutlich die Spuren des Löwen. Sie waren groß. Dieser Würger der Herden ist ein sehr starkes und altes Tier.“

„Kennst du die Fährte des Löwen?“ fragte der Alte.

„Ja. Der Inglis, mit welchem ich zwei Jahre lang ritt, lehrte mich, die Spuren aller Tiere zu unterscheiden.“

„Aber wenn sich der Herr des Erdbebens in der Schlucht befände, würde er unsere Herden bereits längst besucht haben.“

„Er ist während der letzten Nacht von fernher gekommen.“

„Woraus siehst du das?“

„Die Spur führt bald dahin und bald dorthin. Er hat sich nach einem Lager umgesehen. Ich fand einen Stein, an welchem er sich die Krallen geschärft hatte. Er ist also hungrig und zum Raub bereit.“

„So glaube ich, daß du die Wahrheit sagst. Laßt uns beraten, was wir tun werden; aber die Alten werden sprechen, und die Jungen mögen schweigen.“

Die Beratung begann und war sehr kurz. Außer dem Scheik schenkten alle Saadis Bericht Glauben. Man beschloß, große Feuer anzubrennen und die Herden ganz in der Nähe der Zelte zu bringen. Kam der Löwe wirklich, so mußte man ihm sein erstes Opfer überlassen; morgen sollte dann aber eine Jagd auf ihn abgehalten werden.

Der Araber ist ein sehr schlechter Löwenjäger. Er wagt nur, das Tier in großer Überzahl und bei Tage anzugreifen, nie des Nachts. Dann wird so lange auf dasselbe geschossen, bis es vor Blutverlust aus meist leichten Wunden zusammenbricht, vorher aber mehrere der Jäger zerrissen hat.

Saadi war jung. Er hatte seine Pflicht getan und wagte nicht, eine andere Ansicht laut werden zu lassen.

„Ihr habt beschlossen; tut, was ihr wollt!“ meinte der Scheik. „Ich aber glaube nicht daran und werde mich an keinen Löwen kehren. Übrigens brauchen wir jetzt gar keine Sorge zu haben. Der Herr des Erdbebens holt sich nie vor Mitternacht seinen Fraß.“

In letzterer Beziehung gaben ihm die anderen recht; Saadi aber meinte:

„Die Ehrwürdigen mögen mir, obgleich ich jung bin, noch ein Wort gestatten!“

„Rede, mein Sohn!“ sagte der älteste der Alten.

„Ich habe bereits gesagt, daß der Herr des Erdbebens erst heute nacht gekommen ist. Vielleicht hat er einen weiten Weg zurückgelegt; er ist sehr hungrig. Er hat die Krallen geschärft; er ist also ungeduldig. Es ist leicht möglich, daß er bereits vor Mitternacht kommt.“

„Deine Worte sind wohl erwogen; aber ehe er kommt, wird er es uns melden.“

Der Löwe pflegt nämlich, wenn er auf Raub ausgeht, laut zu brüllen.

„Du hast recht“, meinte Saadi. „Aber es gibt dennoch alte, erfahrene Tiere, welche so schlau sind wie ein Panther. Sie brüllen erst dann, wenn sie ihre Beute zerrissen haben. Übrigens glaube ich nicht, daß der Herr des Erdbebens über die Ebene kommen wird. Er wird in der Schlucht heraufkommen, welche hier ganz in der Nähe mündet, und dann ist es zu spät, erst noch Maßregeln der Vorsicht zu treffen.“

„Was du sagst, ist gut. Laßt uns also sofort beginnen. Wir müssen die Herden so stellen, daß zwischen ihnen und der Schlucht sich das Duar befindet.“

Dies geschah. Nur der Scheik war trotz aller Bitten und Vorstellungen nicht dazu zu bewegen, seine Tiere jetzt schon in Sicherheit zu bringen. Er wollte Saadi nicht als Sieger anerkennen.

Dieser nahm mit seinem Bruder ein frugales Mahl ein. Der letztere besaß nur wenige Tiere, welche so nahe am Zelt untergebracht waren, daß sie vor einem Überfall vollständig sicher waren. Dann griff Saadi nach seiner Doppelbüchse, sah nach der Ladung und schickte sich an, zu gehen.

„Wohin willst du?“ fragte Abu Hassan besorgt.

„Ich will einmal nach den Herden sehen.“

„Was gehen sie dich an? Du begibst dich unnütz in Gefahr.“

Doch jener ging, und zwar gerade nach der Seite hin, auf welcher sich die Tiere des Scheiks befanden. Der leise Abendwind, welcher sich erhoben hatte, wehte gerade von der Schlucht herüber. Saadi war überzeugt, daß der Löwe von dort her kommen werde, und er wollte ihn erwarten. Der Scheik hatte ihn einen Feigling genannt, und er wollte ihm beweisen, daß er es nicht sei.

Darum legte er sich zwischen den Tieren und dem Ausgang der Schlucht auf den Boden nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Rund um das Lager brannten hohe Feuer, von trockenen Akazienzweigen genährt. Die ganze Gegend war hell erleuchtet. Zeit um Zeit verging. Es konnte kaum mehr eine Stunde an Mitternacht fehlen. Da sah Saadi vom Duar her eine Gestalt kommen. Es war der Scheik, welcher nun den Knechten, die sich noch bei den Tieren befanden, den Befehl erteilen wollte, diese letztere in die Nähe der Zelte zu treiben. Um zu zeigen, daß er an Saadis Worte nicht glaube, kam er selbst herbei. Die Tiere wurden fortgetrieben. Der Scheik aber, um durch die Tat zu zeigen, wie sehr er Saadis Warnung verachte, schloß sich nicht an, sondern schritt langsam dem Ausgang der Schlucht zu.

In der Nähe derselben blieb er stehen. Sein weißer Burnus war weithin sichtbar, so daß man seine Gestalt im Lager deutlich sehen konnte. Die Stimmen seines Weibes und seiner Tochter ließen sich vernehmen. Sie baten ihn voller Angst, zurückzukommen. Er befand sich kaum zwanzig Schritte von Saadi entfernt, sah ihn aber nicht, denn dieser hatte seinen weißen Burnus nicht mitgenommen und lag in seinem dunklen Untergewand an der Erde, so daß er von derselben nicht unterschieden werden konnte.

„O Allah!“ hörte man Liama rufen. „Komm zurück, Vater! Der Löwe könnte kommen.“

„Schweig!“ rief er zurück. „Es gibt keine Katzen hier!“

Aber in demselben Augenblick war es, als ob die Erde unter ihm berste. Es erscholl gerade vor ihm ein tiefer, dumpf grollender Ton, der schnell zu einem lauten, mächtigen Brüllen anschwoll, mit welchem der stärkste Donner nicht verglichen werden kann, und sich dann zu einem Röcheln abdämpfte, welches nicht anders klang, als ob eine ganze Herde von Rindern im Sterben liege.

Bei diesen Tönen war die ganze Natur starr und stumm vor Schreck.

Auch der Scheik vermochte nicht ein einziges Glied zu bewegen. Er sah den Löwen langsam und majestätisch aus den Büschen treten, gerade da, wo Saadi es vermutet hatte. Es war ein gewaltiges, riesenhaftes Tier. Beim täuschenden Schein der flackernden Feuer schien er mehr als Ochsengröße zu besitzen.

Der Löwe schüttelte seine Mähne und senkte den Kopf. Er hatte den Scheik erblickt und stieß ein zweites Brüllen aus, bei dessen Klang jeder Lebensfunke im Körper Menaleks zu verlöschen schien. Der Löwe stand keine dreißig Fuß von ihm entfernt und duckte sich jetzt nieder, zum Sprung bereit. Drei Sekunden später mußte der Scheik verloren sein. Dies gab ihm die Sprache wieder.

„Ma una meded – zu Hilfe!“ rief, nein, brüllte er; aber ein Glied zu rühren vermochte er nicht.

„Siehst du, daß es hier Katzen gibt?“ klang es in seiner Nähe.

Ein Schuß krachte. Ein fürchterliches Brüllen antwortete. Ein zweiter Schuß folgte gedankenschnell. Der Scheik wurde mit fürchterlicher Gewalt zu Boden gerissen und verlor die Besinnung.



