Gleichnisse lügen nicht, aber Lügner sprechen in Gleichnissen
Lip-King
Der alte Langbart hielt mit dem Erzählen inne, leckte an seinen fettigen Fingern und wischte sie an den bloßen Körperteilen ab, die zu bedecken sein einziges Stück zerfetzter Bärenhaut nicht ausreichte. Um ihn herum hockten drei junge Männer, seine Enkelsöhne Hirschfänger, Gelbkopf und Fürchtesam. Äußerlich sahen alle drei gleich aus. Sie waren teilweise mit den Fellen wilder Tiere bedeckt. Sie waren mager und von schmächtiger Gestalt, schmalhüftig und krummbeinig, hatten aber einen gewölbten Brustkorb sowie mächtige Arme und gewaltige Hände. Schulter, Brust sowie die Außenseiten der Arme und Beine waren stark behaart. Ihr ungeschnittenes Haar bildete einen Filz auf dem Kopf, wobei vor ihren kleinen runden Augen, die wie Vogelaugen glänzten, lange Strähnen hingen. Ihre Augen standen dicht beieinander, ihre Backenknochen hingegen weit auseinander, und ihr massiger Unterkiefer ragte vor.
Die Nacht war sternenklar, und unter dem Himmel er- streckten sich weithin zahllose waldbedeckte Hügel, In der Ferne war der Himmel vom Widerschein eines Vulkans rot erleuchtet. Hinter den vier Männern gähnte das schwarze Loch einer Höhle, aus der von Zeit zu Zeit Windböen kamen. Unmittelbar vor ihnen loderte ein Feuer. Auf der einen Seite lagen der halbverzehrte Leib eines Bären und - in gebührender Entfernung -mehrere große struppige wolfsähnliche Hunde. Jeder der Männer hatte neben sich seinen Bogen und Pfeile und einen riesigen Stock. In der Höhlenöffnung lehnten mehrere unbearbeitete Speere gegen den Felsen.
„So zogen wir also von der Höhle in den Baum“, sprach der alte Langbart laut und deutlich.
Bei der Erinnerung an eine frühere Geschichte, die seine Worte geweckt hatten, brachen die drei wie ein paar große Kinder in ungestümes Gelächter aus. Auch Langbart lachte, wobei die fünf Zoll lange Nadel aus Knochen, die mitten durch seinen Nasenknorpel gezogen war, auf und ab hüpfte und tanzte, so daß das Wilde seines Aussehens noch verstärkt wurde. Er benutzte nicht genau dieselben Worte, die hier aufgezeichnet sind, aber er drückte mit seinen tierartigen Lauten sinngemäß das gleiche aus.
„Und wenn ich an Sea Valley denke“, fuhr er fort, „denke ich zuerst daran, wie dumm wir waren. Wir kannten das Geheimnis der Stärke nicht. Denn, bedenkt, jede Familie lebte und sorgte für sich allein. Wir waren dreißig Familien, aber wir gaben uns gegenseitig keine Kraft. Wir fürchteten uns die ganze Zeit voreinander. Wir besuchten uns nie. In der Krone eines Baumes bauten wir uns ein Grashaus, und auf der Plattform davor hatten wir große Steine gestapelt, die für die Köpfe derjenigen gedacht waren, die eventuell versuchen würden, zu uns zu kommen. Und wir hatten unsere Speere und Pfeile. Wir gingen auch nie unter den Bäumen der anderen Familien lang. Mein Bruder hatte es einmal gewagt, unter den Baum vom alten Boo-oogh zu gehen, dabei schlug man ihm den Kopf ein, und aus war’s mit ihm.
Der alte Boo-oogh war sehr stark. Man sagte von ihm, er konnte einem ausgewachsenen Mann den Kopf abreißen. Ich habe nie gehört, daß er es getan hat, wohl weil ihm niemand die Gelegenheit dazu bot. Vater jedenfalls nicht. Als Vater einmal unten an der Küste war, setzte Boo-oogh Mutter nach. Sie konnte nicht schnell laufen, seit dem Tage, da ein Bär ihr Bein zu fassen bekommen hatte, als sie oben auf dem Berg Beeren sammeln war. Boo-oogh fing sie und trug sie auf seinen Baum. Vater bekam sie nie zurück. Er fürchtete sich. Boo-oogh schnitt ihm Grimassen.
Aber Vater machte sich nichts draus. Auch Starker Arm war ein starker Mann. Er war einer der besten Fischer. Aber eines Tages stürzte er auf der Suche nach Möweneiern vom Felsen. Danach war er nicht mehr stark. Er hustete viel, und seine Schultern krümmten sich. Also nahm sich Vater dessen Frau. Als Starker Arm zu uns kam und unter unserem Baum hustete, lachte Vater ihn aus und warf Steine nach ihm. So waren wir damals. Wir wußten nicht, wie wir unsere Kraft zusammentun
und wirklich stark werden konnten.“
„War es auch üblich, daß ein Bruder die Frau seines Bruders wegnahm?“ wollte Hirschfänger wissen.
„Ja, wenn er fortgegangen war, um auf einem anderen Baum allein zu wohnen.“
„Aber wir tun so etwas nicht mehr“, wandte Fürchtesam ein. „Weil ich eure Väter eines Besseren belehrt habe.“ Langbart griff mit seiner behaarten Tatze nach dem Bärenfleisch und holte eine Handvoll Talg hervor, an dem er mit nachdenklichem Ausdruck lutschte. Wieder wischte er sich die Hände an den nackten Körperstellen ab und fuhr fort:
„Was ich hier erzähle, geschah vor langer, langer Zeit, als wir es noch nicht besser wußten.“
„Ihr müßt aber Dummköpfe gewesen sein, wenn ihr es nicht besser wußtet“, kommentierte Hirschfänger, und Gelbkopf stimmte dem grunzend zu.