Als er erwachte und die Augen öffnete, sah er viele Leute um sich stehen. Mehrere hatten Fackeln in der Hand. Neben ihm knieten sein Weib und seine Tochter, ängstlich mit ihm beschäftigt.

„Was ist's? Wo bin ich?“ fragte er.

„Bei uns, mein Vater“, antwortete Liama. „Oh, Allah sei Dank, daß du lebst! Er hat dich aus der Gefahr des Todes errettet, als der Herr des Donners dich zerreißen wollte. Bist du verletzt?“

„Ich glaube nicht. Wo ist der Löwe?“

Er besann sich erst jetzt auf das, was geschehen war. Liama deutete hinter ihn.

„Hier liegt er“, sagte sie. „Kannst du dich erheben, um ihn zu sehen?“

Er richtete sich empor. Da lag der Löwe, der gewaltige Beherrscher der Wüste, tot und überwunden. Und bei ihm kniete Saadi, im Begriffe, ihm das Fell abzunehmen. Der Scheik erblickte ihn und fragte:

„Wer hat geschossen?“

„Saadi war es“, antwortete Liama.

„Saadi!“

Es lag ein ganz eigentümlicher Ausdruck in diesem Wort, welches der Scheik aussprach. Er versuchte, sich zu erheben, und es ging. Er trat zu dem Jüngling, betrachtete mit Blicken des Entsetzens die seltene Größe des fürchterlichen Tiers und fragte:

„Saadi, du warst es, der mich rettete?“

„Ich war es, o Scheik“, antwortete der Gefragte. „Allah ist gütig und gnädig; er hat es so gewollt. Ihm sei Dank, aber nicht mir.“

„Aber wie ist das gekommen?“

„Ich sah deine Herde in Gefahr und wußte, daß der Löwe kommen werde. Darum ging ich hinaus, ihm entgegen, um ihn zu erwarten. Da kamst du, und er trat dir entgegen. Du riefst um Hilfe, und ich schoß. Meine Kugel glitt am Stirnknochen ab und drang nicht in das Auge, wie ich es gewollt hatte. Er sprang auf dich ein, aber mitten im Sprung traf ihn meine zweite Kugel in das Herz. Er riß dich zwar nieder, aber verwundete dich nicht. Jetzt liegt er tot hier, und du stehst lebend vor ihm. Allah sei Dank, der Herr ist über Leben und Tod.“

Der Scheik vermochte nicht zu antworten; tausend mächtige Gefühle stürmten auf ihn ein. Er vergegenwärtigte sich den Augenblick der Gefahr; er sah den Löwen augenrollend vor sich stehen, er hörte den markerschütternden Ton seiner gewaltigen Stimme, er vergegenwärtigte sich den Augenblick, in welchem die Glieder des Raubtiers sich zum tödlichen Sprung bogen, und er hatte nicht Kraft genug, zu verhüten, daß bei dieser Erinnerung ein Zittern sich seines Körpers bemächtigte. Er reichte Saadi die Hand und sagte:

„Du hast mich vom Tod errettet. Du bist klüger als ich, und Allah hat dir ein mutiges Herz gegeben, welches nicht erbebt vor dem Herrn des Donners. Willst du vergessen, daß ich dich beleidigt habe?“

Die Augen des jungen Mannes leuchteten vor Entzücken.

„Alles, was du zu mir sagtest, soll so sein, als ob ich es nicht gehört hätte“, antwortete er. „Du bist der Scheik, und ich darf dir nicht zürnen.“

„So komm zu mir, sobald du das Fell des Löwen genommen hast.“

Menalek ergriff die Hand seines Weibes und seiner Tochter und schritt mit ihnen seinem Zelt zu.

„Kannst du den Retter nun noch hassen?“ wagte die Mutter zu fragen.

„Ich liebe ihn“, antwortete er. „Er hat gezeigt, daß ein Jüngling zuweilen einen Alten beschämen kann.“

Er gestand diese Beschämung ein, ohne sich von derselben zur Bitterkeit fortreißen zu lassen. Er war ein stolzer, aber auch ein einsichtsvoller Mann.

Die meisten der Zeltbewohner blieben bei Saadi zurück, um die außerordentliche Größe des Löwen zu bewundern. Dieser war jedenfalls eines jener alten Tiere, welche in Einsamkeit leben und selbst zu ihresgleichen in immerwährender, grimmiger Feindschaft stehen. Solche Exemplare werden, gerade wie bei den Elefanten, Einsiedler genannt und sind wegen ihrer Erfahrung, List und Verschlagenheit doppelt gefährlich.

Kurze Zeit später wurde Saadi im Triumph in das Zeltdorf geleitet. Er übergab das Fell des Löwen seiner Schwägerin, der Frau seines Bruders, zur Zubereitung und begab sich dann nach dem Zelt des Scheiks.

Er wurde dort ganz anders empfangen als vorher. Er mußte sich neben Menalek auf den Ehrenplatz setzen und erhielt Tabak und Pfeife, wobei Liama ihn bedienen mußte, was sie natürlich mit der größten Freude tat.

Die beiden Männer rauchten lange Zeit schweigend, ohne ein Wort zu sprechen; endlich aber legte der Scheik die Pfeife weg und sagte:

„Saadi, du tapferer Sohn der Beni Hassan, du hast mich am Leben erhalten, als ich bereits an der Pforte des Todes stand. Du liebst Liama, meine Tochter?“

Der Gefragte legte nun auch seine Pfeife fort und antwortete:

„Ich liebe sie von ganzem Herzen. Mein Leben gehört dir und ihr; darum habe ich es für dich gewagt, als der Herr des Donners dich zerreißen wollte.“

Der Scheik wendete sich an seine Tochter:

„Liama, du Weide meiner Augen, ist deine Seele diesem Tapferen zugetan?“

„Ja, Vater“, antwortete sie. „Allah hat ihm mein Herz geschenkt; Allah ist allmächtig, ihm ist nicht zu widerstehen.“

„So möge er dein Herr sein, und du sollst sein Weib sein, so lange Allah euch das Leben schenkt. Mein Segen sei euer Eigentum und leuchte euch bis zur letzten Stunde eurer Tage.“

Er legte ihre Hände ineinander. Sie knieten vor ihm nieder, und er segnete sie. Dann trat auch sein Weib herbei und legte unter Tränen ihre Hände auf die Häupter der beiden. Diese Abkömmlinge Ismaels hatten die Sitten ihrer Urahnen in solcher Ursprünglichkeit erhalten, daß die gegenwärtige Szene sehr leicht in die alttestamentliche Zeit zurückgedacht werden könnte.

„So seid ihr denn bereits heute Mann und Weib“, sagte der Scheik. „Doch wenn der neue Monat beginnt, soll eure Hochzeit gefeiert werden, so weit die Herden der Beni Hassan weiden. Von jetzt an soll Saadi in meinem Zelt wohnen. Liama ist mein Kind und er mein einziger Sohn. Was ich habe, ist auch sein Eigentum. Der Wille Allahs soll geschehen.“

Hierauf zog er sich in den hinteren Teil des Zeltes zurück; die Liebenden aber, welche so unerwartet und plötzlich glücklich geworden waren, traten aus demselben hinaus, um beim Schein der Sterne von der Seligkeit zu flüstern, welche jetzt in ihrem Herzen wohnte. – – –

Am anderen Morgen ritten drei Männer in das Zeltdorf ein. Sie sahen ungeheuer staubig aus und hatten das Aussehen von Leuten, welche eine große Reise hinter sich haben.

Sie sprangen vor dem Zelt des Scheiks vom Pferd. Dieser trat hinter dem Vorhang hervor. Als er sie betrachtete, legte sich seine Stirn in Falten.

„Wer seid ihr?“ fragte er.

„Wir sind Tuaregs“, antwortete einer der Männer in stolzem Ton.

Die Tuaregs sind ein vielstämmiges Wüstenvolk, dunkler gezeichnet als die Mauren und als unverbesserliche Räuber bekannt.

„Was wollt ihr bei den Zelten der Beni Hassan?“ fuhr der Scheik fort.

„Bist du Scheik Menalek?“

„Ich bin es.“

„Wir suchen zwei Männer, welche unter dem Schutz deines Stammes wohnen.“

„Wer sind sie?“

„Es sind Vater und Sohn. Sie stammen aus dem Osten und kamen in diese Gegend, um einer Blutrache zu gehorchen.“

„Wie heißen sie?“

„Malek Omar und Ben Ali.“

„Ich kenne sie.“

„Wo befinden sie sich?“

„Sie sind fortgeritten, ohne mir zu sagen, welches ihr Ziel ist.“

„Werden sie wiederkommen?“

„Sie sagten es.“

„Wann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Sie haben uns gesagt, daß sie uns hier erwarten werden. Wirst du uns erlauben, bis zu ihrer Rückkehr das Salz und Brot deines Stammes zu essen?“

Es dauerte eine Weile, ehe er sagte:

„Ich erlaube es, wenn ihr Freunde dieser Männer seid.“

„Wir sind ihre Freunde.“

„Sie sind unsere Gäste, und die Freunde meiner Gäste sind auch meine Freunde. Tretet bei mir ein, um Salz und Brot zu essen und euch bei mir auszuruhen; denn ich sehe, daß ihr einen weiten Weg zurückgelegt habt.“

„Wir sind mehrere Tage und Nächte geritten, um deinen Gästen eine sehr wichtige Botschaft zu überbringen.“

Sie ließen ihre Pferde frei stehen und folgten dem Scheik in sein Zelt. Sie hatten dasselbe aber noch nicht lange betreten, so langten zwei andere Reiter an, welche von Norden herbeigeritten kamen. Es war Richemonte mit seinem Cousin.

Auch sie hielten vor dem Zelt des Scheiks, und dieser trat aus demselben hervor, um sie zu empfangen. Er sagte ihnen, daß drei Tuaregs angekommen seien, um ihnen eine wichtige Botschaft zu bringen.

„Wo sind sie?“ fragte Richemonte.

„In meinem Zelt.“

„Laßt ihren Führer hervortreten! Wir werden mit ihm sprechen.“

Die beiden verkappten Franzosen stiegen von den Pferden. Der Tuareg, welcher vorhin den Sprecher gemacht hatte, kam herbei und wurde von ihnen durch die Zeltreihe hinaus in das Freie geführt, wo man reden konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, belauscht zu werden.

Sie trafen dabei auf Saadi. Er war mit Liama zu den Herden gegangen, um diese zu besichtigen. Das Mädchen war dort bei seinem Lieblingskamel zurückgeblieben. Er betrachtete im Vorübergehen die fünf Männer, und dabei begegneten seine Augen denen Richemontes. Über beider Angesicht zuckte es wie ein plötzliches Erkennen, doch setzten sie ihren Weg ruhig in entgegengesetzter Richtung fort. Der Scheik stand noch vor dem Zelt, als Saadi dort ankam.

„Wer waren diese Leute?“, fragte der letztere.

„Zwei Araber aus dem Osten, welche meine Gäste sind“, antwortete der Gefragte, „und einer von den drei Tuaregs, welche jetzt kamen, um sie aufzusuchen.“

„Wie heißt der Gast mit dem grauen Bart?“

„Malek Omar.“

Sofort erinnerte sich Saadi des gestrigen Gespräches mit der Geliebten. Der jüngere der beiden Gäste war also Ben Ali, welcher Liama liebte.

„Ich kenne ihn“, sagte er.

„Du kennst ihn?“ sagte Menalek erstaunt. „Du warst ja nie in den östlichen Oasen. Wo hast du ihn gesehen?“

„In Algier.“

„Du irrst. Er ist nie in Algier gewesen.“

„Ich irre nicht. Es ist Malek Omar, der Fruchthändler.“

„Mein Sohn, dein Auge wird dich täuschen.“

„Mein Auge betrügt mich nicht. Ich sah diesen Mann einige Male in das Haus des Generalgouverneurs gehen. Glaubst du, daß man dieses Gesicht verkennen kann?“

„Nie!“ antwortete der Scheik nachdenklich.

„Haben diese beiden Männer die Sprache des Osten?“

„Ich habe sehr viele Dialekte gehört, aber der ihrige ist mir unbekannt. Sie müssen aus einer Oase oder aus einem Land stammen, wo ich noch nicht gewesen bin.“

„Reden sie vielleicht die Sprache unseres Volkes so, wie sie von den Franken gesprochen wird?“

Über das Gesicht des Scheiks ging ein rasches, eigentümliches Zucken.

„Allah ist groß! Du hast richtig geraten, Saadi!“

„Sie sind wegen einer Blutrache da?“

„Ja.“

„Denke über sie nach, o Scheik! Ich war dort, wo die Franken wohnen und habe erfahren, daß ihr Herz falsch ist. Diese Männer kommen von Osten und sagen nicht, wo ihre Heimat ist. Sie haben eine Blutrache und sprechen nicht davon. Sie verkehren mit Tuaregs, welche Räuber und Mörder sind. Sie sprechen wie die Franken. Der Vater heißt Malek Omar, und der Sohn nennt sich Ben Ali. Müßte er nicht Ben Malek Omar heißen, wenn er wirklich der Sohn des anderen wäre? Ich habe diesen Fruchthändler in Algier gesehen, und er hat dir gesagt, daß er noch nie dort gewesen sei? An diesen Männern klebt die Lüge. Ich sage dir, daß sie nicht das sind, wofür sie sich ausgeben.“

„Du hast recht, mein Sohn“, meinte der Scheik, indem sein Auge finster die Richtung suchte, in welcher die drei Männer verschwunden waren. „Aber warum belügen sie mich? Wer sollen sie sein?“

Saadi blickte nachdenklich vor sich hin und fragte:

„Hast du von dem Mann gehört, welcher das ‚Auge der Franzosen‘ genannt wird?“

„Ja. Er ist der Spion der Franken.“

„Keiner kennt ihn!“

„Keiner!“

„Ich denke an ihn, indem ich an diesen Fruchthändler Malek Omar denke.“

Es sah fast aus, als ob der Scheik erschrecken wollte.

„Allah il Allah!“ rief er. „Mein Sohn, deine Gedanken sind schlimm.“

„Vielleicht aber treffen sie das Richtige!“

„Du meinst, er ist es?“

„Es ist möglich, daß er es ist, obgleich ich es ihm nicht beweisen kann.“

„Er ist mein Gast; aber dennoch müßte er sterben, wenn er ein Verräter wäre.“

„Vielleicht entdecken wir es. Laß uns ihn prüfen. Ich werde ihm sagen, daß ich ihn in Algier gesehen habe, und wenn er gerechte Sache hat, wird er zugeben, daß er dort gewesen ist; leugnet er es aber, so ist sein Herz voller Trug gegen uns.“

„Aber wir haben dann doch noch keine Gewißheit.“

„Nein; aber wir wissen wenigstens, daß wir ihm nicht trauen dürfen.“

„Deine Sprache ist die Sprache der Vorsicht und Weisheit. Bleibe bei mir; denn du sollst gegenwärtig sein, wenn diese Männer mit mir zu sprechen verlangen. Warst du längere Zeit in Algier?“

„Mehrere Monate.“

„Hast du die Sprache der Franken gehört?“

„Ja.“

„Hast du etwas von ihr behalten?“

„Ich kenne viele ihrer Worte und auch mehrere Fragen.“

„Sprich einige solche Worte zu diesen beiden Männern, und zwar dann, wenn sie es nicht erwarten. Vielleicht werden sie überrascht und gefangen, indem sie dir darauf antworten.“

„Dein Rat ist klug, ob Scheik. Ich werde ihn befolgen.“

Während dieses Gespräches hatten die drei, von denen die Rede war, das Zeltdorf verlassen und den Eingang der Schlucht erreicht, wo gestern der Löwe getötet worden war. Der Kadaver desselben war aus Ehrfurcht vor dem Herrn des Donners in den Sand vergraben worden; darum fanden sie keine Spur desselben. Sie setzten sich an dem Rand der Schlucht nieder, so daß sie sicher waren, jeden sich Nähernden sofort zu bemerken.

Sie hatten bis jetzt kein Wort gesprochen; nun aber begann Richemonte:

„Seit wann befindet Ihr Euch in diesem Lager?“

„Wenige Augenblicke“, antwortete der Tuareg.