„So waren wir eben, und später waren wir noch viel größere Dummköpfe, wie ihr sehen werdet. Aber wir haben dennoch gelernt, und das geschah so: Wir Fischesser hatten noch nicht gelernt, unsere Kräfte zu vereinen, bis daß unsere Kraft die Kraft aller war. Aber die Fleischesser, die jenseits der Wasserscheide im Big Valley wohnten, hielten zusammen, jagten gemeinsam, fischten gemeinsam und kämpften gemeinsam. Eines Tages kamen sie in unser Tal. Bei uns ging jede Familie in ihre eigene Höhle oder auf ihren Baum. Die Fleischesser waren nur zu zehnt, aber sie kämpften gemeinsam, und bei uns kämpfte jede Familie für sich allein.“ Langbart zählte lange und umständlich an seinen Fingern.
„Wir waren sechzig Männer“, brachte er schließlich mit Hilfe der Finger und Lippen hervor. „Und wir waren sehr stark, wir wußten es nur nicht. Wir schauten also zu, wie die zehn Männer Boo-ooghs Baum angriffen. Wir guckten einfach zu. Als einige der Fleischesser den Baum hochzuklettern versuchten, mußte sich Boo-oogh zeigen, um ihnen Steine auf ihre Köpfe zu werfen, worauf ihn die anderen Fleischesser, die nur darauf gewartet hatten, mit Pfeilen spickten. Und das war das Ende von Boo-oogh.
Als nächstes nahmen sich die Fleischesser Einauge und seine Familie in seiner Höhle vor. Sie machten in der Höh-lenöifnung ein Feuer und räucherten ihn aus, so wie wir den Bären heute ausgeräuchert haben. Dann kam Sechsfinger auf seinem Baum an die Reihe, und während sie ihn und seine erwachsenen Söhne töteten, rannten wir anderen weg. Sie fingen einige von unseren Frauen und töteten zwei alte Männer, die nicht schnell genug laufen konnten, sowie mehrere Kinder. Die Frauen schleppten sie zu sich ins Big Valley. Danach krochen wir Übriggebliebenen zurück, und irgendwie, vielleicht, weil wir Angst und das Gefühl hatten, aufeinander angewiesen zu sein, kam es dazu, daß wir die Angelegenheit besprachen. Es war unsere erste Beratung - unsere erste richtige Beratung. Und während dieser Beratung bildeten wir den ersten Stamm. Denn wir hatten die Lehre begriffen. Von den zehn Fleischessern hatte jeder einzelne die Kraft von zehn, denn die zehn hatten wie ein Mann gekämpft. Sie hatten ihre Kraft zusammengelegt. Aber die dreißig Familien und sechzig Männer von uns hatten nur die Kraft von einem Mann, denn jeder kämpfte für sich allein.
Es war ein bedeutendes Gespräch, und es war schwer, denn wir hatten noch nicht wie jetzt die Worte zum Sprechen. Später erfand Wanze ein paar von diesen Wörtern, und auch andere von uns machten von Zeit zu Zeit Wörter. Aber wir einigten uns schließlich, unsere Kräfte zusammenzutun und wie ein Mann zu sein, wenn die Fleischesser über die Wasserscheide kommen würden, um uns unsere Frauen zu rauben. Das war also der Stamm.
Zwei Männer wurden an die Wasserscheide gesetzt, um zu beobachten, ob die Fleischesser kamen. Sie waren die Augen des Stammes. Außerdem mußten zehn Männer Tag und Nacht wachen, kampfbereit ihre Stöcke, Speere und Pfeile in der Hand. Früher trug ein Mann seine Waffe mit sich, wenn er nach Fischen, Muscheln oder Möweneiern ging; die Hälfte der Zeit beschaffte er Nahrung, und die andere Zeit hielt er Ausschau, aus Furcht, ein anderer Mann könnte ihn überwältigen. Jetzt war das alles anders. Die Männer zogen ohne Waffen hinaus und waren die ganze Zeit auf Nahrungssuche. Auch wenn die Frauen in die Berge Wurzeln und Beeren suchen gingen, wurden sie von fünf der zehn Männer begleitet. Und die ganze Zeit, Tag und Nacht, hielten die Augen des Stammes Ausschau vom oberen Ende der Wasserscheide aus.
Aber es gab Ärger. Wie üblich ging es um die Frauen. Männer ohne Frauen wollten die Frauen der anderen Männer, und es gab viele Kämpfe unter den Männern, wobei es vorkam, daß einem der Kopf zertrümmert oder ein Speer durch den Leib gejagt wurde. Während einer der Beobachter oben an der Wasserscheide war, raubte ein anderer dessen Frau, und er kam runter, um zu kämpfen. Daraufhin packte den anderen Beobachter die Angst, jemand könnte auch seine Frau rauben, und so kam er gleichfalls runter. Und auch unter den zehn Männern, die immer ihre Waffen trugen, gab es Ärger, und es kämpften fünf gegen fünf, bis einige die Küste entlang fortliefen und die anderen hinterher rannten.