„Welche Botschaft bringt Ihr?“

„Die, welche du verlangtest.“

„So habt Ihr den Reisenden gesehen, welcher von Timbuktu kommt?“

„Wir haben ihn gesehen, denn wir sind zwei Tagereisen weit mit seiner Karawane geritten.“

„Habt Ihr etwas erfahren?“

„Alles!“

„So erzählt.“

„Wir stießen zwei Tage vor Insalah zu dieser Karawane und wurden friedlich aufgenommen. Der Herr des Zuges stammt aus einem fernen Land des Nordens. Er ist ein Nemtse.“

Nemtse heißt Deutscher.

„Habt Ihr seinen Namen erfahren können?“

„Ja, es ist ein Name, wie ihn nur ein Barbar, ein Ungläubiger tragen kann. Ich habe meine Zunge lange Zeit vergeblich gezwungen, ihn auszusprechen. Er lautet ungefähr wie Ko-ni-kau.“

„Königsau?“ fragte Richemonte.

„Deine Zunge ist gelenkiger als die meinige, denn ganz so, wie du ihn aussprichst, ist dieser Name.“

„Hatte er viele Leute bei sich?“

„Er hatte einen Führer und einen Obersten der Kameltreiber nebst fünfzehn Treibern. Und zum Schutz seiner Waren begleiteten ihn dreißig Krieger vom Stamm der Ibn Batta.“

„Was trugen seine Kamele?“

„Viele trugen trockene Pflanzen, ausgestopfte Tiere und Bücher, auch Flaschen, in denen allerlei Gewürm sich befand. Mehrere Kamele aber waren mit kostbaren Waren beladen, welche die Franken brauchen, die Tuaregs aber nicht.“

„Wann wird diese Karawane nach Tuggurt kommen?“

„Erst wenn zwei Wochen vergangen sind.“

„Könnt Ihr sie dort beobachten?“

„Was bietest du uns dafür?“

„Was verlangt Ihr?“

„Ich werde mich mit meinen Gefährten besprechen.“

„Tut dies. Ihr werdet uns in zwei Wochen hier in diesem Zeltlager finden, um uns zu sagen, wann die Karawane von Tuggurt aufbricht.“

„So dürfen wir uns nicht ausruhen; denn wir müssen ihr bis Rhadames entgegen reiten. Werden wir hier frische Pferde bekommen?“

„Ihr könnt die Eurigen umtauschen; ich werde Euch dabei behilflich sein. Jetzt aber kannst du in das Zelt des Scheiks zurückkehren, denn du bedarfst der Ruhe, und ich habe mit meinem Sohn zu sprechen.“

Der Tuareg befolgte diese Weisung, und die beiden Zurückbleibenden begannen, sich in französischer Sprache zu unterhalten.

„Weißt du, daß ich vorhin tüchtig erschrocken bin“, sagte Richemonte.

„Worüber?“ fragte der Cousin.

„Hast du den jungen Kerl gesehen, welcher uns begegnete?“

„Ja.“

„Ich kenne ihn, und ich befürchte, daß auch er mich erkannt hat.“

„Ah! Woher kennst du ihn?“

„Von Algier aus. Er war der Begleiter des englischen Konsuls gewesen und hat mich einige Male gesehen, als ich zum Gouverneur ging.“

„Das ist verteufelt unangenehm.“

„Ganz und gar.“

„Aber gefährlich doch noch nicht.“

„Das bezweifle ich. Wenn der Mensch nun davon spricht, daß er mich in Algier gesehen hat?“

„Nun, was tut das? Du gibst einfach zu, daß du dort gewesen bist.“

„Was soll ich dort gewollt haben?“

„Die Blutrache! Können wir nicht den, welchen wir töten wollen, in Algier gesucht haben?“

„Das wäre allerdings möglich; aber du vergißt, daß ich zu Scheik Menalek bereits gesagt habe, daß ich Algier noch gar nicht kenne.“

„Verdammt!“

„Ja. Es bleibt mir nichts übrig, als alles abzuleugnen.“

„Das wird unter diesen Umständen allerdings das beste sein. Ich glaube nicht, daß wir Mißtrauen erwecken. Wer weiß, ob der Kerl sich dein Gesicht gemerkt hat.“

„Er hat es sich gemerkt, und ich bin ihm aufgefallen; das habe ich sogleich gesehen, als er uns begegnete; ich sah es ihm an den Augen an.“

„Nun, so hat er sich einfach geirrt. Menschen sehen sich ja ähnlich. Aber, da fällt mir ein, daß, wenn wir ja Mißtrauen erwecken, der Scheik sich sehr hüten wird, mit uns im Bund die Karawane zu überfallen.“

„Was täten wir in diesem Fall?“

„Wir müßten uns auf die Tuaregs verlassen. Sie könnten eine Anzahl der ihrigen anwerben. Ich glaube, daß sie dazu bereit sein würden.“

„Aber diese Räuber würden alles nehmen und uns nichts lassen.“

„Das befürchte ich nicht. Vieles von dem, was der Deutsche mit sich führt, wird vollständig unbrauchbar für sie sein. Gehen wir zum Scheik, um mit ihm zu sprechen und Gewißheit zu erhalten, ob ich erkannt worden bin.“

Sie machten sich auf, um diesen Vorschlag auszuführen. Indem sie langsam wieder den Zelten entgegen schritten, bemerkte der Cousin Liama, welche bei einem wunderschönen Kamelfüllen stand und dasselbe zärtlich streichelte.

„Siehst du dort die Tochter des Scheiks?“ fragte er.

„Ja, sie ist's“, antwortete Richemonte.

„Ich muß hin.“

„Halt, jetzt nicht.“

Diese letzten Worte kamen zu spät. Der andere hatte sich bereits mit raschen Schritten entfernt. Richemonte setzte seinen Weg fort, indem er eine zornige Verwünschung über den Verliebten in den Bart brummte.

Dieser näherte sich dem schönen Mädchen, indem seine Augen mit Gier auf ihren reizenden Formen ruhten.

„Sallam aaleïkum – Friede sei mit dir!“ grüßte er sie.

„Aaleïkum sallam“, antwortete sie, indem sie sich zu ihm umdrehte. Aber kein freundlicher oder gar aufmunternder Blick fiel auf ihn.

„Die Tochter der Beni Hassan ist heute so schön wie immer“, sagte er.

„Und der Mann aus dem Osten schmeichelt wie immer“, antwortete sie.

„Ich sage die Wahrheit.“

„Es ist nicht nötig, daß du sie sagst.“

„Warum nicht? Ist es dir nicht lieb, schön zu sein?“

„Allah gibt die Schönheit, und er nimmt sie. Sie gehört ihm, aber nicht uns.“

„Du hast recht. Aber so lange man sie besitzt, soll man sich ihrer freuen. Oder weißt du nicht, welches Glück die Schönheit bringt?“

„Welches?“ fragte sie im gleichgültigsten Ton.

„Schönheit bringt Liebe.“

„Liebe, nur durch Schönheit erweckt, mag ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Die Liebe hat nur dann Wert, wenn sie die Tochter des Herzens ist.“

„Auch jetzt hast du recht. Aber sage, ob dein Herz gut ist?“

„Wer kann sein eigenes Herz erkennen? Wer darf von sich selbst sagen, daß er gut ist? Nur Allah sieht in die Verborgenheit.“

„Du sprichst so weise wie ein Marabut. Wenn man auch nicht den Wert seiner Seele erkennt, so kann man doch die Gefühle seines Herzens kennen. Sage mir, Liama, ob dein Herz noch frei ist.“

„Frei? Kann das Herz ein Sklave sein?“

„Ja, ein Sklave der Liebe.“

„Dann würde ich die Liebe hassen, denn nur ein Tyrann besitzt Sklaven.“

„Und dennoch ist die Liebe ein Tyrann. Sie beherrscht das Herz, in welchem sie wohnt, vollständig. Auch mein Herz ist ihr Sklave.“

„Ich bedaure dich“, sagte sie kalt.

„Ja, bedaure mich, aber erlöse mich auch.“

Er trat ihr einen Schritt näher und erhob den Arm, als ob er denselben um sie legen wolle. Sie aber wich zurück und sagte:

„Ich verstehe dich nicht. Wie könnte ich dich erlösen?“

„Indem du meine Liebe erwiderst. Ja, Liama, ich muß dir sagen, daß ich dich liebe, daß ich an dich denke bei Tag und bei Nacht, daß ich ohne dich nicht glücklich werden kann. Sage mir, ob du mich wieder liebst.“

Seine Augen leuchteten in der Glut der Leidenschaft. Er hatte diese Worte fast zischend zwischen den Lippen hervorgestoßen.