So kam es, daß der Stamm ohne Augen oder Beschützer war. Wir hatten nicht die Kraft von sechzig. Wir hatten überhaupt keine Kraft. Also hielten wir Rat und machten unsere ersten Gesetze. Ich war damals noch ein ganz junger Dachs, aber ich erinnere mich. Wir sagten, daß wir, um stark zu sein, nicht gegeneinander kämpfen dürften, und wir machten ein Gesetz, nach dem der Mann, der einen anderen tötete, vom Stamm getötet würde. Wir machten noch ein Gesetz, nach dem auch derjenige, der die Frau eines anderen Mannes raubte, vom Stamm getötet würde. Wir sagten, daß ein Mann, der zuviel Kraft hätte und mit dieser Kraft seine Brüder im Stamm’ verletzen würde, vom Stamm getötet werden mußte, damit seine Kraft niemandem mehr schaden könnte. Denn wenn wir erlaubt hätten, daß seine Kraft jemanden verletzte, würden die Brüder Angst bekommen, und der Stamm würde zerfallen, und wir wären so schwach wie > zuvor, als die Fleischesser das erstemal gekommen waren und Boo-oogh getötet hatten.
Knöchelbein war ein starker Mann, ein sehr starker Mann, und er kannte kein Gesetz. Er kannte nur seine eigene Stärke, und im Vollbesitz seiner Kraft schritt er zur Tat und nahm sich die Frau von Dreimuschel. Dreimuschel versuchte zu kämpfen, aber Knöchelbein zertrümmerte ihm den Schädel. Knöchelbein hatte also vergessen, daß alle unsere Männer ihre Kraft zusammengetan hatten, um das Gesetz unter uns zu hüten, und wir töteten ihn unter seinem Baum und hängten seinen Körper an einen Ast zur Warnung, daß das Gesetz stärker war als irgendein Mann.
Denn wir waren das Gesetz, alle, und niemand war größer als das Gesetz.
Dann gab es anderen Ärger, denn laßt euch sagen, Hirschfänger, Gelbkopf und du, Fürchtesam, daß es nicht leicht ist, einen Stamm zu bilden. Es gab viele Dinge, Kleinigkeiten, und es war schwer, alle Männer zusammenzurufen, um darüber zu beraten. Wir hatten morgens, mittags und abends Beratungen, manchmal auch mitten in der Nacht. Wir fanden wenig Zeit, um auf Nahrungssuche zu gehen, was sollte sonst mit den Beratungen werden, gab es doch immer irgendeine Kleinigkeit zu regeln, zum Beispiel zwei neue Beobachter zu benennen, die den Posten der alten auf dem Hügel einnehmen konnten, oder festzulegen, welcher Anteil an Nahrung den Männern, die stets und ständig die Waffe in der Hand trugen und nicht selbst auf Nahrungssuche gehen konnten, zukommen sollte. Wir waren so weit, daß wir einen Anführer brauchten, der alle diese Dinge erledigte, der die Stimme des Rates war und der gegenüber dem Rat Rechenschaft ablegen mußte für das, was er tat. So ernannten wir Fis-Fis zum Anführer. Er war gleichfalls ein starker Mann und sehr schlau, und wenn er wütend war, gab er Laute von sich wie fis-fis, in der Art einer Wildkatze.
Die zehn Männer, die den Stamm beschützten, bekamen den Auftrag, um den Kern des Tals eine Mauer aus Steinen zu errichten. Die Frauen und großen Kinder halfen dabei wie auch andere Männer, bis die Mauer mächtig genug war. Danach kamen alle Familien aus ihren Höhlen und von den Bäumen und bauten sich im Schutz der Mauer Grashäuser. Die Häuser waren groß und viel besser als die Höhlen und Bäume, und jedermann hatte es jetzt besser, weil die Männer ihre Kraft vereinigt hatten und wir ein Stamm geworden waren. Durch die Mauer, die Wachen und die Beobachter hatten wir viel Zeit zum Jagen und Fischen und zum Sammeln von Wurzeln und Beeren; es gab mehr und bessere Nahrung, niemand blieb hungrig. Dreibein, der so genannt wurde, weil er sich als Junge die Beine kaputtgemacht hatte und deshalb mit einem Stock lief - Dreibein nahm den Samen von wildem Korn und steckte ihn in den Boden in der Nähe seines Hauses. Außerdem pflanzte er dicke Wurzeln ein und was er sonst noch in den Bergtälern fand.
Wegen der Sicherheit im Sea Valley, weil wir die Mauer und die Beobachter und Wachposten hatten und weil Nahrung in Hülle und Fülle vorhanden war, ohne daß darum gekämpft werden mußte, kamen viele Familien zu uns aus den Küstentälern zu beiden Seiten sowie von der anderen Seite der hohen Berge, wo sie mehr wie wilde Tiere denn als Menschen gelebt hatten. Und es dauerte nicht lange, bis sich das Sea Valley gefüllt hatte und zahlreiche Familien hier wohnten. Aber bevor das geschah, wurde das Land, das frei für alle gewesen war und allen gehört hatte, aufgeteilt. Dreibein fing damit an, als er Korn säte. Die meisten von uns kümmerten sich nicht weiter um das Land. Wir hielten die Markierung der Grenzlinien mit Steinen für unsinnig. Wir hatten genug zu essen, und was wollten wir mehr? Ich erinnere mich, daß mein Vater und ich für Dreibein Steinumhegungen bauten und dafür Korn bekamen.
Es bekamen also einige wenige das ganze Land, und Dreibein bekam das meiste. Andere, die sich Land genommen hatten, gaben es den wenigen, die danach verlangten, wofür sie mit Korn, dicken Wurzeln, Bärenhäuten und Fisch, den die Farmer im Austausch gegen Korn von den Fischern bekommen hatten, bezahlt wurden. Und ehe wir uns versahen, war alles Land vergeben.
Etwa zu der Zeit starb Fis-Fis, und sein Sohn, Hundezahn, wurde Häuptling. Er hatte verlangt, Häuptling zu werden, da sein Vater vor ihm Häuptling gewesen war. Er hielt sich außerdem für einen größeren Häuptling, als sein Vater gewesen war. Anfangs war er auch ein guter Häuptling, und er arbeitete viel, so daß der Rat immer weniger zu tun hatte. Dann erhob sich eine neue Stimme im Sea Valley: Schiefe Lippe. Wir hatten nie viel von ihm gehalten, bis er mit den Geistern der Toten zu sprechen begann. Später nannten wir ihn Großer Dicker, weil er zuviel aß und nicht arbeitete, so daß er dick und rund wurde. Eines Tages erzählte uns Großer Dicker, daß er die Geheimnisse der Toten besäße und daß er die Stimme Gottes sei. Er wurde ein enger Freund von Hundezahn, der befahl, dem Großen Dicken eine Grashütte zu bauen. Und Großer Dicker versah sein Haus ringsherum mit Tabus, und drinnen beherbergte er Gott.
Nach und nach wurde Hundezahn mächtiger als der Rat, und als der Rat murrte und sagte, er werde einen neuen Häuptling benennen, sprach Großer Dicker mit der Stimme Gottes und sagte nein. Auch Dreibein und die anderen Landbesitzer standen hinter Hundezahn. Außerdem war der stärkste Mann im Rat Seelöwe, und ihm gaben die Landbesitzer heimlich Land und viele Bärenhäute sowie Körbe voll Korn. So sagte Seelöwe, daß die Stimme des Großen Dicken tatsächlich die Stimme Gottes sei und daß man ihr gehorchen müsse. Bald danach wurde Seelöwe zur Stimme von Hundezahn ernannt und erledigte meistens das Sprechen für diesen. Dann gab es da Dünnbauch, einen kleinen Mann, er war um den Bauch herum so dünn, daß er aussah, als hätte er nie genug zu essen gehabt. Er baute diesseits der Flußmündung, hinter den Sandbänken, die die Brandung abfingen, eine Fischfalle. Er arbeitete Wochen daran, mit Sohn und Frau, während wir anderen über seine Anstrengungen lachten. Aber als alles fertig war, fing er damit am ersten Tag mehr Fische als der ganze Stamm in einer Woche, worüber große Freude herrschte. Es gab nur noch eine andere Stelle im Fluß, die für eine Fischfalle geeignet war, aber als mein Vater und ich mit einem Dutzend anderer Männer anfingen dort eine sehr große Falle zu bauen, kamen die Wachen vom großen Grashaus, das wir für den Großen Dicken gebaut hatten. Die Wachen stießen mit Speeren nach uns und sagten, daß wir uns davonmachen sollten, weil Dünnbauch auf Anweisung von Seelöwe, der Stimme von Hundezahn, dort selbst eine Falle bauen würde.
Es gab ein großes Murren, und mein Vater berief den Rat ein.
Aber als er sich zum Sprechen erhob, stieß Seelöwe ihm einen Speer durch die Kehle, und mein Vater starb. Hundezahn, Dünnbauch und Dreibein sowie alle, die Land hatten, sagten, daß es so in Ordnung sei. Großer Dicker sagte, das sei der Wille Gottes. Danach hatten alle Männer Angst, im Rat aufzustehen, und so gab es keinen Rat mehr.
Ein anderer Mann, Schweinebacke, fing an, sich Ziegen zu halten. Er hatte davon gehört, als er unter den Fleischessern war, es dauerte nicht lange, und er hatte viele Herden. Andere Männer, die kein Land und keine Fischfallen hatten und die sonst hätten hungern müssen, waren froh, für Schweinebacke arbeiten zu können, seine Ziegen zu hüten, sie vor wilden Hunden und Tigern zu bewachen und die Herden auf die Weideflächen in den Bergen zu treiben. Als Gegenleistung gab ihnen Schweinebacke Ziegenfleisch und Ziegenhäute, und manchmal tauschten sie das Ziegenfleisch gegen Fisch und eßbare Wurzeln ein.
Zu der Zeit kam das Geld auf. Seelöwe dachte als erster daran, und er besprach es mit Hundezahn und dem Großen Dik-ken. Ihr müßt wissen, diese drei hatten an allem im Sea-Valley ihren Anteil. Ihnen gehörte ein Korb Korn von dreien, ein Fisch von dreien, eine Ziege von dreien. Sie gaben davon den Wachen und Beobachtern zu essen und behielten den Rest für sich. Wenn ein großer Fischfang gemacht wurde, wußten sie nicht, was sie mit ihrem Anteil tun sollten. Seelöwe ließ die Frauen Geld aus Muscheln machen - kleine runde Stücke, die ein Loch hatten und alle glatt und schön poliert waren. Sie wurden auf Schnüre gezogen, und diese Schnüre wurden Geld genannt.