„Nein“, antwortete sie kalt.

„Nicht?“ fragte er. „Warum nicht?“

„Ich weiß es nicht. Allah allein gibt Liebe.“

Er biß sich auf die Lippe. Das hatte er nicht erwartet. Er, ein Franzose, ein Angehöriger der großen Nation, sollte bei diesem Arabermädchen keine Liebe finden? Das hatte er gar nicht für möglich gehalten.

„Bin ich dir zu häßlich?“ fragte er.

„Nein“, antwortete sie lächelnd.

„Zu alt?“

„Nein.“

„Zu arm?“

„Ich weiß ja gar nicht, wieviel du besitzt.“

„Oder liebst du bereits einen anderen?“

Da richtete sich ihre Gestalt stolz empor.

„Wie darfst du wagen, der Tochter des Scheiks Menalek diese Frage vorzulegen?“ sagte sie. „Bin ich deine Dienerin, daß ich dir antworten muß?“

Sie war in ihrem Stolz, in ihrem Zorn doppelt schön. Sein Auge verschlang sie fast. Seine Leidenschaft ließ sein Herz so heftig klopfen, als ob er durch einen Dauerlauf atemlos geworden sei.

„Nein, antworten mußt du mir nicht“, sagte er, „sondern ich bitte dich nur, mir eine Antwort zu geben.“

„Du hast keine Erlaubnis zu dieser Bitte.“

„Ah, du liebst“, zischte er.

„Was geht es dich an?“

„Viel, sehr viel. Ich habe dir gesagt, daß ich dich liebe. Jeder meiner Atemzüge gehört dir; alle meine Gedanken sind dein Eigentum. Du sollst und du muß mich lieben; du mußt mein Weib werden. Ich werde um dich kämpfen, und ich sage dir, daß ich dich besitzen werde.“

Ehe sie Zeit fand, auszuweichen, hatte er ihre beiden Hände ergriffen.

„Laß mich!“ sagte sie.

„Nein, ich lasse dich nicht! Meine Liebe gibt mir ein Recht auf dich.“

„Ich befehle dir, fortzugehen!“ sagte sie in gebieterischem Ton.

„Fortgehen? O nein, nein, und tausendmal nein!“ antwortete er, indem er sich bestrebte, sie an sich zu ziehen.

Er vergaß, wo er war; er vergaß, daß man ihn hier auf der offenen Ebene beobachten konnte, ja, daß man ihn sehen mußte. Die Leidenschaft machte ihn blind, so daß er nicht einmal die beiden Männer bemerkte, welche hinter seinem Rücken rasch herbei geschritten kamen. Sie aber hatte dieselben gar wohl bemerkt, nur entging ihm das freudige Aufleuchten ihrer Augen.

„Soll ich um Hilfe rufen?“ fragte sie.

„Rufe!“ antwortete er. „Es wird dir nichts nützen, denn ich werde in dieser Stunde bei deinem Vater um dich anhalten.“

Da erklang es hinter ihm laut und in französischer Sprache:

„Was tust du da?“

Er drehte sich rasch um. Er bemerkte Saadi, welcher in kurzer Entfernung hinter ihm stand und antwortete schnell und zornig in derselben Sprache:

„Was geht es dich an?“

Saadi war nämlich mit dem Scheik noch im Gespräch begriffen gewesen, als der Tuareg von der Schlucht zurückkehrte. Kurze Zeit später sahen sie auch die beiden anderen daherkommen. Sie bemerkten, daß der jüngere nach der Gegend eilte, in welcher sich Liama befand.

„Er geht zu ihr!“ sagte Saadi, indem sich seine Brauen zusammenzogen.

„Zu Liama?“ fragte der Scheik. „Was will er dort?“

„Hat Liama es dir nicht gesagt, daß er ihr nachgeht, daß er ihr Schritt auf Schritt folgt?“

„Er mag sich hüten! Er ist ein Fremdling, den ich gastlich aufgenommen habe. Verletzt er das Gastrecht, indem er mein Kind beleidigt, so wird mein Dolch sein Herz finden. Und ist er gar ein Franzose, so – – –“

Er hielt inne; aber seine Miene sagte deutlich, was er auszusprechen zögerte.

„Sieh, er spricht mit ihr! Komm!“ sagte Saadi.

Er faßte den Scheik bei der Hand und zog ihn mit sich fort. Sie schritten schnell zwischen einigen Zelten hindurch und gelangten in das Freie. Die dort weidenden Tiere boten ihnen Deckung genug, unbemerkt in die Nähe des bedrängten Mädchens zu kommen. Ein starkes Lastkamel stand da, welches an den spärlichen Halmen naschte.

„Versteck dich hinter dem Tier“, sagte Saadi.

„Warum?“

„Ich werde ihn in der Sprache der Franzosen anreden. Vielleicht antwortet er mir in derselben; er würde dies aber nicht tun, wenn er dich sofort mit bemerkte. Der Sand wird unsere Schritte dämpfen.“

Der Scheik nickte und huschte mit einer Behendigkeit, welche man dem ernsten, gravitätischen Araber gar nicht zugetraut hätte, vorwärts, bis ihn der Leib des Kameles verbarg.

Saadi schlich sich ebenso behende heran und rief die bereits erwähnten Worte:

„Was tust du da?“

„Was geht es dich an“, antwortete der andere ebenso französisch, indem er sich herumdrehte und, zornig über die Störung, den Beduinen anblickte.

„Mehr als du denkst.“

„Mille tonnerres, wie meinst du das?“

Da trat der Scheik hinter dem Kamel hervor und sagte:

„Allah ist groß! Du redest die Sprache der Franzosen?“

Der Spion merkte jetzt erst, welch einen Fehler er begangen hatte; aber er faßte sich augenblicklich und antwortete, indem er auf Saadi deutete:

„Dieser doch auch.“

„Von ihm wußte ich es, von dir aber nicht. Was tust du hier?“

Erst jetzt ließ der Franzose die Hände des Mädchens los.

„Ich spreche mit Liama, deiner Tochter“, antwortete er.

„Aber du sprichst so mit ihr, daß sie um Hilfe rufen wollte!“

Die Hand des Scheiks hatte sich unwillkürlich an den Griff des Dolchs gelegt.

„Ich habe ihr nichts Böses getan“, meinte der Franzose.

„Sie hat mit dir gerungen.“

„Das tut jedes Mädchen im ersten Augenblick, wenn man mit ihr von Liebe spricht. Scheik Menalek, ich bitte doch, mit nach deinem Zelt zu kommen, denn ich habe notwendig mit dir zu sprechen.“

„Worüber?“

„Über Liama.“

„Hier steht sie, und hier stehe ich. Rede! Wir brauchen nicht erst nach dem Zelt zu gehen, denn wir können deine Worte hier ebenso deutlich verstehen.“

Das kam dem Franzosen unerwartet. Auch war die Miene des Scheiks keineswegs so, daß sie ihm hätte Mut machen können. Bei einer Unterredung im Zelt hätte er auf den Beistand Richemontes rechnen können, während er hier allein war. Darum sagte er, auf Saadi deutend.

„Aber dieser hier?“

„Er darf alles hören“, antwortete der Scheik. „Sprich! Ich höre.“

Dagegen gab es nun keine weiteren Einwendungen. Darum begann er zögernd:

„Ich – ich – – – ich liebe deine Tochter.“

Der Scheik nickte ernst, ohne eine Antwort zu geben.

„Ich hoffe, daß du mir dies nicht verbietest.“

„Ich kann es nicht verbieten.“

„Ich bitte dich, sie mir zum Weib zu geben.“

Der Scheik warf mit einem stolzen Lächeln den Kopf zurück und sagte:

„Du sprichst mit sehr kurzen Worten. Ich bin Menalek, der Scheik der Beni Hassan. Die Herden, welche du hier siehst, sind mein Eigentum. Wer aber bist du, und wo weiden deine Herden?“

Diese Fragen brachten den Franzosen in Verlegenheit. Er konnte ohne Richemonte keine Auskunft erteilen; darum antwortete er: „Ich bin reich! Sprich mit meinem Vater. Er wird dir sagen, wer wir sind, und was wir besitzen.“

„Wird er mir das in der Sprache der Franzosen sagen?“ fragte der Scheik boshaft.