Jede Schnur hatte den Wert von dreißig oder vierzig Fischen, aber die Frauen, die eine Schnur je Tag fertigten, er- hielten dafür zwei Fische. Die Fische kamen aus dem besagten Anteil, den Hundezahn, der Große Dicke und Seelöwe nicht aufessen konnten. Das ganze Geld gehörte also ihnen. Dann vereinbarten sie mit Dreibein und den anderen Landbesitzern, daß sie ihren Anteil an Korn und Wurzeln in Geld nehmen würden, desgleichen mit Dünnbauch und Schweinebacke, daß sie ihre Anteile an deren Fisch beziehungsweise Ziegenfleisch und Käse in Geld nehmen würden. So arbeitete ein Mann, der nichts hatte, für einen, der etwas besaß, und wurde in Geld bezahlt. Mit diesem Geld kaufte er Korn, Fisch, Fleisch und Käse. Dreibein und alle, die Eigentümer waren, bezahlten Hundezahn, Seelöwe und dem Großen Dicken ihren Anteil in Geld. Sie bezahlten auch die Wachen und Beobachter in Geld, und die Wachen und Beobachter bezahlten ihre Nahrung mit diesem Geld. Und da Geld billig war, machte Hundezahn noch mehr Männer zu Wachen. Da Geld einfach herzustellen war, machten sich einige Männer selber Geld aus Muschelschalen. Aber die Wachen durchbohrten sie mit Speeren und erschossen sie mit Pfeilen, weil sie versuchten, den Stamm zu zerstören. Es war schlecht, den Stamm zu zerstören, denn dann würden die Fleischesser über die Wasserscheide kommen und sie alle töten.
Großer Dicker war die Stimme Gottes, aber er nahm Gebrochene Rippe und machte ihn zum Priester, so daß dieser die Stimme des Großen Dicken wurde und meistens an dessen Stelle sprach. Und beide hatten wiederum andere Männer als ihre Diener. Und so hielten sich auch Dünnbauch, Dreibein und Schweinebacke andere Männer, die vor ihren Grashäusern in der Sonne lagen und Botendienste für sie erledigten oder Befehle gaben. Immer mehr Männer wurden von der Arbeit abgezogen, so daß die, die übrigblieben, härter arbeiteten als je zuvor. Es schien, daß die Männer gar nicht mehr arbeiten wollten und nur noch nach Möglichkeiten suchten, wie sie andere für sich arbeiten lassen konnten. Schielauge fand eine solche Möglichkeit. Er brannte als erster ein Getränk aus Korn. Danach arbeitete er nicht mehr, denn er sprach im geheimen mit Hundezahn und dem Großen Dicken und den anderen Herren, und sie kamen überein, daß nur er das Feuergebräu herstellen sollte. Aber auch Schielauge arbeitete nicht selbst. Andere machten das Gebräu für ihn, und er entlohnte sie mit Geld. Dann verkaufte er das Feuergetränk für Geld, und alle Männer kauften es. Viele Geldschnüre gab er Hundezahn, Seelöwe und all den anderen.
Großer Dicker und Gebrochene Rippe waren dabei, als Hundezahn seine zweite und dritte Frau nahm. Sie sagten, Hundezahn sei anders als andere Männer und komme gleich nach Gott, den Großer Dicker in seinem Tabuhaus aufbewahrte. Auch Hundezahn sprach so, und überhaupt wollte er wissen, wer sie wären, daß sie darüber murrten, wie viele Frauen er sich nahm. Hundezahn ließ sich ein Boot bauen und zog noch mehr Männer von der Arbeit ab, die nichts weiter taten, als in der Sonne zu liegen und Hundezahn in seinem Boot herumzufahren. Und er ernannte Tigergesicht zum Obersten über alle Wachen, so daß Tigergesicht seine rechte Hand wurde, und wenn Hundezahn ein Mann nicht gefiel, dann tötete Tigergesicht diesen für ihn. Tigergesicht ernannte wiederum einen anderen zu seiner rechten Hand, der die Befehle für ihn erteilte und für ihn tötete.
Aber es war eine ganz eigenartige Sache: Die Zeit ging dahin, und wir, die übriggeblieben waren, arbeiteten immer härter, und dennoch bekamen wir immer weniger zu essen.
„Aber was war mit den Ziegen und dem Korn und den eßbaren Wurzeln und der Fischfalle?“ sprach Fürchtesam. „Was geschah mit alldem? Hatte man denn nicht viel mehr Nahrungsmittel gewonnen durch die Arbeit der Menschen?“
„So ist es“, pflichtete Langbart bei. „Drei Männer an der Fischfalle fingen mehr Fisch als der ganze Stamm, bevor es die Fischfalle gegeben hatte. Aber sagte ich nicht, daß wir Dummköpfe waren? Je mehr Nahrungsmittel wir gewinnen konnten, desto weniger hatten wir zu essen.“
„Aber war es denn nicht klar, daß die vielen Männer, die nicht arbeiteten, alles aufaßen?“ fragte Gelbkopf.
Langbart nickte traurig mit dem Kopf. „Die Hunde von Hundezahn wurden mit Fleisch vollgestopft, und die Männer, die in der Sonne lagen und nicht arbeiteten, wälzten sich im Fett, während sich kleine Kinder, vom Hunger geplagt, in den Schlaf weinten.“
Hirschfänger wurde durch die Erwähnung von Hunger angeregt, sich einen Batzen Bärenfleisch abzureißen und es an einem Stock über dem Kohlefeuer zu garen. Er verzehrte es schmatzend, während Langbart fortfuhr:
„Wenn wir unzufrieden murrten, erhob sich Großer Dicker und sagte mit der Stimme Gottes, daß Gott all die weisen Männer erwählt hätte, das Land wie auch die Ziegen, die Fischhalle und das Feuergetränk zu besitzen, und daß wir ohne diese weisen Männer alle Tiere wären wie in den Tagen, als wir noch auf Bäumen gelebt hatten.
Und es stand einer auf, der der Sänger des Königs wurde. Man nannte ihn Wanze, weil er klein war und sowohl ein unförmiges Gesicht als auch einen unförmigen Körper hatte und sich nicht in der Arbeit noch durch Heldentaten auszeichnete. Er wollte den fettesten Markknochen, den erlesensten Fisch, die Milch noch warm von der Ziege, das erste Korn, das reif war, und den gemütlichsten Platz am Feuer. Und indem er Sänger des Königs wurde, hatte er einen Weg gefunden, nichts zu tun und dick zu werden. Und als die Menschen immer unzufriedener wurden und Steine gegen das Grashaus des Königs
warfen, sang Wanze ein Lied darüber, wie schön es war, ein Fischesser zu sein. In seinem Lied sang er, daß die Fischesser die Auserwählten Gottes und die besten Menschen seien, die Gott erschaffen habe. Er sang von den Fleischessern als Schweinen und Krähen, und er sang, wie gut es für die Fischesser sei, zu kämpfen und Gottes Werk zu tun, welches darin bestand, die Fleischesser zu töten. Die Worte seines Liedes glühten wie Feuer in uns, und wir forderten tobend, gegen die Fleischesser geführt zu werden. Wir vergaßen, daß wir hungrig waren und warum wir gemeutert hatten, und wir waren glücklich, von Tigergesicht über die Wasserscheide geführt zu werden, wo wir viele Fleischesser töteten und zufrieden waren.
Aber es wurde nicht besser im Sea Valley. Essen konnten wir nur bekommen, indem wir für Dreibein, Dünnbauch oder Schweinebacke arbeiteten; denn es gab kein Land mehr, auf das einer noch Korn hätte aussäen können. Und oft hatten Dreibein und die anderen nicht genug Arbeit für alle Männer, die da waren. Diese mußten dann Hunger leiden, wie auch deren Frauen, Kinder und alte Mütter. Tigergesicht bot ihnen an, Wächter zu werden, und viele von ihnen taten das auch, wobei sie nichts anderes zu tun hatten, als denen, die arbeiteten und darüber murrten, daß sie so viele Faulpelze ernähren mußten, Speere in die Leiber zu stoßen.
Und wenn wir meuterten, sang Wanze immer neue Lieder. Er sagte, Dreibein, Schweinebacke und die übrigen seien starke Männer und besäßen deshalb soviel. Er sagte, daß wir froh sein sollten, so starke Männer unter uns zu haben, denn sonst würden wir an unserer eigenen Nichtswürdigkeit und an den Fleischessern zugrunde gehen. Deshalb sollten wir diesen starken Männern frohen Herzens lassen, worauf sie ihre Hand legten. Großer Dicker, Schweinebacke, Tigergesicht und all die anderen sagten, daß dies wahr sei.
,Gut’, sagte Langer Hauer, ,dann will ich auch ein starker Mann sein.’ Und er beschaffte sich Korn, um das Feuergetränk daraus zu machen und es für Geldschnüre zu verkaufen. Und als Schielauge sich beschwerte, sagte Langer Hauer, daß er auch ein starker Mann sei und er Schielauge den Kopf einschlagen wolle, wenn dieser noch länger Geschrei mache. Worauf Schielauge Angst bekam und mit Dreibein und Schweinebacke sprach. Alle drei gingen zu Hundezahn. Hundezahn sprach mit Seelöwe, der seinerseits einen Boten zu Tigergesicht schickte. Tigergesicht beorderte seine Wachen, die das Haus von Langer Hauer mit dem Feuergetränk niederbrannten und ihn samt seiner Familie töteten. Großer Dicker hieß das gut, und Wanze sang wieder ein Lied darüber, wie gut es sei, das Gesetz einzuhalten, und was für ein schönes Land Sea Valley sei und wie ein jeder, der Sea Valley liebte, vorwärts marschieren solle, um die schlechten Fleischesser zu töten. Und wieder brannte sein Lied wie Feuer in uns, und wieder vergaßen wir unsere Unzufriedenheit.
Es war sehr merkwürdig. Wenn Dünnbauch zu viele Fische fing, so daß er sie für wenig Geld hätte verkaufen müssen, warf er eine große Menge wieder ins Meer, so daß mehr Geld für die restlichen Fische bezahlt wurde. Dreibein ließ oft große Felder brach liegen, um mehr Geld für sein Korn zu bekommen. Und als die Frauen so viel Geld aus Muscheln machten, daß zuviel Geld zum Kaufen vorhanden war, ließ Hundezahn die Herstellung von Geld stoppen. Die Frauen hatten also keine Arbeit mehr und nahmen die Plätze der Männer ein. Ich arbeitete an der Fischfalle und erhielt alle fünf Tage eine Geldschnur. Aber nun machte meine Schwester meine Arbeit für nur eine Geldschnur alle zehn Tage. Die Frauen arbeiteten billiger, und es gab noch weniger zu essen. Tigergesicht bot uns an, Wächter zu werden. Nur, ich konnte keiner werden, weil ich ein lahmes Bein habe und Tigergesicht mich nicht haben wollte. Und solche wie mich gab es viele. Wir waren gebrochene Männer und nur noch geeignet, um Arbeit zu betteln oder die Aufsicht über die kleinen Kinder zu übernehmen, während die Frauen arbeiteten.“
Jetzt war auch Gelbkopf von der Erzählung ganz hungrig geworden und röstete sich ein Stück Bärenfleisch über dem Feuer.