„Er versteht sie nicht; er ist ein Beduine gerade wie du.“

„Aber du verstehst sie.“

„Nur wenige Worte, welche ich zufällig gehört habe.“

„Hast du Liama gesagt, daß du wünschst, sie zum Weib zu haben, und was hat sie dir geantwortet?“

Der Franzose zögerte mit der Antwort. Er fühlte sich höchst verlegen.

„Liebt sie dich?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du lügst! Du weißt, daß sie dich nicht liebt; sie muß es dir gesagt haben, denn sie hat ihr Herz bereits einem anderen geschenkt.“

Der Franzose fuhr empor.

„Wem?“ fragte er rasch.

Der Scheik deutete auf Saadi und antwortete:

„Hier steht er, den sie liebt, und dem ich sie versprochen habe. Du kommst zu spät. Laß dich nicht wieder bei Liama sehen. Saadi hat gestern den Herrn des Donners getötet, und würde auch dich töten, wenn er noch einmal sehen müßte, daß du diejenige berührst, welche sein Eigentum ist. Hast du mir noch etwas zu sagen?“

Der Franzose war bleich geworden. Die Eifersucht wühlte tief in seinem Innern. Aber aus diesem leichenblassen Angesicht schoß sein Augen einen Blick glühendsten Hasses auf seinen bevorzugten Nebenbuhler.

„Wer ist dieser?“ fragte er.

„Es ist Saadi, ein Angehöriger der Beni Hassan.“

„Gut! Du fragst, ob ich dir noch etwas zu sagen habe? Nein, jetzt nicht, Scheik, aber jedenfalls später.“

Er drehte sich um und ging den Zelten zu.

„Allah sei uns gnädig. Er wird sich rächen!“ sagte Liama, als er sich bis auf Hörweite entfernt hatte.

„Rächen? Dieser?“ fragte der Scheik verächtlich. „Wir fürchten ihn nicht. Wie will er sich rächen, da er uns braucht, um die Karawane der Franzosen zu überfallen? Er hat uns nötig, nicht aber wir ihn. Komm, Saadi, mein Sohn. Laß uns nach dem Zelt gehen, um weiter zu hören, was dieser Vater und dieser Sohn mit den Tuaregs gesprochen haben.“

Indem sie nebeneinander her schritten, fragte er seinen Begleiter nach den französischen Worten, welche dieser vorhin ausgesprochen hatte. Saadi gab ihm eine Übersetzung derselben.

„Kann es möglich sein, daß er nur wenige Worte versteht?“ fragte der Scheik.

„Nein. Was er gesprochen hat, kann nur einer sagen, der mehr als nur einige Worte gehört hat.“

„So glaubst du, daß er ein Franzose ist?“

„Ich glaube es. Er redet unsere Sprache gerade so, wie ich es in Algier gehört habe, wenn die Offiziere der Franzosen arabisch sprachen.“

„So wollen wir vorsichtig sein. Wenn er ein Spion ist, so will er uns veranlassen, eine französische Karawane zu überfallen, nur zu seinem Vorteil und zu unserem Schaden. Er würde den Raub an sich nehmen; wir aber würden die Rache des Gouverneurs auf uns laden und auf unseren Weideplätzen überfallen und getötet werden.“

Als die beiden in das Zelt traten, hatte der Cousin sich neben Richemonte niedergelassen, ohne Zeit gefunden zu haben, diesem das Erlebte mitzuteilen. Sie griffen, ohne sich etwas merken zu lassen, zu ihren Pfeifen, während die Frau des Scheiks beschäftigt war, den Gästen ein Morgenmahl vorzulegen.

Dasselbe wurde verzehrt, ohne daß der Scheik und Saadi an demselben teilnahmen. Dies war eigentlich ein sicheres und deutliches Zeichen, daß diese beiden jetzt gewillt waren, die Gastlichkeit nicht in vollem Umfang in Anwendung zu bringen. Richemonte merkte dies gar wohl. Er fragte:

„Warum nimmst du nicht von dieser Speise?“

„Ich pflege nicht, des Morgens zu essen“, antwortete der Scheik.

„Aber doch habe ich dich des Morgens essen sehen.“

„Wohl selten“, entgegnete Menalek kurz.

Als das Mahl beendet war und ein jeder sich die fettigen Finger am Burnus abgewischt hatte, brachte Richemonte das Hauptthema zur Sprache.

„Ich hörte, daß du in Blutrache mit den Ibn Batta lebst?“ fragte er.

„So ist es“, antwortete der Scheik. „Sie haben zwei Beni Hassan getötet.“

„Nun wirst du jeden Ibn Batta töten, der in deine Hände fällt?“

„Ja, ich werde ihn töten.“

„Wirst du mir dankbar sein, wenn ich dir deine Feinde in die Hand liefere?“

„Ich werde es dir danken.“

„Nun, so will ich dir sagen, daß dies geschehen wird, wenn zwei Wochen vergangen sind.“

„Wo?“

„Auf dem Weg von hier nach Tuggurt. Es wird da die Karawane der Franzosen ankommen, welche von Timbuktu unterwegs ist.“

„Was gehen mich die Franzosen an?“

„Es sind dreißig Krieger der Ibn Batta bei ihnen.“

„Ich werde ihnen nichts zuleide tun“, sagte der Scheik kalt. „Diese will ich nicht.“

Richemonte erstaunte.

„Warum gerade diese nicht?“

„Weil sie jetzt Diener der Franzosen sind.“

„Sie sind dennoch deine Feinde.“

„Aber die Franzosen würden sie an mir rächen.“

Richemonte wußte jetzt wirklich nicht, woran er mit dem Scheik war.

„Fürchtest du die Franzosen?“ fragte er.

„Ich fürchte sie nicht.“

„Du haßt sie?“

„Ja, aber ich will trotzdem in Frieden mit ihnen leben.“

„Wie kommt es, daß du deine Ansichten so schnell änderst, Scheik Menalek?“

„Ich ändere sie nicht. Meine Ansicht ist stets gewesen, niemals das zu tun, was mir und den Meinen Schaden bringt.“

„Schaden? Ah, ich sage dir, daß du großen Vorteil haben würdest!“

„Welchen Vorteil meinst du?“

„Die Karawane ist sehr bedeutend.“

„Meinetwegen mag sie so lang sein, wie die Wüste breit ist.“

„Sämtliche Kamele, Pferde und Waffen würden in eure Hände fallen. Nur das übrige würde ich für mich nehmen.“

„Nur?“ fragte der Scheik mit ironischer Betonung.

„Ja, nur; denn das alles ist nicht so viel wert als die Beute, welche ihr machen würdet.“

„Ich mag kein Kamel, kein Pferd und keine Waffe der Franzosen. Ich weiß, daß du nur Scherz mit mir treibst.“

„Scherz? Wie kommt dir dieser Gedanke?“

„Wie kannst du ernstlich meinen, daß ich eine französische Karawane überfallen soll, da du doch ein Freund der Franzosen bist.“

„Ich?“ fragte Richemonte erstaunt. „Wer hat dir das gesagt?“

„Ich vermute es.“

„Weshalb?“

„Weil du mit jenen verkehrst.“

„Allah behüte deinen Verstand. Wo soll ich mit ihnen verkehren?“

„In der Stadt Algier.“

„Dort? Ich bin ja niemals dort gewesen.“

„Und doch, hier Saadi, der Mann meiner Tochter, hat dich dort gesehen.“

Richemonte spielte den Überraschten. Er sah den Genannten erstaunt an und fragte:

„Du? Du willst mich in Algier gesehen haben?“

„Ja“, antwortete dieser ruhig.

„So zürne deinen Augen, denn sie haben dich belogen.“

„Meine Augen haben mir noch niemals die Unwahrheit gesagt. Ich habe dich gesehen, du gingst zum Generalgouverneur. Ich weiß auch deinen Namen.“

„Allah schütze dich! Natürlich weißt du meinen Namen. Jedermann hier im Lager kennt ihn. Man wird ihn dir gesagt haben. Ich heiße Malek Omar.“

„Ja, Malek Omar, der Fruchthändler, der Fakihadschi.“

„Ich verstehe dich nicht. Ich bin niemals Fruchthändler gewesen!“

Der Scheik machte eine Gebärde der Ungeduld und fragte ihn:

„Du hast von dem gehört, welchen wir das ‚Auge der Franzosen‘ nennen?“

„Ja.“

„Du hast ihn auch gesehen?“

„Nie.“

„O doch!“

„Allah il Allah! Wo soll ich diesen geheimnisvollen Mann gesehen haben?“

„Überall, wo du nur bist. Du brauchst nur in einen Spiegel oder in ein Wasser zu sehen, so erblickst du ihn.“

Der Scheik hatte die Absicht, ihn zu überrumpeln, aber es gelang ihm nicht. Richemonte besaß genug Geistesgegenwart, ruhig zu bleiben.