„Aber warum habt ihr euch nicht erhoben, ihr alle zusammen, und habt Dreibein, Schweinebacke und den Großen Dicken und all die anderen getötet, um genug zu essen zu bekommen?“ fragte Fürchtesam.
„Weil wir nichts verstanden hatten“, antwortete Langbart. „Es mußte über so vieles nachgedacht werden, und außerdem gab es die Wächter, die ihre Speere in uns jagten, und den Großen Dicken, der immer von Gott sprach, und Wanze, der immer neue Lieder sang. Wenn jemand richtig dachte und es auch sagte, packten ihn Tigergesicht und seine Wächter und fesselten ihn bei Ebbe an die Felsen, so daß das steigende Wasser ihn schließlich ertränkte.
Es war eine merkwürdige Sache mit dem Geld. Es war wie mit den Liedern von Wanze. Es hatte den Anschein, als sei alles in Ordnung, aber in Wirklichkeit war es nicht so. Wir begriffen das nur langsam. Hundezahn fing damit an, das Geld zu sammeln. Er hortete es in einem der Grashäuser und bestellte Wachen, die es Tag und Nacht hüteten. Je mehr Geld er in dem Haus anhäufte, um so teurer wurde es, so daß ein Mensch jetzt länger für eine Geldkette arbeiten mußte als je zuvor. Außerdem redete man damals ständig von einem Krieg mit den Fleischessern. Hundezahn und Tigergesicht füllten viele Häuser mit Korn und Trockenfisch, mit geräuchertem Ziegenfleisch und Käse. Trotz dieser Berge von Nahrungsmitteln hatten die Menschen nicht genug zu essen. Aber was machte es schon? Immer wenn die Leute zu laut murrten, sang Wanze ein neues Lied, und Großer Dicker sagte, daß es Gottes Wille sei, daß wir die Fleischesser töteten, und Tigergesicht führte uns über die Wasserscheide, um zu töten und getötet zu werden. Ich war nicht gut genug, um Wächter zu werden und faul in der Sonne zu liegen, aber wenn wir Krieg hatten, war Tigergesicht froh, daß er mich mitnehmen konnte. Wenn wir alles aufgegessen hatten, was in den Häusern lagerte, hörten wir auf zu kämpfen und gingen wieder an die Arbeit, um abermals Lebensmittel zu horten.“
„Ihr wart damals alle verrückt“, war Hirschfängers Kommentar.
„Wir waren damals wirklich alle verrückt“, stimmte Langbart zu. „Es war seltsam, das Ganze. Zum Beispiel Spaltnase. Er sagte, es sei alles verkehrt. Er sagte, wir würden stark werden, wenn wir unsere Kräfte vereinten. Damals, als wir den Stamm gegründet hatten, sei es richtig gewesen, die Kraft der Männer, die dem Stamm mit ihrer Stärke schadeten, zu brechen - jener Männer nämlich, die ihren Brüdern die Köpfe einschlugen und ihnen die Frauen stahlen. Aber jetzt, so sagte er, würde der Stamm nicht stärker, sondern schwächer, weil es Männer gäbe, die dem Stamm aufgrund einer ganz anderen Kraft schadeten -Männer, die die Kraft des Landes besäßen wie Dreibein, die die Kraft der Fischfallen besäßen wie Dünnbauch, die die Kraft des gesamten Ziegenfleisches besäßen wie Schweinebacke. Was zu tun sei, sagte Spaltnase, sei, diesen Männern ihre böse Kraft zu nehmen, dafür zu sorgen, daß sie arbeiten gingen, allesamt, und daß niemand essen könne, der nicht arbeite.
Und Wanze sang wieder ein Lied über Leute wie Spaltnase, die zurück in die Vergangenheit und wieder auf den Bäumen leben wollten. Aber Spaltnase sagte, nein, er wolle nicht zurück, sondern vorwärts gehen. Sie würden nur stark werden, wenn sie ihre Kräfte zusammenlegten, die Fischesser sollten ihre Kraft mit der der Fleischesser vereinen, dann würde es keine Kämpfe mehr geben, keine Beobachter und keine Wachposten. Wenn nur alle arbeiteten, würden sie genug zu essen haben, und sie würden nicht mehr als zwei Stunden am Tag zu arbeiten brauchen.
Dann sang Wanze wieder, er sang, daß Spaltnase faul sei, und er sang das ,Lied von den Bienen’. Das war ein seltsames Lied, und diejenigen, die zuhörten, erfaßte eine Raserei, so als hätten sie vom starken Feuergebräu getrunken. Das Lied handelte von einem Bienenschwarm und einer räuberischen Wespe, die bei den Bienen leben wollte und die ihnen all ihren Honig stahl. Die Wespe war faul und erzählte den Bienen, daß es nicht nötig sei, zu arbeiten; sie erzählte ihnen auch, daß sie gut Freund mit den Bären sein sollten, die ja keine Honigräuber, sondern sehr gute Freunde wären. Das Lied von Wanze war sehr hinterlistig, und die Zuhörer erkannten genau, daß der Bienenschwarm der Sea-Valley-Stamm war, daß die Bären die Fleischesser waren und daß die faule Wespe kein anderer als Spaltnase war. Und als Wanze sang, daß die Bienen der Wespe so lange zuhörten, bis der Schwärm fast zugrunde ging, erhob sich wütendes Ge-murre. Als Wanze sang, daß sich schließlich die guten Bienen erhoben und die Wespe zu Tode stachen, griffen die Männer zu Steinen und warfen sie auf Spaltnase, bis dieser tot war und von ihm nichts mehr zu sehen war - nur ein Haufen Steine, die sie auf ihn geworfen hatten. Und viele der armen Leute, die lange und schwer arbeiten mußten und dennoch nicht genug zu essen hatten, halfen mit, Spaltnase zu steinigen.