„Ich verstehe dich nicht“, sagte er, „du sprichst in Rätseln, welche ich nicht zu lösen vermag. Ich bitte dich, deutlicher zu reden.“

„Nun, so will ich deutlicher sprechen. Du selbst bist das Auge des Franzosen.“

Bei dieser dunklen Anklage spielte Richemonte den Erstaunten so vortrefflich, daß er jeden anderen getäuscht hätte.

„Bist du toll, Scheik Menalek!“ rief er. „Willst du mich beleidigen? Willst du die Sünde auf dich laden, einen treuen Anhänger des Propheten einen französischen Spion zu nennen? Kennst du mich nicht besser?“

„Ich kenne dich nicht! Du hast mir nie gesagt, wo deine Zelte stehen.“

Richemonte fühlte, daß er, um den Verdacht, dessen Ursache er nicht begriff, zu zerstreuen, jetzt den Namen irgendeines Ortes nennen müsse.

„Meine Heimat ist Sella im Norden der Harudschberge“, sagte er.

„Auch Ben Ali stammt dorther?“

„Ja; er ist ja mein Sohn.“

„Wohnen dort Franzosen?“

„Nein.“

„Bist du jemals mit Franzosen zusammengekommen?“

„Niemals. Ich schwöre es bei Allah und dem Propheten.“

„Aber dennoch sprichst du ihre Sprache.“

Richemonte glaubte, der Scheik wolle nur auf den Busch schlagen. Er antwortete:

„Wie kommst du auf diesen Gedanken? Ich verstehe kein Wort davon.“

„Auch Ben Ali, dein Sohn nicht?“

„Auch er nicht.“

Er war so sehr bemüht, sich zu rechtfertigen, daß er die verstohlenen Winke, welche ihm sein Cousin gab, gar nicht bemerkte oder beachtete.

„Und auch er ist nie mit Franzosen zusammengekommen?“

„Niemals, gerade so wie ist.“

„Allah il Allah! Du bist ein Ungläubiger, ein Giaur!“ rief da der Scheik.

„Ich? Ein Giaur?“, entgegnete Richemonte mit erhobener Stimme. „Zügle deine Zunge, Scheik Menalek. Wäre ich nicht dein Gast, so würde ich dir mein Messer zwischen die Rippen stoßen.“

„Und dennoch bist du ein Giaur.“

„Beweise es!“

„Du schwörst bei Allah und dem Propheten und redest doch die Unwahrheit. Das tut nur ein Giaur, der nicht an Allah glaubt und den Propheten schändet.“

„Dein Vorwurf trifft mich nicht! Wie kannst du sagen, daß ich die Unwahrheit spreche? Sage mir eine einzige Lüge, welche du von mir gehört hast!“

„Du sagst, dein Sohn verstehe nicht die Sprache der Franzosen.“

„Das ist die Wahrheit.“

„Nein, sondern das ist eine Lüge, denn ich selbst habe ihn mit diesen meinen Ohren französisch sprechen gehört.“

Erst jetzt warf Richemonte einen beobachtenden Blick auf seinen Cousin. Er sah, daß dieser leise mit den Augenlidern zwinkerte und ahnte sogleich, daß irgendeine Unvorsichtigkeit vorgefallen sei.

„Du selbst? Wo?“ fragte er.

„Draußen vor den Zelten, als ich ihn mit meiner Tochter überraschte.“

„Hat er fremde Worte gebraucht, so ist es nicht französisch, sondern eine andere Sprache gewesen. Er versteht die Sprache der Türken.“

„Diese war es nicht. Hier, Saadi versteht das Französische und hat mit deinem Sohne in dieser Sprache gesprochen.“

„Er lügt!“

Die Angst Richemontes trieb diese Worte in einem zornigen Ton heraus. Kaum aber waren sie ausgesprochen, so riß Saadi sein Messer aus dem Gürtel und sprang auf, um sich auf den Sprecher zu werfen. Aber der Scheik faßte ihn noch zur rechten Zeit, hielt ihn fest und sagte:

„Halt! Ich befehle dir, dein Messer einzustecken! Dieser Mann wohnt unter meinem Zelt und hat mein Brot gegessen. Noch steht er unter meinem Schutz.“ Und sich wieder zu Richemonte wendend, fügte er hinzu: „Du sagst, deine Heimat sei Sella, im Norden der Harudschberge. Sprichst du die Sprache dieser Gegend?“

„Ja“, war Richemonte gezwungen, zu antworten.

„Nein. Ich kenne Sella. Ich war dort und auch in Fugha, als ich meine erste Pilgerreise machte. Ich kennen jenen Dialekt. Du redest unsere Sprache, wie sie von den Franken gesprochen wird. An dir ist alles Lüge. Dieser Mann ist dein Sohn gar nicht.“

„Beweise es.“

„Er müßte deinen Namen tragen und Ben Malek Omar heißen.“

„Ich habe ihn nach seinem Großvater genannt, welcher Ali hieß.“

„Das ist nicht wahr, denn dann wäre sein Name Ben Malek Omar Ibn Ali. Du verrätst dich selbst; du kennst unsere Sitte nicht. Dieser, von dem du sagst, daß er dein Sohn sei, hat das Gastrecht verletzt, indem er Liama, meine Tochter, beleidigte. Sie hat mit ihm ringen müssen. Das tut kein wahrer Anbeter des Propheten, kein echter Sohn eines Beduinen. Ihr seid Spione der Franzosen und kommt, um mich zu einer Tat zu verleiten, welche großes Unheil über mich und meinen Stamm bringen würde. Ich bin euer Gastfreund nicht mehr. Jetzt ist euer Leben noch nicht in Gefahr. Verlaßt augenblicklich mein Zelt! Befindet Ihr euch in einer Stunde noch in der Nähe meines Lagers, so werde ich euch ohne Gnade töten lassen.“

Er hatte sich von seinem Sitz erhoben und sprach diese Worte in einem so gebieterischen Ton, daß die Franzosen von ihren Matten auffuhren.

„Redest du wirklich im Ernst?“ fragte Richemonte.

Es kam das alles vollständig unerwartet über ihn; er konnte das Verhalten des Scheiks nicht recht begreifen; aber sein Schnurrbart zog sich in die Höhe, und seine Zähne zeigten jenes raubtierartige Fletschen, welches bei ihm stets ein Zeichen einer gefährlichen Seelenerregung war.

„Es ist mein Ernst“, antwortete der Scheik.

„Weißt du, welchen Schimpf du uns antust?“

„Ja, eine todeswürdige Schande.“

„Nun gut, wir gehen. Du wirfst einen unaustilgbaren Fleck auf die Gastfreundschaft der Beni Hassan; du entehrst und beschimpfst die, denen du Schutz und Freundschaft zugesagt hast. Die Folgen werden über dich kommen.“

„Ich verachte deine Drohung.“

„Und was sagst du zu diesen drei Kriegern der Tuareg?“

„Sie sind eure Brüder und auch Spione. Sie mögen gehen.“

Da standen auch die Tuaregs von ihren Plätzen auf. Der Sprecher fragte den Scheik:

„Auch uns weist du aus deinem Zelt fort?“

„Ja. Kämt ihr zu mir und nicht zu diesen Spionen, so würde ich euch willkommen heißen. Nun aber habt ihr gleiches Schicksal mit ihnen.“

Da blickte der dunkelhäutige Mann dem Scheik drohend in das Gesicht.

„Weißt du, daß dies schlimmer ist als Mord?“ fragte er.

„Ich weiß es“, antwortete der Gefragte ruhig.