Nach dem Tod von Spaltnase hatte nur noch einer gewagt, aufzustehen und seine Meinung zu sagen, und das war Haariges Gesicht. ,Wo ist die Kraft der Starken?’ fragte er. ,Wir sind die Starken, wir alle zusammen, und wir sind stärker als Hundezahn und Tigergesicht oder Dreibein und Schweinebacke und die anderen, die nichts tun, aber viel essen und uns schwächen, da uns ihre Stärke, die eine schlechte Stärke ist, schadet. Männer, die Sklaven sind, können nicht stark sein. Wenn der Mann, der als erster die Kraft und den Nutzen des Feuers erkannt hatte, seine Stärke eingesetzt hätte, wären wir seine Sklaven, wie wir jetzt die Sklaven von Dünnbauch sind, der die Kraft und den Nutzen von Fischfallen erkannt hat, und der Männer, die die Kraft und den Nutzen des Bodens, der Ziegen und des Feuergetränks erkannt haben. Früher lebten wir auf den Bäumen, meine Brüder, und niemand war sicher. Jetzt kämpfen wir nicht mehr gegeneinander. Wir haben unsere Kräfte vereint. Dann wollen wir auch nicht mehr gegen die Fleischesser kämpfen. Laßt uns unsere Kraft und ihre Kraft zusammenlegen. Dann werden wir wirklich stark sein. Dann werden wir gemeinsam ausziehen, die Fischesser und die Fleischesser, und wir werden die Tiger und Löwen, die Wölfe und wilden Hunde töten, und wir werden unsere Ziegen auf allen Hügeln weiden und unser Korn sowie die eßbaren Wurzeln in allen Bergtälern anbauen. Dann werden wir so stark sein, daß alle wilden Tiere vor uns fliehen und zugrunde gehen werden. Nichts wird uns widerstehen, denn jeder einzelne wird so stark sein wie alle Männer der Welt zusammen.
So sprach Haariges Gesicht, und sie töteten ihn, weil er, so sagten sie, ein wilder Mann sei und wieder auf den Bäumen leben wolle. Es war sehr merkwürdig. Immer wenn sich ein Mann erhob und vorwärts gehen wollte, sagten alle, die stillstanden, er wolle zurück und müsse getötet werden. Und die armen Menschen halfen, ihn zu steinigen, und sie waren Dummköpfe. Wir waren alle Dummköpfe, mit Ausnahme derer, die dick waren und nicht arbeiteten. Dummköpfe wurden weise genannt, und die Weisen wurden gesteinigt. Die Männer, die arbeiteten, bekamen nicht genug zu essen, und die Männer, die nicht arbeiteten, aßen zuviel.
Der Stamm verlor immer mehr an Stärke. Die Kinder waren schwach und kränklich. Und da wir nicht genug zu essen hatten, befielen uns seltsame Krankheiten, und die Menschen starben wie die Fliegen. Dann kamen die Fleischesser und überwältigten uns. Wir waren Tigergesicht zu oft über die Wasserscheide gefolgt und hatten die Ihren getötet. Jetzt kamen sie, um es uns mit Blut heimzuzahlen. Wir waren zu schwach und krank, als daß wir die große Mauer hätten besetzen können. Sie töteten alle Stammesangehörigen bis auf einige Frauen, die sie mitnahmen. Wanze und ich entkamen. Ich habe mich an den wildesten Stellen versteckt und wurde ein Fleischjäger, und ich habe seither nicht mehr gehungert. Ich habe mir eine Frau von den Fleischessern gestohlen und lebte fortan in den Höhlen der hohen Berge, wo man mich nicht finden konnte. Wir hatten drei Söhne, die sich alle eine Frau von den Fleischessern stahlen. Den Rest kennt ihr, denn seid ihr nicht die Söhne meiner Söhne?“
„Und Wanze?“ wollte Hirschfänger wissen. „Was würde aus dem?“
„Er ging zu den Fleischessern und wurde Sänger des Königs. Er ist jetzt ein alter Mann, aber er singt dieselben alten Lieder; wenn sich jemand erhebt, um vorwärts zu gehen, singt er, daß der Mann zurück und wieder auf den Bäumen leben wolle.“
Langbart griff in den Leib des Bären und lutschte mit zahnlosem Gaumen an seiner Faust voller Fett.
„Eines Tages“, sagte er, wobei er sich die Hände an den Seiten abwischte, „werden alle Dummköpfe gestorben sein, und dann werden alle noch lebenden Männer vorwärts gehen. Sie werden die Kraft der Starken besitzen, sie werden ihre Kräfte vereinigen, so daß auf der ganzen Welt keiner mehr gegen den anderen kämpfen wird. Es wird keine Wachposten oder Beobachter auf den Mauern geben. Alle Raubtiere werden getötet, und wie Haariges Gesicht gesagt hat, werden auf allen Hügeln Ziegen weiden, und in allen Tälern der hohen Berge werden Korn und eßbare Wurzeln angebaut. Alle Menschen werden Brüder sein, und niemand wird faul in der Sonne liegen und von den anderen durchgefüttert werden. Und all das wird geschehen, wenn die Dummköpfe gestorben sind und es keine Sänger mehr geben wird, die den Stillstand wollen und das ,Lied von den Bienen’ singen. Bienen sind keine Menschen.“