„So bist du der Todfeind aller Tuaregs, und dein Stamm soll von der Erde verschwinden bis auf den letzten Mann. Die Hölle wird euch verschlingen mit allen euren Söhnen, Töchtern und Kindeskindern.“

Jetzt verließen die fünf Ausgewiesenen das Zelt und bestiegen ihre Pferde.

„Wohin?“ fragte der Cousin Richemontes leise.

„Zunächst nach Osten, um diese Kerls nicht merken zu lassen, wohin wir wollen.“

Ihre Pferde stoben im raschesten Galopp um die Schlucht herum und dann nach Sonnenaufgang zu, immer längs des Wadi Itel dahin. Erst nach mehreren Stunden, als man fast das Ufer des Schott (See) Melrir erreicht hatte, hielt Richemonte sein Pferd an und stieg ab. Die anderen taten dasselbe.

„Jetzt wollen wir sprechen“, sagte er. „Komm.“

Sein Verwandter folgte ihm abseits, während die Tuaregs sich scheinbar gleichgültig in den glühenden Sand lagerten.

„Was soll das heißen? Wie kam das alles?“ fragte Richemonte. „Ich verstehe und begreife es nicht. Hast du französisch gesprochen?“

„Leider, ja“, gestand der Gefragte.

„Esel! Welch ein ungeheurer Schnitzer. Wie konntest du dich so vergessen?“

„Dir wäre es ebenso passiert.“

„Wie kam es?“

„Ich sprach mit Liama – – –“

„Das war der Anfang des Unsinns. Ich rief dich zurück; aber du hörtest nicht. Hast du ihr eine Erklärung gemacht?“

„Ja.“

„Was antwortete sie?“

Der Gefragte stieß einen grimmigen Fluch aus und antwortete:

„Sie – ah, sie mag mich nicht.“

„Ich dachte es. Was gab sie für einen Grund an?“

„Einen sehr triftigen. Sie ist bereits versprochen.“

„Alle Teufel! Mit wem?“

„Mit diesem Saadi, den der Teufel herbeigeführt haben muß.“

„Und der verraten hat, daß er mich in Algier gesehen.“

„Und der es auch war, welcher mich zum Französischreden brachte.“

„Ah, wie kam das?“

„Oh, der Kerl hat es schlau angefangen. Ich stand gerade im Begriff, das Mädchen zu umarmen; da rief es in französischer Sprache hinter mir: ‚Was machst du da?‘ Und unwillkürlich gab ich eine französische Antwort.“

„Das war der dümmste Streich deines Lebens.“

Richemonte ließ nun eine ganze Flut ärgerlicher Ausdrücke los. Der andere ließ dieselbe ruhig über sich ergehen, bis sie zu Ende war.

„Und was nun?“ fragte der frühere Gardekapitän.

„Rache!“

„Natürlich. Aber wie?“

„Ich entführe das Mädchen.“

„Laß von diesem Geschöpf! Was willst du mit ihm anfangen?“

„Sie wird meine Frau.“

„Unsinn.“

„Und gerade erst recht. Ich muß sie haben, und ich will sie haben. Dieser Saadi aber soll nicht nur sie, sondern auch das Leben lassen.“

„Das versteht sich ganz von selbst. Übrigens will ich dir das Mädchen gönnen, denn sie ist wirklich einzig schön, und du bist verliebt. Verliebte aber bleiben so lange unzurechnungsfähig, bis man sie dadurch heilt, daß man ihnen den Willen läßt. Aber sie zu deiner Frau zu machen, das wäre Wahnsinn. Jetzt gilt es jedoch vor allen Dingen, keine Zeit zu verlieren. Wir müssen uns rächen und zugleich die Reichtümer des Deutschen an uns bringen. Ich denke, zu beiden werden sich die Tuaregs gebrauchen lassen. Sie mögen den Deutschen überfallen.“

„Das wäre der eine Teil. Und der andere, die Rache?“

„Hängt eng mit dem vorigen zusammen. Die Tuaregs überfallen den Deutschen, wir aber schieben die Schuld auf die Beni Hassan.“

„Donner und Doria. Das geht?“

„Natürlich geht es. Es ist sehr leicht. Cavaignac wird gezwungen sein, sie zu züchtigen. Wir beide machen die Führer. Dabei bitte ich mir den alten Halunken, den Scheik, und diesen Saadi aus, und du kannst die Bedingung machen, daß dir Liama überlassen wird.“

„Sie ist mir auf diese Weise sicher!“ rief der Cousin triumphierend. „Sprechen wir mit den Tuaregs.“

„Geduld! Ehe es zu dieser Katastrophe kommt, haben wir zwei Wochen Zeit, da erst dann der Deutsche anlangt. Das läßt uns Gelegenheit, uns des Auftrags zu erledigen, welchen uns der Gouverneur übergeben hat. Wir suchen den Marabut auf.“

„Wie weit ist es hin zu ihm?“

„Mit unseren müden Pferden werden wir sicherlich fünf Tage brauchen.“

„Fünf hin und fünf zurück, macht zehn. Da können wir vier Tage bleiben.“

„Vielleicht ist es in kürzerer Zeit abgetan. Es kommt darauf an, ob das Glück uns begünstigt oder nicht. Ruhe dich jetzt aus. Ich werde mit den Tuaregs verhandeln; dann trennen wir uns von ihnen.“

Während er sich zu den braunen Söhnen der Wüste begab, legte sein Verwandter sich in den Sand, um die letzterlebten Stunden nochmals an sich vorübergehen zu lassen. In seinem Innern glühte, kochte und tobte es von Liebe, Haß und Rachgier. Er liebte die schöne Liama mit einer Glut, welche nahe daran war, ihn unzurechnungsfähig zu machen. Der Wunsch, sie zu besitzen, war in ihm fast zur Manie geworden. Vielleicht war sein Körper nicht kräftig genug, dem Sonnenbrand der Wüste zu trotzen. Sein Gehirn war widerstandsfähig, und so hatte diese Liebe so in ihm Platz genommen, daß alle seine Gedanken nur auf sie gerichtet waren.

Natürlich dachte er nur mit dem wildesten Haß an den, welcher ihm die Geliebte weggenommen hatte. Diesen Menschen zu töten dünkte ihm eine Seligkeit, und er nahm sich vor, dies bei der ersten Gelegenheit zu tun. So lag er da im tiefen Sand, unbekümmert um die Unterredung der andern. Er gab nur seinen Leidenschaften und Begierden Audienz, bis ihn ein Ruf Richemontes aus seinen wilden Gedanken schreckte:

„Auf! Wir sind fertig!“

Als er sich erhob, sah er die Tuaregs zu Pferd sitzen.

„Sallam!“ riefen sie ihm kurz zu.

„Sallam!“ antwortete er instinktmäßig.

Dann stoben sie auf ihren Rossen davon, dem Süden entgegen.

„Brechen auch wir gleich auf?“ fragte er.

„Natürlich!“ antwortete Richemonte.

„Bist du mit ihnen einig geworden?“

„Vollständig.“

Dieses Wort wurde in einem Ton gesprochen, welcher deutlich verriet, daß der Sprecher seine Absicht wirklich erreicht habe.

„Was hast du mit ihnen ausgemacht?“

„Sie reiten der Karawane bis zum Brunnen Ben Abu entgegen und ziehen unterwegs so viele Tuaregs an sich, als notwendig sind, die Männer der Karawane zu überfallen. Dann begleiten sie dieselbe, natürlich unbemerkt über Rhadames und Tuggurt bis auf das Gebiet der Beni Hassan, wo der Überfall stattfindet.“

„Wir werden dabei sein?“

„Natürlich.“

„Was erhalten wir?“

„Sechs Kamelladungen, welche wir uns auswählen können.“

„Ist das nicht zu wenig?“

„Ah! Zu viel! Wir nehmen natürlich die Ladungen, welche am kostbarsten sind. Das übrige gehört den Tuaregs. Außerdem beanspruchen sie die Waffen und Tiere. Hauptsache aber war ihnen die Rache an den Beni Hassan.“

„Wird der Gouverneur glauben, daß diese die Räuber gewesen sind?“

„Dafür laß mich sorgen! Jetzt steig auf! Unser Weg ist weit, und es ist sehr leicht möglich, daß wir verfolgt werden.“

Einige Minuten später ritten sie davon, dem Norden zu, gerade entgegengesetzt der Richtung, in welcher die Tuaregs den Platz verlassen hatten.

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